Meine Reise in die Welt der Gewürze - Alfons Schuhbeck - E-Book

Meine Reise in die Welt der Gewürze E-Book

Alfons Schuhbeck

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Beschreibung

Spitzenkoch Alfons Schuhbeck nimmt seine Leser mit auf eine faszinierende Gewürzreise von Marrakesch über Damaskus und Beirut nach Jerusalem und Istanbul. In seinem neuen Kochbuch "Meine Reise in die Welt der Gewürze" ist ihm eine einmalige Vermählung von arabischer Gewürzwelt und unserer heimischen Küchenkultur gelungen. Er vereint seine kulinarischen Inspirationen von Begegnungen mit Köchen, Händlern und Medizinern vor Ort mit seiner traditionellen Kochweise. Entstanden sind 150 neue Rezeptkreationen für Vorspeisen, Suppen, Fleisch, Fisch und Geflügel sowie schmackhafte Desserts und Gebäck. In einem eigenen Kapitel präsentiert der Sternekoch die Zusammensetzung und Bedeutung der Gewürzklassiker dieser Länder sowie seine - extra für dieses Buch - neu entwickelten Gewürzmischungen. Im Anschluss stellt er seinen Lesern die bekanntesten Rezepte des Orients in ausführlichen Step-by-Step-Anleitungen vor. Darüber hinaus wird erstmals über die spannende, kaum bekannte Kulturgeschichte der Gewürze von den frühen Hochkulturen über das antike Griechenland bis hin zum Mittelalter erzählt. Gerade das in diesen Epochen entstandene und über Jahrhunderte weiter entwickelte alte Heilwissen über Gewürze wird in Alfons Schuhbecks neuem Buch erstmals neu dokumentiert.

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Seitenzahl: 500

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Kulturgeschichte:

Medizin und Heilkraft:

Ich würze, also bin ichWarum der Mensch ohne Gewürze nicht sein kannDie einzige Medizin, die schmeckt

Myrrhe besänftigt den Zorn der Götter

Mesopotamiens Liebe zu Koriander und KnoblauchPfefferkörner in der Nase des Pharaos

Der Herd ist ein heiliger Ort

Das griechische Volk im ParfümrauschSchwertlilienzwiebeln – das Viagra der Antike

Hunderttausend Nachtigallenzungen

Die hohe Kunst der Dekadenz im Römischen ReichSie kommen mit Gold an und fahren mit Pfeffer ab

Der beste Koch ist der Kalif

Gewürzhändler werden zu MissionarenWisse, dass die Kenntnis der Gewürze die Grundlage aller Kochkunst ist

Das Mittelalter nascht vom Paradies

Kümmert Euch um die Kranken und studiert die Wirkung der GewürzePfeffer, Ingwer, Kümmel und Salbei schmecken dem Gaumen und entzünden die Begierde

Persönliche Begegnungen:

Frühe Hochkulturen

Vor 5000 Jahren schreibt ein Arzt Medizingeschichte

Die Entdeckung der segensreichen Wirkung des Knoblauchs

Antikes Griechenland

Der Mensch hat sein Schicksal selbst in der Hand

Hippokrates ist der Vater der Viersäftelehre

Römisches Reich

Plinius verfasst seine Enzyklopädie »Naturalis historia«

Der Geruch der Minze erfrischt den Geist; ihr Geschmack wirkt appetitanregend

Arabien

Avicenna, die überragende Persönlichkeit der arabischen Medizin, der die Universalheilkraft des Safrans entdeckte

Wie das Mittelalter von der Heilkunst der arabischen Ärzte profitierte

Mittelalter

Nur mit Gewürzen konnte man im Mittelalter dem Tod die Stirn bieten

Die Königin der Klosterheilkunde besteigt ihren Thron: die heilige Hildegard von Bingen

5 Reisereportagen:

Meine Reise nach Damaskus

Nichts hat mich in meinem Leben als Koch so beeinflusst wie die Gewürze.

Je mehr ich mich mit ihnen beschäftige, je tiefer ich in diese wunderbare Welt eintauche, umso mehr bin ich davon überzeugt: Gewürze sind vielleicht das schönste Geschenk, das uns die Natur macht. Denn sie besitzen zwei großartige Talente, die für jeden Koch unwiderstehlich sind. Zum einen erfreuen sie unseren Gaumen, und zum anderen profitieren wir seit Menschengedenken von ihren heilenden Kräften. Und keines ist weniger wertvoll als das andere.

Mit dieser faszinierenden Reise in den Orient habe ich mir einen Lebenstraum erfüllt.

In meinem neuen Buch blicke ich so umfassend und weit in die Vergangenheit der Gewürze zurück, wie ich es bisher noch nie getan habe. Ich wollte alles über sie erfahren, alles über sie lernen, all ihre verborgenen Geheimnisse lüften. Und staunend habe ich dabei festgestellt, wie faszinierend die Geschichte der Gewürze ist, wie sehr ihr weltweiter Handel das Zusammenleben der Menschen auch in Europa gelenkt hat, gerade wenn es um Essen, Trinken und Geselligkeit ging, warum Mediziner sie zur Heilung von Krankheiten einsetzten. Erst jetzt verstehe ich, wie zu allen Zeiten die größten Anstrengungen unternommen wurden, um an die hochbegehrten Würzmittel zu gelangen. Die Menschen riskierten ihr Leben und führten gar Kriege – und nur, um Getränke mit Kardamom zu verfeinern, das erlegte Wild mit Kubebenpfeffer zu marinieren, ein Mittel gegen die Pest zu haben. Und glauben Sie mir, liebe Leser: Diese Welt- und Kulturgeschichte der Gewürze besteht aus einer Vielzahl fantastischer Episoden, die Sie genauso verblüffen werden wie mich. Im wahrsten Sinne Tausendundeine-Nacht-Erzählungen aus den Kochtöpfen des Orients.

Besonders interessiert mich seit jeher die gesundheitsfördernde Wirkung der Gewürze. Jahrtausendelang waren Pfeffer, Ingwer oder Kurkuma die einzige Medizin, die den Menschen zur Verfügung stand, um gesund zu werden oder zu bleiben. Gewürze retteten also Leben: Sie wirken immer noch genauso positiv auf unseren Körper wie vor 5000 Jahren im alten Babylon oder bei den Ägyptern. Nur lassen wir es viel zu selten dazu kommen. Deswegen will ich mit diesem Buch auch von den segensreichen Wirkungen der Gewürze erzählen. Uns sollte wieder bewusst sein, dass zerriebener Schwarzkümmel bei Schnupfen die Nasenschleimhäute schnell abschwellen lässt und deswegen wie ein Aspirin der Natur wirkt. Oder dass Zimt krampflösend, Koriander ein Himmelsgeschenk für die Verdauung und Safran sogar eine Art Universalmedikament ist.

Wir sollten wieder lernen, richtig zu würzen, um dank der Heilkraft der Gewürze gesund zu bleiben.

Seit ich mich mit orientalischen Gewürzen beschäftige und je mehr ich über sie erfahre, umso klarer wurde mir: Ich muss dorthin reisen, wo sie seit Jahrhunderten zum täglichen Leben gehören, in Städte, die im Universum der Gewürze eine ganz besondere Rolle spielen: Marrakesch, Damaskus, Beirut, Istanbul und Jerusalem. Alle diese Orte sind schicksalhaft mit der Geschichte der Gewürze verbunden, sie waren wichtige Handelsplätze oder Sehnsuchtsziele der Europäer in ihrem unstillbaren Verlangen nach Pfeffer und Zimt. Sehnsuchtsorte sind sie bis heute geblieben, und so wurden es für mich fünf fantastische, unvergessliche Reisen.

