Mein Lebenswerk in besten Händen - Klaus-Christian Knuffmann - E-Book

Mein Lebenswerk in besten Händen E-Book

Klaus-Christian Knuffmann

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Beschreibung

Es ist von besonderer Bedeutung, dass die zahlreichen mittelständischen Unternehmen, die für die Innovationskraft und wirtschaftliche Stärke Deutschlands stehen, in gute Nachfolgehände übergeben werden. Unternehmensnachfolge ist kein Tagesgeschäft – das stellen immer mehr Familienunternehmen fest. Der ehemalige Familienunternehmer und jetzige Unternehmensberater Klaus-Christian Knuffmann präsentiert aus dem großen Spektrum seiner langjährigen Erfahrung zwölf lebenswirkliche und lehrreiche Geschichten rund um das Thema Unternehmensnachfolge. Sie regen zum Schmunzeln und zum Nachdenken an. Jeder einzelne Fall hat seine Eigenheiten und zeigt, wie vielfältig und oft auch herausfordernd eine gelingende Unternehmensnachfolge ist.

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Seitenzahl: 320

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Klaus-Christian Knuffmann

Mein Lebenswerk in besten Händen

12 kurzweilige Geschichten für eine gelingende Unternehmensnachfolge

Mit einem Vorwort von Arist von Schlippe

Vandenhoeck & Ruprecht

Illustrationen von Marie-Charlotte Knuffmann

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen,

ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Marie-Charlotte Knuffmann

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-647-99395-9

Inhalt

Vorwort

Einführung: Wie würdest du das machen?

Ein kurzes Postskriptum der Illustratorin

Das Gute liegt manchmal so nah

Und die Moral von der Geschicht’ – Fazit und Learning

Immer wieder sonntags – Generationenkonflikt I

Und die Moral von der Geschicht’ – Fazit und Learning

Etwas ist immer, tröste dich

Und die Moral von der Geschicht’ – Fazit und Learning

Drei Kinder, sechs Enkel und viele Bäume

Und die Moral von der Geschicht’ – Fazit und Learning

Wenn eine Insolvenz die beste Lösung ist

Und die Moral von der Geschicht’ – Fazit und Learning

In vino veritas? Generationenkonflikt II

Und die Moral von der Geschicht’ – Fazit und Learning

Perlentaucher und Phantom

Und die Moral von der Geschicht’ – Fazit und Learning

Hochpräzision – aber nicht in der Nachfolge

Und die Moral von der Geschicht’ – Fazit und Learning

Ein wackeliger Tanz im Baugeschäft

Und die Moral von der Geschicht’ – Fazit und Learning

Der Reiz der Pensionszusage

Und die Moral von der Geschicht’ – Fazit und Learning

Nachfolge, aus dem Ärmel geschüttelt

Und die Moral von der Geschicht’ – Fazit und Learning

Der Junge muss hinter die Theke

Und auch bei der eigenen Geschicht’ fehlt die Moral ganz sicher nicht

Glossar

Quellen

Vorwort

Wie beginnt man ein Vorwort zu einem Buch von Geschichten? Am besten mit einer Geschichte. Sie kam mir in den Sinn, während ich mich mit den hier im Buch zusammengetragenen Erfahrungen vertraut machte, die ja alle ein Kernthema von Familienunternehmen behandeln: den Übergang von einer auf die nächste Generation.

Die Geschichte wurde mir von Vertretern eines alten, erfolgreichen Familienunternehmens erzählt. Dort ist es seit langem üblich, dass nur ein Mitglied der nächsten Generation in die Nachfolge eintritt. Ihm oder ihr werden sämtliche Anteile überschrieben, die Geschwister unterschreiben einen Verzicht auf den Pflichtteil ihres Erbes. Sie werden jeweils abgefunden, vermutlich durchaus großzügig, aber deutlich unter dem Wert, der ihrem Anteil am Unternehmen bei einer klassischen Erbteilung entsprochen hätte. Diese Regelung wird seit weit mehr als anderthalb Jahrhunderten von der Familie durch ein interessantes Narrativ, eine Art Rahmenerzählung, umspielt. Es hat, wenn man den Schilderungen glauben kann, bis zum heutigen Tag für Frieden gesorgt. Relativ früh im Entwicklungsverlauf der Großfamilie wird ein Familienmitglied ausgesucht und auf die Nachfolge vorbereitet. Der Prozess ist transparent, das heißt, die oder der Betreffende, aber auch die Geschwister, die Cousins und Cousinen wissen früh, um wen es geht. Und dann wird allen erzählt: Die ausgewählte Person ist eigentlich zu bemitleiden. Er oder sie hat einen anstrengenden Weg vor sich, muss spezielle Aus- und Weiterbildungen durchlaufen, um den besprochenen Karriereweg zu beschreiten, und sich auf ein hartes Berufsleben vorbereiten, das vollen Einsatz verlangt. Die anderen dagegen, das sind die Glückspilze: Nur weil der »Storch sie auf das richtige Fensterbrett gelegt« hat, also durch den Zufall des Schicksals, bekommen sie freies Geld, haben mehr Mittel zur Verfügung als 98 bis 99 Prozent der jungen Menschen in unserem Land. Ob dies für eigene Start-ups, für Immobilien, Ausbildungen eingesetzt oder angelegt wird, hat jeder selbst in der Hand. Entscheidend ist hier die Umwertung: Die Person, in deren Hand sich dann das Unternehmen befindet, ist zwar auf dem Papier reicher als die anderen, aber all das gehört nicht ihr allein, sie arbeitet darin, sie verwaltet es für die Familie – und diese ist Nutznießer des Wohlstands, der durch das Unternehmen und den jeweiligen Nachfolger generiert wird.

