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Sie sind katholisch getauft aufgewachsen – und haben sich entschieden, zum Protestantismus überzutreten. Wie war das, sich von einer Glaubenstradition zu lösen und eine neue Haltung zu finden? Anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 erzählen erstmals evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer in Österreich über ihre „persönliche Reformation“. Eingeleitet wird der Band von Michael Bünker, Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich, der nach der Bedeutung von „Konvertiten im Pfarramt“ in der Fußstapfen Martin Luthers fragt.
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Seitenzahl: 169
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Evangelische Pfarrer
und Pfarrerinnen
erzählen
Herausgegeben von
Matthias Geist und
Maria Katharina Moser
Cover
Titel
Wege zur evangelischen Herzensbildung
Vorwort der Herausgeber
Der Kirchenwechsel – eine Chance für die Ökumene?
Michael Bünker
Ökumene XL – oder: Wie mich zwei Kirchen durch mein Leben begleiten
Klaus Niederwimmer
Allein aus Gnade
Stefan Fleischner-Janits
In Beziehung mit: Gott – Mensch – Bibel
Martin Schlor
Selbst ausgesucht?
Gregor Schwimbersky
Suche nach einer geistlichen Heimat
Bernhard Petri-Hasenöhrl
Der Zeit voraus, eingeholt vom Streit zwischen gestern und vorgestern
Wolfgang Lutz
Was da gewachsen ist
Anneliese Peterson
Konversion – um der Liebe willen
Johanna Lein
Die Fragen leben
Andreas Fasching
Nach Hause gekommen
Maria Katharina Moser
Konversion und ihre Erforschung – historisch betrachtet
Maria Diemling
Weiterführende Literatur
Bildnachweis
Weitere Bücher
Impressum
Vorwort der Herausgeber
Die evangelischen Kirchen in Österreich sind erfrischend jung – auch nach 500 Jahren Reformation, die sie 2017 feiern. Sie haben ihren Geist immer wieder neu gefunden – in Geschichte und Gegenwart. Sie haben sich an äußeren Einflüssen und Machtspielen gerieben, haben sich aber nicht zerreiben lassen. Sie haben in den verschiedenen Regionen Österreichs unterschiedliche Akzentuierungen ausgebildet, weil sie spezifische Ideen einzelner Menschen aufgegriffen haben, ohne sie zu „Heiligen“ zu stilisieren. Und: Sie haben ihren reformatorischen Charakter wach gehalten, indem sie – gerade auch in jüngster Vergangenheit – Personen mit dem geistlichen Amt betraut haben, die mit Haut und Haar eine ganz persönliche, existenzielle Reformation erlebt haben. Konversionen haben für die Evangelischen in Österreich eine vielfältige kirchen- und mentalitätsgeschichtliche Bedeutung. Konvertierte beleben die Kirche und ihre Entwicklung.
Das vorliegende Buch wirft ein Schlaglicht auf diesen Prozess: Acht Pfarrerinnen und Pfarrer im aktiven Dienst erzählen von ihrer Konversion von der römisch-katholischen zur evangelischen Kirche A. B. in Österreich. Unter diese positiven Beispiele bewusst und eigenverantwortlich gestalteter religiöser Identitätsbildung mischen sich zwei mit Zwang behaftete Geschichten: die Geschichte eines katholisch getauften Ehepartners einer evangelischen Pfarrerin und die Geschichte einer katholisch getauften Ehepartnerin eines evangelischen Pfarrers. Beide sahen sich in den 1980er-Jahren vor die Wahl gestellt: Entweder ich konvertiere oder mein evangelischer Partner/meine evangelische Partnerin muss sein/ihr Amt aufgeben.
