Mein Herz ließ sich nicht teilen - Claudia Wenzel - E-Book

Mein Herz ließ sich nicht teilen E-Book

Claudia Wenzel

0,0
20,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Von der Zerrissenheit zur Einheit? Die beliebte Schauspielerin Claudia Wenzel wirft zum 35. Jahrestag des Mauerfalls einen emotionalen und kritischen Blick auf ihr Leben in der DDR und das wiedervereinigte Deutschland  »Warum bleibst du nicht einfach drüben?«, eine Frage, die Claudia Wenzel kennt. Bei Gastspielen in der Bundesrepublik Deutschland hatte sie zahlreiche Möglichkeiten, in den Westen »rüberzumachen« – und dennoch kehrte die Schauspielerin stets in die ostdeutsche Heimat zurück. Denn was hätte sie in einem Land ohne Familie, Freunde und die vertrauten Orte gesucht? Gleichzeitig beunruhigten sie die politischen Zustände in der DDR zunehmend.  Als Ostdeutsche, aufgewachsen hinter der Mauer, schlug Claudia Wenzel ihren ganz eigenen Weg in einem geteilten Deutschland ein. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Schauspieler Rüdiger Joswig, der damals eine andere Entscheidung traf und die DDR verließ, kämpft sie heute gegen das Vergessen und für die Erinnerung an eine Zeit, die das ganze Land nachhaltig geprägt hat.  35 Jahre nach dem Mauerfall blickt die Schauspielerin zurück auf ihre eigene Zerrissenheit. Sie beleuchtet einen prägenden Abschnitt deutscher Geschichte und wirft einen kritischen Blick auf die heutige gesellschaftliche sowie politische Landschaft.  »Als ›Ossi‹ stelle ich mir die Frage, ob die Wiedervereinigung ihr Versprechen erfüllt hat. Haben wir aus der Geschichte gelernt oder existiert die Mauer noch immer in unseren Köpfen?«Claudia Wenzel

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 253

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Claudia Wenzel

Mein Herz ließ sich nicht teilen

Eine Wendegeschichte

Knaur eBooks

Über dieses Buch

»Ich kann mich noch so genau an all die heißen Monate im Herbst 1989 in Leipzig erinnern, an die Ängste, die Hoffnungen, die Erlebnisse und, wie die meisten Deutschen, an den alles verändernden 9. November 1989: Wo ich war, was ich tat, welche Gefühle mich überkamen, als das Unglaubliche des Mauerfalls geschah! Endlich Demokratie, endlich in Freiheit leben. Endlich wieder vereint zu sein – ein Traum. Wie haben sich meine Vorstellungen, Träume und Wünsche erfüllt, wie wurden die vielen Hoffnungen umgesetzt? Wie fühlt sich das an, wenn man dreißig Jahre im Sozialismus gelebt hat, in diesem System aufgewachsen und davon geprägt zu sein – und nun schon 35 Jahre im Kapitalismus zu leben? Die Erfahrungen mit zwei ganz unterschiedlichen Gesellschaftsformen haben mein Leben bestimmt, und ich bin froh, beide kennengelernt zu haben bzw. zu erleben.«

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Widmung

Vorwort

1969 Der schwarze Filzstift

1961 Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen …

1971 Kindheit in der DDR

1974 Essen in der DDR

1968 Diplomaten im Trainingsanzug

1959 Frauen in der DDR

1978 Mauerblümchen

1979/80 Studentenaustausch in Moskau

1982 Mein erstes Theaterengagement am Leipziger Schauspielhaus

1984 Jenseits der Mauer I

1985 Mauerliebe

1987 Die Mauergeschichte meines Mannes

1988 Rentnerzug im November

1988 Jenseits der Mauer II (Wir müssen hierbleiben)

Mai 1989 Letzte Kommunalwahlen in der DDR

1989 Die Mauer wankt

1989 Eine Mauer in den Herzen

9. November 1989 »Mein« Mauerfall

November 1989 Begrüßungsgeld

Jahresende 1989 Das Ende der DDR

1990 Mauergeld

1990 Risse in der Mauer

1989/90 Mauerabriss

1991 Mein erstes Westauto, ein blauer Ford Fiesta

1991 Erste Drehtage hinter der Mauer – die Serie Unser Lehrer Dr. Specht

1992 Freiheit auch im Beruf

November/Dezember 1993 Marokko – mein erster Auslandsdreh

November 1995 Fünf Jahre Wiedervereinigung und sechs Jahre nach dem Mauerfall

März/April 1996 Zweimonatiger Dreh in Thailand

1998 Zehn Jahre nach dem Mauerfall

2002 Theater hinter der Mauer

8. März 2011 Internationaler Frauentag

2015 Lesung im ehemaligen »Zonenrandgebiet«

2019 30 Jahre Mauerfall

2020 Wir helfen Schauspielern

2021 Dreharbeiten zu Der Bergdoktor in Österreich

August 2023 Mauerbilder-Ausstellung

Herbst 2023 Schiffsreise in der großen, weiten Welt

9. November 2023 34. Jahrestag des Mauerfalls

Dezember 2023 Auch eine Mauergeschichte

5. Februar 2024 Mauergedanken

April 2024 Was weißt du von der DDR?

