Melodie der Hoffnung - Lydia Riess - E-Book

Melodie der Hoffnung E-Book

Lydia Riess

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Beschreibung

Nach ihrer Gefangennahme befindet sich Laryana auf dem Weg in die düstere Stadt Travahel und muss sich ihrem schlimmsten Albtraum stellen: Dem Mann, der einst ihr Leben zerstörte und sie seitdem erbarmungslos jagt. Laryanas Freunde begeben sich auf die gefährliche Reise nach Osten, um sie zu befreien. Doch die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen, und bald schon muss nicht nur Laryana um ihr Leben fürchten, als der Krieg eine Wendung nimmt und Travahel sich mit Macht dem Bündnis der Menschen und Elhar entgegenstellt, um sie endgültig zu vernichten. Eine Neuinterpretation des Vampirmythos, eingebunden in eine eigene Fantasywelt. "Melodie der Hoffnung" ist der zweite Band der Laëndrom-Reihe und die Fortsetzung von "Ouvertüre der Nacht".

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Das Lied von

Laëndrom

Buch II

Melodie der Hoffnung

 

Von Lydia Riess

 

 

 

 

Text und Bild Copyright © 2015 Lydia Riess

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

c/o AutorenServices.de

Birkenallee 24

36037 Fulda

 

 

 

 

Vielen Dank an Christian für all die

Anregungen und Ermutigungen.

Und danke auch an Kevin. Du hattest recht:

Das erste Ende war grauenvoll.

Danke auch an alle, die mich ermutigt haben

weiterzuschreiben und es noch immer tun.

 

Inhalt

Das Lied von Laëndrom

I. Furcht

II. Schatten

III. Jagd

IV. Antworten

V. Wandel

VI. Zwiespalt

VII. Verbindungen

VIII. Frieden

IX. Aufbruch

X. Annäherung

XI. Nachklang

XII. Vergeltung

XIII. Kollision

XIV. Führung

XV. Opfer

XVI. Väter

XVII. Gerechtigkeit

XVIII. Weisheit

XIX. Niedergang

XX. Asche

XXI. Zukunft

XXII. Dunkelheit

 

 

Das Lied von Laëndrom

 

 

Ist nun der Wächter Lied verklungen?

Ist dies das Ende unsrer Zeit?

Das Blutgeschöpf in wildem Toben

Hat sich zum Herrscher selbst erhoben

Den Mensch zu schützen war sein Eid

 

 

Dort in Tanehus stiller Feste

Schlief Frau und Kind in Finsternis

Doch schien’s, dass jeder Freie schliefe

So regt‘ sich in geheimer Tiefe

Des Blutthrons größtes Ärgernis

 

 

Und so erwachte neue Hoffnung

Die weiße Stadt in ihrer Pracht

Refnan, die Zuflucht aller Wächter

Entflohen vor dem dunklen Schlächter

Zu bringen Licht in tiefste Nacht

 

 

Doch ward der Menschen Welt gefallen

Des kalten Wächters dunkler Krieg

Verschlang in Wahn die Ländereien

Zu klein war noch die Zahl der Freien

Zu groß die Furcht vor Feindes Sieg

 

 

Kein Wort kam aus der Weisheit Feste

Kein Rat in dieser dunklen Zeit

Entronnen zwar des Frevels Fluche

Doch unwissend in ihrer Suche

Ward so der alte Bund entzweit

 

 

So hörte Melem dann das Flehen

Für jene in des Blutes Bann

Medelyas Traum, die blaue Blüte

Ward sein Geschenk in großer Güte

Das er zu ihrer Rettung sann

 

 

Befreit nun aus der Silberfeste

Nach achtzig Wintern tiefer Ruh‘

Die Königin dem Tod entronnen

Ein neues Zeitalter begonnen

Als sie verließen Tanehu

 

 

So ward in Refnans stiller Tiefe

Das Volk der Wächter neu gebor’n

Doch sind es nicht auch unsre Sünden?

Klebt nicht auch Blut an jenen Händen

Die einst zu schützen auserkor‘n?

 

 

Kein Wort der Reue wird genügen

Zu tilgen diese tiefe Schuld

So wird der Wächter sich erheben

Denn zu erneuern ist sein Streben

Gerechtigkeit sein einz’ger Sold

 

 

Noch schallt der Ruf zu unserm Volke

Zu jenen, die der Krieg verschlang

Dort tief im Osten, weit im Westen

In einst so ruhmesvollen Festen

Erwartet still der Hoffnung Klang

 

 

Wird nun das Lied erneut erwachen?

Ist dies der Anfang neuer Zeit?

Wird einst das Blutgeschöpf bezwungen?

Wird dann ein neues Lied gesungen

Wenn wir erneuern unsren Eid?

 

 

 

 

 

 

I. Furcht

 

 

 

 

Die Bäume huschten an ihr vorbei, vage Schatten, Schemen, die sie kaum wahrnahm. Das schwindende Licht der sinkenden Sonne flackerte über ihr durch die Baumkronen, rotgefärbt wie ein Vorbote des Unheils, doch das Blätterwerk war zu dicht, als dass es ganz hätte durchbrechen können.

Bald würde es dunkel werden. Sie wusste, was das bedeutete. Und sie spürte bereits jetzt ihre Kraft schwinden.

Ihr Herz raste und ihr Atem ging so laut, dass sie die Schritte ihrer Verfolger schon gar nicht mehr hören konnte. Wenn sie Glück hatte, galt dasselbe auch umgekehrt. Aber Glück war momentan nicht ihr Freund.

Geschickt wich sie Baumwurzeln und Unebenheiten aus, sprang über Steine, die in ihrem Weg lagen, stets bemüht, nicht zu stolpern, denn jede Sekunde war kostbar, jeder Fehler konnte ihr letzter sein. Lange würde sie dies allerdings nicht mehr durchhalten.

Ihr Blick schnellte nach rechts, ohne dass sie dabei langsamer wurde. Abrupt wandte sie sich zur Seite und warf sich hinter einen dicken, umgestürzten Baumstamm.

Schwer atmend presste sie den Rücken gegen das raue Holz. Sie würde ihnen nicht entkommen. Nicht in diesem Zustand, und erst recht nicht in der Nacht. Ihre einzige Chance lag darin zu kämpfen. Und wenn es das letzte war, was sie tat.

An ihrer Stirn klebten schweißnasse Haarsträhnen, die Augen waren weit aufgerissen in Panik, der Atem kam stoßweise. Mit der rechten Hand hielt sie ihr Schwert krampfhaft umklammert. Getrocknetes Blut klebte daran.

Sie lauschte.

Ein leises Geräusch ließ sie zusammenfahren, und obwohl ihre Lungen brannten und nach Sauerstoff schrien, zwang sie sich zu einem ruhigeren Atmen. Völlig regungslos wartete sie, den Körper zum Zerreißen angespannt.

Ihre Schritte waren leise, jedoch nicht leise genug.

Sie biss die Zähne aufeinander und unterdrückte ein Zittern. Sie durfte der Panik jetzt nicht nachgeben. Sie durfte den Worten der Angst nicht lauschen und erst recht nicht jener Stimme, die aufgeben wollte. Wenn sie das tat, war sie verloren.

Sie waren ungeduldig geworden. Drei Tage verfolgte man sie nun, und sie hatte bereits zwei von ihnen getötet, wenn auch nur unter größten Anstrengungen. Wie gut, dass ihre Wunden so schnell heilten.

Dennoch, selbst sie brauchte Schlaf und Nahrung. Mehr noch als sie. Und Schlaf war schwer zu finden, wenn stets mit der Gewissheit lebte, nirgendwo sicher zu sein. Wie oft war sie des Nachts erwacht mit der festen Überzeugung, jede der Wunden zu spüren, die sie ihr geschlagen hatten. Sie hätte nie gedacht, so viele Schmerzen überleben zu können. Sie hätte nie gedacht, dass es einmal nötig sein würde.

Verstohlen sah sie auf die dunkelroten Flecken an den Stellen, an denen ihre Kleidung zerrissen war. Sie schloss die Augen. Drei waren noch übrig. Sie hatte nicht mehr die Energie davonzulaufen. Es musste hier und jetzt enden, auf welche Weise auch immer. Bevor sie den Willen verlor zu kämpfen. Zu überleben.

Ein neuer Anflug von Furcht ergriff sie, als sie erneut Schritte vernahm. Ob sie ihren Herzschlag hörten? Er hämmerte in ihren Ohren, trieb sie fast in den Wahnsinn, wie ein Gewittersturm, der in ihrem Inneren tobte und sie zu zerschmettern versuchte. Würde es sie irgendwann einfach zerreißen? Würde ihr Herz eines Tages einfach aufgeben? Selbst ihr Körper mit all seinen Selbstheilungsfähigkeiten musste früher oder später an seine Grenzen kommen.

Mit einem Mal war alles still.

Zu still.

Hatten sie etwa aufgegeben? War es ihr gelungen, sie zu täuschen?

Langsam, ganz langsam griff sie nach einem herausragenden Ast, um sich hochzuziehen. Sie musste es riskieren. Sie musste sehen, was da vor sich ging, um zu vermeiden, von ihnen überrascht zu werden.

Plötzlich streifte eine Bewegung ihr Blickfeld. Ein leiser Schreckenslaut entfuhr ihr. Ohne nachzudenken reagierte sie und schwang ihr Schwert herum. Sie konnte sich einer gewissen Genugtuung nicht erwehren, als ein schriller Schrei erklang, und wieder spürte sie das Adrenalin durch ihren Körper rauschen, der seine letzten Kraftreserven sammelte und bündelte.

