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Menschenrechte, Freiheit und Demokratie verteidigen: Ein kraftvolles Plädoyer von Gerhart Baum Ob Freiheit und Gleichheit aller Menschen, das Recht auf Unversehrtheit oder das Recht auf freie Wahlen und Meinungsäußerung: Weltweit sind die Menschenrechte bedroht. In immer mehr Ländern werden Aktivisten, die sich dagegen wehren, verfolgt. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine stellt offen die Vereinbarungen der internationalen Staatengemeinschaft in Frage, die Frieden und Recht sichern sollen. Kriegerische Konflikte, Menschenrechtsverletzungen und Brüche des Völkerrechts bringen Freiheit und die Werte der Demokratie in Gefahr. Gerhart Baum schildert eindrücklich die Kontroverse zwischen autoritären und demokratisch verfassten Gesellschaften und benennt deutlich, wo die Menschenrechtskonvention nicht eingehalten wird. In seinem leidenschaftlichen Appell legt er nachvollziehbar und verständlich die Bedeutung der Menschenrechte als Basis für eine Friedensordnung der Welt dar. - Ein brennendes und pointiertes Plädoyer vom ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum - Menschenrechte als wichtigste Grundlage für eine Friedens- und Freiheitsordnung - Von Weltpolitik über Whistleblower bis zum Sport: Eindrückliche Analyse von Menschenrechtsverletzungen weltweit Für den Schutz der Menschenrechte und für den Erhalt der Demokratie: Was jeder Einzelne tun kann Gerhart Baum hat sich zeitlebens für die Menschenrechte eingesetzt, in Südafrika, für die UN im Sudan oder durch engen Kontakt zu Verfolgten in Belarus und Russland. Seine Denkanstöße liefern Impulse für die Politik, die Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen muss, wenn es darum geht Menschenrechte und Demokratie zu wahren. Es gilt, gemeinsam Frieden und Freiheit zu bewahren. Ein Buch, das Mut macht!
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Seitenzahl: 137
GERHART BAUM
Ein Appell
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1. Auflage
© 2022 Benevento Verlag bei Benevento Publishing München – Salzburg, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg
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Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:
Red Bull Media House GmbH
Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15
5071 Wals bei Salzburg, Österreich
Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT
Gesetzt aus der Palatino, Radikal, Helvetica Neue LT W1G
Umschlaggestaltung: Benedikt Lechner
Umschlagmotiv: Amac Garbe, Dresden
Autorenillustration: © Claudia Meitert/www.carolineseidler.com
ISBN 978-3-7109-0158-4
eISBN 978-3-7109-5148-0
Prolog
1Mein Wirken für die Menschenrechte
2Anspruch und Wirklichkeit – zur Lage der Menschenrechte heute
Die Lage in Russland | China: Stabilität durch Unfreiheit | Belastungsprobe für Europa | Die Demokratie ist kein Auslaufmodell
3Migration und Asyl – das Menschenrecht auf Flucht und ein würdiges Leben
4Lehren aus der Geschichte – die historischen Wurzeln der Menschenrechte
5Wie aus einem flammenden Bekenntnis einklagbares Recht wurde: die Friedensordnung des Völkerrechts
Die Menschenwürde-Ordnung der Staatengemeinschaft
Die Entwicklung des internationalen Rechts seit 1948
Realpolitik versus Idealismus | Die Weltkonferenz über die Menschenrechte in Wien | Katastrophen erzwingen den Fortschritt | Die Schutzverantwortung, sich einzumischen | Der UNO-Sicherheitsrat – Bremsklotz bei der Durchsetzung der Menschenrechte? | Nur geduldiges Papier?
