Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In "Militärischer Einsatz im Frieden" vereint Wolfram Wick seine Erlebnisse als Hubschrauberpilot der Deutschen Luftwaffe mit tiefgreifenden Einblicken in die Welt der Friedensmissionen der Bundeswehr vom Beginn der 1960er Jahre bis zur Jahrhundertwende. Wick führt uns durch seine Ausbildung und beruflichen Werdegang und beschreibt die Bedeutung des militärischen Lufttransports im humanitären Bereich. Von Such- und Rettungsdiensten (SAR) bis zu Auslandseinsätzen in der Katastrophenhilfe mit dem Hubschrauber Bell UH-1D und dem Transportflugzeug C-160 Transall. Wicks Erzählungen bieten einen seltenen Einblick in die Aufgaben, Herausforderungen und emotionalen Momente, die den Dienst im Frieden prägen. Ein authentischer Bericht, der nicht nur informiert, sondern auch zum Nachdenken anregt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 324
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
„Wenn Du Frieden willst, rüste zum Krieg“(Si vis pacem para bellum)
Sinnspruch aus Römerzeiten
Vorbemerkungen
Ein Angriffskrieg und die Reaktionen
Eine allgemeine Rückschau
Ein Beispiel für militärische Effektivität
Jahrzehnte im kritischen Blick der Öffentlichkeit
Erinnerungen
Eine besondere Epoche in meiner Dienstzeit
Mein Weg zur Bundeswehr
Ausbildung und Tätigkeit an der Flugzeugführerschule
Im Gefechtstand des Lufttransportkommandos
Das Ansehen der Soldaten
Wertung der Flugzeugbesatzungen
Ausbildung in den USA
Im Einsatzverband
1. verstärkte Staffel des Hubschrauber-Transportgeschwaders 64
Die Gebirgsflugausbildung
Der Such- und Rettungsdienst der Luftwaffe (SAR)
Persönliche Erfahrungen im Rettungsdienst
Die Bergrettung
Mein erster Berg-Rettungseinsatz
Überleben Gebirge im Winter
Überleben See
Einsätze im Such- und Rettungsdienst (SAR)
Die Suche nach einem Piloten
Vermisst im Gebirge
Der Gast in der Biwakschachtel
Ein Dankesbrief
Der Wurstfabrikant
Sonder- und Auslandseinsätze mit dem Hubschrauber
Hilfseinsatz Äthiopien
Zwischenstation in Addis Abeba
Die Bergung auf Kreta
Das zweite Kommando auf Kreta
Einsätze im Gebirge in Deutschland
In einem „Gemischten Verband“
Ein SAR-Kommando in Kanada
Im Gefechtstand des Geschwaders
Eine Übung „SAR in wartime“
Royal Airforce Staff College
Zurück im Geschwader in Deutschland
Ein Luftretter als Kampfretter
Einsatz der Restlichtverstärker-Brille (BIV)
Ein immerwährendes Risiko
Kommandoführer Hilfseinsatz C-160 Transall
Die Bundeswehr – eine ungeliebte Armee
Kommandeur Fliegende Gruppe HTG 64
Stabsarbeit in einer Kommandobehörde
Dienstreise in die DDR
Die deutsche AMF (Allied Mobile Force) im Einsatz
UNO-Einsätze des Lufttransport Geschwaders 61
Luftbrücke zur Versorgung von Sarajevo
Unterstützung Deutsches Kontingent UNOSOM II
Deutsches Kontingent im Joint Operation Center
Weitere Ereignisse im Verband
Flugunfälle
Weitere Hilfeleistungen im Gebirge
NATO-Einsatz in Vicenza
Eine Nachbetrachtung
Epilog
Im Februar 2022 begann Russland einen Krieg mit der Ukraine. Der völkerrechtswidrige Angriff leitete verschiedene Reaktionen des Westens ein, die nachfolgend zu einer weitreichenden Veränderung der politischen Lage führte. Der deutsche Bundeskanzler verkündete vor dem Deutschen Bundestag eine Zeitenwende. Neben Waffenlieferungen an die Ukraine wurde nun auch eine Stärkung der Bundeswehr mittels eines „Sondervermögens zur Finanzierung dringender Anschaffungen“ beschlossen. In der Süddeutschen Zeitung erschien zu diesem Thema außerdem ein bemerkenswertes Interview mit dem Vorsitzenden der SPD. Unter der Überschrift „Hilfe für die Richtigen“ waren folgende Feststellungen von ihm zu finden:
„Wir können heute froh sein über jeden, der den Dienst bei der Bundeswehr leistet“
„Wir haben uns viel zu oft als Gesellschaft nicht mit der Bundeswehr auseinandergesetzt“
„Wir haben heute eine Bundeswehr, die völlig unterfinanziert ist und mangelnde Wertschätzung erfährt“!
