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Planen Sie demnächst eine Mutter-Kind-Kur? Dann ist dieses Buch Ihr unverzichtbarer Begleiter! Geschrieben von AutorInnen, die über mehr als 20 Jahre praktische Erfahrung mit Mutter-Kind-Kuren verfügen, bietet es Ihnen alle notwendigen Informationen, um Ihre Kur optimal zu nutzen. Profitieren Sie zusätzlich von einzigartigen Materialien: - einem individuellen Kurtagebuch, speziell vorbereitet für die Abläufe einer Mutter-Kind-Kur - Merkzetteln und Skripten zu den verschiedenen Therapieangeboten in der Kur
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Seitenzahl: 181
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Brigid Ryll
Physiotherapeutin, Yogalehrer-Diplom-Ausbildung, langjährige Praxis des Indischen Bogenschießens, Ausbildung in anthroposophischer Medizin und anthroposophisch-orientierter Psychotherapie, Ayurvedatherapeutin, Waldtherapeutin, seit über 20 Jahren tätig im Bereich der stationären Mutter-Kind-Vorsorge.
Dr. med. Stefan Jarzombek, M.A., M.Sc.
Facharzt für Allgemeinmedizin, Ärztlicher Psychotherapeut, Anthroposophischer Arzt (GAÄD), Ayurvedaausbildung, M.A. Management von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen, M.Sc. Psychologie kindlicher Lern- und Entwicklungsauffälligkeiten, langjährige Tätigkeit als Chefarzt in der stationären Mutter-Kind-Vorsorge.
allen Kur-Müttern gewidmet
Willkommen zur Kur!
1.
Wissenswertes zu Beginn
1.1 Mütter in unserer Gesellschaft
1.2 Das „Leitsyndrom mütterliche Erschöpfung“
1.3 Vorteile einer stationären Kurmaßnahme
1.4 Gesetzliche Rahmenbedingungen
1.5 Kurindikationen
1.6 Kontraindikationen
2.
Wie funktioniert eine Mutter-Kind-Kur?
2.1 Das bio-psycho-soziale Modell
2.2 Spirituelle Medizin
2.3 Kurziele
2.4 Der interdisziplinäre Ansatz
2.5 Die Bedeutung komplementärer Behandlungsansätze
2.6 Therapieleitende Schwerpunktindikationen
3.
Störungen im Kurverlauf
3.1 Erkrankungen während der Kur
3.2 Besuche
3.3 Mutter-Kind-Interaktionsstörungen
3.4 Das fehlende Maß
4.
Naturheilkundliche Kurerweiterung
4.1 Hydro- und Balneotherapie
4.2 Bewegungstherapie
4.3 Ordnungstherapie
4.4 Phytotherapie
4.5 Ernährungstherapie
5.
Die psychovegetative Erschöpfung – Der 3-Säulen-Weg zur Heilung
5.1 Grundlagen
5.2 Das Krankheitsbild
5.3 Die besondere Arzt-PatientIn-Problematik der Erschöpfung
5.4 Die ursächliche Behandlung der Erschöpfung
6.
Das Kurtagebuch
Tag 1 Anreise
Tag 2 Aufnahmeuntersuchung
Tag 3 Die Therapien beginnen
Tag 4 Ruhe aushalten
Tag 5 Qualitative Zeit mit Kind
Tag 6 Rhythmuspflege
Tag 7 Abendrückblick
Tag 8 Bedürfnisse sammeln
Tag 9 Zeit für sich
Tag 10 Mütteraustausch
Tag 11 Bergfest und Zwischenfazit
Tag 12 Ausflüge
Tag 13 Rituale
Tag 14 Ein Ort zum Leben
Tag 15 Gemeinschaft
Tag 16 Erschöpfung analysieren
Tag 17 Stille
Tag 18 Lebensträume
Tag 19 Lieblingsplatz
Tag 20 Strategien festlegen
Tag 21 Abschlussuntersuchung
Tag 22 Abreise
7.
