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Tollhauseffekt handelt vom Spannungsfeld zwischen Politik und Wissenschaft, allen voran geht es um die klimaforschende Wissenschaft. Es beschäftigt sich mit den Manipulationen sogenannter Klimaskeptiker, deren Pseudo – und Antiwissenschaft, die allzu oft, als seriöse Wissenschaft verkleidet, anerkannte Erkenntnisse und physikalische Tatsachen leugnet. So erläutert Michael E. Mann, verantwortlich für die Texte im Buch, wie wissenschaftliche Methodik funktioniert und offenbart dadurch gleichzeitig die Tragik der politischen Debatte. Das Buch analysiert, deckt auf, gibt aber auch Hoffnung! Die Autoren haben die meiste Zeit ihrer Karriere an vorderster Front gegen den Klimawandel gekämpft. Sie haben die Manipulation der Medien durch wirtschaftliche und politische Interessen und das skrupellose Spiel mit der Parteilichkeit bei Themen, die das Wohlergehen von Millionen Menschen betreffen, miterlebt. Die Lektionen, die sie gelernt haben, waren von unschätzbarem Wert und inspirierten dieses brillant Werk.
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Seitenzahl: 295
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Titel
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Warum wir dieses Buch übersetzt haben
Warum wir dieses Buch geschrieben haben
1. Wissenschaft
2. Klimawandel
3. Was geht mich der ganze Mist an?
4. Die Stufen der Verleugnung
5. Der Krieg gegen die Klimawissenschaften
6. Heuchelei: Dein Name ist Klimaleugnung
7. Geoengineering, oder "Was könnte da schon schief gehen?"
8. Aufbruch in die Zukunft
9. Rückkehr zum Tollhaus
Danksagungen
Impressum
Weitere Autor*innen im oekom verlag
Der Zweifel am Klimawandel als industrielles Produkt
Es gibt Dinge, die kann man eigentlich nur mit Humor ertragen. Dazu gehört die dummdreiste Art, mit der Interessengruppen seit Jahrzehnten die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die globale Erwärmung verleugnen und die Öffentlichkeit zu täuschen versuchen. Die Methoden reichen vom ständigen Wiederholen längst widerlegter Bauernfängerargumente, über erfundene Fake News, die Präsentation von mit wissenschaftlichem Jargon ornamentierten Pseudostudien durch Pseudoexperten bis hin zur Diffamierung und Einschüchterung von Klimaforschern. Wer, wie ich, dies seit vielen Jahren staunend, kopfschüttelnd und mit Sorge beobachtet, dem bietet dieses Buch so manches befreiende Auflachen – das einem dann aber nicht selten gleich wieder im Halse stecken bleibt.
Der Wissenschaftler Michael E. Mann, der sich hier mit dem bekannten Karikaturisten Tom Toles von der Washington Post zusammengetan hat, weiß wovon er spricht. Als junger Postdoktorand in den 90ern entwickelte er, zusammen mit zwei erfahrenen Forscherkollegen, die erste Rekonstruktion der Temperaturen der Nordhalbkugel über die letzten tausend Jahre, die wegen ihrer Form als "Hockeyschlägerkurve" bekannt wurde: sie zeigt den allmählichen, natürlichen Abkühlungstrend des Klimas, der mit der Industrialisierung in eine steile Erwärmung übergeht. Weil diese Kurve so eingängig den menschlichen Einfluss auf das Klima illustriert und im Bericht des Weltklimarats IPCC von 2001 prominent gezeigt wurde, geriet sie zur Zielscheibe all jener, die sich vor Klimaschutzmaßnahmen und staatlicher Regulierung von Emissionen fürchten. Es begann eine massive, in der Wissenschaftsgeschichte wohl einzigartige Kampagne zur Diskreditierung dieser Studie und zur Diffamierung und Einschüchterung der beteiligten Forscher. Sie führte gar bis zu einem Brief mit weißem Pulver, der Mann auf dem Höhepunkt des Anthrax-Alarms per Post zugeschickt wurde und der zur Evakuierung des Uni-Gebäudes durch die Polizei führte.
In der Fachwelt gelten die Arbeiten von Mann und Kollegen als hoch respektierte Pionierleistung. Die Forscher erhielten eine Reihe von Auszeichnungen, Michael Mann unter anderem die Oeschger-Medaille der European Geosciences Union. In den beiden Jahrzehnten seit Publikation der "Hockeyschlägerkurve" haben große internationale Forschungsprojekte mit hunderten Wissenschaftlern neue, unabhängige Rekonstruktionen des Temperaturverlaufs erstellt und die frühe Kurve von Mann und Kollegen bestens bestätigt. Einem deutschen Zeitungsleser kann man es dennoch nicht verdenken, wenn er den "Hockeyschläger" für irgendwie anrüchig hält. Denn auch in einigen großen deutschen Medien wurde die Kurve immer wieder für tot erklärt oder gar in die Nähe des Betrugs gerückt. Anscheinend glauben auch hierzulande manche Journalisten allzu gerne dem entlastenden Märchen, der Mensch könne nichts für den Klimawandel.
In der Wissenschaft gibt es seit langem einen nahezu vollständigen Konsens, dass der Mensch für die globale Erwärmung verantwortlich sei. Die Physik ist verstanden, die Belege sind klar und erdrückend. Wissenschaftliche Akademien und Fachorganisationen aus aller Welt haben sich dazu eindeutig geäußert. Der bei manchen Laien noch verbreitete Zweifel an der Klimawissenschaft ist ein Produkt mit einer Industrie dahinter, wie ein Bericht im britischen Guardian treffend betitelt war. Hunderte Millionen Dollar werden jährlich von, meist fossilen, Interessengruppen in Denkfabriken gepumpt, die mit selbsternannten Experten und Pseudoexpertisen diese Zweifel schüren. Teils sind das dieselben PR-Experten, die zuvor die Schädlichkeit des Rauchens als wissenschaftlich ungeklärt darzustellen versuchten.
