Menschen im Maßregelvollzug begleiten - Andrea Trost - E-Book

Menschen im Maßregelvollzug begleiten E-Book

Andrea Trost

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Beschreibung

Unter schwierigen Bedingungen wirksame Angebote gestalten Wer Jahre seines Lebens im Maßregelvollzug verbringt, braucht zeitgemäße therapeutische Angebote und eine menschenwürdige Begleitung. Denn neben der Straftat steht die psychische Erkrankung. Wie aber arrangiert man sich mit den Hürden, die durch den Freiheitsentzug und die sozialen Konflikte entstehen? Die forensische Psychiatrie arbeitet mit sucht- und psychisch erkrankten Straftäter*innen im Spannungsfeld von Sicherung und fachgerechter Therapie. Besondere Faktoren wie Machtgefälle, Regelwerke, eine vordefinierte Beziehungsdauer, Delinquenz und herausfordernde Interaktionsmuster erschweren die persönliche Begegnung mit den betroffenen Menschen. In den letzten Jahren hat sich der Maßregelvollzug durch Gesetzesnovellen und neue Therapieansätze verändert. Die Neuausgabe des Buchs berücksichtigt diese und thematisiert nun vermehrt Herausforderungen wie Langeweile und Gewalt, den Umgang mit Anund Zugehörigen, einen ressourcenorientierten Pflegeprozess und das Good-Lives-Modell.

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PraxisWissen stellt in konzentrierter Form zentrale Aufgaben der psychiatrischen Versorgung dar. Fachlich bewährte therapeutische Grundsätze werden vermittelt und immer auch in ihrer praktischen Umsetzung gezeigt. So können psychiatrisch Tätige den Klientinnen und Klienten das geben, was sie für die Bewältigung psychischer Krisen brauchen.

Zitate und Tipps

 Seite 11 Gute juristische Kenntnisse sind für im Maßregelvollzug Beschäftigte wichtig, um innerhalb und außerhalb der Einrichtung und auch gegenüber den Untergebrachten argumentieren zu können, wenn es zum Beispiel um Regeln, therapeutische Angebote oder um die Rücknahme von Freiheitseinschränkungen (»Lockerungen«) geht.

 Seite 30 Sicherung im Maßregelvollzug findet durch bauliche und infrastrukturelle Maßnahmen statt. Sicherheit wird aber ganz wesentlich durch die professionelle Beziehungs- und Milieugestaltung sowie durch therapeutische Angebote mitgeschaffen.

 Seite 36 Mit der Beteiligung der Untergebrachten an der Milieugestaltung auf der Station wird vermittelt, dass das Engagement für eine möglichst positive Umgebung die Lebenszufriedenheit erhöht – auch im späteren Leben außerhalb der Institution.

 Seite 41 Die Mitarbeitenden entscheiden in hohem Maße darüber, wie viel Mitsprache den Untergebrachten gegeben wird! Die Untergebrachten entscheiden, inwieweit sie diese Möglichkeiten nutzen!

 Seite 46 Angehörige stellen eine große Ressource dar, die genutzt werden muss. Den Kontakt aufrechtzuerhalten kann für die spätere Resozialisierung des Untergebrachten sehr wichtig sein. Gleichzeitig müssen auch Unterstützung und Schutz der Angehörigen berücksichtigt werden.

 Seite 52 Unterbringungsinduzierte Phänomene gilt es möglichst zu vermeiden bzw. so gering wie möglich zu halten, da sie schwerwiegende Auswirkungen für den Betroffenen und für sein Umfeld haben können.

 Seite 63 Die Gestaltung einer professionellen Nähe und Distanz zu den Betroffenen ist eine Herausforderung für alle Mitarbeitenden, die ein hohes Maß an Kompetenz erfordert. Die Reflexion im Team kann hilfreich und unterstützend sein, um professionelle Nähe und Distanz zu den Betroffenen zu entwickeln.

PraxisWissen

Andrea Trost, Stefan Rogge, Susanne Schoppmann

Menschen im Maßregelvollzug begleiten

ANDREA TROST BA of Nursing, M. A. Beratung und Vertretung im Sozialen Recht. PhD cand. Pflegewissenschaft Universität Witten/Herdecke. Seit 2004 in der psychiatrischen Versorgung tätig. Von 2009 bis 2021 Pflegewissenschaftlerin im Maßregelvollzug. Seit 2022 Lehrperson an der Fachhochschule der Diakonie Bielefeld (Forensische Psychiatrie, Recovery etc.). Derzeit Promotionsprojekt zur ambulanten Versorgung in der forensischen Psychiatrie.