Merkblätter und Skripte
7.1 Traditionell Europäische Medizin
7.1.1 PMR
7.1.2 Autogenes Training
7.1.3 Meditation
7.1.4 Achtsamkeitstraining und MBSR
7.1.5 Kneippsche Güsse
7.1.6 Wickel
7.1.7 Gesunde Ernährung
7.1.8 Phytotherapie
7.1.9 Aromatherapie
7.1.10 Nordic Walking
7.1.11 Sauna
7.1.12 Beckenbodentraining
7.2 Traditionell Indische Medizin
7.2.1 Yoga
7.2.2 Ayurveda
7.2.3 Indisches Bogenschießen
7.3 Anthroposophische Medizin
7.3.1 Öldispersionsbäder
7.3.2 Rhythmische Einreibung
7.3.3 Heileurythmie
7.3.4 Kunsttherapie
7.4 Traditionell Chinesische Medizin
7.4.1 Akupressur
7.4.2 Qi Gong
7.4.3 Chinesische Arzneimitteltherapie
7.5 Pädagogik und Psychologie
7.5.1 Erziehung
7.5.2 Stressbewältigung
7.5.3 Zeitmanagement
7.5.4 Selbstfürsorge
Nachwort
Quellenangaben
Bildverzeichnis
Sie haben es geschafft, Sie sind in der Mutter-Kind-Kur angekommen!
Sicher war der Weg bis hierher nicht einfach. Eine lange Zeit der Erschöpfung, die Antragstellung, die Bewilligung, dann die Wartezeit bis zum Kurtermin, schwierige organisatorische Regelungen zuhause, damit Sie den Rücken frei haben, eine beschwerliche Anreise. Doch jetzt sind Sie da und nun soll es um Sie und Ihre Erholung gehen!
Das vorliegende Buch soll Ihnen helfen, zu verstehen, wie eine Mutter-Kind-Kur funktioniert, was sie erreichen kann und wo Herausforderungen liegen. Nehmen Sie sich zum Kurbeginn Zeit, die folgenden Seiten zu lesen, damit die kommenden drei Wochen für Sie eine gute und heilsame Zeit werden.
Wir haben Ihnen aus mehr als 20jähriger Erfahrung mit Mutter-Kind-Kuren wichtige Hintergrundinformationen, praktische Hilfen, nützliche Anregungen und besondere Tipps zusammengestellt, um Sie damit während der kommenden Tage zu begleiten.
Fangen Sie am besten gleich an zu schmökern. Und freuen Sie sich auf Ihren ganz persönlichen Weg zur Mitte.
Marlow, im Februar 2022
Brigid Ryll Stefan Jarzombek
1.1 Mütter in unserer Gesellschaft
1.2 Das Leitsyndrom mütterliche Erschöpfung
1.3 Vorteile einer stationären Kurmaßnahme
1.4 Gesetzliche Rahmenbedingungen
1.5 Kurindikationen
1.6 Kontraindikationen
In den letzten Jahrzehnten haben sich die Rollenerwartungen an Mütter sowie die daraus resultierenden Beanspruchungen und Belastungen verändert. Interessanterweise sind dabei viele traditionelle Erwartungen an die Mütter erhalten geblieben, obschon Frauen mittlerweile durch Gleichberechtigung und zunehmende Erwerbstätigkeit in erheblichem Umfang in gesellschaftlichen Bereichen präsent sind, die früher Männern vorbehalten waren. Dennoch liegt die Zuständigkeit für Kindererziehung und Haushalt unverändert fast ausschließlich bei den Frauen. Männer wirken nur in geringem Umfang gleichberechtigt in der Familienarbeit mit. Mütter haben also die traditionellen Belastungen, die sich aus Haushalt und Kindererziehung ergeben, behalten. Zusätzlich wirken heute weitere Belastungsfaktoren, die sich aus der ergänzenden Beanspruchung im Beruf und als Folge moderner gesellschaftlicher Stressoren ergeben. So sind es insbesondere die Mütter, die den kindlichen Alltag zu managen versuchen. Hierzu zählt neben der Organisation notwendiger Transporte insbesondere die immer aufwendigere Sicherstellung einer regelmäßigen Ernährung aller Familienmitglieder, trotz unterschiedlicher Tagesabläufe in Schule, Beruf und Familie. Für erwerbstätige Mütter ergeben sich aus der kombinierten Belastung von Beruf und Familienarbeit erhebliche Vereinbarkeitsprobleme1.