Wir haben diese autobiografischen Texte nach dem Konversionsalter gereiht. Der älteste Konvertit, der in diesem Buch von seinen Erfahrungen erzählt, ist mit 19 evangelisch geworden; die jüngste Konvertitin war 39, als sie übergetreten ist. Eingeleitet werden die in erster Person erzählten Beiträge von Michael Bünker, Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich, der nach der Bedeutung von „Konvertiten im Pfarramt“ in den Fußstapfen Martin Luthers fragt. Die Historikerin Maria Diemling rundet den Band mit einem Überblick über die Entwicklung der Konversionsforschung sowie über die Geschichte der Konversion in Österreich mit Fokus auf den Protestantismus ab.
Egal, ob sie einem inneren Impuls oder Druck von außen folgten – die persönlichen Konversionsgeschichten in diesem Band erzählen, was Evangelisch-Sein bedeutet. Lebensnahe legen sie reformatorische Theologie aus. Sie zeigen, dass sich evangelischer Glaube einer statischen Definition entzieht. Evangelische Identität ist kein Produkt verstaubter dogmatischer Lehrgebäude (fides quae creditur). Sie vollzieht sich dynamisch (fides qua creditur) und fordert stetige Entwicklung, bleibt also im Wandel begriffen und „jung“. In den Beiträgen wird der Weg einer evangelischen Herzensbildung – direkt aus dem Evangelium heraus – sichtbar.
Damit wird auch eine „Kulturbedeutung des Protestantismus“ sichtbar: der „religiöse Individualismus der persönlichen Glaubensüberzeugung“ (Ernst Troeltsch). Will heißen: Menschen glauben heute nicht mehr automatisch. Auch wenn nach wie vor viele Menschen in eine bestimmte Glaubensgemeinschaft hineingeboren und in ihr sozialisiert werden – sie haben die Möglichkeit, beim Glauben ihrer Kindheit zu bleiben oder sich einer anderen Glaubensgemeinschaft anzuschließen oder die säkulare Option zu wählen. Die Signatur des heutigen „Glaubens als Option“ (Hans Joas) wurzelt auch in der Reformation. Freilich wollten die Reformatoren den Glauben des Individuums nicht der Beliebigkeit anheimstellen. Sie haben ihn strikt auf die Bibel bezogen gedacht. Daher sollten auch alle Menschen die Bibel lesen können. Sowohl die Übersetzung der Bibel ins Deutsche und in andere Muttersprachen als auch der hohe Bildungsanspruch der evangelischen Kirchen liegen hier begründet. Glaube soll gebildeter Glaube sein. Für Evangelische ist es wichtig, dass Menschen bedenken und verstehen, was und warum sie glauben.
Die Mündigkeit der einzelnen Christin und des einzelnen Christen hat ihren Grund in der „Freiheit des Christenmenschen“ und in der Unmittelbarkeit, in der die Person vor Gott steht. Was das konkret bedeutet bzw. bedeuten kann, davon erzählen die vorliegenden autobiografischen Texte.
Matthias Geist und Maria Katharina Moser
MATTHIAS GEIST, geboren 1969 in Salzburg; aufgewachsen in Pfarrhäusern in Oberösterreich und Kärnten; Studium der Mathematik und der evangelischen Theologie in Wien; Assistent am Institut für Systematische Theologie (1992–2000), daneben Vikariat in Wien-Landstraße; seit 2001 Gefängnisseelsorger in den Wiener Justizanstalten; Ausbildung zum Supervisor, Lehrbeauftragter an der Strafvollzugsakademie.
MARIA KATHARINA MOSER, geboren 1974; studierte zunächst katholische Theologie in Wien und interkulturelle Frauenforschung in Manila; war in der katholischen Jugendarbeit und Erwachsenenbildung sowie an der Universität und sieben Jahre in der Religionsabteilung des ORF tätig, bis sie sich entschied, zu konvertieren und evangelische Pfarrerin zu werden.
