Melpomene ist nicht mehr - Ulrike Klakow - E-Book

Melpomene ist nicht mehr E-Book

Ulrike Klakow

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Beschreibung

In der Nacht zum 21.März 1730 wird die zerstückelte Leiche Adrienne Lecouvreurs heimlich am Ufer der Seine verscharrt. Aus den Hinterhöfen von Saint Germain war sie zur bekanntesten und reichsten Schauspielerin von Paris aufgestiegen. Ist ihr die Affäre mit dem Cômte de Saxe zum Verhängnis geworden?

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In der Nacht zum 21. März 1730 wird die zerstückelte Leiche Adrienne Lecouvreurs heimlich am Ufer der Seine verscharrt. Aus den Hinterhöfen von Paris war sie zur bekanntesten Schauspielerin der Comédie-Française aufgestiegen. Ist ihr die Affäre mit dem Cômte de Saxe zum Verhängnis geworden?

Ulrike Klakow wurde in Nürnberg geboren und studierte an der Musikhochschule München Gesang. Als Sängerin an der Bayerischen Staatsoper hat sie sich durch Francesco Cileas Oper Adrianna Lecouvreur zu ihrem zweiten Roman inspirieren lassen. Ihr erstes Buch Komponist zwischen den Welten hat sie dem Leben Kurt Weills gewidmet.

Für Michael

La Mort de Mademoiselle Lecouvreur

Que vois-je? Quel objet! Quoi! Ces lèvres charmantes, Quoi! Ces yeux d’où partaient ces flames éloquentes, Eprouvent du trépas les livides horreurs! Muses, Grâces, Amours, don’t elle fut l’image, O mes dieux et les siens, secourez votre ouvrage! Que vois-je? C‘en est fait, je t’embrasse , et tu meurs! Tu meurs! On sait déja cette affreuse nouvelle; Tous les coeurs sont émus de ma douleur mortelle. J’entandes de tous côtés les Beaux-Arts éperdus S’écrier en pleurant: »Melpomène n’est plus!«

Voltaire

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

Prolog

So kalt wie der Körper, der gerade auf den Karren geschmissen wird, ist es auch in der Nacht zum 20. März 1730 im Schatten des Hauses der Rue des Marais 21 im Bezirk Saint-Germain.

Ein schmächtiger Mann, seinen grauen Umhang fest um sich gewickelt und das Schnupftuch gegen den Gestank der Gosse vor die Nase gepresst, steht im Hauswinkel und beobachtet, wie die ungekrönte Königin der Comédie-Française, jeglichen Respekt vermissen lassend, von den Totengräbern abtransportiert wird.

Nur wenige Stunden zuvor hielt er Adrienne Lecouvreur noch in den Armen. Nach überstandener Krankheit hatte sie am Abend zuvor mit triumphalem Erfolg ihre Rückkehr auf die Bühne gefeiert und es machte ganz den Anschein, als hätte sie sich vollständig erholt.

Welches Gift auch immer in ihrem Körper gewütet haben mochte, es hatte am Ende doch seine Wirkung gezeigt.

Wer oder was hat sie getötet und warum musste sie sterben? Plötzlich, ganz unerwartet, war sie für immer der Welt verloren gegangen.

Tiefe Trauer erfasst Voltaire bei dem Gedanken, dass er sie nie wieder im Theater sehen, sie nie wieder eines seiner Stücke spielen, sie nie wieder seinen Tragödinnen Leben einhauchen würde.

Das leise Rattern der Räder über das mit Stroh gedämmte Kopfsteinpflaster reißt ihn, als sich der Karren in Bewegung setzt, aus seinen Gedanken. Ein halb verhungerter Gaul, der von einem armselig gekleideten Mann geführt wird, zieht den Wagen, während der andere mit seiner Laterne den Weg leuchtet. Voltaire ist der Einzige, der diesem traurigen Leichenzug folgt. Von all ihren Freunden und Bewunderern ist es nur ihm möglich, sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Vorsichtig setzt er einen Fuß vor den andern, damit er nicht in den Unrat, der überall in den Gassen liegt, tritt. Er empfindet es als seine Schuldigkeit, ihr diese letzte Ehre zu erweisen.

Wohin würde sie gebracht werden? Wie kann man ihr, die in ganz Paris, vom einfachen Volk bis in die höchsten adeligen Kreise, verehrt worden war, ein christliches Begräbnis auf einem ordentlichen Friedhof verweigern?

