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Glücklich werden für Anfänger Jedes Jahr wieder fasst Izzy die gleichen Vorsätze: nein zu den falschen Männern, nein zu Muffins, nein zu Alkohol. Als in einer Redaktionskonferenz die Idee entsteht, es einmal anders anzugehen, ist die junge Journalistin gar nicht begeistert. Ein Jahr lang soll sie jeden Monat einmal ja sagen zu einer Herausforderung und darüber schreiben. Von einem Festival-Auftritt oder einer neuen Haarfarbe bis zu der Aufgabe, sich mit einem entfremdeten Familienmitglied auszusprechen, die Herausforderungen sind vielfältig. Izzy lernt dabei ganz neue Seiten an sich kennen – und je größer ihr Selbstbewusstsein wird, desto aufregender wird ihr Liebesleben.
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Seitenzahl: 598
Hannah Doyle
Mein Jahr zum Glück
Roman
Aus dem Englischen von Lena Kraus
Ihr Verlagsname
Jedes Jahr wieder fasst Izzy die gleichen Vorsätze: nein zu den falschen Männern, nein zu Muffins, nein zu Alkohol. Als in einer Redaktionskonferenz die Idee entsteht, es einmal anders anzugehen, ist die junge Journalistin gar nicht begeistert. Ein Jahr lang soll sie jeden Monat einmal ja sagen zu einer Herausforderung und darüber schreiben. Von einem Festivalauftritt oder einer neuen Haarfarbe bis zu der Aufgabe, sich mit einem entfremdeten Familienmitglied auszusprechen, die Herausforderungen sind vielfältig. Izzy lernt dabei ganz neue Seiten an sich kennen – und je größer ihr Selbstbewusstsein wird, desto aufregender wird ihr Liebesleben.
Hannah Doyle hat als Journalistin für zahlreiche Magazine gearbeitet. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Yorkshire. «Mein Jahr zum Glück» ist ihr erster Roman.
Wenn ich die nächsten paar Stunden meines Lebens vermassele, muss ich mich endgültig geschlagen geben. Das heißt Männer ein für alle Mal vergessen und Katzenmama werden, soll die Allergie doch machen, was sie will. Ich stehe also kein bisschen unter Druck. Ich verziehe das Gesicht, als ich mein Spiegelbild betrachte und mir versehentlich die Mascarabürste ins Auge steche.
Mist.
Ich krame in meiner Kommode nach einem Wattestäbchen und wische damit wild an dem verschmierten Fleck herum. Schwarze Augenringe sind nicht gerade das Richtige für heute Abend. Ich hatte da eher an einen Look à la Victoria’s-Secret-Model gedacht. Nicht, dass ich vorhabe, in Unterwäsche und mit Flügeln aufzukreuzen. Man erscheint nicht halbnackt zu einer ruhigen Familienfeier. Außerdem habe ich an Weihnachten 127 Würstchen in Blätterteig gegessen und fühle mich mehr nach #carbbaby als nach #beastmode.
Ignorieren wir die Tatsache, dass sowohl Kniebeugen als auch Ausfallschritte nötig waren, um meine Jeans dazu zu bewegen, über meine Oberschenkel zu rutschen. Es ist schließlich Silvester, und man muss nur durch die ermutigenden Mantras auf Instagram scrollen, um zu wissen, dass sich heute alle einfach toll fühlen.
Neuer Anfang, neue Ideen, neue Energie!
Ein neues Jahr beginnt, und die Möglichkeiten sind unendlich.
Yeah! Ich bin bereit für diesen Abend. Mein Traummann kommt auch, und das hier wird das Jahr, in dem er mir endlich hilflos zu Füßen liegen wird, zu Tränen gerührt davon, wie großartig ich bin, und fest entschlossen, für immer mein Sklave zu sein. Ich kann leider schon einige erfolglose Versuche, ihn für mich zu gewinnen, verbuchen. Bis jetzt war der gefühlskalte Klotz völlig blind für meinen Charme.
Versuch 1: Heute vor drei Jahren. Er hat mir zugezwinkert, bevor er eingeschlafen ist.
Versuch 2: Heute vor zwei Jahren. Er hat ein paar Worte gelallt, die ich für ein Kompliment zu meinen Brüsten hielt, bevor er eingeschlafen ist.
Versuch 3: Letztes Jahr. Er hat tatsächlich meinen Hintern begrapscht, bevor er eingeschlafen ist.
Es könnte sein, dass ich das Objekt meiner Begierde nicht besonders vorteilhaft darstelle. Das möchte ich gerne klarstellen. Er heißt Gorgeous George. Und das ist er auch. Gorgeous, meine ich. Er sieht wahnsinnig gut aus. Abgesehen davon, dass er bei der alljährlichen Silvesterparty meiner Eltern zu viel Whisky trinkt, ist er der perfekte Mann. Er ist nicht nur erfolgreicher Manager in einer Werbeagentur, er gibt einem auch das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. Wenn wir uns unterhalten, leuchten seine Augen, und es ist, als wäre ich der einzige Mensch auf der Welt. Er ist außerdem unglaublich heiß, erwachsen genug, um ein Haus im Osten von London zu besitzen, nichts macht ihm mehr Spaß als ein gutes Scrabble-Match, und – das ist der springende Punkt – er ist Single.
Der einzige Nachteil ist, dass wir irgendwie ein bisschen verwandt sind. Er ist der Bruder meines Schwagers. Gibt es für diesen Verwandtschaftsgrad eine bessere Bezeichnung? Ist es illegal, mit dem Bruder seines Schwagers zu schlafen? Eigentlich möchte ich das gar nicht wissen, jedenfalls nicht, bis heute Nacht vorbei ist und er völlig hoffnungslos meinem Charme erlegen ist, ob wir nun verwandt sind oder nicht.
Wie die nervigste Schwester der Welt, aka Olivia, es geschafft hat, Sam, den nicht minder gutaussehenden Bruder von Gorgeous George, einzusacken, werde ich wohl nie erfahren. Klar, sie ist attraktiv und intelligent und mit dem glänzendsten, goldenen Haar gesegnet, das ich je gesehen habe, aber sie ist auch echt fies. Sie hat mein Lieblingspony von My Little Pony gekidnappt, als wir noch klein waren, und es immer noch nicht zurückgegeben. Und dann war da auch noch der Tag, an dem mein Herz wegen ihr in klitzekleine Splitter zersprungen ist. Nicht, dass ich heute noch jemals daran denke. Es ist eben einfach so, dass niemand Mädchen mag, die in allem immer die Besten sind.
«Hast du das nicht letztes Jahr auch angehabt?»
Na toll, da ist sie also und mustert kritisch mein Outfit. Sie weiß ganz genau, dass ich letztes Jahr etwas anderes anhatte, die blöde Kuh.
«Nein, Liv, das ist neu», seufze ich.
«Hm», macht sie und stellt sich neben mich, um ihr Spiegelbild zu bewundern. Ich sage zwar gerne, dass sie aussieht wie Khloe Kardashian vor ihrem Makeover, aber eigentlich stimmt das nicht. Olivia sieht umwerfend aus. Sie trägt einen federleichten, grauen Cashmere-Pullover, den sie in einen silbern glitzernden Plisseerock gesteckt hat, der bis kurz unter ihre Knie reicht. Dank ihres alljährlichen Winter-Sonnenurlaubs – Ich kann einfach nicht ohne ihn leben! – sind ihre Beine gebräunt, und die schwarzen, spitzen High Heels passen zu dem schwarzen Band, das sie um ihre unglaublich schlanke Taille geschlungen hat.
Sie dreht sich einmal im Kreis, sodass ihr Rock nur so fliegt, dann verschwinden sie und ihr selbstverständlich perfekter Pferdeschwanz aus meinem Zimmer. «Ich helfe Mum mit den Häppchen», ruft sie noch. «Versuch, dich heute Abend nicht komplett lächerlich zu machen.»
Diese manipulative Ziege. Sie weiß verdammt noch mal ganz genau, dass ich hoffe, dass es heute mit George klappt. Ja, ich habe letztes Jahr Weißwein über mein Top geschüttet und aus Versehen an einem ziemlich traurigen und einsamen Wet-T-Shirt-Contest teilgenommen. Aber deshalb muss sie mich jetzt noch lange nicht so passiv-aggressiv daran erinnern.
«Einfach drüberstehen», empfehle ich meinem Spiegelbild und zupfe das weiße Spitzenoberteil zurecht, das ich mir für heute Abend zugelegt habe. Ich hoffe, dass der respektable, aber dennoch verheißungsvolle Ausschnitt genau das Richtige für eine Familienfeier ist, zu der man hauptsächlich geht, um sich einen Kerl zu angeln.
«Ganz locker», füge ich noch hinzu. Meine beiden verbleibenden Little Ponys, die noch immer einen Ehrenplatz in meinem Kinderzimmer haben, wiehern ermutigend.
Man könnte also sagen, dass Silvester schon eine ganze Zeit lang nach demselben Muster abläuft. Es ist nicht so, dass ich keine anderen Einladungen bekommen würde. Meine beste Freundin feiert gerade auf einem Rave ab und hat gefragt, ob ich mitkomme. Und ein paar Mädels von der Arbeit bleiben in London und schauen sich das Feuerwerk an. Ich liebe Feuerwerk! Aber Silvester zu Hause ist zur Tradition geworden, und seit George vor drei Jahren auf der Gästeliste auftauchte, nachdem er meine Mutter auf der Hochzeit von Sam und Olivia gehörig um den Finger gewickelt hat, gehe ich besonders gerne hin. Außerdem steht es im Kalender meines Handys, und einen jährlichen Event löschen zu müssen, ist wirklich das Allerschlimmste, oder?