Mit der Wahl von Präsident Trump sind diese Interessengruppen in den USA an die Macht gekommen. Unseriöse Lobbyisten, die viele Jahre damit verbracht hatten, mit abstrusen Behauptungen die Öffentlichkeit über die Klimawissenschaft in die Irre zu führen, finden sich auf einmal in leitenden Regierungspositionen. Auch davon handelt dieses Buch. Möglich gemacht wurde der Aufstieg dieser Lobbyisten nicht zuletzt durch systematisch falsche und tendenziöse Berichterstattung zum Thema Klima in einigen US-Medien wie Breitbart, Fox News oder dem Wall Street Journal. Manche Beispiele benötigen nicht einmal eine Karikatur, sie sind Realsatire. So gibt es einen schönen Videoclip von Fox News aus der Sendung "Fox & Friends" – angeblich Trumps Lieblingssendung – wo eine Expertin dem Publikum "die trübe Zukunft der Solarenergie" erläutert. Auf die Frage, wieso die Sonnenergie denn dann in Deutschland so gut funktioniert, antwortet diese "Expertin": "Das ist ein kleineres Land, und sie haben jede Menge Sonne!". (Nur ein einziger US-Bundesstaat hat ähnlich wenig Sonneneinstrahlung wie Deutschland: Alaska).
Über die absurde Propaganda der Klimaleugner zu lachen, reicht alleine aber nicht. Dazu ist die Gefahr für die Menschheit durch die globale Erwärmung zu ernst und zu dringend. Letzteres vor allem, weil es den "Klimaskeptikern" gelungen ist, genug Zweifel in Politik und Öffentlichkeit zu wecken und am Leben zu halten, um effektive Gegenmaßnahmen gegen die globale Erwärmung um Jahrzehnte hinauszuzögern. Schließlich ist es mehr als ein halbes Jahrhundert her, dass im Jahr 1965 der erste regierungsoffizielle Expertenbericht für den damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson in klaren Worten vor der kommenden globalen Erwärmung durch CO2 und deren Folgen wie dem Meeresspiegelanstieg gewarnt hat. All das ist längst eingetreten.
Die Schwemme von bezahlter oder politisch motivierter Propaganda ist nicht nur eine Gefahr für die Demokratie und ein Rückfall hinter die Zeit der Aufklärung. Sie ist eine Gefahr für die Lebensgrundlagen der Menschheit: ein stabiles Klima, verlässliche Ernten, eine lebensspendende Biosphäre.
Fachleute sollten Falschbehauptungen in der Öffentlichkeit daher klar mit Argumenten entgegentreten. Medien sollten sorgfältig Fakten und Quellen prüfen und nicht, im Sinne einer falsch verstandenen Ausgewogenheit, unseriösen Unsinn salonfähig machen, sondern lieber die Hintergründe und Finanzierung von Klimaleugner-Gruppen beleuchten. Die Politik sollte sich selbst bei jeder Entscheidung kritisch fragen (und fragen lassen), ob sie mit dem verbindlichen Ziel des Pariser Klimaabkommens vereinbar ist, die globale Erwärmung deutlich unter 2 Grad zu halten. Und auch unser Rechtssystem wird sich mit der Frage der Verantwortung für Nichtstun im Angesicht der Gefahr, oder gar für bewusste Täuschung der Öffentlichkeit, befassen müssen. In den USA ermitteln die Staatsanwälte, weil Exxon die Öffentlichkeit systematisch über die Erkenntnisse der eigenen Forscher getäuscht hat, denen schon vor über vierzig Jahren die Schädlichkeit ihrer Produkte für das Klima bekannt war.
Es gibt also noch viel zu tun, bis das Zeitalter der Verbrennung – das Pyrozän – endlich hinter uns liegt und das Solarzeitalter erreicht ist. Bis dahin dürfen uns die Hoffnung, der lange Atem und auch der Humor nicht ausgehen. Dabei hilft dieses Buch!
Potsdam, im Mai 2018 Stefan Rahmstorf
Stefan Rahmstorf leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und erhielt 2017 den Climate Communication Prize der American Geophysical Union. Er bloggt bei der KlimaLounge und twittert als @rahmstorf.
Ende 2016 schrieb der Klimaforscher Stefan Rahmstorf auf seinem KlimaLounge-Blog: "Diese verrückte Welt lässt sich manchmal nur mit Humor aushalten, und so erlauben sich Toles und Mann in ihrem Buch einen großartigen (und doch auch ernsten) Spaß mit den verbiesterten Abstreitern der Realität, die massiv von Interessengruppen finanziert werden, aber sich nicht selten gar als moderne Galileos inszenieren."
Ja, mit Humor lässt sich vieles besser ertragen! Deshalb ist er oft auch ein letztes Mittel für Kritik an Despoten und Unrechtsregimen. Aber um Kritik als solches geht es den Autoren weniger. Vielmehr geht es um die Verarbeitung der Erfahrungen, die Mann und seine Forscherkollegen im Spannungsfeld zwischen Politik und Wissenschaft gemacht haben. Speziell die klimaforschende Wissenschaft ist bekanntlich schon seit langer Zeit Angriffsziel von Schmutzkampagnen. Das ist umso absurder, da es ohne eine anerkannte Klimawissenschaft mit dem Erkennen der Katastrophe nicht weit her ist. Ähnlich Widersprüchliches umgibt im Übrigen auch Michael Mann selbst. Während er von Klimaleugnern massiv angegangen wird, genießt er in der Fachwelt durch seine "Hockeyschlägerkurve" ein hohes Ansehen.
Während in den vergangenen Jahren zahlreiche sachliche Bücher über den Klimawandel veröffentlicht wurden, zeichnet sich "The Madhouse Effect" durch seine klare und unkomplizierte Sprache in Kombination mit einem satirischen Unterton aus. Eine besondere Qualität erhält das Buch durch die zahlreichen bissigen Zeichnungen des politischen Karikaturisten Tom Toles von der US-Tageszeitung The Washington Post: Michael Mann analysiert die alternativen Wahrheiten und ihre Drahtzieher, und Toles illustriert die abstruse Show. Eine perfekte Mischung aus Klimawissenschaft und Klimapolitik. Nur leider auf Englisch.
