Propagandaschlacht ums Klima - Michael E. Mann - E-Book

Propagandaschlacht ums Klima E-Book

Michael E. Mann

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Beschreibung

Der renommierte Klimawissenschaftler Michel E. Mann zeigt, wie die fossile Brennstoffindustrie seit 30 Jahren eine Kampagne führt, um von Schuld und Verantwortung abzulenken und Maßnahmen gegen den Klimawandel zu verzögern. Recyceln. Weniger fliegen. Weniger Fleisch essen. Das sind nur einige der Maßnahmen, von denen uns gesagt wurde, dass sie den Klimawandel verlangsamen können. Aber die übermäßige Betonung des individuellen Verhaltens ist das Ergebnis einer Marketingkampagne, die es geschafft hat, die Verantwortung für die Bewältigung des drohenden Klimawandels vollständig auf die Schultern des Einzelnen zu legen. Die Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie sind dem Beispiel anderer Branchen gefolgt, die ebenso die Schuld von sich weisen – man denke nur an „Waffen töten keine Menschen, Menschen töten Menschen“ – oder an das Greenwashing der Getränkeindustrie mit der „Crying Indian“ Kampagne in den 1970er Jahren. Gleichzeitig blockieren sie Bemühungen, den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid zu regulieren oder zu bepreisen. Sie führen PR-Kampagnen durch, die darauf abzielen, praktikable Alternativen zu diskreditieren. Und sie entziehen sich ihrer Verantwortung, das von ihnen geschaffene Problem zu lösen. Das Ergebnis ist für unseren Planeten verheerend. In „Propagandaschlacht ums Klima“ vertritt Michael E. Mann die Ansicht, dass noch nicht alles verloren ist. Er beschreibt die Fronten zwischen den Verbrauchern und den Verursachern – den Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie, den rechtsgerichteten Plutokraten und den Petrostaaten. Und er skizziert einen Plan, um unsere Regierungen und Konzerne zu zwingen, aufzuwachen und echte Veränderungen vorzunehmen. Angesichts der immens mächtigen Interessen, die den Status quo der fossilen Brennstoffe verteidigen, wird der gesellschaftliche Wandel nur mit der aktiven Beteiligung der Bürger gelingen, die den gemeinsamen Vorstoß unterstützen. Dieses Buch will überall die Menschen erreichen, informieren und befähigen, sich dem Kampf um unseren Planeten anzuschließen.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2024 oekom verlag, Münchenoekom – Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbHWaltherstraße 29, 80337 München
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-98726-345-3

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Warum wir das Buch übersetzt haben

Einleitung

1. Die Architekten der Fehlinformation und Irreführung

2. Die Klimakriege

3. Der »weinende Indianer« und die Geburtsstunde der Ablenkungskampagne

4. DU bist schuld

5. Legen Sie einen Preis fest. Oder auch nicht.

6. Die Konkurrenz versenken

7. Pseudolösungen

8. Die Wahrheit ist schlimm genug

9. Die Herausforderung annehmen

Quellen

Nachwort

Danksagungen

Zum Autor

Impressum

Weitere Autor*innen im oekom verlag

Vorwort

Der jüngste Regierungswechsel in den USA hat uns gezeigt, wie nah Hoffnung und Verzweiflung beim Kampf gegen die Klimakrise beieinanderliegen. Vier Jahre hatte ein Mann die Vereinigten Staaten regiert, der auf Lügen anstatt auf wissenschaftliche Erkenntnisse gesetzt hat, der den Klimawandel als Erfindung der Chinesen verharmloste und der als einziger Regierungschef weltweit bislang aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgetreten ist. Doch trotz dieses Präsidenten gab es auch in den USA Hoffnungszeichen. Ein amerikanischer Elektroautohersteller, den die Benzin- und Dieselautos bauenden Konkurrenten lange Zeit nur belächelten, wurde zum wertvollsten Automobilkonzern der Welt. Entgegen aller Wahlversprechen ging der Verbrauch klimaschädlicher Kohle in den USA schneller zurück als im so vermeintlich klimafreundlichen Deutschland und Erneuerbare Energien werden auch in Amerika mehr und mehr zum Rückgrat der Energieversorgung. Der Markt, so scheint es manchmal, nimmt den Klimaschutz inzwischen ernster als die meisten Regierungen der Welt. Forschung und Entwicklung haben für uns tolle Lösungen für den Klimaschutz geschaffen.

Nun werden die USA von einem neuen Präsidenten regiert, der geradezu das Gegenteil seines Vorgängers verkörpert. Die USA sind wieder Teil des Pariser Klimaschutzabkommens und es ist zumindest ein ernster Wille zu erkennen, der Klimakrise mit Taten und nicht länger mit leeren Worten oder schlichter Ignoranz zu begegnen. Es bleibt zu hoffen, dass die Widerstandskräfte im Hintergrund es nicht länger schaffen, Sand ins Klimaschutzgetriebe zu streuen.

Die Kommunikation der Klimaschutzleugner und -gegner hat sich verändert. Mahatma Gandhi sagte einmal »Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du«. Gelacht wird über die Klimaschutzbewegung schon lange nicht mehr. Aber es finden immer noch erbitterte Kämpfe statt. Und die Frontlinien sind alles andere als klar. Sie gehen quer durch die Parteien, Bereiche der Wirtschaft, Familien und Freundschaften und sogar durch uns selbst. Viele erwischen sich dabei, akribisch Müll zu trennen, buchen dann aber einen klimaschädlichen Flug oder essen ein Rindersteak. Ich selbst fliege nicht mehr und bin Veganer, aber auch ich schaffe es nicht, den für das Stoppen der Klimakrise nötigen Lebensstil an den Tag zu legen. Es gibt keine Möglichkeit, heute nur noch klimaneutrale Produkte zu kaufen und öffentliche Verkehrsmittel und Verwaltung sind auch alles andere als klimaneutral. Das entbindet uns nicht, im Rahmen unserer persönlichen Möglichkeiten mit größtem Engagement zu handeln und damit für andere Vorbild zu sein. Aber Politik und Gesellschaft müssen die Rahmenbedingungen schaffen, damit wir alle rechtzeitig klimaneutral werden und somit das Schlimmste verhindern können.

Durch die veränderte Kommunikation ist es aber zunehmend schwerer, Bremser und Antreiber beim Klimaschutz zu identifizieren. Nur wenige Menschen trauen sich noch, den Klimawandel als Ganzes öffentlich anzuzweifeln, zu offensichtlich sind inzwischen dessen Auswirkungen. Das Bremsen des Klimaschutzes erfolgt heute viel subtiler. Die Klimakrise sei ernst, aber man könne sie sowieso nicht mehr aufhalten oder die Wissenschaft wird schon etwas erfinden, um sie zu stoppen, heißen heute die Botschaften. Das Ziel ist das Gleiche wie bei eingefleischten Klimaleugnern. Es geht darum, einfach so weiter zu machen wie bisher und nichts ändern zu müssen.

Vergleichen wir die Klimakrise mit einem Auto, das mit Tempo 200 auf eine Betonmauer zurast. Früher hätte man gefragt, ob es wissenschaftliche Beweise für die Mauer gibt, infrage gestellt, dass der Aufprall auf die Mauer wirklich schädlich sei oder die Kosten für neue Bremsbeläge bei einer Vollbremsung ins Spiel gebracht. Diese Argumentationsweise hat leider dazu geführt, dass wir viel Zeit mit unsinnigen Diskussionen verloren haben, jetzt der Mauer extrem nah gekommen sind und immer noch 180 fahren. Nun lauten die Botschaften, bremsen lohne nicht, da man den Aufprall nicht mehr verhindern könne oder man verweist auf die Fortschritte der Medizin, die sicher ein Mittel finden wird, die Folgen für die Unfallopfer wieder rückgängig zu machen.

Beim Beispiel Auto klingen die Argumente und Ausreden für uns alle reichlich absurd. Für mich als Wissenschaftler war es über viele Jahre unbegreiflich, warum so viele Menschen bei der Klimakrise genau so argumentierten. Es ist absolut bemerkenswert, dass vor allem in Europa der jungen Fridays-For-Future-Bewegung gelungen ist, diese Absurditäten aufzudecken. Sie hat der Politik und uns allen einen Spiegel vors Gesicht gehalten. Die junge Generation wird in einer ungebremsten Klimakrise die wirklichen Opfer erbringen müssen. Und sie fordert nun die Täter auf, ihr schädliches Handeln zu beenden. Und es hilft. Nun rufen schon fast alle im Auto: »Bremsen.« Schreien wir noch lauter. Dann werden die, die am Steuer sitzen, letztendlich nicht anders können als den Fuß mit aller Kraft auf die Bremse zu stellen. Einen Blechschaden werden wir auf jeden Fall davontragen. Aber wir können noch das retten, was uns am wertvollsten sein sollte: Das Leben und die Zukunft unserer Kinder. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern, dass sie mit diesem Buch die nötige Inspiration bekommen, ihren Beitrag zum Stoppen der Klimakrise zu leisten.

Prof. Dr. Volker Quaschning Twitter: @VQuaschning

Warum wir das Buch übersetzt haben

Mitte 2018 hatten Matthias Hüttmann und Herbert Eppel schon einmal die Gelegenheit, ein Buch von Michael Mann zu übersetzen. Die Motivation entsprang der Überzeugung, dass Leserinnen und Lesern im deutschsprachigen Raum die inspirierenden Texte Manns, damals noch ergänzt um die fabelhaften Karikaturen von Tom Toles, nicht vorenthalten werden durften. Der Sprung ins kalte Wasser, ein solches Buch quasi im Alleingang zu übersetzen, zu bewerben und zu vertreiben – von der Finanzierung mal ganz abgesehen – kann als gelungen bezeichnet werden. Heute, knapp drei Jahre später, gibt es das neue Werk des wohl umtriebigsten und sympathischen Klimaforschers erneut in deutscher Sprache. Noch umfangreicher als der Vorgänger, erscheint es in einer stark von globalen Veränderungen geprägten Zeit. Die Dringlichkeit systemischer Veränderungen tritt deutlich zu Tage. Mann verdeutlicht diesen historischen Zustand und weiß zugleich zu motivieren, wenn er etwa schreibt: »Es besteht sowohl Dringlichkeit aber auch Handlungsfähigkeit.« Oftmals sind wir angesichts der nahenden Klimakrise überwältigt und wie gelähmt. Die Maßnahmen, die notwendig sind, um dem Dilemma noch zu entrinnen, scheinen in ihrer Fülle unendlich und ihrer Komplexität unüberschaubar. In Anbetracht der zur Verfügung stehenden Zeit neigen wir dazu, schnell den Überblick und vor allem auch die Hoffnung zu verlieren. Jedoch gerade jetzt aufzugeben wäre fatal. Fakt ist: Viel zu viel Zeit wurde vergeudet, erforderliche politische Maßnahmen zum Umgang mit dem Klimawandel wurden nicht ergriffen. Genau jetzt, in dieser Epoche in der diese Krise immer deutlicher zu Tage tritt, müssen wir handeln, denn tatsächlich sind wir handlungsfähig.