Doch sie hielt sich nicht lange damit auf, sondern riss ihr Schwert blitzschnell aus dem zuckenden Körper, nur um es ein weiteres Mal hineinzustoßen.

Nicht zu lange darüber nachdenken, erinnerte sie sich. Einfach handeln.

Ein weiterer Schrei erklang, und für einen winzigen Moment sah sie in das Gesicht des Naësaru. Es war schmerzverzerrt. Das rote Brennen seiner Augen schien sich in sie hineinzubohren.

Mit einem Mal loderte Zorn in ihr auf. Hass verzerrte ihre Züge, als sie mitleidslos den beinahe flehenden Blick des Naësaru erwiderte. Ohne zu zögern holte sie aus und enthauptete ihn.

Einer erledigt. Fehlen noch zwei.

In einer fließenden Bewegung sprang sie auf den Baumstamm und dem zweiten Naësaru entgegen. Ein scharfes Brennen durchzuckte ihre linke Seite, als sein Schwert sie dort streifte. Sie schrie auf und geriet für einen kurzen Moment ins Taumeln, doch es gelang ihr dennoch, einem weiteren Angriff auszuweichen und neben ihn zu gelangen. Der Geruch von frischem Blut stieg in ihre Nase. Süßlich. Scharf. Sie schüttelte sich unwillkürlich.

Mit aller Kraft hieb sie ihm den Ellbogen in die Magengrube und versetzte ihm einen gezielten Tritt gegen den Brustkorb. Sie konnte förmlich spüren, wie seine Rippen brachen.

Ihre Ohren zuckten, als sie ein weiteres Geräusch vernahm. Hastig senkte sie den Kopf und spürte noch, wie ein Lufthauch darüber hinwegfegte. Ein sanftes, reißendes Geräusch erklang, und eine schwarze Haarsträhne segelte lautlos an ihr vorbei.

Sie warf sich zu Boden, rollte sich ab und entkam so dem zweiten Hieb. Im Aufstehen griff sie nach dem Dolch, der an ihrem Gürtel hing. Erst vorgestern hatte sie ihn einem der Naësari abgenommen. Sie schleuderte ihn dem Angreifer entgegen. Als er zornig aufbrüllte, zögerte sie nicht lange, stürmte auf ihn zu und hieb mit dem Schwert nach seinem Hals.

Er wich aus, und trotzdem stieß ihr Schwert auf Widerstand. Sein Fauchen wandelte sich schnell in ein entsetztes Wimmern, und entgeistert starrte er auf die Stelle seines Armes, an der sich zuvor seine linke Hand befunden hatte.

Noch einmal hob er seine Waffe. Sie tauchte geschickt unter dem Hieb hinweg, wirbelte um ihn herum und stieß ihm das Schwert in den Rücken.

Er öffnete den Mund zu einem stummen Schrei und sackte auf die Knie.

Mit einem Ruck zog sie das Schwert aus seinem Leib und schwang es herum. Sein Körper fiel leblos zu Boden, bevor er zu Staub zerfiel, und in seinem Gesicht, das sich nun neben ihm befand, sah sie den Ausdruck tiefen Hasses und blanken Entsetzens, bevor auch sein Kopf sich auflöste und vom Wind davongetragen wurde.

Zischend stieß sie ihren Atem durch die zusammengebissenen Zähne und streckte die Hand nach dem Dolch aus. Mit Sicherheit würde sie ihn noch brauchen.

Es raschelte.

Sie riss die Augen auf.

Blitzschnell fuhr sie herum und hob ihre Waffe, doch der Stoß traf sie trotzdem mit voller Wucht.

Hart schlug sie gegen einen nahestehenden Baumstamm, so dass die Luft aus ihren Lungen gepresst wurde, und für ein, zwei Sekunden wurde ihr schwarz vor Augen. Wie hatte sie den Dritten vergessen können?

Verbissen kämpfte sie gegen die Benommenheit an und parierte im letzten Moment einen weiteren, wuchtigen Schwerthieb. Sie stöhnte auf, als das Schwert des dritten Naësaru tief in ihren Oberschenkel schnitt. Schmerz, der sich durch ihren ganzen Körper zog und ihn zum Brennen brachte.

Wie leicht es jetzt wäre, einfach aufzugeben. Loszulassen. Es könnte ganz schnell vorbei sein.

Sie schüttelte den Gedanken mit aller Kraft ab und starrte in seine zornigen, rotglühenden Augen. Nein, es würde nie vorbei sein. Wenn sie jetzt aufgab, würde der Albtraum erst richtig beginnen.

Bis jetzt hatte sie Glück gehabt. Sie hatte das Überraschungsmoment für sich nutzen können. Aber diese Option war nun vorbei. Sie versuchte, den Schmerz auszublenden und sich auf ihren Gegner zu konzentrieren. Blut klebte an den Mundwinkeln des Naësaru, doch seine Rippen waren mit Sicherheit längst verheilt. Wie es auch ihr Körper tun würde. So, als sei nie etwas geschehen.

Verzweifelt humpelte sie ein paar Schritte zur Seite und wehrte zwei seiner Angriffe ab. Der dritte schlug ihr das Schwert aus der Hand.

Panik durchzuckte sie wie ein lähmender Stachel, dann jedoch senkte sie entschlossen die Brauen. Nein, Sie würde nicht aufgeben, nicht, solange sie noch atmete. Sie würde lieber sterben, als ihnen wieder in die Hände zu fallen. Sie stürzte ihm entgegen und bohrte die Zähne in seinen Hals.

Ein überraschter Schrei entfuhr ihm. Reflexartig ließ er sein Schwert fallen und griff nach ihrer Kehle.

Röchelnd ließ sie von seinem Hals ab und bemühte sich, seinen Griff abzuschütteln, doch er war stärker als sie. Für einen Augenblick flackerte ihre Sicht, dann packte sie seinen Arm und zog das Knie ruckartig nach oben gegen seinen Körper. Ein schmerzerfülltes Stöhnen verriet ihr, dass sie eine empfindliche Stelle getroffen hatte.

Der Naësaru lockerte seinen Griff lange genug, damit sie sich daraus befreien konnte. Bevor sie allerdings auch nur nach Luft schnappen konnte, griff er nach ihr und riss sie zu Boden. Dumpf schlugen sie gemeinsam auf dem unebenen Waldboden auf.

Sie versetzte ihm einen Schlag gegen den Kopf, aber er ließ sich davon nicht beeindrucken. Den bohrenden Blick fest auf sie gerichtet, presste er sie mit einer Hand zu Boden, während die andere erneut nach ihrer Kehle griff. Tödliche Entschlossenheit leuchtete in seinen Augen. Im Kampfrausch schien er seinen Auftrag vergessen zu haben, sie lebend zu fassen.

Verzweifelt versuchte sie, seine Hand zu lösen, während sie mit dem anderen Arm suchend umhertastete. Wieder begann die Welt um sie herum zu flimmern.

Plötzlich spürte sie etwas Kaltes, Hartes. Der Dolch! Sie griff zu und rammte ihn dem Naësaru in die Seite. Dieser brüllte auf, und für einen Moment wankte seine Konzentration.

Hustend und keuchend riss sie sich los, verpasste ihm einen kraftvollen Kinnhaken und trat ihm dann mit aller Wucht gegen den Oberkörper. Er wurde zurückgeworfen und landete unsanft auf dem umgestürzten Baumstamm.

Geschickt kam sie auf die Beine und war mit einem Sprung bei ihm. Mit einem zornigen Schrei rammte sie ihm den langen Dolch mitten in den Brustkorb und verfehlte knapp sein Herz. Die Waffe blieb im Holz darunter stecken.

Der Cruem fauchte, doch das Feuer in seinen Augen begann zu flackern und zu sterben. „Du magst uns besiegt haben“, knurrte er mit brechender Stimme. „Aber es werden andere kommen. Du kannst nicht entkommen. Und dann wird es dir leidtun.“

Kälte lag in ihren Augen, als sie ihn betrachtete. „Sollen sie kommen“, zischte sie, die Stimme noch immer rau und atemlos. Humpelnd drehte sie sich um und hob ihr Schwert auf. Dann trat sie erneut an den Naësaru heran, den Blick fest auf die blutverschmierte Klinge gerichtet.

Der Naësaru hatte die Hände um den Dolchgriff geschlossen, aber seine Versuche, sich zu befreien, waren vergeblich. Dunkles Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. „Eines Tages werden wir dich kriegen. Und dann wirst du für jeden von uns büßen, den du getötet hast.“

Furcht flackerte in ihr auf. Sie bemühte sich, es zu verbergen und ihre Stimme entschlossen klingen zu lassen. Vielleicht half es auch ihr selbst, es zu glauben. „Ihr werdet mich nicht kriegen. Ich werde einen Ort finden, an dem ich sicher bin. Einen Ort, an dem ihr mich nicht findet.“

Der Schmerz verschwand aus seinem Gesicht, und blanker Hohn funkelte ihr entgegen. Ein heiseres Lachen erklang aus der Kehle des Naësaru. „Es gibt keinen solchen Ort. Kein Platz in ganz Laëndrom ist sicher für dich. Das ganze Land gehört dem Haus Kamun, jeder Wald, jeder Acker, jeder Winkel. Du kannst laufen, so lange du willst. Wir werden dich finden. Überall. Dein Schicksal ist bereits besiegelt. Du kannst nicht entkommen. “

Mit einem Fauchen schwang sie ihr Schwert herum.