Wie auch immer, heute wird es ganz anders als an allen anderen Silvesterabenden, die ich in den letzten Jahren zu Hause verbracht habe. Normalerweise läuft alles wie ein Uhrwerk. Es ist jetzt 19:02 Uhr, also wird Mum noch in den nächsten achtzehn Minuten verzweifelt Häppchen vorbereiten, gefolgt von einem «Sprung» nach oben, um sich «fertig zu machen». Dad fährt währenddessen Grandpa abholen. Gorgeous George und Sam haben sich für 19:30 Uhr angekündigt, und wenn sie zur Tür hereinkommen, wird ihren Mänteln ein leichter Biergeruch anhaften, weil sie den Nachmittag im Pub verbracht haben. Mum wird genau rechtzeitig erscheinen, um die Häppchen zu kredenzen – ich wette, es gibt Würstchen im Schlafrock. Das Abendessen beginnt um Punkt 20 Uhr, und Dad wird wie immer am Vortag zu Waitrose geschickt worden sein, um ein riesiges Stück Fleisch zu holen. Wahrscheinlich Rind. Grandpa wird mich etwas ungeheuer Peinliches zu meinem Liebesleben fragen, und ich werde vor mich hin stammeln und Loblieder darauf singen, wie toll mein Job ist. Was weiter entfernt von der Wahrheit ist, als ich es mir wünschen würde. Nachtisch um 21 Uhr. Käseplatte in der Küche ab ungefähr 22 Uhr. Die Eltern werden darüber kichern, dass Grandpa eingenickt ist, und kurz darauf selbst einschlafen, was mir die Chance gibt, George mit einer Mischung aus verführerischen Blicken und dem Angebot, ihm noch ein Stück Cornish Yarg von der Käseplatte zu holen, auf mich aufmerksam zu machen. Um 22:30 Uhr sind wir alle sturzbetrunken. Meine Eltern werden um 23:40 Uhr von ihrem eigenen Schnarchen aufwachen, wir werden zusammen Auld Lang Syne singen, dann werden die Jungs auch einschlafen, und ich werde mich kurz nach Mitternacht niedergeschlagen ins Bett schleichen.
Aber nicht dieses Jahr, Freunde! Ich habe in meinem Notizbuch die Momente aufgeschrieben, in denen alles schiefgegangen ist, und daraus eine Liste gemacht. Sie heißt: Dinge, die du an Silvester nicht tun wirst, du Hornochse. Ich habe die gefährlichste Zeitspanne mit einem Textmarker markiert, in etwa zwischen 21 Uhr und 22:30 Uhr, da trinke ich normalerweise zu viel Sekt. Ich habe die Vermutung, dass genau das mein größter Fehler war – genauso wie die Tatsache, dass ich versucht habe, einen Käse, der nach Füßen riecht, als Köder für meinen Traummann zu verwenden.
Mit so viel Schwung, wie meine neuen hohen Schuhe zulassen, schreite ich nach unten.
«Hübsch siehst du aus, Liebling», sagt Dad und schwenkt eine Garnele in meine Richtung.
«Danke, Dad.» Ich lächele und drehe mich um, um meiner Schwester zuzugrinsen, aber sie ist sehr gut darin, jedes Lob zu ignorieren, das nicht an sie gerichtet ist.
«Richard, jetzt konzentrier dich doch mal! Die Vol-au-Vents füllen sich nicht von selbst.» Wie vorausgesagt, ist Mum langsam etwas gestresst.
«Izzy, würdest du bitte noch ein Tablett Würstchen im Schlafrock machen?» Sie wedelt mit irgendetwas in Richtung Ofen. «Die nächste Ladung müsste jeden Moment fertig sein.»
Ich gehe in die Hocke – eine beachtliche Leistung, wenn man bedenkt, wie hoch meine Absätze sind – und spähe in den Ofen.
«Heute Abend kommen sieben Leute, und du hast jetzt schon ungefähr siebentausend Würstchen gemacht», informiere ich sie.
«Mach dich nicht lächerlich. Es ist Silvester! Also, ich muss jetzt wirklich auf einen Sprung nach oben gehen und mich fertig machen.»
Hast du dein Handy da, oder hast du es gegen zehn Knicklichter eingetauscht? Ich brauche Hilfe. Es läuft alles andere als nach Plan.
Düster drücke ich auf Senden, lasse das Handy auf meinen Schoß fallen und schaufele Rinderbraten in mich hinein. Olivia langweilt uns alle damit zu Tode, wie sie sich während einer Yogastunde bei Sonnenaufgang in Sri Lanka selbst gefunden hat.
«Ich habe eine völlig neue Sicht auf das Leben bekommen. Ich bin so dankbar dafür, dass ich euch habe.» Sie lächelt milde in die Runde. «Und Sam, natürlich. Baby, ich weiß wirklich nicht, was ich ohne dich machen würde. Das nächste Jahr wird einfach toll für uns.»
Ich verdrehe die Augen und schenke mir noch einen Schluck Wein ein. Ohne Witz, eine Woche Yogakurs, und sie denkt, sie ist Gwyneth Paltrow. Ganz aus Versehen hat sie vergessen zu erwähnen, dass sie sich auf der Reise etwas eingefangen und deshalb die Hälfte der Zeit auf dem Klo verbracht hat.
«Es ging nicht nur darum, dieses letzte, hartnäckige Pfund loszuwerden», fährt sie fort. «Das habe ich natürlich auch, aber …»
«Weil du die Sch…»
«Wie gesagt», fällt sie mir ins Wort und starrt mich böse an. «Es ging darum zu lernen, die einfachen Dinge wertzuschätzen. Ich bin so dankbar dafür.»
«Klingt mir sehr nach Hokuspokus», meldet sich Grandpa, mein Superheld. «Izzy, hast du schon einen Liebsten?»
Verdammt.
«Du kennst mich doch, Grandpa.» Ich zwinge mich zu einem breiten Lächeln. «Auf der Arbeit ist es gerade total verrückt, es gibt so viel zu tun, da ist das einfach nicht meine erste Priorität.»
«Diese Zeitschrift, die klaut dir noch die besten Jahre deines Lebens, wenn du nicht aufpasst», antwortet er. «Wie alt bist du jetzt, vierundzwanzig?»
«Ähm … fünfundzwanzig.» Ich verziehe das Gesicht.
«In dem Alter waren deine Grandma und ich längst verheiratet und fleißig dabei, Babys in die Welt zu setzen. War ziemlich munter, deine Grandma.» Er kichert leise vor sich hin.
MEINE OHREN!
Niemand möchte «Babys in die Welt setzen», «deine Grandma» und «ziemlich munter» im selben Satz hören. Glücklicherweise macht sich mein Handy bemerkbar und lenkt mich von Grandpas Sexualtrieb ab. So schnell ich kann, verschwinde ich ins Badezimmer.
Total nüchtern. Haha. Was gibt’s? Liegt GG dir schon zu Füßen?
Jamie ist meine allerbeste Freundin und der großartigste Mensch, den ich je getroffen habe. Man darf sich von ihrem Namen nicht verwirren lassen, sie ist wirklich ein Mädchen. Keine andere ist cool genug, um einen Jungennamen so souverän zu rocken wie sie.
PS: Hab grade einen Fotografen kennengelernt, der Nacktfotos von mir machen will!
Sie ist irgendwie auch ein Risikofaktor.
SAG NEIN. GG liegt mir nicht zu Füßen. Wir haben fast gar nicht miteinander geredet. Ich hab zu viel getrunken, und Grandpa fragt mich über mein Liebesleben aus. Der ewige Kreislauf.
Ich setze sechs traurige Emojis hinter meine Antwort und dann noch einen lächelnden Kackhaufen.
Und was machst du jetzt gerade?
Sitze im Gäste-WC und schreibe dir.
Hör sofort damit auf! Du willst doch nicht, dass er denkt, du hast eine Blasenentzündung. Geh wieder zurück und sei super!
Ich versuch’s.
Viel Glück. Halt mich auf dem Laufenden.
Dad schnarcht. Grandpa schnarcht. Mum macht ein süßes Gurgelgeräusch, das das zierliche Äquivalent von Schnarchen ist.
«Neue Drinks», erklärt Sam und schaut von einem schnarchenden Verwandten zum nächsten.
«Ja!», jubelt George.
«Nein, nein, schon gut», sage ich. Ich bin definitiv ein bisschen angetrunken. Aber George hat seine Hand an meine Taille gelegt und führt mich zurück ins Esszimmer.
«Zur Bar», befiehlt er. Ich weiß nicht, ob das Kribbeln in meinen Fingern vom Körperkontakt zu George kommt oder ob der Sekt mich nach und nach lähmt.
Olivia hebt den Deckel von der globusförmigen Minibar, in der Mum und Dad den Alkohol aufbewahren. Sie greift nach dem Whisky. Würg. Sie füllt unsere Gläser, und ich schaue auf mein Handy. 22 Uhr. Mitten in der Gefahrenzone.
Ich muss mit GG allein sein, und zwar schnell.
Denk nach, Isobel, denk nach!
«Und, George?» Ich drehe mich zu ihm um. «Hast du schon das Video von dem Babyschwein gesehen, das sich so gerne wälzt? Es ist unglaublich süß, soll ich’s dir zeigen?»
Hm … YouTube-Videos eines sich wälzenden Schweinchens sind vielleicht nicht der beste Einstieg in ein langes, glückliches Eheleben. Ich schwenke trotzdem energisch mein Handy vor seiner Nase hin und her.
«Vielleicht später?», schlägt er vor. «Ich habe nämlich Neuigkeiten für euch alle, und da unsere Gläser gerade voll sind, scheint es mir ein guter Zeitpunkt zu sein.»
