Meine schönsten Weihnachtsgeschichten -  - E-Book

Meine schönsten Weihnachtsgeschichten E-Book

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Beschreibung

Endlich wieder Weihnachten. Und endlich wieder Zeit für Geschichten und Gedichte zum schönsten Fest des Jahres. Siegfried Rauch, der Kapitän des ZDF-Traumschiffs, versammelt seine liebsten Weihnachtserzählungen und besinnlichsten Gedichte zum Fest. Von Stille und Kerzenschein wird darin erzählt, von bezaubernden Düften und geheimnisvollen Kindheitserinnerungen. Das ideale Geschenk zum Fest.

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Seitenzahl: 150

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Siegfried Rauch

Meine schönsten Weihnachtsgeschichten

Impressum

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011Alle Rechte vorbehaltenwww.herder.de

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital - die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

ISBN (E-Book) 978-3-451-33852-6ISBN (Buch) 978-3-451-30498-9

Inhaltsübersicht

Vorwort

Siegfried Rauch

Der goldene Schlüssel

Jacob und Wilhelm Grimm

1. KAPITEL VOM WARTEN AUF DAS FEST

Advent

Karl Heinrich Waggerl

Der Grashofer macht sich eine Weihnachtsfreude

J.M.Lutz

Die stillste Zeit im Jahr

Karl Heinrich Waggerl

Marzipankartoffeln

Eva Markert

Qualvolle Stunden

Karl Heinrich Waggerl

Der Tannenbaum

Hans Christian Andersen

Morgenarbeit

Karl Heinrich Waggerl

2. KAPITEL VON HEILIGEN FAMILIEN

Das gestohlene Christkind

Weihnachtschronik

Francis Jammes

Waldwanderung zur Weihnacht

Adalbert Stifter

Die Weihnachtskrippe

Karl Heinrich Waggerl

Der Elch – Ein schwedisches Wunder

Worüber das Christkind lächeln musste

Karl Heinrich Waggerl

Weihnacht

Klabund

3. KAPITEL VON WUNDERBAREN WESEN

Die Weihnachtsfee

Nessi Dominkus

Die Geschichte vom Christkind-Vogel

Luise Büchner

Weihnachten auf Grönland

Antonia Stahn

Knecht Ruprecht

Weihnachtswunder

Sabine Liefke

Vom Christkind und den Engeln

Ali Mitgutsch

Engel

Hilde Roth

Die Spur im Schnee

Petr Chudozilov

Das Mädchen und der Engel

Jörg Schubiger

4. KAPITEL VOM WEIHNACHTSFEST

Weihnachtsbrauch

Karl Heinrich Waggerl

Das Geschenk der Weisen

O.Henry

Weihnachten am Fenster

Karl Heinrich Waggerl

Die Weihnachtsmaus

James Krüss

Familienfest

Karl Heinrich Waggerl

De ander Weihnacht

Elisabeth Pollstädter

25. Dezember

Tanja Müller

Weihnachten

Joseph von Eichendorff

Nuss oder Nuss

Jürgen Spohn

Der letzte Traum der alten Eiche

Hans Christian Andersen

Quellenangaben

Dankeschön

|9|Vorwort

VON SIEGFRIED RAUCH

Weihnachten hatte ich während meiner ersten 25Lebensjahre immer im Familienkreis verbracht. Mein Bruder Hermann wollte nicht verstehen, dass diese Regel plötzlich durchbrochen werden sollte. „Es lässt sich nicht ändern“, sagte ich. Wir unterhielten uns per Telefon, er im oberbayerischen Hagen bei Murnau, ich in Bremen. „Weihnachten sind zwei Vorstellungen.“ Ich spielte den bösen Fliegenpilz in einem Märchen und konnte ebenso wenig schwänzen, als wäre es die Titelrolle in „Don Carlos“ gewesen. „Du kommst nach Hause!“, sagte Hermann. „Ich weiß noch nicht wie, aber irgendwie krieg ich es hin.“ „Gib es auf! Völlig ausgeschlossen, mich Weihnachten hier loszueisen.