Wie wahr, wie einfach und nachvollziehbar eine solche Situationsbeschreibung doch klingen kann! Aber was kann ich als ehemaliger Soldat der Bundeswehr daraus ableiten? Eigentlich nur, dass ich solche Töne gerne in meiner zurückliegenden Dienstzeit vernommen hätte! Es musste also erst ein Krieg in Europa stattfinden und eine Zeitenwende ausgerufen werden, um sich des Vorhandenseins der Bundeswehr, ihrer Bedeutung, aber auch ihrer Probleme gewahr zu werden und sich nunmehr der Wichtigkeit, Notwendigkeit und Verfügung schlagkräftiger Streitkräfte zur Verteidigung eines Landes zu erinnern.
Die Bevölkerung wurde massiv verschreckt. Die Bundeswehr ist plötzlich und unerwartet durch eine offensichtlich ernst zu nehmende Bedrohungslage in den Blickpunkt der verunsicherten Öffentlichkeit gerückt. Die Aufmerksamkeit ging zwischenzeitlich so weit, dass sogar im Fernsehen ausführlich und in Serie über die Bundeswehr berichtet wurde. Vor gar nicht langer Zeit wäre dies undenkbar gewesen. Auch die schreibende Zunft nahm sich verstärkt dieser Thematik an und hastig wurde nun von einer „Erneuerung“ der Bundeswehr geschrieben. Dieses klingt immerhin nach einer dringend erforderlichen Stärkung wegen schon lange aufgetretener und immer noch bestehender Alterungsschwächen unserer Streitkräfte. Sogar von einer „Wiederbelebung“ war die Rede. Das wiederum hört sich nach einer dringend notwendigen Neuerweckung der Lebenskräfte nach einem langen Siechtum an und erinnert an Mund-zu-Mund-Beatmung und Herzmassage. Das Bittere ist: Alle Deutungen dieser Begriffe sind nicht abwegig..., und in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: „Was hat denn dieses bislang so kraftlose und ungeliebte Militär, zur Zeit an Krücken gehend, überhaupt die ganze Zeit seit seiner Aufstellung im Jahre 1956 geleistet und erreicht?“
Darauf muss eine Antwort erfolgen.
Ohne Zweifel waren mehrere Jahrzehnte mit Strukturreformen und Personalreduzierungen in Verbindung mit einer Kette von Pannen bei Rüstungsprojekten nicht ohne Auswirkungen. Sie haben die Reputation der Bundeswehr in der Öffentlichkeit beschädigt. Man sollte aber nicht vergessen: Sie haben auch zu Enttäuschungen in der Truppe geführt! Was ich mit meinen folgenden Schilderungen erreichen möchte, ist, von unseren dienstlichen Tätigkeiten zu berichten und damit zu zeigen, dass wir, die Truppe, immer mit Herz und Hirn unseren Verpflichtungen und Aufgaben auch unter schwersten Bedingungen nachgekommen sind.
Zu viele der erkennbaren Mängel in der Bundeswehr hatten auch die nicht ganz unberechtigte Frage in der Öffentlichkeit herausgefordert, ob diese Bundeswehr überhaupt in der Lage wäre, die an sie gestellten Anforderungen erfüllen zu können. Daraus ergaben sich zwangsläufig solche spöttischen Bemerkungen wie folgende Behauptung in einem Artikel im STERN-Magazin über den Airbus A-400M, der neben anderen Missständen in der Bundeswehr als einer der „Verlierer des Jahres“ bezeichnet wird. Das wird damit begründet, dass er wegen einer Pannenserie immer noch nicht komplett an die Streitkräfte ausgeliefert worden ist. Das könnte man ja noch hinnehmen. Aber dann folgt noch folgende Verächtlichmachung in diesem Artikel mit der Feststellung:
„Egal, - im Ernstfall wartet die Bundeswehr eh, bis Militär eintrifft!“
Die durchgängige Meinung in der Bevölkerung war in der Tat die, dass die Bundeswehr in der gegenwärtigen Verfassung nicht so richtig zu gebrauchen wäre, außer vielleicht zur Hilfeleistung bei Katastrophen zu Hause oder bei Hunger in Afrika. Außerdem wollen die Bürger der Bundesrepublik ohnehin ihre Soldaten in keinem Konflikt, sondern lieber nur bei Überschwemmungen Sandsäcke schleppen sehen oder vom Umherfliegen in Afrika beim Transport von Lebensmitteln bei Hungerkatastrophen erzählt bekommen. Dann schätzen sie ihr Militär ein wenig. Denn nur eine Bundeswehr, die Gutes tut, ist eine gute Bundeswehr...
Es hatte sich viel Erinnerungswertes, Persönliches und Dienstliches, aus meiner früheren aktiven Zeit angesammelt, wobei vieles von meinen Erfahrungen und Einblicken gar nicht an die Öffentlichkeit gelangt ist. Bis jetzt hatte ich auch immer noch den Eindruck, selbst als ehemaliger Soldat der ersten Jahre der Bundeswehr als ein nichtsnutziger Verursacher öffentlichen politischen Ärgernisses und Verschwender von Steuergeldern in der Bundesrepublik angesehen zu werden. Nun hat sich der Zeitgeist aber abrupt geändert und deshalb haben mich die Ereignisse endgültig dazu ermuntert, von Begebenheiten und Erfahrungen zu berichten, die wir ehemaligen Soldaten in früheren Zeiten erlebt und wie wir unseren Dienst verrichtet haben. Wir haben jedenfalls das in der Vergangenheit immer schlechter werdende Image der Bundeswehr nicht zu verantworten. Wir haben getreu dem Eid, den wir Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten geschworen und die Wehrpflichtigen in ihrem Gelöbnis ausgedrückt haben, nämlich der Bundesrepublik treu zu dienen, immer vorbildlich Folge geleistet.