Auf geschickte und offenbar erfolgreiche Weise geht diese Familie mit einer Paradoxie um, an der sich viele Unternehmerfamilien abarbeiten. Die Unternehmensnachfolge ist im Verlauf eines Familienunternehmens bekanntlich ein kritisches, wohl das kritischste Thema. Viele Familien sind von der Fülle der zu beantwortenden Fragen, von der Intensität überfordert, mit der die Familienmitglieder auf die Überlegungen und Entscheidungen reagieren, wie die Nachfolge gut gestaltet werden könnte. Denn diese Situation macht die Spannung zwischen der Gerechtigkeitslogik der Familie und der des Unternehmens sehr prägnant deutlich: Für die Familie ist die gleichberechtigte Teilhabe aller Nachkommen an dem Familienprojekt genauso selbstverständlich, wie aus Unternehmenssicht ein voll entscheidungsfähiger Nachfolger erwartet wird, der oder die optimalerweise alle Anteile in der Hand halten sollte. Dieses unlösbare Dilemma – und die damit verbundenen Themen – bringt fast jede Unternehmerfamilie ins Schlingern, wenn nicht, ja, wenn nicht eine »gute Geschichte« erzählt werden kann. Diese kann zu einem Bestandteil der Family Governance werden, wie es das erzählte Beispiel zeigt. Zumindest gilt das für die ersten Generationenübergänge. Langfristig erfolgreiche, große Unternehmerfamilien haben meist familienstrategische Regelungen gefunden, die spätere Übergänge leichter machen, doch mindestens in den ersten zwei bis drei Nachfolgen, bis sich eine Familientradition herausgebildet hat, sind die Familien besonders verwundbar.

Denn hier muss entschieden werden und dabei wird eine der Logiken, Familie oder Unternehmen, zwangsläufig verletzt. Zugleich sind oft die – bislang ja meist noch – Väter zwar gewohnt, unternehmerisch schnell zu entscheiden. Ihr Entscheidungsprinzip lässt sich aber in ein ganz anderes Feld, nämlich in die Familie, nicht so einfach übertragen. Dort geht es um »Bindungskommunikation«, und das impliziert, dass man lange darüber spricht, diskutiert, kommuniziert. In manchen Familien fehlen schlicht die Worte, um zu besprechen, worum es geht, ein »Basta!« hilft überhaupt nicht weiter. Abgesehen davon gibt es oft noch kein Erfahrungswissen, wie mit all den Fragen umgegangen werden sollte, die sich stellen. Entsprechend hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Übergaben in den ersten Generationen missglücken oder gar nicht erst zustande kommen. Ob die kursierenden Zahlen tatsächlich so dramatisch sind (»nur 3 Prozent schaffen es in die dritte Generation«), ist schwer zu beurteilen, einer Familie in Not ist das wohl auch ziemlich egal und es hilft nur wenig, zu wissen, dass es vielen Familien so geht.

Nachfolge ist ein Thema, das das WIFU, das Institut für Familienunternehmen an der Universität Witten/Herdecke, an dem ich tätig bin, seit Jahrzehnten verfolgt. Eine der Empfehlungen, die von uns immer wieder gegeben werden, geht dahin, dass Familien am besten von anderen Familien lernen. Entsprechend werden auf ganz verschiedenen Ebenen Austauschforen angeboten, die es möglich machen, dass Familien in ähnlichen Lagen sich kennenlernen, begegnen und austauschen können. Das erscheint uns wichtiger als so manches Buch, in dem möglichst in kleinteilig vorgegebenen Schritten vorgeschrieben werden soll, wie man »es machen« solle. Natürlich sind diese Bücher nicht überflüssig, die Fragestellungen, um die es geht, sind dort oft gut und systematisch aufgelistet. Doch viele der brennenden, mit heftigen Gefühlen verbundenen Fragen lassen sich nicht nur sachlich beantworten. Hier braucht es noch eine andere Ebene des Lernens und des Informationsgewinns – und damit kommen wir zu dem vorliegenden Buch.

Es wurde von einem Autor geschrieben, der aus eigener, durchaus bitterer Erfahrung weiß, wovon er schreibt. Klaus-Christian Knuffmann stammt selbst aus einem Familienunternehmen und kennt die Turbulenzen, die Verletzungen und auch die schwer, wenn überhaupt, wiedergutzumachenden Beschädigungen, die die Familienbeziehungen in einem derartigen Prozess erfahren. Und er hat mit diesen Erfahrungen im Hintergrund über Jahrzehnte hinweg andere Familien in ähnlichen Lagen dabei unterstützt, eigene Antworten zu finden. Die Quintessenz all dieser Erfahrungen, und das macht dieses Buch so besonders, besteht nun nicht darin, dass den vielen Ratgebern ein weiterer hinzugefügt wird. Hier wird nicht gesagt, welcher Weg der richtige und unbedingt zu beschreitende ist. Stattdessen wird erzählt, wie es andere gemacht haben. Damit bietet dieses Buch im gewissen Sinn die Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen zusammenzusetzen und zu hören, wie es ihnen ergangen ist. Hier werden Geschichten erzählt, authentisch und kurzweilig, man lernt, in welche kuriosen Sackgassen die betroffenen Familien hineingeraten sind, aber auch, welche unterschiedlichen kreativen Wege heraus sie gefunden haben.

Ich wünsche diesem mit Tiefgang und zugleich mit Lockerheit geschriebenen Buch viele Leserinnen und Leser, seien es Betroffene, die »mittendrin« stecken oder die schon Ähnliches hinter sich haben, oder auch Beraterinnen und Berater, die ihren Horizont erweitern wollen. Sie alle, da bin ich sicher, werden die Inhalte mit Vergnügen und Betroffenheit lesen und die Geschichten auf die Lebenswirklichkeit übertragen können, mit der sie gerade selbst beschäftigt sind.

Arist von Schlippe

Einführung: Wie würdest du das machen?

»Wie würdest du das machen?« – Diese Frage klingt banal, aber wir dürfen sie nicht unterschätzen: Sie ist eine Zauberformel. Sie öffnet Türen, ebnet Wege für andere Sichtweisen und abweichende Meinungen, sie lädt ein zum Nachfragen und Zuhören, zu Dialog und Transparenz. »Wie würdest du das machen?« – ist aber (leider) auch eine Frage, die man in Familienunternehmen und Unternehmerfamilien sehr selten hört. Weil dort der Patriarch allein entscheidet? Weil ungeschriebene Gesetze gelebt und nie hinterfragt werden? Weil gewohnte Hierarchien und etablierte Strukturen eine gemeinsame Entscheidung, die die Belange des Einzelnen beachtet, nicht hergeben?

