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"Gerade weil es nicht nur um platte Fragetechnik oder gar Fragekataloge geht (wie leider in vielen lösungsorientierten Veröffentlichungen) sondern erkennbar wird, wie präzise die Fragen auf der Mikro-Ebene des therapeutischen Prozesses gestellt werden und im Kontext einer sich entfaltenden therapeutischen Beziehung ihre Bedeutung erhalten, macht diesen Band zu einem der besten Bücher über den lösungsorientierten Ansatz, die ich seit langem gelesen habe." Tom Levold "Lassen sie uns Steve und Insoo zu Ehren in unser und in andrer Menschen Leben mit so viel Wertschätzung blicken, dass die Kostbarkeit der Ressourcen wieder deutlicher wird, »einen kleinen Schritt« wie es in einem der Buchtitel von Yvonne Dolan heißt und wie es viele unsrer KlientInnen sich zur guten Angewohnheit machten: erinnern wir uns daran, dass wir dem Wunder schon begegnet sind. So lädt man Wunder ein – am besten noch heute! More than Miracles!" Matthias Varga von Kibéd Wunder gibt es immer wieder … "Stellen Sie sich vor, heute Nacht geschieht ein Wunder, und das Problem, über das wir gerade sprechen, ist gelöst!" Das ist die zentrale Frage der lösungsfokussierten Kurzzeittherapie, die maßgeblich von Steve de Shazer entwickelt wurde. Ihr Ziel ist es, die Stärken und Resilienzen von Klienten zu aktivieren, mit denen diese handfeste Lösungen für ihr Problem finden und umsetzen können. Im Buch, das an die Bestseller "Der Dreh" und "Das Spiel mit Unterschieden" anknüpft, werden 18 therapeutische Prinzipien und Interventionsformen mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis und Therapietranskripten dargestellt. Die beigefügten Kommentare und Fragen des Teams zum jeweiligen Verlauf machen daraus eindrucksvolle Dokumente dieser Therapieform. Die Bedeutung von Emotionen wird hier ebenso diskutiert wie die Missverständnisse, die mit diesem therapeutischen Ansatz verbunden sind. "Mehr als ein Wunder" ist das letzte Buch, an dem Steve de Shazer mitgeschrieben hat. Es rundet einerseits seine Arbeit und die seiner Frau Insoo Kim Berg in bemerkenswerter Weise ab. Andererseits zeigen die Beiträge von Harry Korman, Terry Trepper und Eric McCollum, wie eine neue Generation lösungsfokussiert arbeitender Therapeuten den Ansatz erfolgreich weiterentwickelt. Ein Vorwort von Matthias Varga von Kibéd leitet das Buch ein. Über die Autor:innen: Steve de Shazer (1940–2005), Ph. D., Gründer des Brief Family Therapy Center (BFTC) in Milwaukee, Wisconsin; entwickelte und forschte zu lösungsorientierten, kurzzeittherapeutischen Verfahren auf der Grundlage Erickson'scher und systemischer Interventionen sowie der Philosophie Wittgensteins und Derridas. Veröffentlichungen u. a.: "Der Dreh. Überraschende Wendungen und Lösungen in der Kurzzeittherapie" (15. Aufl. 2022), "Das Spiel mit Unterschieden. Wie therapeutische Lösungen lösen" (7. Aufl. 2019), "Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute" (9. Aufl. 2024). Yvonne Dolan arbeitete 30 Jahre lang als Psychotherapeutin. Heute hält sie weltweit Vorlesungen über lösungsfokussierte Kurztherapie sowie Milton Ericksons Therapieansatz und führt entsprechende Ausbildungsseminare durch. Sie ist Autorin von mehreren Büchern und zahlreichen Artikeln, u. a. über Traumatherapie und Erickson'sche Hypnotherapie bei sexuellem Missbrauch. Mit Steve de Shazer hat sie das Buch "Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute" publiziert.
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Seitenzahl: 398
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Warnung: Dieses Buch provoziert neue Denkansätze;
denn nach seiner Lektüre wird es einem schwerfallen,
weiterhin zu der gewohnten Auffassung von Sprache,
lösungsfokussierter Kurztherapie oder Psychotherapie zu stehen.
Steve de Shazer/Yvonne Dolan
Lösungsfokussierte Kurztherapie heute
Unter Mitarbeit von Harry Korman, Terry Trepper, Eric McCollum und Insoo Kim Berg
Aus dem Amerikanischen von Astrid Hildenbrand
Neunte Auflage, 2024
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
Prof. Dr. Dr. h. c. Rolf Arnold (Kaiserslautern)
Prof. Dr. Dirk Baecker (Dresden)
Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)
Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)
Dr. Barbara Heitger (Wien)
Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)
Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)
Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)
Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)
Dr. Roswita Königswieser (Wien)
Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)
Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)
Tom Levold (Köln)
Dr. Kurt Ludewig (Münster)
Dr. Burkhard Peter (München)
Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)
Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)
Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)
Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)
Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)
Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)
Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)
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Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)
Karsten Trebesch (Dallgow-Döberitz)
Bernhard Trenkle (Rottweil)
Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Schef?er (Köln)
Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)
Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)
Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)
Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)
Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)
Umschlaggestaltung: Uwe Göbel
Redaktion: Nicola Offermanns
Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Neunte Auflage, 2024
ISBN 978-3-8497-0260-1 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8253-5 (ePUB)
© 2008, 2024 der deutschen Ausgabe: Carl-Auer-Systeme Verlag
und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
Alle Rechte vorbehalten
Das Original erschien unter dem Titel:
›More than Miracles‹
Published by Hayworth Press, Inc., 2007
© 2007, Hayworth Press, Inc. All Rights reserved.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Vorwort
Vorbemerkungen
1. Ein kurzer Überblick
1.1 Die wesentlichen Lehrsätze der lösungsfokussierten Kurztherapie
1.2 Die Aufgabe des Therapeuten
1.3 Therapeutische Prinzipien und Techniken
Allgemeine Interventionen
Spezifische Interventionen
1.4 Anwendungsbereiche der lösungsfokussierten Kurztherapie
1.5 Studien zur Wirksamkeit lösungsfokussierter Kurztherapien
1.6 Zusammenfassung
2. »Ich fühle mich richtig verunsichert«
3. Die Wunderfrage
3.1 Wie die Wunderfrage entstanden ist
Nur scheinbar einfach
Da steckt mehr dahinter
3.2 Die Geisteshaltung des Therapeuten
3.3 Vier Gründe, die Wunderfrage zu stellen
Eine Möglichkeit, Therapieziele zu entwickeln
Die Wunderfrage als virtuelles Wunder oder: Die Wunderfrage als emotionale Erfahrung
Der Blick auf die Ausnahmen des Problems
Anstoß zu einer Fortschrittsgeschichte
3.4 Wie man die Wunderfrage stellt
3.5 Antworten aufmerksam anhören
Was fällt dem Klienten auf?
Die Antwort: »Ich weiß nicht« oder: Schweigen als Antwort
Die negierende Antwort
Die Antwort »Ich denke …«, »Ich fühle …«
Die Antwort, die eine Verhaltensweise beschreibt
Was fällt anderen Personen auf?
Was geschieht zwischen Ihnen und der anderen Person?
Die Antwort: »Die Situation und die anderen werden sich ändern«
Die Antwort: »Sozialarbeiter mischen sich nicht mehr in mein Leben ein«
Die Antwort: »Die Angehörigen verändern sich«
3.6 Mehrere Personen im Therapieraum
4. Die Wunderskala
Wann kann man das Wunderbild skalieren?
Worin besteht der Unterschied?
Was würden die anderen sagen?
Wie haben Sie das gemacht?
Ressourcen und Kompetenzen
Wie macht es sich bemerkbar, wenn Sie die nächsthöhere Stufe erreicht haben?
Der Klient antwortet: »Ich weiß nicht«
Der Klient antwortet mit einer 10
Der Klient antwortet mit einer 0
Und noch einmal: Man weiß nie, was man eigentlich gefragt hat
Die Wunderfrage und die darauf folgenden Sitzungen
Was sonst noch?