Mai 2024 Worüber ich heute nachdenke

2024 Wünsche zum 35. Jahrestag des Mauerfalls

Bildteil

Dank

Vita Claudia Wenzel

Bildnachweis

In Dankbarkeit, Erinnerung und Liebe

meinen Eltern

Nelly und Manfred

 

Am Set von »Sturm der Liebe« mit den Eltern

Vorwort

Ein Buch zum 35. Jahrestag des Mauerfalls, von einer Schauspielerin. Keine Biografie – oder doch? Ja, Geschichten aus meinem Leben, Geschichten von einer Frau, die im Osten Deutschlands aufgewachsen ist, die den unfassbaren, glücklichen Tag des Mauerfalls erlebt hat und nun seit 35 Jahren in diesem wiedervereinten Deutschland leben darf.

Wirklich schon 35 Jahre? Ich kann mich noch so genau an all die heißen Monate im Herbst 1989 in Leipzig erinnern, an die Ängste, die Hoffnungen, die Erlebnisse und, wie die meisten Deutschen, an den alles verändernden 9. November 1989: Wo ich war, was ich tat, welche Gefühle mich überkamen, als das Unglaubliche des Mauerfalls geschah! Endlich Demokratie, endlich in Freiheit leben. Endlich wieder vereint sein – ein Traum.

Wie haben sich meine Vorstellungen, Träume und Wünsche erfüllt, wie wurden die vielen Hoffnungen umgesetzt? Wie fühlt sich das an, wenn man dreißig Jahre im Sozialismus gelebt hat, in diesem System aufgewachsen und davon geprägt zu sein – und nun schon 35 Jahre im Kapitalismus zu leben? Die Erfahrungen mit zwei ganz unterschiedlichen Gesellschaftsformen haben mein Leben bestimmt, und ich bin froh, beide kennengelernt zu haben bzw. zu erleben.

Dass es aber im 35. Jahr des Mauerfalls immer noch Mauern in den Köpfen und Herzen der Menschen gibt, dass das Land immer noch in Ost und West geteilt ist – obwohl das doch eigentlich nur Himmelsrichtungen sein sollten –, das beschäftigt mich, das verwundert mich, und ja, das regt mich auf!

Warum ist das so? Ist das Desinteresse an den »anderen« so groß? Interessiert es wirklich so wenige, wer wir sind, woher wir kommen? Warum gibt es immer noch den »Ossi« und den »Wessi«? Und wer hat sich diese albernen Begriffe eigentlich ausgedacht?

Wenn mir am Tag der Maueröffnung jemand gesagt hätte, dass wir im Jahr 2024 immer noch über Ostdeutsche und Westdeutsche reden würden, ich hätte ihn für verrückt erklärt. In einer Umfrage der Zeitung Super TV zum Jahreswechsel 1992/1993, Thema: Was wünschen sich Prominente zum Jahreswechsel?, sagte ich damals: »Lohnangleichung, Arbeitsplätze, freundlichen Umgang miteinander, Verständnis bei den »Wessis«.« Und an all diesen Themen hat sich bis heute nichts geändert.

 

Vor zehn Jahren, zum 25. Jahrestag des Mauerfalls, habe ich beschlossen, etwas zu tun, um mitzuhelfen, die vielen Missverständnisse und das Unwissen der »Wessis« gegenüber der DDR-Geschichte zu ändern und mehr Verständnis zu wecken. Anlass waren Gespräche mit jungen Kollegen, die ich immer wieder bei Dreharbeiten oder im Theater führte. Diese jüngeren Leute hatten keine Ahnung von der DDR und erzählten gleichzeitig Dinge über dieses Land, denen ich nur ungläubig zuhören konnte. Also fing ich an, Erlebnisse aus meinen Jahren in der DDR und in der Wendezeit aufzuschreiben. Daraus entstand dann die Zeitzeugenlesung Zeitenwende – Lebenswende, die ich zusammen mit meinem Mann, dem Schauspieler Rüdiger Joswig, vor allem in Schulen hielt. Ich hatte herausgefunden, dass die deutsche Geschichte nach 1945 und besonders die DDR-Geschichte in nur zwei Unterrichtsstunden abgehandelt wurde. Oder oft gar nicht. Unglaublich!

Unterstützt von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur fand die Premiere dieser Lesung in Berlin in der Landesvertretung von Sachsen-Anhalt statt, meinem Heimatbundesland. Gleichzeitig hatte ich dazu eine Ausstellung organisiert: als Kuratorin von Berliner Mauerbildern meines Vaters, des Malers und Kunsterziehers Manfred Wenzel, der die Berliner Mauer von 1990 bis 1992 immer wieder gemalt hat. Die Resonanz war beachtlich. Besonders die anschließenden Gespräche und Diskussionen nach den vielen Lesungen, die wir in den letzten zehn Jahren gehalten haben, Gespräche mit Jugendlichen und Erwachsenen, haben mich in meinem Anliegen bestärkt.