Die Arme des Naësaru sackten leblos zur Seite, als sein Kopf im fernen Gebüsch verschwand.

Ein Zittern lief über ihren Körper, und das Schwert entglitt ihr. Dumpf landete es im blutgetränkten Gras.

Sie wankte ein paar Schritte nach hinten, bis sie mit dem Rücken an einen Baumstamm stieß. Unbeholfen sackte sie in sich zusammen und lehnte den Kopf an das harte Holz.

Eine tiefe, bleierne Müdigkeit überkam sie. Ihre Muskeln brannten und ihre Lunge fühlte sich seltsam taub an. Sie hustete kraftlos und nahm ein paar tiefe Atemzüge. Es schmerzte. Alles schmerzte.

Ausdruckslos starrte sie auf ihre blutigen Hände, dann wanderte ihr Blick zu ihrem Bein. Die Wunde war bereits dabei, sich zu verschließen, doch auch hier waren ihre Haut und ihre Kleidung blutverkrustet. Nicht alles davon war ihres.

Wieder überkam sie ein Zittern. Diesmal gelang es ihr nicht, es abzuschütteln. Der Adrenalinrausch und die Anstrengungen der letzten Wochen forderten ihren Tribut.

Sie zog die Knie an ihren Körper heran und umklammerte sie fest mit ihren Armen, so sehr, dass es wehtat. Der Geruch von Blut und Schweiß drang in ihre Nase. Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar, immer und immer wieder, krallte sich darin fest.

Heftige Schluchzer begannen, sie zu schütteln. Seit vier Monaten war sie nun bereits auf der Flucht. Wann würde es endlich enden? Ihre Kraft neigte sich dem Ende zu, mehr und mehr hatte sie das Gefühl, nur noch eine leere Hülle zu sein. Es musste doch einen Ausweg geben! Es musste eine Möglichkeit geben, aus diesem Wahnsinn zu erwachen!

„Wenn du damals gewusst hättest, dass es noch sieben Jahre dauern würde, hättest du dann den Willen gehabt weiterzumachen?“

Ruckartig hob sie den Kopf. Verwirrt musterte sie die hochgewachsene Gestalt, die vor ihr stand und die sie durch den Tränenschleier hindurch kaum ausmachen konnte. Sie wirkte seltsam vertraut.

„Und wenn du gewusst hättest, dass dein Weg dich letztendlich trotzdem nach Travahel führen würde, hättest du dann aufgegeben? Wärst du freiwillig zurückgekehrt?“ Er trat einen Schritt näher. „All die Jahre, all der Schmerz. Und letztendlich war alles vergeblich. Du konntest deinem Schicksal nicht entkommen, Laryana Morgentau.“

Sie runzelte die Stirn und fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht, bevor sie ihn wieder ansah. „Nein, nein, das ist falsch“, stammelte sie erschrocken. „D… Du gehörst nicht hierher, du warst nicht hier! Du …“

Sie rappelte sich auf und blickte sich verwirrt um. Jegliche Spuren des Kampfes waren mit einem Mal verschwunden, ebenso wie ihre Schmerzen und Wunden. Nur ein leiser Widerhall blieb, wie ein unangenehmer Nachgeschmack.

Er verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen, das seine langen Eckzähne enthüllte. „Ich war immer bei dir. Du hattest nicht die Willensstärke, mich zurückzulassen. Du hattest nicht den Mut dazu. Und nun ist deine Flucht vorbei. Es gibt kein Davonlaufen mehr. All die Jahre des Leids und der Einsamkeit – völlig umsonst. Nun wird es Zeit, dich deinem Schicksal zu stellen. Ich erwarte dich.“

Sie spürte den Zorn erneut in sich aufbrodeln. Diesen altvertrauten Zorn, der ihr Kraft gab. „Keines dieser Jahre war verschwendet. Jeder einzelne dieser Kämpfe, so quälend und schmerzvoll sie auch waren, hat mich vorbereitet. Du vergisst, dass seit jenem Kampf viele Jahre vergangen sind. Ich habe viel gelernt. Ich habe mich verändert. Ich habe bereits vor langer Zeit akzeptiert, dass Davonlaufen nicht die Lösung ist. Dass Schmerz etwas ist, dem man sich stellt – oder woran man zerbricht.“

Sie ballte die Fäuste. „Ich werde Travahel wahrscheinlich nicht lebend verlassen. Aber du ebenso wenig!“ In einer schemenhaften Bewegung griff sie nach ihrem Stiefel und zog einen glänzenden Gegenstand hervor.

Der Mann vor ihr wich einen Schritt zurück, als sie den Dolch hob, bereit zuzustoßen.

„Das hier ist für dich, du Monster!“, fauchte sie.

Plötzlich löste er sich auf. Die Bäume verwandelten sich in formlose Schatten und wurden fortgeweht, die Landschaft um sie herum verblasste zu Nichts, und ein seltsames, farbloses Licht umfing sie. Blasse Lichtschleier waberten um sie her auf und bedeckten den Boden mit einem feinen, schimmernden Nebel.

Unwillkürlich zuckte sie zusammen, als eine andere Person aus dem Nichts vor ihr erschien. Erleichterung stand in seinem Gesicht geschrieben, doch sein Blick wanderte sofort verwirrt zu ihrem noch immer erhobenen Arm.

Laryana blinzelte und betrachtete ihre Hand. Sie war leer. Sie schloss die Augen und ließ ihren Atem geräuschvoll entweichen.

„Es war nur ein Traum“, sagte sie. Ihre Züge verhärteten sich. „Und eine Erinnerung.“

„Laryana!“

Sie ließ den Arm sinken. „Ameres. Ich hatte gehofft, du würdest mich über die Traumsicht finden. Sag mir, wie … Wie geht es Derim? Habt ihr ihn gefunden? Ist er am Leben?“

„Er lebt. Wir haben ihn vor ein paar Stunden entdeckt. Darna kümmert sich um ihn.“ Er betrachtete sie ernst. „Was ist passiert? Wo bist du? Wir haben versucht, deine Spur zu verfolgen, aber sie war nicht auffindbar – zu viel zertretene Erde um Taris und zu viele Gerüche. Asnera hat die Spione beauftragt, Ausschau nach dir zu halten, doch bisher hatten sie keinen Erfolg. Und als wir Derim fanden, nahmen wir das Schlimmste an. Er hat versucht, es uns zu erklären, allerdings ist er noch immer ziemlich verwirrt.“

„Es war eine Falle.“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Die Cruem … Sie haben Derim gefangen, um mich zu erpressen. Sie haben ihn gebissen, diese Dreckskerle! Ich hatte keine andere Wahl, als mit ihnen zu gehen. Sie hätten ihn getötet.“

Obwohl sein Gesicht keine Regung zeigte, konnte sie in seinen Augen deutlich sehen, was er fühlte. „Die Cruem … Du … bist auf den Weg nach Travahel? Als Gefangene?“

„Ja. Und ich werde dir nun dasselbe sagen, was ich auch Derim sagte: Ich verbiete euch, mich zu suchen. Denkt nicht mal daran, mir zu folgen.“

Nun wandelte sich sein Gesicht, und der Zorn gewann die Oberhand. „Und ich habe dir gesagt, dass ich nicht einfach tatenlos dabeistehen und zusehen werde, wenn sie dich zu ihm bringen!“, erwiderte er scharf. „Wir werden die Verfolgung aufnehmen! Wir werden …“

„Verstehst du es denn nicht?“, unterbrach sie ihn harsch. „Wir sind bereits seit einer Nacht unterwegs, und die Cruem werden nur dann Pausen machen, wenn es unbedingt nötig ist! Sieben Jahre haben sie mich vergeblich gejagt, da werden sie sich jetzt keinen Fehler erlauben! Ihr werdet uns niemals einholen! Was auch immer ihr versucht, ihr werdet zu spät kommen! Also seid gefälligst vernünftig und begebt euch nicht unnötig in Gefahr!“

„Selbst, wenn sie dir das Ritual aufzwingen, dann bleiben uns immer noch mindestens drei Tage, bis …“

„Nein, verdammt nochmal! Ich werde das nicht zulassen! Wer soll noch alles verletzt werden meinetwegen? Muss wirklich erst jemand sterben, damit ihr es endlich begreift? Es war ein Fehler von mir, mit euch zu ziehen! Ich hätte wissen müssen, dass es ihm eines Tages gelingen würde, mich zu finden!“ Sie wandte den Kopf zur Seite. „Und ich hätte ahnen müssen, dass er euch gegen mich verwenden würde. Ich habe euch da mit hineingezogen, obwohl ich es besser hätte wissen müssen. Als hätten die vergangenen sieben Jahre mich nichts gelehrt! Es hätte nie so weit kommen dürfen. Es ist vorbei, Ameres.“

„Laryana! Das sind nicht deine Worte! Es ist nicht deine Schuld, und das weißt du sehr genau!“

„Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, wie erbarmungslos er ist!“, stieß sie hervor. „Ich bin vor langer Zeit in etwas hineingeraten, aus dem es kein Entkommen gibt. Einer dieser Fehler, die man nie wiedergutmachen kann. Ich hatte gehofft …“ Ihre Stimme schwankte. Sie verzog das Gesicht. „Ich hatte gehofft, meinen Platz in diesem Krieg zu finden. So etwas wie Frieden. Sinn. Mir hätte klar sein müssen, dass es keine Erlösung gibt für mich. Nur den Tod.“

„Das ist dummes Gerede, und das weißt du auch!“

„Was spielt das jetzt noch für eine Rolle? Es ist zu spät, Ameres. Bei dem Tempo, mit dem wir unterwegs sind, werden wir Travahel in wenigen Tagen erreichen. Ich habe Medelyas Tee. Ich habe den Dolch. Ich werde so viel Schaden anrichten, wie ich kann, und es dann beenden. Das ist der einzige Weg. Diese letzte Mission, die ich längst hätte durchführen sollen. Auf die Weise kann wenigstens diese Geschichte noch zu etwas gut sein.“

„Du gibst einfach auf?“

Sie entblößte die Zähne. „Wir sind im Krieg, und im Krieg gibt es Opfer. Akzeptiere das! Ich gehe den Weg, den ich schon lange hätte gehen sollen! Mein Leben war verwirkt von dem Tag an, als ich mich auf diesen Verräter einließ. Glaube ja nicht, ich hätte nicht schon an Flucht gedacht. Ich werde meine Chance nutzen, wenn sie sich mir bietet. Trotzdem werde ich weder euch noch Refnan gefährden, um mich selbst zu retten.“

Ameres setzte zu einer scharfen Antwort an, doch etwas ließ ihn innehalten. Er musterte sie eindringlich. „Du fürchtest dich“, sagte er leise.