Angesichts der gesamtökologischen Lage besteht bei vielen von uns nur wenig Hoffnung für eine Zukunft der auf dem Planeten Erde lebenden Spezies, inklusive des Menschen. Zu weit haben wir die Gleichgewichte verschoben, zu sehr eingegriffen und manipuliert. Rein rational betrachtet ist nicht mehr viel Spielraum, da offensichtlich zu wenig Einsicht in die Konsequenzen dieses Handelns oder auch zu wenig Einfluss des Einzelnen besteht. Mit dieser aus der Rationalität erwachsenden Konsequenz zu leben fällt nicht unbedingt leicht. Fernab von Fatalismus und Resignation gibt es auch andere Ebenen, die Möglichkeiten bieten: Unsere Kreativität, unsere Zuversicht und unser Wille. Offenbar werden diese Stärken im Moment vermehrt genutzt um uns in einer anderen Katastrophe über Wasser zu halten. Denn nichts, so macht uns die Coronakise deutlich, muss so bleiben wie es ist.

Auch das sollte uns klar werden: Es geht eben nicht um das Handeln einzelner Individuen, auch wenn das im Kampf gegen die globale Erwärmung natürlich wichtig ist. Alle möglichen persönlichen Bemühungen müssen vielmehr als unterstützende Maßnahmen zur Bekämpfung der globalen Erwärmung betrachtet werden. Sie sind kein Ersatz für politische Handlungen. Verhaltensänderungen können politische Lösungen nicht ersetzen. Aber genau hier greift die neue Taktik der einstigen Leugner der Klimawissenschaft. Diese leugnen zwar nicht mehr die missliche Lage, sie haben jedoch ihre Ablehnung von Plänen zur reduzierten Nutzung fossiler Brennstoffe noch lange nicht aufgegeben. Eine ihrer Taktiken besteht auch darin, eine Art Weltuntergangsstimmung zu kreieren. Dabei hantieren sie mit der Behauptung, dass es mittlerweile zu spät sei, gegen die globale Erwärmung anzugehen und wir nichts mehr gegen die Klimakrise ausrichten könnten. Eine solche düstere und schicksalhafte Haltung zu befördern, würde viele Menschen auf einen Weg der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit führen, im Endeffekt an den gleichen Ort der Leugnung des Klimawandels wie bei einem Weg der Untätigkeit.

Doch es gibt nicht nur dystopische Fantasien, sondern auch immer eine Zukunft, die auf einer anderen Art des Lebens, Denkens und Teilens aufbaut. Das ist nichts Neues, wir müssen lediglich in unserer Gesamtheit wieder dorthin zurückfinden. Es ist nicht unmöglich oder gar undenkbar, vielmehr leben wir momentan in einer Zeit, in der das weder angesagt noch angestrebt wird. Wir brauchen eine positive Botschaft, die uns allen eine gemeinsame Zukunft ermöglicht, in der das Gemeinsame als Grundprinzip unseres Zusammenlebens wiederentdeckt wird. Kurzsichtiges und egoistisches Denken muss verdrängt und mit Hilfe der großen Vorteile, die uns eine solidarische Lebensweise bietet, abgeschafft werden. Ja, klar, das sagt sich so einfach, denn die Besitzstandswahrung ist eine mächtige Hürde, im wahrsten Sinn des Wortes, denn sie ist auch mächtig im profanen materiellen Sinn. Und die Profiteure des Status quo kanzeln positive Visionen gern als naiv und illusorisch ab, Menschen, die etwas ändern wollen, werden als ahnungslose Spinner abgetan, die anscheinend die Zusammenhänge gar nicht verstehen. Hier liegt auch der »Hase im Pfeffer«: Ein Verständnis für die Komplexität wird mit der Notwendigkeit verwechselt, diese Struktur aufrecht zu erhalten. Oft ist man so sehr in Zwängen verheddert, dass man gar nicht mehr aus dem Dickicht herausschauen kann. Durchaus tragisch: Man merkt gar nicht mehr, wie weit man bereits mental anhängig geworden ist. Auch wenn wir ansonsten ja gerne als Menschen zur Überheblichkeit neigen und uns eine Krone aufsetzen, machen wir uns beim Handeln oft kleiner als wir sind. Wer, wenn nicht wir, kann etwas ändern. Oder anders herum: Wir müssen etwas tun, weil nur wir es können.

Sich für Klimaschutz und somit für eine Zukunft von uns Menschen auf diesem Planeten einzusetzen, wird ob der weitreichenden Forderungen schnell als zu radikal angesehen. Dabei ist es genau unsere Lebensweise, die am besten mit dem Begriff radikal umschrieben werden kann. Es sind nicht zuletzt die Kräfte des marktradikalen Denkens, die sich gegen die geforderte Kurswende unserer Lebens- und Wirtschaftsweise zur Wehr setzen. Die dabei eingesetzten Mittel zeugen allerdings schon von einer gewissen Ratlosigkeit angesichts der immer breiter werdenden Bewegung. Von vielen Seiten, nicht nur bei den fantastischen Freitagsdemos, stellen sich Menschen einer Politik entgegen, die Klimaschutz mit genau den Mitteln ausüben will, die letztendlich für die Katastrophe verantwortlich sind. Um nicht zu sehr angreifbar zu sein, wird – taktisch klug – nur in geringem Maß versucht zu verharmlosen. Auch wenn es die leugnenden Kräfte durchaus gibt, und sie meist im Hintergrund wirken, ohne dass wir das unbedingt mitbekommen, könnten sie durchaus auch bei uns an Bedeutung gewinnen. Mit einem Framing wird gezielt versucht, Menschen in ihrem Denken zu manipulieren – quasi unbemerkt. Das ist keine neue Strategie. Es geht darum, besorgte Klimaschutzbürger zu diskreditieren. Dazu versucht man etwas in unserem Kopf zu hinterlegen, dass uns argwöhnen lässt, die Klimadebatte sei etwas Extremes und vor allem Irrationales. Diejenigen, die sich mit ihren Forderungen an die Politik und die Öffentlichkeit wenden, sollen für uns zu einer Bedrohung werden, gegen die man sich, zumindest gedanklich, abschotten sollte. Am deutlichsten zeigt sich die Strategie des Framings in der Verwendung des Wortes Klimareligion. Hier wird suggeriert, dass der menschengemachte, beschleunigte Klimawandel vor allem eine Glaubensfrage ist. Das Ganze erinnert an den Kampf Galileis, der zwar die Erkenntnis auf seiner Seite hatte, dem jedoch eine mächtige Kirche entgegenstand, die ihre eigenen alternativen Fakten mit Gewalt durchzusetzen wusste. Auch wenn der Kniff mit den bewusst gestreuten Falschaussagen im heutigen Informationszeitalter auf vielen Ebenen noch sehr gut funktioniert und eine nicht unbedeutende Menge an Anhängern versorgt, so äußern sich diese zunehmend aggressiv – stets emotional statt sachlich, aus Mangel an Argumenten. Es besteht ganz offensichtlich ein weitgehender Konsens darüber, dass es sich bei der Klimakatastrophe um die Realität handelt, da gibt es nichts zu glauben. Eigentlich ist das Ganze leicht zu durchschauen, trotzdem scheint die Taktik immer wieder zu funktionieren. Ob sich damit auch so eine breite Bewegung zurückweisen lässt, ist allerdings fraglich. Denn die Problematik lässt sich eben nicht mehr herunterspielen. Auch ist die Verzögerungstaktik längst entlarvt worden. Um dennoch zu punkten, bedient man sich der Freiheit, die es zu verteidigen gilt, auch wenn diese hinterrücks längst ausgehöhlt und den Göttern der Digitalisierung und Inhumanität geopfert wurde. Dabei geht es bei ordnungspolitischen Maßnahmen gar nicht darum, der breiten Bevölkerung etwas wegzunehmen, sondern vielmehr ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Das Problem: Würden wir umsteuern, ginge es auch um unser global ausbeuterisches Wirtschaftssystem, in dem wenige viel besitzen und davon nichts abgeben wollen. Denn an einem mangelt es global sicherlich nicht: An finanziellem Volumen, um eine klimagerechte, ökosoziale Transformation zu erreichen. Beteten wir weiterhin das ungebremste Wachstum an, so würden die Leidtragenden einer solchen Marktpolitik, in der breiten Masse zu finden sein.

Es geht letztendlich um uns selbst, die wir wieder zu uns finden müssen. Um unsere Lage selbst einschätzen zu können, gilt es, sich zu wehren, gegen all die Marktfundamentalisten, Neoliberalismusfetischisten und ihre eifrigen Demagogen, die lediglich zu feige sind, Verantwortung zu übernehmen. Wir können beim Klimaschutz nur gewinnen. Das gelingt auch, indem wir unser Aufmerksamkeitsdefizit bekämpfen und längere Gedankengänge zulassen.

Matthias Hüttmann Tatiana Abarzúa Herbert Eppel

Einleitung

»In der Wissenschaft ist man sich weitgehend darüber einig, dass die menschengemachte Freisetzung von Kohlenstoffdioxid durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe das globale Klima beeinflusst. … Dabei sind potenziell katastrophale Ereignisse in Betracht zu ziehen. … In einigen Regionen könnte es zu höheren Niederschlagsmengen kommen, während andere Gebiete zur Wüste werden. … [Einige Länder] könnten mit teilweisen oder gar kompletten Ernteausfällen konfrontiert werden. … Der Menschheit steht noch ein Zeitfenster von fünf bis zehn Jahren zur Verfügung, bevor konkrete Entscheidungen hinsichtlich Veränderungen von Energiestrategien dringend erforderlich werden könnten. … Sobald die Auswirkungen nachweisbar sind, sind sie möglicherweise nicht mehr umkehrbar.«

Viele Leser vermuten jetzt vielleicht, dass diese prophetischen Worte von Al Gore stammen, als er Mitte der 1990er Jahre eindringlich vor einer Klimakatastrophe warnte. Aber nein, sie stammen von James F. Black, der in den 70er Jahren leitender Wissenschaftler beim fossilen Brennstoffgiganten ExxonMobil war.1 Das Erschreckende daran: Anstatt die Warnungen der eigenen Wissenschaftler zu beherzigen, führten ExxonMobil und andere Stakeholder der Öl- und Kohleindustrie in den folgenden Jahrzehnten PR-Kampagnen durch. In diesen stellten sie die wissenschaftlichen Belege in Frage und taten alles in ihrer Macht stehende, um politische Maßnahmen zur Verminderung von Treibhausgasemissionen zu blockieren.