Durch persönliche Erlebnisse und Erzählungen kam man ins Gespräch, tauschte seine Erfahrungen aus. Denn auch die Zuhörerinnen und Zuhörer können ja viel erzählen. Ein erheblicher Teil von ihnen stammt aus den »alten Bundesländern« und weiß wenig über die DDR und die »neuen Bundesländer«. Durchaus verständlich, sie mussten sich einfach nicht dafür interessieren. Ich kann dies sogar nachvollziehen: Wieso sollte man in diesen Teil Deutschlands schauen, wo die Russen stationiert waren, wo Sozialismus herrschte, wo die kapitalistische BRD das Feindbild war? Wo einem zwar nicht die normalen Menschen, aber doch sämtliche Staatsvertreter, nicht zuletzt an der innerdeutschen Grenze, mehr als deutlich zu verstehen gaben, dass man nicht willkommen war? Die DDR war eine fremde Welt für viele BRD-Bürger, weit weg und häufig einfach uninteressant, manchmal auch unheimlich.

In der Gegenrichtung sah es anders aus: Wir im Osten schauten immer nach dem Westen, hielten Kontakt mit Verwandten, so gut es ging, hörten Westradio und sahen Westfernsehen. Und immer war da – jedenfalls für die allermeisten – diese Sehnsucht, auch so leben zu können.

Die Westdeutschen kamen oft nur in die DDR, um Verwandte zu besuchen, und dabei erfuhren sie hautnah, wie der DDR-Bürger lebt. Aber ob sie auch immer erfuhren, wie er denkt? Vieles wurde ja nur hinter vorgehaltener Hand erzählt.

Das Touristenvisum, das es natürlich auch gab, wurde deutlich weniger genutzt; viele BRD-Bürger wussten gar nicht, dass es die Möglichkeit gab, touristische Reisen in die DDR zu unternehmen. Außerdem wurden Besuche in die DDR vonseiten des Staates erschwert: unwürdige Grenzkontrollen, Schikanen, der Tagesgeld-Zwangsumtausch von 25DM … Dies waren keine freundlichen Einladungen in das deutsche Nachbarland.

 

Ja, und dann geschieht auf einmal Unerhörtes. Im Jahr 1989 gehen die DDR-Bürger auf die Straße und demonstrieren friedlich für Veränderungen in ihrem Land. In einer Diktatur! Was für eine Leistung, welch ein Mut, was für eine Kraft! Der ganze Ostblock ist im Wandel. Die Menschen wollen nicht mehr propagandistisch manipuliert werden, haben die Nase voll von einer Regierung, die sich vom Volk entfernt hat. Sie wollen Freiheit, freies Denken, Umwandlung der Gesellschaft, Mitspracherechte, Pluralismus, Reisefreiheit und … und … und …

Und dann fällt die Mauer.

1969 Der schwarze Filzstift

Es war zu meinem zehnten Geburtstag im September 1969. Voller Vorfreude auf die vierte Klasse zog ich meine Pionierkleidung an, erlebte den Fahnenappell zur Eröffnung des neuen Schuljahres und wurde wieder als stellvertretende Gruppenratsvorsitzende meiner Klasse gewählt. Alles selbstverständliche, normale Rituale, die mich als Kind mit Stolz erfüllten.

 

Mein Pionierleben empfand ich als Bereicherung, wurde doch durch die Pioniere unsere Freizeit am Nachmittag sinnvoll gestaltet. Man konnte im Sportverein trainieren, zur Musikschule gehen oder Schach spielen lernen. Das haben wir Kinder alle von unserem Vater gelernt: Schach spielen!, und in der Schul-AG fortgesetzt. Meine Schwester Sylvia wurde mehrmals DDR-Meisterin, spielt bis heute im Verein Schach und ist sogar Weltmeisterin im Schach in der Ü-50-Gruppe! Die Arbeitsgemeinschaft Kochen war immer besonders gefragt, weil man am Ende des Nachmittags das leckere frisch gekochte Essen verspeisen durfte. In der Schulküche kochten jeden Tag ältere Frauen das Essen frisch, aber natürlich schmeckte es uns Kindern oft nicht, und die ständigen Wiederholungen auf den Wochenplänen fanden wir langweilig. Aber die Schulspeisung gehörte zu unserem Alltag wie die Viertelliter-Milchflasche in der Vormittagspause. In unserer Schule gab es sogar ein kleines Schwimmbecken im Keller, wo wir schwimmen lernten.

Wie gesagt: Wir waren sinnvoll beschäftigt, und fast alles war kostenlos. Nur bei wenigen Aktivitäten wurde ein geringer Beitrag verlangt. Für uns Kinder aus einer kinderreichen Familie war alles frei. Dass dahinter ein Erziehungsmodell stand, das auf Indoktrination setzte, verstanden wir Kinder nicht. Den Traum von einer klassenlosen, friedlichen Gesellschaft, in der alles für die Menschen getan wurde, nahm ich gern an.