Aus den dargestellten mütterlichen Mehrfachbelastungen ergeben sich typische gesundheitliche Beeinträchtigungen und Krankheitsfolgen. Es resultieren insbesondere psychosomatische und psychogene Beschwerden und Erkrankungen und es entwickeln sich überdurchschnittlich oft tiefgreifende Erschöpfungszustände aufgrund einer vielfachen Überforderungs- und Überlastungssituation2. Bei den Zuweisungen zu einer Mutter-Kind-Kur findet sich in 80 % der Fälle die Diagnose einer psychischen Störung, meist in Form eines Erschöpfungssyndroms bis zum burnout, einer depressiven Episode oder einer Anpassungsstörung2. Damit stellt dieser Indikationsbereich den mit Abstand häufigsten Zuweisungsgrund zur stationären Mutter-Kind-Kur auf mütterlicher Seite dar. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Kontext die umfangreichen und langjährigen Forschungen, die die Gruppe um Gisela C. Fischer und Jürgen Collatz an der Medizinischen Hochschule Hannover durchführten. Ihnen ist es zu verdanken, dass der Erschöpfungszustand als mütterliches Leitsyndrom3 in seiner tiefgreifenden Bedeutung beschrieben und als wichtiger Grund für die Notwendigkeit einer Mutter-Kind-Kurmaßnahme anerkannt wurde. Mit dem „Leitsyndrom mütterliche Erschöpfung“ wurde die komplexe mütterspezifische Krankheitssituation auf einer empirischen Basis von annähernd 30.000 Müttern herausgearbeitet und beschrieben. Dieses Leitsyndrom stellt seither den Behandlungsschwerpunkt von Mutter-Kind-Kureinrichtungen dar.
Die vielfache Belastung der Mütter bringt es mit sich, dass in aller Regel die Möglichkeiten zur Wahrnehmung ambulanter gesundheitsfördernder Maßnahmen nicht gegeben sind und eine längerfristige Behandlung chronischer Krankheitsprozesse kaum oder gar nicht umsetzbar ist.
Zeitmangel sowie die mütterliche Tendenz, eigene Bedürfnisse zugunsten anderer Familienmitglieder stets in den Hintergrund zu stellen, verhindern konsequente Behandlungsansätze. Eine erfolgreiche Behandlung ist nur erreichbar, wenn durch wirksame Entlastung der Mütter im Hinblick auf die Pflichten in Beruf und Haushalt sowie der Betreuung der Kinder Freiräume gewonnen werden. Zudem wird zur Behandlung ein breit aufgestelltes Therapieangebot mit besonderen Kompetenzen im Bereich der Psychosomatik benötigt. Mutter-Kind-Kliniken bieten ein Unterstützungs- und Behandlungsangebot, welches diesen Erfordernissen entspricht. Die Wirksamkeit von Mutter-Kind-Kuren ist zwischenzeitlich in mehreren wissenschaftlichen Studien, unter anderem auch seitens der Krankenkassen, nachgewiesen worden. Die Effizienz wird dabei auf den frauenspezifischen, ganzheitlichen Behandlungsansatz zurückgeführt, der Körper, Psyche, Seele und soziale Aspekte umfasst und sowohl erkrankungsbezogen als auch lebensnah ausgerichtet ist4.
Bei einer Mutter-Kind-Kur (formal korrekt: stationäre Mutter-Kind-Vorsorgemaßnahme) handelt es sich um eine gesundheitlich gebotene stationäre Behandlungsmaßnahme für eine erkrankte Mutter mit ihren Kindern. Sie ist als stationäre Vorsorgeleistung sozialrechtlich im SGB V, § 24 geregelt und kann in Kliniken des Müttergenesungswerkes oder gleichartigen Einrichtungen erbracht werden. Seit dem 01. April 2007 sind Mutter-Kind-Maßnahmen eine Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenkassen. Die Regelmaßnahmendauer wurde vom Gesetzgeber auf 21 Tage festgelegt. Verlängerungen sind bei entsprechender medizinischer Begründung möglich. Eine Wiederholung der Maßnahme ist frühestens nach 4 Jahren möglich. Seitens der teilnehmenden Mütter ist als Eigenanteil eine Zuzahlung von 10,- Euro je Kalendertag zu leisten, für Kinder entfällt die Zuzahlung. Es erfolgt durch die Kostenträger eine Bezuschussung zu den Fahrtkosten. Es gilt für Mutter-Kind-Vorsorge-Maßnahmen ausdrücklich nicht der Grundsatz “ambulant vor stationär“. Es ist also nicht erforderlich, dass vor Gewährung einer Maßnahme alle ambulanten Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sein müssen. Damit trägt der Gesetzgeber den besonderen mütterlichen Belastungsfaktoren Rechnung, die in aller Regel eine konsequente ambulante Behandlung unmöglich machen. Die Teilnahme von Kindern an der Mutter-Kind-Maßnahme ist regelhaft bis zum zwölften Lebensjahr möglich, sofern das Kind behandlungsbedürftig ist, eine Trennung von der Mutter während der Vorsorge nicht zumutbar ist oder aber das Kind anderweitig nicht versorgt werden kann. Für behinderte Kinder gibt es im Allgemeinen keine Altersbegrenzung. Die Beantragung der Vorsorgemaßnahme erfolgt durch die Mutter und wird seitens ärztlicher Atteste über die bestehenden Belastungsfaktoren, Gesundheitsstörungen und Erkrankungen ergänzt. Die Erstellung der Atteste im Rahmen der Beantragung einer Mutter-Kind-Maßnahme bedarf keiner gesonderten Qualifikation der behandelnden ÄrztInnen.
