Meine Erlebnisse als Kriegsgefangener am nördlichen Eismeer und Sibirien - Gerhard Giebels - E-Book

Meine Erlebnisse als Kriegsgefangener am nördlichen Eismeer und Sibirien E-Book

Gerhard Giebels

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Beschreibung

Meine Erlebnisse als Kriegsgefangener am nördlichen Eismeer und Sibirien - Gerhard Giebels Die Kriegsgefangenschaft in Russland bereits im Ersten Weltkrieg war eine der Menschheitskatastrophen im 20. Jahrhundert, die später von noch größeren Katastrophen überschattet wurde. Von über 2 Millionen Kriegsgefangenen der Mittelmächte (Deutschland, Österreich-Ungarn, das Osmanische Reich und Bulgarien) ließen dort über 400.000 ihr Leben vom ersten Kriegsjahr bis in die frühen 1920er Jahre, als die letzten Kriegsgefangenen aus dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land heimkehrten. Gerhard Giebels war einer von ihnen. In den 1930er Jahren entschloss er sich, seine Erlebnisse von den Kämpfen an der Ostfront bis Juni 1916 bis zu seiner Heimkehr im August 1919 für seine Nachkommen aufzuzeichnen. Seine Erinnerungen von der Zwangsarbeit an der Murmanbahn und in Sibirien werden hiermit erstmals vollständig einer interessierten Leserschaft verfügbar gemacht. Sie enthalten teilweise unbekannte oder wenig bekannte Episoden und Ereignisse. Mit einer Einleitung versehen durch Reinhard Nachtigal und Georg Wurzer.

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Unfreiwillige Reise an die Murmanbahn und nach Sibirien:

Gerhard Giebels`

„Erlebnisse als Kriegsgefangener am nördlichen Eismeer und Sibirien“

Hrsg. von Franz Peters

Mit einer Einleitung von Reinhard Nachtigal und Georg Wurzer

Handschriftliches Originalmanuskript, Erste Seite.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung von Reinhard Nachtigal und Georg Wurzer

Vorwort des Herausgebers

Text von Gerhard Giebels „Meine Erlebnisse als Kriegsgefangener am nördlichen Eismeer und Sibirien“

Anhang 1: Auszug aus „Karl Schlüter – Das Reserve-Jäger-Bataillon und seine Kriegsfahrten 1914-1918“, Seiten 39 -57

Anhang 2: Zeitungsartikel „Dantes Hölle in Rußland“

Anhang 3: Chronologie

Anhang 4: Literaturverzeichnis

Einleitung

Zu Anfang der 2020er Jahre entschied sich der Enkel des Verfassers des vorliegenden Erlebnisberichts, Franz Peters, die Erinnerungen seines Großvaters Gerhard Giebels aus der Zeit des Ersten Weltkriegs zu veröffentlichen. Gerhard Giebels wurde am 14. Januar 1895 in Goch am Niederrhein geboren. Er hatte drei Geschwister, eine ältere Schwester und zwei jüngere Brüder. Über seine Schulausbildung ist nichts bekannt, eine Berufsausbildung absolvierte er in einem Sägewerk. Sein Vater starb 1905, seine Mutter 1918, als er in Sibirien kriegsgefangen war. Am 2. Mai 1915 wurde er mit 20 Jahren als Rekrut zum Reserve-Jägerbataillon Nr. 20 eingezogen, das einen Garnisonsstandort in Rinteln an der Weser hatte. Ende Juli 1915 kam er mit seiner Einheit nach Ostgalizien. Dort begannen im August seine Kampfeinsätze. Zeitweise als deutsche „Korsettstange“ war das Bataillon zwischen schwankenden österreichisch-ungarischen Einheiten eingezogen. Dort ereilte das Bataillon noch in der Frühphase der russischen Sommeroffensive 1916, der sogenannten Brussilow-Offensive sein Schicksal. Am 15. Juni 1916 geriet Gerhard Giebels nach schwerem Gefecht mit russischen Einheiten in Gefangenschaft, am 21. Juni erreichte der Gefangenentrupp den ersten Bahnhof im russischen Hinterland, etwa am 24. Juni traf er im Kiewer Sammellager Darniza auf dem linken Dnjepr-Ufer ein, heute ein Stadtteil der ukrainischen Hauptstadt. Etwa zwei Tage später befand er sich schon im Zug auf dem Weg über Tschernigow, Brjansk, Kaluga nach Moskau. Zu Beginn des Monats Juli wurde die Fahrt über Jaroslawl und Wologda nach Archangelsk am Weißen Meer fortgesetzt. Wiederum wenige Tage später wurden er und seine deutschen Kameraden eingeschifft. An den Solowetzki-Inseln vorbei ging es zum nördlichsten Hafen an der karelischen Küste nach Kandalakscha, von dort zu Fuß zur Bahnstation Imandra, am gleichnamigen großen See. Von Mitte Juli bis Ende September 1916 war er dort beim Bahnbau beschäftigt. Im Winter 1916/17 wurde er in der Nähe zur Holzbeschaffung und Schneeschaufeln eingesetzt und konnte Skorbutfälle bei seinen Mitgefangenen beobachten. Die Nachricht von der Abdankung des Zaren erreichte sie erst Ende März. Anfang April verbrachte man sie wiederum an eine andere Arbeitsstelle. Dort meinte Giebels, Transporte von Entente-Truppen auf der Bahnlinie beobachtet zu haben.

Mit seiner Gefangennahme und dem Transport direkt zum Arbeitseinsatz an der 1915/16 erbauten Murmanbahn im Norden des europäischen Russlands beginnt der historisch interessante Teil des Berichts. Im Weltkrieg wurde das Zarenreich die zweitgrößte Gewahrsamsmacht von Kriegsgefangenen, nach dem Deutschen Reich. In Gefangenschaft gerieten die meisten Soldaten der Mittelmächte während der Offensiven in der warmen Jahreszeit. Demgegenüber wurden in der blutigen „Winterschlacht in den Karpathen“ Anfang 1915 wenige Gefangene gemacht, dafür aber gab es zahlreiche Tote und Verwundete bzw. Erfrorene. Russland als Gewahrsamsmacht von 2,4 Millionen Gefangenen der Mittelmächte sticht in der Weltkriegsgeschichte hervor, weil ein halbwegs geordneter Umgang mit den Kriegsgefangenen erst 1916 erreicht wurde. Vernachlässigung, mangelnde Fürsorge für die Schutzbefohlenen, Epidemien wie das Fleckfieber und nicht zuletzt brutale Ausbeutung bei zum Teil völkerrechtswidrigen Arbeitseinsätzen führten zu einer der höchsten Sterberaten unter Gefangenen des Ersten Weltkriegs. Über 400.000 Soldaten der Mittelmächte überlebten ihre Gefangenschaft in Russland nicht.

Die Revolutionen des Jahres 1917 und die Abdankung des Zaren verbesserten die Situation nur insofern, als in dem zunehmenden Chaos gewisse Freiräume für die Gefangenen entstanden, allerdings nicht überall. In diesen historischen Hintergrund sind die Erlebnisse und die Erzählung Gerhard Giebels einzuordnen.

Im Dezember 1916 reagierte die zarische Regierung mit Strafmaßnahmen gegenüber den gefangenen deutschen Offizieren, um deutsche Repressalien gegen eine Gruppe gefangener russischer Offiziere zu beenden.1 Diese hatte das preußische Kriegsministerium im Herbst 1916 eingeführt, um eine Änderung im Umgang mit den Kriegsgefangenen an der Murmanbahn zu erzwingen. Nach Vermittlung des schwedischen Roten Kreuzes einigte man sich auf die gegenseitige Aufhebung der Repressalien. Dabei sicherte Zar Nikolaus II. Deutschland zu, die deutschen Gefangenen bis zum Beginn des neuen Jahres von der Murmanbahn abzuziehen. Das geschah bis zur Abdankung des Zaren am 15. März 1917 nicht. Auch die bürgerliche Provisorische Regierung unternahm dazu nach der Februarrevolution keine Schritte. Allerdings wurden nach wie vor kranke kriegsgefangene Arbeiter vom Bahnbau abgezogen.

Am 15. August 1917 wurde Giebels mit dem Zug nach Petrosawodsk, der Hauptstadt des Gouvernements Olonetz, gebracht, wo er bis März 1918 unter etwas besseren Lebensverhältnissen verblieb. Im Dezember 1917 erlebte er den Besuch einer Rotkreuz-Delegation, deren Bericht im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv erhalten ist. Ungewöhnlich ist der Umstand, dass der Berichterstatter gegen Ende März 1918 vom südlichen Anfang der Murmanbahn, in der Stadt Petrosawodsk, mit seinen Kameraden nach Westsibirien abtransportiert wurde, während von dort bereits Tausende Kriegsgefangene sich auf den Weg nach Westen machten. Dies geschah auf eigene Faust, nachdem die Bewachung und Versorgung der großen Lager nachgelassen hatten. Im April 1918 trafen bereits Repatriierungsmissionen der Mittelmächte in Petrograd ein, die die geordnete Rückführung der kriegsgefangenen Landsleute in Russland organisieren sollten. „Nur“ etwa 300 Kilometer trennten Giebels und seine Kameraden zu diesem Zeitpunkt von der baldigen Heimkehr. Die geregelte Repatriierung begann erst im Mai 1918. Ein weiteres Jahr Gefangenschaft, nun unter den Bedingungen des russischen Bürgerkriegs in Sibirien, erwartete Giebels und seine Kameraden.