“ Hermann rief – ohne meinWissen – den Intendanten an. Natürlich hatte er keinen Erfolg. Da telefonierte er mit Siebert, dem Regisseur desMärchenstücks. Er muss ihm furchtbar zugesetzt haben. Siebert kam mit hochrotem Kopf zu mir: „Ihr Bruder! Hat er noch alle Tassen im Schrank?“ „Wieso?“ „Der wollte, dass ich ihre Rolle übernehme,damit sie Weihnachten nach Hause können!“ „Tut mir leid, ich hab damit nichts zu tun. Vergessen Sie es“. „Leicht gesagt“, schnaubte er. „Ich hab mich überreden lassen.“ Offenbar tat ihm das schon wieder leid. Aber er war Hermann im Wort und stand dazu. Um die Rolle des Fliegenpilzes einnehmen |10|zu können, musste Siebert glücklicherweise nicht viel lernen, und als Regisseur hatte er schließlich auch die genaueste Vorstellung, wie er sie zu seiner eigenen Zufriedenheit zu interpretieren hatte. Trotzdem drohte die ganze Vereinbarung im letzten Augenblick zu platzen. Wortwörtlich! Denn Siebert kam nicht ins Kostüm. Es war zu eng. Ich machte mich klammheimlich davon und holte das Flugticket ab, das mein fürsorglicher Bruder längst hatte reservieren lassen. Ganz wohl war mir nicht bei dem Gedanken an die künftige Zusammenarbeit mit Siebert. Aber auch daran hatte Hermann gedacht. Der Regisseur erhielt ein dickes Paket mit modischen Pullis für sich und seine kleine Freundin. Er war glücklich. Ich war erleichtert.

Weihnachten bei uns zu Haus: Dazu gehörten immer auch festliche Mahlzeiten. Doch spätestens am zweiten Feiertag brachte meine Mutter etwas Leichtes auf den Tisch, das pikant genug war, unseren Appetit wieder zu wecken und den von Gans oder Ente und all den Süßigkeiten malträtierten Magen nicht noch mehr zu belasten. Auch möglichst geringer Arbeitsaufwand spielte immer eine Rolle, und das fand ich sehr vernünftig.

Weihnachten, das bedeutete für mich immer, zu Hause bei der Familie zu sein. Begonnen an Heiligabend und geendet am Dreikönigstag. An Weihnachten war unser Wohnzimmer immer geheizt, das war Luxus. Wir legten keinen Wert auf Geld, das wir ohnehin nicht hatten. Wir schenkten uns selbstgebastelte, gestrickte, gemalte oder ausgesägte Geschenke.

Auch heute noch feiern wir im Kreise meiner Familie Weihnachten. Meine beiden Söhne sind mittlerweile erwachsen und haben eine eigene Familie, aber an Weihnachten kommen |11|wir alle bei uns in Oberbayern zusammen. Am 23.Dezember gehe ich immer in meinen eigenen Wald und schlage eine Fichte. Sie muss nicht besonders schön sein, das ist egal. Meine Frau Karin schmückt dann am Vormittag des Heiligen Abends den Weihnachtsbaum gemeinsam mit unserem Sohn Jakob. Unser anderer Sohn Benedikt wollte schon als Kind erst an Heiligabend den geschmückten Baum bewundern. Das ist auch heute noch so. Der Weihnachtsbaum wird stets mit roten Kugeln, roten Schleifen, Strohsternen, ausgesägten Holzengeln und Sternen, jeweils mit grünen Fäden, geschmückt. Außerdem brennen an unserem Weihnachtsbaum immer echte Bienenwachskerzen. Weihnachten im Kreise der Familie mit unseren lieben Enkelkindern feiern, nichts kann schöner sein.

Mein Vater hat mir erzählt, dass es, als er in Russland an der Front kämpfte, an Weihnachten immer ein ungeschriebenes Gesetz gab: Waffenruhe. Die musste nicht angeordnet werden. Auch heute wünsche ich mir mehr Frieden und Gerechtigkeit auf Erden, dass der Mensch und die Familie mehr im Mittelpunkt stehen, der Wert jedes Einzelnen geachtet und geschätzt wird und wir unsere Erde so behandeln, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder sie noch genießen können.