Muss man sich diese(r) Fragen denn als Unternehmer überhaupt stellen? Schließlich funktioniert es, so wie es ist, doch irgendwie und irgendwie funktioniert es sogar erstaunlich gut: Der Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland fußt wesentlich auf den Familienunternehmen und dem Mittelstand. Vor meinen Augen entsteht gerade das Bild einer Wirtschaft, in der Millionen heroischer Familienunternehmer an ihrem Karren ziehen und ihn mit Kraft und Willensstärke voranbringen. Jeder für sich, jeder in seine Richtung. Das tun sie mit großer Ausdauer, so lange, bis sie nicht mehr können und jemanden brauchen und suchen, der den Karren übernimmt. Aber was dann – einfach loslassen? An diesem entscheidenden Punkt stehen gerade tausende mittelständische Unternehmerfamilien. Laut KfW-Nachfolgemonitor1 sind die Zahlen dramatisch: »Hochgerechnet entsprechen die 7% der KMU, die innerhalb von zwei Jahren eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger benötigen, ca. 260.000 Unternehmen.« Viele dieser Unternehmen haben aber noch keinerlei Aktivitäten für einen erfolgreichen Wechsel an der Spitze unternommen. Das ist tragisch, denn Zeitdruck ist ein ganz schlechter Ratgeber. Generell. Aber ganz besonders bei der Nachfolge. Wie sieht es aufseiten der potenziellen Erben aus? Auch trübe. Schauen wir uns ein wenig in der Umfragelandschaft2 um, dann scheint es, dass gerade Unternehmerkinder wenig Lust haben, in Fußstapfen zu treten. Unternehmertum? Das schon. Aber bitte etwas Eigenes. Warum ist das so? Sagt uns das etwas über Familienunternehmen? Und: Wie ticken eigentlich Unternehmerfamilien abseits aller Klischees? Wie gehen sie wichtige Themen und Entscheidungen an – allen voran die überlebenswichtige Entscheidung der Nachfolge –, egal ob sie intern oder extern erfolgen soll oder kann? Den vielfältigen Antworten auf diese Fragen begegne ich seit nunmehr über 30 Jahren, zum einen als Nachfolgeberater, zum anderen als Familienunternehmer, der selbst einen innerfamiliären Generationenwechsel und einen Unternehmensübergang durchlebt hat. Eine Auswahl aus der Antwortvielfalt, die ich im Laufe der Jahre gefunden habe, findet sich in diesem Buch – heitere Antworten und humorvolle, aber durchaus auch nachdenkliche. Ich habe zwölf Geschichten herausgegriffen aus dem prallen Sack der unternehmerischen Erfahrung, die Nachfolge immer bedeutet, zwölf Geschichten, bei deren Lektüre Sie, liebe Leser und Leserinnen, sich fragen könnten: »Finde ich in dieser Geschichte ein Stück von mir?« Sie können entscheiden, ob Sie den Spiegel vorgehalten bekommen möchten und wenn ja – was Sie daraus machen.

So ein Spiegel hat ja sein Gutes – Erkenntnisgewinn, zum Beispiel. Andererseits versperrt er den Blick in die Ferne, auf die Träume, auf die Sehnsüchte. Man ist gefangen, mit seinem Spiegelbild beschäftigt, der Ausblick ist versperrt. Aber der Blick nach vorn ist wichtig für die Nachfolge, er allein ermöglicht das Loslassen des Lebenswerks. Mit dem Blick auf die Zukunft lasse ich los und kann mir selbst wichtige Fragen stellen: Welche Ideen sind noch da, welche Träume bisher ungelebt? Was gibt es zu unternehmen für den Unternehmer, abseits der Firma?

Gute Antworten auf diese Zukunftsfragen sind essenziell für eine gelingende Nachfolge, soviel kann ich hier schon verraten. Die Alternative – Loslassen ohne Zukunftsidee – ist mühsam, denn wer mit dem Lebenswerk Firma das ganze Leben verbindet, der beendet es gedanklich mit der Übergabe. Fühlt man sich in dieses Gedankenspiel ein, dann wird plötzlich glasklar, warum so viele Unternehmer die Entscheidung aussitzen, ausmanövrieren oder aufschieben und einfach. immer. weiter. machen. Was aber passiert dann?

Dann entsteht eine Art Blase, in welcher der Chef zum Fixstern wird – alle umkreisen ihn. Er ist aus der Zeit gefallen, ist immer da, er arbeitet noch, wenn er die Neunzig schon überschritten hat. Er ist der Fels in der Brandung, der Kapitän allein am Steuerrad. Das ist ein sicheres, vertrautes Gefühl für ihn selbst, für die Mitarbeiter, die Familie. Diese Sicherheit birgt aber zudem ein großes Problem: So ein Fixstern wird irgendwann alternativlos. »Wie soll jemand es jemals so machen wie ich?« Diese Frage höre ich immer wieder, sie ist verbunden mit der Einstellung, dass »es« natürlich nur auf eine Art gemacht werden kann – niemals anders. Diese Alternativlosigkeit führt uns mitten in einen Generationenkonflikt, der so frustrierend wie häufig ist und den wir nicht nur bei familieninternen Nachfolgen antreffen: Der »Alte« lässt nicht los, weil die »Jungen« es nicht können – seiner Meinung nach. Die Jungen können nicht zeigen, was in ihnen steckt, weil der Alte nicht loslässt. Ein Henne-Ei-Problem, ein Perpetuum mobile, ein endloser Tanz. Ja, es ist ein Tanz, aber kein fröhlicher, gerade von außen betrachtet wirkt er ermüdend und irgendwie tragisch. Hier hilft nur eines: Die Stopptaste drücken. (Übrigens eine exzellente Methode im Projektmanagement, sie wird uns hier noch häufiger begegnen.) Dann einen Schritt zurücktreten und Platz schaffen – Raum für Verständnis, für beide Seiten, vielleicht für die Frage: Wie würdest du das denn machen?