Folgt man Giebels Ausführungen, so überstanden er und seine engeren Kameraden im Lager Nowo-Nikolajewsk, heute die Millionenstadt Nowosibirsk, die letzte Etappe ihrer Gefangenschaft leidlich, weil sie als Köche und Essensausteiler für die Weiße Armee arbeiteten und immerhin nicht hungern mussten. Um dem eintönigen Lagerleben zu entkommen und der Heimat näher zu sein, meldeten sich Giebels und zwei Kameraden als Köche für die Weiße Armee. Sie machten den Vormarsch ihres Regiments nach Westen mit. Als die im Frühling 1919 bis über den Kama-Fluss vorgerückte Weiße Armee sich im Juli wieder nach Sibirien zurückzog, tauchten die Kameraden unter und marschierten entlang den Gleisen bis Glasow. Die zügige Weiterreise erfolgte mit der Eisenbahn über Wjatka und Jaroslawl nach Moskau. Von dort konnten sie mit der Bahn bis nach Dünaburg (heute lettisch: Daugavpils) fahren. Doch gelang der Übertritt nach Litauen erst Mitte August. Etwa am 18. August erreichten sie die deutsche Grenzstation Eydtkuhnen in Ostpreußen. Ende August fuhr Giebels über Berlin und Köln in seine Heimatstadt Goch.

Erstaunlich sind Giebels genaue Datierungen, die für die Zeit bis zur vermutlichen Niederschrift seiner Erinnerungen nach 1933 teilweise auf den Tag genau sind. Dass er für die Zeit seines Aufenthalts in Russland ein Tagebuch führte, ist nicht bekannt und unwahrscheinlich, allenfalls ein Notizbuch. Hat er seine Aufenthalte Jahre später genau berechnet, oder sind sie erfunden? Einige Schilderungen sind bisher der Forschungsliteratur wenig bekannt und sind auch von wissenschaftlichem Interesse.

So ist die Verabreichung von Fichten- bzw. Kiefernnadelsud gegen den an der Murmanbahn verbreiteten Skorbut, eine Mangelerscheinung aus einseitiger, vitaminarmer Ernährung, wenig bekannt. Der Bericht Giebels ist eine der wenigen Quellen dazu. Tatsächlich erkrankte Giebels nicht wie seine engeren Kameraden an Skorbut, weil er diesen Sud täglich zu sich nahm. Nach Bekanntwerden der schlimmen Unterversorgung bei den kriegsgefangenen Arbeitern am Bahnbau versuchte die zarische Verwaltung, den Missständen abzuhelfen. Giebels schildert die Besteigung des Chibiny-Gebirges auf der Kola-Halbinsel, im Spätherbst 1916 vor dem ersten Schnee, ähnlich wie ein deutscher Unteroffizier, ebenfalls an der Murmanbahn ein Jahr zuvor im Einsatz.2

Die russischen Ausdrücke und wörtlichen Reden sind überwiegend stark verstümmelt, manche daher sogar nicht auflösbar.

Auffallend ist an Giebels Schilderung die große Bedeutung der Kameradschaft und des Zusammenhalts, während der Kämpfe in Galizien ebenso wie in der dreijährigen Gefangenschaft. Diese Kameradschaft definierte sich auch aus einer Überlegenheit über die russischen Bewacher und Arbeitgeber: Deutsche Organisationsfähigkeit und Entschlossenheit werden hier russischem Schlendrian und Unordnung entgegengestellt. Mehrmals betont Giebels seine Religiosität, eine tiefe Beziehung zu seiner Mutter, die während seiner Gefangenschaft verstarb, wird angesprochen.

Nach seiner Heimkehr arbeitete Giebels in einem Sägewerk und heiratete 1924. Von Ende 1930 bis 1940 war er Zeitungsbote, Kellner und Beitragssammler für die AOK Kleve. Von August 1941 bis zum Kriegsende arbeitete er als Monteur für die Ruhrchemie (Stickstoffwerk) in Oberhausen. Zum nationalsozialistischen Regime hatte er als gläubiger Katholik – auf diesen Sachverhalt verweist er auch häufig in seinen Kriegs- und Gefangenschaftserinnerungen – ein distanziertes Verhältnis. So verbot er seinen Töchtern (Jahrgänge 1925 und 1929) dem nationalsozialistischen Bund Deutscher Mädchen (BDM) beizutreten.

Gerhard Giebels war zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 44 Jahre alt und unterlag somit einer erneuten Einberufung. Es liegt ein Wehrpass (WK-II) mit zwei Musterungsterminen (1938 und 1943), aber auch ein Entlassungstermin zum 14. August 1940 vor.

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er mit seiner Familie in einen Nachbarort evakuiert, da in seinem Heimatort nach dem Krieg alliierte Soldaten einquartiert waren.

Die Eröffnung eines eigenen Lebensmittelladens wurde ihm erst einige Zeit nach dem Krieg zugestanden, daher kaufte er die benötigten Lebensmittel für seine Kunden beim Großhändler Terörde in Goch ein und brachte sie dann mit dem Fahrrad zu seinen Kunden. Der dann eröffnete Lebensmittelladen wurde in den fünfziger Jahren von seiner Tochter Gerda und ihrem Mann Peter Jansen übernommen und bis 1982 weitergeführt.

Ebenfalls in den fünfziger Jahren wurde er in den Pfalzdorfer Gemeinderat gewählt. Laut Nachbarn sei er immer ein „treuer Wähler der Zentrums-Partei“ gewesen.

Am 15. September 1966 starb Gerhard Giebels mit 71 Jahren.

Eine wissenschaftliche Untersuchung zur Gefangenschaft der Soldaten der Mittelmächte in Russland im Ersten Weltkrieg stützt sich neben umfangreichen Dokumenten aus deutschen, österreichischen, Moskauer und sibirischen Archiven auf die Schilderungen in den Erlebnisberichten ehemaliger Gefangener.3 Zur Gattung der Erlebnisberichte gehört auch der vorliegende Text von Gerhard Giebels.

Es sind inzwischen etwa 150 Memoiren in Buchform aus der russischen Gefangenschaft bekannt. Während des Ersten Weltkriegs erschienen Erlebnisberichte in großer Zahl in Zeitungen, Zeitschriften und ab 1917 auch als Bücher. Bis 1925 kamen noch relativ viele neue Titel auf den Markt, dann ließ das Interesse nach. Eine neue Welle der Kriegsliteratur wurde durch den umstrittenen pazifistischen Roman von Erich Maria Remarque „Im Westen nichts Neues“ (1928) ausgelöst. In Auseinandersetzung mit diesem Werk erschienen viele Neuheiten und auch Neuauflagen älterer Werke. Aus den Publikationen dieser zweiten Welle an Kriegsliteratur verdient die Sibirische Trilogie von Edwin Erich Dwinger (1898 bis 1981) besondere Beachtung.4 Hier schildert der Autor seine unglaublichen Erlebnisse zunächst in russischer Gefangenschaft, dann als zwangsrekrutierter Soldat in den Reihen der Weißen Armee Koltschaks im Bürgerkrieg. Auf diese Weise erlebte er zuerst den siegreichen Vormarsch und dann den katastrophalen Rückzug nach Sibirien.5 Nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen nur noch sehr wenige Titel zum Ersten Weltkrieg. Erst in letzter Zeit wurden wieder einige Erlebnisberichte publiziert, allerdings oft in kleinen Verlagen oder im Selbstverlag mit geringer Auflage.

Der Text von Giebels ist in den Kontext von Memoirenliteratur der zweiten Welle ab 1928 einzuordnen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die exakten Angaben von Daten, Dialogen und Gedanken des Autors Zweifel aufkommen lassen. Es handelt sich somit um literarisch überformte Erinnerungen. Dass Gerhard Giebels für ein Publikum schrieb, ist schon daraus ersichtlich, dass er sich im Text häufig an einen imaginären Leser wendet. Oft berichtet er Episoden, die schon aus anderen Werken bekannt sind: neben der Besteigung des Chibiny-Gebirges aus Wilhelm Benedix noch andere Schilderungen aus dem Werk von Benedix, so die Faszination durch das Nordlicht. Weitere Beispiele lassen sich anführen. Das Zusammentreffen auf dem Transport mit einer russischen Dame aus einem auf dem gegenüberliegenden Gleis stehenden Zug findet sich fast wortgleich in Dwingers „Die Armee hinter Stacheldraht.“ Auch Benedikt Späth war bei einer Feuerwache im weißen Sibirien eingesetzt, auch bei ihm kam es zu einem plötzlichen Feuer.6 Und die Geschichte mit dem Einmachen von Sauerkraut trifft man bei Robert Knippel wieder,7 mit dem unappetitlichen Unterschied, dass Knippel und seine Kameraden dem für die russischen Soldaten bestimmten Sauerkraut nicht nur Abfall wie bei Giebels, sondern benutztes Toilettenpapier beimischten.

Somit scheint sicher, dass die Erzählungen bei Gerhard Giebels durch die Lektüre von bereits erschienenen Memoiren, in erster Linie von Benedix und Dwinger, beeinflusst sind.