Grundsätzlich sind alle Mutter-Kind-Einrichtungen auf die besonderen Ansprüche einer kurbedürftigen Mutter mit Kindern ausgerichtet. Die Behandlungsmöglichkeit des mütterlichen Erschöpfungssyndroms stellt überall die Grundlage des Therapieansatzes dar. Entsprechend der im Rahmen einer Erschöpfung zusätzlich auftretenden körperlichen und psychischen Erkrankungen sind darüber hinaus weitere Behandlungskompetenzen für verschiedenste Haupt- und Nebendiagnosen vorhanden, die jedoch von Einrichtung zu Einrichtung unterschiedlich sein können. Folgende Erkrankungen werden typischerweise in einer Mutter-Kind-Klinik behandelt:
Mutter
Basis-Indikation
Leitsyndrom mütterliche Erschöpfung, dazu gehören:
Stress durch Mehrfachbelastung
alleinerziehend, arbeitslos, finanzielle Problematik
Partnerschafts- und Erziehungsprobleme
gestörte Mutter-Kind-Interaktion
Traumata in der Biografie
Trennung oder Scheidung
Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger
u.ä.
Hauptindikationen
regelhaft abgedeckt
Erkrankungen der Atemwege, z.B.:
rezidiv. und chron. Infekte der Atemwege
Asthma bronchiale
Hauterkrankungen, z.B.:
Neurodermitis
chron. und allerg. Ekzeme
Akne
Psoriasis
Hauptindikationen
einrichtungseigene Schwerpunkte
Stoffwechselstörungen, z.B.:
Adipositas
ADiabetes mellitus
AZöliakie
Psychische Erkrankungen, z.B.:
Depressive Erkrankungen
APTBS
AAngststörungen
Nebenindikationen
regelhaft abgedeckt
Funktionelle Herz-Kreislauf-Störungen Funktionelle Magen-Darm-Störungen Allergische Erkrankungen Funktionelle Störungen des Haltungs- und Bewegungsapparates
Nebenindikationen
einrichtungseigene Schwerpunkte
Chronische Schmerzsyndrome Onkologische Erkrankungen Entzündliche Darmerkrankungen Multiple Sklerose Orthopäd. und rheumat. Erkrankungen
Spezielle Indikationen
Alleinstellungsmerkmale
Spezielle Therapieverfahren
Mukoviszidose Seltene Stoffwechselerkrankungen Spezielle Behinderungen und Syndrome Anthroposophische Medizin Höhenklinik Naturheilkundlich-integrative Medizin u.ä.