Ein Schatten legte sich auf Laryanas Gesicht. „Natürlich fürchte ich mich! Ich muss meinem Albtraum entgegentreten! Dem Mann, der mein Leben zerstörte! Dem Schatten, der mich seit sieben Jahren verfolgt! Ich fürchte mich zu Tode, Ameres! Aber ich kann mein Schicksal nicht ändern! Ich habe es versucht.“

Sie nahm einen tiefen Atemzug, in dem Versuch, ihre Haltung zurückzuerlangen, bevor sie fortfuhr: „Und sollte es ihnen doch gelingen, mich … Sollte ich doch zurückkehren, dann darfst du nicht zögern. Lass nicht zu, dass ich einem von euch irgendetwas antue. Ich würde lieber durch deine Klinge sterben, als auf diese Weise weiterzuleben.“

„Laryana! Das kannst du nicht…“

„Ameres, du musst es mir versprechen! Du weißt, wozu ich fähig bin, und du weißt, was das Blut aus mir machen wird! Jemand wird sterben, wenn ihr versucht, mich gefangen zu nehmen, sterben durch meine Hand! Wenn es in deiner Macht liegt, wenn die Entscheidung vor dir liegt, dann schenke mir den Frieden eines unbefleckten Todes! Wenn du es schon nicht für mich tust, dann für die, die du beschützen musst! Tu es für die Geschwister! Tu es für Aya!“ Sie schüttelte den Kopf und wischte über ihr Gesicht. „Es gibt nichts, was du sagen oder tun könntest, um mich von meinem Entschluss abzuhalten, und ich weiß nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt, also hör mir jetzt bitte genau zu. Eine letzte Sache kann ich noch für euch tun.“

Einen Augenblick lang studierte er ihre Züge, dann seufzte er ergeben. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Aber gut, ich höre.“

„Ich weiß, wer es war. Wer uns verraten hat.“

 

 

 

Ameres trat aus dem Zelt heraus. Soldaten eilten hin und her, viele Stimmen lagen in der Luft. Taris machte sich zum Aufbruch bereit.

Er machte einen Schritt nach vorne und packte einen der Soldaten am Arm. Dieser blieb stehen und öffnete den Mund zu einem bissigen Protest, doch als er das Gesicht des Naësaru sah, zuckte er zusammen und ließ die Kiste fallen, die er getragen hatte.

„Wo finde ich Werens Männer?“, fragte Ameres.

Mit aufgerissenem Mund starrte der Soldat ihn an, dann hob er zögernd die Hand.

Ameres‘ Augen folgten der Geste, dann ließ er den Mann los. „Danke“, murmelte er und stürmte mit kraftvollen Schritten davon.

Schließlich erreichte er einen kleinen Platz. Mehrere Zelte befanden sich hier, manche waren bereits abgebaut worden. Einige Soldaten standen in einer kleinen Gruppe an einem der verfallenen Häuser und unterhielten sich.

Ihr Gespräch verstummte, als der Naësaru sich näherte, und unsicher wandten sich die Männer ihm zu.

Einer von ihnen trat einen Schritt nach vorne. „Ameres! Gibt es etwas Neues von Laryana? Hast du …“

Er gab einen überraschten Schrei von sich, als Ameres ihn am Kragen packte und gegen die Hauswand schmetterte. Seine Beine strampelten hilflos einen halben Meter über dem Boden, und sein entsetzter Blick war auf das wutverzerrte Gesicht des Naësaru gerichtet, dessen lodernde Augen und die entblößten Zähne.

„Wa… Was soll das?“, röchelte er. „Was ist denn nur in dich gefahren?“

Ameres hörte, wie um ihn herum Schwerter gezogen und auf ihn gerichtet wurden. Er ignorierte es. „Erion“, zischte er. „Gib mir einen Grund, warum ich dich nicht auf der Stelle in Stücke reißen sollte!“

Stimmen wurden laut hinter ihm, Schritte eilten näher.

„Ameres! Was tust du da?“

Seine Ohren zuckten, dennoch er bewegte sich keinen Zentimeter.

Erion gab ein weiteres Röcheln von sich und tastete verzweifelt nach der Hand des Naësaru. Vergeblich, sein Griff war eisern.

Tanas Morgentau trat neben ihn. „Lass ihn los“, befahl er ruhig.

„Kommandant“, presste Ameres zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, aber auch jetzt folgte er der Anweisung nicht. „Ich glaube, Ihr solltet erst hören, was ich dazu zu sagen habe.“

Tanas begutachtete Erion prüfenden, der ihn flehend ansah. „Lass ihn los, dann können wir gerne …“

„Er ist verantwortlich für die Sabotage an der Westmauer!“, knurrte Ameres. „Er hat den Tod dutzender Eurer Männer verschuldet! Er hat Aya verraten und sie damit beinahe getötet! Und er hat Laryana an die Cruem ausgeliefert!“

Erions Kameraden hatten den Kreis um ihn inzwischen enger gezogen und auch weitere Schaulustige hatten sich hinzugesellt. Die Schwerter erhoben, wirkten sie bereit, ihrem Kampfgefährten zur Hilfe zu kommen, doch die Behauptungen des Naësaru schienen sie unschlüssig gemacht zu haben. Hilfesuchend betrachteten sie ihren Kommandanten.

Dieser bedeutete ihnen mit einer Geste zurückzutreten, und mit einer Mischung aus Widerwillen und Erleichterung folgten sie. Die Aufmerksamkeit aller war jedoch weiterhin auf den Naësaru gerichtet.

Ameres schien es noch immer nicht zu bemerken. Erneut bohrte er seinen Blick in Erion. „Du warst immer sehr darauf bedacht, was du zu ihr sagtest, nicht wahr?“, fuhr er fort. „Vielleicht wusstest du von ihrer Fähigkeit, vielleicht hast du auch nur geahnt, dass sie nicht leicht zu täuschen sei, aber dann hast du einen Fehler gemacht! ‚Ich weiß nicht, was sie von Derim wollen!‘? Du wusstest es ganz genau! Du hast jemanden zu Derim geschickt und ihn mit einem Vorwand zur Westmauer gelockt, hinter die sichere Linie! Du hast sein Leben bereitwillig aufs Spiel gesetzt und Laryanas Todesurteil unterschrieben! Warum, Erion? Warum hast du das getan? Was haben sie dir dafür versprochen?“

Obwohl er noch immer um Atem rang, trat mit einem Mal so etwas wie Trotz in Erions Augen. Er presste die Lippen aufeinander und schwieg.

Ameres‘ Aufmerksamkeit zuckte kurz zur Seite, als zwei bewaffnete Soldaten neben ihm auftauchten.

„Lass ihn los“, sagte Tanas noch einmal. Seine Stimme klang noch immer ruhig, doch nun konnte man auch andere Schwingungen darin hören. „Wir werden uns um ihn kümmern.“ Er nickte den beiden Bewaffneten zu. „Nehmt ihn in Gewahrsam. Den Menschen, nicht den Naësaru“, fügte er hinzu.

Ameres warf einen letzten, zornigen Blick auf Erion. Widerwillig trat er einen Schritt zurück und löste den Griff in einer wegwerfenden Handbewegung.

Erion fiel zu Boden. Sofort griffen die beiden Soldaten nach ihm und zerrten ihn zurück auf die Beine.

Ameres hatte sich abgewandt. Er ignorierte die beunruhigten und misstrauischen Blicke der Soldaten und starrte ins Leere.

„Ameres.“ Wieder trat Tanas neben ihn. „Bist du dir auch ganz sicher mit deinen Anschuldigungen?“

„Ich habe mit Laryana gesprochen.“

Hastig trat Tanas einen Schritt näher und ergriff Ameres‘ Schulter. „Du hast sie endlich gefunden? Wie geht es ihr? Wo ist sie?“

„Sie will mir nicht verraten, wo sie ist, aber das spielt auch keine Rolle. Sie ist irgendwo zwischen hier und Travahel, und so ungern ich es zugebe, sie hat recht damit, wenn sie sagt, dass wir sie nicht mehr rechtzeitig einholen können. Außerdem … hat sie es mir verboten.“

„Verboten? Was soll das heißen?“

Zum ersten Mal sah Ameres ihn an, dann wanderte seine Aufmerksamkeit zu den Soldaten, die noch immer um sie herumstanden.