Unter inhaltlichen Gesichtspunkten können die Erinnerungen Giebels in drei Teile gegliedert werden. Der erste Teil, der die Erlebnisse an der Front, die Gefangennahme und die erste Zeit in der Gefangenschaft schildert, ist sehr konventionell. Wie Franz Peters zu Recht betont, ist der Text als Produkt seiner Zeit zu betrachten. Literarisch ist er wenig anspruchsvoll und vom Inhalt her bringt er wenig Neues: Russophobie, die Verachtung des österreichischen Bundesgenossen, den angeblich verräterischen „Kamerad Schnürschuh“, die eigene Tapferkeit, Kameradschaft und Aufopferung an der Front, Anklänge an Antisemitismus, russische Grausamkeiten gegen die Gefangenen usw. Dazu gehört auch, dass Giebels auf der einen Seite die völkerrechtswidrige Ermordung eines verwundeten Russen als amüsante Anekdote schildert, auf der anderen jedoch die schlechte Behandlung der verwundeten deutschen Gefangenen als himmelschreiendes Unrecht anprangert.

Der zweite Teil, die Erlebnisse beim Bahnbau an der Murmanbahn, scheint authentischer und ist von historischem Interesse.

Der dritte Teil, der Aufenthalt im weißen Sibirien, zunächst im Lager Nowo-Nikolajewsk, dann im Tross der Weißen Armee beim Vormarsch über das Uralgebirge und schließlich die Heimkehr thematisiert bisher wenig bekannte Aspekte.

Unglaubliche Heldentaten und Leiden wie bei Dwinger fehlen bei Giebels. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine wiederholten Bemerkungen zur technischen und organisatorischen Überlegenheit der Deutschen, deren Sauberkeit im Gegensatz zum russischen Dreck, die moralische Unantastbarkeit des Verfassers und seiner Kameraden, die viele Diebstähle unerkannt begehen und in jeder der zahlreichen Schlägereien mit Einheimischen siegreich bleiben, im Einzelnen ausgedacht oder übertrieben scheinen.

Insgesamt scheint der Text von Giebels aber authentisch zu sein. Für einige Vorkommnisse ist er einer der wenigen bekannten Zeugen. So ist die Tätigkeit des deutschen Soldatenrats Moskau für die Kriegsgefangenen in der westlichen Literatur noch kaum beachtet worden. In dem einzig bemerkenswerten Werk der umfangreichen Literatur in der DDR zu den Kriegsgefangenen-Internationalisten (Kriegsgefangenen, die sich nach der Oktoberrevolution den Bolschewiki anschlossen) von Sonja Striegnitz8 wird hingegen das Wirken des Soldatenrats ausführlich gewürdigt. Dieser übernahm nach dem Ende des Kaiserreichs die Vorräte der deutschen Fürsorgekommissionen in Sowjetrussland und soll nach Striegnitz sich um die Heimkehr der im roten Russland noch verbliebenen Kriegsgefangenen verdient gemacht haben. Die neue republikanische Regierung in Deutschland lehnte jeden Kontakt mit dem Soldatenrat in Russland ab. Bei all dem ist zu beachten, dass die Untersuchung von Striegnitz wie der Text von Giebels und jede andere Äußerung Produkte ihrer Zeit waren. Dennoch lassen sich einige der Angaben von Striegnitz durch Giebels Schilderungen erhärten.

So hat die Publikation des Werkes von Giebels trotz seiner literarischen und inhaltlichen Schwächen seine Berechtigung, wenn man ihn als Produkt der Zeit und der Umstände betrachtet. Die Lektüre bringt wesentliche Aufschlüsse über wenig bekannte Aspekte.

Die Memoiren von Gerhard Giebels wurden bereits veröffentlicht, zum einen als Fortsetzungsroman in einer Lokalzeitung, von der kein Exemplar mehr überliefert ist, zum anderen Auszüge daraus in: Hans Joachim Koepp, Heimatverein Goch e.V., „Mit Gott für König und Vaterland, Der Erste Weltkrieg an der Heimatfront in Goch“, Goch 2015.

Von Franz Peters wird hier die erste vollständige Ausgabe dem Publikum vorgelegt.

1 Reinhard Nachtigal: Die Murmanbahn 1915-1919. Kriegsnotwendigkeit und Wirtschaftsinteressen. Remshalden 22007.

2 Wilhelm Benedix: Kriegsgefangen in Russland. Kämpfe, Gefangennahme, Erlebnisse in der Gefangenschaft und glückliche Flucht des Unteroffiziers Kreutz. Minden 1917, hier S. 103f. Kreutz war im September 1915 nach Imandra gekommen und flüchtete im Oktober durch Finnland nach Schweden.

3 Georg Wurzer: Die Kriegsgefangenen der Mittelmächte in Russland im Ersten Weltkrieg, Göttingen 2005.

4 Edwin Erich Dwinger: Die Armee hinter Stacheldraht (Jena 1929). Ders.: Zwischen Weiß und Rot (Jena 1930) und ders., Wir rufen Deutschland (Jena 1932). Diese Bücher erzielten hohe Auflagen und sind auch heute noch in rechtskonservativen Kreisen populär.

5 Georg Wurzer bereitet im Augenblick eine kritische Auseinandersetzung mit dem Leben und Werk Dwingers vor, Georg Wurzer: Das Leben und Werk Edwin Erich Dwingers im Kontext seiner Zeit, Erscheinen noch unbestimmt.

6 Bernedikt Späth: Als Kosak und Matrose unter Koltschaks Fahne in Sibirien. Erlebtes und Erschautes von Benedikt Späth, ehemaliger Sergeant der Koltschak-Marine in Sibirien, Konstanz 1925.

7 Robert Knippel: Hundert Werst jede Nacht! Fluchtabenteuer im Osten, Görlitz 1936.

8 Sonja Striegnitz: Deutsche Internationalisten in Sowjetrussland 1917-1918. Proletarischer Internationalismus im Kampf um die Sowjetmacht, Berlin [Ost] 1979. Vgl. Lager, Front oder Heimat. Deutsche Kriegsgefangene in Sowjetrussland 1917 bis 1920 (herausgegeben von Inge Pardon und Waleri W. Shurawljow). 2 Bände, München u.a. 1994.

Vorwort des Herausgebers

„Die schriftstellerische Begabung fehlt mir [ …]. Der Stil für das Allgemeine fließt mir nicht aus der Feder. […] drum, lieber Leser, sei mit dem zufrieden, was dir meine Wenigkeit zu bieten hat […].“ (S. 49)

Mit diesen Worten schätzte mein Großvater, Gerhard Giebels, seine literarischen Fähigkeiten im Rahmen seines Erlebnisberichts selbst ein. Trotzdem entschied er sich dazu, seine Erlebnisse während seiner Kriegsgefangenschaft in Russland zu dokumentieren und umfangreich niederzuschreiben. Welche Beweggründe ihn dazu veranlasst haben und warum der Text in seiner endgültigen Version erst im Kontext des Nationalsozialismus der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, damals als Fortsetzungsgeschichte in einer Lokalzeitung, können wir heute nicht mehr klären.

Festzuhalten ist allerdings, dass der Bericht ein Produkt seiner Zeit ist. Daher enthält er diskriminierende und politisch unkorrekte Darstellungen, die in der Gesellschaft zu wenig in Frage gestellt wurden. Jegliche Art von Diskriminierung ist – damals wie heute – falsch und passt nicht zu unserer heutigen Auffassung von einer vielfältigen und gleichberechtigten Gesellschaft. Ich habe mich dennoch dazu entschlossen, den Bericht mit allen seinen orthographischen Eigenheiten in seiner Originalfassung zu belassen und die kulturellen Versäumnisse der Vergangenheit nicht zu verbergen.

Den Herren Nachtigal und Wurzer danke ich sehr für Ihr wissenschaftliches Interesse an dem Bericht meines Großvaters sowie für die Erstellung der Einleitung und die kritische Durchsicht des Textes, Herrn Meyen für die Unterstützung bei der Veröffentlichung.

Meiner Mutter und Gerhard Giebels‘ Tochter, Anneliese Peters geb. Giebels, danke ich für die Hilfe bei der Übersetzung der Ausdrücke im niederrheinischen Platt (Kleverländisch, Nord-Niederfränkisch) sowie für ihre Bemühungen bei der Klärung von Fragen und Unklarheiten.

So erinnert sie sich zwar nur noch ungenau an die Abfassung der endgültigen Version des Erlebnisberichts, kann aber bestätigen, dass mein Großvater zeit seines Lebens noch engen Kontakt mit einigen seiner Leidesgenossen/Mitgefangenen (Gerd Seemann, Duisburg, Willi Hülsen, Büderich, Mathias Ingenpaß, Kevelaer) hatte und diese die damalige Veröffentlichung des Erlebnisberichtes begleiteten.

Franz Peters

Meine Erlebnisse als Kriegsgefangener am nördlichen Eismeer und Sibirien

Gerhard Giebels

Pfalzdorf 137 a

Meine Erlebnisse 1915 bis 1919

Der Weltkrieg, welcher so manches unglückliche Opfer forderte, riß auch mich hinein, um über vier der schönsten Jahre meines jungen Lebens dem Vaterlande zu opfern – zum Teil in elender russischer Gefangenschaft zu schmachten.

Am 2. Mai 1915 aus dem Kreise der Lieben fortgerissen, folgte ich dem Rufe des lieben Vaterlandes mit dem festen Entschluß, alles zu opfern, um die Freiheit unserer hart bedrängten Heimat zu erkämpfen. Endlich war die Zeit gekommen, wo auch ich als Soldat, zudem noch als Jäger, dem Vaterlande dienen konnte. Wie gerne wäre ich als Kriegsfreiwilliger schon früher gegangen, doch bei der Aussprache mit meiner Mutter sah ich ein, daß ich meine Zeit abwarten mußte. War ich doch der Ernährer der Familie und konnte doch mein liebes Mütterlein nicht mit Absicht in Not zurücklassen.