Warum leider? Sicherlich, so könnte man meinen, wird in Deutschland die englische Sprache weitgehend gut verstanden. Das schon, aber offenkundig bestehen dennoch große Hemmschwellen, sich ein englischsprachiges Werk zuzulegen. Das heißt nicht, dass sich viele dem Englischen verweigern, aber freiwillig tut sich das fast niemand an. Wenn das Thema dann auch noch einen akademischen Charakter zu haben scheint, geht die Akzeptanz gegen Null. Das ist besonders schade, da der Wissenschaftler Michael Mann mit diesem Buch eines nicht sein will, nämlich streng wissenschaftlich. Genau deshalb hat er sich schließlich mit einem, wie er selbst schreibt "entspannten, künstlerischen, gefühlsbetonten, politischen Karikaturisten und Satiriker" zusammengetan.
Die eigentliche Motivation, sich an die Übersetzung von "Madhouse Effect" heranzuwagen war also das Bedauern, dass dieses Buch nur in der Originalfassung erhältlich und es somit im deutschsprachigen Raum nicht angekommen war. Denn nicht zuletzt wegen der auch in Deutschland stattfindenden Debatteb um sogenannte Klimaskeptiker ist es notwendig, die Zusammenhänge und die Tragik der politischen Debatte aufzuzeigen. Wenn Mann schreibt, dass der Begriff Skeptiker gerade im Zuge der Klimadebatte verschleppt wurde, um etwas ganz anderes auszusagen und benutzt wird um Beweisen auszuweichen, die man einfach nicht mag, dann ist das auch hierzulande nicht anders. Einer der Übersetzer, Matthias Hüttmann, hat das schon mehrfach erleben dürfen. So bricht regelmäßig ein Sturm pharisäischer Entrüstung über ihn herein, sobald es in Texten von ihm um Begriffe wie Verantwortungsethik, Suffizienz oder ähnliches geht. Trotz mehr als 25 Jahren aktiver Tätigkeit für die Erneuerbaren und in der Öffentlichkeitsarbeit lässt es nicht kalt, als fortschrittsungläubiger Nörgler stigmatisiert zu werden. Auch der seit vielen Jahren in Großbritannien ansässige Herbert Eppel, der neben seinem Übersetzungsbüro HE Translations dort unter anderem als Mitgründer der Pro Wind Alliance in Energieangelegenheiten aktiv ist, weiß davon ein Lied zu singen.
Das ist nichts im Vergleich zu dem, was Forscher wie Mann oder auch Rahmstorf über sich ergehen lassen müssen, aber es kommt aus der selben Richtung. Sich dieser als Kritik getarnten Leugnung von Tatsachen zu stellen ist ein Anliegen, das Mann und Toles auf perfekte Weise umsetzen. So waren sie denn auch sehr kooperativ, nicht zu sagen freundschaftlich, wenn es um Fragen im Zusammenhang mit der Übersetzung ging, denn nicht immer war es möglich, amerikanische Redewendungen 1:1 zu übersetzen.
Zurück zur Motivation: Letztendlich geht es bei der Akzeptanz des menschengemachten Klimawandels um nichts weniger als um die Zukunft aller existierenden Spezies auf dem Planeten Erde und natürlich auch um unsere eigene Zukunft. Und wie schon Hans Jonas feststellte: Es gibt weniger ein Recht künftiger Menschen auf Glück, sondern vielmehr eine Pflicht gegenüber der Zukunft der Menschheit. Adäquat dazu fordert auch Ernst Ulrich von Weizsäcker eine neue Aufklärung 2.0, die einen Humanismus vertritt, aber dabei die natürliche Mitwelt einschließt. Die Übersetzer hoffen, mit diesem Buch einen kleinen Beitrag zu dieser Aufklärung zu leisten und damit der Transformation unserer Energieversorgung wieder zu freierer Fahrt zu verhelfen.
Puschendorf, Leicester im Juni 2018 Matthias Hüttmann, Herbert Eppel
Matthias Hüttmann ist freier Journalist, Verfasser von Fachbeiträgen, Buchautor, Chefredakteur der Zeitschrift SONNENENERGIE und im erweiterten Präsidium der DGS. Er hat Energie- und Wärmetechnik studiert und ist seit 1994 in der Solarbranche sowie der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig, er twittert als @_solarpapst.
Herbert Eppel, ursprünglich Diplom-Bauphysiker (HfT Stuttgart), ist seit vielen Jahren in Großbritannien ansässig, wo er in vielfacher Form in Energieangelegenheiten aktiv ist und seit 1995 sein Übersetzungsbüro HE Translations betreibt. Sein Team twittert unter @HETranslations
Vorwort der Autoren
Was würde einen spitzköpfigen, Laborkittel tragenden, hochintellektuellen Wissenschaftler und einen entspannten, künstlerischen, gefühlsbetonten, politischen Karikaturisten und Satiriker veranlassen, zusammen an einem Buch zu arbeiten?
Die Antwort ist einfach: Der Klimawandel.
Die Erwärmung des Planeten durch unsere verschwenderische Verbrennung fossiler Brennstoffe stellt vielleicht die größte Aufgabe dar, vor die sich die menschliche Zivilisation bisher gestellt sah. Aber bisher haben wir die Herausforderung nicht gemeistert. Wir haben es versäumt, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um gefährliche und möglicherweise irreversible Veränderungen unseres Klimas zu verhindern.
Warum? Es ist nicht so, dass die Wissenschaft nicht überzeugend ist. Das ist sie wohl.
Es ist nicht so, dass die Bedrohung nicht eindeutig ist. Das ist sie wohl. Es ist nicht so, als ob viele kluge, informierte und besorgte Menschen nicht versucht hätten, die Aufmerksamkeit auf diese Krise zu lenken. Das haben sie wohl.
Es ist nicht einmal so, dass die überwältigende Mehrheit der Bürger die Dringlichkeit des Handelns nicht erkennt. Das tut sie wohl.
Wie kommt es also, dass wir in einer Tollhaus-Atmosphäre angelangt sind, in der Politiker in der Lage sind, mächtige Interessen der fossilen Brennstoffindustrie zu vertreten und gleichzeitig das langfristige Wohl der Menschen, die sie vertreten sollen, zu ignorieren?
Diese Frage haben wir uns beide schon oft gestellt.
Ein Wissenschaftler versucht die Funktionsweise der Welt zu verstehen. Ein politischer Karikaturist versucht zu zeigen, was schief geht.