Kind
Basis-Indikation
Betroffen von mütterlicher Erschöpfung:
Mutter alleinerziehend, arbeitslos, finanzielle Problematik
familiäre und Erziehungsprobleme
gestörte Mutter-Kind-Interaktion
Bewältigung traumatischer Ereignisse
Zustand nach Trennung oder Scheidung der Eltern
Hauptindikationen
- regelhaft abgedeckt
Infektanfälligkeit, z.B.:
rezidiv. Otitis media
rezidiv. Tonsillitis
rezidiv. fieberhafte Virusinfekte
Erkrankungen der Atemwege, z.B.:
Asthma bronchiale
Pseudokrupp
Hauterkrankungen, z.B.:
Neurodermitis
chron. und allerg. Ekzeme
Hauptindikationen
einrichtungseigene Schwerpunkte
Stoffwechselstörungen, z.B.:
Adipositas
Diabetes mellitus
Zöliakie
Psychische Störungen, z.B.:
Hyperaktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörungen
Enuresis / Enkopresis
Nebenindikationen
regelhaft abgedeckt
Funktionelle Erkrankungen des Haltungs- und Bewegungsapparates Allergische Erkrankungen Funktionelle Magen-Darm-Störungen
Nebenindikationen
einrichtungseigene Schwerpunkte
Entwicklungsstörungen Onkologische Erkrankungen Entzündliche Darmerkrankungen Orthopädische Erkrankungen Rheumatische Erkrankungen
Spezielle Indikationen
Alleinstellungsmerkmale
Spezielle Therapieverfahren
Mukoviszidose Seltene Stoffwechselerkrankungen Spezielle Behinderungen und Syndrome Anthroposophische Medizin Höhenklinik Naturheilkundlich-integrative Medizin u.ä.
Mutter-Kind-Einrichtungen sind auf die Behandlung stabiler Patientinnen ausgerichtet, die in eigenen Appartements untergebracht sind und sich und ihre Kinder über Nacht und an den Wochenenden allein versorgen können. Schwere Krankheitsbilder, die der engmaschigen Überwachung oder einer stationär-pflegerischen Betreuung bedürfen, können daher nicht behandelt werden. Weitere Einschränkungen resultieren aus eingeschränkten fachlichen und apparativen Behandlungsmöglichkeiten. Regelhaft sind folgende Krankheitsbilder daher Kontraindikationen, die einer Mutter-Kind-Kur entgegen stehen:
zur Dekompensation neigende Stadien obiger Krankheitsbilder
Erkrankungen, die einer Behandlung in einem Akutkrankenhaus bedürfen sowie akute (ansteckende) Infektionskrankheiten
Akute Psychosen, Persönlichkeitsstörungen
Schwere Angst- und Panikstörungen
Manifeste Suchterkrankungen
Instabile Epilepsien
Risikoschwangerschaften
Unterm Strich
In der Kur geht es darum, Wege aus der Erschöpfung zu finden!
2.1 Das bio-psycho-soziale Modell
2.2 Spirituelle Medizin
2.3 Kurziele
2.4 Der interdisziplinäre Ansatz
2.5 Die Bedeutung komplementärer Behandlungsansätze
2.6 Therapieleitende Schwerpunktindikationen
Jeder Betrachtung von Gesundheit und Krankheit liegt zwangsläufig ein bestimmtes Bild des Menschen zugrunde. Unsere naturwissenschaftlich orientierte Schulmedizin orientiert sich primär am sogenannten biomechanischen Menschenbild, welches den Körper im Fokus seiner Wahrnehmung hat und ihn vergleichbar einer Maschine im Sinne einer Ersatzteilmedizin repariert. Für die Behandlung des mütterlichen Erschöpfungssyndroms greift dieser Ansatz deutlich zu kurz. Im Jahre 1976 beschrieb George L. Engel ein biopsycho-soziales Modell, welches den Menschen als leiblich-seelische Einheit versteht, die zudem unvermeidlich in soziale Beziehungen eingebettet ist5.
Das weiterentwickelte erweiterte bio-psycho-soziale Krankheitsmodell nach Egger6, hat das biomedizinische Weltbild der Medizin endgültig abgelöst und gilt heute als wissenschaftlich gut belegte und bedeutsame Theorie über den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Krankheit. Sie versteht Krankheit und Gesundheit nicht mehr als zwei klar voneinander getrennte Gegensätzlichkeiten, sondern als die zwei Pole eines ständig in Bewegung befindlichen Zustandes. Dabei geht man davon aus, dass in einem menschlichen Organismus eine Trennung von körperlichen, psychischen oder sozialen Einflüssen, Wirkungen oder Ereignissen nicht möglich ist. Ein Ereignis ist weder das eine oder das andere, sondern immer gleichzeitig alles. Eine Krankheit ist weder körperlich noch psychisch, sondern immer sowohl als auch.