Fröhlich war mein Auszug, obschon in mir eine bange Ahnung erwachte, die mir sagte, daß ich das Teuerste, meine herzensgute Mutter, nicht mehr wiedersehen sollte. Zwanzig Jahre war sie mir eine treue immer sorgende Mutter gewesen; wie sollte man so etwas vergessen können. Dennoch schied ich mit festem Händedruck und klaren Augen mit den einfachen Worten: „Lieb Mütterlein, bleibe gesund, ich komme wieder, aber lange wird’s dauern!“ Ja, mein Junge, bleibe brav, erfülle Deine Pflicht als Soldat und komme gesund zurück. Der Muttersegen begleitet Dich in allen Gefahren. Doch bitte ich Dich nochmals, erfülle Deine Pflicht als Soldat.

Fort ging’s unter lustigem Gesang zum nahen Bahnhof, von dort dem Bezirkskommando entgegen. Nach kurzer Verlesung der Namen rollten wir im Transportzug nach Rinteln bei Bückeburg, einem reizenden Städtchen an der Weser. In Gütersloh bei der Fa. Vogt u. Wolf9 gab’s die erste Erbsensuppe. Donnerwetter, die schmeckte so prima fein, daß wir sofort nochmal rekapitulierten.

Die Ausbildung begann. Wir wurden gebimst, aber so richtig. Doch es machte uns nichts aus, das Essen war gut und wir hatten ein junges Herz. Waren wir doch alles Rheinländer und Westfalen, zudem erst zwanzig Jahre. Fritz Vogt aus Goch, Willi Hülsen aus Büderich wurden meine intimsten Kameraden. Als 7. Jäger waren wir stolz darauf, Soldat zu sein. Gar oft klang aus unseren lustigen Kehlen das schöne Weserlied: „Hier hab ich so manches liebe Mal mit meiner Laute gesessen!“ Mit welcher Andacht sangen wir unsere schönen Jägerlieder. Wahrhaftig, das Soldatenleben erfüllte mein ganzes Dasein.

Die Wochen der Ausbildung waren bald vorbei. Wir brannten darauf, um endlich mal an die Front zu kommen, dem Feinde zu beweisen, daß auch wir den Tod nicht fürchteten. Am 12. Juli 1915 marschierten wir, bekränzt und beschmückt mit den Blumen der Rintelner Mädchen, begleitet von den Glückwünschen der dortigen Einwohner, unter den brausenden Klängen der Jägerkapelle zum Bahnhof. Eine begeisterte Freude durchbebte uns, zu den 20. Jägern10 an die Front ziehen zu dürfen. Als Jäger gegen den Feind bedeutet den Tod, wir wußten dies. Mit den letzten Abschiedsklängen rasselten wir dem Ungewissen entgegen.

Sieben Tage Fahrt nach der russischen Front in Galizien – in dieser Zeit werden wir auch mal über Testament und Nachlaß nachdenken. Herrlich war die Fahrt durch die deutschen Auen. Es wäre schade, wenn diese herrlichen Gegenden vom Krieg verwüstet würden. Nein, bei Gott, wir wollen die liebe deutsche Heimat beschützen.

Durch Sachsen, Schlesien ging’s nach Österreich. In Breslau gab’s noch eine prima Erbsensuppe; so was vergißt man nicht. Eine wunderbar schöne Gebirgsgegend bei Brünn, dann strahlten uns beim schönsten Morgenrot die Wogen der blauen Donau entgegen. Herrliche alte Burgen an den Ufern dieses gigantischen Flusses. Dann die ehrwürdige ungarische Hauptstadt Budapest. Als Patrouille habe ich die Herrlichkeiten dieser Stadt gesehen. Bei der Abfahrt war Freund Vogt nicht da; ohne Rock war derselbe zurückgeblieben. Am nächsten Tag kam der arme Kerl in Hemdsärmeln in einem österreichischen Transportzug wieder bei uns an. Großes Hallo!

Mit dem vierten Zug waren wir in Munkacs am Fuße der so grauenhaft geschilderten Karpathen. Eine furchtbar gottverlassene Gegend mit ihren hohen, teils kahlen Bergen. Die Truppen, welche hier gekämpft haben, werden an Strapazen genug gelitten haben. Vor zwei Monaten war diese Gegend vom Feinde gesäubert. Gar mancher Jäger vom 20. Batl. hatte in dieser öden Bergwüste sein stilles Grab gefunden.

Mit dem fünften Tage durchquerten wir die ungarische Pußta11, die Heimat der braunen Gesellen. Armselige Gegend. Der sechste Tag Galizien. Eine langweilige Tagesreise durch das furchtbar öde Land und unser Ziel, das Städtchen Rohatin, war erreicht.

Alle waren wir froh, endlich aus den Waggons herauszukommen. Mit sechs Mann waren wir schon krank und mußten auf der Station bleiben beim Roten Kreuz. Typhusverdächtig. Das fehlte mir gerade noch. Währenddessen marschierten die anderen Kameraden zur 35 km entfernten Front zum Batl. Und wir, wir protzten ab nach allen Regeln der Kunst. Waren wir deshalb nach Galizien gekommen? Oh nein, nach vier Tagen waren wir wieder auf dem Damm. Die Magen- und Darmrevolution war beendet.

Willi Hülsen und meine Wenigkeit wurden der M.G.K. (Maschinen-Gewehr-Kompanie) zugeteilt und waren am nächsten Tag bei den Gewehren im Graben. Eine ziemlich ruhige Waldstellung an der Zlota-Lipa. Hinter der Front im Wald konnten wir fleißig exerzieren und üben, um den Mechanismus des Maschinengewehrs kennenzulernen. Wir waren bald damit vertraut, denn noch einen ganzen Monat blieben wir in dieser Stellung. Das Läusefangen verstanden wir auch bald, denn die Biester hatten auf unsern frischen Körper und die neuen Uniformen so richtigen Appetit.

Am 27. August 1915 begann die Durchbruchsschlacht an der Zlota-Lipa. Zwei Tage Verfolgungskämpfe bis an die Stryza (Strypa). 30. August und 1. September 1915 schwere Kämpfe an der Stryza. 2. September bis 5. September 1915 hetzten wir den Feind bis zum Sereth. 6. September bis 16. September 1915 tobte die schwere Schlacht vor Tarnopol.

Heiße Tage. Hier mußten wir türmen, dem Druck des übermächtigen Feindes war nicht standzuhalten. Von nachts um 12 bis andern Morgen um 10 Uhr ging’s in geordneter Linie zurück. Die Panjes in 12 Linien hinter uns her. Die 9. Grenadiere, welche weit hinter uns sich gut eingeschanzt hatten, gaben uns Jäger schon verloren. Wir waren doch froh, als wir bei den Grenadieren ankamen und über den Graben hinwegsetzen konnten. Treue Kerls, die Grenadiere; man konnte sich darauf verlassen. Wir marschierten ruhig weiter, und die ganze Russenmasse immer hinter uns her. Die Grenadiere ließen die Panjes bis auf fünfzig Meter herankommen, aber dann ging’s nur Salven in die Menschenmasse.

Wir sanken vor Müdigkeit auf den Boden und lachten uns ins Fäustchen. Nachher habe ich mich umgedreht, obschon ich schon allerhand gewohnt war. Diese Menschenschlächterei war mir doch ein bißchen zu grob. Pfui Teufel, was gab’s da Hackfleisch. Das war so richtig Hilfe in der Not; beinahe hätten die Panjes dasselbe Schicksal mit uns gemacht.

Das abgekämpfte Jägerbatl. erhielt Ruhetage, wie wohl verdient. Gute Verpflegung und Ruhe macht alles bald vergessen. Zehn faule Tage lagen hinter uns, dann ging’s am 26. September bis 30. September 1915 wieder ran an den Feind. Kämpfe an der Strypa zwischen Wosuska und Sereth. Hier wieder herausgezogen, gab’s wieder ein paar Tage Ruhe. Neue Kräfte sammeln für das Kommende.

Die Russen waren durchgebrochen bei den Österreichern. Unser Jä-gerbatl. wurde am 7. Oktober wieder eingesetzt, um die Scharte wieder auszuwetzen. Wir haben’s geschafft, aber heiße Tage waren es. Die Grenadiere kamen uns zu Hilfe, sonst wäre es vielleicht fehlgegangen. Untereinander gemischt gingen wir vor und hatten bis zum Abend die Waldstellung in unserm Besitz. In der Dunkelheit machten die Russen den Gegenstoß, doch wir saßen fest. Mitten in der Nacht gingen wir weiter zum Angriff über in den Wald. So was ist furchtbar, des nachts ein Waldgefecht. Gräßlich ist es, wenn man so hinter Bäumen und Sträuchern die Augen des Feindes so grünlich schimmern sieht. Hinter jedem Baum lauert der Tod. Herr Gott, laß uns nicht wahnsinnig werden. Lieber noch zehn offene Schlachten am Tage, als noch ein solch Waldgefecht im Dunkeln.