STEFAN ROGGE M. A. Health Administration, B.A. Psychiatrische Pflege, Fachgesundheits- und Krankenpfleger für Psychiatrie, pflegerischer Klinikleiter der Klinik für Forensik an den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel, seit 2010 mit Themen des Maßregelvollzugs beschäftigt. Präsident der Schweizer Fachgesellschaft der psychiatrisch Tätigen in der Forensischen Psychiatrie (FPFP) sowie Adhärenztrainer.

SUSANNE SCHOPPMANN Dr. rer. medic., Fachkrankenschwester für psychiatrische Pflege, seit langem in der Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen tätig; aktuell Pflegewissenschaftlerin in der Universitären Psychiatrischen Klinik für Forensik in Basel. Vorstandsmitglied der Schweizer Fachgesellschaft der psychiatrisch Tätigen in der Forensischen Psychiatrie (FPFP) und des Schweizer Netzwerks Angehörigenarbeit Psychiatrie (NAP).

Die Reihe PraxisWissen wird herausgegeben von:

Michaela Amering, Andreas Bechdolf, Karsten Giertz, Caroline Gurtner, Klaus Obert, Tobias Teismann und Maike Wagenaar

Andrea Trost, Stefan Rogge, Susanne Schoppmann

Menschen im Maßregelvollzug begleiten

PraxisWissen 18

1. Auflage 2024

ISBN-Print: 978-3-96605-259-7

ISBN epub: 978-3-96605-297-9

ISBN-PDF: 978-3-96605-296-2

Weitere Bücher zu psychiatrischen Störungen finden Sie im Internet:

www.psychiatrie-verlag.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Psychiatrie Verlag GmbH, Köln 2024

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne Zustimmung des Verlages vervielfältigt, digitalisiert oder verbreitet werden.

Lektorat: Uwe Britten, Eisenach

Umschlaggestaltung: studio goe, Düsseldorf, unter Verwendung eines Motivs von istockphoto.com/baona

Typografiekonzeption: Iga Bielejec, Nierstein

Typografie und Satz: Barbara Hoffmann

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Herausforderungen mit Zuversicht angehen

Juristische Grundlagen der Unterbringung und Behandlung im Maßregelvollzug

Was ist der Maßregelvollzug?

