Mein Lebensweg - Kouame Tiemoko - E-Book

Mein Lebensweg E-Book

Kouame Tiemoko

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Beschreibung

In Deutschland blickt ein junger Mann zurück auf seine schwere Jugend als Pflegekind in der Elfenbeinküste. Schon an den ersten Schultagen bekommt Kouame die Peitsche, weil er geografische Formen nicht sauber genug zeichnet. Aber er will lernen und zu den Besten in der Klasse gehören. Dafür muss er als Erstes besser Französisch sprechen, wie die anderen Kinder, denn das ist die Unterrichtssprache. Als sein Vater krank wird und stirbt, ändert sich alles. Wird seine Pflegefamilie weiter für die Schule zahlen? Kouame findet Kraft im Glauben und in seiner Leidenschaft fürs Lernen. Er ahnt noch nicht, auf welche Wege ihn das führen wird. In dieser wahren Geschichte meistert ein junger Mensch Glück und Unglück, weil er glaubt und will. Der Autor kam nach Deutschland zum Zwecke eines Bundesfreiwilligendienstes und absolvierte danach an der freien Hochschule Stuttgart ein Master of Art. Seitdem ist er im pädagogischen Bereich berufstätig.

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Das Buch widme ich meinen gestorbenen Eltern, meinen Freunden und Bekannten, allen Lesern und Leserinnen und meinen Pflegeeltern, denen ich vergeben habe. Ich möchte durch dieses Buch zeigen, dass die Vergebung in sich selbst eine Macht ist.

Inhalt

Vorwort

Kapitel I: Meine Geburt und das Leben in Yamoussokro

Kapitel II: Das Leben in Abengourou

Kapitel III: Das Leben in Mbahiakro

Kapitel IV: Das Leben in Bouake

Kapitel V: Das Leben in Bouafle

Kapitel VI: Das Leben in Abidjan und meine Reise nach Deutschland

Vorwort

Der Protagonist musste sein Leben in einer hoffnungslosen Atmosphäre beginnen. Er hat sowohl schöne als auch schlechte Momente erlebt, von denen er in einem autobiografischen Roman erzählt. Der Autor berichtet von sich selbst und gibt vor allem ein Zeugnis von seinem starken Glauben an Jesus Christus als Beschützer und Wegweiser. Es gibt an manchen Stellen des Buchs Trümpfe, Hürden und Jammervolles. Er fragt sich, warum er so viel leiden musste, um sein Leben zu bewältigen. Die Prüfungen im Leben haben ihn gestärkt und ihm geholfen, seinen Glauben zu vertiefen. »Mein Lebensweg« ist die erste Soloveröffentlichung des Autors. Das Buch ist eine wahre Erzählung und enthält viele Fakten. Die Namen von manchen Personen sind aber fiktiv, damit diese anonym bleiben können. Er war Co-Autor von »Dans les méandres du paradis« und »génération covidée«, die auf Französisch in seiner Heimat veröffentlicht wurden.

Tiemoko Kouame

Kapitel I: Meine Geburt und das Leben in Yamoussokro

»Witwen und Waisen in ihrer Not zu helfen und sich vom gottlosen Treiben dieser Welt nicht verführen zu lassen – das ist wirkliche Frömmigkeit, mit der man Gott, dem Vater, dient.« – Jakobus 1,27

Ich bin in Bouafle in einem Entbindungshaus am Nachmittag geboren worden. Meine Geburt löste bei meinem Vater eine große Freude aus, denn sein Gebet war in Erfüllung gegangen. Er lebte mit meiner Mutter zusammen und wünschte sich von ganzem Herzen, ein Kind zu haben. Ich bin in dem gleichen Zeitraum wie meine Cousine Annick zur Welt gekommen, die einen Monat nach meiner Geburt geboren wurde. Wegen einiger Ähnlichkeiten zwischen uns beiden glaubten manche Leute, dass wir Zwillinge seien.

Ich verbrachte einen Teil meiner Kindheit in Bouafle. Mein Vater war Juwelier von Beruf und meine Mutter war Palmölverkäuferin. Die Arbeit meines Vaters war profitabel. Meine Mutter verdiente im Gegensatz dazu sehr wenig, aber wir konnten damit durchschnittlich leben. Ich war noch klein und ignorierte einige Realitäten des Lebens.

In der gleichen Stadt wohnte mein Onkel, der Lehrer an der Grundschule war. Er war ein gläubiger Christ. Nach seiner Taufe wurde er zu einem der Leiter der Kirche berufen. Er war ein sehr geordneter Mann, langmütig und fleißig. Er ging einmal in der Woche auf die Jagd und brachte Wildtiere nach Hause, die die Familie wochenlang ernähren konnten. Er wohnte in einem Haus, dessen Bau er selbst finanziert hatte. Er war zielgerichtet und sparsam.

Die Stadt Bouafle liegt in der Region La Marahoue und wird vom zweitgrößten Fluss der Elfenbeinküste durchströmt, dem Bandama. Der Comoe ist der größte Fluss. Diese Stadt ist für ihre Ruhe und ihren Frieden bekannt. Sie gilt wegen ihrer Lage als Transitort für die nach Gagnoa, eine Nachbarstadt, und andere Städte in der Umgebung Reisenden.