Wir haben’s geschafft und sitzen beim hell werden am anderen Ende des Waldes fest, 25 Meter vor dem russischen Graben. Die feindlichen Maschinengewehre kläffen zum verrückt werden. Mit aller Mühe haben wir unser Gewehr auch endlich in Stellung. Aber Köppe weg! Der Gewehrführer will sich mal erkundigen, peng, ein Schuß oben durch den Tschako. Ihr verdammte Bande, wenn ihr doch mal 2 Minuten mit Schießen aufhören wolltet. Endlich hatten wir unsern Stahlschild auch auf dem Gewehr, nein, noch nicht gut, eben war ich mit dem Kopf etwas hoch, peng, hatte ich einen durch den Tschako, daß mir ein Streifen Haare weggebrannt waren. Hergottsakra, wartet mal, ihr Schweinebande. Von rechts wurde durchgesagt, wo die zwei feindlichen Maschinengewehre eingebaut waren. Ein Gurt mit Stahlmunition eingeführt, und dann Punktfeuer. Beim ersten Gurt war das eine Gewehr erledigt, das tat uns nichts mehr. Jetzt mal eine kleine Pause und das Gewehr neu einrichten auf das andere Satansding. Innerhalb zehn Minuten hatten wir beide Gewehre zum Schweigen gebracht. Dann hatten die Russen unser Gewehr entdeckt und schossen wie wahnsinnig auf unsere Ecke. Ohne Verlust zogen wir unsere Dünnschißkanone von der Deckung und legten uns in den Graben. Mögen die Panjes feuern, so viel sie wollten, die Kugeln, die über uns fliegen, genieren uns wenig. Endlich wird’s auch mal ein bißchen ruhiger. Da, ein Ruf von rechts, schnell, die Russen greifen an und sind schon vor dem Graben. Gegenangriff. Alles auf die Deckung, wir Maschinengewehrschützen mit unsern Pistolen. Der Nahkampf begann und war bald von uns niedergeschlagen. Vor unserer Gewehrbesatzung lagen acht Tote. Ei, da wackelt ja noch einer mit dem Fuß. Du, Grenadier, gib mal eben dein 98. Gewehr. Peng. So, du Panje, grüß den Herrgott von mir, meinte unser Gewehrführer. Jetzt war endlich mal wieder Ruhe. Die Russen hatten eingesehen, daß mit uns nicht gut Kirschen essen war. Allerdings war immer Vorsicht vorhanden, weil wir ja so nahe beisammen lagen. Ein Brennpunkt war und blieb diese Grabenecke. Der Feind blieb auch nicht müßig; er fing an, uns zu unterminieren. Nach einem Monat ist es ihm auch geglückt, dieses Grabenstück zu sprengen. Wir waren schon lange herausgezogen und von der Garde-Inf. abgelöst.

Die Gardisten hatten sich einen Überläufer gekapert und waren von diesem über die baldige Sprengung unterrichtet worden. Die böse Ecke war bei der Explosion unbesetzt und so hatten die Russen das Nachsehen. Muß schon ein nettes Loch gewesen sein, bei 40 Meter Länge und 18 Meter Tiefe.

Am 14. Oktober 1915 bezog das abgehetzte Jägerbatl. die Ruhequartiere. Zehn Tage Schlamassel lagen hinter uns. Kräfte sammeln und ausruhen zu neuen Taten.

Kamerad Hülsen, welcher bei dem zweiten M.G. war, hatte mit zwei anderen Jägern bei den vorherigen Kämpfen seinen Schwabenstreich gemacht. Schwer bewaffnet mit Handgranaten waren die drei beim Morgengrauen unbemerkt in den feindlichen Graben gelangt. Ein ganzes Grabenstück rollten die drei auf und brachten 200 Russen zum Überlaufen.12 Ein Jäger fiel bei dieser Geschichte. Das Eiserne Kreuz und eine Warnung! Der Hülsen, ein toller, verwegener Bursche. Ich hatte meine Freude an ihm. „Enen hev ek gespickt“, sagte er nachher. „Da saß ein Panje, der war vor Angst mit dem Kopf in ein Loch gekrochen und schaute mich andauernd mit seinem Hintern an. Als er auf mein Rufen keine Antwort gab, habe ich ihn mit meinem Dolch mal in seinen Hintern gespickt. Du, Gerd, datt hättste sien mötte. Watt dor Läwe drin kam.“13

Nachdem wir vierzehn Tage in Ruhe gelegen hatten, begann der Russe wieder mächtig zu trommeln. Wir wußten, daß es da vorne wieder brenzlig aussah, aber noch war kein feindlicher Angriff erfolgt. Vorsichtshalber wurden wir Jäger aber zu dem bedrohten Abschnitt hingezogen. Nach zweitägigem Trommelfeuer wagte der Russe den Angriff und brach auch bei dem Infanterie Regiment 223 durch. Die russische Dampfwalze marschierte frei weg. Gegen Abend am 30. Oktober war unser Bataillon zur Stelle und die fünftägige Schlacht bei Siemikowce nahm ihren Anfang.

In der ersten Nacht schlug unser Bataillon den immer wieder vordringenden Feind viermal zurück. Doch mit welchen Verlusten unsererseits. Dieses Hin und Her auf offenem Felde gegen eine zehnfache Übermacht war furchtbar. Am zweiten Tag wurden wir mit den Maschinengewehren eingesetzt. Doch leider konnten wir wegen dem rasenden Trommelfeuer nicht herankommen. Die Russen hatten französische Artillerie, und die schoß verdammt prima. Nur schwere Granaten aus den Flachbahngeschützen. Gegen Mittag waren wir endlich soweit, daß wir in den Reihen der unsrigen waren. Welche Freude bei den Jägern, daß endlich Hilfe da war. Die höchste Zeit; die Panjes kamen wieder auf Besuch. Mit ungeheuren Verlusten dampften sie wieder ab. In der zweiten Nacht, als ich Posten stand, fing’s da vorne an zu krabbeln. Ein Sprung am Gewehr und ein „Halt, wer da?“, da schreit mein Gegenüber: „Nicht schießen, Jäger 20“. Auf meine Frage „Parole“, kam die Antwort: „Weiß ich nicht, bin von der zweiten Kompanie“. In den Graben herein stolpert mein guter Freund Fritz Vogt aus Goch mit schwerer Verwundung. Er war einen Tag und eine Nacht bei den Russen gewesen. „Mensch, Gerd, bist du das, hast du nichts zu saufen hier.“ „Fritz, eine halbe Flasche Kaffee hab ich noch, sauf und mach, daß du hier aus dieser Hölle herauskommst.“ Da kroch der arme Kerl mit seinem Heimatschuß auf Deutschland zu, und ich hätte ihn im letzten Augenblick noch bald erschossen. Unser letztes Wiedersehen im Kriege.

Mit dem Morgengrauen gingen wir wieder vor und mußten mit schweren Verlusten wieder zurück. Heinrich Nienhüß aus Hasselt bei Cleve tot, Dreischmeier aus Vlotho in Fetzen. Das halbe stolze Jägerbatl. war bisher schon tot oder verwundet. Hinter den Toten haben wir uns verkrochen, um Schutz zu haben. Dieses Mal waren wir so richtiges Kanonenfutter. Herr Gott, hab Erbarmen und laß uns einen verplästern14, damit wir wenigstens aus dieser Hölle herauskommen. Dieser Übermacht können wir nicht standhalten. Gegessen hatten wir schon zwei Tage nichts, dazu der brennende Durst. Aushalten, bis Hilfe kommt. Die Jäger hielten Stand und haben in den vier Tagen noch manchen Angriff abgeschlagen. Alles abgekämpft, apathisch, halb wahnsinnig, aber standhalten. Endlich in der vierten Nacht hinter uns Waffengeklirr – die neunten Grenadiere, unsere teuren Freunde, kamen uns zum zweiten Male zur Hilfe. Hinterher kamen noch die achten ungarischen Honved, auch sehr gute Truppen, mit denen wir schon öfter zusammen waren. So, ihr Panjes, jetzt werden wir euch den Weg nach Petersburg schon zeigen. Morgens am 5. November 4.45 Uhr klang das Signal zum letzten Sturm um Sein oder Nichtsein. Wir mit unserm Maschinengewehr direkt hinter der Sturmlinie. Ohne Aufenthalt ging’s vorwärts; bevor der Russe so recht zur Besinnung kam, war die Linie schon am Graben und zeigte ihm unsere Meinung mit Kolben und Bajonett. Die flüchtende Masse wollte in Kähnen über die Strypa. Im Nu war unser Maschinengewehr aufgebaut und wir schossen im Punktfeuer einen Kahn nach dem anderen in Grund und Boden, bis die Wellen der Strypa darüber zusammenschlugen. Die fünf Tage Schlacht bei Siemikowce war beendet. 6000 Gefangene waren unser, darunter 2 russische Damen als Offiziere. Unser stolzes Jägerbatl. war von .... Mann auf .... 15 zusammengeschmolzen. In fünf Tagen, mir zittert die Hand!

Bald fiel Schnee und verdeckte die gräßlichen Spuren des blutgetränkten Schlachtfeldes. Vollständige Ruhe an der Front. Der Rest des Jägerbatl. sammelte sich im nächsten Kaff. Verpflegung gab’s wie nie zuvor, alles was das Herz begehrte. Pro Mann vierfache Portion, Wein eimerweise. Ei, wie wurde da der Durst gestillt. Kamerad Hülsen fanden wir am andern Morgen im Schnee wieder und er schnarchte wie ein Rohrspatz. Zwei Tage vollständige Ruhe, nur den ausgepumpten Körper stärken.

Am 8. November 1915 stand unser Bataillon wieder marschbereit. Im Abschnitt links donnerten wieder die Kanonen. Mit dem Abend waren wir da und warteten auf den Befehl zum Eingreifen. Er kam nicht. Der Angriff wurde glatt abgeschlagen und der Russe hatte die Lust verloren. Wir bezogen Nachtquartiere. Am nächsten Tag marschierten wir den ganzen Tag durch Eis und Schnee. Ein elender Marsch durch die Eiswüste, dazu eine hundsgemeine Kälte. Am Abend, kurz vorm Eingang des Dorfes, rutschte ich aus und konnte nicht mehr stehen. Man packte mich einfach auf den Gewehrwagen, und weiter ging’s. Das Bataillon ging in Stellung bei Pleskowce am Sereth. Meine Wenigkeit lag im Revier mit scheußlichen Fußschmerzen. Sechs Tage war ich da, dann konnte ich wieder stehen.