Diese Jobs existieren in unbeschwerten Parallelwelten, bis etwas sehr Außerordentliches passiert, das sie zusammenbringt. In diesem Fall ist das Ungewöhnliche die empörende Verzerrung der Wissenschaft durch die offizielle Politik. Die Verzerrung, Verleugnung und Verwirrung als Reaktion auf den Klimawandel ist nichts anderes als ein Tollhaus. Die Herausforderung bestand und besteht darin, herauszufinden, wo wir sind und wie wir den Ausweg finden.
Und hier treffen sich der Wissenschaftler und der Karikaturist. Der Wissenschaftler versucht zu verstehen, was die Fakten und Folgen sind. Der Cartoonist liest über die wachsenden Gefahren und versucht sie anschaulich zu illustrieren.
Jeder von uns ist auf seine eigene Art und Weise leidenschaftlich daran interessiert, die Dringlichkeit des Problems zu kommunizieren – Michael durch öffentliche Vorträge, Interviews und Universitätskurse und Tom durch seine bekannten politischen Karikaturen und Blogs in der Washington Post, die Humor und Satire anwenden, um dieses Thema Millionen von Lesern zu verdeutlichen.
Uns beiden ist aufgefallen, dass konventionelle Ansätze nicht erfolgreich sind – zumindest nicht schnell genug, um eine Katastrophe abzuwenden. Vielleicht müssen wir über das Problem anders reden und darüber nachdenken.
Vielleicht, so dachten wir, müssen wir unser linkes und unser rechtes Gehirn kombinieren und dabei sowohl unsere zerebralen Hirnrinden als auch unsere Herzen gebrauchen.
Und so entstand diese Zusammenarbeit zwischen einem Karikaturisten, der für seine bissigen, gesellschaftspolitischen Kommentare bekannt ist, und einem Klimaforscher, der vor allem für seine wissenschaftliche Arbeit geschätzt wird.
Trotz unserer sehr unterschiedlichen Berufungen sind wir beide entschlossen, in einem öffentlichkeitswirksamen Diskurs über die wohl größte Herausforderung der menschlichen Zivilisation zu informieren: Die Herausforderung, katastrophale Störungen des Erdklimas abzuwenden.
Das Haus steht buchstäblich in Flammen. Aber auch wenn die Beweise unverkennbar geworden sind und der Alarm mehrfach ausgelöst wurde, ist die Politik gelähmt – manchmal aus Unwissenheit, manchmal aus Unsicherheit, oft aber auch durch eine Kampagne der bewussten Fehlinformation.
Das ist das Tollhaus der Klimadebatte. Wir sind Alice durch den Spiegel gefolgt. Dort sind weiße Rosen rot angemalt und Worte stehen plötzlich für etwas anderes. Die Sprache der Wissenschaft selbst, die der "Skepsis" und "Evidenz", wird in einer Art und Weise verwendet, die der üblichen Wissenschaftssprache entgegengesetzt ist.
Nicht jeder will, dass die Fakten bekannt sind. Wir sind geradewegs in das hineingerannt, wovor Upton Sinclair uns bekanntlich gewarnt hat: "Es ist schwierig, einen Menschen dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er es nicht versteht." Und es gibt viele mächtige Interessen, deren Einkünfte sehr stark davon abhängen, dass die Öffentlichkeit die Klimawissenschaften nicht versteht.
Und so müssen wir weiter darum kämpfen, dass die Welt den voraussichtlich dauerhaften Schaden erkennt, den wir der Erde, uns selbst und dem ganzen Ökosystem zufügen.
Der Kampf um den Erhalt der Wälder, Seen, Berge und auch der Ozeane des einzigen Planeten, den wir haben, ist anders als andere Auseinandersetzungen. Er wird nicht enden. Die Zeit ist nicht mehr auf unserer Seite, sie wird auch keine Wunden heilen, sondern stattdessen immer mehr Schädigungen zufügen, wenn wir nicht aufhören, wie verwirrte Zombies herumzuirren.
In diesem Buch sprechen wir natürlich auch über die Wissenschaft, die dem Klimawandel zugrunde liegt. Denn man kann ein Problem nicht lösen, wenn man nicht versteht, worin dieses überhaupt besteht. Aber zuerst sprechen wir über die Wissenschaft selbst, weil man wissen muss, was sie ist, bevor man verstehen kann, was sie nicht ist. In der Debatte über den Klimawandel dürfen sich Pseudowissenschaften oder Antiwissenschaft allzu oft als Wissenschaft verkleiden, und das Leugnertum, oder besser die Lüge, darf als Skepsis auftreten.
Die Medien werfen allzu oft kollektiv ihre Hände hoch und rufen: "Wir können den Unterschied nicht erkennen." Wir bekommen also das Problem des "falschen Gleichgewichts", bei dem die Industriepropaganda in der Frage des Klimawandels allzu oft auf der Medienbühne gleichberechtigt neben der eigentlichen Wissenschaft steht. Und wir alle zahlen den Preis in Form eines verzerrten öffentlichen Diskurses. Dies ist ein Problem, das einer von uns in seinen Cartoons erforscht und der andere in seinen früheren Schriften diskutiert hat – und wir erforschen es gemeinsam in der Tiefe in diesem Buch.
Die grundlegenden Fakten sind nun klar und im Wesentlichen unbestritten.
Es ist an der Zeit, das Feuer zu löschen. Von Präsidenten über Premierminister bis zum Papst wachen die Menschen endlich auf, um sich der Realität und der Herausforderung zu stellen. Wir haben bereits Anzeichen dieses neuen Erwachens erlebt und rekordverdächtige Menschenmassen gesehen, die durch die Straßen von New York City und in den Städten auf der ganzen Welt marschiert sind und Klimaschutz fordern. Auch sind die Nationen der Welt auf dem historischen Pariser Klimagipfel von 2015 beispiellose Verpflichtungen eingegangen, um ihre CO2-Emissionen zu reduzieren. Aber jedes Mal, wenn wir in der Vergangenheit zu erkennen begannen, dass wir handeln müssten, sind die Urheber von Verwirrung und Verleugnung angetreten, um uns abzubremsen und in die Irre zu führen.
Dieses Mal müssen wir den Kurs beibehalten und alles richtig machen. Es wird keine weiteren Gelegenheiten mehr geben.