Er nahm einen tiefen Atemzug. „Ich schätze, wir sollten das unter vier Augen besprechen.“

 

 

 

„Derim?“

Seine Lider zuckten, bevor er sie langsam öffnete. Licht blendete ihn zunächst, doch nach ein paar Sekunden konnte er Konturen erkennen, die schnell klarer wurden.

Sofort fiel sein Blick auf ein besorgtes Gesicht, das ihn wachsam betrachtete. Als er die Augen endgültig aufschlug, wandelte sich der besorgte Ausdruck schnell in Erleichterung.

„Er ist wach!“, rief Saria.

Schwerfällig richtete Derim sich auf und schaute sich verwirrt um. „Wo … Wo bin ich?“, murmelte er. Er erstarrte, dann hob er die Hand an seinen Hals. Seine Muskeln fühlten sich an wie Blei. Er runzelte die Stirn. „Sie haben mich … Warum bin ich nicht verletzt?“

„Ich habe mir die Freiheit genommen, deine Bisswunde zu heilen. Ich dachte, du würdest wahrscheinlich gerne auf diese Narbe verzichten.“

Überrascht sah er auf und sah in das ernste Lächeln Asneras. Was tat die Heerführerin Refnans hier in seinem Zelt?

„Oh. Vielen Dank. Ich …“ Er zögerte. Ein seltsamer Schatten lag in ihrem Gesicht, und als er sich umwandte, konnte er denselben Ausdruck auch bei seiner Schwester Saria sehen. Selbst das Gesicht von Taram neben ihr zeigte einen Ernst, den er von dem übermütigen und stets fröhlichen Pacru nicht gewohnt war. War etwas passiert?

Angestrengt versuchte er, sich zu konzentrieren. Seine Gedanken waren zäh wie Gummi und sein Kopf tat weh, aber da war etwas, etwas Wichtiges. Bilder stiegen in ihm auf, seltsam verzerrte Erinnerungen. Da war Schmerz, Furcht und …

Derims Augen weiteten sich. „Laryana! Sie haben sie mitgenommen! Sie haben …“

Asnera ergriff seine Schultern. „Derim, beruhige dich. Als wir dich fanden und hierherbrachten, bist du kurz aufgewacht, erinnerst du dich? Du hast versucht, es uns zu erklären, allerdings hast du nicht allzu viel Sinn ergeben. Es ist wichtig, dass du dich jetzt konzentrierst. Also, was ist passiert? Wo ist Laryana?“

„Sie haben sie mitgenommen!“, stieß Derim hervor und griff sich an den Kopf. „Sie haben sie in Ketten gelegt, und dann …“

„Wer?“, frage Saria ungeduldig. Ihre Stimme verriet deutlich, dass sie die Antwort bereits ahnte.

„Die Cruem! Sie haben mich in die Falle gelockt, und als Laryana dann kam …“ Er verzog das Gesicht. „Wir müssen sie suchen! Wir müssen …“

„Derim, im Moment können wir nichts tun“, unterbrach Asnera ihn. „Ich habe bereits alles veranlasst, habe die Spione benachrichtigt, aber Laryanas Spur war nicht zu finden, und wir können nicht einfach blind drauflos stürmen. Ameres versucht gerade, eine Verbindung zu Laryana über die Traumsicht herzustellen und herauszufinden, wo sie ist. Sie haben einen ziemlichen Vorsprung, und wir können nicht einmal sicher sein, ob man sie direkt nach Travahel bringt.“

„Sollen wir etwa einfach hier rumsitzen und darauf warten, dass sie eine Cruem aus ihr machen?“ Er sprang von seinem Lager herunter. Taram ergriff hastig seinen Arm, als er schwankte.

„Langsam, Derim. Du wurdest zwar nur einmal gebissen, aber es wird noch eine Weile dauern, bis das Enzym deinen Körper vollständig verlassen hat.“

„Es geht mir gut“, knurrte Derim und riss sich ungeschickt los. „Und wenn ihr nichts dagegen habt, würde ich jetzt gerne …“

Plötzlich wandten sich alle Köpfe zum Zelteingang. Auch Derim fuhr herum und erschrak beinahe. „Ameres!“, rief er.

Die Miene des Naësaru war seltsam hart. Wie zuvor bei Saria huschte ein kurzer Ausdruck von Erleichterung über sein Gesicht, als er Derim sah, doch der Schatten kehrte sofort zurück.

„Hast du etwas herausgefunden?“ Hoffnungsvoll trat Asnera näher.

Ameres fuhr sich mit der Hand durch das lange Haar. Auf halbem Wege verharrte er, und für einen Moment trat ein seltsamer, nachdenklicher Ausdruck in seine Augen. „Ich habe sie gefunden“, antwortete er schließlich leise.

Derims Gesicht hellte sich ein wenig auf. „Das sind doch gute Nachrichten, oder nicht? Was hat sie gesagt? Geht es ihr gut? Wo ist sie?“

Stumm sah Ameres ihn an.

Der Enthusiasmus in Derims Augen verschwand, und ein seltsames Gefühl machte sich in seiner Magengrube breit. „Was hat sie gesagt, Ameres?“, wiederholte er, diesmal etwas eindringlicher.

„Sie hat … Sie ist … Nun, wie soll ich es ausdrücken …“

Entschlossen trat Asnera auf ihn zu und streckte ihm eine Hand entgegen. „Wozu haben wir denn die Gabe des Erinnerungssehens? Zeig mir, was du gesehen hast. Vielleicht können wir die Sache dadurch etwas vereinfachen.“

 

 

 

Laryana zuckte zusammen. Ruckartig öffnete sie die Augen.

„Ende der Pause“, grollte eine Stimme dicht neben ihr. Unsanft riss jemand an ihren Ketten und zwang sie so auf die Beine. Kalte Hände griffen nach ihr und bewahrten sie davor, wieder umzufallen.

„Erbärmlich. Diese Elhar brauchen immer ihren Schlaf. Beinahe wie die Menschen.“ Ein heiseres Lachen erklang, und nach und nach stimmten weitere mit ein.

Sie blinzelte, dann betrachtete sie die Gesichter, die sie umgaben und mit einer Mischung aus Neugier, Vorsicht und Erheiterung betrachteten. Rote Augen musterten sie eingehend. Es mochten gut fünfzehn sein.

Wieder blinzelte sie. Ja, natürlich. Taris und die Falle, die Erion ihr gestellt hatte. Unwillkürlich erschauderte sie.

Anscheinend war sie aus einem Albtraum erwacht, nur um in einen neuen zu stürzen. All die Jahre hatte sie gefürchtet, als Gefangene in die Hände der Cruem zu fallen, und nun war dieser Schrecken Wahrheit geworden. Wie sehr spürte sie das fehlende Gewicht ihrer Waffen. Es war lange her, dass sie sich so hilflos gefühlt hatte. Allein die Gewissheit, den kleinen Silberdolch in ihrem Stiefel noch zu haben, spendete ihr zumindest ein wenig Trost. Wie gut, dass die Cruem ihn nicht gefunden hatten.

Laryana schenkte dem Naësaru neben sich ein Fauchen, als dieser sich näher schob, um ihre Ketten zu kontrollieren. Erneut erntete sie nur Gelächter.

„Wir haben noch einen weiten Weg vor uns“, rief der Anführer ungeduldig. „Travahel erwartet uns. Also los, Bewegung!“

Die Cruem rannten los. Laryana, deren Arme rechts und links an einen Naësaru gekettet waren, hatte keine andere Wahl, als sich ihnen anzuschließen.

Wie lange hatte sie geschlafen? Es konnten kaum ein oder zwei Stunden gewesen sein. Sie waren fast die ganze Nacht hindurch gelaufen, und irgendwann war selbst sie müde geworden. Trotz ihrer Situation war es ihr gelungen, sehr schnell einzuschlafen. Ihr Körper war es inzwischen gewohnt. Wenn man auf der Flucht lebte, konnte man nicht wählerisch sein mit den Ruhepausen, die sich ergaben.

Wie gut, dass Ameres sie gefunden hatte. Sie hatte ihm alles Wichtige mitteilen können, bevor man sie so schroff geweckt hatte. Aber ob er auch auf sie hörte? Sie hatte den Widerwillen in seinen Augen gesehen. Ein winziger Teil von ihr war dankbar dafür, freute sich über seine Entschlossenheit, ihr selbst jetzt helfen zu wollen.

Doch sie wusste, sie hatte das Richtige getan. Ameres war in Travahel offiziell zum Verräter erklärt worden, als er sich ihr angeschlossen hatte. Wahrscheinlich würde man ihn sofort töten, wenn er sich in Travahel blicken ließ. Und so, wie sie den Fürsten kannte, würde es kein angenehmer Tod werden.

Die Menschen hatten dort noch weniger eine Chance. Auf sie wartete weitaus Schlimmeres als der Tod.

Nein, sie würde ihr Leben nicht noch einmal in Gefahr bringen. Erst recht nicht, wenn es ohnehin aussichtslos war.

Die ihr nun allzu bekannte Furcht stieg in ihr auf. Immer wieder ging sie ihren Plan in Gedanken durch. Irgendwann würde man ihr die Ketten abnehmen. Ob das nun sein würde, bevor oder nachdem man ihr das Ritual aufgezwungen hatte, wusste sie natürlich nicht. Danach blieben ihr mindestens drei Tage. Drei Tage, in denen man sie intensiv beobachten würde.