Grundprinzipien des Strafrechts

Schuldfähigkeit

Aufgaben des Maßregelvollzugs: Sichern und Bessern

Maß des Freiheitsentzugs – Rücknahme des Freiheitsentzugs

Dilemmata bei der Ausübung von Sicherung und Besserung

Dauer und Beendigung einer Unterbringung

Das Setting im Maßregelvollzug und das therapeutische Milieu

Prinzipien der Milieugestaltung

Praxis der Milieugestaltung

Sozialpsychiatrische Elemente der Unterbringung

Milieugestaltung im Unterbringungsverlauf

Haltung und Beziehungsgestaltung

Haltung

Beziehungsgestaltung

Empathie, Akzeptanz und Authentizität

Langeweile im Maßregelvollzug

Selbstbestimmung

Hoffnung und Hoffnungslosigkeit

Recoveryorientierte Konzepte

Medikamentenstelltraining

Adhärenz und Adhärenzförderung

Das Gezeitenmodell

Basale Expositionstherapie

Experienced Involvement

Interkulturelle Handlungskonzeptionen

Sexualität im Maßregelvollzug

Umgang mit Gewalt und Aggression und deren Prävention

Krisenherde erkennen – deeskalierende Strukturen schaffen

Prävention von Gewalt und Aggression

Selbstschutz und Selbstfürsorge

Der multiprofessionelle Behandlungsprozess

Der Pflegeprozess

Therapie- und Eingliederungsplanung

Ressourcenorientierung versus Risikoabwägung

Bedeutung protektiver Faktoren

Gruppenarbeit

Gruppenprozesse und Gruppendynamik

Einbeziehung der An- und Zugehörigen

Informationen für An- und Zugehörige

Entwicklung ist möglich: Schlussbemerkung

Ausgewählte Literatur

Herausforderungen mit Zuversicht angehen

Der Maßregelvollzug stellt für uns Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen eine komplexe und herausfordernde Arbeitsumgebung dar, die mit einer Vielzahl von Nöten und Schwierigkeiten verbunden ist. In diesem Kontext werden psychiatrisch erkrankte Personen untergebracht, die aufgrund ihrer Straftaten, die sie im Zustand ihrer Erkrankung begangen haben und potenziell weiterhin begehen könnten, als gefährlich eingestuft werden und daher besonderer Behandlungs- und Sicherungsmaßnahmen bedürfen. Fachleute, die in solchen Einrichtungen tätig sind, sehen sich einer Reihe von Herausforderungen gegenüber, die sowohl die klinische Praxis als auch das persönliche Wohlbefinden beeinflussen.

Eine der primären Herausforderungen im Maßregelvollzug ist die Sicherheit der Mitarbeitenden. Aufgrund der potenziell aggressiven und gewalttätigen Natur einiger Patientinnen und Patienten besteht ein erhöhtes Risiko für physische und emotionale Übergriffe auf die Mitarbeitenden. Diese erlebte Bedrohung kann zu einem Gefühl der Angst und Unsicherheit führen und die psychische Belastung erheblich erhöhen.

Darüber hinaus sind Gesundheitsfachpersonen oft mit der Schwierigkeit konfrontiert, eine therapeutische Beziehung zu den Patientinnen und Patienten aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Da diese sich nicht freiwillig im Maßregelvollzug aufhalten und die Risikobeurteilungen und Lockerungsentscheidungen von den Mitarbeitenden vorgenommen werden, existiert ein erhebliches Machtgefälle. Dies kann, neben den Symptomen der oft schweren psychischen Erkrankungen, dazu führen, dass die Patientinnen und Patienten zunächst wenig Therapiemotivation mitbringen und den Mitarbeitenden wenig Vertrauen entgegenbringen. Das heißt: Es kann schon eine Herausforderung sein, Vertrauen überhaupt erst einmal aufzubauen und therapeutische Fortschritte zu erzielen.

Ein weiteres Problem, dem wir Fachpersonen gegenüberstehen, ist die begrenzte Ressourcenverfügbarkeit. Oftmals sind die Budgets für den Maßregelvollzug stark begrenzt, was zu Engpässen bei der Personalausstattung, der Ausbildung und den therapeutischen Angeboten führen kann. Diese Ressourcenknappheit kann die Qualität der Versorgung beeinträchtigen und die Arbeitslast der Fachleute erhöhen.

Hinzu kommt die lange Unterbringungsdauer der Untergebrachten im Maßregelvollzug. Dies bedeutet, dass wir uns auf Langzeitbeziehungen mit den Patientinnen und Patienten einstellen müssen. Was wiederum eine Herausforderung darstellen kann, da es nicht einfach ist, Neugier und Offenheit für das Gegenüber über lange Zeiträume aufrechtzuerhalten.

Trotz dieser Herausforderungen ist es jedoch entscheidend, dass Gesundheitsfachpersonen ihre Hoffnung bewahren und den Patientinnen und Patienten eine positive Einstellung vermitteln. Die Hoffnung ist ein wesentlicher Bestandteil jeder therapeutischen Beziehung und kann dazu beitragen, die Motivation der Betroffenen zur notwendigen Veränderung zu stärken. Indem wir ihnen Hoffnung geben und sie ermutigen, an sich selbst zu glauben, können sie selbst einen bedeutenden Beitrag zur Genesung und Rehabilitation leisten.

Um trotz der anspruchsvollen Arbeitsbedingungen eine therapeutisch wirksame und lösungsorientierte Arbeitsweise zu etablieren und aufrechtzuerhalten, ist es wichtig, dass wir im Maßregelvollzug Tätigen über angemessene Unterstützung und Ressourcen verfügen. Dies kann die Bereitstellung von regelmäßiger Supervision, kann Fortbildungen zur Bewältigung von Stress und Trauma sowie den Zugang zu psychologischer Unterstützung umfassen. Darüber hinaus ist es wichtig, dass wir in einem unterstützenden Arbeitsumfeld tätig sind, das eine offene Kommunikation, Teamarbeit und kollegiale Unterstützung fördert.