Wir analysieren die Gründe, warum wir uns alle um den Klimawandel kümmern sollten, und wir machen auf die absurden Bemühungen von Partikularinteressen und parteipolitischen Persönlichkeiten aufmerksam, die Öffentlichkeit zu verwirren, die Wissenschaft und die Wissenschaftler direkt anzugreifen und zu leugnen, dass es überhaupt ein Problem gibt. Trotz der späten Stunde und der monumentalen Herausforderung glauben wir, dass es noch Zeit und Hoffnung gibt.
Letztendlich hoffen wir, dass unsere Leser etwas lernen und dass unser Buch sowohl unterhält als auch erzürnt, aber auch inspiriert und motiviert. Wir dürfen uns keine Illusionen machen. Wir haben unser Schicksal selbst in der Hand und stehen vor einem Abgrund. Wenn wir den eingeschlagenen Weg weiter verfolgen, könnte es unser Schicksal sein, einen unbewohnbaren Planeten mit zerstörten Ökosystemen und einem andauernden, unvorhersehbaren Chaos zu hinterlassen. Aber es gibt eine alternative Zukunft, die vor uns liegt, eine Zukunft, in der wir das Ziel einer nachhaltigen planetarischen Existenz ergreifen und jetzt die Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass wir die Gesundheit unseres Planeten für die kommenden Generationen erhalten. Wir haben die Wahl.
Es ist an der Zeit, endlich dem Tollhaus zu entkommen.
So läuft es
Im Prinzip sind wir uns sicher alle einig: Wissenschaft ist nützlich und wichtig. Erkenntnisse der Klimaforschung ziehen jedoch regelmäßig einen Sturm der Empörung und eine Flut von Gegenargumenten nach sich. Dieses Verhaltensmuster ist beunruhigend, denn es untergräbt ein ureigenes Prinzip der Wissenschaft.
Grundsätzlich unterliegen die Wissenschaften einem selbstkorrigierenden Mechanismus, um den berühmten Carl Sagan[1] zu zitieren. Dadurch wird gewährleistet, dass sich die Wissenschaft, trotz gelegentlicher Fehlentwicklungen, Sackgassen und Fehltritte, insgesamt auf dem Weg zu einem stetig besseren Verständnis der Welt befindet und der Mensch mehr über sich und seine Umwelt erfährt. Dies geschieht vor allem anhand kritischer Kontrollen in Form von anonymen Bewertungen durch Fachkollegen und fachlicher Infragestellung, sogenannter Peer Reviews, auch Kreuzgutachten genannt. Dem liegt die übergeordnete, ebenfalls Sagan[2] zugeschriebene Maxime zugrunde, dass außerordentliche Aussagen auch außerordentliche Beweise erfordern. Dabei ist redliche Skepsis immer bestrebt, die Wissenschaft durch unabhängige Prüfung und akribische Hinterfragung sämtlicher Details auf dem bestmöglichen Stand zu halten. Skepsis ist deshalb ein wesentliches Handwerkszeug allen wissenschaftlichen Arbeitens. Das ist nicht nur gut so, sondern letztendlich unentbehrlich. Die integre Skepsis ist sozusagen der Schmierstoff, der sicherstellt, dass der selbstkorrigierende Mechanismus am Laufen bleibt.
Leider wird mit den Begriffen skeptisch und Skeptiker inzwischen oft Schindluder getrieben, insbesondere in der Debatte um den Klimawandel. So wird vorgetäuschte Skepsis häufig dafür verwendet, unbequeme wissenschaftliche Erkenntnisse zu umgehen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um redliche Skepsis. Im Gegenteil, unter dem Deckmantel des Misstrauens wird vielmehr eine bewusst konträre Haltung, wenn nicht gar Leugnung, inklusive einer pauschalen Ablehnung validierter und weithin anerkannter wissenschaftlicher Grundsätze, versteckt. Die Motive sind dabei ganz unterschiedlich. Meist beruht die vorgetäuschte Kritik auf Meinungen, Ideologien, finanziellen Interessen, Eigennutz oder einer Kombination von alldem.
Deshalb ist es wichtig, wahre Skepsis, die als ein edles Attribut aller erstklassigen Wissenschaft und allen redlichen Wissenschaftlern eigen ist, von der Stammtisch-Pseudoskepsis selbsternannter Wissenschaftskritiker zu unterscheiden, die sich törichterweise als moderne Galileos ausgeben. Carl Sagan schrieb dazu einmal: "Die Tatsache, dass einige Genies ausgelacht wurden, bedeutet nicht, dass alle, die ausgelacht werden, Genies sind. Man hat über Kolumbus gelacht, man hat über Fulton gelacht, man hat über die Wright-Brüder gelacht. Aber man hat auch über Bozo den Clown gelacht."[3] Für jeden Galileo gibt es Tausende von Bozos bzw. Dummköpfe. Leider sind in der zänkischen Debatte über politisch relevante Bereiche der Wissenschaft die Dummköpfe allzu oft diejenigen mit dem Megaphon.
Skepsis
Echte wissenschaftliche Skepsis kann viele Formen annehmen. Sie tritt beispielsweise als Kompromissbereitschaft bei wissenschaftlichen Zusammenkünften auf, wenn Wissenschaftler ihre Ergebnisse präsentieren und sich danach mit den Fragen, Kritiken und Herausforderungen ihrer Kollegen auseinandersetzen. Außerdem findet sie in Form der bereits erwähnten Peer Reviews statt. Dabei unterziehen Wissenschaftler mit entsprechender Sachkenntnis die von anderen Wissenschaftlern zur Veröffentlichung eingereichten Texte einer kritischen Bewertung. Werden in den Daten, den zugrunde liegenden Annahmen, dem experimentellen Aufbau oder der Logik Fehler gefunden, dann müssen die Autoren dies überprüfen und ihre Arbeit erneut einreichen. Dieser Vorgang kann für einen wissenschaftlichen Artikel mehrfach wiederholt werden. Artikel werden schließlich nur dann veröffentlicht, wenn Herausgeber überzeugt sind, dass die Autoren auf die Bedenken und Kritik, die während des Begutachtungsprozesses vorgebracht wurden, ausreichend eingegangen sind. Prinzipiell sollte ein Manuskript dem Anspruch genügen, einen weiterführenden Beitrag zur bereits vorhandenen wissenschaftlichen Literatur zu leisten.