Ständig wirken Ereignisse auf den Menschen ein, die entweder heilsam (salutogenetisch) oder krankmachend (pathogenetisch) sind. Entsprechend dieser Wirkungen versucht das „System Mensch“, auf allen seinen Systemebenen krankmachende Einflüsse zu kontrollieren, um stabil (gesund) zu bleiben. Werden dabei die Selbstheilungskräfte zur Kontrolle der Belastungen überfordert, so kann die Funktionsfähigkeit des Individuums Schaden nehmen oder ausfallen (Krankheit). Ausschlaggebend ist dabei, welches Ausmaß die Störung hat und wie sie dadurch auf die verschiedenen Ebenen einwirkt.
Krankheit entsteht also immer dann, wenn eine Störung die Selbstregulationsfähigkeit des Organismus überfordert und dadurch wichtige Funktionen oder Regelkreise ausfallen bzw. nicht mehr belastbar agieren können. Gesundheit ist demnach die Fähigkeit, pathogene Faktoren auf allen Ebenen kontrollieren zu können. In diesem Verständnis wird Gesundheit in jedem Augenblick neu errungen.
Es gibt eine weitere, die sogenannte spirituell-religiöse Dimension, die ausdrücklich im Rahmen des bio-psycho-sozialen Modells ausgeklammert bleibt. Da das bio-psycho-soziale Modell Grundlage der meisten Mutter-Kind-Kliniken ist, heißt dies im Umkehrschluss, dass die spirituelle Dimension von Gesundheit und Krankheit bis heute in den meisten Mutter-Kind-Kliniken keine Beachtung findet. Ausnahmen sind kirchlich geführte Häuser oder anthroposophische Einrichtungen, bei denen originär auch spirituell-religiöse Konzepte Teil des Behandlungsansatzes sind.
Die spirituell-religiöse Dimension
beschreibt den Menschen im Hinblick auf seine Beziehung zum Metaphysischen, zum großen Ganzen. Sie berücksichtigt die subjektive Erkenntnis und Wahrnehmung des Menschen bezogen auf etwas, das größer ist als er und über Leben und Tod hinausweist7.
Basierend auf den oben dargestellten Aspekten des Leitsyndroms mütterlicher Erschöpfung ergibt sich die Notwendigkeit, drei grundlegende Kurziele im Rahmen einer Mutter-Kind-Kur anzustreben:
1. Erholung und Regeneration
Als Folge der anhaltenden Überlastung sind die körperlichen und/oder seelischen Kräfte der Mütter weitgehend aufgebraucht. Die notwendige Energie zur Aufrechterhaltung der oben dargestellten Regenerationsfähigkeit (siehe bio-psycho-soziales Modell) ist nicht mehr ausreichend vorhanden. Somit müssen zunächst Maßnahmen ergriffen werden, die eine grundlegende Erholung und Regeneration sicherstellen, damit Heilung möglich werden kann. Zu diesen Maßnahmen gehört in erster Linie die Entlastung von häuslichen Pflichten und von der ständigen Betreuung der Kinder. Das Kurziel Erholung benötigt daher folgende tragfähigen Strukturen und Prozesse innerhalb des Kurverlaufs:
Unterbringung in einem ausreichend großen Appartement, welches die Möglichkeit bietet, sich zurückzuziehen und erholsam zu schlafen.
Entlastung der Mutter von haushaltlichen Pflichten wie Kochen, Spülen und Putzen.
Entlastung der Mutter von der ständigen Verpflichtung der Kinderbetreuung durch die Bereitstellung einer altersgetrennten und pädagogisch qualifizierten Kinderbetreuung.
Rhythmuspflege in Form einer ausgewogenen Mischung aus Aktivität und Ruhe sowie der Unterstützung eines erholsamen Schlafes. Fast alle Mütter mit ausgeprägten Erschöpfungszuständen leiden unter quälenden Schlafstörungen und benötigen daher neben Gesprächsangeboten rhythmisierende Impulse zur Lösung der inneren Anspannung.
2. Symptomlinderung
Infolge der zunehmenden Erschöpfung haben sich bei der Mutter psychosomatische Befindlichkeitsstörungen entwickelt und es sind vielleicht bereits chronische Erkrankungen im Sinne einer Multimorbidität entstanden. Zweites Kurziel ist es, die entstandenen Beschwerden zu lindern, um die Lebensqualität und die Motivation zu gesundheitsfördernden Veränderungen der Lebenssituation zu erhöhen. Zur effektiven Behandlung der multiplen Beschwerden sind interdisziplinäre Strukturen mit abgestimmten Therapiekonzepten erforderlich:
Ärztliche Kurbegleitung mit der flankierenden Verordnung notwendiger medikamentöser Therapien.