5. Das magenfreundliche Gespräch
6. Hinschauen statt deuten
6.1 Wo bleibt die Theorie?
»Tatsachen«
»Familienähnlichkeiten«
»Sprachspiele«
7. »Mein wahres Ich«
8. »Private Erlebnisse« und das Verb »sein«
8.1 Das Verb »sein«
9. Die SFBT und Emotionen
9.1 Emotionen in ihrem Kontext
10. Fragen und mögliche Missverständnisse
10.1 Allgemeine Einwände
Weshalb ignoriert die SFBT die Probleme der Klienten? Wie können Sie jemandem helfen, wenn Sie mit ihm nicht über seine Schwierigkeiten sprechen?
Wie können Sie ein therapeutisches Konzept anwenden, das sich nicht mit Gefühlen befasst?
10.2 Einwände von Nichtexperten
Sie gehen davon aus, dass Menschen immer wissen, was zu tun ist. Viele meiner Klienten wissen das keineswegs. Manchmal muss man Menschen sagen, was sie tun müssen. Werden Therapeuten nicht genau dafür bezahlt?
Klienten leugnen manchmal ihre Schwierigkeiten und müssen deshalb mit diesen konfrontiert werden. Werden in der SFBT ernsthafte Probleme nicht ignoriert, wenn man den Klienten nicht mit seinen Problemen konfrontiert?
Wie geht man in der SFBT mit Dingen um, die auf Gefahren hinweisen oder die Sicherheit von Menschen bedrohen? Ignoriert der lösungsfokussiert arbeitende Therapeut Sicherheitsprobleme, wenn der Klient sie nicht thematisiert oder für unwichtig hält?
Wie geht der lösungsfokussiert arbeitende Therapeut z. B. im Fall von Kindesmissbrauch mit der Kontrolle durch Sozialbehörden oder -einrichtungen um?
10.3 Die SFBT und andere Therapieansätze
Ist die SFBT nicht einfach eine Spielart von …?
Kann ich die SFBT integrieren in …?
10.4 Eine Frage des Stils
Sie stellen anscheinend nur Fragen. Sind Klienten durch alle diese Fragen nicht irritiert?
Die SFBT scheint ein Ansatz der langsamen Schritte zu sein. Klienten müssen über die an sie gestellten Fragen nachdenken. Meine Behörde verlangt von mir, dass ich innerhalb kurzer Zeit sehr viele therapeutische Beurteilungen abgebe. Ich habe keine Zeit zum lösungsfokussierten Arbeiten
Ich glaube, die SFBT ist nur ein Trostpflaster. Was macht man bei diesem Vorgehen mit tief sitzenden Gefühlen und Problemen?
10.5 Gibt es Belege für die Wirksamkeit der SFBT?
10.6 Was macht das Arbeiten nach dem SFBT-Konzept lohnenswert? Könnte nicht auch ein Computer lösungsfokussiert arbeiten?
Das Vorgehen der SFBT klingt irgendwie langweilig. Was ist der Kick daran, immer wieder die Wunderfrage zu stellen?
Welche Erfahrungen machen Therapeuten und Therapeutinnen, die im Stil der SFBT arbeiten?
11. Fazit
Literatur
Über die Autoren
Steve de Shazer und Insoo Kim Berg haben das Leben unzähliger Menschen berührt. In Ihrer bescheidenen und oft unauffälligen Weise haben beide uns, die wir bei Ihnen lernen durften, reich beschenkt. Was Steve und Insoo gaben, war nicht das Brot, sondern die Saat, um eigene Getreidefelder anlegen zu können. Das erforderte manchmal etwas mehr Geduld, gab dem Empfänger dann aber Jahr für Jahr neue Ernte. Mit wenig mehr als einem Jahr Abstand sind nun beide von uns gegangen; mir scheint, wir können Ihre Güte und Ihren Humor, ihren kristallklaren Blick und ihre erstaunliche Geduld, Ihren Scharfsinn und die in langen Jahren der Arbeit mit menschlichen Problemen gewachsene Weisheit am wirksamsten würdigen, wenn wir so viel wie möglich von alledem, was wir dem lösungsfokussierten Ansatz und seinen beiden Gründern verdanken, weitergeben und es dabei als Saatgut behandeln, das in neuen Umgebungen auch auf unterschiedliche Weise aufgehen kann.
Dieses Buch, an dem Steve und Insoo noch selber mitgewirkt haben, wirkt auf mich daher wie eine Art würdiger Stabübergabe im Staffellauf; und Steve und Insoo hatten in ihrem wundervoll fruchtbaren Leben und Lehren gut dafür gesorgt, dass die Botschaft an vielen Orten weitergegeben und weiterentwickelt wurde und werden wird.
Das klare Licht, das Steve de Shazer in seinem Zusammenwirken mit Insoo Kim Berg auf grundlegende Fragen der Therapie und des Menschen im Allgemeinen geworfen hat, lässt sich wie mit einem Prisma in viele Facetten aufspalten. Eine dieser Facetten zeigt sich in seiner Abwendung von der Grundidee des sokratischen Dialogs als einer Form, in der der Angesprochene (zu) wenig Freiraum erhält für die Nutzung und Entwicklung seiner eigenen kreativen Ideen.
In diesem Buch entwickelt Steve gemeinsam mit Yvonne Dolan und dem Team ihrer Koautorinnen (Insoo Kim Berg, Harry Korman, Terry Trepper und Eric McCollum, im Folgenden kurz ›das Team‹) die Idee eines lösungsfokussierten Dialogs als Kontrast und Alternative zum sokratischen Dialog, eine Alternative, die den in unserer Kultur in Erziehung und Bildung, in Schulen und Universitäten, in Therapie, Beratung und Training oft immer noch vorherrschenden Ansatz von Abrichtung (wie es Wittgenstein nannte) oder (bestenfalls) Pacing und Leading nicht nur durch einen viel weicheren, unauffälligeren und zurückhaltenderen ersetzt, sondern eine radikal und grundlegend andere Haltung zum Dialogpartner einführt.
Wer Steve de Shazer kannte, weiß, auf welche Weisen er unauffällig zu sein verstand. Mir kam er manchmal vor wie einer der großen (und oft etwas ruppigen) taoistischen Weisen, von denen gesagt wurde, dass sie keine Spuren im Sand hinterließen.
Doch darin erschöpft sich der Unterschied zum sokratischen Dialog nicht: Sokratischer Dialog ist erzieherisch, Steve war das nie. Im sokratischen Dialog wird der Gesprächspartner zu einem vorher bekannten Ziel hingelotst, im lösungsfokussierten Dialog erkundet der Gesprächspartner in dem weit offenen Raum Möglichkeiten, die ihm schon einmal zuvor, wenigstens in Fragmenten, zur Verfügung standen. (Daher ist eben auch die Wunderfrage bei jedem neuen Klienten eine neue Frage – und sogar bei jeder einzelnen Erwähnung des Wunders!)
Dieses Buch zeigt vielleicht klarer als irgendeines seiner früheren Werke die wirklich grundlegende Rolle der Philosophie Wittgensteins für Steve de Shazers Ideen zum Ansatz der lösungsfokussierten Kurztherapie.1 Wittgenstein wird hier nicht etwa als Steinbruch ge- oder missbraucht, aus dem sich jeder bei Bedarf ein passendes Fragment oder kleines Zitat herausbrechen kann, wie das heute in so vielen Texten der Fall ist.
Die Haltung und die Grundidee seiner Philosophie kommen vielmehr im Denken und Handeln von Steve de Shazer und in der Praxis exzellenter lösungsfokussierter TherapeutInnen wie Insoo Kim Berg und dem Team so deutlich zum Vorschein, dass dies für einen interessierten und geschulten Beobachter wie Gale Miller (Becoming Miracle Workers) und für jemanden, der seit Jahrzehnten über Logik und Wittgenstein forscht (wie der Autor dieser Zeilen), zu einer wichtigen Quelle neuer Einsichten zu Wittgensteins Werk wurde; eine in der (modernen) Philosophie unübliche und wundersame Vertauschung der Rollen von Theorie und Praxis. Das Verhältnis wird hier ein wechselseitiges: Wittgenstein liefert nicht nur ein Fundament für die SFBT, sondern diese auch ein tieferes Wittgensteinverständnis.