Der Prozess der Qualitätskontrolle durch die Peer Reviews ist natürlich nicht perfekt und es kann durchaus vorkommen, dass fehlerhafte Arbeiten veröffentlicht werden. Denn sicherlich definiert kein einzelner wissenschaftlicher Artikel jemals das kollektive Wissen. Daher gibt es sogar ein Peer Review eines Peer Reviews in Form von wissenschaftlichen Gutachten, die von mehreren Autoren verfasst werden, wie das zum Beispiel bei der US-amerikanischen Akademie der Wissenschaften der Fall ist. Dort wird ein kollektiver Nachweis anhand der von Peer Reviews begutachteten Literatur zu einem bestimmten Thema bewertet, was letztendlich den aktuellen Kenntnisstand eines Themas beschreibt. Auch diese Beurteilungen werden wiederum anhand von Peer Reviews auf Richtigkeit, Objektivität und Gründlichkeit überprüft.
Tatsache ist jedoch, dass es im wissenschaftlichen System eine Schwäche gibt, die ausgenutzt werden kann. Diese liegt im öffentlichen Verständnis von Wissenschaft. Der Weg von einer wissenschaftlichen Erkenntnis hin zu einer Umsetzung in der Politik ist deshalb oft mühselig und angreifbar. So kann unter dem Vorwand von Skepsis absichtlich Verwirrung gestiftet werden, wobei der wissenschaftliche Prozess immer wieder von unredlichen Zweifelskrämern untergraben wird.
Eine hinterhältige Methode besteht zum Beispiel darin, dass selbsternannte Kritiker versuchen, den wissenschaftlichen Prozess in Verruf zu bringen, indem sie unaufrichtige Motive unterstellen. Dabei stellt man darauf ab, Einrichtungen zu kompromittieren, indem deren Arbeit als unehrlich und von Hintergedanken getrieben, verunglimpft wird. Auch wird gerne behauptet, dass Wissenschaftler lediglich finanziell motiviert sind und sich durch staatliche Fördergelder übermäßig bereichern. Diese Anschuldigungen werden ironischerweise oft von Personen vorgebracht, die ihrerseits im Auftrag von Industrie-Lobbygruppen in der Öffentlichkeit Desinformation verbreiten und Wissenschaftler angreifen.[4] Dabei wird den Klimawissenschaftlern im Kern unterstellt, die vorherrschende Erkenntnis, dass der Klimawandel real ist und von uns Menschen verursacht wird, gezielt für ihr eigenes Interesse zu nutzen. Das perfide Ziel dahinter besteht darin, "besorgten Menschen" einzureden, dass die Warnungen vor dem Klimawandel nicht ehrlich gemeint sind. Ihr Zweck bestünde vielmehr darin, die Öffentlichkeit und Politik zu beunruhigen, um eine kontinuierliche Verfügbarkeit staatlicher Fördergelder für die Forschungsarbeit sicherzustellen.
Um zu verstehen, wie absurd diese Prämisse ist, müssen wir uns einen etwas tieferen Einblick in den wissenschaftlichen Prozess verschaffen. So macht man sich in der Forschung keinen Namen, indem man etabliertes Wissen untermauert. In führenden Zeitschriften wie Nature oder Science werden auch keine Artikel veröffentlicht, die verdeutlichen, dass andere recht hatten. Sich in der Welt der Wissenschaft einen Namen zu machen ist nur möglich, indem man etwas Neues oder Überraschendes aufzeigt und der landläufigen Erkenntnis widerspricht. Für die Veröffentlichung von neuartigen und bahnbrechenden Forschungsarbeiten werden Wissenschaftler oft mit Festanstellung und ihre Institute mit Zugriff auf Forschungsstipendien belohnt, die wiederum zu Gehaltserhöhungen führen können.
Jeder Wissenschaftler, der nachweisen könnte, dass die Erde sich nicht erwärmt, würde sofort Berühmtheit erlangen. Ein Wissenschaftler, der eindeutig erklären könnte, dass die Erderwärmung natürliche und eben keine menschliche Ursachen hat, könnte jede Menge bedeutende Artikel in den Fachpublikationen veröffentlichen. Er oder sie würde in Nachrichtensendungen auftauchen und auf den Titelseiten von populärwissenschaftlichen Zeitschriften wie Scientific American erscheinen. Solch eine Persönlichkeit würde sicherlich gefördert und vermutlich auch in die Nationale Akademie der Wissenschaften aufgenommen werden. Der Wissenschaftler würde als einer der größten Paradigmenbrecher aller Zeiten in die Geschichte eingehen, als Mitglied des exklusiven "Clubs" der Galileos, Newtons, Darwins, Einsteins und Wegeners. Ein solcher Wissenschaftler würde, kurz gesagt, sowohl Ruhm als auch Reichtum erlangen.
Die Anreize für einen Wissenschaftler sind folglich genau gegenteilig zu dem, was Kritiker behaupten. Aber vergessen wir nicht, dass in der Wissenschaft ein Beweis umso außergewöhnlicher sein muss, je außergewöhnlicher die aufgestellte Behauptung ist. Wenn Sie als Wissenschaftler eine neue These veröffentlichen, sollten Sie gut gewappnet sein, diese wissenschaftlich zu verteidigen, denn die Widerlegung berühmter Entdeckungen öffnet die Tür zu Ruhm und Ehre. Wie schnell die Versuchung nach hinten los gehen kann, zeigt die unglaubwürdige Behauptung zweier Chemiker Ende der 80er Jahre. Sie gaben an, Fusionsenergie bei Raumtemperatur aus Leitungswasser und ein paar Elektroden erzeugen zu können. Das führte letztendlich dazu, dass die Amerikanische Physikalische Gesellschaft diesem Fall auf ihrer Jahrestagung eine ganze Sitzung widmete, um die These zu entlarven. Eine Gruppe von Physikern der Technischen Hochschule Kaliforniens, besser bekannt als "Caltech", wurde von der wissenschaftlichen Gemeinschaft für die Diskreditierung dieser Behauptung in der Öffentlichkeit gefeiert und erlangte große Bekanntheit. Aber auch sie mussten ihrerseits ihre Argumente belegen. Sie mussten überzeugende Beweise vorlegen, dass die Behauptung der "kalten Fusion" falsch war.[5] So funktioniert das eben.