Ich habe großartige Menschen kennengelernt, quirlige Suqs durchquert, an Garküchen auf der Straße und in herrlichen Restaurants gegessen, die mir atemberaubende Speisen angeboten haben, und natürlich bin ich über Basare mit ihren duftenden Gewürzstraßen gezogen, vorbei an bunt leuchtenden Kegeln und Pyramiden mit den Schätzen des Orients. Die Händler nahmen sich ausführlich Zeit, mir alles über die Wirkung ihrer Gewürze zu erzählen, und ich war beeindruckt, welche Wertschätzung und Aufmerksamkeit ihnen in den Ländern rund um das Mittelmeer entgegengebracht wird. Die Menschen dort wissen genau, was sie an Gewürzen wie Knoblauch und Ingwer, Muskatnuss und Kreuzkümmel haben.

Meine Reisen, die mich in die Welt der Gewürze führten, waren auch unglaublich inspirierende Abenteuer für meine Küche. Sie haben mich zu neuen Gewürzmischungen angeregt, die ich eigens für dieses Buch komponiert habe, und zu 150 neuen Rezepten. Ich habe versucht, orientalische Gewürze und Mischungen mit heimischen Produkten zu vermählen.

Ich möchte die Küchen des Orients und die Küchen Europas friedvoll vereinigen.

Dabei war ich selbst immer wieder von den kreativen Möglichkeiten überrascht, die wir bisher ungenutzt gelassen haben: Wenn wir die Gewürze klug mit unseren traditionellen Rezepten kombinieren, sind sie der Schlüssel zu einer grandiosen neuen Geschmackswelt. Es ist das Paradies auf Erden, da sie zugleich unserer Gesundheit helfen.

Dieses Buch ist der erste Band meiner Weltreise zu den Gewürzen. Er erzählt die Geschichte bis zum Ende des Mittelalters – bis zu jenem Moment, als die europäischen Seefahrer auf der Suche nach Pfeffer und Nelken den Weg über die Ozeane nach Indien fanden, Amerika entdeckten und die Welt dadurch radikal veränderten. Der zweite Band wird mich dann auf den Spuren der Abenteurer an noch fernere Orte führen, nach Sansibar und zur Seidenstraße, an die indische Pfefferküste und auf die Gewürzinseln in Indonesien.

Jetzt aber wünsche ich mir, dass ich Sie mit diesem Buch auf eine eigene Reise mitnehmen kann, die Sie ein wenig spüren lässt, was mich unterwegs berührte und bewegte. Und wenn Sie meine Rezepte nachkochen und zum Dessert das berauschende Gefühl bekommen, wie auf einem fliegenden Teppich selbst eine kleine Reise in die wunderbare Welt der orientalischen Gewürze unternommen zu haben, dann werde ich glücklich sein.

ICH WÜRZE, ALSO BIN ICH

Warum der Mensch ohne Gewürze nicht sein kann

Trinke einen Safrantee, und du fühlst dich fröhlich.« So lautet ein persisches Sprichwort, das uns ein fantastisches Versprechen gibt: Gewürze machen glücklich. Wer die Geheimnisse ihres Geschmacks und ihrer Wirkung kennt, führt ein besseres, zufriedeneres, fröhlicheres Leben. Das haben die Menschen schon immer gewusst und deswegen vom Anbeginn der Zeit Gewürze geschätzt, gesucht, gehandelt. Und deswegen ist es nicht tollkühn, sondern legitim, die Geschichte der Menschheit als Geschichte der Gewürze zu erzählen. Ohne sie hätte die Geschichte einen anderen Verlauf genommen. Ohne sie wäre unsere Welt heute nicht dieselbe. Wie tief die Wurzeln unseres Würzens in die Anfänge aller Zivilisation zurückreichen, zeigt das Beispiel des Kreuzkümmels, eines der ältesten Gewürze der Welt, wenn nicht das älteste überhaupt: Auf Englisch heißt er cumin, auf Spanisch comino – und in der 5000 Jahre alten Sprache Mesopotamiens kamunu.

Vermutlich verwenden die Menschen schon so lange Gewürze, solange sie kochen. Keinen Zweifel gibt es daran, dass seit den frühesten Hochkulturen eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zwischen Zivilisation und Barbarei die Beherrschung der Kochkunst war. Im alten China oder in der Antike war man stolz auf die eigene kulinarische Kultiviertheit, während man jene Völker als roh und unzivilisiert verachtete, die einfach aßen und ihr Essen nicht würzten.

Weihrauch für die Pharaonen, Zimt für die Mesopotamier

MYRRHE BESÄNFTIGT DEN ZORN DER GÖTTER

Die Gewürze der ersten Hochkulturen

Kannte der Urmensch »Ötzi« Gewürze? Verwendeten seine Zeitgenossen in der Steinzeit Kräuter, um ihre Nahrung schmackhafter zu machen? Waren also unsere frühesten Vorfahren schon Feinschmecker? Beweise gibt es dafür keine, doch viele Anhaltspunkte sprechen dafür. »Ötzi«, die Gletschermumie aus den Ötztaler Alpen, lebte vor mehr als 5000 Jahren in der Jungsteinzeit. Schon 7000 Jahre zuvor hatten die Menschen begonnen, sich in bäuerlichen Siedlungen niederzulassen. Sie entwickelten eine primitive Gesellschaft, domestizierten Tiere, bauten Getreide an und sammelten Kräuter und Gewürze. Irgendwann müssen sie angefangen haben, sie zu kultivieren. Das weiß man unter anderem deswegen, weil man bestimmte Pflanzen dort gefunden hat, wo sie natürlich nicht vorkommen.

Zu »Ötzis« Zeit gab es in Mitteleuropa Pfahlbausiedlungen, in denen verschiedene Kümmelarten, aber auch Dill und Engelswurz nachgewiesen werden konnten. Kümmel ist damit vermutlich das älteste europäische Gewürz – »Ötzi« könnte es ohne Weiteres gekannt haben. Auch in Kleinasien fanden Archäologen viele Beweise für die Nutzung von Gewürzen in dieser Zeit. In Syrien grub man ein jungsteinzeitliches Keramikgefäß mit den verkohlten Knospen von Kapern aus. Im europäischen Teil der Türkei stieß man auf einen Klumpen verkohlter Gartenkressesamen – er wog ein Kilo, und da Kresse in solchen Mengen in der Natur nicht vorkommt, kann das nur eines bedeuten: Unsere Vorfahren haben Kresse gezielt gesammelt oder sogar schon angebaut. Und den Knoblauch schätzen die Menschen ebenfalls seit ihren ersten Tagen. Sie müssen sehr früh erkannt haben, welche Wunderwirkung diese Pflanze entfaltet – sie ist antiseptisch und antibakteriell und außerdem ein wahrer Jungbrunnen. Heute weiß man, dass Menschen, die regelmäßig sehr viel Knoblauch essen, bis zu fünfzehn Jahre länger leben als die Verächter der aromatischen Zehen. Gegen einen gewaltsamen Tod wie bei »Ötzi« war natürlich auch Knoblauch machtlos.