Wir sollten dringend versuchen zu verstehen, und dieser Appell gilt ganz besonders für die nachfolgenden Generationen, dass das Unternehmertum und damit die Unternehmensnachfolge ein Thema voller Emotionen und folgenschwerer Entscheidungen ist. Ein Lebensthema, das viele Leben betrifft. Nicht nur das des Unternehmers, auch seine Familie, seine Mitarbeiter und die (potenziell) Nachfolgenden sind betroffen. Aber sie dürfen nicht mitreden? Wenn hier der Patriarch allein agiert, dann sind Konflikte vorprogrammiert. Wenn Eltern es nicht gewohnt sind, ihre Kinder einzubeziehen und ihnen einen eigenen Willen zuzugestehen, dann werden Entscheidungen schwierig oder sogar unmöglich. Im schlimmsten Fall werden Fakten geschaffen und dann wundert man sich, warum es nicht funktioniert. In Unternehmerfamilien erlebe ich regelmäßig eine riesengroße Angst vor der Wahrheit, vor der Erkenntnis, dass vielleicht die eigenen Erwartungen nicht umsetzbar sind. Dass also die implizit erwartete aber nie ausgesprochene Nachfolgeregelung – der Älteste, der Erstgeborene, machtʼs – nicht funktioniert. Das Nachfolgethema ist ein emotionaler Superkracher, der gern und regelmäßig an der sonntäglichen Kaffeetafel von Oma angesprochen wird, weil alle zusammen sind. Und der genauso schnell wieder unter den Tisch gekehrt wird – weil alle zusammen sind. »Lasst uns nicht den Sonntag verderben, wir sehen uns eh so selten. Es ist noch so viel Zeit und wir sprechen doch sonst nie miteinander.« Ganz genau, möchte man rufen: Dann tutʼs doch jetzt, sprecht miteinander! Und handelt gemeinsam, denn nur wer ins Tun kommt, kann seiner unternehmerischen Verantwortung gerecht werden und gegebenenfalls Lösungen einbeziehen, die nicht dem Ideal der Familientradition entsprechen.

Aber es wird nichts getan, Unternehmer gehen dem aufziehenden Gewitter lieber aus dem Weg, sind mit dieser Art der Entscheidungsfindung, die zwangsläufig mehrere Interessen einbeziehen müsste, nicht vertraut. Im Unternehmen entscheide ich. Punkt. »Wie würdest du das machen?« – Warum um Himmels willen sollte man eine solch mühsame Frage stellen, wenn man den Weg kennt? Warum soll man zuhören, wenn man im Besitz der (einzigen) Wahrheit ist? Das kostet doch nur Zeit und Nerven. Diese Ausrichtung auf den Fixstern – den Unternehmer – hat natürlich etwas Gutes und ich bin voller Begeisterung, Lob und Freude, wenn ich auf das typische unternehmerische Selbstverständnis stoße, auf Macher, die unbekümmert losziehen, die an sich glauben, die keinen Zweifel aufkommen lassen, dass ihre Idee falsch sein könnte. Sich auf seine Einzigartigkeit zu verlassen, auf das wertvolle Selbst, das ist eine Eigenschaft, die junge Menschen auf dem Weg in die Selbstständigkeit von unternehmerischen Vorbildern unbedingt lernen sollten. Unternehmer sind Entscheider, sind Vorausgeher, Wegbereiter und Aufbauer. Heroen, Helden – was auch immer. Sie hätten eigentlich die besten Voraussetzungen für ein anspruchsvolles Projekt wie das einer Nachfolge – könnten mit ihrem Selbstverständnis alle Hürden mit Anlauf und Training überwinden. Gerade die Wirtschaftswundergeneration, die quasi aus dem Nichts etwas aufgebaut hat – wie viele Unternehmer in diesem Buch – hat Enormes vollbracht. Sie hat aber auch einen enormen Preis bezahlt, respektive eine Währung für Unternehmertum eingeführt, die noch immer gilt. Es ist die Währung des »biete Leben für Erfolg«. Diese Währung bedingt ein Selbstverständnis, bei dem das »selbst und ständig« im Unternehmertum nicht als Option, sondern als Notwendigkeit für Erfolg eingebrannt ist. Aber was hat dieses »selbst und ständig« bei den eigenen Kindern hinterlassen? Welchen Blick auf das Unternehmersein haben sie, in welcher Währung möchten sie in ihrem eigenen Leben bezahlen? In manchen Familien, die sich diese Fragen nie stellen, werden sich gewachsene Widerstände wahrscheinlich nonverbal zeigen. Dann gehen die Kinder einfach ihren eigenen Weg. Sie verlassen das Unternehmen, das Zuhause, zeigen ganz deutlich – zumindest für den, der hinschaut – eine räumliche und emotionale Distanz zum Unternehmen und, fast zwangsläufig, zum Unternehmer. Sie tun das, was sie sonntags an der Kaffeetafel gelernt haben – sie gehen dem Thema einfach aus dem Weg. Das ist schade, denn Nachfolge ist die Hochachtung vor der unternehmerischen und gesellschaftlichen Verantwortung, die ein Unternehmer und damit auch seine Erben tragen. Was Nachfolge nicht ist: ein Selbstbedienungsladen für Erben oder eine Transitstation, die man mitnimmt oder »halt mal ausprobiert«.