Infolgedessen hat sich unser Planet gefährlich erwärmt. Noch immer ergreifen wir nicht die erforderlichen Maßnahmen, um die größte globale Krise abzuwenden, mit der wir jemals konfrontiert waren. Wir befinden uns quasi in einer Art Kriegszustand, aber bevor wir einschreiten, sollten wir uns mit der Mentalität des Gegners befassen. Welche Taktiken lassen sich heute als die treibenden Kräfte für Klimaleugnung und Verzögerung von Klimaschutzmaßnahmen feststellen? Wie können wir gegen diesen gestaltwandelnden Leviathan vorgehen? Oder ist es bereits zu spät? Können wir einen katastrophalen globalen Klimawandel überhaupt noch abwenden? Das sind alles Fragen, auf die wir Antworten verdienen. Dieses Buch bietet sie.

Ein Blick zurück zeigt, dass das ursprüngliche Drehbuch für die Wissenschaftsleugnung und das Ausbremsen von Maßnahmen bereits vor fast einem Jahrhundert geschrieben wurde. Die fossile Brennstoffindustrie orientierte sich dabei an einer besonders üblen Vorlage.2 Das Motto der Waffenlobby – »Es sind nicht Gewehre, die Menschen töten, sondern Menschen« – stammt aus den 1920er Jahren. Als Lehrbuchbeispiel für gefährliche Ablenkungsmanöver leitet es die Aufmerksamkeit weg von dem Problem des leichten Zugangs zu Angriffswaffen und hin zu anderen angeblichen an Massenerschießungen beteiligten Faktoren – wie psychische Erkrankungen oder Gewaltdarstellung in den Medien.

Die Tabakindustrie verfolgte einen ähnlichen Kurs. Sie versuchte, den Zusammenhang zwischen Zigaretten und Lungenkrebs zu diskreditieren, obwohl ihre eigenen internen Forschungen aus den 1950er Jahren das tödliche Suchtpotential ihres Produkts belegten. »Doubt is our Product« (Zweifel ist unser Produkt) hieß es in einem internen Memo des Tabakunternehmens Brown & Williamson.

Passend dazu gab es in den 1970s Jahren auch einmal einen als »weinender Indianer« bekannt gewordenen Werbespot, an den sich einige Leser vielleicht erinnern können. Dabei machte ein weinerlicher Indianer namens Iron Eyes Cody die Zuschauer auf die Verschandelung der Landschaft durch unachtsam weggeworfene Flaschen und Dosen aufmerksam. Aber der Schein trog. Wie sich herausstellte, war die Anzeige das Kernstück einer massiven Ablenkungskampagne der Getränkeindustrie, die uns allen durch die Betonung individueller Verantwortung den Schwarzen Peter zuschieben wollte. Das Ziel: Aufrufe zu kollektivem Handeln und staatlicher Regulierung von Unternehmen zu untergraben. Infolgedessen macht uns die globale Umweltbedrohung durch Plastikmüll heute immer noch und sogar stärker denn je zu schaffen. Sie hat inzwischen solche Ausmaße erreicht, dass Kunststoffabfälle bis in die tiefsten Tiefen der Weltmeere vorgedrungen sind.

Last but not least haben die milliardenschweren Plutokraten der fossilen Brennstoffindustrie – Männer, die aufgrund ihres Reichtums politische Macht ausüben – wie die Gebrüder Koch, Robert Mercer und Richard Mellon Scaife, gemeinsam mit Unternehmen wie ExxonMobil seit Ende der 1980er Jahre Milliarden Dollar in eine Desinformationskampagne gesteckt, um die Wissenschaft hinter dem vom Menschen verursachten Klimawandel zu diskreditieren. Die Tatsache, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe klimarelevante Auswirkungen hat, galt es zu verleumden. Diese Leugnung der Wissenschaft hatte selbst dann noch höchste Priorität, als das Wissenschaftlerteam von ExxonMobil zu dem Schluss kam, dass die Auswirkungen der fortgesetzten Nutzung fossiler Brennstoffe einen »verheerenden« Klimawandel nach sich ziehen könnte.

Und die Wissenschaftler hatten recht. Jahrzehnte später, ein »Verdienst« der Kampagne, bekommen wir die verheerenden Auswirkungen des ungebremsten Klimawandels zu spüren. Tagtäglich flimmern entsprechende Meldungen über die Fernsehschirme und sind in allen Nachrichten- und Social-Media-Kanälen zu sehen. Überflutungen an den Küsten, Hitzewellen mit einhergehenden Dürreperioden, verheerende Überschwemmungen und nie dagewesene Waldbrände: das sind die Auswirkungen des gefährlichen Klimawandels, mit denen wir leider immer vertrauter werden.

Infolgedessen können die Leugner und Bremser – Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie, rechtslastige Plutokraten und ölfinanzierte Regierungen, die weiterhin von unserer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen profitieren – nicht mehr behaupten, dass alles in Ordnung ist und dabei keine Miene verziehen. Die völlige Leugnung der objektiven Beweise für den Klimawandel ist einfach nicht mehr glaubwürdig. So sind sie zu einer weicheren Form der Leugnung übergegangen, während sie das Öl am Fließen und die fossilen Brennstoffe am Brennen halten. Sie führen längst eine mehrgleisige Offensive auf der Grundlage von Täuschung, Ablenkung und Verzögerung. Das ist der neue Klimakrieg, und der Planet gerät mehr und mehr auf die Verliererstraße.

Inspiriert von den Taktiken der Waffenlobby, der Tabakindustrie und der Getränkehersteller haben die Klimafeinde eine meisterhafte Ablenkungskampagne inszeniert, die darauf abzielt, die Verantwortung von Unternehmen auf Einzelpersonen abzuwälzen. Persönliches Handeln, von der »Veganisierung« bis hin zur Flugscham, wird immer öfter als vorrangige Lösung für die Klimakrise angepriesen. Auch wenn solche Maßnahmen sinnvoll sind, befreit eine Ausrichtung auf ausschließlich freiwillige Maßnahmen Regierungen von ihrer Verantwortung, umweltverschmutzende Konzerne zur Rechenschaft zu ziehen. Eine kürzlich durchgeführte Studie legte sogar nahe, dass die Befürwortung dringend erforderlicher klimapolitischer Maßnahmen untergraben werden kann, wenn kleine Schritte im eigenen Verhalten zu stark in den Vordergrund gestellt werden.3 Für Unternehmen wie ExxonMobil, Shell und BP, die weiterhin tagtäglich Rekordgewinne einfahren, ist es äußerst bequem, dass wir weiter, um den ehemaligen Präsidenten George W. Bush zu zitieren, »süchtig nach fossilen Brennstoffen« bleiben.

Eine solche Kampagne verlagert das Problem und bietet den Klimafeinden die Gelegenheit, einen Keil in die Umweltbewegung zu treiben. Dabei nutzen sie geschickt eine bereits bestehende Kluft innerhalb der Klimaschutzbewegung aus. Sie versuchen einen Zwist zu provozieren zwischen Menschen, die sich stärker auf individuelles Handeln konzentrieren, und Menschen, die gemeinsames Vorgehen und politische Maßnahmen betonen. Die Klimafeinde setzen dabei Cyberwaffen ein, die im Zuge der US-Präsidentschaftswahlen 2016 verfeinert wurden: Bots, Trolle sowie die Manipulation in sozialen Medien und Internet-Suchmaschinen. Es ist die gleiche Taktik, die uns mit Donald Trump einen Klimawandelleugner als US-Präsidenten beschert hat. Böswilligkeit, Hass, Eifersucht, Furcht, Wut, übertriebener Glaubenseifer – die Umwelt belastende Großunternehmen und ihre Verbündeten haben sich diese primitiven Impulse des Reptiliengehirns zunutze gemacht, indem sie versuchen, Zwietracht innerhalb der Klimabewegung und gleichzeitig Angst und Empörung auf Seiten ihrer »Basis«, den unzufriedenen Rechten, zu säen.

In der Zwischenzeit haben sich diese Kräfte der Untätigkeit wirklich effektiven Maßnahmen zur Regulierung oder Bepreisung von Kohlenstoffemissionen widersetzt. Sie haben tragfähige Alternativen wie Erneuerbare Energien angegriffen und stattdessen trügerische Lösungen verteidigt – wie etwa Kohleverbrennung mit Kohlenstoffabscheidung oder unbewiesene und potenziell gefährliche Geoengineering-Pläne, die eine massive Manipulation unserer planetaren Umwelt mit sich bringen. Hypothetische, zukünftige »Innovationen«, so wird argumentiert, werden uns irgendwie retten, sodass aktuell kein Bedarf an politischen Maßnahmen bestehe. Wir können einfach für ein paar Dollar Risikomanagement betreiben, während wir weiterhin die Umwelt verschmutzen.

Durch die Abschaffung klimafreundlicher Richtlinien der US-amerikanischen Umweltschutzbehörde (EPA) – wie etwa: Widerrufung des unter Obama eingeführten Clean Power Plan (mit dem der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase im Energiesektor bis 2030 um 32 Prozent im Vergleich zu 2005 verringert werden sollte), Rücknahme von Schadstoffregulierungen, Erteilung neuer Genehmigungen von Öl- und Gaspipelines, direkter finanzieller Unterstützungen der in Schwierigkeiten geratenen Kohleindustrie sowie billigen Pachtverträgen für Öl- und Gasbohrungen auf öffentlichem Grund und Boden – hat die Trump-Regierung Fortschritte im Klimaschutz zunichtegemacht. Somit wurde der fossilen Brennstoffindustrie freier Lauf gelassen, um ihre umweltschädlichen Geschäfte auszubauen.