Mesopotamiens Liebe zu Koriander und Knoblauch

Der Mann aus den Ötztaler Alpen war kein Wilder. Wäre er aber sehr weit nach Südosten gewandert, bis in das Gebiet des heutigen Irak, hätte er sich bestimmt für einen Wilden gehalten. Denn vor 5000 Jahren entwickelte sich an den Strömen Euphrat und Tigris eine Zivilisation, die eine neue Epoche in der Menschheitsgeschichte einläutete: Mesopotamien, das zunächst von den Sumerern, später von den Assyrern und schließlich von den Babyloniern beherrscht wurde. Sie gaben sich eine Religion, organisierten sich als Staatswesen, lebten in Städten statt Höhlen, trieben Handel und schufen mit den Hängenden Gärten der Semiramis eines der sieben antiken Weltwunder – eine kunstvolle, mehrstöckige Gartenanlage, die der Euphrat bewässerte. So wurde Mesopotamien, das man wegen seiner beiden großen Flüsse auch Zweistromland nennt, zur ersten Hochkultur der Geschichte. Und da die Mesopotamier als erstes Kulturvolk überhaupt eine Schrift entwickelten, haben sie die ersten schriftlich fixierten Kochrezepte der Menschheit hinterlassen. Sie stehen auf Keilschrifttafeln aus dem Jahr 1750 vor Christus, umfassen dreißig Gerichte und sind der älteste unzweifelhafte Beweis für die Verwendung von Gewürzen beim Kochen.

Aber schon um 4000 vor Christus sollen an Euphrat und Tigris die ersten Arzneipflanzen kultiviert worden sein. Das berichtet der antike griechische Naturforscher Theophrast. Keilschrifttafeln aus der Zeit um 3000 vor Christus erwähnen Knoblauch als festen Bestandteil der Nahrung und der Volksmedizin. Koriander war ebenfalls weitverbreitet. Er wurde wahrscheinlich zur Veredelung des Geschmacks benutzt, aber auch wegen seiner verdauungsfördernden Wirkung geschätzt. Dafür, dass die Mesopotamier seine magenfreundliche Wirkung kannten, spricht eine simple Tatsache: Koriander wurde oft zusammen mit schwer verdaulichen Hülsenfrüchten und Zwiebeln angebaut. Sesam wiederum mischte man in den Brotteig, um dessen Geschmack zu veredeln. Auf den Keilschrifttafeln aus dem Zweistromland werden noch viele andere Gewürze und Kräuter erwähnt, etwa Kresse, Dill, Fenchel, Majoran, Minze, Senf, Rosmarin, Safran, Thymian, Wacholderbeeren und Weinraute. Außerdem nutzte man Salz, um Fische haltbar zu machen, und würzte das Bier mit Zimt und Kassia, einer Zimtvariante, die wohl aus China kam.

Der ungeheure Hunger Mesopotamiens auf Gewürze konnte nur mit einem gut funktionierenden Fernhandel gestillt werden. Er erstreckte sich über Tausende von Kilometern hinweg, wahrscheinlich bis nach Indien, Arabien und China. Besonders intensiv muss er zwischen dem 20. und 18. Jahrhundert vor Christus gewesen sein. Dafür sprechen die vielen Handelsvorschriften in den Gesetzestexten des großen Herrschers Hammurabi. In ganz Kleinasien gab es mesopotamische Kaufmannsniederlassungen, etwa in der anatolischen Stadt Kayseri, deren Warenlisten unter anderem gefärbte Stoffe, Kleidung und Tiere aufführten – und vor allem Gewürze.

Und es unterwirft sich dir jeder Feind

Es ist verblüffend, wie allgegenwärtig Gewürze in der Kultur und auch im Alltag Mesopotamiens waren. Ihre größten Liebhaber waren die Monarchen höchstpersönlich. So werden im riesigen Palastarchiv von König Zimri-Lim aus dem 18. vorchristlichen Jahrhundert regelmäßige Lieferungen von Koriander, Kreuzkümmel, Schwarzkümmel und anderen Pflanzen für die königliche Küche erwähnt. König Merodach-Baladan wiederum erließ detaillierte Vorschriften für den Anbau von vierundsechzig Kräutern. Und in dem berühmten »Gilgamesch-Epos« aus dem 12. Jahrhundert vor Christus, einem der ersten Werke der Weltliteratur überhaupt, wird immer wieder davon gesprochen, wie gerne und reichlich die Babylonier Gewürze und Düfte verwendeten. So dankt Utnapischti, der Vater der Menschheit, den Göttern für seine Rettung nach der Sintflut, indem er Zedernholz und Myrrhe verbrennt – und es gelingt ihm tatsächlich, den Zorn der Himmelshüter dadurch zu besänftigen.

Gewürze scheinen im Zweistromland auch sonst ein probates Zaubermittel gewesen zu sein. Aus der grandiosen Bibliothek des Assurbanipal in Ninive, der größten Mesopotamiens, ist das Rezept eines assyrischen Magiers überliefert, mit dem die Kraft eines übermächtigen Feindes gebrochen werden kann: Man muss Koriander, Kümmel, Schwarzkümmel und Emmer – eine Weizenart – gründlich zerreiben, in Bier geben und schließlich die Götter um Gnade anflehen. Danach soll man den Namen seines Feindes auf eine Tafel schreiben, eine Kugel aus Ton formen, die Tafel in die Kugel drücken und sie exakt um Mitternacht in einen Fluss werfen. Und dann, so verspricht es der assyrische Zauberer, »wird sich dein Feind dir unterwerfen«.

Das süße Leben im Ägypten der Pharaonen

Das erste richtige Feinschmeckervolk der Geschichte betrat ein paar Jahrhunderte nach den Mesopotamiern die Bühne der Zivilisation: die alten Ägypter. Sie aßen gern und gut und verstanden ungeheuer viel von Gewürzen und tranken Unmengen von Bier und Wein. Die höheren Stände ließen sich dreimal am Tag zum Essen nieder, doch auch die armen Leute mussten nicht darben. Zu ihren Grundnahrungsmitteln gehörten Zwiebeln und Knoblauch, zu den Delikatessen Gazellen und Antilopen. Der antike Geschichtsschreiber Herodot berichtet, dass die Ägypter auch rohe Wachteln und andere kleine Vögel liebten und alle Arten von Fischen, außer denen, die ihnen heilig waren. Ein typisches Rezept aus der Pharaonenzeit, das entschlüsselt werden konnte, empfiehlt für einen Nil-Fisch eine Marinade aus Öl, Zwiebeln, Pfeffer, Koriander und anderen Kräutern, danach soll man ihn braten – ein Rezept, nach dem man heute noch genauso einen Fisch zubereiten könnte. Tatsächlich gibt es in der modernen ägyptischen Küche einige 4000 Jahre alte Gerichte.

Das Ägypten der Pharaonen lebt nicht nur in der Küche weiter. Es ist die erste Hochkultur, die uns mit ihren Pyramiden und Tempeln prachtvolle Zeugnisse ihrer eigenen Größe hinterlassen hat – lauter Bauwerke, mit denen die göttergleichen Herrscher verherrlicht werden sollten und die großartiger waren als alles, was die Menschheit bis dahin errichtet hatte. Man konnte es sich leisten, denn das alte Ägypten war ein gesegnetes Land, in dem man den Hunger kaum kannte und den Überfluss genoss. Der Nil war ein Garant für Fruchtbarkeit, er schenkte den Menschen so viele Aale, Karpfen, Barsche und Tigerfische, wie sie sich wünschten, und an seinen Ufern wuchs im Marschland alles, was man zum Glücklichsein brauchte – es waren nicht zuletzt Gewürze.