Die Bestatter schlagen mit ihrem Wagen den direkten Weg zur Pont Royal ein. Allem Anschein nach soll sie am Ufer der Seine, noch vor der Morgendämmerung, ohne Aufsehen verscharrt werden. Am Fluss hat sich Nebel gebildet und so kann Voltaire, der in sicherem Abstand wartet, nur schemenhaft erkennen, wie einer der Männer im Schein der Laterne den Sack mit dem Leichnam Adriennes schultert und ein paar Meter durch den Schlamm schleppt. Der andere folgt mit einer Schaufel und beide machen sich an die Vollendung ihres grausigen Werkes. Voltaire hört die dumpfen Spatenstiche und das Fluchen der Männer, als sie die Leiche in das Loch versenken und mit feuchter Erde bedecken. Als er die Totengräber durch den Nebel zum Karren zurückkehren sieht, drückt er sich in den Schatten des Brückenpfeilers und lässt sie an sich vorüberziehen.

Einen kurzen Moment durchzuckt ihn die Vorstellung, Adrienne wieder auszugraben und in geweihter Erde bestatten zu lassen. Aber er ist sich bewusst, dass es ein aussichtsloses Unterfangen wäre, nur ein Wunschtraum. Und dennoch... er muss seiner Intuition folgen...

Durch seine Dichtung will er ihr ein Denkmal setzen. Für sie wird es kein Monument aus Stein geben, nur eines aus Worten gemeißelt.

Erster Akt

»Oh Nacht, deren Stille ich störe aus tiefstem Herzen, gefühllose Zeugin meiner heftigen Schmerzen, Elektra kommt nicht mehr, um dir Tränen anzuvertrau‘n: Gönnt, große Götter, den Zorn in mir drin,

Elektra fleht und gibt sich euch hin!«

»Gib dich lieber mir hin!«, kam ein Zwischenruf vom Chevalier de Rohan-Chabot, der dabei genussvoll in seinen Schritt griff und sich Beifall heischend im Rund seiner Freunde umsah.

Nicht nur er, sondern fast die gesamte Pariser Aristokratie saß auf den besten Plätzen am Bühnenrand vor Adrienne Lecouvreur und glaubte, die Schauspielerin mit derlei Gesten demütigen zu können. Für das einfache Volk im Parterre war dies oft der amüsanteste Teil des Abends. Das Spektakel, das einige adlige Herren meinten veranstalten zu müssen, hatte für sie mehr Unterhaltungswert als die Aufführung als solche.

Bei der Lecouvreur jedoch erreichten derlei Aktionen genau das Gegenteil. Anstatt sich aus der Fassung bringen zu lassen und womöglich wütend die Bühne zu verlassen, straffte sie ihren Rücken, hielt einen Moment inne und lauschte dem Geraune, das den Saal erfüllte.

Die ersten Worte der Elektra von Crébillon hingen noch in der Luft, als sie ihre braunen, funkelnden Augen direkt auf den Störenfried richtete. Ihr durchdringender Blick brachte ihn und dessen Umfeld auf der Stelle zum Schweigen.

Sichtlich eingeschüchtert setzte sich der Chevalier de Rohan-Chabot wieder auf seinen Platz. Flüsterte aber seinem Nachbarn noch zu, dass er sie doch lieber nicht in seinem Bett haben möchte. Dann verstummte er ganz. Auch das Gezänk um die beste Sicht im Parkett und den Logen wurde weniger, bis es ganz verebbte.

Ob Barbier, Schreiber oder Kurtisane, Flickschuster, Wäscherin, Abbé oder Modistin und sonstiges Völkchen aus ganz Paris, sowie der gesamte niedere und hohe Adel, alle hatte sich heute Abend zu Adrienne Lecouvreurs Debüt in der Comédie-Française eingefunden.

Der Ruf war ihr vorausgeeilt, ihre Stimme hätte die sanfte Gewalt, ihre Zuhörer mitzureißen. Wenn sie litt oder sich freute, wenn sie stolz oder zärtlich war, berührte sie das Publikum unmittelbar. Manch einer brach in Tränen aus, wenn sie weinte, denn ihre Sprache war erfüllt von echten Gefühlen.

Sie hielt sich nicht an die althergebrachten Konventionen, die das Schauspiel verlangte. Ihre Gesten waren sparsam und so gesetzt, wie das Gefühl, das sie ausdrückte. Auf jede übertriebene Theatralik, wie es sich seit Molières Zeiten eingebürgert hatte, verzichtete sie.