In ihrem Kampf gegen den Klimaschutz setzen die Klimafeinde außerdem Methoden der psychologischen Kriegsführung ein. Dabei werden Narrative gefördert, welche die Auswirkungen des Klimawandels mild und harmlos erscheinen lassen und den Eindruck vermitteln, dass es ein Leichtes sei, sich daran anzupassen. Dabei wird das Bewusstsein um die Dringlichkeit untergraben, während gleichzeitig durch die Betonung der Unvermeidlichkeit des Klimawandels die Selbstwirksamkeit gedämpft wird. Indirekt unterstützten und begünstigten vorgebliche Klimakämpfer diese Bemühungen, indem sie die sich anbahnende Katastrophe als vollendeteTatsache dargestellt haben: entweder haben sie dabei den bereits unvermeidlichen Schaden überbewertet indem sie das Potenzial von Klimaschutzmaßnahmen unterschätzten. Oder sie legten die Latte zu hoch, indem sie etwa den Umsturz der Marktwirtschaft voraussetzten, sodass jegliche Aktion zum Scheitern verurteilt scheint. Die Klimafeinde waren gerne bereit, solche Ansichten zu verstärken.

Aber nicht alles ist verloren. In diesem Buch werde ich falsche Narrative entlarven, die Versuche, den Klimawandel einzudämmen, zum Scheitern gebracht haben, und dem Leser einen echten Weg zur Erhaltung unseres Planeten aufzeigen. Unsere Zivilisation kann gerettet werden. Das gelingt jedoch nur, wenn wir lernen, die aktuelle Taktik der Klimafeinde – das heißt die Kräfte der Untätigkeit – zu durchschauen und zu bekämpfen.

Meine jahrzehntelange Erfahrung an vorderster Front im Kampf um die Vermittlung der Wissenschaft des Klimawandels und seiner Auswirkungen hat mir einzigartige Einsichten verschafft. »Hockey Stick« (Hockeyschläger) heißt die 1998 von meinen Kollegen und mir veröffentlichten Kurve, die den steilen Anstieg der Erdtemperaturen im vergangenen Jahrhundert aufzeigt.4 Die Kurve erlangte in der Klimadebatte einen gewissen Kultstatus, weil sie auf einfache Weise darstellt, dass eine beispiellose von Menschen verursachte Erwärmung des Planeten stattfindet, indem wir fossile Brennstoffe verbrennen und Treibhausgase in die Atmosphäre pumpen. Jahrzehnte später steht die Hockeyschläger-Kurve trotz unzähliger Studien, die unsere Erkenntnisse nicht nur bestätigt, sondern ausgeweitet haben, immer noch unter Beschuss. Warum? Weil sie weiterhin eine Bedrohung für eigennützige Interessengruppen darstellt.

Die Angriffe auf die Hockeyschläger-Kurve Ende der 1990er Jahre zogen mich – damals noch ein junger Wissenschaftler – in einen Strudel von Auseinandersetzungen. Bei der Verteidigung meiner Person und meiner Arbeit vor politisch motivierten Angriffen wurde ich zu einem unfreiwilligen Kämpfer in den Klimakriegen. Ich habe die Klimafeinde seit zwei Jahrzehnten aus nächster Nähe im Propagandagefecht erlebt. Ich weiß, wie sie arbeiten und welche Taktik sie anwenden. Und ich habe die dramatischen Veränderungen dieser Taktik in den letzten Jahren als Reaktion auf die sich verändernde Beschaffenheit des Schlachtfeldes beobachtet. Ich habe mich an diese wechselnde Taktik angepasst und die Art und Weise verändert, wie ich die Öffentlichkeit und die politischen Entscheidungsträger in meine eigenen Bemühungen um Information und Einflussnahme auf den öffentlichen Diskurs einbeziehe. In diesem Buch berichte ich, was ich dabei gelernt habe. Ich möchte meine Leser daran beteiligen, als bereitwillige Kämpfer unseren Planeten vor der Klimakrise zu retten, bevor es zu spät ist.

Hier ist mein Vier-Punkte-Plan, auf den wir gegen Ende des Buches zurückkommen werden:

Ignoriert die Untergangspropheten: Der irregeleitete Glaube, dass es zu spät ist, um zu handeln, wurde von der fossilen Brennstoffindustrie und ihren Interessenvertretern instrumentalisiert. Dabei geht es ihnen darum, »business as usual« und eine fortgesetzte Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu legitimieren. Wir müssen uns dem Weltuntergangsszenario widersetzen, dem wir im Klimadiskurs heutzutage immer häufiger begegnen.

Ein Kind wird sie leiten: Junge Menschen kämpfen mit Händen und Füßen um die Rettung ihres Planeten, auch öffentlichkeitswirksam beim freitäglichen »Schulstreik fürs Klima«. In ihrer Botschaft steckt eine große moralische Autorität und Klarheit, die nur die abgestumpftesten Ohren überhören können. Sie fordern den Paradigmenwechsel, auf den Klimaschutzbefürworter gewartet haben. Wir sollten unser Handeln nach ihrem Vorbild gestalten und von ihren Methoden und ihrem Idealismus lernen.

Aufklären, Aufklären, Aufklären: Die meisten hart gesottenen Klimawissenschaftsleugner sind unverbesserlich. Sie betrachten den Klimawandel durch das Prisma einer rechten Ideologie und sind unzugänglich gegenüber Fakten. Verschwendet keine Zeit und Mühe damit, sie zu überzeugen. Aber es gibt auch viele ehrliche Leute da draußen, die im Kreuzfeuer stecken, Opfer der Desinformationskampagne zum Klimawandel wurden, und entsprechend verwirrt sind. Wir müssen ihnen helfen, um sie in die Lage zu versetzen, sich uns im Kampf um das Klima anzuschließen.

Systemischer Wandel ist notwendig: Die Desinformationsmaschinerie für fossile Brennstoffe lenkt von dem Erfordernis syste­mischen Wandels und möglichen Anreizen dafür ab. Stattdessen werden einzelne Aspekte, wie das Auto, das wir fahren, die Lebensmittel, die wir essen und der Lebensstil, den wir führen, thematisiert und in den Vordergrund gestellt. Wir brauchen stattdessen eine Politik, die Anreize für den notwendigen Wechsel weg von der Verbrennung fossiler Brennstoffe hin zu einer sauberen, grünen Weltwirtschaft schafft. Entscheidungsträger, die sich dem Aufruf zum Handeln widersetzen, müssen ihre Posten verlieren.

Angesichts des Ausmaßes der vor uns liegenden Herausforderung könnte man sich leicht überwältigt fühlen. Einschneidende Veränderungen sind immer schwierig und wir sind gefordert, eine Reise in eine unbekannte Zukunft zu unternehmen. Es ist verständlich, sich angesichts der Aussicht auf die Zerstörung unseres Planeten vor Angst wie gelähmt zu fühlen. Es überrascht nicht, dass die Klimakrise und unsere Bemühungen, mit ihr umzugehen, von Angst und Besorgnis begleitet sind.

Wir müssen jedoch verstehen, dass die Kräfte der Verleugnung und Verzögerung unsere Angst und Furcht gegen uns einsetzen, um uns quasi wie Rehe im Scheinwerferlicht erstarren zu lassen. Ich habe Kollegen, die ihr Unbehagen darüber zum Ausdruck gebracht haben, unsere missliche Lage als »Krieg« zu bezeichnen. Aber ich versichere Ihnen, dass die zuverlässigste Methode, einen Krieg zu verlieren darin besteht, sich zu weigern, überhaupt anzuerkennen, dass man sich in einem solchen befindet.5 Ob es uns gefällt oder nicht, und auch wenn wir es uns gewiss nicht selbst ausgesucht haben, befinden wir uns genau an diesem Punkt: Es geht um die von der Industrie finanzierten Bemühungen, Maßnahmen zum Klimaschutz zu blockieren

Wir müssen also mutig sein und die Kraft finden, weiter zu kämpfen und diese Angst und Sorge in Motivation und Handeln umzulenken. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel.

Während wir den Kosmos weiter erforschen, entdecken wir immer wieder neue Planetensysteme, darunter sogar einige mit Planeten, die mehr oder weniger erdähnlichen Charakter haben. Einige haben eine ähnliche Größe wie die Erde und ungefähr die richtige Entfernung von ihrem Stern, um sich in einer sogenannten »bewohnbaren Zone« zu befinden. Einige könnten flüssiges Wasser beherbergen, ohne das wahrscheinlich kein Leben möglich ist. Dennoch haben wir noch immer keine Hinweise auf anderes Leben in unserem Sonnensystem, in unserer Galaxie oder gar anderswo im Weltall gefunden. Leben scheint in der Tat sehr selten zu sein, komplexes Leben erst recht. Und intelligentes Leben? Vielleicht sind wir Menschen mit unserer Intelligenz letztendlich doch alleine im Universum, an Bord unseres »Raumschiffs Erde« dahintreibend: ohne einen anderen Ort zum Anlegen, ohne alternative Häfen, in denen man sich aufhalten könnte mit Luft zum Atmen, Trinkwasser oder Lebensmittel.

Wir sind die Hüter eines erstaunlichen Geschenks. Wir haben einen optimal ausgeglichenen Planeten: mit genau der richtigen atmosphärischen Zusammensetzung, genau der richtigen Entfernung von seinem Stern (der Sonne), genau dem richtigen Temperaturbereich für Leben, mit Ozeanen voll mit flüssigem Wasser und sauerstoffreicher Luft. Jeder Mensch, den wir jemals kennenlernen werden, jedes Tier oder jede Pflanze, der wir jemals begegnen werden, ist darauf angewiesen, dass die Bedingungen genau so bleiben.

Diese Bedingungen weiterhin wissentlich in einer Weise zu verändern, die die Menschheit und andere Lebensformen bedroht, nur damit einige wenige Großunternehmen nach wie vor Rekordgewinne erzielen können, ist nicht nur inakzeptabel oder unethisch – es wäre der unmoralischste Akt in der Geschichte der menschlichen Zivilisation. Nicht nur ein Verbrechen gegen die Menschheit, sondern ein Verbrechen gegen unseren Planeten. Wir können nicht tatenlos zuschauen, wie uns die Umweltzerstörer ins Verderben schicken. Meine Absicht mit diesem Buch ist es, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um sicherzustellen, dass wir das nicht zulassen.

Kapitel 1 Die Architekten der Fehlinformation und Irreführung

Zweifel ist unser Produkt, denn er ist das beste Mittel, um den Stand der Erkenntnisse anzufechten, der im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit existiert. Er ist auch ein gutes Mittel, um eine Kontroverse zu erzeugen.