Pfefferkörner in der Nase der Mumie

Über die altägyptische Küche wissen wir sehr viel, weil Essen immer auch eine Grabbeigabe war. Die Ägypter glaubten daran, dass man im Jenseits genauso wie im Diesseits weiterlebt, also gaben sie den Toten das mit, was auch die Lebenden gerne hatten. Daneben beschäftigen sich viele Reliefs und Papyri mit dem Thema Essen und Kochen. Die Ägypter, das ist sicher, verwendeten, kultivierten oder importierten Anis, Kassia, Dill, Bockshornklee, Fenchel, Kapern, Kardamom, Koriander, Knoblauch, Kümmel, Ajowakümmel, Kreuzkümmel, Schwarzkümmel, Pfeffer, Minze, Mohn, Safran, Senf, Sellerie, Sesam, Thymian und Wacholder. Und sie benutzten Kräuter und Gewürze nicht nur in der Küche, sondern ebenso für die Einbalsamierung. Zimt, Myrrhe, Anis, Kreuzkümmel und süßer Majoran wurden zum Aromatisieren in die Körper gefüllt, aus denen man zuvor sämtliche Weichteile entfernt hatte. Es ist erstaunlich: Wie schon in Mesopotamien entstand auch die zweite frühe Hochkultur genau dort, wo im großen Stil Gewürze angebaut, gehandelt und benutzt wurden, sei es in der Küche, in der Medizin oder in der Kosmetik – ganz so, als seien Gewürze der beste Humus für Zivilisation.

Ein Lieblingsgewürz der Ägypter war Koriander. Ganze Schiffsladungen sollen aus anderen Mittelmeerregionen importiert worden sein. Er wurde in Bier und Wein gemischt, um diese Getränke berauschender zu machen. Koriander wurde aber auch vernünftiger verwendet, zum Beispiel bei Magenschmerzen oder als Insektizid. Genauso allgegenwärtig im Leben der alten Ägypter war Kreuzkümmel. Es ist kein Zufall, dass man im Grab Tutanchamuns neben vielen Gewürzen eine Flasche Kreuzkümmelöl fand. Wie rege der Gewürzhandel in jenen Zeiten war, beweist ebenfalls die Mumie von Pharao Ramses II. : Sie hatte Pfefferkörner in der Nase, die eindeutig von der Malabarküste im Südwesten Indiens stammten. Der Pfeffer wurde vermutlich auf dem Landweg über Iran und Palästina importiert. Auf derselben Route gelangte auch der hochbegehrte, zum Färben von Speisen verwendete Lapislazuli aus Afghanistan nach Ägypten.

Keine andere Pflanze verehrten die Ägypter so sehr wie den Knoblauch. Er galt ihnen als heilig, weil er das Universum symbolisierte. Das war den Menschen deswegen so wichtig, weil Essen für sie immer eine rituelle Vereinigung mit dem Universum bedeutete. Wenn die Pharaonen den Göttern ihre Treue und Ergebenheit gelobten, schlossen sie selbstverständlich Knoblauch und Zwiebeln in ihren Schwur ein. Die antiseptische Wirkung der Zehen kannte man natürlich ebenfalls, deswegen wurden dünne Knoblauchscheiben bei Schlangenbissen oder Skorpionstichen auf die Wunde gelegt. Sogar vom blutverdünnenden Effekt des Knoblauchs wussten die Ägypter, weswegen sie ihn bei Herzleiden verabreichten – nicht anders als die moderne Naturmedizin auch. Und Weltgeschichte hat der Knoblauch im Reich der Pharaonen außerdem geschrieben: Beim Bau der Cheops-Pyramide gehörte Knoblauch zu den Hauptnahrungsmitteln der Arbeiter – und als er einmal knapp wurde, kam es zum ersten dokumentierten Streik in der Geschichte der Menschheit.

In der Bibel hat der berühmte ägyptische Knoblauch gleichfalls seine Spuren hinterlassen: Im 4. Buch Mose steht geschrieben, dass sich die Israeliten auf ihrem Marsch durch die Wüste nach so vielen Dingen sehnten, die sie am Nil gegessen hatten. Das Wertvollste aber, das sie dort zurücklassen mussten, waren nicht der frische Fisch, nicht die Gurken oder Melonen und nicht der Lauch, sondern die herrlichen Knoblauchzehen. Diese Sehnsucht schlug sich auch im Talmud nieder: Dort heißt es, dass Knoblauch »den Körper beruhigt und beglückt, das Gesicht strahlen lässt, den Samen kräftigt und gegen Magenwürmer wirkt«.

Ein komplettes Menü als Grabbeigabe

Die armen Israeliten in der Wüste hatten allen Grund, sich in das Land ihrer Unterjochung zurückzusehnen. Denn dort wurde geschlemmt, dass es eine Freude war. In einem Grab in Saqqara, nicht weit von Kairo entfernt, hat man das komplette Menü für einen Edelmann in Ton- und Alabastergefäßen gefunden. Dem feinen Herrn, der im 3. Jahrtausend vor Christus lebte, wurden unter anderem gegrillte Wachteln, gekochte Lammlebern, eine geschmorte Taube in der Kasserolle, eine Rippe vom Rind, ein Fischeintopf, ein Brot in dekorativer Dreiecksform, dazu Feigen, Beeren, Käse und reichlich Wein und Bier ins Jenseits mitgegeben. Und dank detaillierter Malereien in anderen Gräbern ist bekannt, dass in besseren Kreisen Bankette überaus beliebt waren. Dabei kamen lauter einzelne Schüsseln und Töpfe auf den Tisch, man sprach Toasts auf Gott Hathor aus, delektierte sich am Spiel von Laute, Harfe und Trommel, applaudierte Akrobaten, ließ sich von Geschichtenerzählern unterhalten und von Tänzerinnen in Stimmung bringen, die nur mit einem Lendenschurz bekleidet waren. Ob der Spaß dann in einer Orgie endete, wie es später bei den Griechen üblich war, wird diskret verschwiegen. Weniger zurückhaltend sind die Malereien, wenn es um die Maßlosigkeit beim Trinken geht: Man sieht immer wieder Gäste, die sich übergeben und denen ein Diener dezent ein Gefäß unters Kinn hält.

Nicht nur nach solchen Missgeschicken behalfen sich die Ägypter gerne mit Parfüm. Ihr Land war bis weit in die Römerzeit im gesamten Mittelmeerraum berühmt für die Qualität seiner Duftstoffe, die natürlich als Grabbeigaben nicht fehlen durften. So entdeckte man in Tutanchamuns Totenkammer ein unversehrtes Alabastergefäß mit Geruchsölen. Glaubt man dem römischen Naturforscher Plinius, war das ägyptische Parfüm von so erlesener Qualität, dass es nach acht Jahren noch duftete wie am ersten Tag. Fast die gesamte zivilisierte Welt war damals verrückt nach dem Pharaonenparfüm, und das berühmteste war Kyphi, das auch in den Tempeln als Weihrauchmischung, bei der Einbalsamierung der Toten und beim Exorzismus von kranken Menschen verwendet wurde. Ein Papyrus, den man bei der Cheops-Pyramide gefunden hat, gibt Aufschluss über die Zusammensetzung von Kyphi: Es enthielt Myrrhe, Koriander und Wacholder neben vielen anderen Zutaten wie Zimt, Minze und Pistazien.