Zu Weihnachten gehört für mich aber auch meine regelmäßig im Dezember stattfindende Veranstaltungsreihe mit der „Bergweihnacht“. Ein schöner Ausgleich zum Filmgeschäft, denn hier begegne ich dem Menschen direkt, und es macht mir großen Spaß. Vielleicht sehen wir uns ja mal bei der einen oder anderen Veranstaltung. Es würde mich auf jeden Fall sehr freuen!

|12|Ich wünsche Ihnen und uns allen ein friedvolles, besinnliches und wunderschönes Weihnachtsfest im Kreise Ihrer Lieben. Nutzen Sie die Zeit der Stille, um in sich zu gehen, zur Ruhe zu kommen und zu versuchen herauszufinden, was das Wesentliche für einen selbst im Leben ist.

Alles erdenklich Gute und frohe Weihnachten!

Ihr Siegfried Rauch

|13|JACOB UND WILHELM GRIMM

Der goldene Schlüssel

Zur Winterszeit, als einmal ein tiefer Schnee lag, musste ein armer Junge hinausgehen und Holz auf einem Schlitten holen. Wie er es nun zusammengesucht und aufgeladen hatte, wollte er, weil er so erfroren war, noch nicht nach Haus gehen, sondern erst Feuer anmachen und sich ein bisschen wärmen. Da scharrte er den Schnee weg, und wie er so den Erdboden aufräumte, fand er einen kleinen goldenen Schlüssel. Nun glaubte er, wo der Schlüssel wäre, müsste auch das Schloss dazu sein, grub in der Erde und fand ein eisernes Kästchen. „Wenn der Schlüssel nur passt!“, dachte er, „es sind gewiss kostbare Sachen in dem Kästchen.“ Er suchte, aber es war kein Schlüsselloch da, endlich entdeckte er eins, aber so klein, dass man es kaum sehen konnte. Er probierte, und der Schlüssel passte glücklich. Da drehte er einmal herum, und nun müssen wir warten, bis er vollends aufgeschlossen und den Deckel aufgemacht hat: dann werden wir erfahren, was für wunderbare Sachen in dem Kästchen lagen.

|15|1.KAPITEL

VOM WARTEN AUF DAS FEST

|17|KARL HEINRICH WAGGERL

Advent

Advent, das ist die Zeit, in der das Jahr zu verwelken scheint, sogar die Sonne wird müder von Tag zu Tag. Im Sommer schwang sie sich von der Zinne des Berges weg über den ganzen Himmel und jetzt ist sie eine alte Frau. Sie geht nur noch ein wenig am Rand der Welt entlang. Gleich sinkt sie wieder in den Wald zurück. Das Herz wird einem schwer, weil der Sommer so flüchtig ist bei uns in den Bergen, verschwenderisch, ja stürmischer als anderswo, aber so kurz. Und dann geschieht es doch einmal, dass der verhangene Himmel in den Adventsnächten aufbricht, und ein glänzendes Gestirn tritt hervor, der Stern der Verheißung. Denn immer noch ist Maria unterwegs mit dem Zimmermann auf der Suche nach einer Heimstatt für das Kind. Und das kalte Herz der Mitmenschen treibt sie umher auf der Flucht vor dem Hochmut der Mächtigen. Das ist die Mahnung des Advents. Seht euch vor, dass ihr nicht an die Stelle des Wirtes geratet, der das Heil seiner Seele von der Tür gewiesen hat.

|18|JOSEPH MARIA LUTZ

Der Grashofer macht sich eine Weihnachtsfreude

Die Geschichte fängt damit an, dass ich auf einem Spaziergang in der Dachauer Gegend, so gegen Weihnachten zu, wieder einmal den Einödbauern vom Grashof traf. Der Grashofer und ich, wir kennen uns nun schon eine recht nette Reihe von Jahren, und so gingen wir auch diesmal ein Stück Weg miteinander. „Bist aa wieder amol auf ’n Land heraus’n?“, eröffnete der Bauer die Unterhaltung.