Er hebt seinen Whisky hoch und strahlt uns an.
Oh mein Gott, das ist der Moment. Jetzt wird er erklären, dass er sich in mich verliebt hat! Ich wusste, dass sich diese Hand an meiner Taille anders angefühlt hat als der Pograbscher letztes Jahr. Bedeutungsvoller. Heißer als heiß.
Ich fummele an meinem Glas herum, unsicher, ob ich ihm in die Augen sehen kann, wenn er endlich seine wahren Gefühle gesteht.
«Ich habe eine Freundin», grinst George.
«Oh George, ich hatte ja keine Ahnung!» Ich lege eine Hand an mein Herz und …
Moment.
«Sorry, was?», stammele ich.
«Sie heißt Temple. Wir haben uns letzten Monat auf einem Flug nach Barcelona kennengelernt. Ich war geschäftlich unterwegs, sie wollte sich die Stadt ansehen, und es stellte sich heraus, dass wir im selben Hotel wohnen!» Er strahlt.
«Wow, es war also Schicksal?», meldet sich Olivia zu Wort. Gut, dass ich meinen Whisky schon hinuntergestürzt habe, sonst wäre ihr Cashmere-Pullover jetzt damit getränkt.
«Könnte man so sagen», antwortet George. «Ich meine, es ist noch früh, aber ich bin ziemlich begeistert. Sie ist so unbeschwert und spontan. Hat wahrscheinlich damit zu tun, dass sie Australierin ist.»
In meinem Kopf schreie ich: Ich bin auch sorglos und spontan! Na ja, ich könnte es jedenfalls sein. Und wer zur Hölle heißt bitte TEMPLE?
«Mann, das sind ja tolle Neuigkeiten.» Sam klopft seinem Bruder auf die Schulter. «Ich will sie unbedingt kennenlernen.»
«Ich auch», fügt Olivia hinzu. «Sie ist bestimmt wunderschön. Sind die Aussies doch immer, oder, Izzy?»
Aber ich starre ins Leere, am Boden zerstört.
«Iz?» Olivia lässt nicht locker.
«Was? Oh, absolut. Aussies … unglaublich», sage ich, stelle mit leicht zitternder Hand mein Glas auf den Tisch und puste mir eine blonde Strähne aus dem Gesicht.
«Alles okay?», fragt Sam. Die Besorgnis ist ihm in sein schönes, freundliches Gesicht geschrieben.
«Ich fühle mich ein wenig …» Ich bewege mich langsam rückwärts aus dem Raum. «Glaube, ich bin ziemlich fertig.»
Ich muss unbedingt aufhören, «ziemlich fertig» zu sagen. Nicht cool. Australische Mädchen sagen das bestimmt nie.
«Ich geh lieber ins Bett», füge ich hinzu.
«Aber es ist doch noch gar nicht zwölf!» George runzelt die Stirn.
«Sorry, dass ich so eine Spaßbremse bin», murmele ich. «Nacht.»
Wenn ich die nächsten 365 Tage hier unter der Decke verbringen könnte, wäre das super. Dass meine Träume für das neue Jahr in die Brüche gehen, bevor es überhaupt angefangen hat, ist sogar für mich ein Rekord. Ich ziehe die Decke bis zur Nase hoch und greife nach meinem Handy. Zeit, mich mit meinem Schicksal abzufinden.
Ich tippe gerade «Kann man hypoallergene Katzen kaufen» bei Google ein, als eine Nachricht aufblinkt.
FUNKSTILLE gestern Abend. Bitte sag, dass es daran lag, dass du die ganze Nacht mit GG gevögelt hast.
Na toll. Meiner besten Freundin von gestern zu erzählen, wird die Misere nur noch realer machen, aber irgendwann muss ich dieses Pflaster wohl herunterreißen. Kurz und schmerzlos.
Ist nicht so gut gelaufen. Ich habe angeboten, ihm dieses süße Schweinchenvideo zu zeigen, um das Eis zu brechen …
Lange Pause.
Interessante Wahl. Hat es funktioniert?, fragt Jamie dann endlich.
Er hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt und verkündet, dass er eine neue Freundin hat. Australierin. Temple.
TEMPLE? WTF? Geht es dir gut?
Nicht wirklich. Ich habe gesagt, ich bin so fertig, und dass ich eine Spaßbremse bin, und dann bin ich vor Mitternacht schlafen gegangen. Ich hab sogar das Feuerwerk im Fernsehen verpasst und alles.
Ich spüre, wie mir eine einsame Träne die Wange herunterläuft. Ich liebe doch Feuerwerk.
Und jetzt googelst du nach Katzen für alte Jungfern?
Ja.
Ach du Scheiße. Komm zurück nach London, und zwar auf der Stelle. Jamie kümmert sich um dich.
Das Einhorn-Emoji am Ende ihrer Nachricht bewirkt tatsächlich, dass ich mich ein bisschen besser fühle.
Nach einem deprimierenden Frühstück, bei dem der Rest meiner Familie sich tatsächlich auf das neue Jahr zu freuen schien und Little Miss Perfect keine Gelegenheit ausließ, George zu seiner neuen Freundin auszufragen, bin ich geflohen. Ich war sehr dankbar, dass ich die Zugtickets schon vor den Feiertagen gebucht hatte. Ich hatte nicht einmal die Kraft, meine Kontaktlinsen einzusetzen, George weiß jetzt also auch, wie ich mit meiner uralten Billigbrille aussehe.
Immerhin hat Grandpa mir einen Zehner zugesteckt, bevor ich gegangen bin, und jetzt bin ich am Bahnhof in Nottingham und stapele Himbeermuffins und Schokobrownies auf der Theke von Costa Coffee auf.
«Diät fängt morgen an», murmele ich in Richtung der Kassiererin.
Es ist bitterkalt und der graueste Tag seit langem, was perfekt zu meiner Stimmung passt. Ich wickele mich in den Cashmere-Schal, den ich vielleicht, vielleicht auch nicht von Olivia geklaut habe, und mache mich auf den Weg zum Gleis. Wenigstens steht mein Zug schon da, und ich kann mir eine uneinnehmbare Muffinfestung bauen, bevor die Reise losgeht.
Oder auch nicht. Natürlich sitzt eine wütende Frau auf meinem reservierten Sitzplatz und weigert sich, ihn aufzugeben. Ich wäre gerne so selbstbewusst, in solchen Situationen für mich einzustehen, doch Izzy will keine Szene machen, also suche ich mir im nächsten Waggon einen freien Platz. Ich schmeiße meine Tasche auf die Gepäckablage und sacke im Sitz zusammen, während meine Heimatstadt an mir vorüberzieht. Ich sollte mich darauf freuen, am Anfang eines neuen Jahres nach London zurückzukehren, aber ich kann heute einfach nichts Positives sehen.
Vielleicht helfen ja ein paar gute Vorsätze?
Ich öffne das abgenutzte Notizbuch, das ich schon seit Jahren mit mir herumschleppe, und kneife die Augen zusammen, sodass ich den letzten Eintrag nicht lesen muss, der gestern Abend so spektakulär in die Hose gegangen ist. Ich bin mir sicher, dass ich dank dieser Angewohnheit viel zu früh Falten um die Augen bekomme.
Schnell schlage ich eine neue Seite auf und kritzele drauflos.
Muffins/Brownies/sonstiger Scheiß. Du wirst nur Quinoa und Spinat essen. Anmerkung: Herausfinden, was Alfalfasprossen sind.
Alkohol. Er bringt dich dazu, über sich wälzende Schweinchen zu reden. Außerdem hast du dir an Weihnachten eine uncoole Baileys-Angewohnheit zugelegt. Das muss aufhören.
Deine Vermieterin. Du zahlst jetzt schon viel zu viel für die kleinste Schuhschachtel von Brixton.
Männer. Hör vor allem auf, an George zu denken. Denk dran: Du bist jetzt Katzenmama.
Dein innerer Schweinehund. Geh ins Fitnessstudio.
Tallulah. Hör auf, ihr Kaffee zu holen, und besteh darauf, stattdessen brandheiße Artikel zu schreiben.
Ich füge noch ein paar Verzierungen hinzu und lehne mich zurück, um mein Werk zu bewundern. Es ist eine To-don’t-Liste! Vielleicht wird das neue Jahr ja doch nicht so schlecht.
Am nächsten Tag schleppe ich mich durch die Straßen von London Bridge, bleibe vor dem hohen Bürogebäude stehen, in dem ich arbeite, und nehme den Aufzug in den achten Stock. Ich bin eine der Ersten – weil besonders #keen –, also setze ich mich an den Schreibtisch und vertilge die letzten Krümel des zweiten dritten Muffins von gestern, während mein Computer hochfährt. In weniger als einer Stunde findet ein Brainstorming für die erste Ausgabe des neuen Jahres statt, und trotz all meiner guten Absichten habe ich mich nicht darauf vorbereitet, nachdem ich gestern zu Hause angekommen bin. Aber das ist nicht meine Schuld. Es liegt nur an Jamie, die darauf bestanden hat, mit Notfalldonuts bewaffnet zu mir zu kommen.
Ich greife nach einem Kuli und kratze mich am Kopf. Denk nach, Isobel! Was möchten die Leute nächste Woche in der Pulse lesen? Wir sind ein wöchentlich erscheinendes Hochglanzmagazin, und unsere Hauptzielgruppe sind Karrierefrauen zwischen zwanzig und dreißig. Sie haben ein erfüllendes Sozialleben und Dates mit heißen Typen und sind einfach nur super. Genau wie ich!