Michael Bünker
War Martin Luther evangelisch? Ich bin davon überzeugt und muss es doch zugleich verneinen. Wenn „evangelisch“ meint, dem Evangelium Jesu Christi verpflichtet zu sein, dann war er es bestimmt. Nichts anderes sollte seiner Meinung nach in der Kirche den Ton angeben. Aber „evangelisch“ im Sinne einer Konfessionszugehörigkeit war er natürlich (noch) nicht. Die Konfessionalisierung war eine Folge der Reformation, die sich im Laufe des Lebens und Wirkens Martin Luthers abzeichnete, aber noch nicht zur vollen Ausprägung gekommen war.
War Luther ein Konvertit? Selbstverständlich nicht. Er wollte die ganze Kirche reformieren und nicht eine neue Kirche gründen und ihr Mitglied werden. Daran hat er zeitlebens festgehalten, auch wenn es Brüche gegeben hat wie die Verbrennung der Bannandrohungsbulle, die Formulierung neuer Bekenntnisse und letztlich die heftige Polemik gegen Rom und das Papsttum. Umgekehrt ist er von seinen Gegnern von Anfang an als Ketzer der Häresie beschuldigt worden, was das katholische (und auch orthodoxe) Lutherbild bis ins 20. Jahrhundert geprägt hat. Auch wenn er wohl kein Ökumeniker gewesen ist, wie Kardinal Walter Kasper wiederholt festgestellt hat, finden sich starke Äußerungen, die eher für das ökumenische Miteinander als das konfessionelle Gegeneinander sprechen: „Erstens bitte ich, man wolle von meinem Namen schweigen und sich nicht lutherisch, sondern einen Christen nennen. Was ist Luther? Ist doch die Lehre nicht mein! Ebenso bin ich für niemanden gekreuzigt. St. Paulus wollte nicht leiden, dass die Christen sich paulinisch oder petrisch hießen, sondern Christen. Wie käme denn ich armer stinkender Madensack dazu, dass man die Kinder Christi dürfte nach meinem nichtswürdigen Namen nennen? Nicht so, liebe Freunde! Lasst uns tilgen die parteiischen Namen und uns Christen heißen, nach Christus, dessen Lehre wir haben.“ (WA 8, 685, 4–11)
500 Jahre später erzählen überwiegend junge Frauen und Männer, wie und warum sie die römisch-katholische Kirche, in der sie aufgewachsen sind, verlassen haben und evangelisch geworden sind. Sie wurden nicht nur evangelisch, sondern Pfarrerinnen und Pfarrer in der evangelischen Kirche. Nach staatlichem Recht sind sie „übergetreten“, also aus einer Kirche aus- und in eine andere eingetreten. Ob sie damit auch konvertiert sind, mag die biografie- und sozialgeschichtlich ausgerichtete Konversionsforschung beantworten. Ich würde ihren persönlichen Schritt lieber als „Kirchenwechsel“ bezeichnen. Die meisten haben beide Kirchen mehr oder weniger intensiv gekannt und sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in unterschiedlichem Lebensalter entschieden, der Evangelischen Kirche A.B. anzugehören. Diese Entscheidung verdient Respekt. Für die evangelische Kirche ist sie auch ein Grund sich zu freuen, weil sich engagierte Christinnen und Christen berufen lassen, als Pfarrerinnen und Pfarrer in den Dienst des Evangeliums zu treten. Daher ist aus meiner Sicht dieser Kirchenwechsel, der immer aus freien Stücken und nach reiflicher Überlegung erfolgte, für die evangelische Kirche ein Geschenk und für die Ökumene eine Chance.