Mein Vater und meine Mutter mochten es, in dieser Stadt zu leben. Einige Jahre später entschied mein Vater allerdings, sein eigenes Geschäft zu öffnen. Er gründete seine eigene Schmuckwerkstatt. Mithilfe einiger Mitarbeiter, die schon lange im Bereich des Schmucks arbeiteten, konnte er einen zu vermietenden Laden in einer der Nachbarstädte finden, nämlich Yamoussokro, der politischen Hauptstadt der Elfenbeinküste. Infolgedessen zogen wir nach Yamoussokro um und wohnten inDioulabougou, einem ärmeren Viertel von Yamoussokro. Der Arbeitsort meines Vaters lag ungefähr zehn Kilometer von unserem Wohnort entfernt. Er befand sich in der Nähe der Residenz von Félix Houphouët-Boigny, dem damaligen Präsidenten der Elfenbeinküste. Vor der Residenz des Präsidenten war ein See, der unter der Bezeichnung Lac Caiman bekannt war. Dort lebten viele Kaimane, um die sich ein paar Züchter kümmerten. Neben dem See war ein Restaurant, wo man europäisch essen konnte. Es gab Brot mit Käse, Wurst und Salat.

Das Hauptgericht in diesem Restaurant, das von Libanesen geführt wurde, war Chawarma.

Mein Vater mochte es, mit seinen französischen Freunden in diesem Restaurant zu essen, die zum Zwecke des Tourismus öfter in die Elfenbeinküste kamen. Die französischen Touristen kauften Gold bei meinem Vater, der viel im Kontakt mit den Goldgräbern war. Als er mit seinen Freunden die touristischen Stellen besichtigen ging, nahm er mich in seine Arme. Wir besichtigten die Basilika Félix Houphouët-Boigny. Félix Houphouët-Boigny gründete dieses Bauwerk, nachdem er vom Fetischismus zum Christentum bekehrt worden war. Sein christlicher Glaube war ihm so wichtig, dass er seiner Religion diese Basilika gewidmet hat. Das ist weltweit die zweitgrößte Basilika nach der von Rom in Italien.

Ich mochte es, mit meinem Vater auf die Arbeit zu gehen, denn ich war ihm näher als meine kleine Schwester, die mehr Zeit mit meiner Mutter verbrachte. Ich liebte meine Mutter aber genauso wie meinen Vater. Sie waren für mich wunderbare Eltern und ich bedankte mich bei Gott, dass er mir so liebevolle, zärtliche und freundliche Eltern gegeben hatte.

Wir lebten gemeinsam mit zwei Cousins von der Seite meines Vaters, nämlich André und Richard, die sehr höflich waren und meine Eltern respektierten. Ich mochte es, mit meiner Schwester im Sand zu spielen, die sehr hübsch und öfter sehr laut war, und tat dies oft.

Ich beherrschte nur Dioula, eine Volkssprache, die sich durch den Handel in der Elfenbeinküste verbreitet hatte. Das ist eine Sprache, die damals von den zugewanderten Völkern im Norden der Elfenbeinküste gesprochen wurde und von ihnen bis heute gesprochen wird.

In meiner Kindheit war ich sehr naiv und ignorant, was den Ursprung der Menschheit betrifft. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Menschen durch eine Paarung zwischen einem Mann und einer Frau in die Welt kamen. Für mich wurden Menschen auf dem Markt gekauft, so wie Kleider und Nahrung. Der einzige Unterschied zwischen den Verkaufsartikeln und den Menschen war meiner Vostellung nach, dass die Menschen in Vitrinen zum Verkauf ausgestellt würden. Das waren meine kindlichen Ideen, denn ich war noch ganz klein.

Zum Feierabend ließ mich mein Vater manchmal das Wort »Sissai« hören, was Hähnchenfleisch bedeutet. Hörte ich das Wort, hieß es, dass wir bei dem Verkäufer von Hähnchenfleisch vorbeigehen sollten, dessen Laden nicht weit weg von der Schmuckwerkstatt meines Vaters lag. Das Hähnchen wurde meistens vor unseren Augen geschlachtet. Die Federn wurden mithilfe von brühendem Wasser entfernt. Das ganze Hähnchen wurde in eine Tüte verpackt. Wenn wir nach Hause kamen, kochte meine Mutter damit eine köstliche Suppe, die wir entweder mit Reis oder mit Attiéké1 aßen.

Ich schlief auf demselben Bett wie meine Eltern, meistens in der Mitte zwischen meiner Mutter und meinem Vater. Meine Cousins schliefen in dem anderen Zimmer, denn das Haus verfügte über zwei Zimmer, ein Wohnzimmer, eine gemeinsame Küche und eine Dusche. Wenn wir Gäste bekamen, schliefen meine Cousins im Wohnzimmer und machten den Gästen Platz. Wir führten trotzdem ein sehr bescheidenes, aber zufriedenes Leben.

Mein Vater war nicht zu streng, obwohl er viel Alkohol trank und rauchte. Zu dieser Zeit waren die Zigarettenmarken wie »Malboro«, »Dunhill« und »Craven A« sehr bekannt und wurden viel konsumiert. Er trank die bekannteste Alkoholmarke des Landes, nämlich »Bock«, und kostete sein Leben aus. Er sagte mir öfter: »Eric, das Leben ist kurz, lass es uns genießen.« Er nahm mich immer mit, wenn er spazieren ging oder Freunde besuchen wollte. Auf dem Weg machten wir stets eine Pause in einem Lokal, wo man zugleich Essen und alkoholisierte Getränke bekommen konnte. Mein Vater bestellte immer eine Flasche Bier und versäumte es nie, der Kellnerin zu sagen, dass sie zwei Gläser bringen sollte, das heißt ein Glas für ihn und ein anderes für mich. Ich trank, ohne zu realisieren, was für einen Effekt das auf den Organismus haben konnte. Ich war einfach zu dem schönen Geschmack hingezogen.