Kamele voller Gewürze, Häuser voller Gold

Vor 5000 Jahren schreibt ein unbekannt gebliebener Arzt aus Mesopotamien Medizingeschichte: Er ritzt Gewürzrezepturen in eine Tontafel – und verfasst damit den ältesten erhaltenen Text der menschlichen Heilkunst, der gleichzeitig der älteste eindeutige Beweis für die gezielte Verwendung von Pflanzen bei der Krankheitsbekämpfung ist. Doch das ist nicht der Anfang der Geschichte. Vermutlich benutzt der Mensch, seit er denken kann, Gewürze und andere Heilpflanzen, um gesund zu werden oder gesund zu bleiben. Als er noch in Höhlen hauste und keine Ahnung von Zivilisation hatte, wusste er schon, wie man Kräuter nicht nur in der Küche, sondern auch in der Heilkunde einsetzt. Dafür haben Archäologen 7000 Jahre alte Hinweise gefunden.

In Mesopotamien, der ersten Hochkultur, war gute Gesundheit extrem wichtig. Denn die Menschen glaubten nicht an ein Paradies im Jenseits und legten entsprechend großen Wert auf ein langes Leben im Diesseits. Dank vieler Tontafeln wissen wir, dass die Mesopotamier Pflanzen als Arzneien benutzten, die heute ausschließlich als Lebensmittel betrachtet werden: Trauben, Feigen, Granatäpfel, Knoblauch, Zwiebeln, Bohnen, Gurken, ebenso Gerste, Weizen und Hirse. Bei den Kräutern sind Fenchel, Thymian, Safran und Senf belegt. Selbst die Rose galt als bedeutende Heilpflanze.

Das medizinische Wissen der Mesopotamier war verblüffend. Sie hatten begriffen, dass Lungenentzündungen am besten mit heißen Fenchelumschlägen zu behandeln sind – eine Therapie, die in Europa bis zur Entdeckung der Antibiotika üblich war. Sie kannten die segensreichen Wirkungen des Knoblauchs, der vor Bakterien und Pilzen schützt und außerdem Alterserscheinungen wie Arterienverkalkung und Bluthochdruck bekämpft. Und sie hatten erkannt, dass die verschiedenen Minzen die Verdauung erleichtern und den Gallenfluss fördern.

Im Ägypten der Pharaonen wurde ein paar Jahrhunderte später wohl zum ersten Mal versucht, die Funktionen des Organismus, die Ursachen der Krankheiten und die Wirkungsweise der Heilmittel systematisch zu erklären. Das gesamte Denken Ägyptens war vom Nil geprägt, der Lebensader des Reichs. Deshalb bildete der Strom auch das Vorbild für die Vorstellungen des menschlichen Organismus. Gesundheit wurde als ungestörter Fluss des körpereigenen Stroms verstanden. Wenn die Versorgung durch Nahrung und die Entsorgung des Ballasts ohne Behinderung geschieht, ist der Mensch gesund. Falls nicht, muss man die Hindernisse im Körper beseitigen.

Diese medizinische Theorie ist uns in mehreren Papyri überliefert, allen voran im berühmten »Papyrus Ebers«, der wichtigsten Quelle für die altägyptische Heilkunde überhaupt. Seine Geschichte ist eine richtige Räuberpistole, eine wahre Indiana-Jones-Geschichte: Der Ägyptologe Georg Ebers, ein Altertumsforscher von unbändigem Ehrgeiz, ist 1872 auf der Jagd nach einem sagenhaften Papyrus, hinter dem auch die Engländer und Amerikaner her sind wie der Teufel. Doch der deutsche Professor ist schneller: Wie durch ein Wunder entdeckt er ihn eines Tages in einem Antiquitätengeschäft in Theben. Ebers zieht den Verkäufer über den Tisch und zahlt 350 Pfund für diesen Schatz – immer noch eine ungeheure Summe, die fünf Jahresgehältern des Professors entspricht. Doch andere hätten bestimmt das Zehnfache gezahlt. Heute wird der Papyrus wie ein Kronjuwel in der Leipziger Universitätsbibliothek verwahrt.

Der 3500 Jahre alte »Papyrus Ebers« enthält aberhunderte Rezepte gegen alle erdenklichen Krankheiten von Magen- und Darmerkrankungen über Augenleiden, Schlangenbisse und Asthma bis zu Brandwunden, Geschwüren und Leberschäden. Dass den Ägyptern nichts Menschliches fremd war, zeigen viele Mixturen, die sich mit eher lässlichen Dingen wie der Vermeidung von Haarausfall oder der Straffung der Gesichtshaut beschäftigen. Die Rezepturen wirkten nach der Vorstellung der Ägypter allerdings nur mit dem Wohlwollen der Götter – Medizin und Magie waren in den frühen Hochkulturen untrennbar, weil die Menschen zwar die Heilwirkung der Gewürze kannten, aber nicht den Grund dafür. Also konnten nur die Götter dahinterstecken, die auch für die Krankheiten verantwortlich gemacht wurden. »Wirksam ist der Zauber zusammen mit dem Heilmittel, wirksam ist das Heilmittel zusammen mit dem Zauber«, lautet das Mantra des »Papyrus Ebers«. Gegen einen einfachen Schnupfen zum Beispiel muss man beim Einnehmen der Medizin diese schaurige Beschwörungsformel aufsagen: »Du mögest ausfließen, Schnupfen, Sohn des Schnupfens, der die Knochen zerbricht, der den Schädel zerstört, der im Knochenmark hackt . . . komme heraus, zu Boden, verfaule, verfaule, viermal.«

Mit Aberglaube hatte das alles aber nur zum Teil zu tun. Denn die Ägypter wussten über die medizinische Wirkung der Pflanzen bestens Bescheid. Sie schätzten die Früchte des Johannisbrotbaums, weil sie die Blutfettwerte senken und die Fettverdauung beschleunigen. Wacholder war eines der beliebtesten Heilmittel überhaupt. Man setzte die Beeren unter anderem als harntreibendes Medikament und zur Senkung des Blutzuckerspiegels ein. Kreuzkümmel wiederum wurde verabreicht, um den Speichelfluss, die Gallensaftausscheidung und die Aktivität der Bauchspeicheldrüse zu fördern – lauter Erkenntnisse, die bis heute aktuell sind. So wird gegenwärtig diskutiert, ob man Kreuzkümmel wegen seiner positiven Wirkung auf die Bauchspeicheldrüse und Wacholder wegen seines erstaunlichen Effekts auf den Blutzucker als Präventionsmittel gegen Diabetes einsetzen kann. Doch wir sollten uns noch eine ganz andere Frage stellen: Vielleicht hat die erschreckende Karriere des Altersdiabetes als Volkskrankheit auch damit zu tun, dass wir Gewürzen wie Kreuzkümmel und Wacholder viel zu wenig Aufmerksamkeit in unserer Ernährung schenken.

Ist es wirklich hier geschehen? Bin ich tatsächlich an jenem Ort, an jener Stelle, die mir aus dem Religionsunterricht noch so vertraut ist und mir immer einen kalten Schauer über den Rücken jagte? Ich kann es gar nicht glauben und schaue meine Begleiter fragend an. Doch sie nicken nur und sagen: »Genau hier ist es gewesen.« Hier floh der Apostel Paulus, nachdem er nicht mehr Saulus sein wollte, in einem großen Weidenkorb über die Stadtmauer von Damaskus, um seinen Häschern zu entkommen. Und ganz in der Nähe soll auch der Ort sein, an dem Kain seinen Bruder Abel erschlug.