Der Hockeyschläger
Wir sollten in diesem Zusammenhang nicht versäumen, die Geschichte vom Hockeyschläger zu erzählen: Ende der 90er Jahre veröffentlichte einer der beiden Autoren dieses Buches, Michael E. Mann, die inzwischen berühmte Hockeyschlägerkurve, welche die Temperaturentwicklung des vergangenen Jahrtausends darstellt. Die Kurve demonstrierte den beispiellosen Charakter der gegenwärtigen globalen Erwärmung. Sie wurde zu einem Symbol in der Klimaänderungsdebatte und damit zu einem potentiellen Angriffsobjekt für gewisse Kreise.[6] Angesichts ihres Kultstatus versprach jede Art von Widerlegung der Hockeyschlägerkurve Wissenschaftlern eine enorme Belohnung in Form wissenschaftlicher Berühmtheit. Viele haben es tatsächlich versucht.
Dutzende von wissenschaftlichen Teams haben ihre eigenen Studien durchgeführt, wobei sie verschiedene Daten und Methoden verwendet haben und zu ihren eigenen unabhängigen Schlussfolgerungen gekommen sind. Führende Fachzeitschriften wie Nature und Science riefen zu Wettbewerben auf. Einige dieser Aufgabenstellungen trugen am Ende dazu bei, dass ambitionierte Nachwuchswissenschaftler ihre Karriere starten konnten. Dennoch hat die grundlegende Schlussfolgerung der Hockeyschlägerkurve auch nach fast zwei Jahrzehnten Bestand und wurde inzwischen durch eine regelrechte Hockeyliga an Studien bestätigt.[7] Selbst die bisher umfassendste Studie hat eine Kennlinie erbracht, die kaum von der ursprünglichen Hockeyschlägerkurve zu unterscheiden ist.[8] Die grundsätzliche Erkenntnis hat sich also bewährt. Das wiederum hat den Weg für die Suche nach Antworten anderer weitergehender Fragen geebnet. Mittlerweile beschäftigt man sich beispielsweise damit, herauszufinden, welche natürlichen Faktoren ausschlaggebend für die prähistorischen Temperaturänderungen waren. So läuft das innerhalb der Wissenschaft: Was einst an der wissenschaftlichen Front, der spekulativen Grenze des wissenschaftlichen Verstehens, stand, wird langsam in den Korpus des wissenschaftlichen Wissens aufgenommen. Aber nur dann, wenn es sich wiederholten Herausforderungen stellt. Die Grenze des wissenschaftlichen Wissens erweitert sich, die Wissenschaft schreitet voran und erforscht neue Grenzen. Wäre die ursprüngliche Hockeyschlägerkurve tatsächlich falsch gewesen, wüssten wir das längst. Wenn die Theorien zur globale Erwärmung falsch wären, wüssten wir das ebenso. Und auch wenn die globale Erwärmung nicht durch den Menschen verursacht werden würde, wüssten wir das inzwischen. Denn für aufstrebende junge Wissenschaftler gab es ja durchaus den unwiderstehlichen Anreiz, gegen eine Etablierung dieser Theorien zu arbeiten.
Das heißt jedoch keineswegs, dass die Bemühungen zur Diskreditierung der Hockeyschlägerkurve und deren Grundannahme, dass die globale Erwärmung eine menschliche Ursache hat, aufgehört haben. Ganz im Gegenteil. Obwohl die Wissenschaftsgemeinde dies inzwischen als feststehende Tatsache betrachtet und quasi zu den Akten gelegt hat, gibt es andere, für die das nicht gilt. Noch kämpfen mächtige Interessengruppen, die solche Erkenntnisse als störend empfinden, dagegen an. Dabei verhält man sich wie einst die Tabakindustrie. Als man sich dort bewusst wurde, dass die medizinische Forschung die schädlichen Auswirkungen des Zigarettenrauchens auf die Gesundheit aufdecken würde und dass dies eine Bedrohung der eigenen Interessen darstellte, wurden konträre Wissenschaftler, Denkfabriken und Lobby-Agenturen angeheuert. Man startete eine massive öffentliche Desinformationskampagne, die darauf abzielte, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die wissenschaftlichen Nachweise zu untergraben.[9] Ähnlich verhält es sich mit der chemischen Industrie, die weiterhin versucht, die Wissenschaft zu diskreditieren, welche die negativen Gesundheits- und Umweltauswirkungen ihrer Produkte aufzeigt, während die Interessenvertreter fossiler Brennstoffe weiterhin zig Millionen für Kampagnen ausgeben, um die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem vom Menschen verursachten Klimawandel, einschließlich der Hockeyschlägerkurve selbst, zu untergraben.[10] Diese Angriffe sind Teil dessen, was bisweilen auch als "Krieg gegen die Wissenschaft"[11] bezeichnet wird, ein Krieg, der von Sonderinteressen geleitet ist. Dabei versucht man, Kontrollen zu entgehen und sich Regulierungen zu entziehen. Das Ansinnen ist ganz einfach: Es gilt zu vermeiden, dass überzeugende wissenschaftliche Beweise die Risiken aufdecken, die durch deren Produkte, Handlungen und Dienstleistungen entstehen.
Die verzerrte Spiegelwelt
Der verstorbene US-Senator Daniel P. Moynihan äußerte sich einmal so: "Sie haben Anrecht auf ihre eigenen Meinungen, aber nicht auf ihre eigenen Fakten." Leider fühlen sich heute viele Menschen berufen eigene Fakten zu besitzen, vor allem dann, wenn diese "alternativen Fakten" die eigene Agenda stützen. Wenn Sie beispielsweise die Leitartikelseite des Wall Street Journals lesen oder sich die Fox News ansehen, werden sie sich in einem bizarren Spiegelkabinett widerfinden, in dem oben und unten, links und rechts wie auch schwarz und weiß vertauscht sind. Dort ist der Abbau der Ozonschicht ein Mythos, Umweltverschmutzung ausgemachter Blödsinn und die Evolution nur eine Theorie. Saurer Regen wird durch Bäume verursacht und die globale Erwärmung ... lassen Sie uns damit besser erst gar nicht anfangen!
