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Waldtherapie kann die Gesundheit des Menschen stärken und zu Wohlbefinden und mehr Lebensqualität beitragen. Gesundheit und Wohlbefinden sind jedoch kein Selbstzweck, sondern bilden lediglich die Grundlage für ein erfülltes und reiches Leben, denn sie sind die Voraussetzung für einen geistigen Schulungsweg hin zu mehr Mitgefühl, Verantwortung, Liebe und Weisheit. Eine wichtige Rolle auf diesem Erkenntnisweg spielt die Fähigkeit zur Achtsamkeit. Im vorliegenden Buch stellt die Autorin detailliert ihr innovatives Therapiekonzept der Wald-Yoga-Therapie nach Ryll als einen naturverbundenen und praktischen Übungsweg vor, der den körperorientierten Hatha-Yoga durch Ansätze aus der Waldtherapie (Shinrin-Ryoho) und der Achtsamkeitsmeditation erweitert.
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Seitenzahl: 153
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In der Reihe „Spirituelle Aspekte in der Medizin“ sind bisher erschienen:
Band 1:
Bachblüten als Erkenntnisweg ISBN 978-3-74943-518-0
Band 2:
Indische Medizin als Erkenntnisweg ISBN 978-3-74606-830-5
Band 3:
Psychische Grundbedürfnisse in der Schule ISBN 978-3-75049-666-8
Band 4:
Die Mutter-Kind-Kur – Grundlagen und Methodik ISBN 978-3-75343-974-7
Brigid Ryll
Physiotherapeutin, Yogalehrer-Diplom-Ausbildung, langjährige Praxis des Indischen Bogenschießens, Ausbildung in anthroposophischer Medizin, Ayurvedatherapeutin, Waldtherapeutin, Entwicklung frauenspezifischer Therapiekonzepte in den Bereichen Yoga, Indisches Bogenschießen und Meditation, seit über 20 Jahren tätig im Bereich Mutter-Kind-Kuren.
Unser aller Mutter gewidmet.
Einleitung
Waldtherapie
1.1 Begriffsklärung
1.2 Bisherige Entwicklung der Waldtherapie
1.3 Forschungsstand Waldtherapie
1.4 Rahmenbedingungen der Waldtherapie
1.4.1 Begriffsbestimmung Wald
1.4.2 Waldtherapeutisch relevante Faktoren
1.5 Der waldtherapeutische Bewertungskatalog
1.6 Inhaltliche Aspekte der Waldtherapie
1.6.1 Bedeutung der Achtsamkeit
1.6.2 Begriffsklärung Achtsamkeit
1.6.3 Forschungsstand Achtsamkeit
Yoga
2.1 Der Yoga
2.1.1 Geschichte des Yoga
2.1.2 Yoga und die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft
2.1.3 Forschungsstand Yoga
Waldtherapie und Yoga – Modell einer Synthese
3.1 Grundlegende Überlegungen
3.2 Prinzipien einer Wald-Yoga-Therapie
3.3 Wald-Yoga-Therapie nach Ryll
3.4 Wald-Yoga-Therapie nach Ryll im Unterschied zum Asthanga-Yoga
3.5 Die Bedeutung der Transzendenz
3.6 Wald-Yoga-Therapie nach Ryll als frauenspezifisches Therapiekonzept
3.7 Ziele der Wald-Yoga-Therapie nach Ryll
Praxis der Wald-Yoga-Therapie nach Ryll
4.1 Gruppenstruktur
4.2 Ablauf einer Kurseinheit
4.3 Didaktik der Kurseinheiten
4.3.1 Phase 1: Festlegung der Therapieziele
4.3.2 Phase 2: Umsetzung der Therapieziele
4.3.3 Phase 3: Überprüfung der Zielerreichung
Studie zur Wald-Yoga-Therapie nach Ryll
5.1 Forschungslücken
5.2 Grundlagen der durchgeführten Studie zur Wald-Yoga-Therapie
5.3 Forschungshypothese
5.4 Methodik
5.4.1 Stichprobe
5.4.2 Untersuchungsablauf
5.4.3 Untersuchungsplan
5.4.4 Verwendete Instrumente
5.4.5 Variablen
5.5 Ergebnisse
5.5.1 Deskriptive Datenanalyse
5.5.2 Explorative Datenanalyse
5.5.3 Analyse auf der Item-Ebene
5.5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse
5.6 Diskussion
5.6.1 Resultate
5.6.2 Einschränkungen
5.6.3 Konsequenzen
5.7 Zusammenfassung
Nachwort
Übersicht der Studienkonzeption
Quellenangaben
Literaturverzeichnis
„Glaube mir, ich habe es erfahren, du wirst ein Mehreres in den Wäldern finden als in den Büchern; Bäume und Steine werden dich lehren, was kein Lehrmeister dir zu hören gibt.“
Bernhard von Clairvaux
