Menschen mit Behinderungen im Krankenhaus - Ilona Hülsmann - E-Book

Menschen mit Behinderungen im Krankenhaus E-Book

Ilona Hülsmann

0,0

Beschreibung

In dem Werk werden Strukturen und Hinweise für die Fort- und Weiterbildung in Bezug auf die Situation von Menschen mit Behinderungen im Krankenhaus dargelegt. Auf die Beschreibung der grundlegenden Strukturen folgt exemplarisch eine Darstellung des Ablaufs zur Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigungen in Kliniken in allen Facetten: Vorbereitung/Aufnahme, Diagnostik, Aufklärung und Behandlung, Begleitung und Versorgung, Hilfsmittelversorgung, sowie Entlassmanagement, Nachsorge und Beratung. Abschließend werden ausgewählte Themenbereiche, die für die Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigungen im Krankenhaus bedeutsam sind, vertiefend bearbeitet.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 185

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Titelei

Einleitung

1 Grundlegende Strukturen

1.1 Die Bedeutung der Bereiche: elektiv stationär, elektiv ambulant, Notfälle stationär, Notfälle ambulant

1.1.1 Elektive Versorgung (stationär)

1.1.2 Elektive Versorgung (ambulant)

1.1.3 Notfall ambulant und stationär

1.2 Hinweise zur Didaktik/Methodik des Buches bzw. zur Gliederung der Kapitel/Themen

1.3 Relevanz von Schulungen

Zum Aufnahme- und Entlassmanagement

2 Exemplarischer Ablauf

2.1 Vorbereitung/Aufnahme

2.2 Diagnostik

2.3 Aufklärung und Behandlung

2.4 Begleitung und Versorgung

2.5 Entlassmanagement und Nachsorge

2.6 Hilfsmittelversorgung

3 Ausgewählte Themenbereiche

3.1 Kommunikation und Transparenz

Beziehungsaufbau

Fokussierung

Evokation

Planung

3.2 Herausforderndes Verhalten

3.3 Barrierefreiheit und Universelles Design

Barrierefreiheit

Universelles Design

3.4 Finanzierungs- und Abrechungsmöglichkeiten

Finanzierung Kliniken

Diagnosis Related Group (DRG)

3.5 Besondere Herausforderungen: Krisen, onkologische Prozesse, Sterbebegleitung, Tod

Fazit und weiterführende Hinweise

Literatur

Die Autorin, der Autor

Ilona Hülsmann, Heilpädagogin, ist Inklusionsbeauftragte der Kliniken Lörrach. Sie übt zudem eine beratende Tätigkeit bezüglich des Neubaus des Zentralklinikums Lörrach im Sinne des universellen Designs aus und ist Landesfachgruppensprecherin im Fachbereich »erwachsene Menschen mit sog. Behinderungen« in Baden-Württemberg für den Berufs- und Fachverband Heilpädagogik (BHP) e. V. Seit Herbst 2024 ist sie zudem an der Katholischen Hochschule Freiburg als Lehrkraft für besondere Aufgaben tätig.

Prof. Dr. Heinrich Greving lehrt Allgemeine und Spezielle Heilpädagogik an der Katholischen Hochschule NRW in Münster.

Ilona Hülsmann, Heinrich Greving

Menschen mit Behinderungen im Krankenhaus

Begleitung und besondere Herausforderungen im stationären Setting

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.

1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-041945-2

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-041946-9epub: ISBN 978-3-17-041947-6

Einleitung

In diesem Band werden grundlegende Themenfelder zur Begleitung und Assistenz von Menschen mit Beeinträchtigungen im Krankenhaus, bzw. in Kliniken vorgestellt. Warum erscheint dieses notwendig zu sein?