Ich bin in der ältesten durchgängig besiedelten Stadt der Welt. Das lerne ich mit ehrfürchtigem Staunen von meinen Begleitern. Seit 5000 Jahren leben ununterbrochen Menschen in der syrischen Hauptstadt, und bei der Aufzählung all der Völker, denen das Gebiet des heutigen Syrien Heimat war, wird mir ganz schwindelig: Sumerer, Akkader, Amoriter, Hethiter, Babylonier, Assyrer, Aramäer, Perser, Griechen, Römer, Byzantiner, Omayyaden, Abbasiden, Fatimiden, Ayyubiden, Mamelukken, Osmanen – sie alle haben hier ihre Spuren hinterlassen und Damaskus im Laufe der Jahrtausende zu einer weltoffenen, toleranten Stadt werden lassen. Heute ist sie der Inbegriff des Morgenlands und ein Ort, an dem Christen und Muslime ganz selbstverständlich friedlich zusammenleben.

Die Altstadt kommt mir vor wie die Kulisse für »Tausendundeine Nacht«. Hier schlägt nicht nur, hier pocht das Herz des Orients – Berge von Gewürzen lagern in Karawansereien, Händler feilschen mit Hausfrauen, und Laufburschen rumpeln mit voll beladenen Handkarren über das holprige Pflaster enger Gassen.

Hier stehen Moscheen und Kirchen seit Jahrhunderten Seite an Seite, und hier liegt der große Sultan Saladin begraben, Sinnbild des edlen orientalischen Herrschers, der strahlendste Held des Morgenlands – keinen Steinwurf entfernt von jenem Sarkophag, der den Kopf von Johannes dem Täufer enthalten soll. Und in Damaskus spürt man bis zum heutigen Tag, dass sich in der Stadt zwei uralte Handelsrouten kreuzten: die Seidenstraße von Ost nach West und die Weihrauchstraße von Süd nach Nord. Während auf der Seidenstraße neben Stoffen vor allem Gewürze, Pelze, Keramik, Jade, Bronze und Eisen aus China und Südostasien den Nahen Osten erreichten, kam auf der Weihrauchstraße das begehrte Harz aus dem heutigen Oman über die Arabische Halbinsel und Jordanien nach Gaza und Damaskus.

Auf Seide, Weihrauch und Gewürze stoße ich bei meinem Streifzug durch die Altstadt, die bis heute in verschiedene Suqs aufgeteilt ist, schattige Gassen, in denen jeweils ähnliche Produkte verkauft werden. Auf den Ehrenplätzen direkt an der prächtigen Omayyaden-Moschee, der ältesten Moschee der Stadt, drängen sich die Suqs mit Stoffen, Gold und Gewürzen, weil diese Waren schon immer als besonders wertvoll galten. Hier finde ich die älteste Naturheilmittelapotheke von Damaskus, in der ich von den Gewürzapothekern über die luststeigernde Wirkung von Nelken, Zimt und Ingwer aufgeklärt werde. Und einige Ecken weiter wartet schon der Stoffhändler Hassahn Zahabi auf mich, der mir die wunderbaren floralen Muster der als Damast bekannt gewordenen Damaszener Seidenstoffe erklärt.

Die Befreiung des Menschen aus den Klauen der Götter und Dämonen begann vor 2500 Jahren. Damals fingen die Philosophen der griechischen Antike an, die alles entscheidenden Fragen zu stellen: nach dem Ursprung der Welt, nach den Ursachen für das Werden und Vergehen der Dinge und Menschen. Vor allem aber suchten revolutionäre Denker wie Thales von Milet oder Heraklit ihre Antworten nicht mehr in der Magie und Mystik, sondern in der Naturwissenschaft. Das hatte fundamentale Konsequenzen für die Heilkunde: Sie wurde zur wissenschaftlich begründeten Medizin. Die griechischen Ärzte waren die Ersten, die nach den natürlichen Ursachen für Gesundheit und Krankheit forschten. Götterbeschwörungen und Reinigungszeremonien wurden jetzt überflüssig. Denn man hatte begriffen, dass Krankheiten nicht von zürnenden Gottheiten oder Dämonen als Strafe verhängt wurden, sondern auf organischen Ursachen beruhten, die vom Menschen allein beseitigt werden konnten. Der Mensch hatte sein Schicksal also selbst in der Hand. Er war endlich frei.

Ohne Gewürze ist die antike Medizin undenkbar. Denn sie sorgen dafür, dass im Körper Harmonie herrscht. Und genau das, die körperliche Harmonie, ist der Schlüssel zu allem, das Grundkonzept der Heillehre im Altertum. Als Erster formulierte es der Grieche Alkmaion von Kroton. Er lebte etwa von 500 bis 420 vor Christus, ist einer der ersten Ärzte der Weltgeschichte, deren Namen wir kennen, und definierte Gesundheit als Zustand physischer Ausgeglichenheit. Krankheit ist im Umkehrschluss also nichts anderes als eine Unausgeglichenheit. Die entscheidenden Faktoren für Harmonie und Disharmonie sind nach Alkmaion die sogenannten Primärqualitäten, die beiden Gegensatzpaare warm–kalt und feucht–trocken. Sie sollen sich möglichst immer im Gleichgewicht befinden.

Hippokrates, der berühmteste Arzt der Antike, entwickelte die Ideen des Alkmaion weiter. Er lehrte im späten 5. und frühen 4. Jahrhundert auf der Insel Kos, ist der Verfasser des berühmten hippokratischen Ärzteeids und wurde zum Vater der sogenannten Viersäftelehre. Der Mensch hat nach der Definition von Hippokrates und seinen Schülern vier Körpersäfte – Blut, Schleim, gelbe Galle, schwarze Galle –, die mit vier Elementen und vier Organen korrespondieren. Wenn die vier Säfte im Gleichgewicht sind, ist man gesund. Sind die Körpersäfte nicht mehr ausgewogen, versucht man, sie mithilfe von Medizin, also Gewürzen und Kräutern, wieder zu harmonisieren. Dabei trennten die Griechen – ganz im Gegensatz zu unseren modernen Gesellschaften – Medizin und Ernährung nicht. Das wäre für sie ein absurder Gedanken gewesen. Stattdessen verknüpften sie selbstverständlich beides. Hippokrates sagte es so einfach wie einleuchtend: »Dein Arzneimittel sei dein Lebensmittel, und dein Lebensmittel dein Arzneimittel.«

So weit die Theorie. Ein wichtiger Schritt für die praktische Anwendung fehlte aber noch – und kein Geringerer als Aristoteles vollzog ihn: Er erhob im 4. Jahrhundert vor Christus die Botanik in den Rang einer Wissenschaft und bereitete damit der systematischen Beschäftigung mit der Heilwirkung von Kräutern und Gewürzen den Weg. Sein Schüler Theophrast von Eresos übernahm von ihm die Leitung der legendären Athener Philosophenschule, beschrieb in seinem Hauptwerk »Die Geschichte der Pflanzen« deren heilende Wirkung und wurde damit zum Begründer der Botanik. Das dadurch gewonnene Wissen war unverzichtbar für die gesamte antike Ärzteschaft.

Die Lehre der vier Säfte sollte 2000 Jahre lang die Medizin und das wissenschaftliche Denken in Europa bestimmen. Einen wesentlichen Anteil daran hatte Dioskurides, einer der einflussreichsten Ärzte der Antike. Er verfasste im 1. Jahrhundert nach Christus mit seiner »De materia medica« ein epochales Werk, das für die nächsten anderthalb Jahrtausende das wichtigste Gewürz- und Kräuterbuch des ganzen Abendlands und Vorderen Orients sein sollte. 800 pflanzliche, 100 mineralische und 100 tierische Heilmittel beschrieb der griechische Arzt – und legte mit ihnen den Grundstein für eine systematische Therapie mit Kräutern und Gewürzen.