In ihrer tiefen Verbundenheit mit der Natur waren für die Mystiker des Mittelalters besonders Bäume eine Quelle der Erkenntnis und Heilung. Heute wird dieses alte Wissen von der Wissenschaft wiederentdeckt. So bestätigen die neuesten Erkenntnisse aus der Quantenphysik, „was die mystischen Wege der Religionen immer schon wussten: Es gibt nur das EINE(..) Jedes Atom ist mit jedem Atom in diesem Universum verbunden. Alles kann mit allem kommunizieren.“1 Welche Bedeutung hat diese Erkenntnis für die Beziehung zu uns selbst, zu unseren Mitmenschen und zu unserer Mitwelt? Während wir die vielfältigen positiven Wirkungen des Waldes auf unsere physische und psychische Gesundheit und die für unsere menschliche Existenz überlebensnotwendigen „Ökosystemleistungen“ (aus)nutzen, werden diese Ressourcen „mit zunehmendem Druck auf die Umwelt (…) knapper. Es ist daher wichtig, ihre Bedeutung aufzuzeigen und verstärkt ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.“2 Dieses Bewusstsein vorausgesetzt, stellt sich die Frage, warum wir dennoch nicht ausreichend dafür sorgen, dass unsere Existenzgrundlage erhalten bleibt. Warum ist unser Umweltbewusstsein so wenig entwickelt? Warum handeln wir wider besseres Wissen, ja gegen jede menschliche Vernunft? Warum sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen? Wo liegt der Denkfehler? Das Grundproblem ist unsere begrenzte und einseitige mechanistische Denkweise. Der moderne Mensch hat sich zunehmend von der Natur getrennt und begreift sich als „Krone der Schöpfung“ außerhalb und unabhängig von der Natur existierend. Dieses anthropozentrische Weltbild bezeichnet der Quantenphysiker Prof. Hans-Peter Dürr als „folgenschweren Denkfehler der Neuzeit“, in der „die Natur dem Menschen nur mehr als Baustein und Werkzeug zur Erfüllung seiner Bedürfnisse“ dient.3 Die Folge dieser Denkweise ist der Verlust der Erkenntnis, dass der Mensch „selbst zutiefst in diese Natur eingebettet und gänzlich abhängig von ihr ist. Die Illusion der Trennung führte dazu, dass wir einerseits das Machbare heillos überschätzen und andererseits unterschätzen, was für Möglichkeiten der Teilhabe wir tatsächlich haben.“4 Von Scharmer 5 wird die „egozentrische“ Denkweise als Ursache für die globalen Umweltprobleme 6 gesehen. Bisherige Interventionen „von außen“, wie staatliche Strategien, Anreizmechanismen, „grüne“ Technologien usw. waren bisher nicht ausreichend, um das Bewusstsein der Menschen hinsichtlich des Klima- und Umweltschutzes nachhaltig zu verbessern7. Methoden zur Sensibilisierung müssen überdacht werden, da „Veränderungen im Verhalten nicht mehr allein durch Information oder Belohnung erzielt werden, sondern beispielsweise auch durch Freiwilligkeit.“8
Für eine Bewältigung von ökologischen wie menschlichen Krisen im Sinne einer „Großen Transformation“9 ist eine Entwicklung weg von einem „egozentrischen“ und hin zu einem „ökozentrischen“ Weltbild notwendig, „in dem Natur und Kultur nicht als Gegensätze gesehen, sondern integrativ und ganzheitlich zusammen gedacht und gelebt werden.“10 Ein radikaler Bewusstseinswandel im Sinne eines „Weltbildes der Verbundenheit“11 erfordert Verhaltensänderungen durch Interventionen auch „von innen“, in Form einer „Transformation des menschlichen Selbstverständnisses, der menschlichen Identität“12. Dieser Transformationsprozess ist mit der Anstrengung zur Selbstregulierung verbunden 13. Hier gewinnt die Fähigkeit zur Achtsamkeit zunehmend an Bedeutung. Als eine wirksame Methode zur Unterstützung der Selbstregulation des Bewusstseins 14 und deren mögliche Auswirkungen im Nachhaltigkeitskontext wird Achtsamkeit aktuell in Medizin, Psychologie, Pädagogik und Neurowissenschaften erforscht 15.