Insgesamt erfordert die Arbeit im Maßregelvollzug ein hohes Maß an Engagement, Flexibilität und Empathie seitens der Gesundheitsfachpersonen. Trotz der zahlreichen Herausforderungen können wir durch unsere Arbeit einen positiven Einfluss auf das Leben der Patientinnen und Patienten nehmen und zur Förderung von Sicherheit, Genesung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft beitragen.

Andrea Trost, Stefan Rogge und Susanne Schoppmann, im Sommer 2024

Juristische Grundlagen der Unterbringung und Behandlung im Maßregelvollzug

Im Kontext des Maßregelvollzugs bilden rechtliche Rahmenbedingungen eine wesentliche Grundlage. So sind insbesondere die Voraussetzungen für eine Unterbringung im Maßregelvollzug, die Dauer und Ausgestaltung der Unterbringung (»Vollstreckung«) sowie die Wiedereingliederung der untergebrachten Personen in die Gesellschaft gesetzlich geregelt.

Daher sind juristische Kenntnisse über die rechtlichen Grundlagen der Unterbringung und Behandlung im Maßregelvollzug wesentlich für eine professionelle Arbeit und in der ambulanten Betreuung bzw. Nachsorge psychisch erkrankter Rechtsbrecher. Gesetze und deren Auslegung bilden ein Fundament und die Rahmenbedingungen für den praktischen Alltag, auch wenn sie in Teilen abstrakt und theoretisch klingen. In der Praxis werden nahezu alle Maßnahmen, Entscheidungen und Vorgehensweisen in irgendeiner Weise durch die rechtlichen Rahmenbedingungen beeinflusst, unabhängig davon, ob es sich beispielsweise um therapeutische Konzepte, Angebote des Pflegedienstes oder Sicherungsmaßnahmen handelt.

Im Folgenden werden die wesentlichen juristischen Grundlagen für die Unterbringung und Behandlung im Maßregelvollzug dargestellt. Weiterführende und vertiefende Informationen können dem Kommentar zum Maßregelvollzugsrecht von Heinz Kammeier und Helmut Pollähne (2018) oder dem Beitrag zu den rechtlichen Grundlagen von Heinz Kammeier (2028, S. 35–68) im Praxisbuch Forensische Psychiatrie (Schmidt-Quernheim & Hax-Schoppenhorst 2018) entnommen werden. Zu beachten ist, dass die Novellierung der Unterbringung nach § 64 Strafgesetzbuch (StGB) von 2023 in diesen Werken noch keine Berücksichtigung findet; im vorliegenden Buch sind diese Neuerungen jedoch eingearbeitet.

Gute juristische Kenntnisse sind für im Maßregelvollzug Beschäftigte wichtig, um innerhalb und außerhalb der Einrichtung und auch gegenüber den Untergebrachten argumentieren zu können, wenn es zum Beispiel um Regeln, therapeutische Angebote oder um die Rücknahme von Freiheitseinschränkungen (»Lockerungen«) geht.

Was ist der Maßregelvollzug?

Wenn im Allgemeinen vom Maßregelvollzug die Rede ist, dann ist üblicherweise die Vollstreckung der freiheitsentziehenden Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB gemeint. Diese beinhaltet die Unterbringung von Rechtsbrechern, die aufgrund einer zum Tatzeitpunkt vorliegenden:

• psychischen Erkrankung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig waren und von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Straftaten zu erwarten sind, die die Allgemeinheit gefährden, weswegen sie in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) untergebracht werden; oder die aufgrund einer

• Substanzkonsumstörung (= Konsum alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel im Übermaß und mit der Folge aktueller und fortdauernder Beeinträchtigungen in der Lebensgestaltung, Gesundheit, Arbeits- oder Leistungsfähigkeit) eine Tat begehen, die überwiegend auf diese Substanzkonsumstörung zurückzuführen ist, und die daher in einer Entzugsanstalt untergebracht werden (§ 64 StGB).

• Weitere Voraussetzungen für die Unterbringung nach § 64 StGB sind a) die Prognose, dass infolge der Substanzkonsumstörung von der betroffenen Person weitere erhebliche Straftaten zu erwarten sind, sowie b) eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht. Dies bedeutet, dass es Aussicht auf eine »Heilung« der Substanzkonsumstörung während der Unterbringung nach § 64 StGB geben muss oder zumindest davon ausgegangen werden kann, dass die betroffene Person eine erhebliche Zeit den Substanzmittelkonsum so weit aussetzt, dass für diese Zeit keine mit dem Konsum einhergehenden erheblichen rechtswidrigen Taten zu erwarten sind.

Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB), die ebenfalls eine freiheitsentziehende Maßnahme darstellt (siehe Abbildung 2, S. 16), ist für schuldfähige gefährliche Straftäter konzipiert, findet im Justizvollzug statt und unterliegt weitestgehend den Bestimmungen des Vollzugs einer Freiheitsstrafe. Der Vollzug der beiden Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB unterliegt dem Maßregelvollzugsrecht, das im Zuständigkeitsbereich der Länder liegt. Daher ist die Ausgestaltung des Maßregelvollzugs in den einzelnen Bundesländern in einigen Teilaspekten unterschiedlich.

Die Voraussetzungen für eine Unterbringung psychisch erkrankter, schuldunfähiger oder vermindert schuldfähiger und/oder abhängigkeitserkrankter Rechtsbrecher im Maßregelvollzug sind auf Bundesebene im Strafgesetzbuch definiert. Im Rahmen der Unterbringung muss ihnen Therapie angeboten werden, über die Annahme der Therapieangebote darf die betroffene Person frei entscheiden.

Eine Maßregel der Besserung und Sicherung kann die Rechtsfolge einer Straftat sein, wie es auch eine Freiheitsstrafe oder Geldstrafe sein kann. Als Voraussetzung für die Verhängung einer Maßregel durch das zuständige Gericht müssen seitens des Rechtsbrechers und der durch ihn begangenen Taten jedoch einige Kriterien erfüllt werden. Im folgenden Kapitel werden diese Voraussetzungen und die beiden Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB näher beschrieben und erläutert.

Grundprinzipien des Strafrechts

Das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Strafrecht (das heißt, die Rechtsnormen, die die Verhaltensweisen und Taten beschreiben, die in diesem Land verboten sind, sowie die Folgen und Sanktionen, die auf die Begehung dieser Taten folgen) dient dem Schutz von »Rechtsgütern«. Als Rechtsgüter werden durch den Gesetzgeber, also durch demokratisch gewählte Volksvertreter und -vertreterinnen, materielle und ideelle Werte definiert, die für die Gesellschaft und den Einzelnen eine besondere Bedeutung haben. Das deutsche Strafrecht ist ein Schuldstrafrecht. Das heißt: Eine Strafe wird nicht ausschließlich an der Schwere der Tat bemessen, sondern eben auch anhand der Schuld des Rechtsbrechers.

Eine Strafe kann nur jener Person auferlegt werden, die schuldhaft im Sinne des Strafrechts gehandelt hat. Hierzu muss zum einen ein bestimmtes Verhalten bzw. ein bestimmter Tatbestand im Rahmen des Strafrechts zum Tatzeitpunkt als rechtswidrig definiert sein (§ 1 StGB), zum anderen muss der Rechtsbrecher schuldfähig sein (§ 46 Abs. 1 S. 1 StGB).

Es gilt der Grundsatz: Keine Strafe ohne Schuld und Strafe nur nach dem Umfang der Schuld.

Schuldfähigkeit

Die Schuldfähigkeit wird gekennzeichnet durch eine Einsichtsfähigkeit auf der intellektuell-kognitiven Ebene sowie durch die Steuerungsfähigkeit im Hinblick auf die freie, eigenverantwortliche Willensbildung und Entscheidung zur Ausübung der Tat. Schuldhaftes Handeln setzt voraus, dass der Täter zum Tatzeitpunkt in der Lage war, das Unrecht seines Handelns einzusehen und sein Handeln nach dieser Erkenntnis auszurichten. Werden diese Merkmale zum Tatzeitpunkt nicht oder nur teilweise erfüllt, ist der Rechtsbrecher schuldunfähig bzw. vermindert schuldfähig. Somit kann er nicht oder lediglich vermindert bestraft werden – zu dem nicht unproblematischen Begriff des freien Willens siehe Thomas Thalmann (2022).

Das deutsche Strafrecht unterstellt zunächst generell bei Menschen die Schuldfähigkeit. Diese Annahme entfällt, wenn ein Schuldausschließungsgrund oder Schuldminderungsgrund vorliegt. Beispiele für Schuldausschließungsgründe sind die Schuldunfähigkeit von Kindern oder die Notwehr. Schuldminderung liegt unter anderem bei mangelnder Reife von Jugendlichen vor. Auch eine psychische Erkrankung, eine schwere Persönlichkeitsstörung oder eine Intelligenzminderung können zur Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit führen.