Dabei ist Wittgenstein nicht einfach die Grundlage von Steve de Shazers Ideen, da der lösungsfokussierte Ansatz zunächst weitgehend ohne Bezug zu Wittgenstein entstanden war (ähnlich ist de Shazers Verhältnis zu Derrida zu sehen), es sei denn, man greift die seltsame Idee eines nachträglichen Fundaments auf. Vielmehr war Steve wirklich glücklich, in Wittgenstein – endlich – jemanden gefunden zu haben, dessen Denken dem eigenen wirklich ähnelte.
Für mich und meine Frau Insa Sparrer bildeten Abende mit nicht endenden Gesprächen seit den frühen Achtziger Jahren über den Ansatz der Schule von Milwaukee, der sich zu den Grundlagen der Lösungsfokussierung über Steves Kritik an dem von uns hochgeachteten Gregory Bateson, in dem er »just a muddled thinker« sah, sehr im Gegensatz zu seiner außerordentlichen Hochachtung für John Weakland, schließlich seit 1989 mehr und mehr auf Wittgenstein richtete. Es war ein großes Geschenk, im Dialog mit Steve zu erleben, wie bei ihm Philosophie und (lösungsfokussierte) Praxis nicht etwa nur allmählich verschmolzen, sondern sich in gewissem Sinne als ›immer schon eines‹ herausstellten.
Ein wesentlicher Zug der Philosophie Wittgensteins besteht in der Idee, viele menschliche Probleme als durch eine Art schlechte Philosophie entstanden anzusehen, entstanden über die »Verhexung durch die Sprache«. Auf dieser Sicht beruht dann auch die Umwendung, die Aufgabe einer guten Philosophie, einer »philosophischen Therapie«, darin zu sehen, den Menschen aus dieser Verhexung zu befreien, indem die Irrtümer durch Fragen aufgehoben werden.
Doch anders als im sokratischen Dialog gebärdet sich Wittgenstein nicht als der Wissende, der einen anderen über etwas, das er im Vorhinein weiß, zu belehren vorhat, sondern lässt uns über ein Netz von Fragen selber ins dialogische Denken kommen. Wittgenstein ist hier ständig bereit, seine eigenen Fragen und Erwägungen durch andere in Frage zu stellen, und diese durch wieder andere. Seltsamerweise entstehen dabei Einsichten – aber eben kein fixes Theoriegebäude. Und könnte das gerade gesagte nicht schon eine Schilderung von Steve im lösungsfokussierten Dialog gewesen sein?
Wittgenstein sieht seine Philosophie als eine Art philosophischer Therapie zur Aufhebung oft leidvoller und auf jeden Fall hinderlicher sprachlicher Verstrickungen und Denkirrtümer an – und so ähnlich lässt sich auch Steves Verständnis vom Wesen des lösungsfokussierten Interviews sehen. Hier kann die Rolle der Logik als kunstfertiges Mittel zur Aufhebung menschlichen Leidens erkannt werden, ganz wie das in der buddhistischen Tradition gesehen wurde. Die Rolle der Unterschiede verknüpfte zugleich Steves Denken mit Spencer-Browns Unterscheidungsbegriff, doch war Wittgenstein für ihn viel tiefer und umfassender.
Solche wittgensteinschen Wendungen, aufgefasst als kunstfertige Mittel im Rahmen des Therapiegesprächs, zeigen sich unter anderem in der Auflösung von verdichteten Vorstellungen über innere Zustände und Gefühle und in der Entwicklung neuer hilfreicher Handlungsgewohnheiten bei den Klienten. Gefühle sind für Wittgenstein wie für Steve keine inneren Dinge; es sind problematische und irrige Denkgewohnheiten, die uns zu dieser Sicht immer wieder verleitet haben.
Der antitheoretische Zug Wittgensteins zeigt sich auch in seiner Ablehnung der Idee, dass das »einer Regel folgen« zerlegt werden könne in die Regel2 und das »ihr folgen«. Aus der Sicht der Philosophischen Untersuchungen, Wittgensteins berühmtestem Spätwerk, bildet ein Regelfolgen eine Einheit, aus der im Allgemeinen keine Regel als eigenständiges »Objekt« der Betrachtung herausgelöst werden kann. Was das mit Therapie und Methodik zu tun hat? Nun, versuchen Sie einmal eine gängige therapeutische Theorie ohne Bezugnahme auf Regeln zu formulieren!
Problematisches Verhalten von Menschen ist nun natürlich ebenso wie das, was sie nach einem Wunder täten, jeweils eine Form des Regelfolgens. Wenn in modernen Psychotherapieformen von so genannten Verhaltensmustern und Glaubenssätzen die Rede ist, sind dies aus Wittgenstein’scher ebenso wie aus lösungsfokussierter Sicht irreführende Redeweisen, da ja »die« Regel im Regelfolgen letztlich nicht anzutreffen ist. Lösungsfokussierung ist also auch in dem Verzicht auf die Generalisierung durch Regeln zu sehen, und damit im Verzicht auf innere Dynamiken, Verhaltensmuster, Dispositionen, …
Aus einer Lösung, die sich in einem Fall als wirksam erweist, wird im lösungsfokussierten Ansatz keine neue Regel abgeleitet3. Jede Beschreibung von Gefühlsqualitäten und Eigenschaften innerer Zustände der KlientInnen entfällt hier.
Die Systematik des lösungsfokussierten Ansatzes ist eine Systematik der Methode, nicht der Inhalte. Sie lässt sich auf der Ebene der Syntax, nicht aber auf der Ebene der Semantik verstehen.
Einerseits ist der lösungsfokussierte Ansatz zweifellos eher eine in Jahrzehnten der Praxis entwickelte pragmatische Methodologie als ein Theoriegebäude im klassischen Sinne; doch andererseits sind grammatische Einsichten, Einsichten über die Art, in der die Struktur unserer Sprache Einfluss auf die in der Sprache ausgedrückten Fragen und Probleme nimmt, ein Zug, der über pure Pragmatik weit hinausreicht.
Steve de Shazer bot denen, die ihn kennen lernen und bei ihm lernen durften, ganz nebenbei eine Lösung zum Umgang mit der alten Frage über das Verhältnis von Theorie und Praxis an; eine Lösung, die wieder sehr nahe bei Wittgensteins Haltung zu dieser Frage liegt. Für Steve zeigte sich das Muster der Methode gerade in der brillanten Praxis seiner Frau Insoo Kim Berg, die auf so vielfältige Art hier in diesem Buch vertreten ist, sowohl als Therapeutin im Falltranskript als auch als Gesprächspartnerin bei den Reflexionen des Teams über die Fälle.
Steve de Shazer hatte die außergewöhnliche Fähigkeit, grundlegende Einsichten aus der Beobachtung von Praxis zu gewinnen, und sich zugleich bei dem Klienten auf das ganz Konkrete eines Falles zu beschränken, ohne die KlientInnen oder die von ihm Lernenden mit inhaltlichen Thesen über die Regeln des ursprünglich gestörten Verhaltens zu belasten. Zugleich aber hatte er eine reflexive Aufmerksamkeit, eine Art methodisch-theoretischen Witness State, durch den er das, was andere in der Praxis unbewusst verkörperten, zum Vorschein brachte, beschreibbar machte und damit lernbar.
Denn ohne Bewusstsein für solche nicht mehr inhaltlich gebundenen Invarianzen höherer Ordnung ist es schwer, etwas zu vermitteln und lernbar zu machen. Der Beitrag von Steve de Shazer dazu kann aus meiner Sicht gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. So wird z. B. klar, dass Vorsicht bei jeder Verdinglichung von Gefühlen geboten ist, wo Gefühle als eine Art innere Ursache von Leiden gesehen werden: Dies kann schon die Form der Konstruktion eines Problems haben.
Steve de Shazers vielleicht am weitesten berühmt gewordene Form des Lobs auf das Nichtwissen bestand wohl in seiner Empfehlung, wenn einem eine Interpretation einfalle, möge man doch ein Aspirin nehmen, sich in die nächste Ecke hocken und warten, bis der Anfall vorbei ist. Hier wird Nichtwissen von Seiten der TherapeutInnen sogar als ein wichtiger Teil ihrer Professionalität angesehen, wären doch Interpretationen so etwas wie Einschränkungen der Freiheit der Klientinnen, unseren Erwartungen zuwiderlaufend zu antworten.