— Unbenannte Führungskraft beim Tabakunternehmen Brown und Williamson (1969)

Die Ursprünge der fortwährenden Wortge­fechte um die Deutungshoheit in der Klimadebatte liegen in jahrzehntealten Desinformationskampagnen. Sie stammen aus einer Zeit, als wissenschaftliche Erkenntnisse mit den Agenden mächtiger Interessengruppen zu kollidieren begannen. Diese Kampagnen zielten darauf ab, das öffentliche Verständnis der zugrundeliegenden Wissenschaft zu vernebeln und die wissenschaftliche Botschaft zu diskreditieren. Das geschah oft durch Angriffe auf die Überbringer der Nachricht selbst. Die Wissenschaftler, deren Arbeit Probleme aufzuzeigen begann, wurden in den Fokus gerückt. Im Laufe der Jahre entwickelten und verfeinerten PR-Agenturen Taktiken zur Untergrabung von Fakten und wissenschaftlich fundierten Warnungen.

Den Boten aus dem Weg räumen

Unsere Zeitreise führt uns zurück ins späte neunzehnte Jahrhundert, zu Thomas Stockmann, dem angesehenen Badearzt eines florierenden norwegischen Kurorts, der wirtschaftlich stark vom dortigen Kurbad abhängig war. Nachdem Stockmann herausgefunden hatte, dass die Wasserversorgung der Stadt durch Chemikalien aus einer örtlichen Gerberei verunreinigt war, wollte er die Bevölkerung vor der Bedrohung warnen, jedoch wurden seine Bemühungen durchkreuzt. Zunächst weigerte sich die Lokalzeitung, einen Artikel zu veröffentlichen, in dem er über seine Erkenntnisse berichtet hatte. Anschließend wurde er beschimpft und niedergemacht, als er versuchte, seine Ergebnisse in einer öffentlichen Versammlung bekannt zu geben. Stockmann und seine Familie wurden wie Ausgestoßene behandelt, und seine Tochter wurde von der Schule verwiesen. Stadtbewohner bewarfen sein Haus mit Steinen, bis alle Fenster zerstört waren und seine Familie in Angst und Schrecken versetzt war. Die Familie zog in Erwägung wegzuziehen. Sie beschloss dann jedoch zu bleiben, in der vergeblichen Hoffnung, dass die Kleinstädter Stockmanns düstere Warnungen letztendlich akzeptieren und sogar zu schätzen wissen würden.

Das ist die Handlung von Henrik Ibsens Schauspiel namens Ein Volksfeind aus dem Jahr 1882. Das Stück wurde 1978 unter dem Titel EinFeind des Volkes verfilmt, mit Steve McQueen in der Hauptrolle – einer seiner letzten Rollen und vielleicht seine beste. Die Geschichte ist fiktiv, aber sie schildert einen Konflikt, der dem Publikum im späten neunzehnten Jahrhundert bekannt gewesen sein dürfte. Die unheimliche Vorahnung dieser Erzählung auf die jüngere Vergangenheit, als ein wissenschaftsfeindlicher Präsident die Medien als »Feind des amerikanischen Volkes« abtat und konservative Politiker es wissentlich zuließen, dass eine ganze Stadt durch eine bleivergiftete Wasserversorgung gefährdet wurde, ist so manchen Beobachtern nicht entgangen.1Ein Volksfeind ist eine mahnende Fabel und ein Paradebeispiel für den Konflikt zwischen Wissenschaft und Industrie- oder Unternehmensinteressen. Und sie dient als treffende Metapher für die Klimapropagandaschlachten, die ein Jahrhundert später stattfinden.

Doch lassen Sie uns zunächst noch einen Blick in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts werfen, wo wir der ersten Desinformationskampagne der modernen Industrie begegnen. Diese Kampagne wurde von führenden Vertretern der Tabakindustrie in ihrem Bemühen orchestriert, Beweise für die süchtig machende und tödliche Natur ihres Produkts zu verschleiern. »Zweifel ist unser Produkt«, räumte 1969 ein leitender Mitarbeiter des Tabakunternehmens »Brown and Williamson« ein.2 Das Memorandum mit diesem Eingeständnis wurde später im Rahmen eines kolossalen gerichtlichen Vergleichsverfahrens zwischen der Tabakindustrie und der US-Regierung veröffentlicht. Dieses Dokument und weitere interne Belege zeigten, dass firmeneigene Wissenschaftler die Gesundheitsrisiken des Rauchens bereits in den 1950er Jahren diagnostiziert hatten. Anstatt diese Gefahren offenzulegen, entschieden sich die Unternehmen jedoch für eine aufwändige Kampagne, um die Risiken vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

Die Tabakindustrie stellte sogar Experten ein, um die Arbeit anderer Forscher zu diskreditieren, die zu denselben Schlussfolgerungen gelangt waren. Der einflussreichste unter ihnen war Frederick Seitz, ein Festkörperphysiker, ehemaliger Leiter der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften und Träger der prestigeträchtigen »Presidential Medal of Science«. Diese beeindruckenden Qualifikationen machten ihn für die Tabakindustrie besonders wertvoll. Der Tabakriese R.J. Reynolds heuerte Seitz schließlich an und zahlte ihm sage und schreibe eine halbe Million Dollar, um sein wissenschaftliches Ansehen für Angriffe auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Wissenschaftler einzusetzen, die Tabak mit Gesundheitsrisiken in Verbindung brachten.3 Seitz war der erste der käuflichen Wissenschaftsleugner. Viele weitere sollten folgen.

In den 1960er Jahren machten sich Pestizidhersteller das Strategiebuch der Tabakindustrie zu eigen, nachdem Rachel Carson die Öffentlichkeit vor der von Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) für die Umwelt ausgehenden Gefahr gewarnt hatte. Ihr 1962 erschienenes Buch SilentSpring (Der stumme Frühling), ist ein Klassiker, er läutete die moderne Umweltbewegung ein.4 Carson beschrieb da­rin, wie DDT die Populationen von Weißkopfseeadlern und anderen Vögeln dezimierte, indem es die Bildung robuster Eierschalen behinderte. Die Eier zerbrachen während der Brut oder starben ab. Das Pestizid reicherte sich in Nahrungsketten, Böden und Flüssen an und stellte eine immer größere Bedrohung für die Tierwelt und letztlich auch für den Menschen dar. In den USA wurde DDT schließlich verboten, allerdings erst 1972.

Für ihre Bemühungen wurde Carson von den entsprechenden Industrieverbänden mit einer umfassenden Rufmordkampagne »belohnt«. Sie wurde als »radikal«, »kommunistisch« und »hysterisch« angeprangert. Das Ganze wurde mit all den bekannten frauenfeindlichen Konnotationen unterlegt, aber wie wir später sehen werden, gehen Misogynie und Rassismus mit der Leugnung des Klimawandels oft Hand und Hand. Der Firmenchef von Monsanto, dem größten DDT-Produzenten, bezeichnete sie damals als »fanatische Verteidigerin des Kults um das Naturgleichgewicht«.5 Teilweise wurde sie sogar als Massenmörderin tituliert.6 Auch heute noch diffamiert eine als Competitive Enterprise Institute (CEI) bekannte Industrielobbygruppe die längst verstorbene Wissenschaftlerin durch die Behauptung, dass »Millionen von Menschen auf der ganzen Welt unter den schmerzhaften und oft tödlichen Auswirkungen der Malaria leiden, weil eine Person namens Rachel Carson falschen Alarm schlug«.7 Dabei unterschlagen Carsons posthume Angreifer, dass sie gar kein Verbot von DDT, sondern lediglich ein Ende seines wahllosen Einsatzes forderte. Letztendlich wurde DDT nicht wegen der Umweltschäden, die Carson aufgedeckt hatte, abgeschafft, sondern weil seine Wirksamkeit allmählich zurückging, da die Moskitos resistent wurden. Ironischerweise hatte Carson genau davor gewarnt.8 Hier haben wir also ein frühes Beispiel dafür, wie sich die kurzsichtigen Praktiken profitgieriger Konzerne, die auf kurzfristige Gewinnmaximierung aus sind, oft als selbstzerstörerisch erweisen.

Glaubwürdigkeit und Integrität sind das A und O von Wissenschaftlern und ihr höchstes Gut, denn sie ermöglichen es ihnen, der Öffentlichkeit als vertrauenswürdige Gesprächspartner zu dienen. Deshalb nahmen die Kräfte der Leugnung Carson auch direkt ins Visier und warfen ihr allerlei wissenschaftliche Verfehlungen vor. Als Reaktion auf die Kontroverse berief Präsident John F. Kennedy sogar einen Ausschuss ein, um Carsons Aussagen überprüfen zu lassen. Der Ausschuss veröffentlichte seinen Bericht im Mai 1963 und entlastete sie und ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse.9 Wissenschaftsleugner lassen sich jedoch nicht durch lästige Fakten abschrecken, und so gehen die Angriffe auch heute noch weiter. Man beachte einen Artikel von Henry I. Miller und Gregory Conko, der 2012 in der konservativen Zeitschrift Forbes unter dem Titel »Rachel Carson’s Deadly Fantasies« (Rachel Carsons tödliche Fantasien) erschien. Miller und Conko sind Mitglieder des bereits erwähnten Competitive Enterprise Institute. Miller ist außerdem Mitglied des wissenschaftlichen Beirats einer als George C. Marshall Institute (GMI) bekannten Lobbyorganisation und – wenig überraschend – ein Advokat der Tabakindustrie.10 In dem Artikel warfen sie Carson grobe Falschdarstellungen, Stümperei und ausgemachtes akademisches Fehlverhalten vor, obwohl ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse durch jahrzehntelange Forschung weitestgehend bestätigt wurden.11 So manche Vogelpopulation ist zwar weiterhin durch Pestizide gefährdet, aber wir können uns inzwischen wieder klangvollerer Frühlinge erfreuen. Dafür sind wir Rachel Carson zu großem Dank verpflichtet.12

Durch die Arbeit von Carson und anderen Wissenschaftlern, die die Auswirkungen von Industriegiften auf Mensch und Umwelt untersuchten, entstand in den 1970er Jahren ein Bewusstsein für weitere Bedrohungen. So wurde beispielsweise die durch die Kraftstoff- und Farbenindustrie verursachte Bleibelastung unter die Lupe genommen. Deshalb »Bühne frei« für Herbert Needleman, dessen Schicksal auf verstörende Weise an Thomas Stockmanns aus Ibsens Schauspiel erinnert: Needleman war Professor und Forscher an der medizinischen Fakultät der Universität von Pittsburgh. Seine Forschungsarbeiten wiesen auf einen Zusammenhang zwischen der Bleibelastung in der Umwelt und der Entwicklung des Gehirns im Kindesalter hin. Vertreter der Bleiindustrie versuchten daraufhin, Prof. Needleman und seine Untersuchungen zu diskreditieren, indem sie eine Rufmordkampagne starteten, die unbegründete Anschuldigungen wegen angeblicher wissenschaftlicher Verfehlungen enthielt.13 Needleman wurde entlastet, und zwar gleich zweimal. Die erste Entlastung war das Ergebnis einer gründlichen Untersuchung durch die National Institutes of Health (Nationale Gesundheitsinstitute). In einer Art wissenschaftlichem Äquivalent zur doppelten Strafverfolgung leitete Prof. Needlemans eigene Universität ebenfalls eine Untersuchung ein, während der ihm Zugang zu seinen Akten verwehrt wurde. Es gab keinerlei Anzeichen von Fehlverhalten. Im Gegenteil: seine Forschungen zum Nachweis von chronischer Bleiexposition, die in den vergangenen Jahrzehnten durch zahlreiche unabhängige Studien validiert wurden, haben wahrscheinlich Tausende von Leben gerettet und Hirnschäden bei Tausenden weiteren Menschen verhindert.14 Ist er ein Volksfeind? Wohl kaum!