Ich habe nie Tagebuch geführt. Deshalb bestehen meine Erinnerungen aus Episoden und Begebenheiten, die einen gewissen Erlebniswert hatten, mich also vor Jahren besonders bewegten, berührten oder beeinflussten. Aus diesen für sich abgeschlossenen Einzelschilderungen über bestimmte Erlebnisse lässt sich nicht nur ein historischer Ablauf, sondern auch Hinweise auf den Zeitgeist in der Gesellschaft, die Anpassung der Bundeswehr an die Veränderungen in Politik und Gesellschaft und somit auch die Veränderungen in meinem dienstlichen Umfeld, der Deutschen Luftwaffe, erkennen. Beginnend mit meiner militärischen und fliegerischen Ausbildung bis zum Ende meiner Dienstzeit im Lufttransport.
Ich nutze also meine eigenen Erlebnisse und Erfahrungen mit der Bundeswehr, um darzustellen, was es in der damaligen Zeit bedeutet hat, in der Bundeswehr zu dienen. Es liegt mir daran, die vielen erreichten Ziele und Erfolge bei der Ausführung der Aufgaben zu erwähnen. Die erteilten Aufträge haben uns zum Beispiel in viele Krisenund Katastrophengebiete geführt. Es gab dabei ausgiebige Hilfeleistungen zuhause im nationalen Bereich, aber auch in internationalen Gebieten, im fernen Ausland und auf vielen anderen Feldern.
Die Bundeswehr hat zu Hause und bei vielen internationalen Einsätzen ihre Effektivität ständig nachgewiesen. Sie ist nicht durch eigenes Versagen, sondern nur aus ideologischen Beweggründen oder wegen politischer Fehlgriffe immer wieder in Sparzwänge geraten oder auf neu entfachten Widerwillen und Ablehnung in der breiten Öffentlichkeit gestoßen.
Die frühere deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte den Sparkurs ihres Vorgängers nicht weiter so massiv verfolgt und hatte begonnen, in die Ausrüstung der Luftwaffe zu investieren.
Der Airbus A-400M befindet sich nun endlich als Transporter bei der Luftwaffe. Auch im Hubschrauberbereich ist eine Konversion erfolgt. Die Luftwaffe wurde auch für die Aufgabe der Durchführung des CSAR-Auftrages (Combat Search And Rescue / Suche und Rettung im Kampfgeschehen) mit dem neuen leichten Mehrzweckhubschrauber des Typs H 145 M ausgerüstet, um direkte taktische Unterstützung für die Spezialkräfte aus der Luft zu leisten, sowie Rettung und Rückführung von isoliertem Personal durchzuführen.
Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang an den wenig ehrenvollen Rückzug der NATO und der Bundeswehr aus Afghanistan mit all den Pleiten, Pech und Pannen. Es war fast wie ein heimlicher Rückzug. Als die letzten Bundeswehrsoldaten nach einem 20-jährigen Einsatz in Afghanistan auf deutschem Boden landeten, war dies eine sehr stille Heimkehr. Es waren keine Politiker, nicht einmal die Verteidigungsministerin, zu einem Empfang dieses letzten Kontingentes anwesend. So, als wäre nichts gewesen, als hätte die Truppe nicht über so viele Jahre „die Freiheit am Hindukusch verteidigt“, wie ein ehemaliger Verteidigungsminister einst bei einem Truppenbesuch in Kabul festgestellt hatte.
Die Taliban hatten nach dem vereinbarten Abzug der NATO-Kräfte unerwartet und im Handstreich das Land und Kabul eingenommen und somit einen beschleunigten Abzug bewirkt.
Für die Bundesrepublik Deutschland hielt sich aber diesmal in der nachfolgenden erzwungenen Evakuierung die Blamage in Grenzen. Zufällig standen zu diesem speziellen Zeitpunkt, nicht geplant und auch nicht für eine solche Evakuierung eigens vorgesehen, doch noch glücklicherweise Einsatzmittel in Form des neuen und verunglimpften Transporters A-4oo M und dazu auch noch eine ebenfalls neu aufgestellte Kampftruppe mit den speziellen Hubschraubern zur Verfügung, die jetzt für diesen Spezialeinsatz in Anspruch genommen werden konnten und damit wertvolle Hilfe bei der Evakuierung in Karthum leisten konnten.