Wie Steve und Insoo uns immer wieder zeigten, stand für sie beide vor der Antwort nie fest, was die Bedeutung dessen gewesen sei, das sie gefragt hatten. Und auch aus diesem Grunde war ja aus Steves und Insoos Sicht die Wunderfrage immer wieder eine neue Frage.
Einen weiteren überraschenden Zug des lösungsfokussierten Ansatzes, der auch von erfahrenen Praktikern manchmal unterschätzt wird, ist, wie sehr lösungsfokussierte Frage eigentlich ausschließlich der Generierung relevanter Unterschiede bei den KlientInnen dienen, nicht aber der inhaltlichen Information der TherapeutInnen.4
Ein ungewöhnlicher Zug, aus meiner Sicht eine geradezu geniale didaktische Idee der AutorInnen dieses Buches ist die Idee, Gespräche im Team ohne klare Angaben, wer spricht und wer antwortet, darzustellen. Das Vorgehen kam mir erst irgendwie bekannt, aber auch irritierend vor, aber nach etwas genauerer Lektüre war ich gerade von diesem Vorgehen begeistert: Die Autoren verwenden so ein literarisches Stilmittel, das von Wittgenstein in die Philosophie eingeführt wurde: Dialoge mit mehrdeutigen Sprecherzuordnungen, die den Leser zu immer wieder neuen inneren Dialogen mit neuen Rollenverteilungen führen.5 Hier spiegeln die AutorInnen den Aufbau der Texte in den Philosophischen Untersuchungen Wittgensteins und lassen zugleich die LeserInnen eine typische konstruktivistische Lernerfahrung machen.
Auch bei dieser ungewöhnlichen partiellen Verschleierung der Herkunft mancher Argumente werden doch durch Frageformen und Themen manchmal die Sprecher transparent … das Schöne ist dann, dass dieses Vorgehen erlaubt, zwischendurch derartige Zuordnungen auch wieder zu vergessen. Die AutorInnen zeigen dabei durchaus viele relevante Unterschiede z. B. bezüglich der bevorzugten Fragereihenfolgen, ihrer Haltung zu den Skalen und zum Stellen der Wunderfrage. Wieder ist zu sehen, wie wenig normiert viele Abläufe in dem scheinbar so fast mechanisch wirkenden Procedere der SFBT liegt.
Mehr als ein Wunder: Kann es ein schöneres Motto für diesen Neuaufbruch in der Zeit nach Steve und Insoo geben? Über zwei Jahrzehnte begleitet Steve den Weg von Insa und mir, über fast eines hin durften wir auch Insoo kennen lernen. Und diese Zeit war als ganzes ein Wunder für uns. Es gab viele kleine Schritte – und letztlich blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Wie sich die Klientinnen oft buchstäblich körperlich schon während der ersten Erwähnungen des Wunders zu verändern begannen – und wie viel Erfahrung es dann brauchte, damit es bei anderen Klienten gelang; wie dieser Ansatz von Anfang an so einfach war – und welch ungeheuere Sorgfalt und Mühe es erforderte, diese Einfachheit immer wieder zu erneuern. Doch während dieser Bemühungen wuchsen die Früchte des Bemühens wie von selbst heran. Klientinnen stellten plötzlich immer geeignetere Fragen für ihren eigenen Prozess der Lösung – und wir staunten, da wir nicht wirklich wussten, was wir denn nun richtiger gemacht hatten. Manchmal fanden wir es heraus – kaum dass ein paar Jahre vergangen waren … Und dann merkten wir, dass Steve oder Insoo auf der neuen Insel, die wir so erreicht hatten, schon lange ansässig waren.
Steve und Insoo haben das Wunder in den Alltag geholt, und, vielleicht sogar noch über die Wunder hinausgehend, die Fähigkeit zur wertschätzenden Beobachtung.
Lassen sie uns Steve und Insoo zu Ehren in unser und in andrer Menschen Leben mit so viel Wertschätzung blicken, dass die Kostbarkeit der Ressourcen wieder deutlicher wird, »einen kleinen Schritt« wie es in einem der Buchtitel von Yvonne Dolan heißt und wie es viele unsrer KlientInnen sich zur guten Angewohnheit machten: erinnern wir uns daran, dass wir dem Wunder schon begegnet sind. So lädt man Wunder ein – am besten noch heute! More than Miracles!
München, den 9. Februar 2008Matthias Varga von Kibéd
1 im Folgenden: SFBT für »Solution Focused Brief Therapy«.
2 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen 217: »›Wie kann ich einer Regel folgen?‹ – wenn das nicht eine Frage nach den Ursachen ist, so ist es eine nach der Rechtfertigung dafür, daß ich so nach ihr handle.
Habe ich die Begründungen erschöpft, so bin ich nun auf dem harten Felsen angelangt, und mein Spaten biegt sich zurück …«
3 In dieser Hinsicht ist der Ansatz wirklich den analytischen und tiefenpsychologischen Auffassungen diametral entgegengesetzt. Aus Wittgensteins Sicht verwechselt Freud in seiner Theoriebildung Ursachen und Gründe.
4 Durch nichts wurde mir das so klar, wie wenn Insa Sparrer lösungsfokussierte Interviews führt, bei dem bis auf ein »Ja« oder »Nein« oder eine Skalenzahl die KlientInnen keine hörbaren Antworten geben müssen, ohne dass das einen relevanten Unterschied für den Gesamtablauf der lösungsfokussierten Arbeit macht.
5 und nebenbei Generationen von Doktoranden mit Fragen nach »der« richtigen Rollenverteilung beschäftigen werden.
Es ist mir eine besondere Freude, ein neues Vorwort für die deutsche Ausgabe von More Than Miracles schreiben zu dürfen. Steve de Shazer, dem dieses Buch gewidmet ist, fühlte sich mit seinen deutschsprachigen Kollegen und Kolleginnen auf besondere Weise verbunden und hatte große Achtung vor ihnen, und er identifizierte sich stark mit seinem deutschen Erbe. Leider verstarb Steve ein paar Wochen nach der Fertigstellung der Endfassung dieses Buches, und Insoo Kim Berg, seine Ehefrau und enge Arbeitspartnerin, verschied ein knappes Jahr nach der Veröffentlichung des Werkes in den USA.
Seit den späten 1970er Jahren widmeten sich Steve de Shazer und Insoo Kim Berg fast 30 Jahre lang der Aufgabe, den therapeutischen Ansatz zu entwickeln und konsequent zu verfeinern, der schließlich zu der international anerkannten Solution Focused Brief Therapy (SFBT/SFT)1 wurde. So wie sich durch die Begegnung mit Steve und Insoo das Leben vieler Menschen veränderte, veränderte sich auch mein Leben. Unsere Freundschaft umspannte 20 Jahre und mehrere Kontinente.
Wir begegneten uns zum ersten Mal Mitte der 1980er Jahre, als ich ihr Brief Family Therapy Center (BFTC) in Milwaukee, Wisconsin, besuchte. Von der Ambulanz des BFTC aus wurde ich in einen höhlenartigen Beobachtungsraum geführt, in dem eine große Menschengruppe saß und in gebannter Faszination zuschaute, wie eine zierliche Koreanerin mit kurzem, dunklem Haar und funkelnden Augen auf sanfte, fürsorgliche Weise hinter dem Einwegspiegel ein Therapiegespräch mit einer ungepflegten Multiproblem-Familie führte. Die Frau war Insoo Kim Berg, und sie strahlte eine unerschütterliche Achtung vor der Kompetenz, den Ressourcen und der Fähigkeit zur Selbsterkenntnis bei jedem einzelnen Familienmitglied und einen unerschütterlichen Glauben daran aus.
Ich erinnere mich, dass ich damals dachte: »Auch wenn ich mein ganzes Leben lang dafür brauche – ich möchte so therapieren lernen, wie sie das tut.« Rückblickend zeigt sich, dass ich mit diesem Zeitrahmen vielleicht gar nicht so sehr danebenlag. Als ich zwei Jahrzehnte später mit Steve in seinem letzten Lebensjahr an diesem Buch arbeitete, vertraute er mir gut gelaunt an, dass er einen großen Teil seiner Laufbahn darauf verwendet habe, alles präzise zu benennen und schriftlich festzuhalten, was Insoo tat, wenn sie lösungsfokussierte Therapien durchführte!