Eine wachsende Zahl amerikanischer Bürger ist in der Blase dieser Spiegelwelt aus Fehlinformation gefangen. Vorbei sind die Zeiten eines Fernsehjournalismus à la Walter Cronkite, als es "so war, wie es war", als wir uns kultiviert auf die Fakten einigen konnten und lediglich über Konsequenzen stritten. Heutzutage greifen viele von uns nur noch auf jene Informationsquellen zu, welche die eigenen Vorurteile bestätigen und deren gibt es viele: Netzwerke, Websites, Zeitungen, Radiosendungen und vieles mehr. Wenn Sie ein glühender Leugner des Klimawandels sind, stehen die Chancen gut, dass Sie 1. dieses Buch sowieso nicht in die Hand nehmen werden, 2. Toms redaktionelle Karikaturen in der Washington Post oder Mikes Kommentare und Interviews nicht lesen und 3. Ihre Informationen über den Klimawandel aus konservativen Medien beziehen, die sich dafür einsetzen, die Vorstellung aufrechtzuerhalten, dass der Klimawandel ein Mythos und eine riesige Verschwörung von Tausenden von Wissenschaftlern ist, die das Ziel hat, eine neue sozialistische Weltordnung zu schaffen.
Wenn das Ihre Meinung ist, dann ist es Ihnen wahrscheinlich egal, dass unter Wissenschaftlern weltweit ein überwältigender Konsens darüber besteht, dass der Klimawandel 1. real ist, 2. von uns Menschen verursacht wird und 3. bereits ein konkretes Problem ist. Es ist dann wahrscheinlich auch egal, dass die Nationale Akademie der Wissenschaften, einst gegründet vom republikanischen Präsident Abraham Lincoln, dies ebenso wie die wissenschaftlichen Akademien aller großen Industrienationen[12] , zum Fakt erklärt hat. Es ist ihnen schließlich auch Schnuppe, dass jede wissenschaftliche Gesellschaft in den Vereinigten Staaten, die sich mit dieser Frage beschäftigt, dies ebenfalls getan hat.[13] Aus Ihrer Sicht ist das alles nur ein Beweis dafür, dass die wissenschaftliche Verschwörung noch weiter und tiefer gehen muss. Es ist diese Art gläubiger Abschottung gegenüber Erkenntnissen, die es immer schwieriger macht, verhärtete Leugner des Klimawandels zu erreichen.
Wissenschaft sollte durch Formulierung und Prüfen von Hypothesen, Analyse von Daten und Untersuchung von Fakten ausgefochten werden. Vielmehr prägen jedoch Fernsehdebatten mit prominenten Persönlichkeiten und gegensätzlichen Standpunkten das Bild. Wem glauben Sie nützt diese Herangehensweise unserer Massenmedien?
Zweifel ist ihre Ware
Im öffentlichen Kampf um die politikrelevante Wissenschaft haben Interessensgruppen längst erkannt, dass sie einen großen Vorteil bei der Beeinflussung der öffentlichen Meinung genießen. Ihre internen Untersuchungen, Marktforschungen und Umfragen haben ergeben, dass sie lediglich eine gewisse Unsicherheit bezüglich der wissenschaftlichen Beweise in der öffentlichen Meinung erzeugen müssen, um einen Nährboden für Untätigkeit entstehen zu lassen. Ein internes Memo der Tabakindustrie zeigt dies deutlich.[14]
Es überrascht nicht, dass gerade rechte Medien als Sprachrohr für solche Motive dienen. Beunruhigender ist jedoch, dass die Mainstream-Medien oft die Rolle ahnungsloser Komplizen spielen. Indem sie die Auffassung aufrechterhalten, dass es auch bei objektiven Sachverhalten wie Evolution und Klimawandel zwei gleichberechtigte "Seiten" gibt, haben Massenmedien die Wahrnehmung verstärkt, dass es berechtigte Zweifel an diesen Sachverhalten gibt. Der Komiker John Oliver traf den Nagel auf den Kopf, als er 97 Wissenschaftler, einschließlich unseres guten Bekannten Bill Nye, "the Science Guy", ins Studio einlud, um mit drei Leugnern des Klimawandels zu debattieren.[15] Denn das Verhältnis der veröffentlichten wissenschaftlichen Publikationen bezüglich der Frage des vom Menschen verursachten Klimawandel ist eben 97 zu 3 und nicht fifty-fifty.[16]
Wie wir sehen werden, hängt der Erfolg der industriefinanzierten Lügen über den Klimawandel zum großen Teil von den Medien ab. Dabei wird deren Credo gnadenlos ausgenutzt. Die Vorliebe der Medien für Konflikt statt Konsens und Kontroverse statt Verstehen macht es den selbsternannten Zweiflern einfach. Auch mit wenig journalistischen Kenntnissen ausgestattet reicht es, von Ausgewogenheit und Gleichgewicht zu fabulieren, schon hat man das perfekte Rezept für die industriellen Frontorganisationen (engl.: front group). Diese Organisationen können dann das tun, was sie am besten können: Fakten verschleiern und verbergen, um Handeln zu verzögern. Eine Frontorganisation behauptet, eine bestimmte Agenda zu verfolgen, während sie in Wirklichkeit einer anderen Partei oder einem anderen Interesse dient.
Der bei Politikern immer beliebter werdende Wahlspruch "Ich bin kein Wissenschaftler" ist lediglich eine Ausrede, um kluge Klimadiskussionen zu vermeiden. Es handelt sich keineswegs um eine schlüssige Antwort, denn logischerweise wäre die Fortsetzung: "also werde ich mich dem Konsensus der Wissenschaftler anschließen." Aber ganz offensichtlich stoßen einige Politiker nur sehr selten bis zu dieser Schlussfolgerung vor.
Stattdessen handeln sie oft so, als ob man nichts tun könne, solange es keine hundertprozentige Einmütigkeit unter den Wissenschaftlern gibt. Dabei scheuen sie sich auch nicht davor, einer winzigen Minderheit von Wissenschaftlern zuzustimmen, die genau das sagen, was sie hören wollen. Oftmals sind die fraglichen Wissenschaftler nicht einmal Klimaforscher, aber wen kümmert das schon?