Globalisierung des Leugnens

In den 1970er und 1980er Jahren wurden zum ersten Mal globale Umweltbedrohungen wie saurer Regen und Ozonabbau beobachtet. Industriekonzerne, die ihre Gewinne durch Umweltvorschriften in Gefahr sahen, begannen damit, wissenschaftliche Untersuchungen und die Wissenschaftler selbst, die diese Bedrohungen aufzeigten, anzugreifen.

Frederick Seitz, dem Urvater des Leugnertums, der von der Tabakindustrie in deren Kampf gegen die Wissenschaft angeheuert worden war, wurden von Seiten der Industrie Mitte der 1980er Jahre umfangreiche Finanzmittel zur Gründung des George C. Marshall Institute zur Verfügung gestellt.15 Als Partner rekrutierte Seitz den Astrophysiker Robert Jastrow, Gründer des ehrwürdigen NASA Goddard Insti­tute for Space Studies, und den Ozeanographen William Nierenberg, ehemaliger Direktor der angesehenen Scripps Institution for Oceanography in La Jolla, Kalifornien. Wie Naomi Oreskes und Erik M. Conway in ihrem 2010 erschienenen Buch Merchants of Doubt (Die Machiavellis der Wissenschaft) feststellten, könnte man diese drei als Fundamentalisten der freien Marktwirtschaft bezeichnen. Keiner von ihnen hatte eine Ausbildung in Umweltwissenschaften. Was sie jedoch besaßen, war ein ideologisches Misstrauen gegenüber jeglichen Bestrebungen, die ihrer Meinung nach die Freiheit von Einzelnen oder Unternehmen einschränkten. Von daher ließen sie sich bereitwillig für regulierungsfeindliche Einzelinteressen einspannen.16 Mit ähnlicher Taktik, die Seitz zehn Jahre zuvor im Dienst der Tabakindustrie eingesetzt hatte, säte das GMI-Team Zweifel in den Bereichen der Wissenschaft, die sich für die mächtigen Interessen, die sie vertraten, als bedrohlich erwiesen.

Eines dieser wissenschaftlichen Themen war der saure Regen, ein Phänomen, mit dem ich aus meiner Kindheit in den 1970er Jahren in Neuengland bestens vertraut bin. Damals wurden Seen, Flüsse, Bäche und Wälder im gesamten östlichen Nordamerika durch zunehmend saure Regenfälle stark in Mitleidenschaft gezogen. Ein Wissenschaftler namens Gene Likens und andere Kollegen kamen dem Problem auf die Spur: Es waren Kohlekraftwerke im Mittleren Westen der USA, die die Umwelt mit Schwefeldioxid verschmutzen. Likens würde später zum Nachhaltigkeitsbeauftragten der Universität von Connecticut ernannt.

Im April 2017 hielt ich einen Vortrag an der Universität von Connecticut, bei dem ich über eigene Erfahrungen im Fadenkreuz der Klimawandelleugner berichtete. Beim Abendessen im Anschluss an den Vortrag saß Likens neben mir. Wir kamen ins Gespräch und er berichtete von verblüffend ähnlichen Erfahrungen: fiese Briefe und Beschwerden an seine Vorgesetzten, feindselige Aufnahme durch konservative Politiker und Angriffe von durch die Industrie finanzierten Helfershelfern und Politikern, die versuchten, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diskreditieren. Vor ein paar Jahren drückte Likens es in einem Interview so aus: »Es war schlimm. Es war wirklich scheußlich. Man hatte quasi Auftragskiller auf mich angesetzt.«

Likens bezog sich auf einen Branchenverband der Kohleindustrie namens »Edison Electric Institute«, der fast eine halbe Million Dollar als Belohnung dafür ausgeschrieben hatte, ihn in Verruf zu bringen.17 William Nierenberg, das bereits erwähnte Mitglied des GMI-Trios, nahm diese Herausforderung an, als Ronald Reagan ihn zum Vorsitzenden eines Gremiums zur Untersuchung des sauren Regens ernannte. Die Fakten erwiesen sich jedoch als hartnäckig, und die Schlussfolgerungen des Gremiums, die 1984 in einem Bericht veröffentlicht wurden, bestätigten weitgehend die Erkenntnisse von Likens und anderen wissenschaftlichen Experten. Aber in einem Anhang, der von einem konträren Wissenschaftler namens S. Fred Singer verfasst worden war, war eine Passage versteckt, die nahelegte, dass die Sachlage nicht eindeutig genug war, um Emissionskontrollen einzuführen. Diese Passage genügte der Reagan-Regierung als Rechtfertigung für ihre Politik der Untätigkeit.18

Zum Glück setzten sich die Kräfte der Leugnung und Untätigkeit letztendlich nicht durch. Die amerikanische Öffentlichkeit erkannte das Problem und forderte Maßnahmen, die Politiker reagierten schließlich. Genau so soll es in einer repräsentativen Demokratie funktionieren. George H.W. Bush, wohlgemerkt ein republikanischer Präsident, unterzeichnete 1990 den Clean Air Act (Luftreinhalteverordnung), der die Betreiber von Kohlekraftwerken dazu verpflichtete, Schwefel aus dem Rauchgas abzuscheiden, bevor er aus den Schornsteinen austrat. Er führte sogar einen als »Cap and Trade« bekannten marktbasierten Emissionshandel mit festen Obergrenzen ein. Ironischerweise wird das Cap-and-Trade-Prinzip heute von den meisten Republikanern angeprangert. Die Idee für das Prinzip geht auf William K. Reilly zurück, der unter George H.W. Bush Leiter der Umweltschutzbehörde (EPA) war. Reilly ist ein moderner Umweltheld, und ich bin stolz darauf, ihn zu kennen und meinen Freund nennen zu dürfen.

Meine Familie macht häufig Urlaub am Big Moose Lake in den westlichen Adirondacks (Gebirge im nordöstlichen Teil des US-Bundesstaates New York). Die Familie meiner Frau geht bereits seit siebzig Jahren dorthin. Ihre Eltern erinnern sich an die 1970er Jahre, als der See so säurehaltig war, dass man buchstäblich nicht duschen musste: Ein Sprung in den See, und schon war man sauber. Das Wasser war kristallklar, jedoch leblos. Inzwischen ist die Tierwelt zurückgekehrt und wir können sie sehen und hören, wenn wir dort sind: Insekten, Fische, Frösche, Enten, Schildkröten – und die eindringlichen Rufe der Seetaucher. Manchmal sieht man kleine Teams von Wissenschaftlern in Booten, die Wasserproben sammeln und untersuchen. Die betroffenen Ökosysteme haben sich noch immer nicht vollständig erholt, da Umweltverschmutzung die Nahrungsketten, Waldökosysteme und die Wasser- und Bodenchemie so stören kann, dass die Schäden noch Jahrzehnte oder Jahrhunderte andauern, selbst wenn die Schadstoffe gar nicht mehr vorhanden sind. Aber dank – ich traue mich es einmal so zu sagen – marktbasierter Mechanismen zur Lösung eines Umweltproblems, sind die Adirondack Mountains auf dem Weg der Besserung.

In den 1980er Jahren erkannten Wissenschaftler, dass Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs), die damals in Sprühdosen und Kühlschränken verwendet wurden, für das wachsende Ozonloch in der unteren Stratosphäre verantwortlich waren. Die Ozonschicht schützt uns vor der schädlichen, energiereichen ultravioletten Sonnenstrahlung. Die Erosion dieser Schicht brachte ein häufigeres Auftreten von Hautkrebs und anderen gesundheitsschädlichen Auswirkungen in der südlichen Hemisphäre mit sich. Mein Freund Bill Brune, der ehemalige Leiter der Abteilung für Meteorologie an der Staatlichen Universität von Pennsylvania (Penn State University), war einer der ersten Wissenschaftler, die die relevante atmosphärische Chemie erforschten. Er schrieb: »Einige der Wissenschaftler, die diese bahnbrechende Forschung durchführten, haben beschlossen, sich für Maßnahmen zur Minderung der durch einen Abbau der Ozonschicht verursachten Schäden einzusetzen. Diese Wissenschaftler waren heftiger Kritik ausgesetzt.«19 Jene Kritik nahm, wie Bill feststellte, unterschiedlichste Formen an: »Hersteller und Anwender von FCKWs und ihre Regierungsvertreter initiierten Öffentlichkeitskampagnen, die nicht erhellen, sondern verschleiern sollten. Das Ziel war, die Hypothese und die wissenschaftlichen Indizien in Zweifel zu ziehen und Gesetzgeber und Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Ergebnisse nicht zuverlässig genug waren, um darauf zu reagieren.« Bill weiter: »Wenn ihre Ansichten nicht mehr haltbar waren oder sich ihre eigenen Arbeiten als falsch erwiesen oder zur Veröffentlichung abgelehnt wurden, änderten diese konträren Wissenschaftler, Regierungsvertreter und Industriesprecher ihre Taktik, um den gesamten Peer-Review-Prozess (wissenschaftliche Begutachtung) zu verunglimpfen.« Unter diesen umstrittenen Wissenschaftlern war just jener S. Fred Singer, dem wir im Zusammenhang mit der Leugnung des sauren Regens bereits begegnet waren. Merken Sie sich diesen Namen – wir werden später auf ihn zurückkommen.