6Die Menschenrechtsinstitutionen Europas
Der Euoparat: Freiheit durch gemeinsame Werte
Das europäische Dreigestirn der Menschenrechte
Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit
7Recht als Waffe – Menschenrechtsverletzungen vor Gericht
8Stachel im Fleisch der Autokraten – die Rolle der Menschenrechtsverteidiger
Vom Mut, sich für die richtige Sache einzusetzen
Schützt die Whistleblower! | Hörigkeit und Angst – Was lässt Bürger zu Untertanen werden? | Sehnsucht nach der starken Hand: Regression der Demokratie
9Handlungsspielräume in Außenpolitik und Wirtschaft
Die neue Verantwortung der Unternehmen
Sport und Doppelmoral
10Informationelle Selbstbestimmung – Datenschutz ist Menschenrecht
Epilog
Dank
Lektüreempfehlungen
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Als ich anfing, dieses Buch zu schreiben, lebte ich in einer anderen Welt. Dann überfiel Russland die Ukraine, und die Welt der Menschenrechte und des Völkerrechts, die eine Art Lebensgerüst für mich bildete, kam ins Wanken. Diese Weltordnung ist so gefährdet wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr, obwohl sie in den Jahrzehnten danach vielen Herausforderungen ausgesetzt war und vielerorts immer noch ist. Aber sie hatte im Kern Bestand und blieb der Maßstab. Das ist jetzt Geschichte.
Der russische Aggressor setzt sich ganz offen über die UN-Charta von 1945 hinweg, über das Gewaltverbot, über die Ächtung des Krieges. Ihn interessiert diese Friedensordnung überhaupt nicht, auch nicht die mit Russlands Zustimmung geschlossenen Verträge: die »Charta von Paris« aus dem Jahr 1990. Diese hat nach dem Fall der Sowjetunion eine Friedens- und Freiheitsordnung etabliert, der die 35 Staaten des Helsinki-Abkommens von 1975 zugestimmt haben, sowohl aus Ost als auch aus West, von Vancouver bis Wladiwostok. Noch deutlicher und umfassender wurde diese Ordnung von 171 Staaten einmütig auf der Weltkonferenz über Menschenrechte in Wien 1993 bestätigt, mit aktiver Unterstützung Russlands. Selbst die Sowjets hielten sich an Verträge, etwa an das Vertragssystem der Ostverträge. Für Putin gilt das alles nicht mehr. Auch nicht die völkerrechtliche Zusicherung, dass die Grenzen unangetastet bleiben. Putin sieht sich als Vollstrecker einer »historischen Mission«. Er wähnt sich vom Schicksal beauftragt, Großrussland wiederherzustellen, in dem Ukraine und Belarus keinen Platz haben. Er kämpft gegen den angeblich gottlosen dekadenten Westen und strebt eine neue Weltordnung an. Die NATO fürchtet er dabei nicht. Was er fürchtet, ist die Freiheit: die Freiheitsbewegungen des Maidan in der Ukraine und die in Belarus – und natürlich auch die im eigenen Land, zuletzt wirkungsvoll angeführt von Alexej Nawalny.
Als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats verhindert Russland jedwede Verurteilung des Krieges durch ein Veto. Den Verteidigern der UNO-Charta droht Putin sogar mit dem Einsatz von Atomwaffen. Es gibt kein Politbüro mehr, dem er Rechenschaft schuldig wäre und das ihn stürzen könnte. Die Welt scheint der Willkür des Kreml-Chefs regelrecht ausgesetzt.
Ein gefährlicher Umstand kommt verschärfend hinzu: Putin ist keineswegs isoliert. Er hat, aus ganz unterschiedlicher Motivation, Verbündete im Kampf um eine neue Weltordnung, an erster Stelle China. Eine eindrucksvolle Mehrheit in der Generalversammlung hat den Angriffskrieg zwar verurteilt; eine ganze Reihe anderer sehr wichtiger Staaten sieht in ihm allerdings keinen Stein des Anstoßes, sondern möchte ein Gegengewicht bilden zu einer – wie sie es sehen – amerikanisch geführten Machtallianz. Dazu gehören so unterschiedliche Staaten wie Indien, Brasilien, Südafrika und weitere afrikanische Staaten – zahlenmäßig bilden sie die Mehrheit der Weltbevölkerung ab.