Mein Vater war ein netter und offener Mensch. Er mochte eine gut gemachte Arbeit und faulenzte nie. Als Chef in seiner eigenen Schmuckwerkstatt gab er sich große Mühe, seinen Angestellten und Auszubildenden gute Arbeitsbedingungen zu verschaffen. Er hatte jedoch auch ein cholerisches Temperament, das er nicht zu verbergen vermochte. Andererseits war er auch langmütig und öfter melancholisch. Er war ein großer Fußballfan und seine Lieblingsmannschaft war »Africa Sport National«, eine lokale Fußballmannschaft, die öfter den nationalen Pokal während des nationalen Fußballturniers gewann. Mein Vater unterstützte diese Mannschaft unabhängig von den Ergebnissen. Er war ein treuer Fan. Wenn seine Mannschaft gewann, war er immer überglücklich und versprach, den Sieg zu feiern. Die Dribblings zum Beispiel von Tehi Joel, einem der besten Offensivspieler der Mannschaft, machten ihm Spaß und vor allem war er stolz auf ihn. Er betrachtete sich als Muslim, weil er zur Moschee ging, allerdings unregelmäßig. Infolgedessen bekam er den Spitznamen Yusuf2. Die meisten seiner Freunde und Arbeitskollegen mochten es, ihn einfach so zu nennen. Im Laufe der Zeit ging mein Vater jedoch nicht mehr in die Moschee, glaubte noch mehr daran, dass das Leben ihm geben konnte, was er brauchte, und lebte vor allem von Liebe und Brüderlichkeit und von den Tugenden wie Geduld, Respekt und Demut. Für ihn konnte das genügen, um dem Hass, dem Neid und der Bosheit der Menschen zu entkommen. Er war nicht streitsüchtig und vermied schlechte Gesellschaft. Mein Vater glaubte fest an eine bessere Zukunft und träumte davon, Millionär zu werden. Aus diesem Grunde spielte er viel Lotto, obwohl er meist nicht das Glück hatte, höhere Geldsummen zu gewinnen. Er gab nie auf und konnte bis 20 000 FCFA (die Währung in der Elfenbeinküste) oder circa 31 Euro gewinnen.

Was meine Mutter betrifft, war sie schlau, loyal und an die Bräuche gebunden. Meine Mutter mochte die Ordnung, die Aufrichtigkeit und sie war fleißig. Neben ihrem Job als Palmölverkäuferin verkaufte sie Gemüse und Trockenfische und verdiente damit viel Geld.

Auf dem Markt Dioulabougou war sie bekannt für ihre Ausdauer und ihren Fleiß. Dank dieser Aktivität konnte sich meine Mutter um sich selbst kümmern und sogar meinen Vater öfter finanziell unterstützen, wenn dieser mit finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert war. Während der feierlichen Anlässe wie Weihnachten und Silvester hatten wir, vor allem Sylvie, meine Schwester, die noch sehr klein war, und ich, die schönste Kleidung in unserem Viertel an.

Es war mir eine Ehre und Freude, bei meinen Eltern zu sein. Ich war meinem Vater näher, der mich immer auf seinem Motorrad mit zur Arbeit nahm. So konnte ich nebenbei auch lernen, wie man Schmuck fabrizierte. Es gelang mir, Ketten, Armbänder, Ringe und Armkettchen zu basteln. Seine Kunden waren ihm treu und loyal.

Sylvie schlief von nun an auf dem Bett mit meinen Eltern und ich schlief auf einer Matte, die auf dem Boden lag. Ich war nicht neidisch und verstand, dass ich größer wurde. Ich war fünf Jahre alt und sollte daher lernen, allein zu schlafen. Ich hatte Träume, in denen ich flog, und ich fand das interessant. Öfter kamen aber Träume, in denen ich mich irgendwo im Busch oder an einem verlassenen Ort befand und urinierte. Wenn ich aufwachte, war meine Hose nass. Das war immer so, aber ich sprach mit niemandem darüber. Ich verstand nicht ganz, was los war. Meine Eltern wussten zwar, dass ich Pipi auf der Matte machte, aber ich erzählte ihnen nicht von den Träumen. Sie verstanden mich und hatten mit mir Geduld. Was mich betrifft, war ich eher beunruhigt, denn ich hatte auch Albträume, in denen merkwürdige Dinge geschahen. Gestalten, deren Identität schwer zu erkennen war, liefen hinter mir her, bis ich erschöpft war und an einem Ort ankam, wo der Weg nicht mehr weiterging. Ich stand plötzlich von der Matte auf und war erschrocken. Ich war regelmäßig krank und streitsüchtig. Wenn ich mich gestritten hatte und geschlagen worden war, kam ich weinend nach Hause. Manchmal schlug ich meinen Gegner und rühmte mich des Siegs.

Wir wohnten auf einem gemeinsamen Hof und hatten gute Beziehungen zu unseren Nachbarn. Unsere direkte Nachbarin hieß Sarah. Sie besuchte eine evangelische Kirche und bemerkte, dass ich mich gern prügelte und streitsüchtig war. Sie lud mich mit der Zustimmung meiner Eltern in die Kirche ein. Am Anfang lehnte ich es ab, in die Kirche mitzugehen. Ich ließ mich aber allmählich von ihr überzeugen und ging mit ihr zusammen in die Kirche. Meine Eltern hatten nichts gegen die Religion und waren sehr offene Menschen. Als ich die Kirche betrat, entdeckte ich eine andere Welt, wo Leute sangen und beteten. Ich war vor allem neugierig und wollte es genauso wie sie machen. Ein Lied fiel mir auf, nämlich »Jesus est mon ami, mon ami de tous les jours«, oder ins Deutsche übersetzt »Jesus ist mein Freund, mein Alltagsfreund«. Nach dem Gottesdienst spürte ich eine besondere innerliche Freude und wollte jeden Sonntag wieder in die Kirche gehen. Ich hörte nicht damit auf, die kirchlichen Lieder, die ich gehört hatte, zu Hause zu singen. Ich hörte aber langsam damit auf, Albträume zu haben und Pipi auf der Matratze zu machen. Ich prügelte mich nun nur noch selten und passte sehr gut auf mich selbst auf, wenn meine Eltern nicht zu Hause waren. Ich war das beliebteste Kind, denn ich bekam alles, was ich von meinen Eltern wünschte. Die Mitbewohner auf dem gemeinsamen Hof mochten mich in ihre Arme nehmen, denn ich war für sie ein hübsches Kind.