Ungeachtet der Neinsager unterzeichneten 1987 insgesamt 46 Länder – darunter die Vereinigten Staaten unter Reagan – das Montrealer Protokoll, das die Herstellung von FCKW verbietet. Seither ist das Ozonloch auf das geringste Ausmaß seit Jahrzehnten geschrumpft. Umweltpolitik funktioniert also. Aber sowohl beim sauren Regen als auch beim Ozonabbau kamen politische Lösungen nur aufgrund des unerbittlichen Drucks zustande, den die Bürger auf die politischen Entscheidungsträger ausübten, in Verbindung mit anhaltender parteiübergreifender Unterstützung durch redliche Politiker, die sich für systemische Lösungen bei Umweltbedrohungen einsetzen. Dieser Art von Redlichkeit geriet mit der Trump-Regierung ins Hintertreffen. Trump berief nach seiner Wahl viele Personen in wichtige Positionen, die nicht nur die Realität und Bedrohung des Klimawandels leugneten, sondern bereits vor Jahrzehnten eine entscheidende Rolle bei den von der Industrie geführten Bemühungen gespielt hatten, sowohl den Ozonabbau als auch den sauren Regen zu leugnen. Sie könnten auch als Allzweckleugner bezeichnet werden, die man anheuern kann.20

Man könnte sie auch als spirituelle Nachfolger des George-C.-Marshall-Instituts bezeichnen, jener wissenschaftsleugnenden Ideenschmiede von Frederick Seitz, die Ende der 1980er Jahre weitgehend auf Umweltfragen ausgerichtet war. Aber es war weder der saure Regen noch der Ozonabbau, die zur Gründung des Instituts geführt hatten. Es war vielmehr eine Bedrohung, die wissenschaftliche Erkenntnisse für eine ganz andere Interessengruppe, nämlich den militärisch-industriellen Komplex, darstellten. Während der Spätphase des Kalten Krieges profitierten führende Rüstungsunternehmen wie Lockheed-Martin und Northrop Grumman von dem eskalierenden Wettrüsten zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Sie profitierten insbesondere von Reagans Vorschlag einer strategischen Verteidigungsinitiative, auch bekannt als Star Wars, einem antiballistischen Raketenprogramm, das Atomraketen im Weltraum abschießen sollte. Ihnen stand jedoch ein Wissenschaftler im Weg.

Wissenschaftler als Kämpfer

Carl Sagan lehrte als Stiftungsprofessor für Astronomie und Weltraumwissenschaften und war Direktor des Laboratory for Planetary Studies an der renommierten Cornell University. Er war ein angesehener, kompetenter Forscher mit einer beeindruckenden Erfolgsbilanz in der Geo- und Planetenwissenschaft. Sagan leistete bahnbrechende Arbeit über das »Faint Young Sun Paradox« (Paradoxon der schwachen jungen Sonne), der überraschenden Tatsache, dass die Erde vor mehr als drei Milliarden Jahren bewohnbar war, obwohl die Sonne damals um 30 Prozent weniger leuchtete. Die Erklärung, so erkannte Sagan, muss ein stärkerer Treibhauseffekt gewesen sein. Diese Arbeit ist so grundlegend, dass sie das erste Kapitel des Lehrbuchs darstellt, mit dem ich Studierende im ersten Semester an der Penn State über Erdgeschichte unterrichtet habe.21

Sagan war jedoch weit mehr als ein Wissenschaftler. Er war ein kulturelles Phänomen. Er hatte eine unübertroffene Fähigkeit, die Öffentlichkeit mit der Wissenschaft in Kontakt zu bringen. Er verstand es nicht nur, Normalbürgern Zusammenhänge zu erklären, er konnte Menschen auch dafür begeistern. Ich kann mich persönlich dazu äußern, denn es war Carl Sagan, der mich zu meiner wissenschaftlichen Karriere inspirierte.

Ich hatte schon immer eine gewisse Begabung für Mathematik und Naturwissenschaften, aber es war sozusagen ein Weg des geringsten Widerstands, keine Leidenschaft. Dann feierte Sagans beliebte Fernsehserie Cosmos Premiere, gerade zu Beginn meines ersten Studienjahres an der High-School. Sagan zeigte mir die Magie der wissenschaftlichen Forschung. Er enthüllte einen Kosmos, der wundersamer war, als ich es mir hätte vorstellen können. Er zeigte die Kostbarkeit unseres Platzes in diesem Kosmos – als einfache Bewohner eines winzigen blauen Punktes, der von den äußeren Bereichen unseres Sonnensystems kaum wahrnehmbar ist. Und erst die Fragen! Wie hat sich Leben gebildet? Gibt es da draußen noch mehr davon? Gibt es andere intelligente Zivilisationen? Warum haben sie uns noch nicht kontaktiert? Ich dachte lange über diese und viele andere Fragen nach, die Sagan in der monumentalen dreizehnteiligen Serie aufgeworfen hatte. Sagan machte mir klar, dass es möglich ist, ein Leben lang seiner wissenschaftlichen Neugier nachzugehen, indem man solch fundamentale existentielle Fragen stellt und beantwortet.

Leider hatte ich nie die Gelegenheit, meinen Helden persönlich kennenzulernen. Ich schloss mein Doktorat in Geologie und Geophysik 1996 ab, im selben Jahr, in dem Sagan verstarb. Da ich auf dem gleichen Gebiet wie Sagan tätig bin, hätte ich ihn mit ziemlicher Sicherheit auf Tagungen oder Konferenzen getroffen, wenn ich ein paar Jahre früher in den Beruf eingestiegen wäre. Aber ich hatte das Vergnügen, ihn durch seine Schriften kennen zu lernen, und durfte einige Menschen treffen, die ihn gut kannten. Dazu gehört auch seine Tochter Sasha, eine Schriftstellerin, die das Werk ihres Vaters fortsetzt, uns mit Gedanken über den Kosmos und unseren Platz im Kosmos zu inspi­rieren.22

Sagan war eine so überzeugende und charismatische Persönlichkeit, dass er schnell zur Stimme der Wissenschaft für die Nation wurde. In Johnny Carsons Tonight Show (sehr erfolgreiche Late-Night-Show im US-Fernsehen) zog er Zuschauer in den gesamten Vereinigten Staaten mit seinen Beobachtungen, Einsichten und oft amüsanten Anekdoten in seinen Bann. Damit machte er Carsons früherem Wissenschafts­experten den Garaus – keinem geringeren als Astrophysiker Robert Jastrow, den bereits erwähnten GMI-Mitbegründer.23 Womit wir wieder beim Hauptanliegen unserer Geschichte angelangt sind.

Carl Sagan wurde in den 1980er Jahren zunehmend politischer, als er die wachsende Bedrohung durch die atomare Aufrüstung erkannte. Er nutzte seine öffentliche Bekanntheit, seine Medienkompetenz und seine unübertroffene Kommunikationsfähigkeit, um das Bewusstsein für die existenzielle Bedrohung durch einen globalen thermonuklearen Krieg zu schärfen. Sagan erklärte der Öffentlichkeit, dass die Bedrohung weit über den unmittelbaren Tod und die Zerstörung oder die daraus resultierende nukleare Strahlung hinausging. Die Detonation nuklearer Sprengköpfe während eines solchen Krieges, argumentierten Sagan und seine Kollegen in der wissenschaftlichen Literatur, könnte genug Staub und Trümmer produzieren, um durch Blockierung des Sonnenlichts eine Abkühlung und folglich einen Zustand ewigen Winters oder, wie sie es nannten, »nuklearen Winters« herbeizuführen.24

Oder anders ausgedrückt, die Menschheit könnte das gleiche Schicksal erleiden wie die Dinosaurier nach einem massiven Asteroideneinschlag: ein sonnenlichtblockierender Staubsturm, der ihre Vorherrschaft vor 65 Millionen Jahren beendete. Sagan trug durch seine verschiedenen Interviews und einem Artikel für die weit verbreitete Sonntagszeitungsbeilage Parade zum öffentlichen Verständnis dieses Szenarios bei.

Sagan befürchtete, dass Reagans strategische Verteidigungsinitiative (SDI), die von vielen Falken des Kalten Krieges (Vertreter eines harten politischen Kurses gegen den sogenannten Ostblock) und Rüstungsunternehmen unterstützt wurde, zu einer Eskalation der Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion und zu einer gefährlichen Anhäufung von Atomwaffen führen würde, was wiederum auf das Szenario des nuklearen Winters hinauslaufen könnte, dass er so sehr fürchtete. Aber, wie Oreskes und Conway in Merchants of Doubt bereits anmerkten, sahen die Physiker des Kalten Krieges bei GMI diese legitimen Bedenken bezüglich der SDI als Panikmache von mit der Sowjetunion sympathisierenden Friedensaktivisten an.25 In ihren Augen war schon das bloße Gedankengut eines nuklearen Winters eine Bedrohung für unsere Sicherheit. In Zusammenarbeit mit konservativen Politikern und industriellen Einzelinteressen versuchte das GMI-Trio, die besorgniserregenden Argumente zu diskreditieren, indem es die zugrundeliegende Wissenschaft attackierte. Dabei schreckten sie auch nicht vor Versuchen zurück, Carl Sagan persönlich in Verruf zu bringen. Die Angriffe fanden im Rahmen von Briefings an den Kongress und in den etablierten Zeitungen statt, wo sie Artikel veröffentlichten, um die Ergebnisse von Sagan und seinen Kollegen zu untergraben. Diese Kampagne beinhaltete sogar die Einschüchterung öffentlicher Fernsehsender, die eine Sendung über den nuklearen Winter in Erwägung zogen.26

Interessanterweise ist Sagans Anti-SDI-Kampagne höchst relevant für das zentrale Thema dieses Buches, denn die Simulationen zum nuklearen Winter, die Sagan und seine Kollegen durchführten, basierten auf globalen Klimamodellen der ersten Generation. Wenn man also der Wissenschaft des nuklearen Winters nicht zugeneigt war, würde man von der Wissenschaft des Klimawandels umso weniger angetan sein, die dieselben mächtigen umweltverschmutzenden Interessen anprangerte, die Organisationen wie GMI verteidigten. Mit dem Ende des Kalten Krieges gegen Ende der 1980er Jahre brauchten die GMI-Leute ein anderes Thema, auf das sie sich konzentrieren konnten, wie Oreskes und Conway feststellten. Mit saurem Regen und Ozonabbau waren sie noch bis Anfang der 1990er Jahre beschäftigt. Aber als diese Themen aus dem Blickfeld verschwanden, was zum großen Teil daran lag, dass, wie bereits erwähnt, schließlich sogar Republikaner Gegenmaßnahmen unterstützten, benötigten die GMI-Leute und ihre Gesinnungsgenossen ein weiteres wissenschaftliches Schreckgespenst, um ihre Existenz zu rechtfertigen. Der Klimawandel passte hervorragend ins Bild.