Diese spezielle „Ertüchtigung“ der Luftwaffe für diese besondere Art eines militärischen Einsatzes war äußerst wirksam und hat sich in jedem Fall gelohnt. Ich wollte, die Bundeswehr wäre laufend so passend „ertüchtigt“ worden... Ein weiterer Einsatz dieser Art erfolgte vor nicht langer Zeit anlässlich der Bürgerkriegswirren im Sudan. Auch dieser Evakuierungseinsatz konnte erfolgreich mit diesen speziellen Mitteln durchgeführt werden.
Die besondere außen- und vor allem innenpolitische Situation, in der wir uns jetzt befinden, hat mir den entscheidenden Anstoß gegeben, doch einmal auch auf die Leistungen der ehemaligen Soldaten der Bundeswehr hinzuweisen. Sich jetzt nicht zu Worte melden, hieße, die permanent unterschwellige Mutmaßung in der Öffentlichkeit weiterhin zuzulassen, dass wir ehemaligen Soldaten in unserer früheren Dienstzeit nur Leerlauf auf dem Dienstplan hatten, nur Mängel verwaltet haben und infolgedessen auch nicht sehr eifrig und effektiv unserem Dienst und seiner Verpflichtung nachgekommen sein können. Diese Vorbehalte gipfelten für mich in der Bemerkung eines Bekannten zu meinem dienstlichen Einsatz, „nur mein Hobby, die Fliegerei, zum Beruf gemacht zu haben, - ansonsten aber nur teures Kerosin verflogen, Sport getrieben, Kaffee getrunken und Karten gespielt zu haben.“
Wir standen zwar immer im Blickpunkt des Interesses, aber eigentlich vorwiegend in einer negativen Beurteilung. Man hatte fast den Eindruck, dass die Öffentlichkeit sogar in der immerwährenden Hoffnung auf das Erscheinen des nächsten Ärgernisses oder des nächsten Skandals bei der Bundeswehr wartete. Betrachtet man heute sachlich den früheren Zustand der Bundeswehr mit den damals bestehenden Problemen und Schwierigkeiten, dann müsste man eigentlich viel mehr darüber nachsinnen, wie die Soldaten damals über so viele Jahrzehnte hinweg mit diesem immer wieder erkennbaren Mangel an Aufwand, Ansehen und Ausstattung umgehen konnten.
Wann also, wenn nicht jetzt unter diesen besonderen Umständen und nachdem ein allgemeines Nachdenken über eine dringend notwendige Verteidigung der Freiheit auch mit Geld eingesetzt hat, sollte man nicht wenigstens die Öffentlichkeit auch einmal über die früheren, skandalfreien und in aller Ruhe und Präzision durchgeführten Dienstleistungen, über Hintergründe und Tatsachen bei der Bundeswehr informieren? Ich möchte mich diesem Thema stellen, allerdings mit einem großen zeitlichen Abstand zu meiner damaligen Dienstzeit, und ich kann auch nicht für alle Soldaten der Bundeswehr sprechen. Ich beschränke mich also auf die Luftwaffe und hier auch noch auf den Fachbereich des Lufttransportes. Ich muss außerdem gestehen: Wir Besatzungen im Lufttransport hatten es im Gegensatz zu den anderen Teilstreitkräften und Waffengattungen weitaus leichter, von erfolgreichen fliegerischen Aufgaben und Einsätzen im militärischen Umfeld berichten zu können. Ich selbst bin dazuhin in der seltenen Lage, ein genaues Bild sowohl von der Funktion der Hubschrauber in der Luftwaffe zu zeichnen, als auch als aktiver Teilnehmer bei Einsätzen mit der Transall C-160 berichten zu können.
Das Bild auf dem Einband zeigt einen Hubschrauber des damaligen Lufttransportgeschwaders 61 vom Fliegerhorst Penzing bei einer der vielen Einsatzübungen mit der Bergwacht des Bayerischen Roten Kreuzes. Es handelt sich hierbei um eine Lawinenhundeübung irgendwo in den Bayerischen Alpen, zusammen mit Hundeführern aus den drei Bergwachtabschnitten Allgäu, Hochland und Chiemgau. Ein solches Bild mit dieser Zusammensetzung und in dieser Zusammenarbeit wird es allerdings nie mehr geben, denn
die einstmals so enge Zusammenarbeit mit der Bergwacht ist beendet,
die Bell UH-1D fliegt nicht mehr in der Luftwaffe,
es gibt keinen SAR-Auftrag mehr im Lufttransport,
das Lufttransportgeschwader 61 ist aufgelöst und der Fliegerhorst Penzing bei Landsberg geschlossen.
Dieses war die Sachlage nach meiner Pensionierung und meiner letzten Tätigkeit im Stab und als Hubschrauberführer in diesem Geschwader. Was ich dann aus der Ferne meiner Pensionszeit in aller Unruhe beobachten konnte, aber nun zum Glück nicht mehr unmittelbar selbst miterleben musste, war ein weiteres Jahrzehnt von Strukturreformen und Personalreduzierungen, verbunden mit einer Kette von nachfolgenden Pannen bei Rüstungsprojekten, die auch den Lufttransport, in dem ich lange tätig war, betrafen.