ABBILDUNG 1Herleitung und Konsequenzen von Schuldfähigkeit, verminderter Schuldfähigkeit, Schuldunfähigkeit

Für die Verhängung der freiheitsentziehenden Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB, die üblicherweise eine Unterbringung im Maßregelvollzug zur Folge haben, ist die Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen nach § 20 StGB maßgeblich.

SEELISCHE STÖRUNGEN Die diesem Paragrafen zugrunde liegenden, in großen Teilen noch aus der Zeit des ersten Drittels des vorigen Jahrhunderts stammenden juristischen Krankheitsdefinitionen sind aus ethischer Sicht sehr fragwürdig und stigmatisierend. In der gegenwärtigen Praxis beinhalten die der strafrechtlichen Definition der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB zugrunde liegenden Begriffe folgende Krankheitsbilder:

Krankhafte seelische Störung: Exogene und endogene psychische Erkrankungen wie Psychosen, aber auch pathologische Rauschzustände bei Substanzmittelabhängigen.

Tiefgreifende Bewusstseinsstörung: Trübung oder teilweise Ausschaltung des Selbst- oder Außenbewusstseins, eine Schädigung der Fähigkeit des intellektuellen und emotionalen Erlebens sowie Affekthandlungen.

Intelligenzminderungen (ohne organische Ursache).

Schwere andere seelische Störungen: Triebstörungen und Persönlichkeitsstörungen.

Grundsätzlich führt nicht jede psychische Erkrankung zur Schuldunfähigkeit. Zum Tatzeitpunkt muss das Eingangsmerkmal (die diagnostizierte Erkrankung) zur Aufhebung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Rechtsbrechers geführt haben. Um dies festzustellen, zieht das Gericht ein psychiatrisches und, wenn notwendig, ein psychologisches Gutachten heran. Es besteht die Möglichkeit, einen Tatverdächtigen für die Dauer von maximal sechs Wochen in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, wenn dies für die Begutachtung im Rahmen der Feststellung der Schuldfähigkeit und/oder der verminderten Schuldfähigkeit notwendig ist (siehe § 81 StPO).

VERMINDERTE SCHULDFÄHIGKEIT Die verminderte Schuldfähigkeit ist in § 21 StGB definiert. Sie orientiert sich an den Charakteristika zur Schuldunfähigkeit und liegt vor, wenn eines der in § 20 StGB definierten Merkmale zum Tatzeitpunkt auf der Fähigkeitsstufe zur erheblichen Verminderung der Einsichts- und Handlungsfähigkeit des Rechtsbrechers führte. Der Täter ist im strafrechtlichen Sinne verantwortlich für die Tat, allerdings kann die Zubilligung der verminderten Schuldfähigkeit zu einer milderen Strafe führen. Zusätzlich ist die Anordnung einer Maßregel nach §§ 63, 64 StGB möglich.

Auch im Hinblick auf die verminderte Schuldfähigkeit gilt, dass nicht jede psychische Erkrankung zur verminderten Schuldfähigkeit führt. Ihre Feststellung erfolgt analog zur Feststellung der Schuldunfähigkeit.

GEFÄHRLICHKEIT Wenn bei einem Rechtsbrecher die Gesamtwürdigung der begangenen Tat(en) und der im Rahmen des Gerichtsverfahrens erstellten gutachterlichen Prognosen ergibt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Rechtsbrüche ähnlicher Art durch den Täter zu erwarten sind, kann das Strafgericht unabhängig von der Schuldfähigkeit eine Maßregel der Sicherung und Besserung anordnen. Eine solche Maßregel hat zwei Ziele:

• die Besserung des Rechtsbrechers,

• den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren erheblichen Taten.

ABBILDUNG 2Im Strafgesetzbuch definierte Maßregeln

Nicht freiheitsentziehende Maßregeln

Freiheitsentziehende Maßregeln

§ 68 StGB: Führungsaufsicht

§ 63 StGB: Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

§ 69 StGB: Entziehung der Fahrerlaubnis

§ 64 StGB: Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

§ 70 StGB: Berufsverbot

§ 66 StGB: Sicherungsverwahrung

In der Praxis wird der Begriff »Maßregel« häufig mit den beiden Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB sowie »Maßregelvollzug« mit der Durchführung dieser beiden freiheitsentziehenden Maßregeln, dem Vollzug, gleichgesetzt. Die Organisation und die inhaltliche Ausgestaltung des Maßregelvollzugs obliegen den einzelnen Bundesländern. Auf Bundesebene ist im Wesentlichen lediglich das Ziel des Vollzugs gesetzlich definiert.