Anderntags suchte ich mir einen Stock und humpelte nach vorne. Die Sehnsucht nach meinen Kameraden hatte schon die ganze Zeit in mir genagt, ich hielt es einfach nicht mehr aus. Auf einmal war ich bei meinen Getreuen. So ein Kaffer, meinte der Gewehrführer, wenn der Russe uns nun mal hier herauswirft, kriegst du ein Schild auf die Brust: „Ich will laufen, aber kann es nicht.“ Gleich die erste Stunde wäre ich schon fast weg gewesen; ein Blindgänger schlug direkt neben mir ein. Fast bereute ich meinen Gang in die Stellung. „Siehst du wohl, du Esel, jetzt wärst du schon bald hin gewesen.“ „Herr Oberjäger, ich bin an die Front gekommen, um für mein Vaterland zu kämpfen, eventuell auch zu sterben. Wenn ich auch nicht laufen kann, so kann ich aber gut schießen.“ „Dann bleib nur hier, ist wenigstens ein Schütze mehr.“

Die Stellung war ruhig, ziemlich weit vom Feind entfernt, zudem war der Sereth zwischen uns. Die Gewehre 1 und 2 lagen etwa dreißig Meter hinter der Stellung auf einer Anhöhe mitten im Friedhof des Dorfes. Vor uns lag die 4. Kompanie, über deren Köpfe wir im Kreuzfeuer hinwegschießen konnten. Mitten im Friedhof, zwischen den Gräbern. Brrr. Wir haben die Ruhe der Toten gestört, doch hat uns keiner angegeistert. Grabsteine, Denkmäler, alles wurde abgerissen, zum Schutze auf Deckung gelegt für die Lebenden. Hülsen hatte eine Gruft entdeckt und suchte nach Schätzen. Auf einmal fiel ihm die ganze Decke auf den Balg, mein Willi lag drunter. Nach dem ersten Schrecken meinte er doch: „Verdammt, wat wör dat gruselich do onge.“16

Ersatz war gekommen und füllte unser Bataillon wieder auf. Schanzen und Stellung ausbauen, dieses elendige Einerlei. Nun ja, auch hiermit geht der Krieg herum. Einen Unterstand hatten wir fertig, da trommelte ihn der Saurusse wieder zusammen. Dann werden wir uns mal einen Stollen bauen, schanzen und graben bis er fertig war. Am hellen Tage spazierten wir mitunter auf der Deckung herum. Ab und zu ein paar blaue Bohnen, doch die genierten uns wenig. Auch der Russe schien seine schwere Artillerie herausgezogen zu haben. Beinahe Frieden im Kriege, gutes Leben. Blech muß kommen; im Unterstand tropft es durch, wer kann Blech besorgen. Mit dem Beil bewaffnet zog ich los, Blech zu holen. Im Dorfe standen noch verschiedene Häuser mit Blechbedachung. Rauf auf so ‘ne Bude und gehämmert – eine Bohne kommt gepfiffen, dann zwei – nun aber runter. Ich war noch nicht unten, da sauste eine ganze Salve durch mein Blech. Verfluchte Bande! Ihr wißt wohl nicht, daß wir naß werden. Am selben Abend haben wir unser Blech doch geholt.

Wir hatten schlecht geschlafen. Das Stroh war naß und muffig; heute muß unbedingt frisches Stroh kommen. Mal wieder zum Dorf spaziert und ein festes Bündel geholt. Nun, ihr Panjes, laßt mich bloß in Ruhe, ich bin ja bald zu Hause. Ritsch, saust schon eine Bohne durch mein Bündel, ritsch eine zweite durch meine Hose am Knie. Ihr Schwefelbande, könnt ihr noch nicht mal einen harmlosen Strohmann in Ruhe lassen! Marsch, marsch – ein Sprung in den Graben – wir haben Stroh und meine Hose ein Loch. Die folgende Nacht schliefen wir mollig.

„Bist jetzt wieder ein ganzer Soldat, kannst jetzt ja wieder famos laufen“, höhnte mein Oberjäger. Ein tadellos tüchtiger Mann, der Oberjäger Karl Lowatz aus Crefeld-Bockum, für den man gerne durchs Feuer ging. Mit der Zeit nannte er mich nur noch „Kleiner“. Wußte er auch, daß er sich auf mich verlassen konnte. Falls irgendwo was auszufressen war, kam immer sein Kleiner dran. Mit dem vorherigen Ersatz war auch ein Gerd Seemann aus Duisburg mitgekommen. Er war Ordonnanz bei der Kompanie und in der Verpflegung unserem Gewehr zugeteilt. Wurde bald mein bester Freund, mit dem ich nachher in der Gefangenschaft noch vier Monate zusammen war. Seine Eltern schickten gute Zigarren und meine Mutter Paketchen mit Speck, so wurde oftmals brüderlich gegessen und geraucht.

Die Häuser des Dorfes Pleskowce waren mit der Zeit fast gänzlich niedergerissen, brauchten wir doch eine Unmenge Brennholz, denn es war verflucht kalt. Selbst die hölzernen Grabkreuze gaben vorzügliches Brennmaterial. Es war eben Krieg!

Bei Gewehr 2 gab’s gebratene Fische. Der Willi hatte sie im Sereth gefangen. „Na, Kleiner, wenn wir auch mal Fische hätten, wär mal etwas anderes.“ „Kriegen wir auch, Herr Oberjäger, aber Handgranaten.“ Des nachts wurden bei der vierten Kompanie Handgranaten gemopst. Ein Sack und ein Schöpfnetz waren auch da. Hülsen und ich gingen zum Fischfang. Links von uns hatten Dragoner die Stellung besetzt, es fiel überhaupt kein Schuß. In diesem Abschnitt war der Sereth vom Feinde nicht sichtbar. Die Dragoner wollten uns nicht durchlassen, waren dieselben in dem Glauben, wir wollten überlaufen. Nachdem wir dem Rittmeister einen Teil Fische versprochen hatten, war die Sache in Ordnung. Wir plumpsten auf verschiedene Stellen ein paar Handgranaten in den Fluß. Hei, da kamen die betäubten Fischlein schon angeschwommen. Jetzt aber geschöpft, was das Zeug hielt. Unser Sack war bald gefüllt. Ein besonders schwerer Hecht schwamm in der Mitte des Flusses. Den müssen wir noch haben, dann haben wir genug. Hülsen mit dem Netz immer am Ufer entlang mit Fangversuchen beschäftigt, während ich die Beute einpackte. Wie ich von meiner Arbeit aufschaue, war mein Willi verschwunden – kopfüber in das eisig kalte Wasser gestürzt. Ein Sprung nach der Stelle, da steht mein Willi bis am Hals im Wasser und reicht mir den gefangenen Hecht heran. Er selbst saß mit den Beinen im Schlamm fest, so daß ich allerhand Mühe hatte, ihn dem nassen Element zu entreißen. Dann aber im Laufschritt nach unsern Unterständen. Selbstverständlich umgingen wir den Ulanenrittmeister, denn wir hatten doch sicher kein Interesse daran, daß der unsere Fische fressen sollte. Große Arbeit in den Unterständen. Fische reinemachen und braten. Dann ein Festschmaus. Unser Küchenbulle soll geschimpft haben, daß die Mannschaften von Gewehr 1 und 2 kein Mittagessen geholt hätten. Mochte er seinen blauen Heinrich17 selber fressen.

„Gehst du morgen mal mit nach der Kirche,“ fragte der Willi, „vielleicht ist da noch was zu erben.“ Selbstverständlich schlängelten wir uns durch den Graben bis zur zweiten Kompanie, wo die Kirche war. In diesem Bau war schon nicht mehr viel zu holen, Bänke und sonstiges Brennbare war schon ausgeplündert. Dann werden wir uns mal eine Orgelpfeife als Andenken mitnehmen. Eine der größten wurde abgebrochen und mitgeschleppt. Anderntags bei klarem Frostwetter stand dieselbe hinter der Ulanenstellung und blinkte in die klare Wintersonne. Der Russe, wütend über die neue Einrichtung, setzte ein wahres Trommelfeuer ein auf das vermutliche Scherenfernrohr. Herrgott, haben da die Langstiefel geschimpft. „So,“ sagte der Willi, „jetzt haben die Ulanen auch mal Dunst gekriegt, warum müssen wir den hier am Friedhof immer allein kriegen; wir wollen ja doch nicht hier begraben sein.“ Gefreut haben wir uns königlich.

„Was nützt dem Seemann sein Geld, wenn er vorm Feind in Ohnmacht fällt,“ sangen wir mitunter, um den Gerd Seemann gesprächig zu machen. „Was, ich in Ohnmacht fallen, ich bin wenigstens ein richtiger Mann, das sagt schon alleine der Name Seemann. Ihr Schleimscheißer, ich werde euch schon beweisen, daß ich ein Mann bin.“ Lieber Freund Gerd, du hast bewiesen, daß du ein treuer und tüchtiger Mann warst. Darum verzeihe mir und den anderen Kameraden.