Ich glaube, dass es hilfreich ist, wenn in Unternehmerfamilien früh genug für Stallgeruch gesorgt wird, wenn bei den Kindern durch Mitarbeit und Miterleben ein natürlicher und fast ehrfürchtiger Bezug zum Unternehmen entstehen kann. Dann wächst ein Verständnis dafür, dass man etwas sehr Wertvolles anvertraut bekommen hat – vielleicht schon von den Großeltern oder sogar deren Eltern. Trotzdem muss allen klar sein, dass die »Jungen« zwar nach dem heimischen Stall riechen, sie diesen trotzdem ausmisten werden. Soll heißen: Sie werden vieles, vielleicht sogar alles, anders machen. Das heißt aber nicht, dass sie es schlechter machen werden, im Gegenteil. Ich habe in vielen Fällen erlebt, dass die Fähigkeit, die nachfolgende Generation Fehler machen zu lassen, und sie eigene Wege zum Ziel gehen zu lassen, eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine gelingende Nachfolge ist. Ich bin überzeugt davon, dass die Jungen, die Nachfolger, es gut machen wollen, sie wollen keine Fehler machen. Sie wollen das Geschaffene gut in die Zukunft führen, aber eben zu ihren Bedingungen und unter Berücksichtigung all dessen, was sie über Wirtschaft und Wirtschaften, über Erfolg und Unternehmersein gelernt haben. Sie wollen das weiterführen, was von ihrer Familie oder vom übergebenden Vorgänger über Generationen mit Kraft, Geld, Geduld und Spucke aufgebaut wurde. Sie wollen den Wert, den sie übernommen haben, weiterführen. Das ist gut so und es ist wichtig, denn erst wenn wir jedes einzelne Unternehmen als unverzichtbar sehen und als Mosaiksteinchen im vollkommenen Bild der großen Wirtschaft, dann wird es für die Erbengeneration eine ausgezeichnete und lohnenswerte Aufgabe, dieses Steinchen zu erhalten.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Verwerfungen, die durch die vielen Monate der Corona-Pandemie und den aktuellen Krieg in der Ukraine auf uns zukommen, scheint es erstrebenswert, für jedes einzelne Unternehmen zu kämpfen. Ich freue mich daher, dass das Thema »Nachfolge« immer öfter auftaucht und meine Kolleginnen und ich immer häufiger bei Kammern, Banken oder Sparkassen über Unternehmensnachfolge sprechen dürfen. Langsam rückt die Wichtigkeit des Themas ins Blickfeld. Das ist gut und ich möchte – nicht zuletzt mit diesem Buch – dazu beitragen, dass dieses wichtige Thema weiter an Öffentlichkeit gewinnt, ich möchte es mit Praxisbeispielen fühl- und erlebbarer gestalten. Mir ist nämlich aufgefallen, dass es viel zu wenig Praxisbeispiele für gelungene Unternehmensnachfolgen gibt. Natürlich existieren Sach- und Fachbücher und natürlich können wir in der Regenbogenpresse über Unternehmerfamilien lesen, die sich öffentlichkeitswirksam streiten. Aber bei all diesem medialen Geschehen entsteht doch vor allem ein Eindruck: Unternehmensnachfolge ist eine Last. Aber das stimmt nicht! (Und wer sollte das besser behaupten können als jemand wie ich, der sich schon so lange damit beschäftigt?) Durch die einseitige mediale Betrachtung, vor allem der gescheiterten Nachfolgen, erhält das Thema eine Schwere, die es gar nicht verdient. Die Zukunft der Firma zu gestalten, kann eine Lust sein, eine Kunst und eine Freude. Wenn plötzlich die richtigen Menschen mit den richtigen Ideen zusammenfinden, wenn Begeisterungsfähigkeit und Fachkenntnis aufeinandertreffen, dann beginnt etwas zu fließen, das jeden »guten Roten« in den Schatten stellt. Es ist fast magisch zu beobachten (und Sie werden es in einigen der Geschichten miterleben), wie leicht Nachfolge plötzlich wird, wenn die Weichen richtig gestellt sind.

Und wenn der Blick weit wird, sich Unternehmerfamilien also tatsächlich und ergebnisoffen die Frage stellen: Wie sollen wir das machen? Dann haben sie einen entscheidenden Schritt gemacht, können sich Alternativen anhören. Wie bereits erwähnt, kenne ich viele Unternehmer, sogar in meiner eigenen Familie, die bis zum Schluss nicht wahrhaben wollten, dass der Erstgeborene andere Pläne hat. Auch wenn über die Jahrzehnte erst durch die Blume und dann mit der Dampfwalze deutlich wurde, dass dieser eine ganz andere Passion hat, einen ganz anderen Lebensinhalt sucht. Wenn diese (für den Unternehmer meist) schmerzliche Wahrheit auf dem Tisch liegt, dann wird es endlich Zeit, die Frage so zu formulieren: »Wie würden Sie das machen?« – also einen Berater hinzuzuziehen, damit die Suche nach einem geeigneten externen Nachfolger oder einer Nachfolgerin am Ende erfolgreich ist. In diesem Buch gibt es viele Geschichten von Unternehmern, die tatsächlich rechtzeitig diese Frage gestellt haben, die schon mit Ende 50 oder Anfang 60 ganz konkrete Überlegungen anstellten, was mit ihrem Lebenswerk passieren kann und soll, weil es eben nicht in der Familie erhalten bleiben kann. Aber leider finden sich genügend Geschichten von Unternehmern und Unternehmerinnen, die zu lange gewartet haben oder sich in Selbstversuchen verstrickten, weil sie glaubten, dass sich ein komplexes Nachfolgeproblem so lösen lässt, wie sie ihr Tagesgeschäft in den letzten Jahrzehnten gelöst haben: Par ordre du mufti. Und der Erstgeborene? Na, der kann ja, wenn er dann 60 Jahre alt ist, mal probehalber Prokura bekommen …

Der Umweg über den Berater kann doch vieles deutlich vereinfachen und ist für viele Unternehmer vielleicht sogar harmonischer, als die Familie einzubeziehen. Als Berater bin ich außen vor, ein Dienstleister. Allerdings darf und muss ich einen Zahn meist ziehen: Ich kann das Nachfolgeproblem nicht lösen, ich bin kein Handwerker, der mit Bauhelm und Werkzeugkoffer anrückt, mit viel Lärm und Dreck repariert und zusammen mit einer ordentlichen Rechnung auch ein Resultat hinterlässt. Ich bin nur der Sparringspartner, der Zuhörer, der Mitdenker – jemand, der auf Augenhöhe Angebote machen kann, Angebote für Lösungswege, die Unternehmer, Familie und Nachfolgeinteressenten gehen könnten, aber nicht gehen müssen. Erscheint Ihnen das zu wenig? Ob Sie es glauben oder nicht – es ist eine ganze Menge, denn manchmal haben die »alten Haudegen«, die Firmenlenker und Fixsterne noch nie im Leben einen Sparringspartner gehabt, ein Gegenüber, das Gedanken teilt und anerkennt. Glücklich der, der die Nachfolge als komplexes Projekt versteht und das tut, was er als Unternehmer für die (seltenen) Grenzfälle der eigenen Kompetenz gelernt hat: Ausnahmsweise mal das eigene Unwissen eingestehen und jemanden fragen. Am liebsten natürlich jemanden, der ähnlich tickt. Unternehmer suchen einen Ansprechpartner, der aus eigener unternehmerischer Erfahrung versteht, was sie umtreibt. Dieser Ansprechpartner urteilt nicht, bewertet nicht, er gibt vielleicht noch nicht einmal Ratschläge. In der Unternehmensnachfolge geht es – siehe oben – meistens ausschließlich darum, einen Raum zu öffnen, in dem eigene, neue Ideen abseits der → Höfeordnung1 entstehen können. Das ich diesen Raum öffnen kann, hat viel mit meiner eigenen unternehmerischen Geschichte zu tun. Der Wechsel in die Beraterrolle hat meinem Unternehmer-Ego – teilweise sehr schmerzhaft – gezeigt, dass meine Ratschläge manchmal nicht erwünscht sind. Ganz ehrlich? Ich kenne all diese Gefühle von Trotz und Frust, von gekränkter Eitelkeit und Rückzugstendenzen und ich bin da mitten durch gegangen, habe mich gefragt: wenn Ratschläge nicht ankommen, was denn stattdessen? So bin ich bei einer Mediatorenausbildung gelandet und habe festgestellt, dass Ideen und Lösungen erst in dem Moment entstehen können, wenn man aufhört, sie in eine Richtung zwingen zu wollen. Bei der Lektüre der Geschichten werden Sie vielleicht manchmal denken: »Was macht der Knuffmann eigentlich? Wofür kriegt der sein Geld? Der sitzt doch nur da, trinkt Kaffee und hört sich Geschichten an!« Ja, auch das mache ich gern. Gönnen Sie es mir? Aber im Wesentlichen geht es neben Methodenkompetenz und Erfahrungswissen vor allem darum, den Dialog zu ermöglichen, einen Weg zu ebnen hin zur Frage: »Wie machst du das eigentlich, wie möchtest du das machen?« Nicht nur als Berater, sondern als Mitleider, Mitstreiter, als Unternehmer, der das alles schon durchgemacht hat, wie Sie in meiner eigenen Geschichte lesen und miterleben werden.