In Kliniken sind die allgemeine Aufklärung und Beratung für Menschen mit Beeinträchtigungen extrem wichtig, um Verunsicherungen, Unsicherheiten und Ängste zu vermeiden. Aber: Mitarbeitende aus den medizinischen Handlungsfeldern stoßen oftmals auf Barrieren in der Aufklärung und dem Zugang von medizinischen Informations- und Aufklärungsmaterialien und der medizinischen Versorgung. Da das Klinikpersonal in den Ausbildungsinhalten keine curricularen Verpflichtungen mit dem Schwerpunkt zum Thema Menschen mit Beeinträchtigungen hat, fordert z. B. der Deutsche Caritasverband in einer Pressemitteilung aus dem Jahr 2021:

»Der Deutsche Caritasverband und sein Fachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie fordern, dass Wissen über die Begleit- und Folgeerkrankungen behinderter Menschen, über die Barriere-Erfahrungen von Patientinnen und Patienten mit Behinderungen und über barrierefreie Kommunikation (z. B. in Leichter Sprache) fester Bestandteil aller Studiengänge und Ausbildungen im Gesundheitswesen werden.« (Deutscher Caritasverband e. V., 2021, o. S.)

Durch diese festen Bestandteile in der Ausbildung, sowie im Studium soll der Umgang des medizinischen Fachpersonals mit Menschen mit Beeinträchtigungen verbessert werden. Stellt man diesen Forderungen das Düsseldorfer Curriculum der Medizin 2023 gegenüber, kann die Aussage der Caritas nur bestätigt werden, nämlich das aktuell die Medizin Menschen mit Beeinträchtigungen noch nicht gleichgestellt im Fokus ihres beruflichen Interesses hat (vgl. Düsseldorfer Curriculum Medizin, 2023, o. S.).

Ein weiteres Beispiel für eine notwenige Aufklärung im medizinischen Bereich ist die oft wahrnehmbare Vermutung, dass alle Menschen mit Beeinträchtigungen einen Einwilligungsvorbehalt haben. Jedoch sollen Menschen mit Beeinträchtigungen – nach adäquater Aufklärung – selbst entscheiden können, ob sie der Diagnostik und/oder Behandlung zustimmen. Zudem wird der Einwilligungsvorbehalt zunehmend kritisch bewertet, denn nach Art. 12 der UN-BRK ist davon auszugehen, dass alle Menschen handlungs- und entscheidungsfähige Rechtssubjekte sind, und gerade deswegen muss die Aufklärung und der Zugang zu Informationen in allen Belangen als Teilhabe- und Partizipationsgrundlage barrierefrei sein.

Auch wenn die UN-BRK in Artikel 25 voraussetzt, dass Menschen mit Beeinträchtigungen die gleiche, medizinische Behandlung, Vorsorge und Rehabilitation erhalten sollen, wie Menschen ohne Beeinträchtigungen ist ein erhebliches Defizit im Klinikkontext zu erkennen. Unter Umständen kann dieses darin begründet liegen, dass die Medizin Behinderung und/oder Beeinträchtigungen anders definiert als die Heilpädagogik, sie somit aufgrund der historischen und disziplinbezogenen Wurzel unterschiedliche Kommunikationsstrukturen nutzen und/oder andere Menschenbilder haben. Der Kern der Medizin ist es, kranke Menschen zu heilen – im Unterschied zur Heilpädagogik, in welcher eine ganzheitliche/holistische teilhabeorientierte Begleitung und Assistenz in Bezug auf die Gesellschaft im Mittelpunkt des professionellen Handelns steht. Somit kann hypothetisiert werden, dass Mediziner und Medizinerinnen im Regelfall Beeinträchtigungen, bzw. Behinderungen als defizitär wahrnehmen, die nicht heilbar sind. Nur liegt der Fokus eben nicht auf der Wiederherstellung einer nichtbehinderten Psyche und/oder Physis, sondern auf der Wiederherstellung der individuellen Gesundheit, z. B. durch eine Operation nach einer ausführlichen Aufklärung/Erklärung und/oder der Prävention durch Impfungen, gesunder Ernährung und/oder Vorsorge. Wir wählen für den Titel dieses Bandes den Begriff der ›Behinderung‹, da dieser im Rahmen der WHO und der ICF die soziale Dimension der Zuschreibung, bzw. der Konstruktion von Behinderung auf dem Hintergrund einer (erworbenen oder durch die Geburt bedingten) Beeinträchtigung bezeichnet.