«Anfang Januar sind alle noch ganz ausgelaugt von Weihnachten, dort sollte ich also ansetzen», erkläre ich dem leeren Büro.
Ich ziehe den Notizblock aus meiner abgewetzten Bürotasche und lese die Liste von gestern. Hm … Das Muffinverbot tritt offensichtlich erst morgen in Kraft. Gerade habe ich mir schuldbewusst die letzten Krümel in den Mund geschoben, als mein Arbeitshandy klingelt und ich mein Notizbuch fallen lasse, um abzuheben.
Die Chefredakteurin. Ach du Scheiße.
«Guten Morgen, Tallulah», sage ich in meiner besten Telefonstimme.
Angesichts dieses Namens werfe ich es niemandem vor, wenn er jetzt denkt, dass Tallulah den ganzen Tag in einem gehäkelten Kleid durch Kornfelder hüpft. Aber die Wahrheit sieht ganz anders aus. Tallulah ist nämlich eine knallharte Chefin, die Blumen zum Verwelken bringt und mich wie ihre persönliche Assistentin behandelt, obwohl ich hier bei Pulse eigentlich Artikel schreiben soll.
«Ja, Isobel. Mein Taxi ist mindestens dreimal falsch abgebogen, und jetzt stehen wir im Stau. Ich komme zu spät, warte also noch zehn Minuten, bevor du meinen Kaffee holst. Und es ist Januar, also skinny.»
Nach drei Jahren beim Magazin habe ich mich damit abgefunden, dass auf ein Bitte oder Danke von ihr zu warten so wäre, wie zu erwarten, dass Kanye aufhört, in der dritten Person von sich selbst zu sprechen. Wenn meine direkte Vorgesetzte, die Kulturredakteurin Emma, nicht wäre, wäre ich schon längst unter Tallulahs unerbittlichem Blick implodiert.
«Frohes Neues!», jubelt Emma und kommt ins Büro gehüpft. «War das die Teufelin?», fügt sie mit einer Grimasse hinzu.
«Ja. Sie verlangt Kaffee, aber ich muss mich wirklich auf das Meeting vorbereiten», jammere ich.
«Mach dir keine Sorgen. Ich hole Kaffee, während du dich sortierst. Latte?»
«Du bist ein Engel», seufze ich dankbar. «Oh, sie besteht auf skinny, weil Januar ist.»
Okay, Brainstorming! Ich hebe mein Notizbuch auf und schaue die zufällig aufgeschlagene Seite an. Sie ist vom letzten Jahr.
Na, das war ja wohl ein Scheißsilvester, oder? Abgesehen davon, dass GG deinen Hintern begrapscht hat, natürlich. Du hast fünf Pfund zugelegt, die vollständig aus Weihnachtspasteten bestehen, und du bist immer noch Single. Hier ist deine neue To-do-Liste:
Gesund essen. Keine Würstchen im Schlafrock mehr.
Hör auf zu trinken. Es macht dich wabbelig an den Rändern.
Hör auf, George anzuschmachten. Finde bis zum nächsten Silvester einen Freund.
Fit werden! Vielleicht Fitnessstudio?
Such dir eine neue Wohnung, am besten eine, in der du in der Dusche aufrecht stehen kannst.
Verlange auf der Arbeit spannendere Aufgaben, als immer nur die Fernsehtipps zusammenzustellen.
Ich werfe einen Blick auf das Datum, das ich am rechten oberen Rand vermerkt habe. Erster Januar letzten Jahres. Dann starre ich wieder die Liste an. Sie ist fast identisch mit der, die ich gestern geschrieben habe. Ich blättere zwischen den beiden Einträgen vor und zurück, und mir wird einiges klar. Trotz aller guten Absichten zu Jahresbeginn hat sich für mich seit langer, langer Zeit nichts geändert. Weder mein Beziehungsstatus noch meine miese Wohnung, noch mein bescheidener Job, noch mein Gewicht … nichts. Wow.
«Wenn ich eine schauspielerische Einlage gewollt hätte, hätte ich einen meiner Exmänner eingeladen», sagt Tallulah und verdreht die Augen. Lucy, die normalerweise den Beautyteil schreibt, schluchzt in ihren Layoutentwurf. «An Silvester abserviert zu werden ist noch lange kein Grund, schlecht vorbereitet zu einem Meeting zu erscheinen.»
«Sorry, Tallulah», wimmert Lucy. «Es ist nur … Ich dachte, er macht mir einen Heiratsantrag. Er hatte einen Tisch im neuen Restaurant von Heston Blumenthal gebucht. Denk doch nur an die Warteliste! Und dann, nachdem ich meine Vorspeise gegessen hatte, die wie Obst ausgesehen, aber wie Fleisch geschmeckt hat, hat er kurz gewartet, und ich dachte, jetzt kommt’s, aber dann hat er gesagt, dass es vorbei ist, und jetzt fange ich das neue Jahr als alte Jungfer anstatt frisch verlooooobt.»
Unsere hochgeschätzte Chefredakteurin, der jegliche Gefühlsregung schon als Kind operativ entfernt wurde, starrt Lucy und ihren Gefühlsausbruch angeekelt an. Alle anderen rutschen unbehaglich auf ihren Stühlen herum. Ich möchte meine Freundin in den Arm nehmen oder ihr zumindest ein Taschentuch anbieten, aber ich weiß, dass eine falsche Bewegung dazu führen könnte, dass Tallulah mich mit ihren sargförmigen Klauen enthauptet.
«Liebes, das ist ja furchtbar.» Gott sei Dank hat Emma mehr Eier in der Hose als ich. «Zum neuen Jahr herrscht immer so viel Druck! Ich weiß, ich habe leicht reden, aber es klingt, als wärst du diesem Hornochsen gerade noch mit heiler Haut entkommen!»
«Ja, sieh es als Neuanfang», sagt Fran, die Redaktionsassistentin.
«Ich glaube, wir haben alle einen Neuanfang nötig», melde ich mich zu Wort. Ich bin offensichtlich doch ein bisschen mutig heute. «Mir ist gerade klargeworden, dass ich dieselben langweiligen Vorsätze gefasst habe wie im letzten Jahr. Du weißt schon, hör auf, Scheiße zu essen, hör auf, dich in unerreichbare Männer zu verlieben, bla, bla, bla.»
Stille. Ich wusste es, ich hätte den Mund halten sollen! Aber dann bemerke ich, dass Tallulah ganz nachdenklich aussieht. Jedenfalls soweit sie nach all den Injektionen, die ihre Stirn schon abbekommen hat, noch nachdenklich aussehen kann.
«Januar scheint der Monat der gescheiterten Vorsätze zu sein», überlegt sie und schaut dabei die Decke an.
Emma und ich stupsen uns unter dem Tisch an, weil wir genau wissen, was jetzt kommt. Tallulah liebt es, viel zu viel von ihrem Privatleben zu erzählen. Alles, aber auch wirklich alles, kann einen solchen Anfall auslösen. Ihre Augen werden plötzlich glasig, und sie legt los mit irgendetwas, das bei uns mit ziemlicher Sicherheit Brechreiz hervorrufen wird.
«Im letzten Jahr habe ich mir geschworen, mich von meinem türkischen Liebhaber zu trennen», setzt sie an. «Er sieht toll aus, und gut bestückt ist er auch, aber er wird einfach zu teuer. Wie viele Luxus-Shoppingtrips nach Mailand kann ein Mann schon brauchen? Ich habe natürlich versucht, ihn fallen zu lassen, aber genauso wie du versucht hast, keinen Scheiß mehr zu essen, Isobel, hat auch mein Beschluss nicht lange gehalten, und er hat sich irgendwie einen Weg zurück in mein Leben gebahnt.»
Sie hat sich heute tatsächlich schon zwei Mal an meinen Namen erinnert.
Tallulah lehnt sich zurück und studiert ihre knochigen Arme. Ich ziehe den Bauch ein und hoffe, dass ihr nicht auffällt, dass ich meine Fressattacken-Notfalljeans anhabe, die einzige, die nach Weihnachten zuverlässig passt.
«Manchmal ist es einfach schwer, Ideen in die Tat umzusetzen, oder?», antworte ich vorsichtig, während die anderen das Gesicht verziehen. «An Weihnachten geht es immer darum, zu diesen tollen Sachen ja zu sagen, Wein und Kekse und … ähm … türkische Liebhaber. Und dann kommt der Januar, und der ganze Spaß der Feiertage ist vorbei, und man fängt an, immer mehr von sich zu verlangen. Als ich meine Liste mit allem, was ich im letzten Jahr erreichen wollte, durchgelesen habe, wurde mir klar, dass wir uns den trostlosesten Monat aussuchen, um nein zu allen möglichen Sachen zu sagen.»
Tallulah schaut mich an. Dann schaut sie den leeren Layout-Entwurf an. «Ideen in die Tat umsetzen», wiederholt sie. «Nein sagen. Interessanter Gedanke. Das neue Jahr bringt einen Neuanfang, also warum bestehen wir alle darauf, uns Dinge zu versagen? Was wäre, wenn wir aufhören, nein zu sagen, und stattdessen ja sagen?»
Sie trommelt mit den Fingernägeln auf der Tischplatte herum.
«Du», blafft sie mich an. «Kannst du schreiben?» Sie wartet meine Antwort gar nicht erst ab. «Emma, kann sie schreiben?»
«Izzy schreibt großartig», antwortet Emma. «Das sage ich dir schon seit Jahren», fügt sie leise hinzu.
«Das werden wir ja sehen», sagt Tallulah finster. «Ich stelle mir ein ganzjähriges Feature vor. Isobels Ja(hr). Deine langweilige Liste von Dingen, die du nicht tun möchtest, gehört der Vergangenheit an. Stattdessen sagst du ja zu spannenden neuen Herausforderungen. Ein Artikel pro Monat, in dem du deine Fortschritte festhältst.»