Während ich mal Gewehrwache hatte, waren Jäger der vierten Kompanie damit beschäftigt, einen neuen Laufgraben herzustellen. Einer war dabei, der mir durch seine platte Aussprache auffiel. Auf meine Frage, wo er her sei, antwortete er, „Ich bin Ingenpaß aus Kevelaer.“ „Na, dann sind wir wohl die einzigen, welche ganz unten am Niederrhein zu Hause sind.“ „Oh nein,“ sagte er, „bei der zweiten Kompanie ist noch einer aus Goch namens Willi Levemann. Den habe ich vorige Tage mal besucht und kam sternhagelvoll wieder zurück.“ „Dann werden wir diesem in nächster Zeit mal einen Besuch abstatten.“ Bin aber nicht mehr dazu gekommen.

Mittlerweile war es Weihnachten geworden. Viel Post und Pakete aus der lieben Heimat. Schöne und ruhige Weihnachtstage an der Front. Der Feind ließ uns in Ruhe.

Hin und wieder Fliegerabwehrkämpfe, war mal etwas anderes. An einem klaren Wintermorgen schoß ein Flieger von uns einen russischen ab, welcher zwischen die Stellungen fiel. Die Panjes wollten ihn holen kommen, doch schickten wir sie blutig heim. Der Flieger war unser und die Russen zwei Offiziere weniger. In der folgenden Nacht großer Alarm. Der Feind wollte angreifen. Nachdem unser Scheinwerfer das Feld taghell erleuchtete, zogen sich die Massen schnell wieder zurück. War eigentlich schade, wir hätten so gerne mal wieder eine Abwechslung gehabt. Na ja, dann eben nicht. Aus Wut machte der Russe einen wahnsinnigen Feuerüberfall, der uns allerdings nichts anhaben konnte. Die Köppe weg, lagen wir unten im Graben, mochte der Feind seine blauen Bohnen nur in das weite Land Galizien senden.

Mittlerweile war es Frühling 1916 geworden. Große Schneeschmelze mit seinem scheußlichen Dreck und Matsch. Die Gräben halb voll Schlamm. Pfui Deubel, so ein Dreck. Nach acht Tagen war diese elende Dreckperiode vorüber und die warme Frühjahrssonne lockte uns aus den dumpfigen Unterständen. War tatsächlich allerhand, daß man bei dem schönen Wetter andauernd in den Gräben hocken mußte. Oft bin ich ausgekniffen und habe mal hinter dem Hügel im nächsten Dorf einen tüchtigen Spaziergang gemacht. Wenn man zurückkam, hatte man die Taschen voll Schokolade, Rauchmaterial oder Ölsardinen, und Kerzen vor allen Dingen. Es war etwas Furchtbares, wenn man die ganze Zeit im Dunkeln hocken mußte.

Eines Tages mußten sich verschiedene Jäger und Oberjäger fertigmachen und abmarschieren. Stolzen Hauptes kamen dieselben gegen Abend zurück, geschmückt mit dem Eisernen Kreuz. Der deutsche Kaiser war hinter der Front gewesen und hatte eigenhändig die Kreuze verteilt. Alle Ehre für die Auserwählten. Auch Freund Lehmann, ein urgemütlicher Sachse von unserm Gewehr, war dabei. Seit der Zeit ließ er seinen scheußlichen roten Bart auf die Zeit18 rasieren.

Nachdem unser Bataillon bereits ein halbes Jahr in dieser Stellung zugebracht hatte, wurden wir auf einmal durch die Österreicher abgelöst.19 Diese konnten sich freuen, solch tadellos ausgebaute Stellung zu besetzen. Wie wir später hörten, sollen sie von den Russen herausgeworfen worden sein. Oh, diese Schleimscheißer!

Anfang Juni ging das Bataillon wieder in Stellung an der Strypa, links von dem damals so heiß umstrittenen Dorf Siemikovce. Schöne ruhige Waldstellung. Hier konnte man wenigstens mal durch den Hochwald streifen und die frische Luft genießen. Allerdings mußte man immer einen Stock bei sich haben, denn die Kreuzottern wimmelten hier in Menge. Gar manche dieser giftigen Biester haben wir erschlagen. Am Tage lecker warm, konnte man sich so richtig im Schatten hinsetzen und die Zeit mit Läusefangen vertreiben.

Am vierten Juni kam der Bursche vom Kompanie-Feldwebel mit folgender Nachricht: Giebels von Gewehr 1 und Hülsen von Gewehr 2 sofort fertigmachen und sich beim Bataillon-Kommandeur melden. „Wat sollen wej dann bej de Kuhkopp möten,20“ sagte Willi. Der Bataillons-Kommandeur Oberstleutnant Wellenkamp21, welcher jeden Jäger mit „Du Kuhkopp“ titulierte, wurde von uns auch nur noch Kuhkopp genannt. Dieses zur Einleitung. Als wir uns zur Stelle meldeten, standen schon etwa fünfzehn Mann vor dem Gewaltigen, alle am Griffe kloppen und kommandieren. „Du Kuhkopp bist Gefreiter, und du Gefreiter bist Oberjäger,“ diktierte der hohe Herr. Dann kam die Reihe an uns beide. „Welche Kompanie?“ „Maschinengewehrkompanie, Herr Oberstleutnant“ „Von eurer Dünnschißkanone kenne ich nichts. Wie heißt du,“ frug er mich. „Schütze Giebels, Herr Oberstleutnant.“ „Was, du Kuhkopp, wie heißt du?“ „Gefreiter Giebels, Herr Oberstleutnant“ „Und der Kuhkopp da, wie heißt du?“ „Ge-frei-ter Hülsen, Herr O-berst-leutnant,“ lachte der Willi aus vollem Halse. „Endlich kapiert ihr Kuhköppe. Kehrt marsch und holt euch eure Knöppe.“ Nachdem wir außer Sehweite waren, haben wir uns auf den Boden hingelegt und den Bauch gehalten vor Lachen. „Jetzt sin wej son rechtege Kuhkoppgefreiters, jetzt fählt uß bloß dat Gehörn,22“ sagte Willi und wir stimmten beide wieder in unbändiges Lachen ein. Beim Gewehr angelangt, wurde die Neuigkeit mit Freuden aufgenommen und natürlich bis spät in der Nacht gefeiert und begossen. Als die Reihe zum Postenstehen an mich herankam, trat sofort ein Kamerad vor und schob für mich die zweistündige Wache. Alle Achtung vor dem Kollegen. Leider ist er kurze Zeit nachher den Heldentod gestorben.

Noch acht Tage blieben wir in dieser Stellung. Mit dem neunten Juni hörten wir’s von weither wieder tüchtig bumsen. Sollte man uns in Ruhe lassen, oder brauchte man unsere Hilfe wieder? Allmählich kriegte man wieder Sehnsucht nach einem kleinen Gefecht. Das Pfingstfest möchten wir allerdings erst in Ruhe feiern. Dann konnte es wieder losgehen. Gegen neun Uhr morgens hieß es plötzlich: „Alles fertigmachen!“ Wir wußten Bescheid. Nach einer halben Stunde waren die Österreicher zu unserer Ablösung da. Wir marschierten durch den Wald, an dessen Rande schon die Lastautos fertigstanden. Ei Teufel, da hinten muß aber wohl ganz gemein dicke Luft sein. Die Jäger müssen die Sache mal wieder in Ordnung bringen. Also rin in die Autos, und schon sausten wir in rasendem Tempo über Stock und Stein dem böllernden Frontabschnitt entgegen. Mit dem Abend waren wir in der Stadt Podhaice, wo alles Zivilvolk – meistens Juden – in hellster Aufregung war. „Gott der Gerechte, die Deitschen sind da, die Deitschen sind da, de Jäger seins, da brauche mer uns net zu fürchte for de Russe. Gott der Gerechte soll eich schütze, eich tapfere Jäger, unsere Leit hawe de Stellung net halte könne. De Russe komme in unsere Stadt un mer müsse flüchte. Gott der Gerechte, sein wir Jude froh, daß ihr deitsche Jäger da seids. Ihr tapfere Leit werdet uns beschütze. Wanns zuruckkommt, kommts bei uns Tschai trinke, weiche Semmel werde mer backe, damits eich stärke könnt.“ So ging der Redeschwall der verängstigten Itzigs. Mit Gewalt mußten wir sie uns fast vom Balge halten. Die Autos durften noch weiterfahren bis hinter die Stadt, wo wir ausgeladen wurden und, nachdem Feldwachen ausgestellt waren, auf freiem Felde kampierten. Da vorne war unheimlich dicke Luft. Die Russen waren über die Strypa gekommen und hatten die Schnürschuhkameraden herausgewichst. Wir sollten den Österreichern zu Hilfe kommen, doch haben wir keine mehr da vorne angetroffen; alles mit Sack und Pack verschwunden, wie schon so oft. Während der Nachtruhe kamen die Itzigs mit Weißbrot und Butter, uns zu stärken für den bevorstehenden Kampf. An Schlaf dachte kein Mensch, ging’s doch am andern Tage in den Tod.