Um nun die Aufklärungs-‍, Behandlungs- und Assistenzkompetenz der medizinisch Tätigen in diesem Feld zu verbessern geht dieser einführende Band hierzu in folgenden Schritten vor:

Zuerst werden die grundlegenden Strukturen dieses Themenfeldes erörtert (▸ Kap. 1). Hierbei stehen in einem ersten Schritt die Bedeutungen der Bereiche: elektiv stationär, elektiv ambulant, Notfälle stationär und Notfälle ambulant im Mittelpunkt des Interesses. Im Anschluss hieran werden kurze Hinweise zur Didaktik/Methodik des Buches bzw. zur konkreten Gliederung der Kapitel und Themen gegeben. Diese einführenden Hinweise schließen ab mit einigen Erläuterungen zur Relevanz von Schulungen.

Im zweiten Kapitel (▸ Kap. 2) werden grundsätzliche Hinweise zu einem exemplarischen Ablauf einer möglichen Behandlung von Menschen mit Beeinträchtigungen in Kliniken gegeben. Hierbei werden folgende Schritte konkretisiert:

Vorbereitung/Aufnahme,

Diagnostik,

Aufklärung und Behandlung,

Begleitung und Versorgung,

Hilfsmittelversorgung,

Entlassmanagement und Nachsorge.

Zu jedem Handlungsschritt finden die Leserinnen und Leser differenzierte Praxisbeispiele vor.

Das nächste Kapitel (▸ Kap. 3) setzt sich mit für die Handlungspraxis ausgewählten Themenbereichen auseinander. Hierzu werden folgende Inhalte methodologisch und methodisch dargelegt: Kommunikation und Transparenz (▸ Kap. 3.1), grundlegende Erläuterungen zum Herausfordernden Verhalten, Hinweise zur Barrierefreiheit und zum Universellen Design, notwendige Grundlagen zu den Finanzierungs- und Abrechnungsmöglichkeiten sowie einige Erörterungen zu besonderen Herausforderungen, welche sich im Klinikkontext als relevant für die Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen darstellen (wie z. B. onkologische Prozesse, Krisen und Krisenmanagement, Sterbebegleitung, die Erfahrung des Todes) (▸ Kap. 3.2).

Dieser Band schließt ab mit kurzen weiterführenden Hinweisen zur Bilanzierung dieses Themenfeldes und zu Fort- und Weiterbildungsnotwendigkeiten.

1 Grundlegende Strukturen

Menschen mit Beeinträchtigungen werden in Kliniken in allen Bereichen versorgt. Somit lässt sich vorwegsagen, dass nicht nur Ärzt:innen und Pflegepersonal, sondern auch Personen aus der Administration (Aufnahme- und Entlassmanagement, Verwaltung, etc.) und ggf. auch aus dem Funktionsdienst (Technik) auf diesen Personenkreis aufmerksam gemacht werden müssen.

Aber auch wenn diese Versorgung in vielen Bereichen herausfordern sein kann, gibt es bestimmten Bereiche, in denen es durch eine gute Planung gelingen kann, Menschen mit Beeinträchtigungen bestmöglich zu versorgt und zu behandeln.

In dem folgenden Kapitel werden die unterschiedlichen Bereiche der Klinik benannt und im methodischen Teil näher mit der Praxis verbunden.

1.1 Die Bedeutung der Bereiche: elektiv stationär, elektiv ambulant, Notfälle stationär, Notfälle ambulant

1.1.1 Elektive Versorgung (stationär)

Gerade in der Versorgung von einem geplanten Eingriff lassen sich durch eine gute Vorbereitung und Planung in Kooperation mit allen Beteiligten – rechtliche Betreuung, (pädagogische) Fachkräfte der besonderen Wohnform/ambulanter Assistenz, die betroffene Person, das Arzt- Pflegepersonal und/oder der Sozialdienst, bzw. heilpädagogische Fachkräfte – Stresssituationen vermeiden.