Steve de Shazer veröffentlichte neben zahlreichen Buchkapiteln und Artikeln fünf bahnbrechende Bücher, die bislang in 14 Sprachen übersetzt worden sind. Er war Mitbegründer des Milwaukee Brief Family Therapy Center, dessen Leitung er 1978 bis 1989 innehatte und an dem er die letzten 16 Jahre seines Lebens als Senior Research Associate wirkte.
Obwohl ich Steve de Shazer und Insoo Kim Berg über 20 Jahre lang bei ihrer Arbeit beobachtet habe, war es immer wieder eine aufschlussreiche Erfahrung, sie im Gespräch mit Klienten zu erleben. Beide gingen sehr ungezwungen mit Phasen des Schweigens um und konnten diese therapeutisch äußerst geschickt nutzen; sie betrachteten Veränderungsprozesse als einen unvermeidlichen und dynamischen Teil des Alltagslebens und wussten, dass Lösungen nicht zwangsläufig mit den Problemen zusammenhängen, die sie beseitigen.
Die lösungsfokussierte Kurztherapie ist bekanntlich zwar auf die Zukunft gerichtet und bewegt sich absichtlich an der Oberfläche des Problems, aber die Antworten der Klienten auf Kim Bergs oder de Shazers lösungsfokussierte Fragen konnten zu einer äußerst detaillierten, sehr spezifisch fokussierten Art von Lebensrückblick führen, in dem Klient und Therapeut peinlich genau die gesamte Bandbreite der Erfahrungen des Klienten durchkämmten, um zentrale Ausnahmen (d. h. Zeiten, in denen das Problem nicht vorhanden oder weniger ausgeprägt war) sowie für die Lösungsentwicklung relevante Ressourcen aufzustöbern bzw. zu benennen.
Das vielleicht bedeutsamste Moment ist das, dass Kim Berg und de Shazer Sitzung für Sitzung konsequent etwas vollbrachten, das leicht gesagt, aber oft sehr schwer umzusetzen ist: Sie zeigten großen Respekt vor den Klienten und motivierten sie leidenschaftlich zum Hoffen, und dabei gingen sie präzise, wirksam und kraftvoll mit der Sprache um. Und sie schafften es, der therapeutischen Arbeit den Anschein von Leichtigkeit zu geben.
Steve de Shazers Kommunikationsstil kann man wegen seiner präzis-knappen und sorgfältigen Wortwahl durchaus minimalistisch nennen. Doch ich würde die Aufmerksamkeit, Andacht und Fokussiertheit, mit der er seinen Klienten zuhörte, anders bezeichnen: als wertschätzende Beobachtung. Er ging nicht nur davon aus, dass Klienten ihr Bestes geben, sondern er tat etwas viel Schwierigeres und weitaus Respektvolleres: Er unterließ es ganz bewusst, auf der Basis von Annahmen menschliches Verhalten willkürlich zu interpretieren bzw. auf der Basis von Interpretationen Annahmen zu formulieren.
Sowohl Steve als auch Insoo hatten erkannt, dass der Ansatz der lösungsfokussierten Kurztherapie, den sie mit ihren Kollegen und Kolleginnen am Brief Family Therapy Center ins Leben gerufen und entwickelt haben, einer Aktualisierung und weiteren Klarstellung bedurfte. Von der Tatsache, dass Steve an einer unheilbaren Krankheit litt, als wir die Arbeit an diesem Buch aufnahmen, ging für alle Beteiligten ein Hauch von Dringlichkeit und bittersüßer Schärfe aus. Obwohl Insoo (mit der für sie typischen Bescheidenheit) darauf bestand, auf dem Titelblatt des Buches als Letzte genannt zu werden, spiegelt sich in dem wunderbaren Falltranskript und ihren wertvollen Kommentaren der starke Einfluss, den sie auf den Inhalt des Buches hatte.
Während Steve und ich die gemeinsame Arbeit an diesem Projekt schon im Juli 2003 aufgenommen hatten, bekam das Buch seine jetzige Form erst ein paar Monate später, als einige von uns (Terry Trepper, Eric McCollum, Harry Korman und ich) ihn um ein detailliertes »Update« des lösungsfokussierten Therapieansatzes baten. Als erfahrene lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten wollten wir wissen, wie die bahnbrechenden Gedanken von Steves Lieblingsphilosophen, Ludwig Wittgenstein, mit dem SFBT-Konzept zusammengehen und wie wir in der therapeutischen Praxis diese Ideen bei Klienten, Supervisanden und Studenten produktiv anwenden können. Ganz im Sinne des Modells verfolgten wir ein pragmatisches Ziel: Wir wollten als lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten besser werden.
So verbrachte das Autorenteam Stunden damit, aufgezeichnete Therapiesitzungen anzuschauen und ausgiebig zu besprechen. Da bei solchen Gelegenheiten das Aufzeichnungsgerät lief, konnte ich später einen großen Teil dieser langen Gespräche transkribieren – die als Kommentare zu den Transkripten der einzelnen Therapiesitzungen und in den einzelnen Kapiteln dieses Buches ihren Niederschlag gefunden haben.
Bei der Lektüre des Buches werden Sie vielleicht feststellen, dass sich unsere Äußerungen (d. h. die der Autoren und Autorinnen) gelegentlich überschneiden, wie das in echten Gesprächen der Fall ist. Statt stilistische Unterschiede zu nivellieren, haben wir es absichtlich bei den originalen »Stimmen« belassen, damit unsere vielfältigen persönlichen Kommunikationsstile so deutlich werden wie in einem echten Seminar – was sich in der Kürze einiger und der relativen Länge anderer Kapitel, im Ton einzelner Abschnitte und natürlich in der Wortwahl widerspiegelt.
Wer schon einmal an einem unserer Workshops teilgenommen hat, wird in diesem Buch Steve de Shazers weithin bekannte knapp und elegant formulierte Sätze und seinen kernigen Humor wieder erkennen. Man »hört« auch Insoo Kim Bergs Warmherzigkeit, ihre besondere Beobachtungsgabe und ihren respektvollen Optimismus, Harry Kormans intellektuelle Neugier, Yvonne Dolans Sachlichkeit, Terry Treppers visionäre Kraft und Eric McCollums kritisches Denken.
Und nun dürfen wir Sie einladen, sich zu setzen und uns durch dieses ungewöhnliche und spannende »Seminar« über den neuesten Stand der lösungsfokussierten Kurztherapie und ihr besonderes Verhältnis zu Wittgensteins Philosophie zu begleiten. Auf den folgenden Seiten werden Sie an erstaunlichen psychotherapeutischen Sitzungen teilnehmen, den Kommentaren der Autoren und Autorinnen lauschen und gelegentlich auch ein paar Worte des Philosophen selbst vernehmen.
Bleibt noch, Ihnen unsere »Clique« vorzustellen, deren Mitglieder seit langen Jahren befreundet sind und kollegial zusammenarbeiten. Der bärtige Mann, der einen irischen Fischerpullover trägt und ein bisschen wie Sean Connery aussieht, ist Steve de Shazer. Die anmutige, kleine Frau, die eine rote Jacke trägt und ruhig und gelassen in dem großen Ledersessel sitzt, ist Insoo Kim Berg, international gefeierte Ausbilderin, Dozentin und Autorin zahlreicher Bücher und Zeitschriftenartikel zum Thema lösungsorientierte Kurztherapie. Neben ihr sitzen Eric McCollum, der an der Virginia Tech in Falls Church im US-amerikanischen Bundesstaat Virginia lehrt, und Terry Trepper, Leiter des Family Studies Program an der Purdue University im Bundesstaat Indiana. Die Person, mit der wir über den Computer in der Ecke verbunden sind und per Internet »sprechen« können, ist Harry Korman, der als Arzt, Kinderpsychiater, Ausbilder und Supervisor nach dem Modell der lösungsfokussierten Kurztherapie arbeitet und besonders daran interessiert ist, mit welcher Art von Publikationen die SFTB leichter erlernbar gemacht werden kann.