Wie die gesamte Bundeswehr hatte auch das Lufttransportkommando und seine Verbände viele Umgliederungen und Änderungen über sich ergehen lassen müssen, zumeist veranlasst durch die berühmten „Sparzwänge“. Dennoch war es gelungen, die grundsätzliche Fähigkeit zur Durchführung wichtiger Lufttransporteinsätze, vor allem der humanitären Katastropheneinsätze im In- und Ausland sowie den Such- und Rettungsdienst der Luftwaffe (SAR), mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu gewährleisten.
Ich war Segelflieger in meinen jungen Jahren. Mit 14 Jahren konnte ich Mitglied des Segelflugvereins Nagold im Schwarzwald werden und begann das Segelfliegen auf dem Wächtersberg bei Wildberg auf dem Schulgleiter SG 38. Damals saß ich in einem Flieger über dem Nagold-Tal, schaute nicht wehmütig den Vögeln nach, sondern mit etwas gemischten Gefühlen nach unten in das Tal, denn ich war kurz davor, die „Vogelperspektive“ kennenzulernen. Ich höre heute noch den Fluglehrer rufen: „Anziehen!... Laufen!“.
Sehe heute noch vorne links und rechts jeweils fünf Mann an jedem Gummiseil die Kommandos befolgen, verspüre den Ruck im Schulgleiter, als das Flugzeug ausgeklinkt und in die Luft geschleudert wird, und ich selbst in den Sitz gepresst werde, spüre das Freikommen in die Luft, stelle fest, dass das Flugzeug meinen Steuerbefehlen gehorcht, sehe plötzlich die Erde von oben, und ein Jubelschrei bricht mir aus der Kehle. Dann die Anspannung vor und der unbändige Stolz nach der Landung über den ersten Freiflug, auch wenn er nur von kurzer Dauer war. Ich meine heute noch das Brennen des Hinterteils zu verspüren nach dem traditionellen Verhauen des Hinterns durch alle Segelfliegerkameraden nach diesem ersten Solo-Flug.
Von da an träumte ich nicht mehr nur - ich wollte unbedingt den Beruf eines Piloten erleben. Es gab damals nur zwei Möglichkeiten, die sich mir in der Jugendzeit für einen beruflichen Einstieg in die Fliegerei anboten: Eine Ausbildung bei der Deutschen Lufthansa oder eine Verpflichtung bei der Deutschen Bundeswehr. Also bewarb ich mich ein Jahr vor dem bevorstehenden Abitur zum einen bei der Lufthansa als Anwärter für die Verkehrsfliegerschule Bremen und zum anderen bei der Bundeswehr als Offizier auf Zeit und als „Anwärter für den Fliegerischen Dienst auf Strahlflugzeugen der Luftwaffe“. Die Lufthansa teilte mir mit, dass zurzeit keine Bewerbung angenommen werden könnte. Bei der Bundeswehr wurde ich zu einer Eignungsprüfung bei der Offiziersbewerber-Prüfzentrale in Köln eingeladen, um auf meine Tauglichkeit für den Offiziersberuf überprüft zu werden und ob eine gesundheitliche Eignung zum militärischen Flugdienst vorhanden wäre - und bestand beide Eignungstest.
Ein Jahr später, im zarten Alter von 18 Jahren, fand ich mich damit auf dem harten Boden der Tatsachen wieder, nämlich auf dem militärischen Kasernen- und Übungsgelände des Offizieranwärter-Bataillons auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck als „Offizieranwärter für den Fliegerischen Dienst in der Bundeswehr, Teilstreitkraft Luftwaffe“.
Ich hatte zunächst militärische Grundkenntnisse zu erwerben. Weiterhin erfolgte mit dem Ausbildungsbetrieb an der Offizierschule der Luftwaffe in Neubiberg die Schulung und die Feststellung der Eignung zum Offizier. Genau ein Jahr nach Eintritt in die Bundeswehr begann ich dann zusammen mit insgesamt 144 Anwärtern für den „Fliegerischen Dienst in der Luftwaffe“ die Vorauswahlschulung in der Schülerstaffel des Fluganwärterregimentes auf der einmotorigen Piper L-18.
Einzelheiten der fliegerischen Schulung erspare ich mir. Eines erscheint mir aber schon am Anfang mitteilenswert, nämlich der Hinweis darauf, dass man ohne Kriegsgeschehen bereits sein Leben in der Ausbildung und im täglichen Einsatz riskieren und auch verlieren konnte.