Das letzte Klappern einiger Degen und ein paar vulgäre Zwischenrufe waren noch zu vernehmen, bis endlich alle Aufmerksamkeit auf die still ausharrende Darstellerin gerichtet war. Adrienne wusste, um ihre Macht, das Publikum in ihren Bann zu schlagen. Sie hatte etwas Einzigartiges an sich, wogegen alle anderen Schauspieler verblassten.

Aufrecht stand sie in einer weißen, mit violetten Samtbändern verzierten Toga aus feinstem Damast, einer griechischen Göttin gleichend, auf der Bühne. Ihre langen schwarzen Locken kringelten sich über die nackten Schultern hinunter bis zur Taille. Sie war Elektra.

Im Zuschauerraum machte sich nun eine Atmosphäre aus Neugierde und Anspannung breit, die so vorher noch nicht zu spüren gewesen war. Alle blickten gebannt auf die junge Frau, die da im goldenen Schein der zahlreichen Kerzen, die die Bühne illuminierten, stand.

Und jetzt taucht Adrienne wieder in die Handlung ein. Langsam hob sie ihren rechten Arm und drückte ihn mit der geballten Faust gegen ihre Brust, während ihre rot geschminkten Lippen die verzweifelten Worte der Elektra formulierten.

»Lang hofft ich auf Orestens Rückkehr;

Das war ein überflüssig Planen und Wünschen;

Mein unglücklicher Bruder lebt nicht mehr.«

Sie sprach die Sätze, als sei es das Natürlichste der Welt. Nicht ein einziges Mal verfiel ihre Stimme in einen rezitierenden Singsang. Dieser Stil war neuartig und ungewohnt für die Zuhörer, und doch spitzten bald alle die Ohren. Das Auf und Ab der Stimme, dem Reim folgend und nach den Regeln der Schauspielkunst, wie es seit der Gründung der Comédie-Française durch Ludwig XIV. praktiziert wurde, ignorierte sie konsequent.

Die Traditionalisten, die diese eigenmächtige Neuerung als den Untergang der hohen Kunst ansahen, machten ihrem Unmut nach Adriennes Szene lautstark Luft. Doch viele, die zutiefst ergriffen waren, brachen in Jubelstürme aus. Ein wahrer Wettstreit entfachte sich zwischen Beifallsrufen und Missfallensbekundungen und nachdem sich die Gemüter wieder beruhigt hatten, nahm die Tragödie um Blutrache und Muttermord ihren Fortgang.

Am Ende war die Menge kaum zu bändigen und die anwesenden Wachsoldaten hatten größte Mühe, für ein ordnungsgemäßes Verlassen des Theaters zu sorgen.

Währenddessen bahnte sich Adrienne ihren Weg zur Garderobe, wo schon die ersten Gratulanten versammelt waren.

Auf der Bühne wirkte sie hochgewachsen und stark, doch tatsächlich war sie eine zierliche Person, die nun versuchte, unbeschadet über die Stolperfallen aus Reifröcken, Degen, Dreispitzen und deren Besitzern die rettende Tür ihrer Garderobe zu erreichen.

»Meine teuerste Adrienne, ich sehe mit großem Stolz, dass meine Rose in voller Blüte steht«, vernahm sie einen sonoren Bass hinter sich.

»Oh, mein lieber LeGrand, komm!« Noch berauscht von der Vorstellung umarmte sie den berühmten Darsteller und Mitglied des Rates der Comédie-Française überschwänglich, ergriff seine Hand und zog ihn mit sich in ihre Garderobe, ohne zu bemerken, dass ihnen ein vornehmer Herr von feingliedriger Statur gefolgt war.