Es kam die Einschulung. Mein Vater kam nach Absprache mit meiner Mutter zu dem Entschluss, mich direkt, das heißt, ohne dass ich erst in den Kindergarten gegangen wäre, in die erste Klasse an der Grundschule »Epp Djoulabougou« einzuschulen. Sowieso war ich schon alt genug und konnte nicht erst in den Kindergarten gehen. Ich war in der ersten Klasse sieben Jahre alt und konnte kaum Französisch sprechen, weil ich mich mit meinen Eltern immer auf Dioula unterhielt. Immerhin konnte ich ein paar Wörter sagen, es war mir aber schwierig, fließend zu sprechen. Diese Situation störte mich sehr, denn die anderen Schüler, die direkt vom Kindergarten kamen, konnten schon besser Französisch als ich. Wenn sie mich ansprachen, antwortete ich meist auf Dioula. Zu Hause war ich sehr oft unruhig und in der Schule eher ruhig und vor allem ängstlich.

Am ersten Schultag sollte sich jeder kurz mit dem Namen, Vornamen, Wohnort und Geburtsdatum vorstellen. Es gelang mir, problemlos an der Vorstellrunde teilzunehmen, ohne dass man merkte, dass ich nur sehr wenig Französisch konnte. Als ich nach Hause kam, erzählte ich meinen Eltern mit Freude, was in der Schule passiert war. Ich war froh, endlich in die Schule gehen zu können. Ich war froh, eine neue Umgebung zu entdecken und neue Bekanntschaften zu schließen. Das war eine andere Welt als das, was ich täglich erlebte. Ich hatte eine neue Schultasche, Schiefertafel, einen neuen Kugelschreiber, einen Bleistift, ein Radiergummi, ein Schreibheft, ein Zeichenheft, ein Lesebuch, ein Mathematikheft und ein Übungsheft, was die Gesamtheit meiner Lernmittel in der ersten Klasse darstellte. Ich war damit sehr zufrieden und auf meinen Vater sehr stolz, weil er mir all dieses Schulmaterial gekauft hatte. Ich war mir aber auch bewusst, vor welcher Herausforderung ich stand, nämlich die Klassenarbeiten bestehen und beste Noten erhalten, um in die nächsthöhere Klasse zu gehen. Die nächsten Schultage wurden ernster und unterschieden sich von den ersten Schultagen, die eher locker waren, weil wir noch nicht mit dem Schulprogramm der ersten Klasse begonnen hatten. Wir fingen mit dem Formenzeichnen an, den Kurven, Geraden und den durchbrochenen Linien. Es gelang mir gut, die Kurven zu zeichnen. Allerdings hatte ich Schwierigkeiten bei den restlichen Formen. Herr Etienne, unser Klassenlehrer, ging schrittweise durch die Gänge und beobachtete, was wir zeichneten. Alle, denen es gelang, die Formen auf die Schiefertafel zu bringen, konnten den Peitschenhieben entkommen. Er hatte eine Peitsche in der Hand, die er selbst geflochten hatte. Er kam auf mich zu und sagte:

»Zeig mir sofort, was du bisher geschafft hast!«

»Hier, Herr Etienne«, sagte ich mit einer ängstlichen Stimme.

Ich konnte danach ein lautes Geräusch auf meinem Rücken hören. Ich bekam fünf Peitschenhiebe aufgrund der nicht ordentlich gezeichneten Formen. Ich weinte bitterlich und glaubte, jemand könnte etwas daran ändern. Der Klassenlehrer wurde zu meiner Schulzeit zwar verehrt. Ich entschied aber, meinen Eltern davon zu erzählen. Ich wollte nie wieder in die Schule gehen. Ich wollte lieber in der Schmuckwerkstatt meines Vaters das Schmuckgeschäft lernen. Als ich also nach Hause kam, berichtete ich meinen Eltern, wie alles passiert war. Mein Vater fing ein raues Gespräch mit mir an:

»Wer hat dich geschlagen?«

»Mein Klassenlehrer. Er hat mich mit der Peitsche geschlagen. Ich will nicht mehr in die Schule gehen.«

»Was!«, schrie mein Vater mit einer lauten Stimme.

»Ich sage, ich will nicht mehr …«

Bevor ich den Satz vollendet hatte, wurde mein Vater zornig und zog seinen Hosengürtel aus. Er schlug mich damit. Ich war untröstlich und weinte. Ich fand das ungerecht, denn ich wollte eigentlich in die Schule gehen, aber hatte Angst vor der Peitsche meines Klassenlehrers. Ich fühlte mich unverstanden. Ich konnte jedoch nur gehorchen. Ich hatte meinen Vater sehr lieb und verstand ihn. Er hatte so viel Geld ausgegeben, damit ich in die Schule ging. Es wäre für ihn eine Geldverschwendung, vor allem aber eine Schande, wenn sein Sohn sich weigerte, in die Schule zu gehen.