Der Flugbetrieb mit der Piper wurde in Uetersen auf einer Graspiste durchgeführt und mittels Sichtzeichen geleitet und überwacht. Ich war eines Tages während der Ausbildungsflüge als Sicherheitsposten für die Hindernisfreiheit auf der Startund Landebahn und mit einer rot-weiß karierten Flagge bewaffnet. Ich stand am Ende der Piste in Sichtkontakt mit dem Flugdienstleiter. Bei auftretenden Hindernissen wie Menschen oder Tieren hätte ich mittels Flagge Signal geben müssen, um einen bevorstehenden Start und damit eine mögliche Kollision zu verhindern. Da in unserem Ausbildungsflugbetrieb gerade eine kleine Pause eingetreten war, hatte ich Zeit und Muße, verträumt dem Flugverkehr in der Westplatzrunde zuzusehen. Ich sah mich im Geiste schon im Cockpit eines der Einsatzflugzeuge „meiner Luftwaffe“. Ich beobachtete die Annäherung von zwei Do 27 in Höhe des Einflugpunktes in die Platzrunde, als plötzlich beide Flugzeuge abrupte Richtungswechsel in der Luft vornahmen. Die Maschine in der Platzrunde wurde fast um 180 Grad nach links herumgerissen, während die Maschine von außen einfliegend sofort in einer Drehspirale nach rechts kopfüber dem Erdboden entgegenflog. Ich drücke das jetzt so aus, weil das genau mein Eindruck war und ich des festen Glaubens war, dass die Maschine noch vor Erreichen des Erdbodens abgefangen und in den Horizontalflug übergehen würde. Umso größer war mein Entsetzen, als sie hinter einer Waldkulisse verschwand und kurz danach ein kleiner Rauchpilz anzeigte, dass das Flugzeug nicht mehr flog. Zeitgleich, wie mir schien, hörte ich ein Geräusch wie den Zusammenprall von Autos bei hoher Geschwindigkeit. Erst später wurde mir klar, dass ich nicht den Aufprall des Absturzes, sondern den Zusammenprall der Flugzeuge in der Luft gehört hatte. Diese Sinnestäuschung, hervorgerufen durch die zeitliche Diskrepanz zwischen Sicht und Gehör, habe ich später noch einmal eindrucksvoll auf einem Truppenübungsplatz erlebt. Man sah den Einschlag der Granate, hörte dann den Abschuss der Kanone als vermeintliche Geräuschquelle der Detonation und war dann furchtbar erstaunt und erschrocken über einen erneuten, diesmal sehr heftigen „Knall“, jetzt wirklich von der sichtbar explodierten Granate.
Zurück zum Flugunfall und Absturz. Ein Fluglehrer und zwei Flugschüler fanden den Fliegertod. Es sollten nicht die Letzten gewesen sein. Von den damals mit mir in Uetersen ausgewählten Flugzeugführeranwärtern starben im Verlauf der nachfolgenden Jahre fast ein Drittel, das waren ca. vierzig Kameraden, durch Abstürze. Die meisten damals später auf dem Starfighter F-104.
Nach der erfolgreichen Schulung auf der Piper L-18 sollte meine Versetzung in die Vereinigten Staaten zur weiteren Auswahlschulung auf Düsenflugzeugen erfolgen. Nach meiner zweiten Untersuchung, diesmal beim Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe, erreichte mich zu meinem Entsetzen die Nachricht, dass wegen einer leichten Verkrümmung meiner Wirbelsäule meine medizinische Eignung von Jet auf Prop zurückgestuft werden musste. So kam ich zu meinem Bedauern von der Absicht, ein Kampfflieger zu werden, zu einer Ausbildung auf Hubschrauber. Die angebotene Alternative, eine Ausbildung auf Hubschrauber zu beginnen, nahm ich widerwillig an. Man kann nun durchaus sagen, dass diese Einschränkung verhindert hat, nicht zu den Kameraden gezählt werden zu müssen, die frühzeitig ihr Leben im Flugdienst verloren haben. Auf jeden Fall aber hat mich diese Variante zu einem Fliegerleben gebracht, welches einzigartig werden sollte.
Ich hatte zum Glück keine Probleme mit diesem Fluggerät, obwohl die vielfachen Bewegungsmöglichkeiten eines Hubschraubers das Erlernen der Steuerung zu einer echten Herausforderung machten, und ich dazuhin anfangs eine Abneigung dagegen empfand. Ich war doch ein Flächenflieger! Ein Flugzeug steht doch nicht in der Luft! Ich kam aber so gut damit zurecht, dass ich noch vor dem Abschluss der Ausbildung gefragt wurde, ob ich eine Tätigkeit als Fluglehrer anstreben wollte. Für mich lief dieses auf eine grundsätzliche Entscheidung hinaus. Es war klar, entscheide ich mich für eine Fluglehrertätigkeit in Faßberg, gibt es für mich keine andere fliegerische Einsatzmöglichkeit mehr in der Luftwaffe bis zu meinem Ausscheiden aus der Bundeswehr nach Ablauf meiner Verpflichtungszeit. Ich nahm das Angebot an. Es hatte nämlich nicht lange gedauert bis ich die amerikanische Aussage zu diesem Thema verstand und auch so empfand:
„Flying is beautiful, - but to hover is divine!“(Fliegen ist schön, - aber Schweben ist himmlisch!)
In dieser ersten Tätigkeit für das Militär erreichte ich meine 1000ste Flugstunde auf Luftfahrzeugen der Bundeswehr. Im Februar 1968 wurde ich in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten übernommen.