Die Aufnahme kann im Vorfeld abgesprochen werden. Besonderheiten im Umgang mit Patient:innen können benannt werden, wie z. B. Angst vor Nadeln, besondere Reaktionen bezüglich Gerüchen, Reizüberflutung durch Licht, o. ä. Vorbereitungen können getroffen werden, wie z. B. das Herrichten des Zimmers oder auch das Reduzieren von Möbeln im Zimmer. Zudem ist eine transparente Kommunikation zwischen allen Beteiligten in der gesamten Behandlungs- und oder Diagnosezeit extrem wichtig. So kann auch das Entlassmanagement geplant und abgesprochen werden – gerade in ambulanten Wohnformen ist die Wohngruppe nicht rund um die Uhr besetzt und eine Rückführung in die Wohnform nicht zu jeder Zeit möglich.

1.1.2 Elektive Versorgung (ambulant)

Bei der ambulanten, geplanten Untersuchung, wie z. B. einer MRT, ist die Kooperation zwischen allen Beteiligten genauso wichtig, wie in der der stationären, elektiven Versorgung. Termine können abgesprochen, Wartezeiten verkürzt, herausforderndes Verhalten vermieden werden. Es ist hierbei wichtig zu wissen, dass es oftmals niedergelassene, radiologische Praxen gibt, welche einen Kooperationsvertrag mit den Krankenkassen haben, von denen die Untersuchung finanziert wird (auch eine Untersuchung, bei der die Patient:innen sediert werden müssen!). Krankenhäuser haben in der Regel kein Budget für diese Diagnostik, außer, die Patient:innen werden stationär aufgenommen, es wird ein Antrag (außerhalb vom Regelfall) an die Krankenkasse gestellt oder aber es handelt sich um eine Untersuchung im Rahmen der üblichen Behandlung nach Leistungskatalog (stationäre Aufnahme, begründeter Notfall/Verdacht). Ein Antrag außerhalb vom Regelfall bei den Krankenkassen kann jedoch im schlimmsten Fall eine erhebliche Verzögerung der Durchführung bedeuten. Hier lohnt es sich im Notfall in größeren Städten oder bei Universitätskliniken bezüglich einer Diagnostik nachzufragen.

1.1.3 Notfall ambulant und stationär

In diesem Bereich gibt es die meisten Hürden und Probleme. Ungeplante, akute Fälle, im schlimmsten Fall noch mit herausforderndem Verhalten, kollidieren mit dem sowieso schon hektischen Notfalldienst. Die Warteräume sind oftmals überfüllt, auf den Fluren und in den Wartebereichen ist es laut und geschäftig, das behandelnde Personal arbeitet oftmals unter Zeitdruck und muss sich binnen Sekunden für die Reihenfolge der Notwendigkeit einer Behandlung entscheiden.

Auf der anderen Seite sind diese Eindrücke nicht nur für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen herausfordernd, sondern ebenso für Menschen mit Migrationsbiografie, dementiell erkrankte Menschen, Kindern oder auch jedem nicht beeinträchtigen Menschen in Notfallsituationen (blutende Wunde, Schmerzen, krankes Kind, etc.).

Denn gerade das Erleben in der Notaufnahme – in der Situation einer akuten Verletzung oder Erkrankung in Kombination mit dem unruhigen und befremdlichen Setting – kann zu Unsicherheiten und somit auch zu herausforderndem Verhalten führen. Im Gegensatz zu elektiven Prozessen ist hier kaum etwas planbar, sondern nur gut begleitbar mit dem (basis-) Wissen (z. B. herausforderndes Verhalten, unterstütze Kommunikation, etc.) rund um das Thema Beeinträchtigungen.