Allerdings kann ich die Tür nur öffnen, durchgehen müssen die Beteiligten selbst. Das ist schwer und erfordert vielleicht Selbsterforschung und -erkenntnis, gerade, wenn es um eine familiäre Nachfolge geht. Die Familie nimmt in der Nachfolge (und im Leben) die wichtigste Rolle ein – sie ist die Kraft, die hinter dem Unternehmer steht, sie ist allerdings gleichzeitig die Quelle unendlicher Konflikte, wie es das Modell der→»Kreise der Kollision« wunderbar erklärt. Wenn der Vater zugleich Chef ist, die Tochter gleichzeitig Vertriebsleiterin, dann sind Kontroversen vorprogrammiert. Missverständnisse und seltsame Befindlichkeiten wachsen und gedeihen, Konflikte vergiften das Zusammensein im Beruf und im Privaten. Das Unternehmen wird zum verflixten Familienmitglied, das überall mitmischt und zu viel Raum einnimmt, sodass alle anderen nicht mehr atmen können. Umgekehrt bringt die enge Verbindung von Familie und Unternehmen viel Rückhalt und ich erlebe in meinen Beratungen viele Ehepaare, die über Jahrzehnte eine selbstverständliche und bereichernde Zusammenarbeit gefunden haben. In diesen »Teams« sind es sehr oft die Frauen, die auf das Thema »Nachfolge« einen viel klareren Blick haben als ihre Gatten. Immer wieder begegnen mir Unternehmerinnen, die ganz genau wissen, was geht, was für den Gatten, für die Kinder möglich ist, was man ihnen zutrauen und zumuten kann. Während der Gatte noch von der Höfeordnung träumt, hat seine Frau mir gegenüber schon eine glasklare Einschätzung über die Kompetenzen und Wünsche der Kinder geäußert. Die Frauen in den Familienunternehmen machen viel mehr, als dem Boss den Rücken freizuhalten. Hinter jedem Unternehmer steht eine starke Frau? Nein, sie sind keine Backgroundsängerinnen, sie stehen in erster Reihe, sind das Herz und die Seele der Unternehmerfamilie. Was ich oftmals vermisse, ist unsere gesellschaftliche Wertschätzung für diese wichtige Rolle. Meine Gattin fragt mich zu Recht, warum wir in einem Land wie Deutschland nicht in der Lage sind, die Tätigkeit einer Mutter und Hausfrau entsprechend zu vergüten. Ist es nicht mehr wert, drei Kinder großzuziehen und ihnen Werte und Moral beizubringen, als die Mitarbeiterzahl von 100 auf 1000 zu erhöhen? Warum ist es eigentlich so, dass die eine Tätigkeit Respekt bekommt, die andere – auch von den Frauen selbst! – nicht als ernsthafte Tätigkeit empfunden wird? Ist es nur die Entlohnung?

Wir müssen umdenken, viele Themen, viele Rollen und – nicht nur, aber besonders – die Rolle der Frauen neu betrachten.

Nach über 30 Jahren bin ich überzeugt: Es gibt immer eine Nachfolgelösung, obwohl wir sie am Anfang vielleicht nicht kennen. Was ich zudem sagen kann: Mit alten Zöpfen, Standard und Schema F kommen wir nicht weiter. Wir werden und können in der Nachfolge niemals pauschal entscheiden und vor allem sollten wir Entscheidungen so treffen, dass sie den Menschen anerkennen, nicht seine Rolle als Erben oder Sohn, als Nachfolgerin oder Tochter. »Jedem das Passende, nicht jedem das Gleiche«, das ist eine wichtige Devise, die Augenmaß verlangt und Chancen eröffnet.

Chancen für Töchter oder Schwiegertöchter – darüber hinaus für externe Unternehmerinnen –, die natürlich fantastische Nachfolgerinnen sein können, wenn man ihnen den Weg bereitet, wenn man ihnen eine Chance gibt und sie nicht in Klischees oder – wie in einer meiner Geschichten – auf den Stuhl einer Assistentin zwängt, um einer studierten Betriebswirtin dann etwas in den Block zu diktieren. Ich jedenfalls habe viele starke Frauen erlebt, und sie kommen in diesem Buch reichlich vor. Frauen, denen man Verantwortung übertragen hat, die bewiesen haben, dass sie es können, die aber am Ende doch nicht berücksichtigt wurden, weil alte Muster, verstaubte Klischees daran hindern. Das ist schade und es ist extrem gefährlich, denn mit Klischees kommen wir in Zeiten von Komplexität und technologischen, demografischen und wirtschaftlichem Wandel nicht weiter. Wir brauchen neue Lösungen und ich möchte mit diesem Buch alle ansprechen, die sich für das Thema »Nachfolge« interessieren, explizit und ganz besonders Frauen, die in den folgenden Jahren eine immer größere Rolle in Familienunternehmen spielen werden, spielen müssen.