Dioskurides wusste wahrscheinlich mehr über die heilende Wirkung von Gewürzen und Kräutern als je ein Mensch vor ihm. Dass Bockshornklee bei Diabetes hilft, war ihm bekannt – und neuere Forschungen haben ihn zwei Jahrtausende später bestätigt. Dem Basilikum schreibt er völlig zu Recht reinigende sowie eine blähungs- und harntreibende Kraft zu. Und auch die Geheimnisse des Pfeffers, der in der »Materia medica« ausführlich behandelt wird, blieben ihm nicht verborgen, wobei er genau zwischen langem, weißem und schwarzem Pfeffer unterscheidet. Am besten zum Würzen der Speisen geeignet ist für ihn der schwarze Pfeffer, weil er süßer und schärfer, dem Magen bekömmlicher und viel würziger als der weiße Pfeffer ist. Alle Pfeffersorten haben eine erwärmende, harntreibende Wirkung, regen die Verdauung an und lösen schädliche Säfte auf. Sie fördern den Speichelfluss, die Produktion von Magensaft und die Ausscheidung der Gallenflüssigkeit. Pfeffer wird überdies als probates Mittel gegen Husten und andere Brustleiden gelobt. Tatsächlich ist heute wissenschaftlich belegt, dass er vor Erkrankungen der Atemwege schützt. Schwarzer Pfeffer beeinflusst dank seiner ätherischen Öle außerdem die Entgiftungskapazität der Leber positiv.

Genauso wichtig wie der Pfeffer war für die antiken Ärzte die aus Indien importierte Ingwerwurzel. Dioskurides befindet, dass sie als Ingredienz für fast alle Speisen ganz besonders geeignet sei. Sie habe eine erwärmende Wirkung, fördere die Verdauung und sei insgesamt gut für den Magen. Das alles ist inzwischen ebenfalls bewiesen: Ingwer steigert die Aktivität verschiedener Verdauungsenzyme. Der Scharfstoff Gingerol bekämpft zudem nicht nur Entzündungen und Ödeme, sondern ist auch stark choleretisch, das heißt, er regt besonders die Galle an. Außerdem beeinflusst Ingwer die Blutfettwerte positiv und verhindert den übermäßigen Anstieg unter anderen von Cholesterol und Triacylglycerolen selbst bei ungünstiger Ernährung. In hohen Dosen beugt er Arteriosklerose vor. In Tierversuchen hat sich sogar gezeigt, dass Ingwer vor Krebs schützen kann. Und in klinischen Studien konnte eine Besserung bei rheumatischen Beschwerden nachgewiesen werden.

Dioskurides war aber nicht nur ein großer Arzt, sondern muss ein ebenso großer Feinschmecker gewesen sein. Denn er beschreibt mit großem Enthusiasmus viele Gewürze, die sowohl in der Heilkunde also auch in der Küche verwendet werden können. Die wichtigsten sind für ihn Anis, Bertramwurzel, Koriander, Zimt, Ingwer, Safran, Myrrhe, Pfeffer, Süßholz, Sesam, Kardamom und Schwarzkümmel.

Das Fundament legte Dioskurides, doch das Haus sollte ein anderer bauen: Galen von Pergamon, der bedeutendste Mediziner der Antike neben Hippokrates. Galen lebte im 2. Jahrhundert nach Christus, war Gladiatorenarzt, medizinischer Berater verschiedener Kaiser und Begründer eines völlig neuen Verständnisses von Gesundheit, das die Lehre der vier Körpersäfte weiterentwickelte. Kein Mensch, so seine Kernthese, ist vollkommen gesund, sondern nur mehr oder weniger krank. Der Normalzustand ist also, dass wir immer auf unsere Gesundheit achten und uns um sie kümmern müssen. Es gilt, durch eine Harmonisierung der Körpersäfte im Sinne des Hippokrates einen möglichst guten gesundheitlichen Zustand zu erreichen – »einen Zustand, in dem wir weder Schmerzen leiden noch im Gebrauch der Lebenskräfte behindert sind«. Es geht also um nichts anderes als präventive Medizin. Der Arzt soll nicht erst dann kommen, wenn es zu spät ist, sondern eben dafür sorgen, dass er gar nicht kommen muss.

Und dann macht Galen von Pergamon den alles entscheidenden, alles verändernden Schritt: Er verknüpft in seiner Schrift »Die Kräfte der Nahrungsmittel« die Viersäftelehre des Hippokrates mit den Primärqualitäten des Alkmaion. Galen bildet aus diesen und den Körpersäften, den vier Elementen und den vier wichtigsten Organen Korrespondenzen: warm–feucht/Luft/Blut/Herz; warm–trocken/Feuer/gelbe Galle/Leber; kalt–trocken/Erde/schwarze Galle/Milz; kalt–feucht/Wasser/Schleim/Gehirn. Dadurch erkennt er, welche Krankheiten welche Ursachen haben. Und er kann sie entsprechend mit Gewürzen und Kräutern bekämpfen, denen er ihrerseits Qualitäten wie warm oder feucht zuordnet. Krankheiten mit kalten und feuchten Ursachen können also mit warmen und trockenen Mitteln geheilt werden. Bei Schnupfen zum Beispiel sammelt sich zu viel Schleim im Gehirn, was zu einer Dominanz von kalt–feucht führt. Abhilfe schaffen hier warme und trockene Würzmittel wie Fenchel, Salbei, Thymian, Sellerie und Wermut. Bei Verdauungsstörungen wird die Harmonie des Körpers durch zu viel Kälte im Magen aus dem Gleichgewicht gebracht, also muss man warmen Dill oder Liebstöckel nehmen. Stellenweise lesen sich Galens Anweisungen wie Koch- und nicht wie Arztrezepte: »Trockene« Speisen soll man mit Anis und Fenchel anreichern, damit sie harmonischer und bekömmlicher werden. Und zu Geflügel, Ziege und Ferkel empfiehlt er aus Gründen der medizinischen Prävention Pfeffer, Senf, Ölrauke und die Fischsauce Garum.

Unfassbar aufwendig sind seine Gewürzmischungen. Sie beweisen, dass den Griechen und Römern so gut wie alle zur damaligen Zeit bekannten Gewürze zur Verfügung standen. Galen empfiehlt zum Beispiel ein Gewürzsalz als appetitanregendes Verdauungsmittel – und behauptet ein wenig kühn, es erzeuge einen derart großen Hunger, dass man danach einen ganzen Ochsen verschlingen könne. Das Salz soll bei schlechter Verdauung wegen der Kälte des Unterleibs hilfreich sein und enthält einen ganzen Gewürzbasar: ein Pfund Pfeffer, drei Unzen Petersilie, drei Unzen Katzenminze, drei Unzen getrocknetes Flohkraut, drei Unzen Liebstöckel, eine Unze Baldrian, eine Unze Selleriefrüchte, zwei Unzen Bergkümmel, ein Pfund Salz und zwei Unzen geröstetes zerkleinertes Brot, alles fein zerstoßen und als Streugewürz zu verwenden.