1.2 Hinweise zur Didaktik/Methodik des Buches bzw. zur Gliederung der Kapitel/Themen

Dieser kurze Band versteht sich als praxisrelevantes Kompendium für alle Disziplinen, welche hiermit in Kontakt treten. Er bezieht sich auf grundsätzliche Themenbereiche der Begleitung, Assistenz und Behandlung/Diagnostik in Bezug auf Menschen mit Beeinträchtigungen in Krankenhäusern und Kliniken. In den drei zentralen Kapiteln dieses Buches werden sowohl prinzipielle organisatorische Strukturinhalte (so in diesem ersten Kapitel zur Bedeutung der Bereiche (▸ Kap. 1.1): elektiv stationär, elektiv ambulant, Notfälle stationär, Notfälle ambulant, sowie zur Relevanz von Schulungen), als auch praxisbezogene Hinweise (im ▸ Kap. 2 zum exemplarischen Ablauf einer möglichen Behandlung von Menschen mit Beeinträchtigungen) gegeben. Eine methodologische und methodische Konkretisierung der Themenfelder erfolgt im ▸ Kap. 3 zu den Thematiken: Kommunikation und Transparenz, grundlegende Erläuterungen zum Herausfordernden Verhalten, sowie Hinweise zur Barrierefreiheit und zum Universellen Design. Ebenso werden notwendige Grundlagen zu den Finanzierungs- und Abrechnungsmöglichkeiten angeschnitten. Zudem erfolgen Erläuterungen zu besonderen Herausforderungen, welche sich im Klinikkontext als bedeutsam darstellen, wie z. B. bei onkologischen Prozessen, Krisen und Sterbebegleitung.

Da die Struktur des Krankenhauses für Menschen mit Beeinträchtigungen eine – wie für alle anderen Patienten auch – außergewöhnliche, manchmal verstörende und irritierende Struktur hat, wird es in allen Kapiteln dieses Bandes zu einer Vernetzung von strukturellen Themen mit individuellen Inhalten in Bezug auf die Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigungen kommen. Die grundsätzliche Vorgehensweise besteht somit in einer konsequenten Umsetzung einer interdisziplinären, ja manchmal sogar transdisziplinären Betrachtung und Konkretisierung der einzelnen Themen. Die spezifischen Inhalte der Organisation »Krankenhaus« werden somit mit spezifischen (und manchmal sehr individuellen) Inhalten und möglichen Erlebensweisen der Menschen mit Beeinträchtigungen verknüpft. Diese werden wiederum in einer Zusammenschau mit Methoden und Konzepten der Heilpädagogik in Verbindung gebracht, bzw. aufeinander bezogen.

Obwohl sich somit alle Kapitel und Unterpunkte auf einzelne und individuelle Inhalte fokussieren, müssen diese im Alltag – bzw. in der dann möglichen konzeptionellen Umsetzung in einer je spezifischen Klinik – aufeinander bezogen und miteinander vernetzt und konkretisiert werden. Die Forderung nach einer disziplinübergreifenden Netzwerkarbeit für eine interdisziplinäre Vorgehensweise, zum Wohle aller Beteiligten, wird in diesem Buch somit methodisch skizziert – sie muss in jedem konkreten Einzelfall aber im je spezifischen Krankenhaus eingelöst werden.

1.3 Relevanz von Schulungen

Wie bei den oben genannten Punkten kurz angesprochen, ist ein (Basis-)‌Wissen und die Transparenz rund um das Thema Menschen mit Beeinträchtigungen im Klinikalltag unerlässlich.

In beiden Bereichen (also der sog. Eingliederungshilfe und den Krankenhäusern) arbeiten die Fachkräfte mit dem Menschen. Man könnte davon ausgehen, dass das Klinikpersonal im Bereich Menschen mit Beeinträchtigungen in der Ausbildung geschult wird, doch weder Ärzte noch Pflegekräfte bekommen ausreichende, inhaltliche Informationen in Bezug auf Menschen mit Behinderungen. Hier kann auf den geschichtlichen Kontext von Menschen mit Beeinträchtigungen verwiesen werden, welche lange Zeit nicht im Klinikkontext wahrgenommen wurden, da sie zumeist durch und in Komplexeinrichtungen versorgt wurden.