 

Urkunde der Pionierorganisation für gute schulische Leistungen

 

Mein Geburtstag Mitte September rückte näher, und ich freute mich auf das Geburtstagspaket von meiner Oma Ida aus dem Westen, der BRD. Da gab es alles, dachte ich als Kind; Dinge, die man sich bei uns gar nicht vorstellen konnte. In der Werbung im Westfernsehen hatte jemand von Filzstiften erzählt: bunte Stifte, die wie Tuschkastenfarbe malten, ohne dass man sie nass machen musste. So etwas wollte ich unbedingt haben, und so hatte ich meine West-Oma gebeten, mir diese tollen Stifte zum Geburtstag zu schenken.

Der Geburtstag kam, und auf dem Geburtstagstisch stand das Westpaket, das immer ganz besonders roch, nach Orangen, Seife, Kaffee. Westgeruch, der Duft der großen, weiten Welt! Meine Geschenke waren schön verpackt: Marsriegel, Kaugummi und Alpina-Schokolade – und die ersehnte große Packung mit dreißig Filzstiften in unterschiedlichen Farben. Was für eine Freude! Die Malstifte wurden gleich ausprobiert, und meine Geschwister durften sie auch nur kurz in die Hand nehmen. Mein Schatz!

Meine Mutter sagte wie immer: »Nichts von dem Westzeug wird mit in die Schule genommen!« Das kannten wir schon, auch wenn wir als Kinder nicht verstanden, dass sie uns und die Familie mit diesem Verbot nur schützen wollte. Ja, wir schauen kein Westfernsehen, wir geben nicht an mit Westsüßigkeiten, und wir erzählen am besten gar nichts von der West-Oma.

Meine Mutter war Lehrerin und Horterzieherin – der Hort war die Ganztagsbetreuung bis 17 Uhr – an der großen Wittenberger August-Bebel-Schule, und Westverwandtschaft war immer, besonders in einer Kleinstadt, ein heißes Thema. Am liebsten wäre es der DDR-Führung gewesen, wenn alle Bürger des Landes die Kontakte zu Familienmitgliedern im Westen abgebrochen hätten. Manche DDR-Bürger taten das auch, oder mussten es tun. Wir nicht.

 

Mein Zeugnis aus der 1. Klasse – beide Eltern haben das erste Zeugnis ihrer Tochter mit Stolz unterschrieben.

 

 

Ende September konnte ich es allen Mahnungen zum Trotz nicht mehr aushalten. Wie Kinder so sind, wollte ich meinen Schulkameraden diese Filzstifte zeigen und natürlich auch ein bisschen damit angeben. Also nahm ich sie heimlich mit in die Schule. Im Zeichenunterricht, als es hieß, malt doch bitte, was ihr in den Sommerferien erlebt habt, packte ich meine große Packung Filzstifte aus und begann zu malen. Als meine Lehrerin sah, dass ich keinen Tuschkasten benutzte, sondern diese Stifte, fragte sie, was das sei. Voller Begeisterung erzählte ich von den Filzstiften, die wie Wasserfarben malen, zeigte ihr die Stifte und erzählte natürlich auch, dass diese Stifte aus dem Westen von meiner Oma waren.

Die Lehrerin nahm die Packung, stellte sich vor die Klasse und sagte, die anderen Kinder, die vielleicht keine West-Oma hätten, würden doch sicher auch gern solche Stifte haben. Und schließlich würden junge Pioniere doch alles teilen. Deshalb würde sie vorschlagen, dass sich jeder meiner Mitschüler einen Stift aussuchen dürfte.

Gesagt, getan. Ich saß da wie gelähmt und verfolgte, wie meine Filzstiftpackung immer leerer wurde. Als die Packung wieder bei mir ankam, war nur noch der schwarze Filzstift übrig. Ich wollte auf keinen Fall heulen, aber am Nachmittag im Hort ging ich zu meiner Mutter, erzählte ihr alles und weinte bitterlich.

Mutti sagte nur: »Wir reden heute Abend zu Hause in Ruhe darüber.«

Beim Abendbrot, dies war immer unser Ritual, saß die Familie zusammen. Bei fünf Kindern war ein Drei-Pfund-Mischbrot vom Bäcker für 93 Pfennige immer schnell aufgegessen. Wie jeden Abend sprachen wir über unseren Tag. Meine Eltern schimpften mich nicht aus wegen der Filzstiftgeschichte, sahen sie doch, wie sehr ich darunter litt. Aber sie wiederholten natürlich ihre schon so oft gehaltene Predigt: dass sie immer wieder gesagt hätten, dass nichts von den Westdingen mit in die Schule genommen werden sollte. Sie sagten uns auch, dass sie als Lehrer Ärger bekommen könnten, aber wir verstanden das gar nicht so richtig. Nach diesen »Ansprachen« ging mein Vater immer wortlos in sein Atelier.