Und nun redeten wir vom Wetter, von den schlechten Zeiten, und was man halt so redet miteinander, und der Grashofer erzählte mir auch wieder, was er stets tat, wenn wir uns trafen, was in der Zwischenzeit sein Nachbar und natürlich Feind, der Moosbichler, ihm wieder alles für Gemeinheiten angetan hatte. Plötzlich aber unterbrach er diese Erzählung, blieb vor mir stehen und fragte:

„Hast nacha scho an Christbaum?“

„Nein, warum?“, antwortete ich.

„Weilst vo mir halt oan ham kunnt’st.“

„So, und der Preis?“, forschte ich.

Da strahlte er und sagte:

„Fallst morg’n zu mir rauskommst und schlagst dir’n selber, kost er di gar nix – weilst as du bist!“

Überrascht und erfreut ging ich natürlich auf das freundliche Angebot ein. – Mit zwei dicken Fäustlingen bewaffnet, |19|denn es war bitter kalt, und beim Christbaumtragen friert man sowieso leicht an den Händen, machte ich mich am nächsten Tag auf den Weg zum Grashof.

„Bist da!“, begrüßte mich der Bauer freundlich, „nacha pack ma dö G’schichte glei oo – d’ Axt nimm i mit.“

So machten wir uns also auf den Weg in den nahen Wald. Schon am Rande des ersten Jungholz-Dickichts waren ein paar Bäumchen, die mir gefielen.

„Nehma ma gleich do oan“, schlug ich vor.

„Was net gar“, wehrte der Grashofer ab, „da woaß i dir scho an schönern!“

Wir gingen eine gute Stunde.

„Des hab i gar net g’wußt“, sagte ich einmal so zwischenhinein, dass du so vui Holz hast, Grashofer.“

„No ja, es ziegt si a ganz Stückl hi“, antwortete er bescheiden.

Endlich kamen wir an eine kleine Lichtung, und auf dieser stand eine junge, prachtvoll gewachsenen Tanne. „Was sagst iatzt?“, strahlte mich da der Bauer an, deutete auf den Baum und sagte: „I moa, dö nimmst!“

Ich war wirklich gerührt von solchem Edelmut. Der herrliche Baum tat mir aber zum Umhacken leid.

„Aber Grashofer“, wendete ich allen Ernstes deshalb ein, „des braucht’s ja do net, da taat’s aber scho wirklich a Ficht’n aa!“

„Nix!“, wehrte der Grashofer ab, „no weg damit – dö steht mir scho lang im Weg um!“

Damit reichte er mir die Axt, und nach einiger Mühe hatte ich den Baum gefällt. Es war wirklich ein Prachtexemplar von einer Tanne.

Ich gab dem Grashofer die Axt zurück, bedankte mich |20|nochmal recht herzlich und nahm den Baum auf die Schulter. Kaum aber war dies geschehen, sagte der Grashofer auf einmal: „So, und iatzt laffa ma a bißl“ – und fing richtig, was er konnte, zu laufen an. Was blieb mir schließlich anderes übrig, als mit dem Baum auf dem Buckel hinter ihm herzulaufen. Das ging eine ganze Weile so. War der Bauer vielleicht verrückt geworden?

„Grashofer– Herrschaftseit’n!“, schrie ich. Umsonst! Der Grashofer mit seinen sechzig Jahren lief wie ein Junger. Ich mit meiner schönen Tanne keuchte, schwitzte, stolperte und fluchte hinter ihm her.

„Grashofer – spinnata Lack!!!“

Allmählich konnte ich nicht mehr und hatte gerade vor, den Bauern einfach laufen zu lassen, ein bisschen zu rasten und dann langsam nachzugehen – da hielt der Bauer endlich ein gutes Stück vor mir und winkte mir eifrig, heranzukommen.

„Grashofer, bist narrisch wor’n?“, keuchte ich ihn, so gut es ging, an.

„Durchaus net“, erwiderte er listig.

„Was laffst denn nacha als wiara g’stutza Hund?“, fragte ich wütend.