»Ich danke dir, dass du mein Fürsprecher warst und mir dieses Engagement ermöglicht hast! Bist du zufrieden mit deiner gehorsamen Schülerin?«

»Du hast inzwischen deinen eigenen Stil entwickelt und das erfreut mich. Dein Talent erkannte ich schon, als ich dich zum ersten Mal im Hinterhof deiner Mutter zwischen den frisch gewaschenen Laken spielen sah. Und heute hat dein Aufstieg in den Olymp des Theaters begonnen. Aber nimm dich vor den Neidern in Acht. Sie warten draußen schon auf dich. Doch hier ist jemand der dich kennenlernen will«, warnt LeGrand sie und zieht dabei den jungen Mann, der im Schatten des schwachen Kerzenscheines stand, zu sich heran. »Darf ich dir Monsieur de Voltaire vorstellen? Ein aufstrebender Dichter, dem die Zukunft gehört.«

»Mademoiselle, Ihr seid die wahrhaftige Inkarnation der Melpomène.« Galant küsste Voltaire ihr die ihm gereichte Hand. »Mein nächstes Stück schreibe ich für Euch. Lasst mich Euch Worte in den Mund legen, die all Eurem Können gerecht werden. Dieses Stück... ist nicht gerade ein Meisterwerk und doch habt Ihr es geschafft, ihm Euren unvergleichlichen Odem einzuhauchen.«

»Die Ehre ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte Adrienne erfreut. »Ganz Paris redet bereits von Euch. Ihr zeigt sehr viel Mut, den Regenten und seine Tochter, die Marquise de Berry, derartig offen anzugreifen und ihren Lebensstil anzuprangern. Es muss jemanden wie Euch geben, der keine Angst hat, offen auszusprechen, was für ein Sodom in diesen Tagen hinter den Mauern von Versailles herrscht. Es ist Zeit, dass der Thronfolger mündig wird und die Herrschaft übernimmt. Fürchtet Ihr nicht von den Spitzeln irgendwann denunziert und verhaftet zu werden?«

»Ich hoffe, Ihr reduziert mich nicht auf meine Spottverse. Wenn es zu einer Verhaftung käme, würde, durch den Gedanken an Euch, meine Zeit in der Bastille jedoch versüßt werden.«

»Dann hoffe ich, dass es nicht dazu kommt, denn ich möchte Euch gerne näher kennenlernen«, antwortete Adrienne charmant.

»So gebt mir die Ehre, heute meine Begleiterin zu sein. Ihr kommt doch noch mit ins Café Procope?«

»Mit dem größten Vergnügen!«, gab sie freudestrahlend zur Antwort. »Aber nun darf ich die Herren bitten, mich zu verlassen, damit ich mich umkleiden kann.«

»Ihr gehorsamster Diener!« Voltaire machte eine leichte Verbeugung, sah sich nach LeGrand um, der schon aus der Garderobe verschwunden war, und tat es ihm gleich.

Adrienne rief nach ihrer Garderobiere und tauschte das Kostüm durch ein schlichtes schwarzes Kleid aus.

Währenddessen wartete der junge Dichter geduldig mit den anderen Bewunderern an der Bühnentür, bis Adrienne endlich heraustrat.

Ein paar Studenten versuchten sie zu bestürmen, doch Voltaire reichte ihr den Arm, scheuchte die Gratulanten wie lästige Fliegen davon und führte sie ins Café Procope, das schräg gegenüber dem Theater lag.

Beim Eintreten konnte Adrienne kaum ihre eigene Hand vor Augen sehen, so düster und voller Qualm war der Raum. Die Beleuchtung war spärlich und den ganzen Abend hatten die Gäste beim Philosophieren und Diskutieren schon die ein oder andere Pfeife geraucht, so dass nun ein sonderbares Gemisch aus Kerzenruß und Tabaksgeruch in der Luft hing.

Langsam hatten sich ihre Augen an diese Höhle gewöhnt und nahmen die Umrisse einzelner Gestalten wahr.

In einer Ecke saß ein buckliger Abbé und schien Skizzen von den Anwesenden anzufertigen. Er starrte Adrienne an, senkte aber schnell seinen Blick, als er merkte, dass auch sie ihn ansah.

Sie erkannte zudem einige Mitglieder des Ensembles. Die große Madame Duclos, die als Klytämnestra heute von den Traditionalisten gefeiert worden war, unterhielt sich wild gestikulierend mit LeGrand. Als sie Adrienne eintreten sah, wandte sie sich mit hochmütiger Miene ab.

An einem Tisch direkt neben dem Eingang saßen schweigend zwei hagere Schachspieler, die Köpfe dicht über das Brett gebeugt. Ein Gemurmel wie in einem Bienenstock war zu vernehmen, hier und da von einem einzelnen Lacher durchbrochen.

Adrienne wurde von Voltaire zu einem Tisch geleitet, an dem schon ein paar seiner Freunde platzgenommen hatten. Monsieur Procope persönlich eilte dienstbeflissen zu ihnen und offerierte dem Dichter sogleich sein Lieblingsgetränk aus Kaffee und Schokolade.