So war es auch an diesem Abend. Meine Mutter saß noch mit uns Kindern am Küchentisch und griff bei der Gelegenheit gleich noch mal eine Geschichte auf, die einer meiner Schwestern kurz zuvor in der Schule passiert war. Die hatte nämlich im Zeichenunterricht, als sie gerade eingeschult worden war, Pippi Langstrumpf gemalt, eine Figur, die es im DDR-Fernsehen nicht gab (die ersten Pippi-Fernsehfolgen waren gerade im Westfernsehen gelaufen, die Pippi-Bücher gab es in der DDR erst ab 1975). Meine Schwester hatte sich rausgeredet, sie hätte sich selbst gemalt – sie hatte nämlich rote Haare und viele Sommersprossen. Trotzdem wurde meine Mutter zum Direktor der Schule zitiert und bekam einen Verweis. Als Pädagogin in einer sozialistischen Schuleinrichtung Westfernsehen zu schauen, war ein Unding. Und dann auch noch Pippi Langstrumpf, die sich ihre Welt so macht, wie es ihr gefällt! Ein Mädchen, das niemals erwachsen werden wollte, frech und witzig. Das hatte nichts mit den vorbildlichen, ordentlichen Pionieren zu tun.

Meine Mutter saß nach dem Verweis in der Schule weinend am Küchentisch. Mein Vater kam aus seinem Atelier, das gleichzeitig das Schlafzimmer meiner Eltern war, und versuchte, uns die Situation sachlich und ruhig zu erklären. Er sagte zum tausendsten Mal: »Wir erzählen keinem vom Westfernsehen, nicht von Filmen mit Pippi Langstrumpf oder anderem, was wir dort sehen. Das ist verboten, und wenn jemand davon erfährt, passieren schlimme Dinge.« Wir Kinder hatten das alles schon so oft gehört. Wir fühlten uns dann immer schuldig, irgendwie, aber letztlich begriffen wir nicht, warum und wieso.

 

Urkunde Galerie der Freundschaft

 

Als meine Oma im Sommer wieder für vier Wochen zu uns in die »Zone« kam (so nannte sie die DDR immer), ging ich mit ihr in den Intershop. In solchen Läden konnte man Westwaren mit konvertierbarer Währung, also in diesem Fall mit D-Mark, kaufen. Meine Oma besuchte diesen Laden, in Wittenberg in einer Seitenstraße versteckt, während ihres Aufenthalts mit jedem Enkelkind einmal. Wir durften uns in diesem »Wunderladen«, in dem es verführerisch nach »Westpaket« roch, etwas aussuchen. Ein Buch von Pippi Langstrumpf gab es leider nicht. Das war schade, denn dieses selbstbewusste, starke Mädchen begeisterte mich. Zum Glück, sage ich heute, denn ich hätte es bestimmt auch mit in die Schule genommen. Dafür bekam ich endlich eine neue Packung Filzstifte, diesmal eine besonders große. Jetzt hatte ich also zwei schwarze Filzstifte.

1961 Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen …

Jedes Jahr in den Sommerferien fuhren meine Eltern an die Ostsee, nach Born auf der Halbinsel Darß. In den Anfangsjahren verbrachten sie die Ferien dort zu zweit, später mit uns Kindern. Mitte der Fünfzigerjahre, als diese traumhafte Region vor allem von Künstlern besucht wurde, hatte mein Vater den Darß kennengelernt. Sein Bruder, mein Onkel Karlheinz, studierte in Berlin an der Kunsthochschule Weißensee, und die Studenten aus seinem Studienjahr, unteranderen Horst Zickelbein, waren bei den Pleinair-Malereien mit ihrem Professor Horst Strempel in unterschiedlichen Quartieren in Born untergebracht. Mein Vater, der damals auch schon malte, durfte die Gruppe begleiten. Bezahlt wurde meist mit Bildern und Zeichnungen vom Ort, vom wilden Weststrand an der Küste des Darßer Waldes, von der Boddenlandschaft oder mit Porträts der alten Borner Fischer und Kapitäne.

So entstand die Liebe zu diesem Dorf auf dem Darß, wo wir durch die vielen Kontakte meines Vaters jeden Sommer »DDR-Luxusurlaub« verbringen konnten, unabhängig von FDGB-Plätzen oder staatlichen Einrichtungen, die die viel zu wenigen Urlaubsplätze nach unterschiedlichsten Kriterien zuteilten. Wir wohnten in Privatquartieren, die von Einheimischen vermietet wurden. Sie selbst zogen während der Ferienzeit in die Scheune oder in kleinere Zimmer. Nun zurück zum Sommer 1961. Vieles von dem, was ich hier erzähle, habe ich erst viel später erfahren oder verstanden – ich war in jenem Sommer ja kaum zwei Jahre alt.

Mein Opa Karl hatte bereits Ende der Fünfzigerjahre in Bayern Arbeit gefunden. Meine Oma Amler war mit den Söhnen in Wittenberg geblieben und ihm erst nachgefolgt, als diese erwachsen wurden, Arbeit hatten und verheiratet waren. Immer wieder war in der Familie das Thema angesprochen worden, uns nachzuholen. Mittlerweile war mein Bruder sechs Jahre alt und stand kurz vor der Einschulung. Mein Bruder lebte bei unserer anderen sudetendeutschen Oma, die erst in den Fünfzigerjahren aus der Tschechoslowakei nach Wittenberg hatte kommen können. Meine Tante Herta hatte über den Suchdienst des Roten Kreuzes nach jahrelangen Bemühungen ihre Eltern und die anderen Geschwister ausfindig gemacht und die Familie meiner Mutter wieder zusammengebracht.