Um drei Uhr, als die Sonne ihre ersten Strahlen ausströmte, hieß es „Alarm“. Der Pfingsttanz begann. In wohlgeordneter Schützenlinie marschierte unser stolzes JägerBataillon durch den herrlichen Pfingstmorgen – bergauf, bergab auf der Suche nach den Österreichern. Der Russe sandte uns seine eisernen Morgengrüße entgegen und bald war die erste Kompanie schon im Handgemenge mit den Russen. Von den Österreichern war nicht ein Mann mehr anzutreffen. Herrgottsakra, das war ja allerhand, dem Russen direkt auf die Stellung zu laufen. Die erste Kompanie mußte türmen. Unser Abschnitt konnte in dem rasenden Feuer gar nicht herankommen. In kurzen Sprüngen vorgehen, eine Linie bilden, einbuddeln. Kaum damit beschäftigt, kamen die Panjes schon an zum Gegenangriff. Ohne Schutz auf freiem Felde konnten wir der zehnfachen Übermacht nicht standhalten und mußten dem Drang nachgeben. In geordneter Linie ging’s zurück. Der Panje kam nicht nach. Nach einer Stunde setzte unser Bataillon wieder zum Angriff an. Der Feind türmte zurück in seine alte Stellung, wo er sich festsetzte und uns mit einem wahren Hagel von Eisen überschüttete. Wir kamen wieder nicht heran. Famose Truppen, diese sibirischen Scharfschützen; machten uns allerhand zu schaffen. Dazu diese unheimliche Übermacht. „Rache für Siemikovce,“ rief uns einer auf Deutsch entgegen. Im selben Moment brach er von uns durchlöchert tot zusammen. Er hatte seine Rache weg. Nach mehrmaligem Hin und Her zogen wir uns gegen drei Uhr endgültig zurück und sammelten uns im Dorf Glini-Wodi23, das heißt faules Wasser. Der Feind kam uns diesmal nicht nach. War anscheinend auch kampfesmüde geworden. Hier sahen wir erst, welch starke Verluste wir erlitten hatten. Verflucht, hatten wir heute mal wieder Senge gekriegt. Heiß war der Tag, heiß war gestritten worden. Gegen Abend wurde unsere Linie eingegraben. Unsere Front war gebildet, wir hatten Schutz und konnten den Feind, welcher beim Morgengrauen angriff, tüchtig einseifen. Zwei Gewehre von unserer Kompanie waren mit eingebaut und hatten beim Angriff ordentlich aufgeräumt. Die anderen vier Gewehre mußten noch im Dorf bleiben in Alarmbereitschaft.

Vor einiger Zeit hatte ich meiner lieben Mutter mitgeteilt, daß ich in kurzer Zeit auf Urlaub käme. Doch diese schrieb mir die unsicheren Worte zurück: „Sei mir recht herzlich willkommen, aber erst muß ich Dich persönlich sehen, bevor ich es glauben kann.“ Seit diesem Tage tauchte in mir eine furchtbare Ahnung auf, welche ich nicht mehr loswerden konnte. Nur mitten im Schlachtgetümmel vergaß man alles; man war nicht mehr Mensch. Der Sensenmann war mir auch noch nicht im Traume erschienen. War mir selbst nicht klar, was das unheimliche Gefühl bedeuten sollte. An eine spätere Gefangenschaft habe ich mit aller Bestimmtheit nicht gedacht. Lieber in Fetzen, als sich dem Feinde ergeben, war uns die Losung. Also mochte kommen, was da wollte, ich war bereit.

Nachdem die Front fest und standhaft war, wurden zwei weitere Gewehre eingebaut; Gewehr 1 und 2 bleiben noch in Alarmbereitschaft. Der Feind, welcher nochmals einen Angriff wagte, wurde wieder mit großen Lücken herumgeschickt. Somit kam der 14. Juni heran. Mit ihm setzte der Russe ein rasendes Trommelfeuer ein, welches den ganzen Tag über andauerte. Hauptsächlich verlegte er das Feuer auf den hinteren Abschnitt, damit nichts nach vorne gelangen konnte. Die Leute hatten nichts zu essen, die Munition begann zu mangeln, wir lagen dahinten und mußten uns wehrlos vom Feinde bepfeffern lassen. Der Teufel mag’s holen – lieber da vorne im Graben liegen. Diese Ohnmacht, sich nicht wehren zu können war furchtbar. Unsere Gewehre sollten auch eingesetzt werden, doch mußte erst die Dunkelheit abgewartet werden. Eine Schlucht, der eigentliche Verbindungsweg mit der vorderen Linie, lag den ganzen Tag über unter wahnsinnigem Feuer. In dieser Schlucht stand eine kleine Kapelle, worin der Bataillons-Stab sein Quartier aufgeschlagen hatte. An diesem Tage schrieb ich meine letzte Karte aus der Front nach Hause mit den wenigen Worten: „Liebe Mutter, bis jetzt noch gesund, Gerhard“ und gab sie einem Artilleristen mit, welcher sie besorgen wollte. Ob nun dieselbe ihr Ziel erreicht hat, weiß ich nicht. Gegen fünf Uhr kam Gerd Seemann mit der Meldung von vorne, daß es an Munition mangelte. Er war auch beim Bataillon-Stab gewesen. Der „Kuhkopp“, ganz verzweifelt, hätte gestöhnt: „Meine armen Jäger, mein armes Bataillon“ Den ganzen Tag hatte mich das komische Gefühl fast niedergedrückt, nun kam mal eine Abwechslung.

Munition mußte nach vorne. Sofort meldete ich mich als Freiwilliger. Der zweite war Hülsen; konnte es auch nicht mehr aushalten. Nach den erhaltenen Anweisungen schnappten wir uns jeder zwei Patronenkasten und machten uns auf den Weg nach vorne. Rechts von der Schlucht standen die Gewehre eingebaut. Sprungweise waren wir beide schon bei dem verheerenden Getrommel bis mitten in die Schlucht gelangt, da verlegte der Feind das Feuer weiter nach vorne, so daß uns der Weg abgesperrt wurde. „Wej möte sien, dat wej üt desse Hexekettel herütt kome, wenn wej doch krepiere sölle, weshalb dann grad hier.24“ Glücklich fanden wir rechts auch einen Aufstieg und setzten unsere Sprünge auf freiem Felde fort. Die Russen, welche uns beobachten konnten, pfefferten wir wahnsinnig. „Verdammich, die Ferkes welle ons absolut kappot hewe,“ seggt Willi.25 Sprung auf, marsch marsch – beim Hinlegen immer die Patronenkasten vor den Schädel gelegt. Manche Bohne quetschte dagegen. Wir kamen glücklich am Graben an. Ausgepumpt, wie wir waren, haben wir uns erst mal ausgeruht. „Ihr verrückte Kerle, warum seid ihr nicht die Schlucht herauf den Graben entlang gekommen,“ schnauzte uns ein Oberjäger an. „Wollte schon ein paar Leute bestimmten, die euch in der Nacht einbuddeln sollten.“ Wir gingen weiter nach rechts, wo wir bald bei den Gewehren ankamen. War höchste Zeit, sämtliche Munition war verpfeffert. Des Nachts konnte sich die Bedienung selbst wieder neue beschaffen. Nach dem Dunkelwerden hauten wir beide wieder ab und kamen wieder wohlbehalten im Dorf an. Unsere beiden Gewehre waren während der Zeit ganz links bei den 223. in Stellung gegangen. Auch wir erhielten den Befehl, die Gewehre aufzusuchen. Erst mal bei der Küche vorgesprochen und möglichst für ein paar Tage Verpflegung und verschiedene Flaschen Wein eingepackt. Dann ging’s los über Land und Sand nach vorne auf der Suche nach den 223. Als wir etwa 2 km gegangen waren, hält der Willi mich plötzlich am Arm zurück. „Du, Gerd, do komme de Panjes henn26.“ Wir lauschten beide gespannt, hörten eine Anzahl fremdsprachige Stimmen, welche näherkamen. Pistolen heraus, hinlegen und anbrüllen war eins. Vor uns standen acht Offiziere von dem tschechischen Regt., welches Anschluß an die 223. hatte. Auf die Frage, wo sie hinwollten, redete einer auf Deutsch: „Mer müsse zurück, die Russe wollen stürmen.“ Uns kochte die Wut im Balge. „Zurück nach vorne, oder wir knallen euch sämtlich über den Haufen.“ Nachdem sie zuerst so recht nicht mochten, pfefferten wir ihnen ein paar Kugeln am Schädel vorbei. Da erst kriegten sie die Zeit, diese elenden Drückeberger. Herrgott, waren das Offiziere. Die Mannschaft im Stich lassen, anstatt mit gutem Beispiel voranzugehen. Da waren unsere Jägeroffiziere doch andere Kerls. Beim Angriff gingen sie immer vor die Front und boten dem Feinde ihre Brust an. Keiner von uns hätte je daran gedacht, zurückzubleiben oder sich so feige zu drücken, wie diese Sippschaft. Für uns ist diese feige Bande zum Verhängnis geworden. Doch davon werde ich später nochmal schreiben.

Gegen 12 Uhr kamen wir bei den 223. an und erkundigten uns nach unseren Gewehren. Mein Gewehr lag noch weiter links, also Abschied vom Willi, der nach rechts mußte. Todmüde torkelte ich hinter dem Graben her, bis ich endlich bei meinen Kameraden ankam. Ein Feldwebel von den 223. hielt mich an, dem ich mein heutiges Erlebnis erzählte. Der, ein biederer Hesse, meinte: „Hätscht doch dene Schurke erschosse und verscharrt.“ Ich kauerte mich in eine Grabenecke und konnte vor Müdigkeit doch nicht schlafen. Die Nacht verlief ziemlich ruhig. Rechts etwas Geplänkel und mal heftiges Maschinengewehrfeuer. Unser Abschnitt war die Ruhe selbst. Als ich Wache hatte, vertrieb ich mir die Zeit mit Leuchtkugelnschießen. Gegen Morgen, als ich schlafen wollte, fing der Russe an zu trommeln. Nun ja, mochte er böllern, so viel er wollte, ich schlief wie ein Murmeltier ohne Unterbrechung ein paar Stunden.