Meine erste umfassende fliegerische Tätigkeit in der Luftwaffe war also zunächst der Einsatz als Fluglehrer bei der Grund- und Auswahlschulung von Flugschülern aus allen drei Teilstreitkräften der Bundeswehr auf den Hubschraubermustern Bell 47-G2 und Alouette II gewesen. Als mir meine nächste weitere Verwendung im Gefechtstand des Lufttransportkommandos mitgeteilt wurde, hatte ich keinerlei Erfahrung hinsichtlich des Einsatzes der Hubschrauber im Lufttransport. Ich wusste nur, wie man einen Hubschrauber fachgerecht fliegt.
Meine geplante Dienstverrichtung im Lufttransportkommando umfasste die Aufgabe, die Einsätze der Hubschrauber der Luftwaffe zu planen und zu führen. Hierzu wurde die im Jahre 1968 beim Hubschrauber Transportgeschwader 64 in Dienst gestellte Bell UH-1D eingesetzt. Die Zweitrolle dieses Hubschraubers war der Einsatz im Rahmen des Such- und Rettungsdienstes der Luftwaffe. Um die Einsatzleitung dieses für mich noch unbekannten Einsatzmittels angemessen durchführen zu können, musste ich also diesen Hubschrauber noch fliegerisch kennenlernen und wurde deshalb vor Antritt der neuen Verwendung zur Schulung auf der UH-1D zum Lehr- und Versuchsschwarm des Hubschrauber-Transportgeschwaders kommandiert.
Im Verlaufe dieser Umschulung kehrte ich kurzfristig nach Faßberg zurück um an einer Totenehrung teilzunehmen. Zwei Bell 47 waren bei einem Ausbildungsflug in der Luft zusammengestoßen und abgestürzt. Zwei Fluglehrer und zwei Flugschüler hatten den Fliegertod gefunden. Beim Lied mit der Trompete vom guten Kameraden kämpfte ich heftig gegen meine Tränen an.
Das LTKdo (Lufttransportkommando) war die vorgesetzte Kommandobehörde der damaligen Lufttransportverbände. Der Gefechtsstand gehörte zum Stab des LTKdo und war die Zentrale des Lufttransportes der Luftwaffe. Hier wurden alle angeforderten und genehmigten Einsätze geplant, koordiniert und überwacht. Er bestand aus drei Zellen, die für die Einsatzvorbereitung und Einsatzführung der eingesetzten Luftfahrzeuge der jeweiligen unterstellten Lufttransportgeschwader verantwortlich waren. Es waren dies die Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums mit ihren verschiedenen zivilen Flugzeugtypen, vorwiegend im politisch-parlamentarischen Bereich eingesetzt, sowie die drei Lufttransportgeschwader 61, 62 und 63 mit der C-160 Transall, und das Hubschraubertransportgeschwader 64 mit dem Einsatzmuster Bell UH-1D ausgerüstet. Die Geschwader bedienten vorwiegend den militärischen Bereich durch Versorgungs- und Bedarfsflüge im In- und Ausland. Wir Einsatzoffiziere als Leiter dieser Zellen waren sozusagen die Disponenten in der „Spedition“ Lufttransportkommando. Mein für den Einsatz unterstellter Verband war das HTG 64, dessen Kräfte und Mittel teilweise zur Durchführung der neuen Aufgabe auf den Fliegerhorsten Ahlhorn, Diepholz und Penzing bereitstanden.
Eine ganz neue Welt tat sich für mich auf. Es eröffnete sich für mich nun der Einsatz- und Tätigkeitsbereich des Hubschraubers in der Deutschen Luftwaffe, für den ich ja einstmals auch einen Teil meiner Flugschüler ausgebildet hatte, nämlich der Lufttransport mit seinen vielseitigen Facetten und zunächst für mich nur am Rande und informativ, der Such- und Rettungsdienst der Luftwaffe. Es gab festgelegte Routen, die täglich abgeflogen wurden zur Versorgung der Einsatzverbände. Deren Durchführung wurde überwacht und im Bedarfsfall Problembewältigung betrieben. Es gab ad hoc Dringlichkeitstransporte, wobei zeitkritische Ladungen kurzfristig angeliefert werden mussten. Dies betraf vor allem die Flugabwehr-Raketenverbände und die Radarüberwachung entlang der Zonengrenze zur DDR, die ohne diese schnelle Zulieferung ihre Einsatzbereitschaft nicht hätten halten können und, man bedenke: Wir befanden uns in dieser Zeit im tiefsten Kalten Krieg!
