Mein Mann, der Kommunist - Philip Roth - E-Book

Mein Mann, der Kommunist E-Book

Philip Roth

3,8

Beschreibung

Iron Rinn aus Newark ist ein Mann mit mörderischer Vergangenheit, vor der er ein Leben lang flieht. Der Weltkriegsveteran, ehemalige Minenarbeiter und Idealist mit kommunistischer Überzeugung, verdiente sein Geld als Abraham-Lincoln-Imitator, bevor er zum Radio-Star avancierte und mit der einstigen Hollywood-Größe Eve Frame ein Traumpaar bildete. Was für die Klatschspaltenleser wie die perfekte romantische Verbindung zweier Publikumslieblinge aussieht, ist in Wirklichkeit eine Ehehölle, die sich in der bedrohlichen Atmosphäre von Joe McCarthys Amerika zu einer nicht enden wollenden privaten und beruflichen Tragödie auswächst. Nachdem die Ehe von Iron und Eve nach einer letzten theatralischen Szene in Trümmern liegt, schreibt Eve einen Enthüllungs-Bestseller mit dem Titel Mein Mann, der Kommunist, um ihre eigene Haut und die Karriere ihrer Tochter zu retten. Rinn wird der Spionage für die Sowjetunion verdächtigt, auf die schwarze Liste gesetzt und rechtfertigt nunmehr als enttarnter Musterkommunist McCarthys Hexenjagd. Isoliert, gesellschaftlich und beruflich ruiniert, schwört Rinn seiner Exfrau und seiner Umwelt Rache.

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Hanser E-Book

Philip Roth

Mein Mann, der Kommunist

Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz

Carl Hanser Verlag

Dies ist ein Roman. Namen, Gestalten und Begebenheiten sind Erzeugnisse der Phantasie des Autors, es sei denn, es handelt sich um historische Persönlichkeiten und Ereignisse, die jedoch fiktiv verwendet werden.

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

I Married a Communist

im Verlag Houghton Mifflin Co., Boston 1998.

© Philip Roth 1998

ISBN 978-3-446-25136-6

Alle Rechte der deutschen Ausgabe:

© 1999/2015 Carl Hanser Verlag München Wien

Umschlag: © Peter-Andreas Hassiepen

Satz: Fotosatz Amann, Aichstetten

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Meiner Freundin und Lektorin Veronica Geng 1941–1997

Viele Lieder hab ich in meiner Heimat gehört – Lieder von Freude und Leid. Eins davon hat sich mir tief eingeprägt: Das Lied des einfachen Arbeiters.

Ho, und schwingt den Knüppel,

Hau ruck!

Zieht, gemeinsam geht es besser,

Hau ruck!

»Dubinuschka«, ein russisches Volkslied. In den vierziger Jahren in russischer Sprache aufgenommen vom Chor und Orchester der Sowjetarmee.

1

Mein erster Englischlehrer an der Highschool war Ira Ringolds älterer Bruder Murray, und über ihn bin ich an Ira geraten. Murray hatte 1946 seinen Abschied von der Armee erhalten, für die er mit der 17. Luftlandedivision an der Ardennenoffensive teilgenommen hatte; im März 1945 hatte er den berühmten Sprung über den Rhein getan, der den Anfang vom Ende des Kriegs in Europa einleitete. In jenen Tagen war er ein grober, aufdringlicher Kahlkopf, nicht so groß wie Ira, aber schlank und athletisch, ein Kerl, der uns mit seiner enormen Bewußtheit alle überragte. In Gebaren und Haltung war er vollkommen natürlich, in seiner Redeweise wortreich und geistig fast schon bedrohlich. Es war seine Leidenschaft, uns etwas zu erklären, zu erläutern und verständlich zu machen, mit dem Ergebnis, daß er jeden einzelnen Gegenstand, über den wir sprachen, mit der gleichen Akribie in seine Grundbestandteile zerlegte, mit der er an der Tafel irgendwelche Sätze syntaktisch auseinandernahm. Seine Spezialität war zähes Nachfragen, eine Rhetorik, die auch dann faszinierte, wenn er streng analytisch und lautstark und auf seine bestimmte Art kritisierte, was wir schrieben und vorlasen.