Die Zunahme der Zahl der ehemals römisch-katholischen Christinnen und Christen, die evangelische Pfarrerinnen bzw. Pfarrer geworden sind, ist ein relativ junges Phänomen – mit klarem Fokus auf den Pfarrberuf, denn insgesamt sind die Zahlen der Eintritte in die evangelischen Kirchen (und damit auch die der Übertritte aus der katholischen Kirche) seit Jahren auf dem ziemlich gleichen Stand. Zu den „Kirchenwechslern“ zählen immerhin etwa 10 Prozent der insgesamt rund 250 geistlichen Amtsträgerinnen und Amtsträger, die derzeit in der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich im aktiven Dienst sind. Die älteren Jahrgänge der Pfarrerinnen und Pfarrer sind noch beinahe vollständig in traditioneller Weise religiös sozialisiert worden. Eine erhebliche Zahl stammt selbst aus Pfarrerfamilien. Hier wirkt sich die generationenübergreifende Prägung durch das evangelische Pfarrhaus, dessen Entstehung mit Luthers Hochzeit mit Katharina von Bora 1525 gleichgesetzt wird, bis in die Gegenwart aus. Neben dem Pfarrhaus waren es in erster Linie der Religionsunterricht oder die Jugendarbeit, durch die junge Menschen mit der Kirche verbunden wurden und so den Weg zu Theologiestudium und Pfarrberuf gefunden haben. Quereinsteiger, Spätberufene oder Übergetretene aus anderen Kirchen galten weitgehend als Einzelfälle. Heute sind die Lebensläufe jüngerer Pfarrerinnen und Pfarrer oft gewundener und nicht so geradlinig. Manchmal schließen sie eben auch den Übertritt von einer Kirche in die andere ein. Was früher vielleicht als „Betriebsunfall“ gesehen und nicht selten als „Geheimsache“ gehandelt wurde, wird nun offen berichtet. Es zeigt sich, dass Übertritt und Kirchenwechsel als ökumenische Realität wahrzunehmen und ernst zu nehmen sind. Sie dokumentieren, dass bisherige Distanzen und das noch in der vorigen Generation weithin gelebte schiedlich-friedliche Nebeneinander der Kirchen und ihrer Mitglieder der Vergangenheit angehören. Die persönlichen Geschichten der übergetretenen evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer sind ein Beitrag dazu. Das Spektrum ließe sich erweitern um Berichte über andere Konversionen, die die Kirchen der Orthodoxie, die Freikirchen, aber auch nichtchristliche Religionen umfassen und nicht zuletzt die Geschichten jener Menschen erzählen, die sich entschlossen haben, keiner Religion anzugehören. Konversionen nehmen generell zu. In einer zunehmend religiös pluralen Gesellschaft kommt der bewussten Wahl religiöser Lebens- und Gemeinschaftsformen eine wachsende Bedeutung zu. Das Pew Research Center berichtet, dass etwa die Hälfte der US-amerikanischen Bevölkerung im Laufe des individuellen Lebens zu einer neuen Religion bzw. Konfession konvertiert.
Wie als anachronistische Bestätigung dieser Entwicklung stehen zwei Übertrittsgeschichten, die einer noch gar nicht so alten, aber mittlerweile überwundenen Regelung in der evangelischen Kirche geschuldet sind. Aufgrund des allgemeinen Grundsatzes, dass die Ehepartnerin des evangelischen Pfarrers bzw. der Ehepartner der evangelischen Pfarrerin ebenfalls der evangelischen Kirche angehören muss, waren Menschen gezwungen, für die beruflichen Möglichkeiten ihrer Partnerin/ihres Partners die Kirchenzugehörigkeit zu wechseln und in die evangelische Kirche einzutreten. Diese Form von kirchenrechtlich vorgesehener „Zwangskonversion“, von der Johanna Lein und Wolfgang Lutz betroffen waren, kann aus heutiger Sicht nur bedauert werden. Sie entsprach bereits in den 1980er-Jahren nicht mehr dem Stand der ökumenischen Verhältnisse zwischen katholischer und evangelischer Kirche und sie entsprach damals so wenig wie heute dem Selbstverständnis der evangelischen Kirche. Mit evangelischer Freiheit hatte das nichts zu tun. Es zeigt vielmehr, wie schwer sich Kirchen lange Zeit getan haben, individuelle Glaubens- und Gewissensentscheidungen zu akzeptieren. Das hat tiefsitzende geschichtliche Ursachen, auf die kurz eingegangen werden soll.