In diesem Jahr also, 1961, redeten die Erwachsenen darüber, den Sommerurlaub auf dem Darß zu verbringen, so wie die letzten Jahre auch, und auf der Rückfahrt im August in Berlin über die Grenze zu gehen. Meine Eltern erzählten mir später, dass dies aber alles sehr ungewiss war. Sie selbst waren unentschlossen, die Familie meines Vaters drängte, die Familie meiner Mutter, die sich nun alle in Wittenberg nach jahrelanger Suche endlich wiedergefunden hatten, wollten sie auch nicht verlieren, aber die Argumente meines Opas waren überzeugend.

 

Meine Aufzeichnungen aus dem Schulfach Staatsbürgerkunde. Thema in der 7. Klasse: Warum bestehen heute zwei deutsche Staaten?

 

Irgendwann nach der Wende, in einem Sommerurlaub auf dem Darß mit meinen Eltern, redeten wir über den Mauerfall, den letzten Sommerurlaub 1989 mit unseren komischen Gefühlen damals am Ende dieses Urlaubs. »Irgendwie wird nächsten Sommer alles anders sein …«, hatten wir da gesagt, auf die Ostsee geblickt und uns vom Meer verabschiedet, wie jedes Jahr nach den Urlaubswochen auf dem Darß.

»So ein Gefühl hatten wir schon mal«, sagte meine Mutter an diesem Abend, und dann erzählten mir meine Eltern, während wir im Sand am Weststrand saßen, noch einmal genau davon, und ich hörte ungläubig zu.

Mein Vater sagte: »Das Schicksal hat damals für uns entschieden. Wir saßen am 13. August 1961 am Strand so wie jetzt, badeten und genossen die Sonne, und als wir am Abend mit den Fahrrädern wieder in den Ort Born kamen, erfuhren wir, dass eine Mauer gebaut wird in Berlin, dass keiner mehr die Stadt in Richtung Westberlin verlassen kann.« Das Schicksal! Fünfzehn Jahre zuvor hatte es entschieden, dass die Familien ihre Heimat im Sudetenland verlassen mussten. Und jetzt entschied es, dass sie im Osten Deutschlands bleiben würden.

Von nun an lebte ein Teil der Wenzel-Familie – meine Oma Ida und mein Opa Karl – im Westen und der andere Teil, die Familie meiner Mutter, meine Oma Amler und wir, im Osten. Eine Familie, geteilt und getrennt wie das Land.

 

Und ein drittes Mal sollte das Schicksal im Leben meiner Eltern Einzug halten! Denn was sie nie für möglich gehalten hätten, geschah tatsächlich: Die Mauer fiel.

1971 Kindheit in der DDR

Viele Geschichten vom Alltag in der DDR sind noch nicht geschrieben, sind noch nicht erzählt. Ich erinnere mich, wie uns im Winter Freunde aus dem Ruhrgebiet besuchten und sagten, dass sie der Geruch nach Kohle an ihre Kindheit erinnere. Kohleöfen waren bis zur Wende in den meisten DDR-Haushalten normal; die Wohnungen mit Zentralheizungen, die es fast nur in Neubauten gab, waren heiß begehrt. So war das Thema Kohle in der DDR auch für uns immer aktuell. Es gab den Kohle-Bezugsschein, mit dem die Winterkohle zugeteilt wurde.

Der Zentner Kohle kostete 1,85DDR-Mark und wurde im Sommer bestellt, weil es Sommer- und Winterpreise gab und der Sommerpreis natürlich geringer war. Im Gegensatz zu Berlin, wo von Kohleträgern die Kohlen in den Keller gebracht wurden, gab es in der Provinz diese Erleichterung nicht. Durch Beziehungen erreichte mein Vater allerdings immer öfter, dass unsere Kohle nicht vor dem Wohnhaus auf die Straße gekippt, sondern mit einem kleinen Auto auf den Hof gefahren wurde. Er verkündete stolz: »Ich hab es wieder geschafft, dass die Eidechse [ein kleines Transportauto mit dem offiziellen Namen M21] die Kohle bringt!« So war der Weg mit den Eimern zum Keller viel kürzer, und wir konnten die Kohlen auch durch das Kellerfenster reinschippen – eine große Erleichterung.

Wir Kinder versuchten, uns so gut wie möglich vor dieser Aktion zu drücken, aber am Ende liefen wir doch alle mit Eimern die Kellertreppe hoch und runter, ganz schnell, um im dunklen Keller keiner Ratte zu begegnen. Nach der sportlichen Aktion sahen wir aus wie die Schornsteinfeger, und es ging ab ins Bad, wo meine Mutter den Kohleofen angeheizt hatte. Wir badeten dann immer zu zweit in der Wanne, das Wasser wurde schwarz, und eine kalte Dusche folgte, weil das warme Wasser nicht reichte. Dann wurden wieder Briketts nachgelegt, und mein Papa wartete bei einer Zigarette auf sein warmes Bad. Am nächsten Tag hatten wir alle Muskelkater, kamen uns aber sehr stark und erfolgsgekrönt vor.