«Super Idee», stimmt Emma zu. Tallulahs hochgezogene Augenbraue sagt uns, wie unnötig es war, das Offensichtliche auszusprechen. «Die Leserinnen können Vorschläge machen. Oder sich sogar Mutproben ausdenken. Du weißt schon, Dinge, zu denen du normalerweise nein sagen würdest.»
Ich starre sie an wie ein verängstigtes Lamm.
«Mutproben? Ich, ähm, also, ich bin ziemlich gut organisiert und plane gern im Voraus. Vielleicht würde es reichen, einen 10 km-Lauf zu machen und mich gesund zu ernähren?», biete ich an.
«Langweilig. Nein. Scheiße», verkündet Tallulah. «Isobel, du wirst zu aufregenderen Dingen ja sagen, als in irgendwelchen staubigen Turnschuhen im nächsten Park rumzurennen. Emma, ja, die Leserinnen sollen sich melden, und dann wählen wir die Mutproben aus. Nein steht nicht zur Debatte, Isobel. Ich will den ersten Ja(hr)-Artikel in unserer Januar-Ausgabe haben. Darin erklärst du die Regeln für das Feature und erzählst, wie deine erste Mutprobe lief. Du fängst also besser an, dich auf unserer Website mit den Leserinnen zu vernetzen und herauszufinden, was deine erste Mutprobe sein soll. Gib ihnen einen kleinen Hinweis auf das Feature, sag ihnen, wie beschissen dein Leben gerade ist und dass sich etwas ändern muss.» Sie späht mich durch ihre Designerbrille an. «Nicht allzu schwierig, oder?»
Oje, das klingt furchteinflößend. Ich nehme meinen Kuli und zeichne einen kleinen Stern an meine neueste To-don’t-Liste. Und dann erinnere ich mich an all die gescheiterten Vorsätze meines Lebens. All die Gelegenheiten, zu denen ich nein gesagt habe, obwohl ich hätte ja sagen können. Ich hätte mit Jamie auf der Yacht eines Millionärs übers Mittelmeer segeln können. Ich hätte ein Date mit dem süßen Typen aus dem Café haben können, aber ich war zu sehr damit beschäftigt, Karriere zu machen. Haha, Witz. Verdammt, ich hätte sogar stolze Besitzerin eines umwerfenden blauen Jumpsuits sein können, in dem ich laut Jamie ziemlich scharf aussah. Ich bin aus dem Geschäft geflohen, weil ich mir sicher war, nicht cool genug dafür zu sein.
Seit wann habe ich eigentlich eine solche Angst, mutig zu sein und etwas aufs Spiel zu setzen?
Schon immer, flüstert eine leise Stimme in meinem Kopf.
«OKAY?», donnert Tallulah.
«Äh …», mache ich.
Ihre Augenbrauen klettern schon wieder an ihrer Stirn hinauf.
Ach, egal, was habe ich schon zu verlieren?
«Sorry. Ja, auf jeden Fall. Ja!»
«Soll ich dir mal was sagen?», frage ich und schaue mich verschwörerisch in der Bar um.
«Dass du mich liebhast?», fragt Jamie.
«Wie hast du das nur erraten?» Ich zeige mit dem Finger auf meine beste Freundin und lande damit versehentlich auf ihrer winzigen Stupsnase.
«Weil Vier-Wein-Izzy mir immer sagt, dass sie mich liebhat.»
«Oh», antworte ich enttäuscht. «Bin ich wirklich so vorhersehbar?» Zumindest versuche ich, ‹vorhersehbar› zu sagen. Heraus kommt ‹vorherschebahr›.
«Vorherschebar!», wiederhole ich prustend.
«Du bist ein kleines bisschen vorhersehbar, aber das ist in Ordnung so. Du magst eben Pläne, an die du dich halten kannst. Wie heute Abend. Das heißt bei dir Merlot-Mittwoch und ist als wiederkehrender Event in deinem Kalender gespeichert.»
«Aber das ist doch, weil ich so gerne Zeit mit dir verbringe. Außerdem mag ich Wein und …» Weil mir kein weiterer Grund einfällt, pikse ich sie wieder in ihre Stupsnase.
«Und deswegen mag ich dich auch so gerne.» Sie tätschelt mir mit der perfekt manikürten Hand den Kopf.
Jamie ist eines der wenigen Dinge, die in meinem Leben genau richtig sind. Einfach nur mit ihr befreundet zu sein, gibt mir das Gefühl, dass die Welt ein besserer Ort ist. Wir haben uns in unserem ersten Jahr an der Uni in einer Vorlesung kennengelernt. Sie hat meine Sammlung bunter Filzstifte bewundert, und ich habe sie beneidet, weil sie es schaffte, in Budapestern und einem Filzhut nicht völlig daneben auszusehen. Die nächsten drei Jahre verbrachten wir damit, uns darüber zu streiten, ob wir zu Hause bleiben und Serien schauen (mein Vorschlag) oder ausgehen und das Rugbyteam der Uni stalken sollen (ihr Vorschlag).
«Ist ja auch egal, ich hab großartige Neuigkeiten», schreie ich. «Von jetzt an werde ich mindestens ein Mal im Monat ganz und gar nicht vorherschebahr sein.» Ich merke, dass ich sie neugierig gemacht habe, also füge ich ein «Fünf-Wein-Izzy?» hinzu, bevor ich zur Bar schwanke und eine weitere Flasche bestelle.
«Los, erzähl!» Jamie dreht die Flasche mit absolut unanständiger Eile auf. Geduld war noch nie ihre Stärke.
Ich erzähle ihr von meinem neuen Feature und sehe zu, wie sich ein strahlendes Lächeln über ihr Gesicht ausbreitet.
«IST NICHT WAHR! Izzy, das ist so gut für dich», schreit sie nun ihrerseits. Niemand sonst schreit hier drin, die Musik ist eher leise, aber so ist das nun mal, wenn man mitten in der Woche zu viel trinkt.
«Ich dachte du hast gesagt, du magst mich, weil ich vorhersehbar bin?»
«Äh … ja, schon.» Jamie beißt sich auf die Unterlippe, während sie darüber nachdenkt, wie sie diese Aussage entkräften könnte. «Aber ein bisschen Spontaneität wäre schon gut für dich. Ich meine, wann hast du zuletzt ja zu einem Date mit einem echten Mann gesagt?»
«Wie meinst du das denn, ein echter Mann? Ist ja nicht so, dass ich eine Plastikpuppe habe, die mich zu Dates ausführt. Ich habe gar keinen Platz für eine Puppe. Und du weißt doch, dass ich seit Jahren kein Date hatte», schreie ich zurück.
Jetzt weiß also auch die ganze Bar, dass ich seit ewigen Zeiten nicht mit einem Mann ausgegangen bin.
Jamie greift aufgeregt nach meiner Hand. «Ich hoffe, jemand verlangt, dass du dich bei Tinder anmeldest! Du bist die einzige Mittzwanzigerin, die ich kenne, die nicht bei Tinder ist. Weißt du, was? Dieses Feature hilft dir wahrscheinlich sogar, Gorgeous George zu vergessen. Den müssen wir übrigens unbedingt umbenennen.»
«Ganz dummer George?», biete ich an.
«Grotesker George.»
«Geschwollener George?»
«Gonorrhö-George. Das passt.» Jamie lacht.
«Wo zur Hölle steckst du?», rufe ich und durchwühle meine Socken-/Alle-mögliche-Scheiße-Schublade mit wachsender Ungeduld. Wenn ich diese Socke nicht gleich finde, komme ich zu spät. Und ich hasse es, zu spät zu kommen. Außerdem erfrieren die Zehen an meinem nackten linken Fuß wahrscheinlich gerade und fallen bald ab, dank der miserablen Heizung in meiner Wohnung.
Endlich sehe ich etwas. Bingo. Ich zerre die babyblaue Socke mit den pinken Cupcakes heraus, setze mich auf den Boden und ziehe sie an. An manchen Tagen denke ich, dass es mir gelungen ist, ein Outfit mit einem Hauch von Stil zusammenzustellen. An anderen, so wie heute, bin ich nicht so erfolgreich. Im Flur (tatsächlich gibt es Idioten, die finden, dass dieser zusätzliche Quadratmeter als weiterer Raum zählt – oh, Moment, ich bin selbst einer davon) werfe ich einen müden Blick auf mein Spiegelbild.
Ich sehe genauso schlecht aus, wie ich erwartet hatte. Ich trage verwaschene Jeans und einen grauen Pulli, der mal cremefarben war. Ich hatte auf mühelos cool gehofft, aber ich sehe aus, als hätte ich mir einfach keine Mühe gegeben. Ich knie mich hin, um meine Schuhe zu binden, und sehe mein Gesicht im Spiegel. Heilige Mutter MAC! Mein naturblondes Haar steht nach dem vierten Tag mit Trockenshampoo in alle Richtungen ab. Meine Haut ist trocken und käsig, nachdem ich mich gestern nicht abgeschminkt habe. Statt Augen habe ich Löcher, und außerdem habe ich heute Morgen eine abtrünnige Kontaktlinse auf der Rückseite meines Augapfels gefunden. Ich bin die menschliche Manifestation eines Katers.
Ich torkele aus der Wohnung und zwicke mir dabei in die Wangen, um ein bisschen Farbe in mein Gesicht zu zaubern.