Psychosoziale Begleitung in Form von Gruppenangeboten sowie bedarfsweisen Einzelgesprächen.
breitgefächerte therapeutische Angebote mindestens in den Bereichen Physiotherapie, Bewegungstherapie, Balneo- und Klimatherapie, Entspannungstherapie sowie Ernährungstherapie.
3. Standortbestimmung und Strategieentwicklung
Ursächlich für die entstandene Erschöpfung mit den nachfolgenden chronischen Krankheitsbildern sind familiär-berufliche Überlastungs- und Überforderungssituationen sowie Schicksalsschläge. Zur nachhaltigen Gesundung ist es notwendig, die bestehenden Belastungsfaktoren der Lebenssituation zu analysieren und tragfähige Strategien zur Veränderung des häuslichen Alltags zu erarbeiten. Sofern es keine Veränderung der Lebensweise bzw. der Lebenssituation im Anschluss an die Kur gibt, wird die Mutter zwangsläufig erneut in den früheren Erschöpfungsprozess rutschen. Der Veränderung der Lebenssituation bzw. der Lebensweise kommt daher allergrößte Bedeutung zu. Letztlich ist die Kur lediglich eine Auszeit, die die Möglichkeit zur Neuorientierung gibt, um einen eingefahrenen Erschöpfungsprozess zu unterbrechen. Zur Erreichung eines nachhaltigen Veränderungsprozesses sind folgende Hilfen während der Kur wichtig:
Analyse der Belastungsfaktoren in der aktuellen Lebenssituation im Rahmen themenzentrierter Gesprächskreise und/ oder psychologischer Einzelgespräche
Erarbeitung von Methoden zur Stressreduktion
Beratung zu Erziehungsproblemen
Hilfen zum Umgang mit beruflichen und familiären Konflikten
Erlernen von Entspannungstechniken
Erarbeitung von alltagstauglichen Bewegungskonzepten
Initiierung einer nachhaltigen Ernährungsumstellung
Die drei grundsätzlichen Kurziele sind im Hinblick auf die individuelle Situation einer jeden Mutter zu konkretisieren. Kurziele können und müssen dabei im Verlauf der Kur verändert und angepasst werden, beispielsweise wenn sich notwendige Freiräume für die Mutter aufgrund von Erkrankungen des Kindes während der Kur nicht erreichen lassen.
Die Komplexität des mütterlichen Erschöpfungssyndroms, die Multimorbidität und die psychosomatische Komponente im Krankheitsgeschehen machen es unverzichtbar, dass verschiedene Berufsgruppen interdisziplinär im Gesundungsprozess tätig werden. Erst die vielschichtige Impulssetzung in allen Dimensionen des bio-psycho-sozialen Modells erschließt die Möglichkeit, innerhalb eines vergleichsweise kurzen Kurzeitraumes ein langjährig entstandenes und chronisches Krankheitsgeschehen wirksam zu behandeln. Es ist dabei nicht damit getan, dass verschiedene Berufsgruppen zeitgleich tätig werden. Notwendig ist, dass die verschiedenen Impulse abgestimmt erfolgen, zur richtigen Zeit und im richtigen Maß. Hierzu ist ein ständiger Austausch im interdisziplinären Behandlungsteam erforderlich. Üblicherweise finden zu diesem Zweck TherapeutInnenrunden und Teamsitzungen statt, in denen die Patientinnen besprochen werden. Die PatientInnen müssen daher damit einverstanden sein, dass ein entsprechender Austausch zwischen den ÄrztInnen, KrankenpflegerInnen, PsychologInnen und TherapeutInnen erfolgen darf, ansonsten kann eine Mutter-Kind-Kur nicht erfolgreich durchgeführt werden. Nur die Summe aller therapeutischen Wahrnehmungen ergibt ein Mosaik aus Einzelbildern, welches zusammengesetzt ein ausreichend stimmiges Bild der Patientin im Kurprozess zeichnet.