Diese Komplexeinrichtungen sind historisch aus dem Kontext der Almosenführsorge des Mittalters entstanden. Zu dieser Zeit sollten die Menschen Abbilder Gottes, also nicht beeinträchtigt sein. Aufgrund von Behinderungen wurden Menschen jedoch aus der Gesellschaft ausgeschlossen, durften z. B. nicht an kirchlichen Ritualen teilnehmen. Die Beeinträchtigung galt in den meisten Fällen als Strafe Gottes und verwies auf ein Fehlerverhalten der Eltern und/oder des Betroffenen selbst. Auf der anderen Seite gab es jedoch das Gebot der Nächstenliebe, sowie die Fürsorge für Schwächere. Somit waren die Klöster angewiesen, Menschen mit Behinderungen in irgendeiner Art und Weise zu versorgen. Neben der Versorgung von Waisenkindern, welche jedoch aufgrund der körperlichen und geistigen Unversehrtheit später zum Wohle der Gesellschaft durch Arbeitsleistung beitragen konnten, wurden später auch Menschen mit Beeinträchtigungen in sogenannten Irrenanstalten und/oder Tollhäusern untergebracht, bzw. wurden sie dort lediglich verwahrt, da man davon ausging, dass sie nichts Relevantes zum Wohle der Gesellschaft beitragen konnten (vgl. Greving/Ondracek 2024, 24ff). Eine der ersten, 1606 erwähnten, Anstalten dieser Art war die Klinik für Irre und Epileptische in Frankfurt am Main, welche in der Tollgasse erbaut wurde und auf der sich nun die Börsenstraße befindet (vgl. Dörhöfer 2019, o. S.).

Der Stellenwert von Menschen mit Beeinträchtigungen veränderte sich historisch auch nicht in der Zeit der Reformpädagogik, da zwar hier die Vernunft und der Verstand in den Vordergrund gerückt, und nicht mehr die Gebote Gottes allein befolgt wurden, aber gerade diese Vernunft und den Verstand sprach man Menschen mit Behinderungen ab. In Gerichtsverfahren z. B. wurden ebenso wenig Menschen mit geistigen Behinderungen zugelassen, wie Sinnesbeeinträchtigte Menschen, also sog. Blinde und Taube (vgl. Greving/Ondracek 2024, 30ff).

Einer der wichtigsten Aspekte ist jedoch die Zeit des Nationalsozialismus. Es muss nicht erwähnt werden, dass Hitler eine ›Rasse‹ züchten wollte, die fehlerfrei, stark und athletisch war. Menschen mit Behinderungen entsprachen nicht diesem Ideal. 1920 schrieben Bindig/Hoche das Buch »Die Freigabe und Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form«. Dieses Buch setzte Hitler ein, um die Massenvernichtung von behinderten Menschen und Kranken durchzusetzen. Durch die Aktion T4 verloren bis zu 300.000 Menschen ihr Leben auf grausame Art und Weise (vgl. ausführlich Lebenshilfe o. J., o. S.). Die Dunkelziffer wird jedoch durchaus höher sein. 1933 erließ Hitler zudem das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« in dem er die Zwangssterilisation von Menschen mit Beeinträchtigungen anordnete. Dieses mag an folgendem Zitat aus dem Reichsblatt von 1933 deutlich werden:

»Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet:

1.

angeborenem Schwachsinn,

2.

Schizophrenie,

3.

zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein,

4.

erblicher Fallsucht,

5.

erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea),

6.

erblicher Blindheit,

7.

erblicher Taubheit,

8.

schwerer erblicher körperlicher Mißbildung.« (Reichsblatt 1933, Nr. 86)

Die Zwangssterilisation von Menschen mit Behinderungen wurde erst 1992 – im Zuge des Gesetzes zur Reform zur Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige – abgeschafft. Diese historische Entwicklung lässt erahnen, warum in der Nachkriegszeit so wenig Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft lebten. Nach dieser Zeit blieb die Versorgung von Betroffenen meist den Familien überlassen. Konnten diese keiner Versorgung nachkommen, wurden die Menschen mit Behinderungen in Großanstalten, psychiatrischen Anstalten und/oder Altenheimen verwahrt (vgl. ausf. Hülsmann 2022, 59ff).