Der Staat hat nach dem Grundgesetz die Pflicht, seine Bürger zu schützen. Diese Schutzpflicht legitimiert den Freiheitsentzug bei Menschen, die für andere gefährlich sind, ohne dafür im strafrechtlichen Sinne verantwortlich zu sein. Damit stellen die freiheitsentziehenden Maßregeln ein Sonderopfer eines Einzelnen zum Schutz der Allgemeinheit dar.

MASSREGEL NACH § 63 STGB Schuldunfähige oder vermindert schuldfähige psychisch kranke Rechtsbrecher sollen dem Gesetz entsprechend nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden, wenn prognostisch eine hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher Rechtsbrüche und somit eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht.

In der Praxis findet eine Unterbringung meistens in speziellen Maßregelvollzugseinrichtungen statt, häufig Abteilungen psychiatrischer Krankenhäuser oder eigenständige Einrichtungen. Gemischte Behandlungseinheiten in psychiatrischen Krankenhäusern mit anderen als Maßregelvollzugsklienten sind die Ausnahme.

Für die Unterbringung nach § 63 StGB ist keine Höchstfrist vorgesehen (§ 67d StGB). Jedoch muss die Unterbringung (Vollstreckung der Maßregel) beendet werden, wenn die Voraussetzungen (krankheitsinduzierte erhebliche Gefährlichkeit) nicht mehr vorliegen oder die Dauer der Unterbringung unverhältnismäßig ist in Bezug auf das Anlassdelikt. Mit der Entlassung aus der Unterbringung tritt üblicherweise Führungsaufsicht ein (»Bewährung«). Hiervon kann abgesehen werden, wenn davon auszugehen ist, dass ohne Führungsaufsicht keine weiteren Straftaten zu erwarten sind.

Im Rahmen einer Novellierung des § 63 StGB im Jahr 2016 wurden strengere Voraussetzungen definiert für Unterbringungszeiträume, die länger als sechs oder zehn Jahre andauern. Während der Unterbringung müssen den untergebrachten Personen Therapie und Behandlung angeboten werden.

> Dauer der Unterbringung, Seiten 31 f.

Wird bei verminderter Schuldfähigkeit neben der Maßregel eine Haftstrafe angeordnet, so ist die Maßregel zuerst zu vollziehen. Das zuständige Gericht kann die Reihenfolge der Vollstreckung umkehren, wenn hierdurch der Erfolg der Maßregel mutmaßlich positiv beeinflusst wird (§ 67 StGB).

> Therapieangebote, Seite 23, 124 f., 134

Ziel der Unterbringung ist es, die Gefährlichkeit der untergebrachten Person so weit zu reduzieren, dass von ihr, und zwar ausgehend von ihrer psychischen Erkrankung, die beim Anlassdelikt ausschlaggebend war, keine erhebliche Gefahr mehr für die Gesellschaft ausgeht bzw. dass die Gefährdung auf ein vertretbares Maß reduziert ist. Die zuständigen Gerichte müssen bei Entscheidungen zu Lockerungen und zur Fortsetzung der Maßregel abwägen, ob der Grad der Freiheitsentziehung im Zusammenhang mit der von der untergebrachten Person ausgehenden Gefährlichkeit und der Dauer der Unterbringung – noch – gerechtfertigt ist.

GEFÄHRLICHKEIT Die »Gefährlichkeit« bezieht sich im Kontext der Maßregel nach § 63 StGB stets auf das sogenannte Anlassdelikt, also jenes Delikt, das die untergebrachte Person im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit begangen hat und als dessen Folge die Maßregel verhängt wurde. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass es eine absolute Sicherheit nie gibt und geben kann, es muss stets im Einzelfall abgewogen werden zwischen der (mutmaßlichen) Gefährlichkeit des Untergebrachten und dem Grad des Freiheitsentzugs: Steht das Ausmaß des Freiheitsentzugs im Verhältnis zur (potenziellen) Gefährlichkeit?