Ich halte es für eine wichtige Aufgabe Europas, diese Staaten für die Rückkehr zu einer regelorientierten Weltordnung zu gewinnen. Im Kern stehen wir inmitten einer historischen Kontroverse zwischen autoritären und demokratisch verfassten Gesellschaften und vor einer historischen Auseinandersetzung zwischen China und den USA.
Ich habe selbst eine tiefe Beziehung zu Russland und seinen Menschen, auch zur Ukraine. Mein Großvater mütterlicherseits wurde in Charkow geboren, meine Mutter in Moskau. Die Familie floh 1917 vor der Revolution nach Berlin. Ich habe eine enge emotionale Bindung an dieses Land. Umso zorniger macht es mich, dass sich Geschichte zu wiederholen droht. Es war Churchill, der 1941 seine Landsleute gegen Hitler eingeschworen und ihnen Opfer abverlangt hat. Verständigung mit dem Diktator hielt er für ausgeschlossen. Ich setze Putin und seine Kumpane nicht mit Adolf Hitler gleich, aber die von ihnen zu verantwortenden Verbrechen eines Angriffskrieges, die Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung bei jeglicher Missachtung des humanitären Völkerrechts sind vergleichbar. Nach allen Regeln des Völkerrechts ist Putin ein Kriegsverbrecher. Und sein Angriffskrieg gegen die Ukraine wird zur Anklage führen – aber wann?
Die Schockwellen dieses epochalen Bruchs des Völkerrechts haben bei mir Spuren hinterlassen. Und sie haben auch dieses Buch über die Menschenrechte verändert. Als wir das Buch zu konzipieren begannen, war die Situation in Russland zwar sehr präsent, aber dennoch eines von vielen Themen, die im Buch behandelt werden sollten. Durch den Angriff steht sie nun im Mittelpunkt. Mehr noch: Der Ukrainekrieg überschattet das ganze Thema »Menschenrechte«. Gleichwohl werden die anderen Brennpunkte dadurch nicht verdrängt. Zu Teilen sind sie auch untrennbar miteinander verbunden. Vielmehr ist es gerade jetzt, so meine ich, essentiell, die Grundlagen der menschenrechtsbasierten Weltordnung, ihre Entstehung und ihre Praxis sichtbar zu machen.
Lese ich meine zu Beginn des Krieges verfassten Schlussfolgerungen, so wirken diese zu optimistisch. Obwohl wir wussten – und ich habe es jedes Mal nach meiner Rückkehr aus Russland zum Ausdruck gebracht: Dort stirbt die Freiheit, und die imperiale Aggressionslust ist ungebrochen. Aber dass ein Vernichtungskrieg bevorstand, das war für mich nicht absehbar. Wir hätten uns nie gutgläubig in eine solche Energieabhängigkeit von Russland begeben dürfen – ein fundamentaler Fehler der deutschen Außenpolitik, eigentlich der schlimmste seit 1945.
Auch möchte ich heute mehr denn je auf die Gutgläubigen einwirken, die immer noch nicht in der Realität angekommen sind und der Ukraine in bevormundender Arroganz vorschreiben möchten, wie sie sich zu verhalten hat. Viele, die Frieden fordern, machen sich Illusionen über den Preis. Sie sollten sich vor Augen führen: Die Besetzung der Ukraine durch Russland bedeutet nicht nur die Vernichtung der Existenz eines Landes, sondern vor allem die Auslöschung der Demokratie. Und selbst wenn irgendeine Lösung in der Ukraine gefunden wird: Der Kampf ist nicht entschieden, bis Putin-Russland Geschichte ist. Nicht Russland führt den Krieg, sondern seine diktatorische Führung. Wer sich deren Mission vor Augen führt, kann sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie sich mit Teilerfolgen nicht zufriedengeben wird. Unruhestifter ist Russland ja schon an verschiedenen Brennpunkten der Welt und stets auf der Seite von Diktatoren, man denke nur an Syrien.