Mein Nachbar öffnet gerade seine Tür und starrt mich böse an. Na toll, mal wieder ein unangenehmer Moment im Flur. Ich versuche es mit einem fröhlichen Hallo und werde ignoriert. Dann drehen wir uns beide gleichzeitig zur Treppe um. Aaah, wir können nicht im Tandem da runtergehen! Zu versuchen, mich mit dem sexiest Nachbar alive zu unterhalten, ist schlimmer als die Hölle. Er ist nämlich auch der unhöflichste Nachbar alive, weil er nie etwas sagt. Ich eiere ein bisschen im Flur herum, damit er vorbeigehen kann. Ein unwiderstehlich männlicher Duft bleibt hinter ihm zurück.
Wir sind jetzt seit drei Jahren Nachbarn in dieser beengenden umgebauten Villa, und trotzdem sind Nathan und ich noch nicht weitergekommen, als dass ich höflich bin und er ein asoziales Arschloch. Laut Beth von Unten (diesen wahrscheinlich etwas unglücklichen Namen habe ich der netten Nachbarin aus der Wohnung unter mir gegeben) ist er Musikjournalist. Wir haben denselben Beruf, verdammt noch mal! Aber Nathans kühle Art lässt mich darauf schließen, dass ich zu idiotisch bin, um seine Aufmerksamkeit verdient zu haben. Ich warte, bis ich seine Schlüssel in der Haustür höre, und gehe dann selbst hinunter. Ich bete zu Michael Fassbender, dass der Tag heute nett zu mir ist.
Ich bin mir nicht ganz sicher, was mit Tallulahs Gesicht los ist, aber ich glaube, die Grimasse in Kombination mit dem zuckenden Auge bedeutet, dass sie tatsächlich mit mir zufrieden ist. Es ist schwer zu sagen, weil ich noch nie in einer derartigen Situation war.
«Ja, okay, lad es hoch. Hoffen wir, dass die erste Challenge schnell reinkommt.» Sie wischt mich mit einer Handbewegung aus ihrem Büro.
«Was hat sie gesagt?», flüstert Emma, als ich mit dem Mission-Statement für die Website an meinen Platz zurückkehre.
«‹Ja, okay, lad es hoch›», äffe ich Tallulah nach, wobei ich versuche, auch ihre Grimasse zu imitieren.
«Woooow.» Emma pfeift durch die Zähne. «Dieses Gesicht hat sie gemacht? Das ist wirklich ein hohes Lob. Ich bin stolz auf dich, Izzy.»
Ich weiß nicht genau, ob ich auch stolz auf mich bin. All die Gründe aufzuschreiben, warum es höchste Zeit wird, ja zu sagen, hat mir gezeigt, wie unfassbar langweilig mein Leben ist. Vor allem die Stelle, an der ich beschreibe, wie ich ein Last-Minute-Ticket für das Glastonbury Festival abgelehnt habe, weil an demselben Wochenende der neue Kühlschrank geliefert wurde. Und die, wo ich zugebe, dass ich seit drei Jahren kein richtiges Date hatte. Es ist nicht so, dass ich keine Angebote hatte. Ich schätze, ich habe einfach Ansprüche an einen Mann. Gutaussehend, witzig, anständiger Job, liebt Kalender genauso sehr wie ich. Das Übliche eigentlich.
Nachdem ich alles aufgeschrieben habe, tue ich mir selbst ein bisschen leid. Na ja, wenigstens habe ich ein Feature für das ganze Jahr, auf das ich mich konzentrieren kann. Selbst wenn es zu sonst nichts gut war, unserer gesamten Leserschaft zu erzählen, dass ich langweilig bin – diese Grimasse von Tallulah wird mir für immer bleiben. Derartiges Lob ist unbezahlbar.
Ich werde mich jeden Monat einer neuen Challenge stellen, zu der ich ja sagen muss. Nein steht nicht zur Debatte. SCHLUCK! Wenn dir also eine Challenge für mich einfällt, schick mir eine E-Mail oder ein Tweet mit dem Hashtag #DareIzzy. Und vergiss nicht, dir immer die letzte Ausgabe des Monats zu holen, um zu sehen, wie ich mich anstelle. Ich habe so eine Ahnung, dass ich jede Unterstützung brauchen werde!
Ich gebe meinem Text den letzten Schliff, dann stelle ich ihn auf die Website. Ich teile noch einen Link zum Twitter-Profil von Pulse und bemerke, dass ich seit mehreren Minuten nicht geatmet habe.
Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Als ich aus der Mittagspause zurückkomme, liegt eine Packung schweinchenförmiger Weingummis auf meinem Schreibtisch. Darauf klebt ein Zettel.
Wir wollen dir helfen, dich vom Merlot-Mittwoch zu erholen. Emma x
Als ich mir einen der zuckrigen Lebensretter in den Mund schiebe, freue ich mich, weil Emma so lieb ist und weil: mmmhhhmmm, Zucker. Gleichzeitig bin ich traurig, dass ich offenbar so vorhersehbar bin, dass sogar meine Chefin genau weiß, was jede Woche in meinem Kalender steht. Ich denke an das gestrige Gespräch mit Jamie zurück. Sie hatte recht.
Ich aktualisiere mein E-Mail-Postfach und warte auf den unvermeidlichen Mittagsspam.
Hey Izzy, heute vor zwei Jahren warst du der Meinung, dass es eine gute Idee wäre, laufen zu gehen. Warum nicht auch heute?
«Ach, halt doch die Klappe, Lauf-App.» Ich klicke die Nachricht weg und seufze. Ich esse Süßigkeiten zu Mittag und habe mich noch kein bisschen bewegt. Der Plan für Januar geht gehörig in die Hose. Aber MOMENT MAL. Ich habe jetzt schließlich einen völlig neuen Plan. Und obwohl es sich ganz schön beängstigend anhört, ein ganzes Jahr außerhalb meiner Komfortzone zu verbringen, kann ich nicht bestreiten, dass ich mich auch ein klitzekleines bisschen darauf freue. Ich darf echte Features für die Zeitschrift schreiben! Und das fühlt sich sehr nach einem Schritt in die richtige Richtung an.
Ich trommele mit den Fingern auf den Tisch, während ich auf weitere E-Mails warte.
Dann trommle ich noch ein bisschen weiter, bis …
Viel mehr E-Mails als sonst landen in meinem Postfach, und die Lautstärke des Computers ist maximal aufgedreht. Mein Mac wirft wild mit Signaltönen um sich, und jeder Kopf im Büro dreht sich zu mir um, während ich verzweifelt die Tastenkombination zum Stummschalten suche. Izzy hasst es, im Mittelpunkt zu stehen.
Ein wenig außer Atem starre ich auf den Bildschirm und bemerke, dass jede der neuen Mails den Betreff DARE IZZY hat. Ach du Scheiße! Ich klicke auf die erste Mail.
Hallöchen Izzy,
ich habe gerade deinen Artikel gelesen, und mich interessiert vor allem die Stelle, an der du sagst, dass du Single bist. Ich glaube, ich habe die perfekte Mutprobe für dich! Ich bin auch Single, und ich habe etwas, zu dem du ganz sicher gerne ja, ja, JA sagen wirst.
Es ist mein riesengroßer …
AH, MEINE AUGEN!
«Iz, ich glaube nicht, dass das auf der Arbeit angemessen ist.» Lucy wirft lachend einen Blick auf meinen Laptop.
«Oh mein Gott, ich weiß, es geht einfach nicht weg», kreische ich und klicke blindlings auf dem Bildschirm herum.
«Was ist denn hier los?» Emma kommt aus der Mittagspause. Sie reißt die Augen auf, als sie das Foto des erigierten Penis sieht.
«Izzy schaut sich ein Penisbild an», ruft Lucy, die aus dem Lachen gar nicht mehr herauskommt.
«Mach das weg», jammere ich und wende meinen Augen-zusammenkneif-Trick an, während Lucy sich um meinen Computer kümmert.
«Alles gut. Du kannst die Augen wieder aufmachen», sagt sie.
«Ach du Scheiße», japse ich. «Ich habe mir keine Penisbilder angeschaut, das schwöre ich. Irgendein komplett Verrückter hat das als meine erste Challenge vorgeschlagen. Er meinte, ich könnte doch ja zu seinem Ihr-wisst-schon-was sagen.»
Lucy und Emma krümmen sich vor Lachen. Ich schürze die Lippen und verschränke die Arme vor der Brust.
«Darum soll es in dem Feature nicht gehen», sage ich spitz. «Es heißt ja nicht Isobels Ja(hr) zur sexuellen Belästigung, oder? Ich soll mich aufregenden Challenges stellen, die vielleicht mein Leben bereichern. Und nicht Bilder vom Notgeilen Nick anschauen.»
Lucy klopft mir auf die Schulter und klaut sich ein Gummischwein.
«Liebes.» Sie legt den Kopf schief. «Es ist schon länger her, dass du einen gesehen hast, oder? Muss ein ziemlicher Schock gewesen sein.»
Diese Demütigung!
«Es ist nicht … Ich habe … Ach, hör doch auf, Lucy.» Ich war schon immer sehr schlagfertig.
Emma atmet ein paarmal tief ein und aus, um sich zu beruhigen, Lucy fächelt sich mit den Händen Luft zu.
«Seid ihr jetzt fertig?»
«Sorry.» Emma ist wenigstens anständig genug, so auszusehen, als ob sie sich schämte.
«Wir haben dich ja nicht ausgelacht, Izzy», grinst Lucy. «Aber du musst doch zugeben, witzig ist es schon.»
«Nein, muss ich nicht! Das ist die erste Challenge, die mir geschickt wurde. Was ist, wenn die anderen auch alle Einladungen von abstoßenden Typen sind? Darüber lässt Tallulah mich bestimmt kein Feature schreiben. Ich kann nicht glauben, dass jetzt schon alles versaut ist.»