Die Möglichkeiten der Teilhabe gilt es einerseits durch Bewusstmachung der Zusammenhänge zwischen Mensch und Natur und andererseits durch die Entwicklung und Umsetzung von ganzheitlichen ökologischen, umweltpädagogischen sowie natur- und waldtherapeutischen Lern- und Handlungskonzepten wiederzuentdecken. Diese Aufgabe ist letztlich nur auf der Grundlage eines Welt- und Menschenbildes möglich, welches sowohl die anthropozentrische als auch die biozentrische Denkweise verbindet.
In den letzten Jahren hat das Thema „Wald und Gesundheit“ im Zusammenhang mit Public-Health-Interessen an Bedeutung gewonnen. „Der tiefgreifende Einfluss der Umwelt auf die Gesundheit der Bevölkerung wurde hierbei besonders fokussiert und löste den „blaming the victim“ Ansatz zu Gunsten einer holistisch gedachten Erklärung für Gesundheit und Krankheit ab.“16 Basierend auf Forschungsergebnissen aus Japan und Korea 17 entstand die wissenschaftliche Methode der Waldtherapie zunächst unter der Bezeichnung SHINRIN YOKU (Waldbaden), später als SHINRIN RYOHO (Waldtherapie). In den Jahren 2007 bis 2015 wurden im deutschsprachigen Raum verschiedene Literaturstudien vorgelegt: zum Thema „Landschaft und Gesundheit“ von der Universität Bern, Institut für Sozial- und Präventivmedizin 18, „Zur Gesundheitswirkung von Waldlandschaften“ vom Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien unter Leitung von Frau Prof. Dr. Anita Rieder19, eine „Analyse und Evaluation von Publikationen zur Waldtherapie“ vom Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München unter Leitung von Frau Prof. Dr. Dr. Angela Schuh20 und vom Lehrstuhl für Naturheilkunde der Universität Rostock unter Leitung von Frau Prof. Dr. Karin Kraft21. Auf der Grundlage der Expertisen von Frau Prof. Schuh und Frau Prof. Kraft wurde 2015 ein Kriterienkatalog für die Strukturen von Erholungs-, Kur- und Heilwäldern entwickelt 22.
Die medizinisch-theoretische Grundlage der Waldtherapie bildet das erweiterte biopsychosoziale Modell23, welches die Körper-Seele-Einheit (body mind unity) postuliert und sich dabei auf wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Quantenphysik stützt.24 Petzold 25 betont den ökologische Aspekt innerhalb der Integrativen Medizin: „Menschen sind Körper-Seele-Geistwesen im sozialen und ökologischen Kontext/Kontinuum, eingebettet in die Welt (embeddedness), die Welt verkörpernd (embodiment), Teil der Welt – so die anthropologische und mundanologische Grundformel, das biopsychosozialökologische Menschen- und Weltbild der Integrativen Therapie mit ihrer konvivialen ‘Ökologie der Verbundenheit‘, ihrer ökopsychosomatischen, naturtherapeutischen Praxeologie und ihren ökopolitischen Engagement das Lebendige zu schützen und zu bewahren, so ihr ökologischer Imperativ, der die doppelte Perspektive eines ‘Caring for People and Caring vor Nature‘ umfaßt“26.