Je länger ich über den Ukrainekrieg und die daraus erwachsende politische Lage nachdenke, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass daraus die zentrale Botschaft, der zentrale Appell dieses Buches erwächst: Verteidigen wir mit Zähnen und Klauen die auf der Menschenwürde und der Friedenssicherung gegründete Weltordnung. Denn das ist das, was auf dem Spiel steht. Kämpfen wir gegen die Vernichtung demokratischer Strukturen in der Welt. Eine entschiedene Politik gegen die Klimakatastrophe – die nach wie vor drängendste Herausforderung unserer Zeit – ist nur bei einer einigermaßen stabilen politischen und ökonomischen Weltlage möglich. Und nur mit aktiver Beteiligung der Demokratien.
Köln im September 2022
Ich blicke auf die Zeit meines Lebens zurück – neun Jahrzehnte. Abgesehen von den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs war es hierzulande eine Zeit in Frieden und in wachsendem Wohlstand – bei allen Herausforderungen und Krisen. Es sind die Kriegsbilder, die mich als Junge am Anfang meines Lebens erschüttert haben und die mich jetzt am Ende meines Lebens wieder erreichen – eine Steigerung nach vielen anderen schrecklichen Bildern der letzten Jahrzehnte. Im zerstörten Mariupol widerspiegelt sich mein Kriegsbild des zerstörten Dresden.
Für die Wehrpflicht kam ich als sogenannter »weißer Jahrgang« nicht mehr infrage. Ich habe also nie eine Waffe getragen. Ich musste auf keinen Menschen schießen. Aber um mich herum gab es Mord und Totschlag. Mein Blick richtet sich zurück auf den mörderischen Ersten Weltkrieg. Mein Großvater wurde gleich zu Beginn im Schützengrabenkrieg Opfer einer französischen Kugel. Meine Großmutter wurde früh zur Kriegerwitwe, wie auch meine Mutter im Zweiten Weltkrieg. Beide Männer wurden weniger als halb so alt, wie ich es heute bin.
Mein Blick richtet sich auf den sinnlosen gewaltsamen Tod von Abermillionen von Menschen seit meiner Geburt im Jahr 1932. Zwischen 1933 und 1945 wurden allein vierzehn Millionen in den Territorien ermordet, die unter deutscher oder sowjetischer Herrschaft standen, also in Polen, Weißrussland, der Ukraine, in den baltischen Staaten. Die schreckliche Bilanz nationalsozialistischer Vernichtungspolitik und stalinistischer Terrorkampagnen. »Bloodlands« nennt der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder diese Territorien in seinem gleichnamigen Buch und beschreibt die ukrainische Hungersnot, die Deportationen, den Massenterror und die Mordexzesse der Nazis. Viele Millionen Menschen hatten keine Chance gehabt, ihr Leben zu leben. Vielfach gab es keine Hinterbliebenen – und wenn, dann mussten sie ein neues Leben aufbauen. Viele waren für ihr Leben traumatisiert.
Es war auch die Mahnung »Nie wieder Diktatur«, die mich, das Kriegskind und den Halbwaisen, zur Politik gebracht hat. Es war ganz entschieden Thomas Mann mit seinen Reden und seinem Roman Dr. Faustus, in dem er der Ursache der Katastrophe nachspürt, der mich motiviert hat, für das »andere Deutschland« zu kämpfen, das wir seit 1945 mithalfen, aufzubauen. So wie es ein »anderes Deutschland« gab, so wird es auch ein »anderes Russland« geben.