»Mademoiselle, darf ich Ihnen Monsieur Fontenelle vorstellen und – meinen ehemaligen Schulkameraden und angehenden Juristen Cômte d’Argental.«

Der Cômte war ein pummeliger junger Mann mit einem hübschen runden Gesicht, in dem kaum ein Barthaar spross. Beim Anblick der wunderschönen Schauspielerin wurde er puterrot, wobei er hilflos ein Kompliment zu stottern versuchte.

»Ihr seid so schön ... wie ... Aurora. Darf ich Euch meinen Stuhl anbieten? «, fügte er hinzu und stand hastig auf, wobei er ungeschickt die Kaffeetassen auf dem Tisch zum Wackeln brachte.

»Vielen Dank, mein junger Galan.« Sie lächelte ihn an und nahm den angebotenen Platz ein, während er sich schüchtern hinter sie stellte.

»Cômte, Ihr seht wohl nicht, dass Ihr im Revier eines anderen zu wildern versucht. Euer Freund hat offenbar auch schon ein Auge auf die Dame geworfen«, mischte sich Fontenelle schmunzelnd ein, der altersweise sofort die Ambitionen der Anwesenden erkannt hatte, selbst aber längst über derlei Dinge erhaben war. Ihm genügte es an der Seite einer bezaubernden Frau gesehen zu werden und ihre Gesellschaft zu genießen.

»Ich danke Euch von Herzen, dass Ihr mir beisteht. Ich möchte Euch nicht enttäuschen, meine Herren, aber mir liegt bei weitem mehr an Eurer Freundschaft als an sonstigem. Wie die Liebe hat auch die Freundschaft ihre Liebhaber. Ich gehöre einem Geschlecht und einem Beruf an, in dem die Männer nicht so eifrig nach diesem edlen Gefühl streben. Und Freundschaft ist die einzige Schmeichelei, die ich begehre«, erklärte Adrienne.

»Man kann selten bestimmen, geliebt zu werden; man kann es aber immer, geschätzt zu werden und Euch Mademoiselle schätze ich schon jetzt. Meine Herren, Sie sollten es mir besser gleichtun, als sich im nutzlosen Werben gegenseitig diesen Abend zu verleiden«, sagte Fontenelle.

»Mein Werben gilt einzig Euch allein, Adrienne, als Darstellerin meiner zukünftigen Stücke«, gab Voltaire, der erkannt hatte, dass er seine Absichten Adrienne gegenüber vorerst begraben musste, rasch zur Antwort.

»Dann gehe ich mit Freuden auf Eure Werbung ein. Aber um den Rang müsstet Ihr euch mit Euripides streiten. Ich verehre ihn und seine Werke«, sagte sie neckend.

»Das sind ausgezeichnete Tragödien und Euripides ein großer Lehrmeister, aber für meinen Geschmack nicht mehr zeitgemäß. Ich bediene mich lieber der antiken Stoffe und stelle die Bezüge zu heutigen Verhältnissen her, natürlich ordentlich satirisch gewürzt«, konterte Voltaire.

»So wie Euer Oedipe. Die Spitzen auf den Regenten sind deutlich zu erkennen. Und doch muss man, finde ich, nicht den armen Sophokles in moderne Verse packen. Denkt Euch eigene Charaktere und Handlungen aus, die in der Gegenwart spielen und in die man seine ganze Kritik und das, was man anmahnen möchte, verpacken kann. Bei Ödipus ist es offensichtlich, dass ihr den Gerüchten über das inzestuöse Verhältnis des Regenten Nahrung gebt«, kritisierte Fontanelle seinen Kollegen.

»Als ich Ihren Oedipe gelesen hatte, wünschte ich mir sofort die Iokaste spielen zu dürfen, mein lieber Voltaire. Sie opfert ihre Liebe zweimal zum Wohle des Staates und hat dennoch aus eigenem Antrieb gehandelt. Sie ist die Herrin ihrer Entscheidungen, so wie ich auch. Ich gestalte mein Leben wie ich es möchte und lass es nicht von anderen bestimmen. Ich habe mein Schicksal selbst in der Hand. Bei dem griechischen Vorbild hingegen kann man seinem Schicksal nie entkommen. Es ist von den Göttern vorherbestimmt«, fügte Adrienne hinzu.