Trotzdem werde ich mich der deutschen Sprache beugen und der besseren Lesbarkeit wegen meistens das generische Maskulinum nutzen, wohlwissend, dass Frauen damit eben nicht selbstverständlich mitgedacht und mitgemeint sind. Ich werde Sie daher ab und zu extra irritieren und von der »Beraterin« oder der »Unternehmerin« schreiben, sozusagen als Weckruf für unsere patriarchalisch geeichten Denkstrukturen und zugleich als Denkanstoß für die Erkenntnis, dass wir nur gemeinsam voranschreiten können. Genau hier schließt sich der Kreis zur Nachfolge. Sie ist – das sollte klar geworden sein – keine einsame Entscheidung, sondern beruht auf Gemeinsamkeit, auf Wahrhaftigkeit, auf Ehrlichkeit, auch und gerade auf der Ehrlichkeit zu sich selbst. Deswegen möchte ich mit diesem Buch vor allem eines: Unternehmerfamilien in den Dialog bringen, sie zum Vorlesen, Teilen und Besprechen der Geschichten einladen und letztlich möchte ich jedem einzelnen Leser, jeder Leserin die Zauberfrage stellen: Wie würdest du das machen?

Sollte ein Leser oder eine Leserin meinen, sich in einer der handelnden Personen dieses Buchs wiederzuerkennen, dann möchte ich dem- oder derjenigen versichern: Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Die Ähnlichkeiten mit dem typischen Verhalten von Unternehmern und Unternehmerinnen in Nachfolgeprozessen sind dagegen sehr wohl beabsichtigt, ja, sie sind sogar die Kernbotschaft dieses Buches. Die Geschichten in diesem Buch spiegeln meine Erfahrungen aus Mandantengesprächen und Nachfolgeprojekten wider. Sie sind absichtlich stark verfremdet. Mehrere tatsächlich erlebte Geschichten sind zum Teil vermischt und Charaktere werden überzeichnet, um Botschaften zu verdeutlichen. Es geht in diesem Buch nicht um die Geschichten meiner Mandanten und ihrer Familien, sondern es geht um die Learnings, die sich als »Moral von der Geschichte« aus Nachfolgeprozessen ergeben und die Unternehmer:innen bei ihren Nachfolgeentscheidungen helfen sollen.

Dieses Buch ist kein Sachbuch im klassischen Sinn, sondern es will ein Buch mit Sachverstand sein, das den viel beschäftigten Unternehmer/die Unternehmerin beim kurzweiligen Lesen zum Nachdenken, aber auch zum Schmunzeln bringen möchte.

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1 Mit einem → gekennzeichnete Begriffe werden im Glossar am Ende des Buches erläutert.

Ein kurzes Postskriptum der Illustratorin

Die Geschichten erzählen von der engen Verwobenheit von familiären, emotionalen Dynamiken mit wirtschaftlichen Aspekten. So haben wir uns gemeinsam entschlossen, das Buch durch Illustrationen zu akzentuieren, um zu verdeutlichen, dass es kein trockenes Sachbuch ist. Denn Unternehmensführung und Nachfolge haben immer eine starke emotionale Dimension und gehen zwangsläufig über die pure Zahlen-Fakten-Daten-Ebene hinaus. Durch den engen Austausch, die ehrlichen Gespräche und Diskussionen innerhalb der Familie haben wir immer nah an Entwicklungen im Unternehmen teilgenommen und konnten so ein besonderes Verständnis für die emotionale Ebene der Verläufe und Entscheidungen entwickeln. Mit den Illustrationen möchten wir auf die Vielfältigkeit und Lebendigkeit der Lebensbereiche hindeuten, die die verschiedenen Geschichten berühren und die abwechslungsreichen und manchmal unerwarteten Themen veranschaulichen, die Ihnen in diesem Buch begegnen werden.

Viel Freude bei der Lektüre.

Marie-Charlotte Knuffmann

Das Gute liegt manchmal so nah

Qualität setzt sich durch: Verkauf einer Bio-Bäckerei mit sieben Mitarbeitern

Diese Geschichte handelt vom festen Glauben, dass auch scheinbar unlösbare Mandate erfolgreich sind. Sie berichtet über einen polyglotten Investmentbanker, der kleine Brötchen backen will, über die Relevanz von Alleinstellungsmerkmalen, über glückliche Zufälle und gesunde Ernährung.

Mein Vater hatte eine langjährige Mitarbeiterin, nennen wir sie hier Frau Bach, die fast zur Familie gehörte. Sie lief kurioserweise immer im weißen Kittel durch die Büros des Möbelhauses. Ihre resolute Lebensklugheit hat meine Jugend begleitet und manches Mal bereichert. »Immer wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.« Mit diesem Satz tröstete sie meine Brüder und mich oft, wenn uns der pubertäre Weltschmerz überkam. Natürlich hatte sie recht, spätestens am nächsten Tag war der existenzielle Kummer vergessen. Auch in vielen meiner Nachfolgeprojekte tauchen solche rettenden Lichtlein auf. Wenn allen Beteiligten die Ideen ausgegangen sind, passiert etwas: Ein frischer Impuls zeigt Alternativen oder ein Interessent erscheint und beleuchtet einen neuen Weg. Genau das ist meinen Mandanten und mir in der folgenden Geschichte auf besonders nachhaltige Weise passiert. Aber langsam – fangen wir vorne an.

Die Bioland-Bäckerei Siebert ist eine Wuppertaler Institution. Vor 25 Jahren, als Bio noch eine weitgehend exotische Nische für Selbststricker und ältliche Oberstudienrätinnen war, hat der ausgebildete Konditormeister Günther Siebert die Bäckerei seiner Eltern als Bio-Ganzkorn-Bäckerei wiedereröffnet und das angeschlossene kleine Café zum beliebtesten Treff der Bio-Szene gemacht. Damit gehörte er Mitte der 1990er Jahre sicherlich zu den ersten in Deutschland, die voll und ausschließlich auf Bio-Produkte setzten. Die Anfänge der Bäckerei legten seine Eltern Therese und Hans Siebert bereits im Jahr 1956, als sie in ihrem mitten in der Wuppertaler Altstadt gelegenen Haus eine eigene Bäckerei mit Café und Backstube eröffneten. Die Familie wohnte dort, und so durfte Günther mit dem Duft von Teig und frischem Brot aufwachsen und seine ersten Schritte in der heimischen Backstube tun. Schon bevor er selbst über die Theke schauen konnte, wollte er den Kundinnen unbedingt die noch warmen Brötchen in dieser einladend knisternden Papiertüte überreichen. Auch den besonderen Tagesablauf des Bäckerhandwerks hat er von Kindesbeinen miterlebt: 3.30 Uhr aufstehen, noch bettschwer und müde das harte Neonlicht in der Backstube anschalten. Ein frisch gebrühter Kaffee, dann den Ofen vorheizen und um spätestens 4.30 Uhr beginnen die ersten Brötchen, ihren Morgenduft zu verbreiten. »Für diesen Rhythmus muss man vielleicht geboren sein«, vermutet Günther Siebert, »aber ich habʼs ja nie anders kennengelernt, deswegen ist dieser Tagesablauf für mich nichts Besonderes. Im Gegenteil, ich tue mich schwer, wenn ich an unseren freien Tagen oder in den drei Wochen Urlaub ausschlafen soll. Warum, frage ich mich dann. Die ruhigen Morgenstunden, wenn der Tag noch frisch und rein ist und es draußen langsam hell wird, die sind doch das Schönste am Tag. Meine Frau sieht das glücklicherweise ähnlich.«