Zu spät wird mir meine ungünstige Wortwahl klar.
Emma beißt sich auf die Lippe. Lucy prustet wieder los.
«Offensichtlich arbeite ich hier mit Kindern zusammen», grummele ich und stapfe Richtung Kantine.
Einen riesigen Pappbecher mit dampfendem Kaffee in der Hand zu haben sorgt irgendwie dafür, dass ich das Leben viel positiver sehe. Ich nehme einen Schluck und schaue durch die Glasfront des Cafés in der obersten Etage unseres Bürogebäudes. Die funkelnde Skyline von London erstreckt sich vor mir, und jedes der glänzenden Gebäude beherbergt Hunderte von Arbeitsbienen. Darunter glitzert die Themse im fahlen Winterlicht, und ich schaue zu, wie rote Doppeldeckerbusse sich ihren Weg durch die Straßen bahnen.
Die Vogelperspektive hilft, alles zurechtzurücken. Ich meine, ich bin hier! Mittendrin! Ich arbeite für eine echt gute Zeitschrift. Und selbst wenn es einige Bereiche meines Lebens gibt, die ich auf Vordermann bringen sollte, kann ich doch stolz darauf sein, wie weit ich gekommen bin. Stimmt’s? Stimmt.
Also, auf geht’s, den Tatsachen ins Gesicht sehen. Wenn alle meine ungeöffneten Mails sexuell explizite Inhalte von irgendwelchen Perversen enthalten, gönne ich mir zum Ausgleich einen Muffin.
Schon viel fröhlicher kehre ich ins Büro zurück und fliege an Lucy vorbei. Sie sitzt wieder an ihrem Schreibtisch und nimmt ein Paket entgegen. Obwohl sie gerade verlassen worden ist, würde ich trotzdem alles dafür geben, Lucy zu sein und jeden Tag kistenweise Beautyprodukte geschickt zu bekommen.
Emma sieht aus, als hätte sie ein schlechtes Gewissen.
«Hey, Izzy. Lucy und ich hatten ein schlechtes Gewissen, deshalb haben wir die IT gebeten, sich deine E-Mail-Einstellungen anzuschauen. Sie haben deinen Spamfilter aufgerüstet, du solltest jetzt also keine Bilder mehr von Perversen bekommen.»
Ich stelle meinen Milchkaffee mit einem befriedigenden Plopp auf den Schreibtisch.
«Danke, Emma, und tut mir leid, wahrscheinlich habe ich überreagiert.»
«Nein, überhaupt nicht, ich verstehe das sehr gut. Du willst, dass dein Feature funktioniert, und das hast du auch verdient. Ich glaube, du wirst positiv überrascht sein, wenn du dir den Rest anschaust.» Sie lächelt.
Misstrauisch klicke ich auf eine der Mails.
«Hier sind so tolle Ideen dabei», jubele ich ein paar Minuten später. «Verbringe einen Tag mit einem Promi. Schwimme mit Delfinen. Lerne Brotbacken. Oooh, das hier gefällt mir: Nimm an einem Aufräumkurs teil!»
Emma verdreht die Augen.
«Und genau das ist der Grund, warum du nicht selbst aussuchen darfst», sagt sie. «Ich habe die IT gebeten, alle Dare-Izzy-Mails an mich weiterzuleiten, und weißt du, was?»
«Was?» Ich rutsche nervös auf meinem Stuhl herum.
«Ich habe gerade deine erste Challenge ausgesucht. Ich schicke sie dir.»
Liebe Izzy,
ich versuche auch immer, im Januar mit irgendwelchen Sachen aufzuhören, und schon ein paar Tage später scheitere ich. Es wird sicher inspirierend sein, von all den aufregenden Dingen zu lesen, die du während deines Ja(hr)s erleben wirst. Außerdem habe ich das Gefühl, dass du versuchen willst, dein altes Leben hinter dir zu lassen. Vielleicht würde ein neuer Look helfen?
Ich wünsche dir auf jeden Fall alles Gute für die Mutproben, die auf dich zukommen. Ich freue mich schon auf deine Artikel!
Ally aus Gloucester x
«Ich habe das Gefühl, du willst dein altes Leben hinter dir lassen», wiederhole ich.
«Japp.» Emma nickt. «Sie hat den Nagel auf den Kopf getroffen.»
«Komplettes Makeover?» Ich zupfe am Ärmel meines Pullovers herum. Emma klatscht begeistert in die Hände. «Kannst du mir eine Sache versprechen? Bitte lass mich nicht wie eine Realityshow-Statistin aussehen.»
Emma ignoriert das und greift nach ihrem Handy.
«Henri, Schätzchen?», gurrt sie. «Ich muss dich um einen Gefallen bitten. Einen GROSSEN Gefallen.»
«Oh, non non non non non», sagt Henri, als er meine splissigen Haarspitzen sieht.
«Ich …» Aber er ist noch nicht fertig.
«Oh, non non non.» Er schüttelt den Kopf. «Und was ist das hier, Mademoiselle Mulligan?» Er berührt kurz meinen pudrigen Haaransatz, bevor er angeekelt die Fingerspitzen aneinanderreibt.
«Trockenshampoo?», sage ich vorsichtig.
«Welche Schande. Und wie lange bist du schon so … unnatürlich blond?»
«Ich habe angefangen zu färben, als ich fünfzehn war.»
«Du hast angefangen zu färben? Selbst?» Henri hat schockiert die Augen aufgerissen. Normalerweise wäre mir das Ganze entsetzlich peinlich, aber Henri sieht genauso aus wie Poirot (alias David Suchet), also liebe ich ihn natürlich und würde alles tun, was er sagt.
«Ja, selbst», sage ich und zucke entschuldigend die Achseln.
Henri ringt die Hände und schaut sich verzweifelt in seinem Salon um. Ich folge seinem Blick. Henri’s ist kein normaler Friseursalon. Wir sind in Knightsbridge, und ich sitze auf etwas, das man eigentlich nur als goldenen Thron auf Rädern bezeichnen kann. Der Boden und Teile der Wände bestehen aus unendlichen schimmernden Marmorflächen, und riesige Glasvasen mit pink- und cremefarbenen Pfingstrosen trennen die einzelnen Waschbecken voneinander ab. Henri, der in T-Shirt und Weste einfach toll aussieht, ist ein winziges Kerlchen in den Vierzigern, aber wenn er seinen Untergebenen Befehle zuschreit, ist klar, wer hier der Boss ist. Plötzlich steht ein Mini-Henri neben ihm und hält ein Glas grünen Saft hoch.
«Kann ich vielleicht einfach einen Kaffee haben? Ich bin verkatert», entschuldige ich mich.
«NON. Der grüne Saft beinhaltet Avocado, unerlässlich für gesundes Haar», blafft Henri. «Kaffee nicht. Trink.»
Verdammt. Ich nehme einen Schluck und versuche, nicht das Gesicht zu verziehen.
«Emma meint, du brauchst ein komplettes Makeover, Haare zuerst», sagt Henri.
«Na ja, irgendwie schon. Ich meine, die Spitzen müssen definitiv geschnitten werden, vielleicht kannst du ja zwei Zentimeter wegnehmen?»
«Zwei Zentimeter? Für das hier …» Er nimmt mein ausgefranstes Haar in die Hand und lässt es wieder fallen. «… völlig nutzlos.»
«Vielleicht drei?», frage ich und puste mir den Pony aus dem Gesicht.
Henri tippt verzweifelt mit seiner Schere auf seiner Handfläche herum. «Mademoiselle Mulligan, ich habe eine Vision für Sie. Sie haben von Natur aus rotes Haar, oui?»
Oh nein.
«Ja, aber ich hasse meine natürliche Haarfarbe.»
«Nico, nimm Mademoiselle Mulligan mit nach oben in unsere Colour Suite.» Dann wendet er sich wieder mir zu. «Du wirst schweigen und zusehen, wie sich die Magie entfaltet.»
Wenn es unten aussieht, als wäre Marie Antoinette für die Innenausstattung verantwortlich gewesen, so ist die Colour Suite ein Ausdruck von futuristischem Minimalismus. Alles ist weiß, sogar das übertrieben stylishe Magazin, das man mir zum Lesen gegeben hat, als Jacques vor vierundsechzig Stunden angefangen hat, Farbe auf mein Haar aufzutragen. Es hat sich herausgestellt, dass übertrieben stylishe Magazine auch übertrieben langweilig sind, also habe ich die letzten zwölf Minuten damit verbracht, meinen Daumennagel zu inspizieren.
Gott sei Dank kommt jetzt Jacques, der «Meisterkolorist», zurück.
«Auf einer Skala von eins bis zehn, wie orange ist es?», frage ich panisch, als er zur Probe eine Strähne auspackt.
Offensichtlich ist er nicht wegen seiner kommunikativen Fähigkeiten angestellt worden. Seine Antwort ist ein gallisches Schulterzucken, und ich starre mit wachsendem Entsetzen auf die nasse orangefarbene Masse auf meinem Kopf.
Ich lehne mich zum Auswaschen zurück und schließe die Augen. Das letzte Mal, dass ich meine natürliche Haarfarbe gesehen habe, war während meiner schrecklichen Teenagerjahre. Ich konnte den ständigen Hänseleien nur entkommen, indem ich mich mit Alanis Morissette in mein Zimmer verkroch. Ich war «Karottenkopf». Ich hatte «oranges Schamhaar». Ich war Nicola Roberts, während die anderen gemeinen Mädchen frei entscheiden konnten, welches Mitglied von Girls Aloud sie sein wollten. Erst als ich mich mit Selbstbräuner, Go-Blonder-Spray und Smirnoff Ice anfreundete, wurde ich langsam akzeptiert.