Sowohl Heilung für den Menschen als auch Heilung für die Natur – diese „Sowohl-als-auch“- Sichtweise wird in der Naturtherapie als „Level 2“ bezeichnet27. Nach Buzell28 wird „Level 1“ der Naturtherapie eher der anthropozentrischen Denkweise des „Entweder-Oder“ zugeordnet und „entspricht dem aktuellen Trend, Natur zur Gesundheitsförderung zu nutzen: z.B. in „Heilwäldern“ Terpene einzuatmen, um das Immunsystem zu stärken oder Kinder zum Spielen nach draußen zu schicken, um dem Natur-Defizit-Syndrom vorzubeugen.“29 Knümann verweist in diesem Kontext auf die Nachteile dieser einseitigen und ergebnisorientierten Herangehensweise, da sie „die dualistische Spaltung zwischen Mensch und Natur weiter fortschreibt und der Historie der Instrumentalisierung der Natur ein weiteres Kapitel hinzufügt. (…) Den Aufenthalt in der Natur wie ein Medikament verabreichen zu wollen, entspricht genau der spaltenden Denkweise, die es dringend zu überwinden gilt.“30 Ein ganzheitlicher und integrativer Ansatz der Waldtherapie auf „Level 2“ wird von der „Europäischen Akademie für biopsychosoziale Gesundheit, Naturtherapien und Kreativitätsförderung“ präferiert. In der Definition von Petzold31 wird Waldtherapie sowohl als salutogenetisches als auch pathogenetisches Heilverfahren beschrieben: „Waldtherapie ist eine forschungsbasierte Methode der Therapie und Prävention sowie der Gesundheitsförderung und Gesundheitsberatung im Rahmen der ‘Neuen Naturtherapien‘. Waldtherapie zielt darauf ab, das Lebens- und Ökosystem ‘Wald‘ angeleitet und begleitet durch fachlich geschulte ExpertInnen (WaldtherapeutInnen, Wald-GesundheitsberaterInnen) als gesundheitsfördernden und heilsamen Erfahrungsraum zu nutzen. Die vielfältigen, positiven Einflussmöglichkeiten, die der Wald und das Walderleben im Sinne der Salutognese für den ‘Menschen als Ganzen‘ in seinen körperlichen, emotionalen, kognitiven und sozialen Dimensionen bietet, sollen die Gesundheit kräftigen und Genesungsprozesse fördern. Waldtherapie kommt aber auch bei der Heilbehandlung von Pathogenem, von psychischen und psychosomatischen Störungen durch anerkannte Heilberufe (Ärztinnen, approbierte PsychotherapeutInnen, ErgotherapeutInnen, HeilpraktikerInnen) zum Einsatz in individualtherapeutischen, gruppen- und familientherapeutischen Formaten.“
In der vorliegenden Arbeit wird diese derzeit aktuelle und umfassendste Definition der Waldtherapie von der „Europäischen Akademie für biopsychosoziale Gesundheit, Naturtherapien und Kreativitätsförderung" verwendet. Waldtherapie soll demnach auch als Heilverfahren bei der Behandlung von psychischen und psychosomatischen Krankheitsbildern Anwendung finden. Dabei können die ganzheitlichen Methoden und Techniken der Waldtherapie wie naturästhetisches Erleben, meditative Erfahrungen und komplexe Achtsamkeit32 „als wichtige Komponenten einer Waldmedizin, ‘Ökopsychosomatik‘ und ‘klinischen Ökologie‘ im Kontext komplexer Therapieprogramme mit ‘multimodalen Bündeln‘ von therapeutischen Maßnahmen verwendet werden, wie sie in moderne Ansätze der Psychiatrie und Suchttherapie, der Integrativen Therapie, Soziotherapie und Rehabilitation Eingang gefunden haben.“33