Der Traum von der Bio-Bäckerei

Seine Eltern allerdings wollten nach fast 30 Jahren Frühaufstehen ihr Leben ändern. »Ich möchte gern mal um neun Uhr ganz gemütlich zum Bäcker gehen, Brötchen und Zeitung holen und dann erst den Tag beginnen.« Das habe sein Vater damals zu ihm gesagt, erinnert sich Günther Siebert lächelnd. 1984 setzten sich seine Eltern daher zur Ruhe und der Betrieb wurde für zehn Jahre fremd verpachtet, bevor sich der Sohn seinen Traum von einer reinen Bio-Bäckerei erfüllen konnte und wollte. Im Jahre 1994 eröffnete Günther Siebert den elterlichen Betrieb mit viel Elan und neuem Konzept, als Bioland-Bäckerei und -konditorei mit Café. Als ich Herrn Siebert Mitte 2018 kennenlernte, erzählte er mir von den Ursprüngen seiner Begeisterung für das Thema »Bio«: »Schon als kleiner Junge war ich fasziniert von der Nachhaltigkeit der Backkunst. Nach meiner Ausbildung und meiner Meisterprüfung als Konditor habe ich ab 1989 in verschiedenen Bio-Bäckereien und in einer Vielzahl von Seminaren alles Wissen über die Herstellung von Produkten in der Vollkornbäckerei und -konditorei gesammelt. Diese Faszination für meinen Beruf ist bis heute geblieben.«

Auf einem dieser Seminare hat er seine Frau Ingrid kennengelernt. Ein Glücksfall, davon sind beide überzeugt, denn sie unterstützten und stärkten sich von Beginn an gegenseitig in ihrem Glauben an den Mehrwert einer gesunden Lebensführung und Ernährung. Es ist für beide ein zentrales persönliches Anliegen, mit ihrer Bioland-Bäckerei einen aktiven Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Hochwertige Zutaten, traditionelles Handwerk, die Liebe zum Detail und 100 Prozent Vollkorn – das macht die Qualität der Bäckerei aus. Für die Brote und Backwaren werden ausschließlich Rohstoffe aus Betrieben mit kontrolliert-biologischem Anbau verwendet. »Unsere Lieferanten und regionalen Landwirte unterliegen zumindest der EG-Bio-Verordnung und werden – wie auch wir – jedes Jahr von einer unabhängigen Kontrollstelle geprüft. Als Bioland-Vertragsbäckerei befolgen wir zusätzlich die noch strengeren Richtlinien dieses Verbands.«

Respekt und Nachhaltigkeit

Ein respektvoller Umgang mit den Gaben der Natur und Vertrauen in ein nachhaltiges Bäckerhandwerk, diese Werte schätzen die Kunden und Kundinnen von Bäckerei und Café seit Jahrzehnten. Ein respektvolles und wertschätzendes Verhalten zeigt sich bei Sieberts allerdings nicht nur im Umgang mit der Kundschaft, wie die Inhaber betonen. »Respekt ist ein grundlegendes Lebensgefühl, das wir der Natur und den Menschen gleichermaßen entgegenbringen.« Dieses Grundgefühl lässt sich spüren, in der Tat. Ich erlebe in der Bäckerei, im Café und in der Backstube ein freundliches, motiviertes und rücksichtsvolles Team von Mitarbeitern, die größtenteils schon 20 Jahre oder sogar länger dabei sind. Zum Team der Bäckerei gehören ein Bäckermeister sowie zwei Bäcker in Vollzeit, die nachts damit beginnen, die unterschiedlichsten Back- und Konditorwaren für den Verkauf, das Café und für die Wiederverkaufsstellen herzustellen. Vier Verkäuferinnen unterstützen im Verkauf sowie im Café. Ein kooperativer Führungsstil ist selbstverständlich für Günther Siebert. Alle arbeiten eigenverantwortlich und kennen sich im Betrieb genau aus. Alles geht Hand in Hand, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden gleichberechtigt behandelt. Regelmäßig finden gemeinsame Veranstaltungen statt, die den Zusammenhalt stärken und den Austausch zwischen Verkaufspersonal und Backstubenmitarbeitern intensivieren. Die Konsequenz aus diesem Teamgeist: Das Ehepaar Siebert kann sich auf sein Team verlassen und muss nicht ständig im Unternehmen anwesend sein. Das ist wichtig, denn das Team versorgt nicht nur die Bäckerei, sondern zudem Wiederverkaufsstellen und öffentliche Einrichtungen im Umkreis.

Auch hier gibt es eine gute, wertschätzende und auf Langfristigkeit sowie Kooperation ausgelegte Beziehung. So liefert ein Bio-Bauer zum Beispiel Getreide, Obst und Gemüse an die Bäckerei und verkauft dafür das Siebert-Brot in seinem Hofladen. Wie dieser Bauer haben insgesamt zwölf Bio-Hofläden, Bio-Supermärkte und Reformhäuser das Gebäck von Siebert im Angebot, außerdem versorgt man mehrere Schulen, Kindergärten und Tageseinrichtungen. Mit einem VW-Bus werden diese Partner im Umkreis von Wuppertal beliefert – fünf Tage die Woche, 245 Tage im Jahr. Sonntags und montags sowie drei Wochen im Jahr bleibt das Geschäft geschlossen, eine Vereinbarung, die dem Ehepaar seit jeher wichtig war: »Alle sollen sich ausruhen, eine Schließung ist etwas ganz anderes als die reine Ankündigung, dass jeder seinen freien Tag oder Urlaub nehmen darf, soll oder muss.« Wenn zu, dann zu, da gibt es kein Vertun. So hatte man es all die Jahre gehalten.