Der arme kleine Cômte stand mit offenem Mund da und versuchte der Konversation, die sich nun zwischen Voltaire, Fontanelle und der Lecouvreur über die Vorzüge moderner Stücke gegenüber antiken Dramen entzündete, zu lauschen. Dabei warf er immer wieder einen vorsichtigen Blick auf die Frau, zu der er glaubte, in heftiger Liebe entbrannt zu sein.

Adrienne bewohnte ein Stadthaus auf der Rue des Marais, unweit des Theaters. Von der Straße aus betrat man durch ein Portal einen kleinen Innenhof. Eine Treppe mit einem schmiedeeisernen Geländer führte am Ende des Hofes zu ihren privaten Räumlichkeiten im Obergeschoß, die aufs geschmackvollste gestaltet waren.

Über einen Vorraum gelangte man durch eine große Flügeltür in den Salon. Die fast bodentiefen Fenster waren zur Rue des Marais ausgerichtet und ließen viel Tageslicht herein. An den Wänden beindruckten kunstvolle flämische Wandteppiche. Über dem Kamin hing ein raumhoher Spiegel und auf dem Sims stand eine goldene Uhr, die von kleinen Putten umrahmt wurde. An beiden Seiten des Kamins befanden sich Sessel, die mit grünem Damast bezogen waren. Den Raum komplettierten ein Spinett, ein kleiner Schreibtisch und eine grüne Chaiselongue in Adriennes Lieblingsfarbe.

Die Einrichtung ihres Schlafgemachs, das an den Salon anschloss, war einfacher gestaltet. Das große Himmelbett war mit dem Fußende zu den Fenstern ausgerichtet und an einer Wand reihten sich Bücherregale mit unterschiedlichster Literatur, von La Fontaines Fabeln über ein Buch zur Geschichte Frankreichs, einer mehrbändigen Enzyklopädie sowie einem Stapel ungebundener Textbücher verschiedener Dichter.

Adrienne saß an ihrem Schminktisch und bereitete sich auf die Abendvorstellung vor, während ihre Zofe ihr mit einem heißen Eisen geschickt die Haare zu langen Locken drehte.

In kürzester Zeit war Adrienne zum neuen Stern an der Comédie-Française aufgestiegen und konnte sich kaum vor Verehrern retten. Jeden Abend füllten Menschentrauben die Gasse vor dem Theater und sie wurde, sobald sie aus dem Bühneneingang trat, mit Jubelgeschrei empfangen. Nach der letzten Vorstellung hat sie sogar eine Polizeieskorte benötigte, die ihr Platz verschaffte und sie sicher nach Hause geleitete.

»Wisst Ihr, dass den ganzen Tag schon ein junger Mann vor dem Haus steht. Er sieht niedlich aus. Nicht die Sorte von Mann, die irgend etwas im Schilde führen würde, auch kein Denunziant oder etwas Ähnliches und auch nicht einer von Euren zahllosen Verehrern, die jeden Abend an der Bühnentür stehen. Dafür wirkt er viel zu schüchtern.«

»Wie sieht er denn aus, Bercy?«, fragte Adrienne neugierig.

»Wohl aus sehr gutem Haus, seiner Kleidung nach zu urteilen«, plauderte die Zofe weiter.

»Ist er ein wenig untersetzt?«

Bercy kicherte: »Pummelig trifft es besser und kaum den Kinderschuhen entwachsen.«

»Oh, dann glaube ich zu wissen, wer es ist. Bitte ihn doch hinauf, sobald wir hier fertig sind.«

Bercy schnürte Adrienne ins Korsett und half ihr ins Panier und den mit goldener Ornamentik bestickten schwarzen Rock.

Nachdem Adrienne fertig angekleidet war, trat sie ans Fenster, um sich zu vergewissern, ob es der junge Mann war, den sie vermutete. Rasch gab sie ihrer Zofe einen Wink, dass sie jetzt empfangsbereit wäre.

Erst vor ein paar Wochen war Bercy in Adriennes Dienste getreten, doch sie war beflissen und hatte sich sehr schnell unentbehrlich gemacht. Bercys größter Traum war es einmal eine Schauspielerin zu werden und so war sie überglücklich, als sie die Stellung bei der Lecouvreur antreten durfte. Sie hatte die Hoffnung bei ihr etwas lernen zu können, vielleicht sogar protegiert zu werden.