Seit den 1980er Jahren entwickelt sich in Japan ein noch sehr junger Forschungszweig der Waldmedizin 34, der zunächst unter dem Namen „Shinrin-Yoku“ 35 publiziert wird. Der Leiter der japanischen Forstverwaltung, Tomohide Akiyama, suchte 1982 nach einer innovativen Idee, die gestressten Japaner aus den Städten wieder mehr in die Wälder Japans zu locken und erfand die Methode „Shinrin-Yoku“, was wörtlich übersetzt „Einatmen der Waldatmosphäre“ bedeutet 36. Im Jahr 1988 beginnt Miyazaki am Forestry and Forest Research Institute (FFPRI) unter der Fragestellung „Warum sind wir in der Natur so entspannt?“ mit ersten wissenschaftlichen Experimenten zu den Wirkungen von Wäldern, Holz und Entspannungsmethoden37. Fünf Jahre später forschen Miyazaki und Kollegen über den Einfluss ätherischer Baum- und Pflanzenöle auf psychische Stimmung, Blutdruck und Herzfrequenz des Menschen 38 und kommen zu dem Ergebnis: „Allein durch den Geruch oder das Berühren eines Stücks Kiefern-, Eichen- oder japanischen Zypressenholzes konnte bei den Probanden eine Beruhigung der präfrontalen Hirnaktivität, eine verringerte Aktivität des sympathischen Nervensystems und ein Anstieg der Parasympathikusaktivität festgestellt werden.“39
In den Jahren von 1992-2000 stagniert die wissenschaftliche Forschung in Japan auf Grund unzureichender technischer Geräte bzw. fehlender Forschungsgelder40. Im Zeitraum von 2000-2003 entwickeln japanische Hersteller schließlich neue Geräte zur Messung der Aktivität des Gehirns und des vegetativen Nervensystems, wie z.B. kleine, tragbare NIRS-Geräten (Nah-Infrarotspektroskopie) zur Messung der Hämoglobinkonzentration im Blut sowie die Spektroskopie (TRS) zur Messung der Hirnaktivitäten41. Auf der Grundlage der nachfolgenden Forschungsergebnisse wird die wissenschaftlich basierte Form des „Shinrin-Yoku“ zukünftig als „Shinrin-Ryoho“ (Waldtherapie) bezeichnet: „Und so wurde aus einer auf Intuition gründenden Methode eine wissenschaftliche, die heute als präventivmedizinische Behandlungsform gilt.“42
Im deutschsprachigen Raum wird „Shinrin-Yoku“ zunächst unter dem Namen „Waldbaden“ bekannt. Um sich von dem Konzept „Waldbaden“ abzuheben, soll im weiteren Verlauf ein Konzept unter dem Namen „Waldtherapie“ entwickelt werden, dass über den Rahmen von präventiven gesundheitstouristischen Angeboten hinaus auch in einem medizinisch-therapeutischen Kontext Anwendung finden soll. Als erstes Bundesland beginnt Mecklenburg-Vorpommern hierzu ab 2012 im Rahmen des Projektes “Entwicklung der natürlichen Ressource Wald zum Kur- und Heilwald zur Nutzung als Therapeutikum und dessen Vermarktung“ mit ersten Recherchen 43. Die Idee für Kur- und Heilwälder ist auf einer Nationalen Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft entstanden und mit Unterstützung der BioCon Valley® GmbH entwickelt worden 44. Mit Unterstützung durch den Bäder- und Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern e.V. und in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Naturheilkunde der Universität Rostock unter Leitung von Frau Prof. Dr. Karin Kraft und dem Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Dr. Angela Schuh werden Qualitätskriterien für Kur- und Heilwälder in Deutschland erarbeitet 45.
Auf dem Ersten Internationalen Kongress zum Thema „Gesundheitspotenzial Wald“ wird im Seebad Heringsdorf auf der Insel Usedom im September 2017 der erste zertifizierte Kur- und Heilwald Europas eröffnet. Das Projekt wird für das besondere „Engagement in der Natur, Erholungsorte und Aktivitäten in der Natur, Heilen mit der Natur, Naturressourcen als Grundlage der Gesundheit“ mit dem Qualitätssiegel der UN-Dekade Biologische Vielfalt „leben.natur.vielfalt“ ausgezeichnet 46. Von März 2019 bis April 2020 findet schließlich an der Universität Rostock im Rahmen eines Pilotprojektes der erste berufsbegleitende Zertifikatskurs „Waldtherapie“ für Fachkräfte aus dem medizinisch-therapeutischen und forstwirtschaftlichen Bereich statt.