Der Zweite Weltkrieg forderte Schätzungen zufolge mindestens 55 Millionen Tote. Hinzu kommen 500 000 alliierte Soldaten und Millionen andere, vor allem japanische Opfer aus dem Pazifikkrieg gegen das aggressive Japan. Wie viele Familien allein in der damaligen Sowjetunion haben Väter und Söhne verloren. Als Sohn einer Russin ist mir besonders das Schicksal der osteuropäischen Zwangsarbeiter nahe. Die Russen unter ihnen – ihre Hinterbliebenen und die Überlebenden – habe ich gegen die zunächst wiedergutmachungsresistente Bundesrepublik vertreten. Die Opfer unter den Westalliierten sind zu nennen und natürlich die Opfer in der Zivilbevölkerung in allen europäischen Ländern. Vor Kurzem stand ich zum ersten Mal vor amerikanischen Soldatenfriedhöfen in der Normandie. Es war ein furchtbarer Blutzoll, den die Befreier entrichteten.
Es sind nicht nur die Toten des Krieges in den Blick zu nehmen. In diesen Jahren wurde die Freiheit in vielen Ländern brutal unterdrückt, auch in unserem Land. Und das hörte 1945 nicht auf. Es ging weiter in Ostdeutschland und in Osteuropa. Diese Menschen waren jahrzehntelang, bis 1989, unterjocht.
Der Mensch hat die »Freiheit, frei zu sein«, daran erinnert uns Hannah Arendt. Welche Sehnsucht nach Freiheit hat uns junge Menschen nach 1945 bewegt, welche Sehnsucht nach Weltoffenheit, nach einem geeinten und friedvollen Europa! Befeuert wurden wir durch die Kunst, die zeitgenössische Musik, die neuen Bewegungen in der bildenden Kunst (den Expressionismus), die Exilliteratur und durch Menschen, die uns diese weltläufige Kultur näherbrachten. Rowohlt druckte Faulkner-Romane im Zeitungsformat.
In vielen meiner Begegnungen mit Menschen, die in Diktaturen nicht frei sein konnten, habe ich immer wieder die gleiche Feststellung gemacht: In den Menschen steckt ein unbändiger Freiheitswille, auch wenn manche sich allzu schnell unterwerfen. Sie wollen sich, wie auch immer, selbst verwirklichen. Sie haben nur dieses eine Leben – und dieses Glück wird ihnen allzu oft genommen. Der Wille, frei zu leben, ist jedem Menschen eingeboren. Da gibt es keine Unterschiede nach Kulturen oder Religionen, wie uns manche Machthaber glauben machen wollen.
Mit dieser festen Überzeugung im Herzen habe ich mich 1982, nach dem Regierungswechsel, als ich als Innenminister aus der Regierungspolitik ausgeschieden bin, verstärkt den Menschenrechtsproblemen zugewandt, etwa in der von Militärregierungen beherrschten Türkei und in Griechenland – sehr oft gemeinsam mit meinem Freund und Mitstreiter Burkhard Hirsch und bisweilen auch mit Hildegard Hamm-Brücher.
Ein besonderes Augenmerk richteten wir auf Südafrika. Das Apartheid-Regime beging dort und in Namibia mit einem gewalttätigen, rigorosen Rassismus schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es gibt nicht den geringsten Anlass, sie jetzt mit der Situation in Israel zu vergleichen, wie Amnesty International das tut (überhaupt, das sei am Rande erwähnt, ist das Londoner Büro von Amnesty auf Abwegen, wenn es den Aggressor Russland mit dem Verteidiger Ukraine gleichsetzt).
Wiederholt waren wir in enger Abstimmung mit dem damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher vor Ort und auch in anderen Staaten Afrikas. Wir wollten die Menschenrechtsverteidiger dort ermutigen, ihnen zeigen, dass wir auf ihrer Seite stehen. Es waren kleine Schritte. Einige unserer Gesprächspartner in Südafrika wurden ermordet. Heute sind Straßen nach ihnen benannt. Wir waren Teil einer weltweiten Anti-Apartheid-Bewegung und gleichzeitig auch »Botschafter« eines Landes, das aus seiner Geschichte gelernt hat. Das galt nicht für alle. So wurde das dortige Regime immer noch von einigen deutschen Politikern unterstützt, unter anderem von Helmut Kohl. Ganz anders Richard von Weizsäcker und Norbert Blüm, denen wir regelmäßig aus Südafrika berichteten. Oder auch Günter Verheugen. Marion Gräfin Dönhoff – den Preis, der ihren Namen trägt, habe ich 2020 mit großer Freude entgegengenommen – hat sich ebenfalls immer wieder besonders überzeugend positioniert.