Er befahl mir zusätzlich, meine Schulsachen zu holen, und er brachte mir selbst das Lesen, Schreiben und Rechnen bei. Wir wiederholten zusammen die Formen, die ich in der Klasse nicht geschafft hatte. Ich entsagte der Idee, nicht in die Schule zu gehen, und fing an, stark zu arbeiten, um die Peitsche meines Klassenlehrers zu vermeiden. Mein Vater war mit seinem Beruf a l s Juwelier sehr beschäftigt und konnte nicht immer zeitlich verfügbar sein, um mit mir zu üben. Er stellte für mich einen Hauslehrer an, bei dem ich einmal in der Woche übte.

Nach und nach wurde ich in der Schule besser. Ich konnte damit auch meinen Vater besser kennenlernen. Er war nicht nur ein sanfter und netter Mann, sondern auch streng, wenn es um das Lernen ging. Ich konnte endlich Spaß an der Schule haben. Mein Vater bereute etwas später, dass er mit mir so streng gewesen war, und versprach, mich nie wieder zu verprügeln. Er wollte mir ein neues Fahrrad besorgen, wenn ich die erste Klasse schaffen würde. Ich übte häufig allein zu Hause, weil der Hauslehrer öfter fehlte. Ich gab mir große Mühe, meine Lektionen nach der Schule zu lernen, damit ich nicht schnell vergaß, was wir in der Schule durchgenommen hatten. Damit konnte ich einen Vorsprung auf die anderen Schüler erlangen. Die letzte Klassenarbeit des Jahres war die bedeutendste. Die sollte ich unbedingt bestehen, um in die zweite Klasse zu gehen. Mein Niveau in der Klasse war nun ermutigender als vorher. Ich wurde selten geschlagen.

Mein Vater war öfter mit finanziellen Problemen konfrontiert, wenn das Geschäft nicht gut lief. Wenn er an seine französischen Freunde Goldstückchen verkaufte, hatte er zwar immer viel Geld dabei. Das Leben wurde im Allgemeinen aber schwieriger, weil mein Vater nicht mehr wie vorher Geld verdiente. Der Hauslehrer musste seinen Vertrag kündigen, weil er nicht regelmäßig seinen Lohn bekam. Ich musste nun allein zu Hause üben.

Es kamen die Osterferien. Mein Vater nahm den Vorschlag meiner Mutter an, ins Dorf zu reisen, um an der traditionellen Zeremonie der Initiierten teilzunehmen. Darunter muss man dies verstehen: Die volljährigen Mädchen nehmen mit der Zustimmung ihrer Eltern an einer Ausbildung im Wald teil, wo sie in selbst gebauten Hütten schlafen. Während dieser traditionsorientierten Ausbildung werden sie beschnitten. Die Klitoris, die bei den Frauen den Spaß beim Geschlechtsverkehr verursacht, wird entfernt und auch die Schamlippen und die Genitalien werden manchmal abgeschnitten. Sie lernen im Wald zum Beispiel, wie sie sich als Jungfrau bis zur Ehe erhalten können, und vor allem die gute Verhaltensweise in der Gesellschaft, um nicht in die Lebensfallen zu geraten. Vor unserer Reise ins Dorf sagte mein Vater unseren Nachbarn Bescheid, damit sie auf unsere Katze und die Wohnung aufpassten.

Wir nahmen an einem Wochenende einen Reisebus nach Man. Man ist eine Großstadt im westlichen Teil der Elfenbeinküste. Der Reisebus sollte über Dakouipleu, das Dorf meiner Mutter, fahren. Ich war zugleich freudig und neugierig. Das war für mich die erste Reise ins Dorf. Ich konnte während der Reise die schöne Landschaft mit Bäumen, Elefantengras und Wildtieren, die vor uns auf den Weg liefen, beobachten. Wir mussten beim Zollamt zu einer Kontrolle anhalten und die Ausweispapiere wurden begutachtet. Das Gepäck wurde stets kontrolliert, um gegen illegalen Drogenhandel zu kämpfen. Das war zu der Zeit des damaligen Präsidenten der Elfenbeinküste, als die Elfenbeinküste ein Gastland für viele Geflüchtete und Migranten war, die wegen des Bürgerkrieges in Liberia auf der Suche nach einem sicheren Ort waren. Da die Elfenbeinküste im Westen an Liberia grenzt, migrierten alle Geflüchteten in den westlichen Teil unseres Landes. Sie wurden von den Regierungsorganisationen alle gut empfangen und die Aktionen der humanitären Hilfe waren fürs Land ein großer Vorteil. Die Elfenbeinküste war außerdem zu dieser Zeit mit den politischen Protestbewegungen der Oppositionsparteien konfrontiert, die ein Mehrparteiensystem forderten. Diese Situation beeinflussten einige Ethnien der Bevölkerung des Westens stark, hauptsächlich die Wai, die für die Oppositionsparteien waren. Sie versperrten die Hauptstraßen mit Baumstämmen und riesigen Steinen. Alle Autos, die dort vorüberfahren mussten, blieben an diesem Tag stundenlang stehen.