Eine der Folgen der Reformation des 16. Jahrhunderts war die durch die eingetretene Konfessionalisierung erfolgte Spaltung der lateineuropäischen Christenheit. Mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 und den Regelungen des Westfälischen Friedens von 1648 wurde das Problem des Zusammenlebens unterschiedlicher Konfessionen durch das Prinzip der Regionalisierung gelöst. Es galt das Prinzip cuius regio, eius religio. Ein individuelles Recht, die Religion zu wechseln, stand nur dem jeweiligen Landesherrn zu, die Untertanen hatten seiner Entscheidung zu folgen oder den Herrschaftsbereich zu wechseln. Erst durch die Aufklärung wurden die einzelnen Bürgerinnen und Bürger zu Trägerinnen und Trägern des Toleranzanspruchs. Die Virginia Declaration of Rights von 1776 und das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 gewährten „vollkommene Glaubens- und Gewissensfreiheit“. Mit dem Toleranzpatent von 1781 wurde für das heutige Österreich (im Burgenland galten die ungarischen Regelungen) eingeräumt, dass man wohl evangelisch sein konnte – evangelisch zu werden unterlag hingegen stark einschränkenden Auflagen. Erst im Jahr 1849 wurde der Übertritt von einem christlichen Bekenntnis zu einem anderen für über 18-jährige Personen freigestellt. Weitergehende und teilweise bis heute geltende Regelungen traf dann das Gesetz über die interkonfessionellen Verhältnisse aus dem Jahr 1868. Heute gilt die in Österreich im Verfassungsrang stehende Europäische Menschenrechtskonvention, die in Artikel 9 das Grundrecht auf Religionsfreiheit formuliert, das die Freiheit, die Religion zu wechseln, einschließt. In der Charta Oecumenica, mit der der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) und die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) im Jahr 2001 „Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa“ beschlossen haben, verpflichten sich die Kirchen, „anzuerkennen, dass jeder Mensch seine religiöse und kirchliche Bindung in freier Gewissensentscheidung wählen kann. Niemand darf durch moralischen Druck oder materielle Anreize zur Konversion bewegt werden; ebenso darf niemand an einer aus freien Stücken erfolgenden Konversion gehindert werden.“ (II.2) So gehört der Religionswechsel heute ebenso zu den Kennzeichen der religiösen Pluralisierung Europas wie die Entscheidung von Menschen, keiner Religion anzugehören. Die Religionsfreiheit einschließlich der Freiheit des Religionswechsels stellt eines der Kriterien der „Europatauglichkeit“ dar, das nicht nur für Staaten, sondern auch für Religionsgemeinschaften gilt. Erst die Akzeptanz freier Religionswahl macht die Konvivenz unterschiedlicher Glaubensrichtungen und das friedliche, möglichst konfliktarme Zusammenleben verschiedener Religionen möglich. Dies ist im jeweiligen historisch bedingten Kontext zu sehen. Gerade in Österreich mit seiner langen Geschichte der Unterdrückung und Verfolgung der Evangelischen – die volle bürgerliche Gleichberechtigung erlangten sie erst 1861 – ist das zu berücksichtigen. Lange Zeit wurden die Evangelischen pauschal als „Akatholiken“ bezeichnet und haben ihrerseits ihre Identität nicht selten durch eine negative Abgrenzung von der römisch-katholischen Kirche gebildet. Diese Ambivalenz der Fremdwahrnehmung und eigenen Identitätsbildung kann heute weithin als überwunden gelten. Mit den aus dem Katholizismus gekommenen Pfarrerinnen und Pfarrern ändert sich auch das Bild des Katholizismus in der evangelischen Kirche. An die Stelle von lang gepflegten Ressentiments oder (oft lieb gewordenen) Vorurteilen tritt die Auseinandersetzung mit der authentisch gelebten anderen kirchlichen Tradition, die dazu beitragen kann, evangelische Positionen deutlich zu formulieren und so – nicht trotz, sondern wegen der Ökumene! – zu fördern, was das genuin Evangelische an den evangelischen Kirchen ist.