Sie würde wachsam sein müssen. Bei dieser Mission durfte sie sich keine Fehler leisten. Sie hatte nur eine einzige Chance. Medelyas Tee brauchte eine Weile, bevor er zu wirken begann, und bei einem vollen Cruem, wie sie es dann sein würde, war die Wirkung tödlich. Wenn sie ihn einmal eingenommen hatte, gab es kein Zurück mehr. Dann blieb ihr etwa noch eine Stunde, um ihre letzte Mission auszuführen. Zumindest einen Vorteil hatte sie: Jetzt hatte sie nichts mehr zu verlieren.

Sie strauchelte, als einer der Naësari an ihren Ketten riss.

„Nur nicht so langsam. Ausruhen kannst du dich, wenn wir da sind.“

Sie warf einen kurzen, stummen Blick auf den Naësaru zu ihrer Rechten, bevor sie ihr Gesicht wieder geradeaus wandte. Für einen Moment bedauerte sie, nicht an ihren Stiefel zu kommen, doch vielleicht war es besser so. Sie hatte keine Chance, sie alle zu töten, vor allem nicht mit gebundenen Händen. Den Dolch würde sie für jemand Besonderes aufheben. Nein, sie würde sich nicht von ihrer Furcht beherrschen lassen. Und sie würde sich jetzt nicht ablenken lassen.

Die Erinnerung an das Versprechen, das sie Asnera und Ameres gegeben hatte, hallte in ihren Ohren wider. Das Versprechen, dem Fürsten eine Chance auf eine Erklärung zu geben, sollte sie ihm jemals wieder gegenüberstehen.

Damals hatte es so einfach geklungen. Sie hatte nicht gedacht, dass die Realität so kalt und hart sein würde. Es war doch etwas anderes, nun tatsächlich hier zu sein, auf dem Weg in die Dunkelheit.

Nun, sie hatte nur gesagt, sie würde ihm eine Chance geben, falls sich ihr die Gelegenheit dazu bieten würde. Allerdings war sie sicher, dass Ameres seine Meinung geändert hatte, nachdem Aya vor Taris fast ihr Leben verloren hatte, und das auf Befehl des Fürsten.

Und was Asnera anging … Ein Hauch von Gewissensbissen stieg in Laryana auf. Sie schob es rasch beiseite. Asnera hatte gewiss nicht an solch eine Situation gedacht, als sie sie um diesen Gefallen gebeten hatte. Und die Tatsache, dass der Fürst ihr Halbbruder war, mochte ihre Gefühle beeinflussen, was diese ganze Sache anging. Zudem würde sich solch eine Gelegenheit vielleicht nie wieder für sie oder jemand anderes ergeben. Und Asnera würde die Antwort ohnehin nicht mehr erfahren, wenn er denn eine geben würde.

Sie hatte keine andere Wahl.

 

 

Derim öffnete die Augen. „Ja, dasselbe hat sie mir auch gesagt.“

„Ich weiß.“ Ameres‘ Stimme klang müde und frustriert.

„Glaubt sie denn wirklich, wir werden sie jetzt einfach so im Stich lassen?“

„So ungern ich es auch sage, aber in einem hat sie nicht ganz Unrecht“, meinte Asnera. Angespannt begann sie, in dem Zelt auf und ab zu laufen, die Arme in einer nachdenklichen Pose verschränkt. „Sie ist gefährlich. Sie ist eine hervorragende Kämpferin, und als Cruem wäre sie noch stärker und geschickter. Sie hat Erfahrung sowohl mit Silber als auch mit Makantit und würde sich nicht überraschen lassen. Es ist unwahrscheinlich, dass es uns einfach so gelingen würde, sie lebend zu fassen zu kriegen, geschweige denn ohne Verluste. Fürst Fareas ist sieben Jahre lang daran gescheitert. Und sie weiß sehr viel, sowohl über die Menschen als auch über die Elhar.“

„Dann sollen wir sie also einfach sterben lassen? Oder besser noch, sie töten?“ Schärfe lag in Derims Stimme.

Asnera verharrte und warf ihm einen missbilligenden Blick zu. „Ich sage nur, wir sollten nun gut planen und sorgfältig darüber nachdenken, wie wir handeln wollen. Ich gehe davon aus, dass der Fürst das Ritual selbst durchführen möchte, weshalb uns womöglich noch etwas Zeit bleibt. Gerade bei ihr wird er wohl darauf achten wollen, dass alles nach den Traditionen verläuft, schließlich steht sie als potentielle Frau an der Seite des Fürsten auch im Licht der Öffentlichkeit. Trotzdem sollten wir auch nicht zu optimistisch sein. Es ist gewiss in seinem und auch Teneris‘ Interesse, sie so schnell wie möglich unter ihre Kontrolle zu bringen, und da ist das Ritual die beste Möglichkeit.“ Sie überlegte kurz. „Sora, meine Mutter, konnte damals vier Tage gegen den Blutwahnsinn ankämpfen, bevor er sie zu verändern begann, und selbst dann hatte sie noch weitgehend Kontrolle über sich selbst. Es ist also noch nicht alles verloren.“

„Außer, sie setzt wirklich Medelyas Tee ein“, gab Ameres zu bedenken. „Es schien ihr sehr ernst damit zu sein.“

„Natürlich, das ist ein Faktor. Vielleicht gelingt es uns aber, sie davon abzubringen.“

„Und wie geht es jetzt weiter?“, fragte Derim ungeduldig. „Werden wir sie nun verfolgen oder nicht? Uns läuft die Zeit davon, verdammt!“

Asnera schüttelte entschlossen den Kopf. „Die Cruem laufen schnell, und sie werden wahrscheinlich den direkten Weg nach Travahel nehmen. Die Gebiete in dieser Richtung sind kontrolliert und von Patrouillen durchzogen – was für sie kein Problem ist, für uns allerdings schon. Deshalb hat es wenig Sinn, die Verfolgung aufzunehmen.“

Derim starrte sie entgeistert an. „Wir sollen aufgeben?“

„Nein, natürlich nicht! Aber es gibt eine bessere Lösung als eine kopflose Verfolgungsjagd. Wir haben ein paar Spione am Pass des Ushkar-Berges. Die Cruem müssen dort vorbeikommen, wenn sie den schnellsten Weg nehmen. Wenn es uns gelingt, die Spione zu erreichen, könnten sie den Cruem auflauern und Laryana – hoffentlich – befreien. Auch Tanas Morgentau hielt das für die beste Lösung, als ich es ihm als Option vorschlug. Wir werden weiter versuchen, mit Laryana über die Traumseher in Kontakt zu bleiben und sie über alles zu informieren. Sobald es uns möglich ist, werden wir die Nachricht nach Refnan weitergeben, damit Medis und die anderen Traumseher es ebenfalls versuchen können. Es ist wahrscheinlich das Beste, wenn sie darauf vorbereitet ist.“

Derim hielt inne. „Oh. Das … Das klingt nicht schlecht.“ Er blinzelte. „Gibt es auch Spione innerhalb von Travahel? Falls etwas schiefgeht?“

„Zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht. Die letzten zwei wurden vor wenigen Wochen enttarnt, und Nola rät im Moment davon ab, weitere zu schicken – jetzt, da sie von unserer Existenz wissen. Und so kurzfristig würde es uns auch nicht mehr gelingen, jemanden einzuschleusen. Wenn wir ihr also helfen wollen, müssen wir sie vor Travahel abfangen.“

„Was ist mit Erion?“, warf Saria ein. „Er hat doch mit dem Cruem kooperiert, oder? Vielleicht kann er uns Informationen geben.“

„Freiwillig? Das glaube ich kaum.“ Derim gab ein Schnauben von sich. „Dieser hinterhältige Mistkerl!“

„Ich wäre gerne dabei behilflich, wenn es darum geht, Informationen aus ihm herauszubekommen“, sagte Ameres düster.

Asnera warf ihm einen abschätzenden Seitenblick zu. „Das wird nicht nötig sein. Ich werde mit dem Kommandanten sprechen. Nola wird in wenigen Stunden hier eintreffen, und wenn Tanas uns lässt, können wir sicherlich das eine oder andere von ihm erfahren. Falls er denn überhaupt etwas Nützliches weiß.“

„Ich bin ehrlich gesagt neugierig, was ihn dazu veranlasst hat, seine eigenen Leute zu verraten“, meinte Taram. Er rieb sich nachdenklich das Kinn. „Ich meine, wieso sollte das jemand überhaupt machen? Jeder weiß doch, dass die Cruem böse sind. Und nach allem, was ihr erzählt habt, hätte ich ihn wohl zuletzt verdächtigt. Er schien einen ziemlichen Hass auf die Naësari zu haben. Besonders nach dem, was mit seinem Freund passiert ist. Komischer Kerl.“

„Anscheinend hat er es sich anders überlegt“, knurrte Ameres.