Neben seiner Muskelkraft und seiner auffallenden Intelligenz brachte Mr. Ringold eine Ladung instinktiver Spontanität mit ins Klassenzimmer, die für gebändigte, ehrbar gemachte Kinder, die erst noch begreifen mußten, daß die Befolgung der Anstandsregeln eines Lehrers nichts mit geistiger Entwicklung zu tun hat, eine Offenbarung war. Seiner charmanten Angewohnheit, einem Schüler, der nicht die erwünschte Antwort gab, den Tafelschwamm an den Kopf zu schmeißen, kam vielleicht mehr Bedeutung zu, als sogar er selbst sich vorstellte. Vielleicht aber auch doch. Vielleicht wußte Mr. Ringold ganz genau, daß, was Jungen wie ich zu lernen nötig hatten, nicht nur darin bestand, sich präzise auszudrücken und ein feineres Gespür für Worte zu entwickeln, sondern auch darin, Übermut nicht mit Dummheit zu paaren, weder allzu schweigsam noch allzu brav zu sein und den aufkeimenden männlichen Drang aus den Zwängen der institutionellen Rechtschaffenheit zu befreien, von denen sich vor allem die klugen Schüler unterdrückt fühlten.

Man spürte, im sexuellen Sinn, die Kraft eines männlichen Lehrers wie Murray Ringold – maskuline Autorität, die nicht von Frömmigkeit korrigiert wurde –, und man spürte, im priesterlichen Sinn, die Berufung eines männlichen Lehrers wie Murray Ringold, dem das amorphe amerikanische Streben nach Erfolg gleichgültig war und der – anders als die Lehrerinnen der Schule – auch fast jeden anderen Beruf hätte wählen können, es sich aber zum Zweck seines Lebens gemacht hatte, für uns dazusein. Er wollte tagtäglich nur eins: sich mit jungen Menschen beschäftigen, auf die er Einfluß nehmen konnte; und das Größte, was ihm im Leben widerfuhr, war ihre Reaktion.

Nicht daß der Eindruck, den sein drastischer Unterrichtsstil auf mein Gefühl für Freiheit hinterließ, mir damals bewußt gewesen wäre; so dachte kein Kind von der Schule, von Lehrern oder sich selbst. Eine beginnende Sehnsucht nach gesellschaftlicher Unabhängigkeit jedoch muß von Murrays Beispiel genährt worden sein, und das sagte ich ihm auch, als ich ihm im Juli 1997, zum erstenmal seit meinem Abgang von der Highschool im Jahre 1950, zufällig begegnete; er war jetzt neunzig Jahre alt, aber auf jede erkennbare Weise noch immer der Lehrer, dessen Aufgabe es ist, realistisch, ohne Selbstparodie und übertriebenes Theater, seinen Schülern gegenüber die Einzelgängermaxime »Das ist mir vollkommen egal« zu verkörpern und ihnen beizubringen, daß man, um Gesetze zu übertreten, kein Al Capone sein muß – daß man dazu nur denken muß. »In der menschlichen Gesellschaft«, lehrte uns Mr. Ringold, »stellt das Denken die größte Grenzüberschreitung von allen dar.« »Kri-ti-sches Den-ken«, sagte Mr. Ringold und klopfte zu jeder Silbe mit den Knöcheln auf sein Pult, »das ist die äußerste Subversion.« Ich erzählte Murray, nichts habe mir wertvolleren Aufschluß übers Erwachsenwerden gegeben als dieser Satz, den ich als Kind aus dem Mund eines männlichen Kerls wie ihm gehört und von ihm vorgelebt gesehen hätte; daran hätte ich mich festgehalten, auch wenn ich es nur halb verstanden hätte, ich, jener provinzielle, wohlbehütete, hochgesinnte Schuljunge, der sich sehnte, vernünftig, angesehen und frei zu sein.

Murray seinerseits erzählte mir alles über das Privatleben seines Bruders, was ich als junger Bursche nicht wußte und nicht gewußt haben konnte, ein schweres, an Farcen reiches Schicksal, über das Murray immer noch gelegentlich nachgrübelte, obwohl Ira nun schon seit über dreißig Jahren tot war. »Tausende Amerikaner sind in diesen Jahren vernichtet worden, Opfer der Politik, Opfer der Geschichte, Opfer ihrer Überzeugungen«, sagte Murray. »Aber ich wüßte niemand anderen zu nennen, den es so übel getroffen hätte wie Ira. Und nicht auf dem großen amerikanischen Schlachtfeld, das er selbst sich für seine Vernichtung gewählt haben würde. Trotz Ideologien, Politik und Geschichte ist eine echte Katastrophe im Kern vielleicht immer auf eine persönliche Betise zurückzuführen. Man kann dem Leben wahrlich nicht vorwerfen, es versage dabei, Menschen kleinzumachen. Man muß den Hut vor dem Leben ziehen, vor den Methoden, die ihm zur Verfügung stehen, einen Menschen seiner Bedeutung zu berauben und ihm jeglichen Stolz auszutreiben.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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