Und nun, wie Steve de Shazer zum Auftakt eines neuen Projekts immer zu sagen pflegte: »Viel Spaß!«
Yvonne DolanChicago, Januar 2008
1 Im deutschsprachigen Raum wird die SFBT als lösungsfokussierte bzw. lösungsorientierte Kurztherapie bezeichnet, wobei Steve de Shazer die erste Bezeichnung präferierte und Insoo Kim Berg die zweite. In der Schweiz hat sich der Begriff lösungsorientierter Ansatz durchgesetzt. Um den Anschluss an die internationale Entwicklung zu gewährleisten, wird in diesem Buch die gängige Abkürzung SFBT verwendet.
Die lösungsfokussierte Kurztherapie ist ein auf die Zukunft gerichtetes und von Zielen geleitetes Herangehen an die Kurztherapie und wurde Anfang der 1980er Jahre von Insoo Kim Berg, Steve de Shazer und ihren Kollegen gemeinsam mit Klienten am Milwaukee Brief Family Therapy Center entwickelt. Da die SFBT eher durch Induktion als durch Deduktion entstanden ist, folgt sie einem höchst disziplinierten, pragmatischen und weniger einem theoretischen Ansatz (Berg u. Miller 2007; Berg u. Reuss 1999; de Shazer 1995, 1996, 2006a, 2006b). Die Entwickler dieser Therapiemethode haben im Laufe der Jahre hunderte von Therapiestunden beobachtet und dabei sorgfältig die Fragen, Verhaltensweisen und Emotionen festgehalten, die Klienten dazu bewegten, machbare und dem realen Leben angemessene Lösungen zu entwerfen und zu realisieren.
Die Fragen, die sich am durchgängigsten mit den von den Klienten angegebenen Fortschritten und Lösungen in einen Zusammenhang bringen ließen, wurden sorgfältig notiert und gewissenhaft in das lösungsfokussierte Konzept integriert, wohingegen solche Fragen, die dieses Kriterium nicht erfüllten, bewusst verworfen wurden. Der Ansatz der lösungsfokussierten Kurztherapie hat sich seit dieser Zeit zu einer der weltweit führenden Methoden der Kurztherapie entwickelt und ist in den unterschiedlichsten wirtschaftlichen, sozial- und bildungspolitischen Bereichen zu einem enormen Einflussfaktor geworden.
Das Konzept der SFBT basiert nicht auf einer bestimmten Theorie, sondern hat sich auf einer ganz pragmatischen Ebene entwickelt. Es hat seine Wurzeln deutlich erkennbar in den frühen Forschungen des Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto in Kalifornien und in der Arbeit von Milton H. Erickson, in der Philosophie von Ludwig Wittgenstein und im buddhistischen Denken. Mehrere Lehrsätze dienen als Leitlinien für die Praxis der SFBT und geben diesem Ansatz sowohl Inhalt als auch Gepräge.
Was nicht kaputt ist, muss man auch nicht reparieren. Das ist der allumfassende Lehrsatz der lösungsfokussierten Kurztherapie. Auf Interventionen zielende Hypothesen, Modelle und Philosophien sind irrelevant, wenn der Klient sein Problem bereits gelöst hat. Nichts würde absurder wirken, als in einer Situation zu intervenieren, die schon bereinigt ist. Dies scheint zwar eine fast banale Erkenntnis zu sein – dennoch gibt es einige psychotherapeutische Schulen, die eine Therapie empfehlen, obwohl sich die Lage des Klienten gebessert hat, um z. B. »Wachstum« zu fördern, um »Erreichtes zu konsolidieren« oder um »tiefer liegende Bedeutungen und Strukturen« erkennen zu können. Solchen Begründungen steht das SFBT-Konzept antithetisch gegenüber. Wenn kein Problem vorliegt, sollte auch keine Therapie durchgeführt werden.
Das, was funktioniert, sollte man häufiger tun. Ähnlich dem ersten Lehrsatz folgt auch dieser dem Motto: »Finger weg!« Wenn der Klient im Begriff ist, ein Problem zu lösen, dann sollte es die primäre Aufgabe des Therapeuten sein, den Klienten zur Fortsetzung dessen zu motivieren, was bereits funktioniert. Lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten beurteilen nicht die Qualität der Lösungen eines Klienten, sondern fragen nur, ob eine Lösung effektiv ist. Daraus ergibt sich eine weitere Aufgabe des Therapeuten: dass er nämlich dem Klienten hilft, gewünschte Veränderungen zu festigen. Dies gelingt dadurch, dass der Therapeut genau eruiert, wie Klienten sich verhalten oder reagieren, wenn es ihnen gerade besser geht. Nachdem deutlich geworden ist, was funktioniert, kann der Klient seinen Erfolg reproduzieren, und die Lösung kann sich weiter entfalten.
Wenn etwas nicht funktioniert, sollte man etwas anderes probieren. Der dritte Lehrsatz dieser Art lautet: Auch wenn eine Lösung einem noch so gut erscheinen mag – wenn sie nicht funktioniert, ist sie keine Lösung. Der Mensch hat von Natur aus die eigenartige Tendenz, Probleme immer wieder so anzupacken, dass er die gleichen Dinge wiederholt, die in der Vergangenheit schon nicht funktioniert haben. Dies trifft insbesondere im psychotherapeutischen Umfeld zu, wo viele Theorien nahe legen, dass es am Klienten liegt und nicht an der Therapie oder Theorie, wenn es ihm nicht besser geht (er also das Problem nicht löst). Nach dem Konzept der lösungsfokussierten Kurztherapie ist es dagegen so: Wenn der Klient einen Hausaufgabenvorschlag oder ein Experiment nicht umsetzt, lässt man die Aufgabe fallen und schlägt stattdessen etwas anderes vor.
Kleine Schritte können zu großen Veränderungen führen. Die lösungsfokussierte Kurztherapie kann als minimalistisches Vorgehen verstanden werden, bei dem die Konstruktion der Lösung meistens in mehreren kleinen, machbaren Schritten erfolgt. Die Annahme ist hier folgende: Sobald eine kleine Veränderung vorgenommen worden ist, führt dies zu einer Reihe weiterer Veränderungen, was dann wiederum andere Veränderungen nach sich zieht, und dies mündet allmählich ohne großen Bruch in eine viel umfassendere Veränderung des Systems. Folglich tragen kleine Schritte in der Verbesserung der Situation dazu bei, dass sich der Klient langsam und elegant dem Ziel, also den gewünschten Veränderungen im Alltagsleben, annähert und anschließend in der Lage ist, seine Situation als »besser genug« zu beschreiben, sodass die Therapie beendet werden kann.
Die Lösung hängt nicht zwangsläufig mit dem Problem direkt zusammen. Während man bei fast allen anderen auf Veränderung abzielenden Therapieansätzen nach der Abfolge »Problem führt zur Lösung« vorgeht, werden in der SFBT dadurch Lösungen entwickelt, dass der Klient zuerst beschreibt, was anders sein wird, wenn das Problem gelöst ist. Danach arbeiten Therapeut und Klient mit rückwärts gewandtem Blick, um das beschriebene Ziel zu erreichen. Das heißt, sie durchsuchen die Erfahrungen des Klienten im wirklichen Leben sorgfältig und gründlich, um solche Zeiten zu identifizieren, in denen Teile der von ihm gewünschten Lösung bereits existiert haben oder in der Zukunft möglicherweise existieren werden. Dieses Vorgehen entspricht einem Therapiemodell, in dem sehr wenig oder überhaupt keine Zeit darauf verwendet wird, den Ursprung oder das Wesen des Problems zu ergründen, die Pathologie des Klienten zu eruieren oder dysfunktionale Interaktionen zu analysieren. Zwar können solche Faktoren interessant sein und sich vielleicht auch auf das Verhalten des Klienten auswirken, doch in der SFBT fokussiert man fast ausschließlich auf die Gegenwart und Zukunft. Vor diesem Hintergrund stellt das SFBT-Konzept im Vergleich zu anderen psychotherapeutischen Modellen einen wahren Paradigmenwechsel dar.