MASSREGEL NACH § 64 STGB Die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde zum 1. Oktober 2023 novelliert. Seither gilt, dass die Maßregel nach § 64 StGB durch das zuständige Gericht verhängt werden kann, wenn eine Person:

• einen sogenannten Hang zum übermäßigen Konsum von Substanzmitteln (alkoholische Getränke oder andere Rauschmittel) aufweist und

• eine oder mehrere rechtswidrige Taten begangen hat, die überwiegend auf diesen Hang zurückzuführen ist bzw. sind, und

• die Gefahr besteht, dass die betreffende Person infolge ihres Hangs weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Als »Hang« wird eine Substanzkonsumstörung definiert, die schwerwiegende und fortdauernde Beeinträchtigungen in der Lebensgestaltung, Gesundheit, Arbeits- und/oder Leistungsfähigkeit beinhaltet.

Für die Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB muss zudem erwartbar sein, dass die Therapieangebote eine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben. Dies bedeutet, dass es konkrete Anhaltspunkte dafür geben muss, dass die Maßregel dabei unterstützend wirken kann, dauerhaft oder zeitweise abstinent zu leben oder zumindest den Substanzmittelkonsum so weit zu reduzieren, dass die betroffene Person vor der Begehung weiterer rechtswidriger Taten, die auf den Hang zurückzuführen sind, bewahrt wird.

Die Maßregel nach § 64 StGB kann unabhängig von der Schuldfähigkeit verhängt werden. Die angebotene Therapie im Rahmen dieser Maßregel ist auf die Abhängigkeitserkrankung ausgerichtet.

Abhängig vom begangenen Delikt und der Schuldfähigkeit werden regelmäßig parallel zur Maßregel Freiheitsstrafen verhängt, die vorab oder im Anschluss der Maßregel vollstreckt werden. Über die Reihenfolge der Vollstreckung entscheidet das zuständige Gericht (§ 67 StGB).

Aufgaben des Maßregelvollzugs: Sichern und Bessern

Der Freiheitsentzug durch eine der Maßregeln nach § 63 oder § 64 StGB dient zunächst der Sicherung und dem Schutz der Allgemeinheit vor mit großer Wahrscheinlichkeit wiederholten erheblichen rechtswidrigen Taten des Betroffenen. Der Freiheitsentzug stellt für den Untergebrachten keine Strafe dar, sondern die Rechtsfolge einer Straftat. Das Maß des Freiheitsentzugs richtet sich nach der prognostizierten Gefahr, die von der untergebrachten Person ausgeht. Es muss fortlaufend geprüft werden, ob das Maß des Freiheitsentzugs weiterhin gerechtfertigt ist.

In der Praxis bedeutet dies, dass den betroffenen Personen in der Regel zunächst umfassend die Freiheit entzogen wird durch eine Unterbringung in einer gesicherten (das heißt: geschlossenen) Station bzw. Behandlungseinheit. Diese darf oft lediglich durch Mitarbeitende begleitet verlassen werden, und zwar zu begründeten Zwecken wie Gerichts- oder Arztterminen. Das Maß des Freiheitsentzugs wird während der Unterbringung schrittweise gelockert. Üblicherweise geschieht dies in einem ersten Schritt im Rahmen von Ausgängen in einem gesicherten Gelände oder Garten. Weitere Schritte sind durch Mitarbeitende begleitetes Verlassen der Einrichtung, Verlassen der Einrichtung für eine definierte Dauer ohne Begleitung, Fernbleiben der Einrichtung zur Übernachtung und schließlich das Wohnen außerhalb der Einrichtung. Auf die schrittweise Rücknahme des Freiheitsentzugs besteht ein Rechtsanspruch, da die Maßregel nicht stärker in die Freiheitsrechte des Betroffenen eingreifen darf, als – am Grad der Gefährlichkeit gemessen – unbedingt erforderlich ist (es gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit).

Maß des Freiheitsentzugs – Rücknahme des Freiheitsentzugs

Das Maß des Freiheitsentzugs richtet sich nach der prognostizierten Gefährlichkeit.

Als Rücknahmen des Freiheitsentzugs (»Lockerungen«) werden die schrittweisen, gezielten und kontrollierten, stufenweisen Verringerungen des Freiheitsentzugs bezeichnet, wenn die durch die untergebrachte Person ausgehende Gefährdung nachweislich verringert bzw. prognostisch