In den persönlichen Glaubens- und Kirchengeschichten, die im vorliegenden Buch erzählt werden, geht es zumeist um ein langsames Hinüberwachsen in die andere und neue Kirche, die oft gar nicht so anders und auch nicht ganz neu war. So gut wie nie waren es radikale „Bekehrungen“ oder dramatische „Reformationserlebnisse“, bei denen ein hell strahlendes „Nachher“ auf der dunklen Folie des „Vorher“ gezeichnet wird. So gut wie niemand unter den Autorinnen und Autoren beschreibt den eigenen Kirchenwechsel als persönliches „Damaskuserlebnis“. Es ist auffällig, wie viel Positives über die eigene Kindheits- und Herkunftskirche berichtet wird – auch wenn es immer wieder konkrete Inhalte gibt, die für die Entscheidung des Übertritts wichtig geworden sind. Dies trifft vor allem bei den Frauen zu, die etwa ihren Wunsch, als Pfarrerin arbeiten zu können, nur in der evangelischen Kirche realisieren konnten. Neben solch persönlichen Beweggründen stehen als Motive die allgemeinen Kennzeichen evangelischer Kirche wie etwa die Wortbezogenheit, die Bedeutung der Predigt, das demokratische Miteinander der Gemeinden und anderes mehr. Die Motive und Umstände, die zum Kirchenwechsel geführt haben, sind vielfältig, das heißt immer individuell und persönlich. Aus allen Berichten geht hervor, dass das katholische Erbe in den neuen Beruf als eine besondere Bereicherung eingebracht werden kann. Die „ökumenische Zweisprachigkeit“, die diese Pfarrerinnen und Pfarrer leben, führt zu einem vertieften Verständnis der anderen Kirche und stellt das ökumenische Miteinander vor Ort nicht in Frage, sondern vermag es zu vertiefen und zu fördern. Dies gilt selbstverständlich auch in umgekehrter Richtung für all jene, die aus der evangelischen Kirche in die römisch-katholische Kirche oder eine andere Kirche übertreten und geistliche Leitungsfunktionen übernehmen. Gerade zwischen den ökumenisch miteinander verbundenen Kirchen stellt der Übertritt ja keinen Glaubenswechsel dar, wie es etwa die Konversionen zwischen Christentum und Islam sind. Daher scheint der Wunsch begründet, dass der Übertritt ein akzeptierter Bestandteil der ökumenischen Wirklichkeit wird, mit dem offen umgegangen werden kann.
Ich danke allen Autorinnen und Autoren und den beiden Herausgebenden, die als Kirchenwechslerin und Pfarrerssohn paradigmatisch die unterschiedlichen Wege in das evangelische Pfarramt personifizieren, sowie dem Styria Verlag, der damit einen herausfordernden und spannenden Beitrag zum Jahr des Reformationsjubiläums liefert.
MICHAEL BÜNKER, geboren am 26. April 1954 im Pfarrhaus in Leoben, Steiermark, aufgewachsen in Radenthein, Gymnasium von 1964 bis 1972 in Villach, Kärnten; Studium der evangelischen Theologie in Wien (Promotion 1981); Vikariat in Wien-Döbling, Pfarrer in Wien-Floridsdorf; ab 1991 Leiter der Evangelischen Religionspädagogischen Akademie (ERPA); 1999 Wahl zum Oberkirchenrat, seit 2007 Generalsekretär der Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa (GEKE) und seit 2008 Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich.