„I laaf ja do zweng’n deiner“, antwortete der Bauer jedoch vorwurfsvoll.

„Wegen meiner?“

„Ja, wannst du do an Christbaum g’stohl’n hast!“

„G’stohl’n?! Wieso, des war doch dei Holz!“

„Oha“, sagte der Grashofer ganz gefährlich, „des war scho lang’s Holz vo mein Nachbarn.“

„Vom Moosbichler!“, schrie ich entsetzt und gedachte der jahrelangen Feindschaft der beiden.

|21|„Allaweil scho“, triumphierte der Bauer und fuhr beruhigend fort, „aber iatzt konnst scho langsam toa, iatzt san ma scho auf mein Grund.“

„Da hört sich aber schon alles auf, Grashofer“, wollte ich jetzt loslegen.

„Jetzt sei no stad und z’reiß die’s Mäu net“, sagte er, „du hast an schöna billigen Baam – und mir hast aa Freud g’macht!“

„A Weihnachtsfreud sozusagen“, konnte ich mich doch nicht überwinden, noch bissig zu bemerken.

„Wia ma’s nimmt“, antwortete der Grashofer und blinzelte mit seinen wasserklaren Äuglein. – Wie gesagt, es war eine wirklich schöne Tanne, eine, wie man in der Stadt bei Weitem keine zu kaufen bekommt. Ich habe aber trotzdem seit dieser Zeit meinen Christbaumbedarf nur noch an den städtischen Verkaufsstellen gedeckt.

Nachschrift: Falls etwa ein gewisser Ökonom Moosbichler erfreulicherweise zu meiner lieben Leserschaft gehören sollte, und ihm diese Zeilen unter Umständen vielleicht unter die Augen kämen, so möchte ich ihn recht schön grüßen und nebenbei bemerken, dass obriger „gerichtsmäßiger“ Fall sich schon verjährt hat.

|22|KARL HEINRICH WAGGERL

Die stillste Zeit im Jahr

Advent, das ist die stillste Zeit im Jahr, wie es im Liede heißt, die Zeit der frohen Zuversicht und der gläubigen Hoffnung. Es mag ja nur eine Binsenweisheit sein, dass hinter jeder Wolke der Trübsal doch immer auch ein Stern der Verheißung glänzt. Daran trösten wir uns in diesen Wochen, wenn Nacht und Kälte unaufhaltsam zu wachsen scheinen. Wir wissen ja doch, und wir wissen es ganz sicher, dass die finsteren Mächte unterliegen werden, an dem Tag, mit dem die Sonne sich wendet, und in der Nacht, in der uns das Heil der Welt geboren wurde.

Für die Leute in den Städten hat der Advent kein großes Geheimnis mehr. Ihnen ist es nur unbequem und lästig, wenn die ersten Fröste kommen, wenn der Nebel in die Straßen fällt und das karge Licht des Tages noch mehr verkürzt. Aber der Mensch auf dem Lande, in entlegenen Tälern und einschichtigen Dörfern, der steht den gewaltigen Kräften der Natur noch unmittelbar gegenüber. Stürme toben durch die Wälder herab und ersticken ihm das Feuer auf dem Herd, er sieht die Sonne auf ihrem Weg von Berg zu Berg krank werden und hinsterben, finster sind die Nächte, und der Schneedonner schreckt das Wild aus seinen Zuflüchten. Noch in meiner Kindheit gab es kein Licht in der Stube außer von einer armseligen Talgkerze. Der Wind rüttelte am Fensterladen und |23|schnaufte durch die Ritzen, das hörte sich an wie der Atem eines Ungeheuers, das draußen herumging und überall schnupperte, einmal an der Wand und dann an den Dachschindeln. Und plötzlich hörte man den Brunnen nicht mehr, da trank wohl dieses nächtliche Tier vom Wasser. Wie gut, wenn ein Licht dabei brannte, gottlob für einen winzigen Funken Licht in der schrecklichen Finsternis!

|24|EVA MARKERT

Marzipankartoffel

„Das kann nicht dein Ernst sein!“ Klaus warf seiner Frau einen entgeisterten Blick zu.