Mein noch systematischerer Einsatz für die Menschenrechte begann 1992, als Hans-Dietrich Genscher mich zum Leiter der Deutschen Delegation in der Menschenrechtskommission in Genf bestimmte. Es war und ist das zentrale Gremium der Völkergemeinschaft, in der die Menschenrechtssituation weltweit behandelt wird. Meine Rolle war vergleichbar mit der des Menschenrechtsbeauftragten im Auswärtigen Amt heute. Dieser Einsatz über viele Jahre hat mir den Blick auf die Welt weit geöffnet. Viele Monate im Jahr war ich auf Reisen, um mit den Unterdrückern und den Unterdrückten zu sprechen und anschließend Mehrheiten für kritische Resolutionen mitzuorganisieren. Immer wurde ich hervorragend beraten von engagierten deutschen Diplomaten. In Genf war es Michael Schäfer, der spätere deutsche Botschafter in China. Höhepunkt meiner Arbeit in diesem Bereich war die Leitung der deutschen Delegation auf der zweiten Weltkonferenz für Menschenrechte 1993 in Wien, übrigens der letzten dieser Art. Sie hat die Menschenrechtspolitik in heute nicht mehr zu erreichender Einmütigkeit ein ganzes Stück nach vorn gebracht. Wie weit sind wir heute davon entfernt!
Im Anschluss an diese Aktivitäten – mit Beginn der Schröder-Regierung endete meine Aufgabe – wurde ich 2001 für zwei Jahre von der UNO zum Berichterstatter zur Situation im Sudan gewählt. Viele Male habe ich den Sudan bereist und andere Staaten Afrikas. Schließlich war ich dem sudanesischen Regime mit meiner kritischen Stimme so unangenehm, dass sie 2003 eine Verlängerung des Mandats verhinderten. Meine Berichte sind jetzt auch Grundlage für Anklagen im Völkerstrafrecht, so gegen den abgesetzten Diktator Omar al-Bashir und gegen die Manager der schwedischen Ölfirma Lundin Energy, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen sein soll. Zu meinen größten Enttäuschungen gehört allerdings, dass unsere Unterstützung der Kräfte im Südsudan – sie erhielten einen eigenen Staat – dazu führte, dass sie sich, mordend und korrupt, genauso verhielten wie ihre Unterdrücker aus Khartum.
Das politisch-institutionelle Engagement hat sich dann in den letzten Jahren auf privater Ebene fortgesetzt: Meine Frau Renate Liesmann-Baum und ich haben eine gemeinnütze Stiftung gegründet, die als Schwerpunkt Menschenrechtsaktivitäten im Blick hat. Alle zwei Jahre vergeben wir einen mit 10 000 Euro dotierten Menschenrechtspreis.
Die Menschenrechte haben es schwer, jetzt ganz besonders. Aber der Kampf war nicht vergebens. Ich bin zeitlebens ein Menschenrechtspraktiker, ein Menschenrechtsaktivist gewesen – immer wieder auch motiviert durch Einzelschicksale. Ich sehe sie noch vor mir, die verängstigten Kindersoldaten im Sudan, mit schweren Maschinenpistolen auf dem Rücken, die sie kaum tragen konnten. Abgerichtet zum Töten. Ich bin vor einem Schicksal dieser Art durch die Zerstörung Dresdens 1945 bewahrt worden. Ich war schon gemustert und wäre wohl für den »Volkssturm« einberufen worden, hätte der Krieg länger angedauert.