Klaus Niederwimmer
Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein.“ (1 Mose 12,2) Mit dieser Zusage und mit diesem Auftrag schickt Gott Abraham auf seinen Weg in ein unbekanntes und fremdes Land. Diese Worte hat mir 1985 mein katholischer Kollege und Freund in Kärnten mit auf meinen Weg als evangelischer Pfarrer gegeben. Sie finden sich als Widmung in meinem Benediktionale, einem römisch-katholischen Buch für die Gestaltung von Segensfeiern, das ich heute noch verwende. In meinen mehr als dreißig Jahren als evangelischer Pfarrer begleiten mich diese Worte als Leitwort für mein Leben und Arbeiten durch Höhen und Tiefen, durch segensvolle Zeiten, aber auch durch die Brüche in meinem Leben. Und wenn ich heute darüber nachdenke, stellen sie mir auch die Frage: Warum habe ich gerade diese biblischen Worte ausgerechnet von einem römisch-katholischen Priester bekommen? Warum sind gerade sie mir als ehemaligem Katholiken zum Leitwort meines Lebens geworden? Wenn ich heute darauf eine ehrliche Antwort suche, dann erkenne ich darin etwas vom Handeln Gottes an mir über Konfessionsgrenzen hinweg und vor allem darüber hinaus. Es ist nicht in erster Linie die Frage, in welcher Konfession ich versuche, Glaube und Heimat zu suchen, zu finden und zu leben, sondern die Frage, ob ich mich suchen und finden lasse und dem Handeln Gottes Raum schenke in meinem Leben. Mir ist diese Gnade in der evangelischen Kirche geschenkt worden. Und ich bin davon überzeugt, dass der Weg dorthin durch meine katholische Zeit gut und wichtig war und bis heute unverzichtbarer Bestandteil meines Lebens ist. Vielleicht sind diese Worte aus der Heiligen Schrift ein Ausdruck dafür, dass meine Reise in die evangelische Kirche hinein auch eine Reise in ein unbekanntes Land war, das ich nach und nach erkundet und entdeckt habe und in dem ich schließlich heimisch geworden bin – und in dem ich den Segen Gottes reichlich erfahren habe.
Dabei beginnt meine Konversionsgeschichte eher unspektakulär: Als Schüler der Handelsakademie in Innsbruck werde ich von einem Freund in den evangelischen Jugendkreis eingeladen und fühle mich von Anfang an wohl. Die Gemeinschaft, das Singen, die Ausflüge und auch das Nachdenken über biblische Fragen tun mir gut, ich fühle mich angenommen und zuhause. Da gibt es keinen großen Bruch mit meiner alten katholischen Heimat, keine schlechten Erfahrungen, die ich machen musste, keine Verletzungen, die einen Austritt zwingend werden ließen. Eher ein Herauswachsen und ein Hineinwachsen in Neues. Heute würde ich vom kairós sprechen: davon, dass es einen Zeitpunkt im Leben gibt, zu dem Dinge geschehen, die zu keinem anderen Zeitpunkt so geschehen könnten; einen Moment, der einfach geschieht, weil es so sein soll; einen von Gott geschenkten Augenblick, der auch – wie in meinem Fall – eine Zeitspanne sein kann, in der sich Dinge wesentlich verändern, neu und anders werden, eine Gnadenzeit. Und erst im Rückblick zeigt sich klar und deutlich, dass es richtig war und sich stimmig anfühlt.
Aufgewachsen bin ich in einer normalen katholischen Familie – Gottesdienstbesuche an den Feiertagen, Gräbersegnung zu Allerheiligen, aber auch die Suche nach dem Mehrwert. Meine Zeit als Ministrant habe ich in guter Erinnerung: Das Geheimnisvolle, Fremde, Besondere als Kind zu erleben – es zwar nicht zu verstehen, aber es zu erleben, das ist etwas Unvergessliches. Ich erinnere mich auch daran, dass ich den katholischen Religionsunterricht sehr gerne besuchte, immerhin treu bis zur Matura – einen Unterricht, der mich sehr interessierte und der in meinem Schulalltag eine besondere Rolle spielte. Denn da wurden Fragen des Lebens und Glaubens angesprochen, die auch meine Fragen waren – und ich muss gute Religionslehrer gehabt haben, auch wenn die Erinnerung an sie heute verblasst ist. Da war wohl eine tiefe religiöse Sehnsucht, die schon in meiner katholischen Zeit stark war, aber in ihr nicht erfüllt wurde.