„Und letztendlich hat wohl jeder seinen Preis, gut und böse hin oder her.“ Asnera seufzte. „So einfach ist es eben nicht, Taram.“

Ameres verschränkte die Arme. „Wenn ich ehrlich bin, gefällt mir der Gedanke ganz und gar nicht, hier einfach zu warten. Aber wie es aussieht, haben wir gerade keine andere Wahl.“

„Ich werde euch auf dem Laufenden halten. Und macht euch keine Sorgen. Noch ist nicht alles verloren.“

 

 

 

Nachdem Asnera sich verabschiedet hatte, machten sich auch Ameres und Derim auf den Weg. Es gab noch viel zu tun, bevor sie nach Arkengrund aufbrechen konnten, und sie hatten sich freiwillig gemeldet, bei den Aufräumarbeiten in Taris zu helfen. Noch immer lagen viele Trümmer der zerstörten Mauer herum, wo das Katapult sie durchschlagen hatte. Derim fühlte sich zwar noch etwas schwach auf den Beinen, aber er hatte zu verstehen gegeben, dass er nicht einfach herumsitzen konnte.

Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her, bis Ameres schließlich das Wort ergriff.

„Du machst dir Vorwürfe, oder?“

Derim antwortete nicht und starrte weiter geradeaus.

„Es war nicht deine Schuld. Niemand konnte ahnen, dass Erion der Verräter ist, und er hat es geschickt angestellt. Wahrscheinlich hat er alles sehr sorgfältig geplant. Außerdem dachten wir, die Cruem hätten sich restlos zurückgezogen.“

Wieder schien es, als würde Derim nicht antworten wollen, doch schließlich nahm er einen tiefen, frustrierten Atemzug. „Trotzdem, wäre ich vorsichtiger gewesen …“ Er wandte den Kopf ab.

„Meine Güte, jetzt klingst du genau wie Laryana! Ihr könnt nicht alles wissen! Ihr könnt nicht auf alles vorbereitet sein! Der Feind schläft nicht! Und er lebt nur, um zu kämpfen.“ Er musterte Derim von der Seite. „Das ist nicht alles, was dich beschäftigt, oder?“

Derim biss sich auf die Lippe. „Wir … Naja, du erinnerst dich ja gewiss noch, wie aufgebracht ich war, als ich nach Taris kam und feststellen musste, was mit Aya geschehen war. Der Anschlag auf sie und ihre schweren Verletzungen, Laryanas Entscheidung, sie zu verwandeln … Wir sind nicht gerade in Freundschaft auseinandergegangen. Ich war so wütend und habe ihr ein paar Dinge an den Kopf geworfen, die ich gerne zurücknehmen würde. Wenn ich nun daran denke, dass dies vielleicht die letzten Worte waren, die ich an sie gerichtet habe …“

Er kam zu einem abrupten Halt, als der Naësaru sich vor ihn stellte. „Derim. Laryana und du, ihr habt eine Menge zusammen durchgemacht. Sie kennt dich inzwischen recht gut. Sie nennt dich ihren Bruder! Ich glaube, sie weiß, wie wichtig sie dir ist. Du solltest nicht das Gefühl haben, dein Leben für sie riskieren zu müssen, weil du dich schuldig fühlst.“

Derim schüttelte er den Kopf. „Ich würde auch dann losziehen wollen, wenn die Dinge anders verlaufen wären, das weißt du. Sie gehört schließlich zur Familie. Aber im Moment fühle ich mich einfach nur grauenvoll.“

Ameres senkte den Blick. „Ich denke, wir alle haben in den letzten Tagen Dinge gesagt und getan, die wir bereuen.“

„Falls du damit Aya meinst … Ich habe mich nie dafür entschuldigt, dich so angegriffen zu haben. Ich hatte nun ein wenig mehr Zeit, darüber nachzudenken. Ihr konntet nicht ahnen, dass man sie direkt angreifen würde. Und selbst, wenn du sie verwandelt hättest … Ich weiß, Laryana hätte es nie getan, wenn es einen anderen Weg gegeben hätte. Gerade sie. Ich bin dankbar dafür, dass meine Schwester lebt. Und wir werden lernen, damit zurechtzukommen.“

„Wie geht es ihr?“, fragte Ameres leise.

Derims Mundwinkel zuckten, doch sein Gesicht wirkte noch immer unsicher. „Gut, denke ich. Ihre Wunden waren vollständig verheilt, als ich sie das letzte Mal sah. Es war, als würde sie schlafen. Nur ihre Haut war so … kalt.“

Ameres nickte langsam. „Zwei Tage“, murmelte er.

Er setzte seinen Weg fort, und Derim schloss sich an. „Darna wird sich persönlich darum kümmern, dass sie sicher nach Arkengrund gelangt, und auch die Elhar werden sie beschützen. Immerhin ist sie jetzt eine von ihnen.“

Gedankenverloren fuhr Ameres durch sein Haar. „Ja.“

Wieder liefen sie schweigend nebeneinander her.

„Diese Warterei ist schrecklich“, knurrte Derim schließlich. „Was, wenn es den Spionen nicht gelingt, sie zu befreien?“

„Ich schätze, dann müssen wir uns etwas einfallen lassen.“

„Du meinst, sowas wie eine Befreiungsaktion?“

Ameres nickte.

„Wenn es soweit ist … sag mir Bescheid.“

 

 

 

II. Schatten

 

 

 

 

Laryana starrte auf den Sonnenuntergang. Viele Stunden lang waren sie gerannt, und langsam ahnte sie, was dahintersteckte: Man wollte sie müde machen. Mit einer gewissen Erheiterung hatte sie festgestellt, dass in den Augen der meisten Naësari um sie herum hin und wieder Furcht und Sorge aufflackerten, wenn diese sie ansahen.

Vielleicht war ihr nie bewusst gewesen, welchen Ruf sie in Travahel hatte. Immerhin hatte sie sieben Jahre lang nichts anderes getan, als jeden Suchtrupp auszulöschen, den man ihr auf den Hals gehetzt hatte. Zu Beginn war es allein aus Selbstschutz gewesen und ein paar waren entkommen. Aber ab dem Zeitpunkt, wo die Gesichter der Getöteten sie nicht mehr im Schlaf verfolgt hatten, war es einfacher geworden. Auch der Fund der Silberschwäche und des Metalls selbst war hilfreich gewesen.

Noch immer war sie angekettet, und das würde sich bis Travahel wahrscheinlich auch nicht mehr ändern. Zwar heilte ihr Körper schnell, doch trotzdem schmerzten ihre Knöchel an den Stellen, wo das Eisen sie umschloss. Auch war es unmöglich, eine bequeme Haltung zu finden mit den gebundenen Händen.

Es gab wenig, was sie dagegen tun konnte. Ihre Kraft reichte nicht aus, um sich aus den Fesseln zu befreien. Und mit Gewalt herauszuschlüpfen würde ebenso wenig funktionieren, dafür saßen sie zu eng. Außerdem war sie zu keiner Sekunde unbeobachtet.

Ihre Nase zuckte, als ein vertrauter Geruch in ihre Nase drang, und sie wandte voller Abscheu den Kopf ab.

„Du solltest dich nicht dagegen wehren“, meinte der Naësaru neben ihr amüsiert. „Niemand kann dem Ruf des Blutes widerstehen. Und auch du wirst noch erkennen, dass die Menschen in Wahrheit nur zu einer Sache gut sind.“ Genüsslich nahm er einen Schluck aus einer bauchigen Flasche, dann wischte er sich mit einer abfälligen Handbewegung den Mund ab.

Sie schwieg. Ohnehin hatte sie bis jetzt nur wenige Worte mit den Cruem gewechselt. Was sollte sie ihnen auch sagen? Drohungen waren sinnlos, und ebenso sinnlos war der Versuch, mit ihnen zu verhandeln oder aber sie dazu zu bringen, sie zu töten. Die Naësari waren wachsam, sehr wachsam. Jeder von ihnen wusste um die große Belohnung, die sie ihnen in Travahel einbringen würde. Und um den Ärger, den sie den Cruem im Laufe der Jahre eingebracht hatte.

Unbehaglich verlagerte sie ihre Beine. Die unnatürliche Sitzhaltung bescherte ihr Rückenschmerzen. Für einen Moment schloss sie die Augen und unterdrückte einen Seufzer. Vielleicht gelang es ihr wenigstens, sich zu orientieren. Immerhin war sie in den letzten Jahren viel herumgekommen.

Sie runzelte die Stirn. Hörte sie dort nicht ein Rauschen? Sie ließ ihren Blick über die Naësari schweifen. Diese waren vollauf mit ihrer Mahlzeit beschäftigt. Sicher würde es nicht mehr lange dauern, bis sie wieder aufbrachen. Man wollte keine Zeit verlieren.

„Wollt ihr mich eigentlich hungern lassen?“, knurrte sie. „Das würde dem Fürsten gewiss nicht sehr gefallen.“

Zwei von ihnen sahen auf. Spott lag in dem Gesicht des einen, doch der andere wirkte nachdenklich.

„Wir sind gerne bereit, mit dir zu teilen“, meinte der erste höhnisch und hob seine Flasche.

„Lass das“, brummte der andere. „Wir haben unsere Anweisungen.“ Er kramte in einer Tasche und zog schließlich etwas hervor, das wie eine dicke Scheibe Brot aussah. Achtlos warf er es in ihre Richtung. Es landete auf ihrem Schoß.

„Und wie soll das jetzt funktionieren? Ich brauche freie Hände.“

Ein sarkastisches Grinsen trat auf die Lippen des Naësaru. „Natürlich.“

„Eine Hand würde mir genügen. Kommt schon, traut ihr euch so wenig zu?“ Sie lächelte unschuldig. „Ihr habt doch nicht etwa Angst vor mir, oder?“

Mit einem Mal blickten ihr ein paar mehr Gesichter entgegen. Auf den Stolz und Hochmut der Cruem war doch immer Verlass.