Wir saßen an Bord eines Reisebusses namens STIF, ein Bus einer bekannten Reisegesellschaft der Elfenbeinküste, die eine direkte Konkurrenz der Reisegesellschaft UTEBE war. Es war Mittag, wir hatten großen Hunger. Es gab kein Restaurant in der Nähe. Das nächste Dorf, wo man etwas zum Essen kaufen konnte, lag von uns fünf Kilometer entfernt. Wir schafften es, in ungefähr einer Stunde zu Fuß bis zum Dorf zu laufen. Ich war noch klein und wurde beim Laufen schnell müde. Mein Vater nahm mich auf seinen Arm und meine Mutter trug Sylvie, meine kleine Schwester, auf dem Rücken. Wir fanden ein Restaurant, aufgebaut aus Ton, Holzstangen, Bambusstäben und Lianen, mit einem Strohdach. Das Essen war unter prekären hygienischen Bedingungen zubereitet. Die Straßen in dem Dorf waren nicht asphaltiert und sie waren sehr staubig. Wir waren hungrig und wollten nur etwas essen. Nach mehreren Stunden waren die Straßen endlich frei und wir konnten mit dem Reisebus weiterfahren.

Wir kamen bei Sonnenuntergang erschöpft im Dorf meiner Mutter an und wurden auf warme und herzliche Weise von den Dorfbewohnern empfangen. Pascaline, eine meiner Cousinen, nahm unser Gepäck und brachte es ins Gastzimmer. Meine Oma kochte uns eine traditionelle Mahlzeit, die uns sehr gut schmeckte. Eine großartige und vor allem sehr laute Stimmung herrschte im Dorf. In den Gassen fand man die Kinder im Sand spielend und plaudernd.

Sylvie war noch klein und saß immer auf dem Schoss meiner Mutter. Meine Eltern unterhielten sich mit Oma und Opa. Sie waren ganz neugierig und stellten viele Fragen über unsere Reise, die ermüdend und vor allem abenteuerlich gewesen war.

Es begann nun die Zeremonie der Initiierten. Meine Tante schenkte meinen Großeltern ein Schaf und mein Vater gab ihnen etwas Geld. Es wurde für mehr als fünfzig Gäste gekocht. Man hörte überall Trommelrhythmen, Gesänge und Tanzschritte von den Initiierten, die in einer ordentlichen Reihe gingen. Unter den Initiierten waren meine zwei Stiefschwestern. Meine Mutter hatte mit einem anderen Mann zwei Kinder gehabt, bevor sie meinen Vater kennenlernte. Meine Mutter hatte mir einmal von ihnen erzählt und ich war ganz gespannt, sie kennenlernen zu können. In kleineren Tanzschritten gingen die Initiierten in einer Reihe. Sie waren bis zu den Nieren mit einem Lendenschurz bekleidet und die oberen Körperteile waren nackt. Ihre Körper waren mit Öl eingerieben und sie tanzten barfuß.

Ich nahm zum ersten Mal an einer solchen Zeremonie teil und war darauf sehr neugierig. Diese Zeremonie war auch ein Wiedersehen aller Familienmitglieder, die das Dorf aufgrund ihres Studiums verlassen hatten, um in der Stadt zu wohnen. Viele davon blieben nach dem Studium in der Stadt und suchten nach einer Arbeit. Unter den Stadtbewohnern waren einige Prominente, die ihr Bestes gaben, um bei der Zeremonie im Dorf dabei zu sein. Die Stimmung im Dorf war festlich. Die Feier war ein Höhepunkt des kulturellen Lebens. Die Jugendlichen schenkten den Initiierten etwas zu trinken, um in ihre Nähe zu kommen. Das war für sie eine Strategie, um nach ihren Wunschfrauen zu suchen.

Nach der Zeremonie mussten meine Stiefschwestern das Dorf verlassen, weil sie in die Schule gehen sollten, und die nächste Schule befand sich in der nahen Großstadt. Meine Eltern und ich profitierten von dem Anlass, um die Stadt Man zu besichtigen. Man ist die Hauptstadt der Region 18 Montagnes. Es gibt in dieser Region viele Berge und der höchste Berg heißt Mont Nimba. Man ist die fünftgrößte Stadt der Elfenbeinküste. Die Stadt befindet sich etwa zwölf Kilometer von dem Dorf entfernt. Wir nahmen ein öffentliches Verkehrsmittel. Das war ein Kleintransporter mit Fenstern und mit bis zu neun Sitzplätzen, einschließlich Fahrersitz. Der Busfahrer wollte viel Geld verdienen. Aus diesem Grunde hatte er in einer Sitzreihe noch einige Sitzplätze erstellt, sodass es keinen Platz für die Passagiere gab, die ein- und aussteigen wollten. Man musste alle Passagiere stören, damit einer aussteigen konnte.

Die Stadt Man war voll von Menschen. Die Fußgänger strömten von überall her. Auf den Bürgersteigen befanden sich Obst- und Gemüsehändler. Man hörte das Geschrei der Wanderkaufleute, die ihre Waren mit Sicherheit und Eleganz anpriesen. Leute gingen hin und her wie in einer Hauptstraße von Peking. Man konnte auf den Gesichtern Freude und Frieden lesen. Einer der Gründe für die große Anzahl von Einwohnern in dieser Region der Elfenbeinküste bestand in der letzten Migrationswelle aus Liberia und Sierra Leone, wo Bürgerkrieg herrschte. Die Menschen fanden Zuflucht in Man und den Nachbarstädten. Sie konnten zwar fließend Englisch, mussten aber für ihre schnelle Integration Französisch lernen.

Wir kauften ein. Mein Vater kaufte für jeden von uns traditionelle Anzüge als Andenken. Nach dem Einkaufen statteten wir ein paar Bekannten einen Besuch ab. Wir konnten von der Ferne die Bergkette beobachten. Auch Mont Nimba, der höchste Berg der Elfenbeinküste, war zu sehen, der einen großen Wald beherbergt. Er sah wunderschön aus und machte Lust auf eine Wanderung. Da die Zeit drängte, konnten wir nicht viele Sehenswürdigkeiten besichtigen. Dann machten wir uns auf den Rückweg nach Yamoussokro. Wir fuhren mit einem brandneuen Bus von dem Reiseunternehmen UTB. Die Schule sollte für mich wieder beginnen. Die Osterferien gingen zu Ende. Mein Vater musste auch weiter seine Aufgaben als Chef seiner Juwelierwerkstatt erledigen.