29. Juli 1982
Tomohide Akiyama, Leiter der japanischen Forstverwaltung sucht nach einer kreativen Idee, um die gestressten Japaner aus den Städten wieder mehr in die Wälder Japans zu locken und erfindet „Shinrin-Yoku“, was wörtlich übersetzt „Einatmen der Waldatmosphäre“ bedeutet.
47
1988
Mit der Fragestellung „
Warum sind wir in der Natur so entspannt?“
beginnt Prof. Yoshifumi Miyazaki, Vorreiter der Waldtherapieforschung, am Forestry and Forest Research Institute (FFPRI) mit ersten wissenschaftlichen Experimenten zu den Wirkungen von Wäldern, Holz und Entspannungsmethoden.
48
1990
In Kooperation mit der japanischen Rundfunkgesellschaft NHK untersucht Miyazaki auf der Insel Yakushima die physiologischen Auswirkungen der Zedern auf Stresshormone im menschlichen Körper. Dabei misst er u.a. den Cortisolspiegel im Speichel der Probanden, die einen Waldspaziergang gemacht haben.
49
1992
Miyazaki forscht über den Einfluss ätherischer Baum- und Pflanzenöle auf die psychische Stimmung, den Blutdruck und die Herzfrequenz des Menschen
50
. Sein Fazit:
„Allein durch den Geruch oder das Berühren eines Stücks Kiefern-, Eichen- oder japanischen Zypressenholzes konnte bei den Probanden eine Beruhigung der präfrontalen Hirnaktivität, eine verringerte Aktivität des sympathischen Nervensystems und ein Anstieg der Parasympathikusaktivität festgestellt werden.“
51
1992-2000
Die wissenschaftliche Forschung stagniert auf Grund unzureichender technischer Geräte bzw. fehlender Forschungsgelder.
52
2000-2003
Japanische Hersteller entwickeln Geräte zur Messung der Aktivität des Gehirns und des vegetativen Nervensystems, wie z.B. kleine, tragbare NIRS-Geräten (Nah-Infrarotspektroskopie) zur Messung der Hämoglobinkonzentration im Blut sowie die Spektroskopie (TRS) zur Messung der Hirnaktivitäten.
53
2003
Auf der Grundlage der Forschungsergebnisse schlägt Miyazaki vor, die wissenschaftlich basierte Form des Shinrin Yoku zukünftig als Waldtherapie (Shinrin Ryoho) zu bezeichnen.
„Und so wurde aus einer auf Intuition gründenden Methode eine wissenschaftliche, die heute als präventivmedizinische Behandlungsform gilt.“
54
2004
Gründung der
Arbeitsgemeinschaft Waldtherapie
. Das Team um Miyazaki erhält von der japanischen Regierung ein Forschungsbudget von über 470 Millionen Yen (ca. 4,5 Mill. Dollar) und entwickelt u.a. einen klimatisierten Testraum, in dem die Waldtherapie-Forschung nun weiter vorangetrieben wird.
55
2005
Beginn eines langjährigen gemeinsamen Forschungsprojekts des
Center for Environment, Health and Field Sciences
an der Universität Chiba und des
Forestry and Forest Products Research Institute
über die physiologischen und psychologischen Auswirkungen der Waldtherapie. Die Ergebnisse dieser zahlreichen Studien zeigen positive physiologische Veränderungen, wie z.B. Zunahme der parasympathischen Nerventätigkeit bei gleichzeitiger Verringerung der sympathischen Nervenaktivität, Senkung des Blutdrucks, Verringerung der Pulsfrequenz und des Speichelcortisols und belegen durch Fragebögen die Verbesserung der subjektiven Entspannungsfähigkeit und psychischen Stabilität der Probanden.