Aus den Irrenanstalten, Narrenhäusern und Tollhäusern entstanden nun in der Folge Komplexeinrichtungen. Komplex bedeutet in diesem Kontext, dass die Versorgung in dieser Einrichtung komplett und vollständig geregelt wurde. Es gab dort Wohnbereiche, Arbeitsbereiche (meist Landwirtschaft und Hausarbeit), die Freizeit wurde auf diesem Gelände verbracht und auch die medizinische Versorgung wurde durch Heimärzte und Krankenschwestern erbracht, welche die sog. Bewohner in den Einrichtungen untersuchten und – so gut es ging – medizinisch versorgten. Nur in Notfällen wurden die Personen in Krankenhäuser gebracht. Mit der Zeit veränderte sich jedoch die Einstellung und die damit verbundene Versorgung in Bezug auf Menschen mit Behinderungen. Mit der Gründung der Lebenshilfe 1958 wurde z. B. der Begriff des Schwachsinns in geistig Behinderte abgewandelt. In diesem Zug ist es relevant zu erwähnen, dass in der heutigen Zeit der Begriff Menschen mit Beeinträchtigungen verwandt wird (vgl. Hülsmann 2022, 59ff).

Somit lässt sich deutlich erkennen, warum Menschen mit Beeinträchtigungen erst seit wenigen Jahren in intensiveren Kontakt mit Krankenhäusern gekommen sind.

Auf der anderen Seite geht das Klinikpersonal häufig davon aus, dass in Einrichtungen der Eingliederungshilfe Pflegekräfte arbeiten. Die Berufsbezeichnung des Heilerziehungspflegers kann hier in die Irre führen, denn in den meisten Bundesländern (allen?) darf diese Berufsgruppe auf rechtlicher Grundlage keine medizinische Versorgung leisten, da es sich um eine pädagogische Ausbildung mit dem Bereich der Alltagspflege (Begleitung von Hygienemaßnahmen, wie z. B. anleiten und durchführen) handelt. Es stellt sich infolgedessen die Frage, wie eine professionelle, auf den Menschen mit Behinderung bezogene, Versorgung in den Klinken stattfinden soll (ebd.).

Hierzu können in einem ersten Schritt folgende inhaltlich-organisatorischen Hinweise gegeben werden:

In der Patientenversorgung – zumindest im elektiven Bereich – ist ein adäquates, individuelles und strukturiertes Aufnahme- und Entlassmanagement unabdingbar. Die Notaufnahme stellt eine gesonderte Herausforderung dar, da diese oftmals stark frequentiert ist, das Personal (überlebens-)‌notwendige Entscheidungen in kürzester Zeit treffen muss und eigentlich auf einen hoch strukturierten Ablauf ausgerichtet ist. Aufgrund der hohen Frequenz ist es oftmals schwierig, wenn die Kommunikation und Interaktion nicht normentsprechend gestaltet wird oder werden kann. Anamnesen in Fremdsprachen oder bei komplexen Beeinträchtigungen verzögern den regulären Ablauf. Hier sollten z. B. Anamnesebögen barrierefrei und niederschwellig sein und/oder (heilpädagogische) Assistenzen eingesetzt werden.

Diese (und weitere) Punkte werden im zweiten Kapitel (▸ Kap. 2) dieses Buches im Hinblick auf einen exemplarischen Ablauf differenziert erläutert. Dennoch sollen sie schon jetzt, unter der Perspektive der notwendigen Strukturen und Inhalte zu planender Schulungen, skizziert werden. Im Anschluss hieran werden einige Hinweise zur Wahrnehmung von Menschen mit Beeinträchtigungen im Krankenhaus gegeben.