Als wir wieder in Yamoussokro waren, dachte ich an alle Ereignisse zurück, die ich während meiner Ferien erlebt hatte, was in mir eine starke Sehnsucht hinterließ. Ich hatte Lust darauf, ins Dorf zurückzukehren und erneut die schönen Momente zu erleben, die leider so schnell vergangen waren. Ich wollte meine Cousine Pascaline, meine großen Halbschwestern und alle Leute, die ich kennengelernt hatte, wiedersehen. Am Dorfeingang befand sich ein See, der einen schönen Blick auf das ganze Dorf freigab. An dieses Bild dachte ich ständig. Ich spürte in mir so eine Leere, dass ich Zeit brauchte, um mich wieder einzuleben. In der Schule, genauer im Klassenraum, war ich oft geistesabwesend, weil meine Gedanken woanders waren. Ich wollte wieder reisen. Ich wollte vor der Realität flüchten und neue Abenteuer erleben. Zu Hause plauderte ich häufig mit Sarah, unserer direkten Nachbarin, und es tat mir gut. Wir gingen zusammen in die Kirche, wenn sie mich einlud. Sie sollte oft auf ihrer Einladung bestehen, damit ich in die Kirche mitging. Ich faulenzte gerne, wenn es darum ging, in die Kirche zu gehen. Für mich war Jesus im Leib irgendwo und hörte uns ihn anbeten und preisen. Ich glaubte nicht an schlechte Geister, weil ich in meinen kindlichen Vorstellungen lebte. Für mich war das Leben nur schön. Ich war zufrieden, jeden Sonntag in der Kirche sein zu können. Ich sang immer das gleiche Lied, nämlich »Jesus ist mein Freund und mein Alltagsfreund«. Da das Lied mir langweilig wurde, sang ich ein zusätzliches Lied, nämlich »Eeeeh Yaweh eeeeeh Yaweh Zounagnon, eeeeeeh Yaweh eeeeh Yaweh Zounagnon«, was bedeutet: »Eeeeh Gott, du bist gut. Eeeeeeh Gott, du bist gut«. Das ist ein Lied auf Bété, eine lokale Sprache der mittelwestlichen Region der Elfenbeinküste. Ich konnte das Lied immer wieder singen, ohne müde zu werden. Das war für mich ein wunderschöner Moment, jedes Mal wenn ich mich in der Kirche befand. Nach der Kirche machte ich meine Streifzüge durch das Viertel und spielte. Ich mochte es, Fußball barfuß auf einem staubigen Spielfeld zu spielen. Meine Mutter wusch meine Kleider immer mit der Hand und machte mir oft Vorwürfe, weil ich häufig meine Kleider verschmutzte. Die Vorwürfe fielen leider auf abgelenkte Ohren, sodass ich meine Kleider trotzdem weiter verschmutzte.

Das Schuljahr kam zu seinem Ende. Die Schüler mussten eine Prüfung ablegen, um in die nächste Klasse zu gehen. Ich träumte von dem Versprechen meines Vaters, der mir ein Fahrrad schenken wollte, falls ich die Abschlussprüfung bestünde. Ich lernte allein meine Lektionen und wiederholte alle Aufgaben, die ich in der Klasse mit dem Lehrer gemacht hatte. Mein Vater übte mit mir oft das Lesen und Schreiben. Ich wollte dieses Fahrrad bekommen. Am Tag der Prüfung war ich selbstsicher, weil ich genug rekapituliert hatte.

Eine Woche nach der Prüfung wurden die Ergebnisse bekannt gegeben und ich hatte die Prüfung mit einer guten Bewertung bestanden. Ich gehörte zu den besten Schülern der Klasse. Ich hatte es mir verdient, aber ich hatte diese gute Bewertung auch dank dem Druck meines Klassenlehrers und dem Charakter meines Vaters erhalten. Er hatte nicht auf meine Beschwerden über meinen Klassenlehrer gehört, sondern war mit dessen Benehmen einverstanden. Das hatte mir viel geholfen, die Prüfung zu bestehen. Nun musste ich auf das Versprechen meines Vaters zurückkommen. Ich war ihm hinterher und erinnerte ihn immer daran, dass er mir ein Fahrrad versprochen hatte. Er sagte mir stets, dass ich noch warten müsse und er es nicht vergessen habe. Die Sommerferien gingen sehr schnell vorbei und das Versprechen schien ein leeres Wort zu sein. Trotzdem hoffte ich immer noch darauf.

Ich ging regelmäßig mit meinem Vater auf die Arbeit. Ich lernte bei ihm das Juweliergeschäft. Ich hatte ein Sparschwein, wo ich das Trinkgeld von den Kunden und die Münze, die mir mein Vater gab, sparte. Ich arbeitete auch mit meinem Cousin namens Legro zusammen, der bei meinem Vater ein Lehrling war. Ich war oft neidisch auf ihn, weil er von meinem Vater ein Gehalt bekam. Ich wollte wie er sein und fand es langweilig, in die Schule zu gehen. Wenn das Geld in meinem Sparschwein eine höhere Summe erreichte, gab ich es meiner Mutter und sie kaufte mir damit neue Kleidung und Schuhe. Sie kümmerte sich gut darum und war auf mich stolz. Trotz meines kindlichen Verhaltens sah meine Mutter in mir oft einen Erwachsenen, weil ich sehr sparsam war.