56
2006
Eröffnung des ersten anerkannten Waldtherapie-Stützpunktes in Japan. In einer weiteren Studie weisen Miyazaki und Kollegen
57
auf einen deutlichen stressreduzierenden Effekt eines Aufenthaltes im Wald hin. Dies konnte anhand von einer Reduzierung der Alpha-Amylase im Speichel, die auf positive Effekte des Waldaufenthaltes auf das sympathische Nervensystem hinweist, dokumentiert werden.
58
2007-2008
Zusammen mit seinem Kollegen Dr. Qing Li
59
untersucht Miyazaki die Kurz- und Langzeitwirkung der Waldtherapie auf die Funktion des Immunsystems des Menschen. Sie können in mehreren Studien die Erhöhung der Aktivität der natürlichen Killerzellen und damit die abwehrstärkende Wirkung der Waldtherapie nachweisen.
60
2011
Miyazaki führt eine Pilotstudie
61
mit 420 Probanden in 35 verschiedenen Waldgebieten verglichen mit Städtern durch: „Dabei wurden ein ruhiger Waldaufenthalt (sitzend) oder eine körperliche Aktivität (Waldwandern) untersucht. In beiden Studiendesigns kam es zu vergleichbaren Ergebnissen, hinsichtlich der Stressreduktion. So zeigt sich z. B. beim ruhigen Sitzen im Wald ein Abfall des Kortisolspiegels von rund 12 %, des Sympathikotonus um 7 % und der Herzfrequenz um 6 %; gleichzeitig erhöht sich die parasympathische Nervenaktivität um 55 %.“
62
2012
Auf der 8. Nationalen Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern, wird der Wald als Therapeutikum thematisiert. Der Bäderverband M-V e.V. beginnt im Rahmen des Projektes
“Entwicklung der natürlichen Ressource Wald zum Kur- und Heilwald zur Nutzung als Therapeutikum und dessen Vermarktung“
mit ersten Recherchen. In Zusammenarbeit mit Fachleuten aus unterschiedlichen Branchen (Forstwirtschaft, Medizin, Tourismusverband, Klimathologie, Landschaftsarchitektur usw.) werden in den nächsten Jahren Qualitätskriterien für Kur- und Heilwälder in Deutschland erarbeitet.
63
2013
In einem Evaluationsbericht resümiert Prof. Angela Schuh, Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung, München „
dass ein Aufenthalt im Wald nachgewiesenermaßen zu einem Erholungseffekt führt. Die Schlafqualität wird positiv beeinflusst. Auch Stressreduktion und psychische Stabilisierung durch „Waldbaden“ sind gesichert. Gefühle werden positiv beeinflusst. Dies ist besonders evident bei negativen Emotionen wie Wut/Ärger oder Traurigkeit. Der Aufenthalt in der Natur kann zudem die Aufmerksamkeit erhöhen. Außerdem bestehen deutlich Hinweise auf eine Zunahme der Leistungskapazität des Immunsystems.“
64
2015
Prof. Petzold, Leiter der „Europäischen Akademie für biopsychosoziale Gesundheit, Naturtherapien und Kreativitätsförderung“ (EAG), plädiert im Kontext der Waldtherapie für eine „Therapie für den Wald“: „
Der Wald als hochdifferenziertes Ökosystem bedarf jedoch selbst des achtsamen, ökophilen Umgangs im Sinne des für die Naturtherapien maßgeblichen ‘erweiterten Ökologischen Imperativs‘, der Natur nicht zu schaden, für den Waldtherapie sensibilisiert. Sie vermittelt in ihrer Praxis Sorgfalt der Natur gegenüber als „caring for nature, eco-care“ – und eine besonnene Achtsamkeit gegenüber anderen Lebewesen – eine „Ökosophie“ , sowie eine Liebe für das Lebendige, eine Liebe zum Wald, eine „Ökophilie“, als „caring for life, caring for people.“ Das schließt auch eine achtsame Selbstsorge ein (self caring), denn der Mensch ist Teil der Natur.“
65
09/2017