Der Naësaru erhob sich. „Und wovor sollten wir Angst haben? Dass du uns die Augen auskratzt?“ Er nickte den beiden Wachen neben ihr zu. „Also gut, löst ihre linke Hand. Und beobachtet sie ganz genau.“

Erneut schenkte Laryana ihm ein süßliches Lächeln. „Zu gütig!“ Geduldig wartete sie, bis die Wache der Anweisung nachgekommen war. Sie bewegte ihr Handgelenk ein paar Mal, bevor sie nach dem Brot griff. Es schien schon recht alt zu sein und war steinhart.

Ihre Mundwinkel zuckten. Natürlich hatte sie nicht erwartet, dass die Cruem richtige Nahrung bei sich hatten. Immerhin, es war besser als nichts.

Sorgsam und mit einer gewissen Mühe brach sie es in der Mitte durch, so dass sich zwei längliche Hälften ergaben. Sie warf einen verstohlenen Blick zur Seite. Der Naësaru zu ihrer Linken beobachtete sie aufmerksam, doch der rechte, an den sie noch immer gekettet war, schien für den Moment voll und ganz mit seiner Mahlzeit beschäftigt zu sein. Sie starrte auf ihren Schoß. Vielleicht war es verrückt, aber …

Sie griff nach der einen Hälfte der steinharten Brotscheibe und rammte sie dem linken Cruem in die Seite. In einer schemenhaften Bewegung griff sie nach der zweiten Hälfte und stieß sie in die Eingeweide des rechten, bevor er reagieren konnte. Blut spritzte und benetzte ihre Hand. Es war nicht genug, um sie zu töten, doch es würde sie ein paar Sekunden lang außer Gefecht setzen. Mehr brauchte sie auch nicht.

Ohne ihren Bewegungsablauf zu unterbrechen, ergriff sie den Langdolch am Gürtel des rechten Naësaru und hieb nach dem Arm, an dem er ihre Ketten befestigt hatte. Sie verlor keine Zeit. Ihre Chancen, gegen sie alle zu kämpfen, waren aussichtslos, selbst mit dem Dolch.

Doch das war auch nicht ihr Plan gewesen. Bevor die beiden Naësari, die zuerst aufgesprungen waren, sie erreichen konnten, kam sie auf die Beine und rannte in die entgegengesetzte Richtung los.

Nun hörte sie das Rauschen deutlich. Ganz in der Nähe musste sich ein Fluss befinden. Sie erinnerte sich daran, ihn schon einmal gesehen zu haben, vor langer Zeit, als sie diese Gegend durchstreift hatte. Er lag in einer tiefen Schlucht, von Felsen umsäumt. Er besaß eine reißende Strömung, und es war unmöglich, ihn an dieser Stelle zu überqueren.

Wenn sie sich aber stattdessen von ihm mitreißen ließ, war die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass ihre Regeneration sie am Leben erhalten würde, trotz der vielen Felsen. Irgendwann würde sie wieder ans Ufer gelangen. Und falls die Cruem ihr zu folgen wagten, dann gewiss nicht alle auf einmal.

Wie gut, dass man ihr die Fußfesseln abgenommen hatten. Irgendwann hatten selbst die Cruem begriffen, wie umständlich es war, sie zu tragen. Schnelligkeit war wichtiger. Und unter normalen Umständen wären die Handfesseln auch ausreichend gewesen. Selbst sie hatte bis eben gerade nicht geahnt, dass man selbst Brot als Waffe einsetzen konnte.

Die Aufmerksamkeit fest auf ihr Ziel gerichtet, sprang Laryana über einen umgestürzten Baumstamm und kurz darauf einen kleinen Hang hinunter. Ein Ast streifte sie im Gesicht und sie bemühte sich, das Brennen zu ignorieren. Weitere Äste splitterten, als sie zwischen den Bäumen hindurchbrach. Nun war keine Zeit, nach dem sichersten Weg zu suchen.

Sie hörte Rufe dicht hinter ihr. Ihr Vorsprung war nur gering, doch sie war das Laufen gewohnt. Auch die überlegene Stärke der Cruem glich ein jahrelanges Training nicht aus.

Das Rauschen wurde lauter. Sie konnte bereits die Kante der Schlucht zwischen den Bäumen erkennen. Ein leises Zischen ließ sie ruckartig nach rechts ausweichen, und sofort riss sie die Augen auf. Etwas Blitzendes flog knapp an ihr vorbei, dann bemerkte sie ein zweites Zischen.

Sie versuchte noch, sich zu Boden zu werfen und abzurollen, doch zu spät. Ein durchdringender Schmerz, wie ein Blitzschlag, fuhr in ihren Rücken, zog sich an ihrem Körper herunter bis in ihre Beine. Sie verlor jegliches Gefühl und fiel ungebremst zu Boden.

Ein schriller Schrei entfuhr ihr, als ein neuerlicher Schmerz durch ihren ganzen Körper zuckte, doch sie war unfähig, sich zu bewegen. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass ein Dolch tief in ihrem Rücken steckte.

Das Licht vor ihren Augen begann zu flackern. Sie nahm noch verschwommen wahr, wie mehrere Arme sie hochrissen, wie jemand sie über seine Schulter warf und etwas Kaltes sich um ihre Handgelenke schloss. Noch einmal öffnete sie den Mund zu einem stummen Schrei, als jemand den Dolch mit einem Ruck aus ihrem Rücken zog. Dann wurde alles schwarz.

 

 

 

Sie wanderte durch den Wald. Irrlichter wiesen ihr den Weg, führten sie immer tiefer auf verschlungenen Pfaden. Wohin war sie unterwegs?

„Das weißt du doch“, sagte eine Stimme neben ihr. „Die Zeit des Davonlaufens ist vorbei.“

Trotz der Sanftheit der Stimme erschrak sie und wich ein Stück zur Seite. Ein Baum versperrte ihr den Weg. Unwillkürlich stolperte sie nach vorne.

Der Mann neben ihr lächelte und setzte seinen Weg fort. „Wovor hast du denn Angst? Wir haben so viel zusammen erlebt. Ich weiß alles über dich. Und du über mich. Du tust so, als seist du zu einem Fremden unterwegs.“

Sie stoppte. Er lief noch ein paar Schritte weiter, dann blieb auch er stehen und drehte sich langsam zu ihr um.

„Alles?“, fragte sie spöttisch. „Du kennst mich nicht. Sonst hättest du mir all das nie angetan. Außer natürlich, du wolltest meinen Hass“, fügte sie mit einem grimmigen Lächeln hinzu.

Er antwortete nicht. Stumm beobachtete er sie aus funkelnden roten Augen, die Arme hinter dem Rücken verschränkt.

„Und auch ich habe dich nie wirklich gekannt“, fügte sie hinzu. „Sonst wäre ich nicht so dumm gewesen, dir zu vertrauen.“

„Du hast mich geliebt“, sagte er. „Du wolltest einst alles für mich aufgeben. Deine Familie, dein Heimatdorf. Das Leben, das du gekannt hast. Ist nicht genau das geschehen?“

Sie entblößte die Zähne. „Versuche ja nicht, das alles zu verdrehen. Ja, ich war dumm genug, alles für dich aufgeben zu wollen. Weil ich dachte, dass ich dich kenne. Weil ich dachte, du seist es wert. Aber das bist du nicht. Und ich werde es dir beweisen.“

Er hob eine Hand. Etwas Silbernes glitzerte darin. „Damit?“, fragte er.

„Der Dolch! Gib ihn mir zurück!“

Er lachte leise, und mit einem Mal schien er in die Höhe zu wachsen. „Denkst du denn, du seist klüger als damals? Glaubst du wirklich, es sei so einfach? Stell dich endlich deinem Scheitern. Ich bin stärker als du. Was du auch versuchst, ich werde gewinnen. Und weißt du auch, warum?“

Er trat an sie heran, so nahe, dass ihre Gesichter kaum eine Handbreit voneinander entfernt waren. „Weil ich dich kenne. Leugne es ruhig, aber ich kenne dich. Ich weiß, was du denkst, wie du denkst. Ich weiß, wer du bist. Und dieses Wissen hast du mir gegeben. Freiwillig.“

Sie drehte sich um und rannte. Die Dunkelheit des Waldes raubte ihr fast die Sicht, nur mit Mühe konnte sie den Weg vor sich erkennen.

„Du kannst nicht mehr davonrennen“, sagte eine Stimme hinter ihr. „Du gehörst mir. Es wird Zeit, dass du meine Welt kennenlernst.“

Die Bäume verschwanden. Stattdessen tauchten Ruinen um sie herum auf, halbverbrannte Gebäude. Einst musste hier ein Dorf gestanden haben. Nun war der Boden bedeckt von Asche und Trümmern. Vorsichtig schob sie einen angesengten Balken beiseite und wich zurück, als ein Schädel darunter zum Vorschein kam. Kaltes Entsetzen durchströmte sie, als sie immer mehr Knochen zwischen den Trümmern entdeckte.

„Was ist das hier?“, flüsterte sie.

„Sieh genau hin“, erklang eine Stimme direkt neben ihrem Ohr. Sie erstarrte, als sich zwei Hände von hinten um ihre Schultern legten. „Das geschieht mit jenen, die sich mir widersetzen. Mit jenen, die glauben, sie könnten gegen mich kämpfen und gewinnen und mit jenen, die zu ihnen gehören. Ist es das, was du willst? Ist das der Weg, den du gehen willst? Was gibt es denn dort zu gewinnen für dich?“