Die Sprache der Lösungsentwicklung ist eine andere als die, die zur Problembeschreibung notwendig ist. Die Sprache, in der Probleme formuliert werden, ist tendenziell eine völlig andere als die, in der Lösungen formuliert werden. Ludwig Wittgenstein wendet das so: »Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen« (T, 6.43). Das Sprechen über Probleme ist im Allgemeinen negativ gefärbt und auf die Vergangenheit gerichtet (um den Ursprung des Problems zu beschreiben), und häufig suggeriert es das Fortbestehen eines Problems. Dagegen ist die Sprache, in der Lösungen formuliert werden, im Allgemeinen eher positiv gefärbt, erwartungsvoll und auf die Zukunft gerichtet, und sie deutet auf die Vergänglichkeit von Problemen hin.
Kein Problem besteht ohne Unterlass; es gibt immer Ausnahmen, die genutzt werden können. Dieser Lehrsatz ergibt sich aus der Vorstellung, dass Probleme vergänglich sind, und liegt der wichtigsten Interventionsart zugrunde, die in der lösungsfokussierten Kurztherapie durchgängig Anwendung findet. Gemeint ist, dass Menschen bei ihren Problemen immer Ausnahmen erleben, auch wenn es nur kleine sind, und dass diese Ausnahmen genutzt werden können, um kleine Veränderungen vorzunehmen.
Die Zukunft ist sowohl etwas Geschaffenes als auch etwas Verhandelbares. Dieser Lehrsatz bietet für die Praxis der lösungsfokussierten Kurztherapie ein solides Fundament. Der Mensch wird nicht als Gefangener seiner Verhaltensweisen betrachtet, die mit seiner Lebensgeschichte, Schichtzugehörigkeit oder einer psychologischen Diagnose zusammenhängen. Dieser Grundsatz stützt sich auf den sozialen Konstruktionismus und verweist darauf, dass die Zukunft ein Ort der Hoffnung ist, an dem die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.
Das Konzept der SFBT hat seine Wurzeln in den systemtheoretisch basierten Familientherapien der 1950er und 1960er Jahre und in der Arbeit von Milton H. Erickson (Haley 1999). Sowohl Insoo Kim Berg als auch Steve de Shazer waren eng mit dem Mental Research Institute (MRI) im kalifornischen Palo Alto verbunden. Während sich die Forschungsgruppe am MRI in erster Linie auf die Problementwicklung und Problemauflösung konzentrierte (Watzlawick, Weakland u. Fisch 2001), begann man am Brief Family Therapy Center in Milwaukee, Lösungen zu explorieren. Aus mehreren Gründen kann das derzeitige Konzept der SFBT als systemische Therapie klassifiziert werden.
Erstens befassen sich nach der SFBT arbeitende Therapeuten üblicherweise mit Systemen, weil nämlich neben Einzelpersonen ebenso Paare und Familien zur Behandlung kommen. Sie treffen ihre Entscheidung darüber, wen sie in das Behandlungszimmer bitten, nach dem Kriterium, wer zur Therapiesitzung auftaucht; denn wer immer mit dem Klienten in die Praxis kommt, wird zur Therapiesitzung eingeladen.
Zweitens werden in der SFBT Lösungen exploriert, die interaktionaler Art sind, d. h., dass die Probleme der Klienten und die Ausnahmen ihrer Probleme auch andere Menschen betreffen, und dazu zählen sehr oft die Angehörigen, Arbeitskollegen oder Lebenspartner und Freunde der Klienten.
Drittens ist es in der SFBT so, dass dem Eintritt kleiner Veränderungen häufig größere Veränderungen folgen, und diese weiter reichenden Veränderungen sind meistens interaktionaler und systembezogener Natur.
Die Aufgabe, die der Therapeut in der SFBT hat, unterscheidet sich von der Rolle, die er in vielen anderen psychotherapeutischen Ansätzen einnimmt. Lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten akzeptieren, dass es in der therapeutischen Organisation zwar eine Hierarchie gibt, diese Hierarchie aber tendenziell eher egalitär und demokratischer Natur ist als autoritär. Sie geben fast nie Urteile über den Klienten ab und vermeiden es, über die hinter seinen Wünschen, Bedürfnissen oder Verhaltensweisen stehenden Bedeutungen Interpretationen anzustellen. Die Aufgabe des nach der SFBT arbeitenden Therapeuten soll die sein, dass er Optionen auszuweiten und nicht einzuschränken versucht (Berg a. Dolan 2001). Er leitet das Therapiegespräch, tut dies aber auf behutsame Weise, und tritt dabei gewissermaßen »einen Schritt zurück« (leading from one step behind; Cantwell a. Holmes 1994, p. 17 ff.). Statt dass der Therapeut die Präsentationen des Klienten interpretiert, ihn beschwatzt, ermahnt oder zu etwas drängt, »klopft er ihm auf die Schulter« (Berg a. Dolan 2001, p. 3) und weist ihn darauf hin, dass auch eine andere Richtung überlegenswert sei.
Positive, kollegiale, auf eine Lösung gerichtete Einstellung. Zu den wichtigsten Aspekten, die in der lösungsfokussierten Kurztherapie zum Tragen kommen, zählen die Grundstimmung und die grundsätzliche Einstellung des Therapeuten. Seine Haltung ist insgesamt positiv, respektvoll und optimistisch, und er geht generell von der Annahme aus, dass Menschen starke Resilienzen besitzen und diese für Veränderungen nutzen können. Von zentraler Bedeutung ist außerdem die Überzeugung, dass die meisten Menschen die Stärke, Klugheit und Erfahrung haben, um eine Veränderung zustande zu bringen. Was andere Modelle als »Widerstand« definieren, gilt in der SFBT als (a) natürlicher Schutzmechanismus oder realistischer Wunsch des Klienten, vorsichtig zu sein und langsam vorzugehen, oder (b) als Fehler des Therapeuten z. B. aufgrund einer Intervention, die der Situation des Klienten nicht angemessen ist. Alle diese Annahmen sind die Voraussetzung dafür, dass Therapiesitzungen der Tendenz nach eher kollegial als hierarchiebetont angelegt sind (auch wenn, wie gesagt, lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten den Klienten sehr wohl »mit einem Schritt Abstand« leiten) und eher auf der Kooperation als auf der Konfrontation beruhen.
Suche nach früheren Lösungen. Nach der SFBT arbeitende Therapeuten wissen, dass die meisten Klienten zuvor schon sehr viele Probleme gelöst haben. Dies war vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt, an einem anderen Ort oder in einer anderen Situation. Das Problem ist vielleicht auch wieder aufgetaucht. Die entscheidende Erkenntnis ist aber die, dass der Klient sein Problem – wenn auch nur für kurze Zeit – schon mal gelöst hat.
Suche nach Ausnahmen. Selbst wenn Klienten zuvor keine Lösung gefunden haben, die sie anstreben können, fallen den meisten von ihnen doch Beispiele für Situationen aus der Vergangenheit ein, in denen es eine Ausnahme in Bezug auf ihr Problem gab. Eine solche Ausnahme liegt dann vor, wenn es Zeiten gibt, in denen das Problem grundsätzlich da sein könnte, de facto aber nicht vorhanden ist. Der Unterschied zwischen einer früheren Lösung und dem Zustand, in dem das Problem eine Ausnahme macht, ist klein, aber signifikant. Eine frühere Lösung bezieht sich auf etwas, das jemand aus eigener Kraft probiert und das auch funktioniert hat; aber aus irgendeinem Grund ist diese erfolgreiche Lösung nicht fortgeführt und vermutlich vergessen worden. Eine Ausnahme bezieht sich auf etwas, was anstelle des Problems geschieht – und meistens nicht einmal absichtlich herbeigeführt oder vielleicht auch gar nicht verstanden wird.
Fragen statt Direktiven oder Deutungen. Natürlich sind Fragen in allen Therapiemodellen ein wichtiges Kommunikationsmittel. So arbeiten Therapeuten aller Ausrichtungen häufig mit Fragen, besonders wenn sie die Vorgeschichte des Klienten explorieren, am Anfang einer Therapiesitzung wichtige Informationen zusammentragen oder herausfinden wollen, wie der Klient die ihm aufgetragene Hausaufgabe bewältigt hat. Fragen sind für lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten jedoch das primäre Kommunikationswerkzeug und als solche eine allumfassende Art der Intervention. Nach dem SFBT-Konzept arbeitende Therapeuten vermeiden es in der Regel, Interpretationen vorzunehmen, und bedrängen den Klienten nur selten mit direkten Herausforderungen oder Konfrontationen.