Kapitel 2 Die Klimakriege

Es gibt keinen Krieg, der alle Kriege beenden wird.

— Haruki Murakami

Wenn die Reichen Krieg führen, sind es die Armen, die sterben.

— Jean-Paul Sartre

Und so fängt es an

Anfang der 1990er Jahre war ich Doktorand und arbeitete an meiner Dissertation auf dem Gebiet der Klimawissenschaften im Fachbereich für Geologie und Geophysik an der Yale-Universität. Ich war vom Fachbereich Physik weggelockt worden, wo ich das Verhalten von Materie auf Quantenebene untersucht hatte. Stattdessen sollte ich nun das Verhalten unseres Klimasystems im globalen Maßstab untersuchen. Für einen ehrgeizigen jungen Physiker war die Klimawissenschaft ein noch wenig bearbeitetes Feld. Es gab noch große offene Fragen, zu denen ein junger Wissenschaftler mit Kenntnissen in Mathematik und Physik wesentliche Beiträge an der Spitze der Wissenschaft leisten konnte. Dies war meine Gelegenheit, die Vision zu verwirklichen, die Carl Sagan mir als Jugendlicher eingeflößt hatte – eine Vision der Wissenschaft als eine Suche nach dem Verständnis unseres Platzes in der umfassenden planetarischen und kosmischen Umgebung.

Mein Doktorvater war der Wissenschaftler Barry Saltzman, der eine Schlüsselrolle bei der Entdeckung des Chaosphänomens spielte – eine der großen wissenschaftlichen Entwicklungen des zwanzigsten Jahrhunderts. Jenes Chaos ist unter anderem dafür verantwortlich, dass man die genauen Einzelheiten des Wetters nicht länger als etwa eine Woche vorhersagen kann. Barry war ein Skeptiker – im wahrsten und ehrlichsten Sinne des Wortes. Anfang der 1990er Jahre war er nicht davon überzeugt, dass wir den menschlichen Einfluss auf unser Klima feststellen könnten. Dies war damals eine vertretbare Auffassung, da die verwendeten Klimamodelle noch recht einfach waren und die Anzeichen einer beginnenden Erwärmung in den etwa ein Jahrhundert alten globalen Temperaturdaten gerade erst ansatzweise aus dem Hintergrundrauschen der natürlichen Variabilität herauszuhören waren.

Andere Wissenschaftler, wie James Hansen, der prominente Direktor des Goddard-Instituts für Weltraumstudien der NASA – das gleiche Institut, das zuvor ausgerechnet von Robert Jastrow geleitet worden war – vertraten eine andere Meinung. Hansen war der Ansicht, dass wir bereits nachweisen konnten, dass menschliche Aktivitäten den Planeten erwärmen – insbesondere die Freisetzung von Treibhausgasen wie Kohlenstoffdioxid (CO2) durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Öl, Kohle und Erdgas. An einem rekordverdächtig heißen Junitag 1988 in Washington, D.C., hatte Hansen vor dem Kongress erklärt: »Es ist Zeit, mit dem Geschwafel aufzuhören … Die Beweise sind eindeutig.« Die Unzufriedenheit der Reagan-Regierung mit Hansens öffentlichen Äußerungen hatte sich bereits vor diesem Junitag immer klarer abgezeichnet. Schon allein aufgrund seines Beamtenstatus bei der NASA wurden alle von ihm erstellten schriftlichen Stellungnahmen für die Kongressanhörung von der Regierung überprüft. Nach 1986 wurden sie vom Amt für Verwaltungs- und Haushaltswesen des Weißen Hauses wiederholt derart redigiert, dass ihre Wirkung heruntergespielt wurde. Verärgert kündigte Hansen schlussendlich 1989. Er versäumte jedoch nicht, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass seine Aussagen vom Weißen Haus geändert worden waren.1

Als ich Anfang der 1990er Jahre damit begann, die Klimawissenschaften zu studieren, lag ich mit meiner Position noch näher an der von Barry Saltzman als an der von Hansen. Meine Forschung umfasste die Untersuchung der natürlichen Klimavariabilität auf Grundlage der Verwendung theoretischer Klimamodelle, Beobachtungsdaten und langfristiger paläoklimatischer Aufzeichnungen, einschließlich der Berücksichtigung von Baumringen und Eiskernen. Diese Untersuchung deutete darauf hin, dass es wichtige Mechanismen gab, die zu natürlichen Klimaschwankungen mit Zeitskalen von fünfzig bis siebzig Jahren führten, also fast so lange wie die Temperaturaufzeichnungen der Instrumente selbst. Zumindest überlagerten solch natürliche und langfristige Klimaschwankungen die Auswirkungen des vom Menschen verursachten Klimawandels.2

Es ist wichtig, hier den Überblick zu behalten. Denn obwohl die Wissenschaft noch immer darüber debattierte, ob bereits ein menschlicher Einfluss auf das Klima nachgewiesen werden konnte, bestand gleichzeitig breiter Konsens über die Grundlagen – also darüber, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe und die Erhöhung der Konzen­tration von Treibhausgasen in der Atmosphäre den Planeten erheblich erwärmen würde, was der große schwedische Wissenschaftler Svante Arrhenius bereits Ende des 19. Jahrhunderts festgestellt hatte. Es lohnt sich deshalb, die bereits in der Einleitung dieses Buches zitierten Worte der ExxonMobil-Experten aus den 1970er Jahren in Erinnerung zu rufen: »In der Wissenschaft ist man sich weitgehend darüber einig, dass … die menschengemachte Freisetzung von Kohlenstoffdioxid … durch die Verbrennung fossilerBrennstoffe das globale Klima beeinflusst.« (Hervorhebung hinzugefügt).3 Der berühmte dänische Physiker Niels Bohr soll einmal gesagt haben: »Prognosen sind schwer. Vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.« Nun, die Exxon-Wissenschaftler hatten bereits 1982 Beeindruckendes prognostiziert: Und zwar mehr oder weniger punktgenau den Anstieg der CO2-Konzentrationen und die daraus resultierende Erwärmung. Genau das, was wir heute, dank der fortwährenden Verbrennung von fossilen Brennstoffen, erleben.4 Auch die Kohlewirtschaft wusste bereits in den 1960er Jahren, dass ihre Kohlenstoffemissionen den Planeten erwärmen.5

Gleichwohl konnten die Kräfte der Verleugnung dank der Unsicherheit und Kontroversen einen Keil in die Wissenschaftsgemeinschaft treiben. Dabei nutzten sie die Debatte innerhalb der Klimaforschung aus, die sich in der offensichtlich so grundlegenden Frage spaltete, ob der menschliche Einfluss auf das Klima bereits eindeutig festgestellt worden war. Für die fossile Brennstoffindustrie war diese Zeit von entscheidender Bedeutung, da politische Maßnahmen zur Lösung des Problems unmittelbar bevorzustehen schienen.

Bei den Präsidentschaftswahlen von 1988 hatte George H.W. Bush versprochen, dem »Treibhauseffekt mit dem Weißen-Haus-Effekt zu begegnen«. Er ernannte den Physiker David Allan Bromley zu seinem wissenschaftlichen Berater. Bromley war Professor im Fachbereich Physik in Yale, wo ich zu dieser Zeit meinen Abschluss machte, und ich erinnere mich noch gut daran, wie er nach New Haven zurückkehrte, um ein Fachseminar über Klimawandel und Klimamodellierung zu halten. Bromley war keineswegs ein linkslastiger Umweltschützer, aber er verstand die unwiderlegbare Physik hinter dem Klimawandel. Gleichzeitig war Bushs Leiter der Umweltbehörde EPA, der bereits erwähnte William K. Reilly, durchaus ein klassischer Umweltschützer. Er unterstützte daher nachdrücklich alle Klimaschutzmaßnahmen. Auch hatte Bush bereits 1991 signalisiert, dass er das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) unterzeichnen würde.

Es gab jedoch einige Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung. Bushs Stabschef, ein am Massachusetts Institute of Technology (MIT) ausgebildeter Ingenieur namens John Sununu, war – und ist bemerkenswerterweise auch heute noch – ein Klimawandelleugner. Er stützte sich dabei stark auf ein unveröffentlichtes Weißbuch des zur konservativen Denkfabrik George C. Marshall Institute (GMI) gehörenden Trios Jastrow, Seitz und Nierenberg aus dem Jahr 1989, das im folgenden Jahr als Buch unter dem Titel »Global Warming: What Does the Science TellUs?« (Globale Erwärmung: Was lehrt uns die Wissenschaft?) veröffentlicht wurde. Darin wird die globale Erwärmung auf die Sonnenaktivität zurückgeführt. In seiner Eigenschaft als Vertreter des GMI arrangierte Nierenberg ein Treffen mit Mitarbeitern des Weißen Hauses, bei dem er die ablehnende Haltung des Instituts gegenüber dem Klimawandel präsentierte. Dies trug zumindest dazu bei, eine Spaltung innerhalb der Bush-Regierung herbeizuführen und die Dynamik des Klimaschutzes abzuschwächen.6

Mit der Gründung des Weltklimarats der Vereinten Nationen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) im Jahr 1988 wurde die Aufgabe, die wissenschaftlichen Beweise für die vom Menschen verursachte globale Erwärmung zu widerlegen, zu groß für eine einzige kleine Organisation wie das GMI. Die »Kavallerie« sollte jedoch bald eintreffen. Ein Konsortium von Interessengruppen der fossilen Brennstoffe schloss sich 1989 zusammen, bekannt als die Globale Klimakoalition, zu der ExxonMobil, Shell, British Petroleum (BP), Chevron, das American Petroleum Institute und andere gehörten. Das Konsortium verbündete sich mit anderen Branchendenkfabriken und Organisationen, die ihre Zielrichtung und Finanzierung verbergen (Frontorganisationen), darunter das vornehm klingende Heartland Institute und das Competitive Enterprise Institute. Gemeinsam stellten sie das dar, was Oreskes und Conway in Merchants of Doubt