Fassen wir das bisher Gesagte zusammen: Im Bereich der Mutter-Kind-Kuren haben wir es mit über Jahre entstandenen Erschöpfungszuständen zu tun, die Folge einer belastenden Lebenssituation sind und zu multiplen psychosomatischen Störungen sowie chronifizierten Erkrankungen geführt haben. Es handelt sich um eine multiaxiale Problematik, die Körper, Geist, Seele und das soziale Miteinander der Patientinnen betrifft und nur im Kontext eines ganzheitlichen Behandlungskonzeptes gebessert werden kann. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf gesundheitsfördernden Ansätzen, um die Selbstheilungskräfte und die Regenerationsfähigkeiten der Patientinnen zu stärken und heilsame Veränderungen der Lebensweise auf den Weg zu bringen.
Auf diesem Wege bieten sich komplementäre Behandlungskonzepte zur Ergänzung schulmedizinischer und schulpsychologischer Ansätze an, da die komplementären Verfahren in besonderer Weise den folgenden Erfordernissen entsprechen:
Ganzheitliche Betrachtung und Behandlung eines Krankheitsgeschehens: Körper, Geist und Seele werden in ihrer gleichberechtigten Bedeutung und in ihrer ständigen Wechselwirkung im Krankheitsgeschehen berücksichtigt.
Betrachtung des Menschen als Teil eines größeren Ganzen: Einbeziehung der sozialen Umgebung sowie des kosmischen Umfeldes als Teil der menschlichen Seins-Realität.
Bewusste Auseinandersetzung mit spirituellen Aspekten des Lebens und aktive Arbeit mit Sinnfragen im biografischen Kontext.
Besondere Beachtung präventiver Behandlungsansätze: Empfehlungen zu gesundem Ernährungsverhalten, Regeln für eine gesunde Balance zwischen Aktivität und Entspannung, Rhythmuspflege.
Betonung und Einbeziehung der Eigenverantwortlichkeit der PatientInnen.
Hier überliefern komplementäre Medizinsysteme wie die Indische oder die Chinesische Medizin bereits seit Tausenden von Jahren eine hochwirksame mehrdimensionale Behandlungskultur, die in der modernen Medizin erst mit der „Neu-Entdeckung“ des bio-psycho-sozialen Modells begriffen wurde.
Infolge der aus der Erschöpfung resultierenden Befindlichkeitsstörungen und der Multimorbidität erfolgt die Zuweisung zur Mutter-Kind-Kur in der Regel mit mehreren Behandlungsdiagnosen. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass bis zu fünf kurbegründende Diagnosen im Antragsattest zu finden sind. Selbst wenn man davon absieht, dass gelegentlich nicht mehr relevante (Alt-)Diagnosen zur Untermauerung der Kurbedürftigkeit in den Attesten aufgeführt sind, bleibt dennoch die Problematik, dass oftmals in der begrenzten Kurzeit von in der Regel drei Wochen nicht alle Zuweisungsdiagnosen gleichermaßen intensiv behandelt werden können. Letztlich ist eine Kur nur dann erfolgreich, wenn eine angemessene Mischung aus therapeutischen Impulsen und freier Zeit zur Regeneration und zur Verarbeitung der gesetzten Impulse sichergestellt wird. Es gilt nicht der Grundsatz „Viel hilft viel“. Im Ergebnis muss daher oftmals eine Entscheidung getroffen werden, welche Diagnose im Kurprozess im Vordergrund stehen soll und welches Kurziel Priorität erhält. Diese Entscheidung treffen die kurbegleitenden ÄrztInnen gemeinsam mit der Patientin in der Aufnahmeuntersuchung und richten den Behandlungsplan entsprechend aus. Die therapieleitende Schwerpunktdiagnose bestimmt insbesondere die Anteile am Behandlungsplan, die der Linderung bestehender Symptome sowie der Vermittlung von Kompetenzen zur Krankheitsbewältigung dienen. Maßnahmen zur allgemeinen Regeneration und Erholung sowie Ansätze, die der Reduktion der häuslichen und beruflichen Belastungsfaktoren dienen, sind zusätzlich im ganzheitlichen Therapiekonzept unverzichtbar. Die Behandlung der therapieleitenden Schwerpunktdiagnose muss zunächst einmal auf den anerkannten Empfehlungen der aktuellen Leitlinien basieren. Ergänzend sind weitere Behandlungsansätze gemäß klinikseitiger Schwerpunktsetzungen (z.B. komplementärmedizinische Ergänzungen) möglich.
Unterm Strich
Die drei wichtigen Kurziele sind Erholung, Linderung von Symptomen und Strategieentwicklung!