Auf die Gegenwart und Zukunft gerichtete Fragen anstelle von Fragen, die auf die Vergangenheit fokussieren. Die Fragen, die nach der SFBT arbeitende Therapeuten stellen, sind fast immer auf die Gegenwart oder Zukunft gerichtet, worin sich folgende Grundüberzeugung spiegelt: Probleme werden am besten dadurch gelöst, dass man sich auf das konzentriert, was bereits funktioniert, und darauf, wie der Klient sich sein Leben vorstellt, und sie werden nicht dadurch gelöst, dass man sich auf die Vergangenheit und den Ursprung der Probleme konzentriert.
Komplimente und Anerkennung. Dem Klienten Komplimente und Anerkennung entgegenzubringen ist ebenfalls ein wesentlicher Aspekt der SFBT. Wenn Therapeuten anerkennend bestätigen, was der Klient bereits erfolgreich unternommen hat, und würdigen, wie schwierig seine Probleme sind, ermutigen sie ihn zur Veränderung und überbringen ihm zugleich die Botschaft, dass sie ihm zugehört (d. h. ihn verstanden) haben und an ihm interessiert sind (Berg a. Dolan 2001). Komplimente im Therapiegespräch können helfen, auf den Punkt zu bringen, was der Klient bis dahin erfolgreich ausgeführt hat.
Sanfte Anstöße zu Handlungen, die schon funktioniert haben. Wenn der Therapeut mithilfe von Komplimenten und Anerkennung einen sicheren Rahmen für den Klienten geschaffen hat und frühere Lösungen und Ausnahmen des Problems entdeckt worden sind, regt er ihn behutsam dazu an, seine zuvor erfolgreichen Handlungen fortzusetzen oder Veränderungen, auf die er, der Klient, selbst gekommen ist, auszuprobieren – was häufig als »Experiment« bezeichnet wird. Es kommt nur selten vor, dass lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten dem Klienten Vorschläge machen oder ihm Aufgaben stellen, die nicht auf seinen früheren Lösungen oder auf Ausnahmen des Problems beruhen. Am besten ist es immer, wenn Veränderungsideen und Aufgaben – zumindest indirekt während des Therapiegesprächs – vom Klienten ausgehen und nicht vom Therapeuten gestellt werden; denn der Klient ist mit diesen angestrebten Verhaltensweisen vertraut.
Bereits vor der Sitzung eingetretene Veränderung. Gleich zu Beginn oder in den frühen Phasen des ersten Therapiegesprächs stellen lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten den Klienten meistens folgende Frage: »Sind Ihnen, seit Sie den Termin für diese Sitzung gemacht haben, irgendwelche Veränderungen aufgefallen, die bereits eingetreten sind oder die sich im Moment abzeichnen?« Auf diese Frage gibt es drei mögliche Reaktionen.
Erstens: Der Klient sagt, dass überhaupt nichts geschehen sei. In diesem Fall macht der Therapeut einfach weiter und beginnt die Sitzung mit einer Frage, z. B.: »Wie kann ich Ihnen heute helfen?« oder »Was müsste heute geschehen, damit diese Sitzung wirklich hilfreich für Sie ist?«.
Zweitens: Der Klient antwortet, dass die Situation sich zu bessern beginne oder besser geworden sei. In diesem Fall stellt der Therapeut viele Fragen zu den Veränderungen, die sich abzuzeichnen beginnen, was die Erhebung vieler Einzelheiten erfordert. Damit beginnt der Prozess des »Sprechens über Lösungen«, in dem von Anfang an die Stärken und Resilienzen des Klienten betont werden und der es dem Therapeuten erlaubt, die Frage zu stellen: »Angenommen, diese Veränderungen würden weiterhin in diese Richtung gehen; wäre es dann das, was Sie gerne hätten?« Diese Frage bietet die Möglichkeit, ein konkretes, bejahendes und an Veränderung orientiertes Ziel ins Auge zu fassen.
Drittens: Der Klient teilt mit, dass die Situation gleich geblieben sei. In diesem Fall kann der Therapeut z. B. fragen: »Ist es ungewöhnlich, dass die Situation nicht schlimmer geworden ist?« oder »Wie haben Sie überhaupt verhindern können, dass die Situation nicht schlimmer geworden ist?«. Solche Fragen können Informationen über frühere Lösungen und Ausnahmen aufdecken und diese zum Thema eines lösungsfokussierten Gesprächs werden lassen.
Auf Lösungen gerichtete Ziele. Wie in vielen psychotherapeutischen Modellen sind klare, konkrete und spezifische Ziele auch im Konzept der lösungsfokussierten Kurztherapie ein wichtiges Element. Der lösungsfokussiert arbeitende Therapeut strebt an, dass sich möglichst eher kleinere als größere Ziele herauskristallisieren. Noch wichtiger ist es, Klienten dazu zu ermuntern, ihre Ziele als Lösung zu definieren und nicht als die Abwesenheit eines Problems. Es ist z. B. vorteilhafter, wenn ein Ziel so formuliert wird: »Wir wollen, dass unser Sohn netter zu uns ist« – was ausführlicher beschrieben werden müsste – und nicht so: »Wir hätten es gerne, dass unser Kind uns nicht zum Teufel wünscht«. Außerdem: Wenn ein Ziel als Lösung formuliert wird, lässt es sich leichter skalieren (siehe unten).
Die Wunderfrage. Manchen Klienten fällt es schwer, überhaupt ein Ziel zu formulieren – von einem lösungsfokussierten Ziel ganz zu schweigen. Das gilt vor allem für Multiproblem-Familien oder solche Menschen, denen das Problem so massiv vorkommt, dass sie allein schon aufgrund der Beschreibung eines Ziels den Eindruck bekommen, dadurch würde das Ausmaß des Problems und seine erdrückende Wirkung auf die Betroffenen abnehmen. Wenn man die Wunderfrage einsetzt, um nach einem Ziel des Klienten zu fragen, vermittelt dies einerseits einen gewissen Respekt vor der Größe des Problems, führt aber gleichzeitig auch dazu, dass der Klient sich kleinere und besser zu bewältigende Ziele ausdenkt.
Der genaue Wortlaut dieser Intervention kann zwar schwanken, aber die Grundformulierung ist folgende:
Ich stelle Ihnen jetzt eine ziemlich seltsame Frage. [Pause] Die seltsame Frage lautet: [Pause] Nach unserem Gespräch werden Sie zurück zu Ihrer Arbeit (nach Hause, in die Schule) gehen, und Sie werden den restlichen Tag damit verbringen, ihren Alltagsgeschäften nachzugehen, z. B. die Kinder versorgen, Abendessen zubereiten, fernsehen, die Kinder baden usw. Schließlich wird es Zeit sein, schlafen zu gehen. Um Sie herum ist es ganz still, und Sie schlafen friedlich ein. Mitten in der Nacht geschieht ein Wunder, und das Problem, über das Sie heute mit mir sprechen, ist gelöst! Doch dies geschieht, während Sie schlafen, und deshalb können Sie gar nicht wissen, dass in der Nacht ein Wunder geschehen ist, das Ihr Problem gelöst hat. [Pause] Worin könnte, wenn Sie dann morgen früh aufwachen, die kleine Veränderung bestehen, sodass Sie sagen werden: »Toll, es muss etwas passiert sein – das Problem ist weg!« (Berg a. Dolan 2001, p. 7)?
Auf die Wunderfrage reagieren Klienten ganz unterschiedlich. Manche sind verwundert und sagen vielleicht, dass sie die Frage nicht verständen. Manche lächeln auch. Wenn Klienten genügend Zeit zum Nachdenken haben, fallen Ihnen jedoch meistens einige sehr spezifische Dinge ein, die anders wären, wenn ihr Problem gelöst wäre. Diese Antworten kann man dann üblicherweise als Therapieziele annehmen. Insofern führen die Reaktionen des Klienten zu einer mehr ins Detail gehenden Beschreibung davon, wie er sich sein Leben vorstellt, was dann wieder dazu beitragen kann, dass er seine früheren Lösungen und Ausnahmen beleuchtet.