Ich erinnere mich gern an die Sonntage, wenn ich mit meinen Geschwistern noch im Bett lag und mein Vater mit den typischen Geräuschen am frühen Morgen unseren Ofen im Kinderzimmer anheizte. Wenn wir dann im warmen Zimmer aufstanden und über den kalten Flur in die Küche zum Frühstück huschten, war der Sonntag perfekt.

Badetag war bei uns immer freitags. Der Ofen im Bad wurde geheizt, und wenn ich vom Training zu spät nach Hause kam, konnte es schon mal vorkommen, dass ich in das lauwarme Badewasser einer meiner Schwestern steigen musste, weil der Ofen schon wieder abgekühlt war.

 

Kohlebezugsschein aus dem Jahr 1969. Sommerkohle war billiger als Winterkohle, der Preis war staatlich subventioniert.

 

Bis in die Neunzigerjahre hatte ich durchgehend Ofenheizung, wo auch immer ich wohnte. Erst als der Hausbesitzer aus dem Westen nach der Wende sein Mehrfamilienhaus in Leipzig, genauer gesagt: in Gohlis, sanierte und neue Fenster und eine Zentralheizung einbaute, konnte ich zum ersten Mal diesen Luxus genießen. Bis heute finde ich es wunderbar, wenn ich im Winter in wohliger Wärme in allen Räumen sitzen kann, und ich bin froh, mir diesen Komfort leisten zu können.

1974 Essen in der DDR

Es stimmt, Bananen gab es nicht. Nur ab und zu in den Westpaketen meiner Oma, und das war immer etwas ganz Besonderes. Dann gab es ein Butterbrot und darauf die Bananenscheiben. Wir Kinder liebten das.

Eine lustige Begebenheit in einem Supermarkt in Westberlin, kurz nach dem Mauerfall, ist mir in Erinnerung geblieben. Ein Mann hatte Bananen in seinem Einkaufswagen, das Regal mit den Bananen war leer. Da kam eine ältere Dame auf ihn zu, griff in den Wagen und nahm die Bananen heraus, während sie zu ihm sagte: »Ihr habt lange genug Bananen gegessen, jetzt sind wir dran.«

Bananen, Orangen, Südfrüchte: Das waren wirklich besondere Früchte, die es in der DDR nie gab – zumindest in der Provinz, und schon gar nicht in den Sechziger- und Siebzigerjahren.

Natürlich, Essen war immer da: Es gab den Milchladen, den Lebensmittelladen, den Bäcker und in unserem Haus eine Fleischerei. Dadurch hatten wir besondere Beziehungen zur Fleischerei Mackwitz. So gab es bei uns, ohne dass wir anstehen mussten, gute Wurst und besonderes Fleisch zum Wochenende. Jeden Freitag schrieben meine Eltern einen Zettel mit unseren Wünschen, der wurde abgegeben, und am Samstag konnten wir die Ware abholen, ohne lange anstehen zu müssen. Hintenrum, an der Wohnungstür – das fanden wir Kinder besonders toll. Wenn wir auf dem Hof spielten, bekamen wir auch ab und zu eine Wiener Wurst geschenkt, frisch aus dem Wurstkessel. Die Familie Mackwitz verwöhnte unsere kinderreiche Familie immer sehr und ertrug den Kinderlärm mit Gelassenheit.

Bis zum Tod meiner Eltern war diese Wohnung, dieser Ort, dieser Hof in der Thomas-Müntzer-Straße 10 A unser Familienmittelpunkt, und sie ist bis heute für mich verbunden mit wunderbaren Kindheits- und Jugenderinnerungen.

Es war auch in anderen Läden so: Wenn man die Verkäufer kannte, bekam man ab und zu etwas Besonderes, unter dem Ladentisch. Bückware, so nannten wir die Ware, die gar nicht erst in den Verkaufsregalen lag, weil einfach zu wenig davon da war, und für die sich die Verkäuferin unter den Ladentisch bücken musste.

Wir Kinder fanden das eintönige Angebot von Rotkohl und Weißkohl im Gemüseladen unmöglich, aber meine Eltern hatten guten Kontakt zu einer Wittenberger Gärtnerei, und so kauften wir unser Gemüse und Obst dort, saisonbedingt, was aus heutiger Sicht besonders gesund und umweltschonend ist: Im Frühjahr gab es grünen Kopfsalat, dann kamen die Radieschen, Gurken, Tomaten und irgendwann im Herbst die Pflaumen. Und dann war es Zeit für ein traditionelles Familiengericht von meinen sudetendeutschen Großmüttern Oma Ida und Oma Amler: Pflaumenknödel!

Später hat diese Knödel meine Mutter jedes Jahr im Herbst gemacht, bei uns fünf Kindern waren es über hundert, die auf dem Tisch standen. Sie hat uns allen das Rezept beigebracht. Von Generation zu Generation wurde es weitergetragen, und jetzt koche ich jedes Jahr im Herbst die wenzlisch-amlerischen Pflaumenknödel – zur Freude von Familie und Freunden.