Durch die beschlagene Scheibe konnte Adrienne verschwommen beobachten, wie Bercy mit hochgerafftem Rock über die Straße auf den Jüngling zuging. Dieser blickte ängstlich zum Fenster hinauf und erblickte seine Angebetete, die ihm jetzt zuwinkte. Nach einer kurzen Unterhaltung folgte er Bercy ins Haus. Kaum eine Minute später stand er verlegen vor Adrienne und starrte sie an.

»Cômte d’Argental, ich freue mich, Euch wieder zu sehen. Was führt Euch her?«, begrüßte sie ihn freundlich.

»Die Liebe!«, stammelte er.

»Oh, mein lieber Freund! ... « Adrienne suchte nach den passenden Worten, ohne ihn zu beleidigen. »Das ist ein großes Wort. Seid Ihr Euch wirklich über die Bedeutung im Klaren?«

»Ja, ich liebe Euch mehr als mein Leben und würde für Euch in den Tod gehen. Es ist stärker als alles, was ich bis dahin empfunden habe. Ihr seid meine Göttin!«, sprudelte es plötzlich aus ihm heraus.

»Monsieur, Euer Geständnis berührt mich zutiefst, aber sterben sollt und dürft Ihr nicht für mich. Keine Liebe der Welt ist das wert und so hart es nun für Euch klingen mag: diese Gefühle beruhen nicht auf Gegenseitigkeit. Was ich Euch einzig anbieten kann, ist meine Freundschaft, die, dass versichere ich, mehr wert ist als meine Liebe. Im Gegensatz zur Liebe hält sie ein Leben lang. Ihr seid ein von Grund auf ehrlicher und feinfühliger Mann und mein Leben würde durch eine Freundschaft mit Euch sehr bereichert werden. Aber mehr kann ich Euch nicht geben.«

Einen Moment sah Adrienne, wie der Cômte heftig schluckte, aber sich dann zu fassen wusste, da ihn ihre direkten Worte einsehen ließen, dass er, zumindest im Augenblick, ihr Herz nicht erobern würde.

»Wollt Ihr am Dienstagabend meine Begleitung zur Marquise de Lambert sein? Sie hat mich in ihren Salon eingeladen und darum gebeten auch einen Freund mitzubringen. Dieser Freund wäret dann Ihr, wenn Ihr mein Freundschaftsangebot annehmen wollt.«

»Es wird mir eine Ehre sein. Ich werde Punkt acht mit einer Kutsche vor Eurem Haus auf Euch warten«, erklärte er überglücklich.

»Aber Ihr dürft mich nur begleiten, wenn Ihr mir Euer Ehrenwort gebt, nicht bis Dienstag unten auf der Straße zu stehen und jetzt brav nach Hause geht«, ermahnte Adrienne ihn sanft und reichte ihm die Hand. Er ergriff sie hastig, drückte einen Kuss darauf und verbeugte sich tief vor ihr.

»Und nun, adieu! Ich muss mich sputen, um nicht zu spät ins Theater zu kommen. Disziplinlosigkeit dulde ich bei mir und anderen nämlich nicht«, sagte sie lachend und eilte zur Tür hinaus. Den jungen Mann ließ sie im Strudel seiner Gefühle allein zurück.

Am darauffolgenden Dienstag, Punkt acht Uhr abends stand der Cômte d‘Argental mit einem einfachen Zweispänner vor dem Tor und erwartete die große Schauspielerin ungeduldig.

Wie sie so im Schein der Laternen in ihrem nachtblauen Cape, unter dem die Silberlitzen ihres Kleides hervorschauten, aus dem Haus auf ihn zutrat, begann sein Herz sofort wieder heftig zu schlagen. Aber er hatte sich vorgenommen, sie nicht durch seine Gefühle zu verschrecken.

Also öffnete er die Kutschentür und klappte die Stufe aus, um ihr beim Einsteigen behilflich zu sein. Adrienne nahm die ihr gereichte Hand und setzte sich auf die bequemen roten Polster. Der junge Mann versuchte nun mit einem Vortrag über die unterschiedlichsten Arten von Kutschen, seine Nervosität zu überspielen. Adrienne musste auf dem gesamten Weg von Saint-Germain zur Rue Saint Honoré, über seine naive Art schmunzeln. Es versprach ein amüsanter Abend zu werden.

Madame de Lambert residierte in einem prunkvollen Palais unweit des Louvres und es war eine besonders hohe Auszeichnung in ihren stadtbekannten Salon eingeladen zu werden.