«Bitte zwing mich nicht, Ironic in meine Haarbürste zu singen», bettele ich, nachdem Jacques mich wieder nach unten gebracht hat.
«Ich verstehe das nicht», sagt Henri und setzt mich auf einen Stuhl ins Fenster seines Salons, wo ich a) aussehe wie eine Schaufensterdekoration und b) es keine Spiegel gibt. «So langes Haar steht dir nicht, das macht dein Gesicht flach wie einen Pfannkuchen, oui?»
Mit einem beigefarbenen Frühstück verglichen zu werden fühlt sich an wie ein neuer Tiefpunkt, also lasse ich mich in meinen Stuhl sinken und hoffe, dass die perfekt frisierten Menschen von Knightsbridge mich einfach übersehen. Ich könnte schwören, dass ich gerade Victoria Baker-Haber aus der Serie Made in Chelsea gesehen habe. Ich wette, sie wurde noch nie von jemandem, der aussieht wie Poirot, gezwungen, orangefarbenes Haar zu haben. Ihr Haar sieht aus wie die Mähne eines Vollblutpferdes.
Henri schnippelt und sprüht, bis er verkündet, dass ich fertig bin.
«Sollen wir deinen neuen Look enthüllen?»
«Nein?»
«Sei doch nicht so ein enfant terrible. Nico, den Spiegel.» Henri schnippt mit den Fingern.
Nico bricht unter dem Gewicht des riesigen, goldgerahmten Spiegels fast zusammen, während er sich zu uns herüberquält. Henri dreht theatralisch meinen Stuhl herum, sodass ich mein Spiegelbild sehe.
«Warum kneifst du die Augen zusammen?», verlangt er zu wissen.
«Oh, sorry», bringe ich hervor und zwinge mich, die Augen zu öffnen.
Mein blasses Katergesicht wird von zugegebenermaßen äußerst gesund glänzendem Haar eingerahmt. Wenn es so etwas gibt wie goldenes Kupfer, dann ist das meine neue Haarfarbe. Ein Pony verdeckt eine Seite meiner Stirn, und federleichte Locken ringeln sich bis kurz über meine Schultern.
«Ein Triumph», erklärt Henri. «Das Pony lockert das Ganze auf und betont deine phantastischen Wangenknochen. Die verschiedenen Lagen bringen Volumen ins Spiel. Und die Farbe! Oh, die Farbe. Ein wahres Meisterwerk, Jacques!» Er veranstaltet einen kleinen Applaus in Richtung Treppe, wo Jacques nervös auf sein Urteil gewartet hat. «Dieser Bronzeton! So nah an deiner natürlichen Haarfarbe, aber mit ein klein wenig mehr Oh, là, là, es bringt deine grünen Augen zur Geltung.» Er applaudiert noch ein bisschen mehr.
Ich beuge mich vor und schaue genauer hin. Meine neue Mähne sieht definitiv gut aus, die Farben erinnern an ein Herbstblatt, und ich muss zugeben, dass mir meine Haare kürzer ganz gut gefallen. Aber bin das ich? Bin ich selbstbewusst genug, um als wilder Rotschopf durchzugehen? Denn, seien wir mal ehrlich, in meiner Jugend bin ich daran kläglich gescheitert.
«Deine neue Frisur wird dich komplett verwandeln», fügt Henri hinzu. «Noch ein paar Kleinigkeiten, dann sind wir fertig.»
Noch mehr? Bitte nicht. Aber schon bald sitze ich auf der Rückbank eines Taxis, und zwar schneller, als ich Emma Stone sagen kann.
«Ist nicht wahr! Wer ist diese freche Göre, und was hat sie mit Isobel gemacht?»
Lucy zeigt ungläubig mit dem Finger auf mich.
«Ha, ha», murmele ich. Das Ganze ist mir eher peinlich.
«Mega», sagt sie und dreht mich im Kreis, um mich von allen Seiten zu begutachten.
«Wirklich? Es gefällt dir?», frage ich und schiebe eine meiner neuen Haarsträhnen hinters Ohr. Sie fühlt sich an wie Seide. Heute Morgen hat mein Haar sich noch wie ein Klettverschluss angefühlt.
«Ob es mir gefällt? Du siehst total krass aus! Freust du dich gar nicht? Du weißt schon, dass es schwerer ist, einen Termin bei Henri zu bekommen, als einen Tisch im Noma zu reservieren, oder?»
«Jetzt weiß ich es», nicke ich. «Ich glaube, mir gefällt es auch. Ich meine, den Schnitt mag ich natürlich, nur das Rot ist so nah an meiner Naturhaarfarbe, das ist vielleicht ein bisschen … gewagt.»
«Aber du solltest ja auch etwas wagen. Und jetzt komm zu Mami, Phase zwei beginnt sofort.» Lucy winkt mir, ihr zu folgen.
«Wo sind wir hier überhaupt?», frage ich. Wir laufen einen Flur in einem Hotel entlang.
«An einem meiner Lieblingsorte für Shootings. Das Licht im Penthouse ist ideal.»
«Shootings?»
«Komm schon. Wir können doch kein Makeover mit dir machen, ohne auch Bilder in deinem Feature zu bringen. Oder?»
Wir betreten einen riesigen Raum voller cremefarbener Möbel, Kakteen und strategisch platzierter Messingornamente. Der Teppich ist so weich, dass es sich anfühlt, als ob ich auf einem Trampolin laufe.
«Jetzt setz dich und lass Elektra ein bisschen zaubern.» Lucy schubst mich in ein Badezimmer, das größer ist als meine gesamte Wohnung. Ich hocke mich auf einen Klappstuhl und versuche, nicht das ganze Make-up zu stehlen. Elektra hat einen ganzen KOFFER voll Zeug mitgebracht. Paletten mit jeder Lidschattenfarbe, die man sich nur vorstellen kann, tubenweise Highlighter und eine Tasche voller Lippenstifte. Ich stelle mir gerne vor, dass ich in irgendeinem Paralleluniversum Kosmetikerin gewesen wäre. Für jemanden, der sich eigentlich nicht viel schminkt, bin ich geradezu besessen davon, mir neue Produkte zuzulegen. Lass mich unbeaufsichtigt in eine Drogerie gehen, und ich komme sicher mit neun Eyelinern wieder raus, von denen keiner zu meinen Augen passt. Noch dazu habe ich keine Ahnung, wie ich dieses Zeug tatsächlich auf mein Gesicht bekomme. Meistens mache ich mir gar nicht erst die Mühe. Außer, es ist Mittwoch, oder … Nein, das ist wahrscheinlich der einzige Anlass.
«Erzähl mir von deinem Feuchtigkeitsritual», sagt Elektra.
Ein Ritual? Verdammt.
«Da bin ich ziemlich religiös», lüge ich überzeugend.
Sie betrachtet meine ausgetrocknete Haut und runzelt die Stirn. «Du bist keine sonderlich überzeugende Lügnerin.»
Oh.
«Und die Reinigung?»
«Absolut. Ich verwende seit Jahren dasselbe Produkt, du weißt schon, dieses Zeug für Teenager, das Pickel austrocknet.»
«Ach du lieber Gott», seufzt sie. «Du hast keine Pickel, und du bist auch kein Teenager, Izzy. Deine Haut ist sehr rein, und wenn du dir die Zeit nehmen würdest, dich darum zu kümmern, würde sie richtig strahlen. Du musst ein bisschen Geld für gutes Gesichtswasser, Toner und Feuchtigkeitscreme ausgeben. Investiere in deine Haut! Verwende die Produkte zweimal täglich, auch wenn du kein Make-up aufgelegt hattest. Versprochen?»
Weil sie mit einer Pinzette wenige Millimeter vor meinen Augen herumfuchtelt, verspreche ich es.
«Was hältst du hiervon?» Lucy kommt mit einem zartrosa Abendkleid auf einem Bügel zurück.
«Stark», verkündet Elektra.
«Ha, ha, toller Witz», lache ich.
Lucy wedelt ärgerlich mit dem Kleid herum.
«Das ist doch nicht dein Ernst?», frage ich. «Das ist rosa! Falls du es noch nicht bemerkt hast, ich habe jetzt blasse Haut und rote Haare.»
Lucy kommt näher und hält mir das Kleid unter die Nase. «Es wird toll an dir aussehen.»
«Nein. Auf keinen Fall. Rosa und Rot passen nicht zusammen.» Ich drehe störrisch den Kopf zur Seite.
Lucy hängt das Kleid an den Haken an der Tür und dreht sich dann mit dem Gesichtsausdruck einer Massenmörderin zu mir um.
«Hilf mir noch mal auf die Sprünge, Isobel, heißt das Feature Ja(hr) oder Nein? Ist es jetzt schon so weit? Du rennst weg und versteckst dich, wenn du Angst hast, wie immer?»
Autsch. Ich schiebe meine Unterlippe vor wie ein unartiger Welpe.
«Nein, aber …»
«Vertrau einfach Tante Lucy. Elektra, schrei, wenn sie einen Fluchtversuch macht.» Lucy dreht sich auf dem Absatz um und verschwindet.
«Diese Spannung! Diese Aufregung!» Lucy kichert.
Alles, was sich in meinem sehr begrenzten Blickfeld befindet, sind ihre rot lackierten Zehennägel, die auf dem luxuriösen Teppich herumwackeln.
«Luce … Darf ich es sehen?»
«Aber natürlich. Ta-daaaaaaaaaaaa!» Sie nimmt ihre Hände von meinen Augen, und ich blinzele dem Spiegelbild vor mir entgegen.