Damals wollten meine Geschwister und ich uns beim Essen der Pflaumenknödel immer gegenseitig übertrumpfen. So zählte jeder seine Pflaumensteine auf dem Teller, und wer die meisten Steine hatte, war der Sieger. Das war meistens mein Bruder, und der hatte hinterher oft Bauchweh.

Bis heute liebe ich dieses Gericht und freue mich, wenn die Pflaumenzeit beginnt. Dann werden mein Mann, unsere Familie, die Neffen und Nichten, Patenkinder und Freunde mit dieser Köstlichkeit verwöhnt. So wurden schon in Ost und West, in Nord und Süd diese Knödel gegessen, und meist wird für Unwissende die traditionelle Familiengeschichte dazu erzählt. Oft reden wir dann darüber, wie es war in der DDR, wie es war hinter der Mauer.

Wir sind glücklich aufgewachsen, wir haben gemeinsam gelacht, haben geliebt, haben kräftig gefeiert, und wir haben viel gearbeitet und oft gemeinsam um Tische gesessen und politisch diskutiert, auch beim Pflaumenknödel:

Pflaumenknödel Traditionelles Familienrezept

2 Pfund Kartoffeln kochen, schälen und über Nacht stehen lassen.

Mehl auf ein Brett stäuben und die Kartoffeln durch eine Kartoffelpresse drücken.

2 Eier, 2 Esslöffel Grieß, 1 Prise Salz und ca. 250  g Weizenmehl in die Kartoffelmasse geben und alles gut durchkneten (der Teig darf nicht an den Händen kleben bleiben, also Mehl dazu!).

Den Teig ausrollen und in kleine Vierecke teilen (ca. 6–8 cm, je nach Größe der Pflaumen).

Die Pflaumen mit einem Tuch abwischen (nicht waschen!). Je eine Pflaume mit Stein (wegen des Aromas) auf die Teigvierecke legen und daraus Knödel formen.

Die Knödel in Salzwasser ca. 8 Minuten kochen (offener Topf), bis sie oben schwimmen.

Die fertigen Knödel in eine Kasserolle legen, mit Zimt und Zucker bestreuen und dann mit heißer brauner Butter (vorher in der Pfanne auslassen) begießen.

1968 Diplomaten im Trainingsanzug

Ein Sonntag 1968. Der Wecker klingelt um 6.30 Uhr. Los geht es zum Bahnhof und dann ab in den Zug zum Wettkampf nach Halle an der Saale. Seit der zweiten Klasse trainiere ich bei der Leichtathletik-Sportgruppe Lok Wittenberg dreimal in der Woche. Im Sportunterricht bin ich durch meine guten Leistungen, besonders im Laufen, aufgefallen, und wie bei allen Sichtungen von Talenten im DDR-Schulsystem wurde ich zum Sportverein BSG (Betriebssportgemeinschaft) Lok Wittenberg geschickt.

Das Training macht Spaß, die Sportgruppe ist groß, alle Altersklassen sind vertreten. Wir trainieren mit den älteren Sportlern, manche schon über zwanzig Jahre alt, eine bunt zusammengewürfelte Gruppe mit einem aufopferungsvollen Trainer Manfred Kuschel aus Wittenberg. Im Sommer trainieren wir auf der »Kampfbahn des Friedens«, einem kleinen Stadion mit Aschenbahn, im Winter im Lenin-Park und in der Jahn-Turnhalle. Alles bestens organisiert. Sogar die Trainingsanzüge, Wettkampfsachen mit Lok-Emblem und Sportschuhe bekommen wir vom Verein gestellt. Die Wettkampfsachen sind kostenlos; für die Trainingssachen wird ein kleiner Betrag gezahlt. Lok Wittenberg wird von der Deutschen Reichsbahn – so hieß sie im Osten ja noch bis 1993 – unterstützt, sodass wir auch mit den Zügen immer mit Freifahrtscheinen zu den Wettkampforten fahren können.

In Halle ist der Kleiner-Trompeter-Crosslauf angesagt, und nach einigen Siegen bei unterschiedlichen Wettkämpfen, diesmal auch in Halle, wird eine Trainerin von der Kinder- und Jugendsportschule »Friedrich Engels« in Halle an der Saale auf mich aufmerksam. Meine Erfolge in der Altersklasse Mädchen C sind auch immer wieder in der Presse nachzulesen.

Dazu ein Ausschnitt aus dem Artikel der Zeitung Freiheit vom August 1969: »Die relativ beste Leistung brachte die 9-jährige Claudia Wenzel (Lok) über 800 m der Mädchen C, sie verabschiedete sich aus der niedrigsten Klasse mit einer enormen Verbesserung ihres eigenen Kreisrekordes, der nun auf 2:54,4 min steht.«

Mein Trainer bei Lok Wittenberg sagt mir, dass man mich zu einer Sichtung besonderer Sporttalente an die Sportschule einlädt, und ich denke sofort, ja, das will ich! Mehr noch: Ich will Olympiasiegerin werden. Ich möchte auf dem Siegerpodest ganz oben stehen. Dass es auch darum gehen würde, mein Land zu vertreten, daran habe ich zu dieser Zeit noch gar nicht gedacht.