Ich kannte schon einigermaßen den Wert des Geldes, aber es war mir oft schwierig, die Münzen zu unterscheiden. Für mich waren die größeren Münzen wertvoller als die kleinen. 50 fcfa zum Beispiel sind von der Fläche her kleiner als 25 fcfa. Ich verwechselte das immer und meine Mutter musste mir immer sagen, dass der Wert einer Münze das war, was darauf in Zahlen markiert war. Mir war eine Sache aber sicher: Geld war ein Tauschmittel.

Was meine Erziehung betraf, wurde ich von meinen Eltern sehr gut versorgt, weil sie in meine Schulausbildung viel investiert hatten und für mich das Beste wollten. Sie wollten zum Beispiel, dass ich eines Tages zu den hohen Beamten des Landes gehörte und ihnen finanziell helfen könnte. Ich wollte meine Eltern würdevoll vertreten. Ich liebte meine Eltern und war auf sie sehr stolz. Mein Vater war nicht reich, aber ebenfalls ein sehr stolzer Mann. Er war darauf stolz, einen Sohn zu haben, denn nach einer anonymen Umfrage hatte er sich vom ganzen Herzen einen Sohn gewünscht. Ich war für meinen Vater ein Schatz. Er ließ mich nie aus den Augen.

Was das versprochene Fahrrad betraf, hatte ich vergeblich gewartet. Er entschuldigte sich später bei mir und machte mir eine neue Versprechung. Das Fahrrad würde ich bekommen, wenn ich ein Jahr später für das neue Schuljahr in die nächste Klasse ginge. Diese nächste Klasse war CE1 oder das dritte Jahr an der Grundschule. In dieser Klasse lernen die Schüler in Großbuchstaben zu schreiben. Sie lernen keine Formzeichen mehr, sondern lange Sätze zu schreiben. Man muss auch in der Lage sein, die großen Zahlen zu schreiben und die Kardinalzahlen von den Ordnungszahlen zu unterscheiden. Man soll seine Lektionen ohne den Beistand des Lehrers von der Tafel abschreiben können. In dieser Klasse beginnt man auch mit dem Geschichtsunterricht und der Landeskunde sowie der Einführung in die Rechtschreibung.

Die Klasse CP2 oder das zweite Jahr an der Grundschule war die Fortsetzung der ersten Klasse. Man sollte in CP2 die Vorkenntnisse vertiefen. Wir mussten die komplizierten Silben und Laute lernen. Wir erfuhren, dass diese Klasse von dem Schuldirektor selbst gehalten werde und er strenger als der Klassenlehrer der ersten Klasse oder CEP1 sei. Ich hatte große Angst und fragte mich, wie das Schuljahr aussehen würde. Ich wollte unbedingt die zweite Klasse schaffen, um endlich das Fahrrad zu bekommen.

Meine Mutter machte den Haushalt und verkaufte immer noch auf dem Markt Palmöl. Ihr Palmöl bestellte sie direkt vom Dorf. Wenn jemand zu Besuch in die Stadt reisen sollte, nahm er die Ölkannen mit und brachte sie zu meiner Mutter. Das alles war für meine Mutter sehr anstrengend, denn sie musste sich außer dem Haushalt um mich und meine Schwester kümmern. Meine Schwester und ich waren noch klein und brauchten ihre ständige Aufmerksamkeit. Ich war acht Jahre alt und meine Mutter duschte mich und meine Schwester weiterhin unter freiem Himmel in einem Wasserbecken. Aufgrund ihrer vielen Aufgaben nahm mein Vater ihren Vorschlag an, gemäß dem meine Cousine Pascaline für eine bestimmte Zeit bei uns einziehen sollte, um ihr bei dem Haushalt zu helfen. Wir waren alle froh, Pascaline bei uns zu Hause zu empfangen. Ich war besonders glücklich, sie wiedersehen zu können, denn ich hatte sie während meiner Ferien im Dorf kennengelernt. Sie war dieselbe Person geblieben, mit ihrer dunkelbraunen Hautfarbe. Ihre geflochtenen Haare fielen auf ihren Rücken. Sie hatte natürliche Haare. Sie hatte eine normale Nase und ihre Zähne waren mit Süßholz immer ganz weiß geputzt. Sie war nicht groß und hatte eine normale Form. Sie war gehorsam und sehr fleißig. Sie half meiner Mutter viel im Haushalt. Meine Mutter konnte sich aufgrund ihrer Anwesenheit oft lange ausruhen. Wir waren eine sehr glückliche Familie, trotz der schwierigen finanziellen Situation. Für mich war es das Paradies auf der Erde.

Das Sterben war ein Tabuthema. In meiner kindlichen Vorstellung lebte der Mensch ewig und mir schien, es gäbe keinen Tod. Wenn ich krank war, dachte ich nie an den Tod. Ich war immer optimistisch und positiv. Tatsächlich war ich ignorant hinsichtlich der Sterblichkeit des menschlichen Wesens. Dass der Mensch durch eine Mutter in die Welt kommt, für einen Zeitraum lebt und dann stirbt, war mir unbekannt. Ich war gänzlich in einer kindlichen Welt eingeschlossen.

Pascaline half meiner Mutter eine Zeit lang und kehrte darauf zum Dorf zurück. Sie bekam von meinem Vater Taschengeld und viele Geschenke, nämlich Kleider und Schuhe. Ihre Unterstützung gefiel meiner Familie und besonders mir. Sie war zu uns allen sehr nett und offen.