Zum Aufnahme- und Entlassmanagement

Vorweg: Im Aufnahme- und Entlassmanagement der Sozialdienste in Klinken sollte multi- und interprofessionell gearbeitet werden. In einigen Bundesländern sind lediglich Sozialarbeiter:innen für den Sozialdienst zertifiziert. Hier gilt es jedoch zu bedenken, dass die Heilpädagogik sich auf Menschen mit Beeinträchtigungen im gesamten Lebenslauf spezialisiert hat und dass diese Professionserfahrung in diese Prozesse miteinfließen sollte. Gerade in Bezug auf bestimmte Hilfsmittel (und deren Beantragung), z. B. aus dem Bereich Unterstützte Kommunikation (z. B. Sprachausgabegeräte) und/oder Mobilität (z. B. Körperprotesen und/oder Exoskelette), Umgang mit Syndromen und Beeinträchtigungen (z. B. Autismus-Spektrum-Störungen) und herausforderndem Verhalten ist eine multiprofessionelle Ausrichtung der Sozialdienste notwendig (s. u.).

Bei der stationären Aufnahme gilt es, möglichst im Vorfeld, zu klären welche inhaltlichen und strukturellen Besonderheiten zu beachten sind. Hierbei ist ein holistisches Konzept notwendig:

Wie wird kommuniziert?

Gibt es Mittel zur Unterstützten Kommunikation?

Was kann herausforderndes Verhalten auslösen und wie sind diese Reize zu vermeiden?

Kann das Zimmer im Vorfeld auf Patienten ausgerichtet werden (z. B. Entfernen von Reizen)?

Was ist bei der Anamnese zu beachten und wie kann die Diagnostik durchgeführt werden, wenn ein Patient nicht offensichtlich kommunizieren kann?

Gibt es eine Assistenz und/oder wer ist Ansprechpartner bei Fragen?

Ebenso kann bei geplanten, ambulanten Eingriffen schon im Vorfeld entschieden werden, Patienten mit Beeinträchtigungen als erstes aufzunehmen und zu behandeln, um unnötiges Warten zu vermeiden und somit eine herausfordernde Situation zu verhindern. Die Wartezeiten sollten möglichst kurzgehalten werden und die Umgebung angemessen sein. Z. B. kann der Patient nach einer Narkose in einem separaten (ggf. reizarmen) Zimmer aufwachen, anstatt in dem Aufwachraum, in dem oftmals nicht nur eine Person liegt.

Können die Ärtz:innen einen Einwilligungsvorbehalt feststellen oder kann dieser durch adäquate Aufklärung/Beratung aufgehoben werden, so dass der Mensch mit Beeinträchtigungen selbstwirksam – im Sinne seiner Gesundheitskompetenz – in der Lage ist, die konkrete Entscheidung zu treffen?

Bei dem Entlassmanagement ist anzumerken, dass eine frühe Entlassung von den Organisationen der Eingliederungshilfe oftmals nicht aufgefangen werden kann, denn die Dienstzeiten variieren. So kann es z. B. vorkommen, dass die Wohngruppe in einem bestimmten Zeitfenster eben nicht besetzt ist. Irrtümlich gehen Klinken häufig davon aus, dass in den von ihnen benannten Pflege-Heimen auch Pflegepersonal arbeitet und die Station auch durchgängig besetzt ist. Die (pädagogischen) Fachkräfte jedoch sind rechtlich nicht zur Pflege und medizinischen Versorgung befugt, d. h. z. B., dass sie – seitens des Gesetzes – keine Wundversorgung übernehmen können und dürfen. Zudem sind die besonderen Wohnformen auch nicht rund um die Uhr besetzt. Ebenso ist das Netz für die Nachsorge in Tagespflegeeinrichtungen und Rehabilitationskliniken für Menschen mit Beeinträchtigungen noch sehr löchrig. So gibt es in Nordrhein-Westfalen die einzige offizielle Reha-Klinik, die sich seit 30 Jahren auf Menschen mit Beeinträchtigungen spezialisiert hat (siehe https://www.ruhrtalklinik.de