„Heute ist Heiligabend, da darf man schon mal sündigen!“, erwiderte sie und nahm noch eine Marzipankartoffel.

„Aber wir haben doch gerade erst zu Mittag gegessen.“

Die dritte Kartoffel landete in Kerstins Mund. „Mmm, lecker!“

„Du kannst unmöglich noch Hunger haben!“

„Hunger nicht, aber einen Riesenappetit. Diese Marzipankartoffeln schmecken unglaublich gut. Du solltest auch mal eine probieren.“ Sie hielt ihm die 500-Gramm-Dose hin.

Abwehrend streckte Klaus beide Hände aus und wandte den Kopf ab. „Für kein Geld der Welt könnte ich jetzt noch Marzipan essen.“

„Aber ich.“ Kerstin langte wieder zu. Sie grinste. „Und ich tu es sogar umsonst.“

„Dass dir nicht schlecht wird“, murmelte Klaus und begann den Tisch abzuräumen. Bevor er den Deckel auf die Dose stülpte, runzelte er die Stirn. „Sag mal, die haben wir doch erst heute Morgen gekauft. Hast du all die Marzipankartoffeln in der kurzen Zeit verschlungen?“

„Ich hatte eben Lust darauf.“ Kerstin nahm den Deckel wieder ab und griff zu.

|25|Sie saß am Tisch und aß, während Klaus das Geschirr in die Spülmaschine räumte. In seinem Gesicht arbeitete es. Als die Dose zum wiederholten Mal knackte, wandte er sich zu Kerstin um. „Ich verstehe dich nicht. Dauernd jammerst du über deine Figur. Willst abnehmen. Warum stopfst du dich dann mit Marzipan voll?“

Kerstins Daumen und Zeigefinger, zwischen denen eine Marzipankartoffel klemmte, stockten kurz vor ihrem geöffneten Mund. „Findest du mich zu dick?“

„Nein, das habe ich nicht gemeint.“

Kerstin warf die Kugel in den Mund. „Volltreffer!“, brachte sie hervor und kaute zufrieden.

„Was ich meinte, ist, wenn du so weitermachst...“

„Ich werde nicht ewig so weitermachen, da kannst du ganz beruhigt sein.“

Bis die Küche aufgeräumt war, hatte sich der Pegelstand in der Dose noch weiter gesenkt.

Inzwischen schaute Klaus recht finster drein. „Dir wird übel werden und dann verdirbst du uns das ganze Fest.“

Kerstin lehnte sich zurück und rieb mit der Hand leicht über ihren Magen. Als Klaus die Dose wegräumte, protestierte sie nicht.

Er setzte sich ihr gegenüber und sah sie prüfend an.

„Oh nein“, stöhnte sie, „ich glaube, du hattest Recht.“

„Dir ist schlecht?“

„Ja! Ich glaube, ich muss...“ Sie sprang auf und rannte aus der Küche.

„Ich hab’s ja gewusst“, rief er ihr hinterher. „Fröhliche Weihnachten, kann ich da nur sagen!“

Als Kerstin zurück in die Küche gewankt kam, sah sie ziemlich blass aus.

|26|Klaus seufzte. „Sicher musst du dich jetzt hinlegen.“

„Nein, nein“, widersprach sie. „Wir machen weiter wie geplant. Lass mich nur einen Augenblick verschnaufen. Dann schmücke ich den Weihnachtsbaum und du fängst mit den Vorbereitungen für das...“ – sie verzog das Gesicht – „... für das Abendessen an.“

Schnell kehrte Farbe in ihre Wangen zurück und bald darauf blitzten ihre Augen wieder. „Auf geht’s“, rief sie. „Und komm ja nicht rein, bevor ich dich rufe!“

Klaus musste lächeln. Kerstin hatte eine ganz bestimmte Vorstellung davon, wie ein Weihnachtsbaum auszusehen hatte, und das Schmücken war für sie eine Zeremonie, die sie sehr ernst nahm.

„Hast du überhaupt schon die Schachteln mit dem Baumschmuck aus dem Keller geholt?“, fragte er.