Wissenschaftlich ist diese Salzmischung vollkommen plausibel. Allein die ätherischen Öle von Pfeffer, Petersilie, Minze, Liebstöckel, Baldrian, Selleriefrüchten und Bergkümmel sowie die scharf schmeckenden Säureamide des Pfeffers, die Cumarine der Petersilie sowie der Selleriefrüchte und die Labiatengerbstoffe der Minzen stellen eine stark appetitanregende und verdauungsfördernde Wirkung sicher. Die Sekretion von Speichel, Magensaft und Galle wird nahezu von allen Ingredienzen begünstigt, zudem wird die Kontraktion des Darms stimuliert. Und außerdem sorgen Pfeffer und Salz für einen guten konservierenden Effekt und damit für einen Schutz vor verdorbenen Speisen.

Ein anderes Gewürzheilmittel von Galen enthält sehr viel Safran – insgesamt sechzig Gramm, die heute mehrere Hundert Euro kosten würden. Dazu kommen Röhrenkassie, Balsamholz, Zimt, Indische Narde – ein Baldriangewächs – und Mastix, ein wohlschmeckendes Harz. Als Abführmittel werden zum Schluss noch anderthalb Pfund Aloepulver untergemischt. Hier handelt es sich um ein sehr fein dosiertes, überaus sinnvoll zusammengestelltes Mittel. Die Röhrenkassie hat eine sanft abführende Wirkung, die Rinde des Balsambaums einen konservierenden Effekt, ebenso wie die Indische Narde, die zudem leicht beruhigende Eigenschaften besitzt. Zimt fördert nicht nur die Verdauung, sondern ist auch entzündungshemmend und schmerzlindernd, senkt den Blutzucker- und Blutfettspiegel und wird bei Erkältungskrankheiten eingesetzt. Von entscheidender Bedeutung ist hier jedoch der Safran, der aufgrund seines ätherischen Öls und der Bitterstoffe den Appetit anregt und die Verdauung stimuliert. Doch nicht nur das: In Tierversuchen hat sich gezeigt, dass Safran in sehr hoher Dosierung gegen Tumore wirksam ist. Außerdem können Safranextrakte bei starkem Alkoholgenuss für einen klaren Kopf sorgen.

Galen von Pergamon hat die Medizin revolutioniert. Sein Wort sollte anderthalb Jahrtausende lang Gesetz sein. Die Medizin hat seit seiner Zeit gewaltige Fortschritte gemacht. Der menschliche Körper aber ist gleich geblieben. Und Galen von Pergamon hat noch immer recht.

Wenn es eine Traumstadt des Orients gibt, einen Ort, an dem unsere geheimsten Wünsche vom Morgenland wahr werden, ohne dass wir uns vor Albträumen fürchten müssen, dann kann es nur einer sein: Marrakesch. Nirgendwo sonst kann man sich leichter vom Zauber Arabiens betören lassen, ohne auf europäischen Komfort verzichten zu müssen, als in der alten marokkanischen Königsstadt am Fuß des Hohen Atlas. Ihr Name hat seit tausend Jahren einen magischen Klang, eine sehnsüchtige Schwingung, etwas Verführerisches, Verlockendes, dem auch ich mich nicht entziehen kann. Seit ich weiß, dass ich auf meiner Reise in die Welt der Gewürze nach Marrakesch fahren werde, spukt die Stadt in meinem Kopf herum. Und ich bin bei Weitem nicht der Erste, der ihrem Sirenenruf erliegt. Sie hat schon immer Maler und Schriftsteller, Millionäre und Lebenskünstler in ihren Bann gezogen. Alfred Hitchcock hat hier gedreht, Josephine Baker getanzt, Truman Capote geflirtet. Die Beatles und die Rolling Stones haben in Marrakesch ihr Bewusstsein erweitert, Angelina Jolie und Penélope Cruz die Suqs leer gekauft und hochsensible Mimosenwesen wie der Modeschöpfer Yves Saint-Laurent alte Paläste in luxuriöse Anwesen umgewandelt, um sich im schweren Duft von Marrakesch ihrer Melancholie hinzugeben. Ich aber suche hier ein viel einfacheres, doch genauso berauschendes Glück: Ich suche Gewürze für meine Küche und meine Fantasie.

HUNDERTTAUSEND NACHTIGALLENZUNGEN

Das Römische Reich und die Lust an der Dekadenz

Das römische Imperium war ein Glücksfall der Geschichte. Fast ein halbes Jahrtausend lang, etwa von Christi Geburt bis zum Untergang Roms im 5. Jahrhundert, herrschten von Galiläa bis Britannien, von der Iberischen Halbinsel bis zum Schwarzen Meer, von der Libyschen Wüste bis zum Limes in Germanien Frieden und Wohlstand, und das Dasein war – zumindest für die freien Bürger – so angenehm wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Die Barbaren wurden zivilisiert, der römische Lebensstandard wurde zum Maß aller Dinge, und die halbe Welt sprach nun Latein. Rom war der Mittelpunkt des Abendlands, eine Millionenstadt, die sogar eine Berufsfeuerwehr besaß und einen Circus Maximus, in dem 250 000 Menschen die Wagenrennen verfolgen konnten. Die Römer bauten überall luxuriöse Badeanstalten, legten ein Abertausende Kilometer langes Straßennetz an, machten ganze Landstriche urbar und verbreiteten den Weinbau in halb Europa. Vor allem aber in der Kunst des Kochens und der Meisterschaft des Würzens erreichte man ein fabelhaftes Raffinement – wieder gingen Zivilisation, Kultiviertheit und Gewürze quasi Hand in Hand durch die Geschichte.

Die Römer waren ein Volk mit tausend Talenten. Niemand übertraf sie als Baumeister, Ingenieure, Militärstrategen, Kaufleute, Köche. Nur für eine Profession hatten sie offenbar nicht die geringste Begabung: für den Beruf des Arztes. Und so waren sie klug genug, sich erst gar nicht auf dem Feld der Medizin zu versuchen, sondern überließen es den Griechen, die seit Hippokrates die besten Ärzte der Antike hervorgebracht hatten. Die Griechen, allen voran Dioskurides und Galen von Pergamon, bedankten sich auf ihre Art für so viel Vertrauen: Sie sorgten dafür, dass die antike Heilkunst im Römischen Reich ihren absoluten Höhepunkt erreichte.

Danach sah es zunächst nicht aus. Als die Römer noch nicht die halbe Welt beherrschten, sondern als brave Bauern am Tiber lebten, praktizierten sie eine einfältige Volksmedizin, deren beliebteste Heilpflanze der Kohl war. Der große Feldherr und Staatsmann Marcus Cato, der auch einen kleinen medizinischen Ratgeber verfasste, pries den Kohl als Haus- und Allheilmittel bei chronischen Wunden, Fisteln, Verrenkungen und Gicht. Kohl besitzt tatsächlich Wirkstoffe, die keine andere Pflanze in sich trägt: die Glucosinolate, die eine schützende Wirkung auf Magen, Leber und Lunge haben. Die Legionäre hatten immer Unmengen von Kohl auf ihren Feldzügen dabei, weil sie ihn nicht nur als Notration, sondern auch als Verbandsmaterial nutzten. Marcus Cato behauptete deshalb, das römische Imperium sei mit der Kraft des Kohls errichtet worden. Knoblauch war den Truppen allerdings genauso wichtig. Er sollte die Kampfeswut der Soldaten stärken, böse Geister vertreiben und Feinde in die Flucht schlagen. Dass er außerdem eine antiseptische Wirkung hatte und vor Magen-Darm-Erkrankungen schützte, war natürlich ein willkommener Nebeneffekt.