Ein Transport mittels Hubschrauber war in diesem Bereich unschlagbar effektiv, denn geflogen wurde vom Bunker oder von der Kaserne des jeweiligen Versorgungsregimentes, also vom Lager direkt zum Bedarfsträger in die Kaserne oder in die Kampfstellung. Weiterhin wurden VIP- und alle möglichen sonstigen Personen- und Materialtransporte durchgeführt, wobei die Vielseitigkeit des Hubschraubers besonders gefragt war, auch wenn es nur darum ging, nicht auf einen Flugplatz mit Start- und Landebahn angewiesen zu sein oder Zeit zu sparen. Es gab damit sozusagen den Transport von Haustüre zu Haustüre, was unsere Generale der Luftwaffen-Divisionen zum Beispiel sehr schätzten, denn ihre Kommandos befanden sich alle in der Nähe atomsicherer Bunker und fernab von Einsatzflugplätzen. Es wurde ihnen sogar täglich ein Hubschrauber mit Besatzung in Bereitschaft zur Verfügung gestellt.
In meinen Anfangszeiten bei der Bundeswehr war ich, zunächst ja noch ohne Familie, erst einmal genügsam und auch ohne größere Beschwernisse. Ich hatte mein gesetztes Ziel, zum Fliegenden Personal der Luftwaffe zu gehören, erreicht. Für das eigene Wertgefühl war es zunächst ausreichend, im zivilen Bereich als „Pilot der Bundeswehr“ und im internen militärischen Bereich als „Angehöriger des Fliegenden Personals“ mit der Schwinge auf der rechten Brustseite der Uniform aufzutreten. Ein Pilot hatte nun einmal grundsätzlich einen bestimmten Nimbus, den man genoss. Die Fliegerzulage war außerdem eine weitere Bestätigung dafür, zu einer besonderen Spezies von Soldaten zu gehören. Die Infragestellung der Bundeswehr in der Öffentlichkeit habe ich deshalb anfangs lediglich zur Kenntnis genommen. Ich wurde davon nicht großartig berührt. Das betraf allerdings zunächst auch nur die politische und gesellschaftliche Seite, was für mich zu Beginn meiner Dienstzeit noch nicht von besonderer Bedeutung war. Es kam aber früh das Gefühl auf, dass hinsichtlich der Versorgung und der Ausstattung der Soldaten der Maßstab nach dem Ablehnungsempfinden der Öffentlichkeit der Bundeswehr gegenüber ausgerichtet worden war. Man war von Anfang an extrem vorsichtig, die Bundeswehr zu „verwöhnen“. Diese „Zurückhaltung“ wurde mit einer großen Portion Idealismus hingenommen. Das damals sehr sparsame Angebot an Bezügen, Versorgungen und Zulagen zum Beispiel und deren enge Auslegung, wie zum Beispiel die Bestimmungen der Reisekostenerstattung, wurde dann als zunächst nicht veränderbar erduldet. Wenn es zu eng wurde, musste man notfalls eben einen hartnäckigen Kampf ausfechten. Es war lange Zeit keine Bereitwilligkeit oder gar Großzügigkeit vorhanden, bestehende und gefühlt gegen das Personal gerichtete Mängel zu beheben. Es besserte sich mit der Zeit tatsächlich, aber fast unmerklich und meist auf dem Beschwerde- oder Rechtsweg. Der Faktor „Mensch“ spielte nur eine untergeordnete Rolle und aufkommenden Ärger mit dem Personal hatten immer die truppendienstlichen Vorgesetzten auszufechten... In dieser Zeit galt jedenfalls der Slogan: „In Friedenszeiten ersetzt die Verwaltung den Feind“.
Eigentlich war dies das falsche Feindbild, denn die Standort- und Truppenverwaltungen hatten ja vom Gesetzgeber eine Überwachungsfunktion erhalten und hielten sich nur an entsprechende politische Vorgaben, auch wenn die Auslegungen der Vorschriften und Erlasse auch in diesem Bereich oftmals bewusst eng ausgelegt wurden. Schon damals wurde bereits eine übermäßige Vorliebe für extreme und bürokratische Maßnahmen erkennbar. Die Einengungen und die fehlende Großzügigkeit gegenüber den Streitkräften ergaben sich generell aus den bestehenden Aversionen und dem nicht sehr ausgeprägten politischen Verständnis für die Notwendigkeit von Streitkräften und damit auch einer vernünftigen Behandlung des dafür notwendigen militärischen Personals.
Im Gegensatz zu unserer ökonomischen und gesellschaftlichen Lage in der Bundeswehr konnten Vergleiche zu anderen Ländern hinsichtlich des Umganges mit ihren Streitkräften nur größte Verwunderung bei uns Soldaten hervorrufen. Solches war für mich erstmalig möglich bei einem fliegerischen Lehrgang in den USA. Dieser Aufenthalt zeigte uns eine völlig neue militärische Welt, sozusagen ein Schlaraffenland in Friedenszeiten für Soldaten und ihren Angehörigen. Im Vergleich zur Behandlung der Bundeswehr in Bezug auf Wahrnehmung, Behandlung und Betreuung taten sich hier ganz andere Welten auf. Es zeigte sich die amerikanische Berücksichtigung des Leitsatzes von Clausewitz, dass „der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ sei, in einem übertragenen Sinn. Eine demokratische Nation braucht nämlich dafür eben auch eine ausreichende Anzahl an einsatzbereiten und vor allem zufriedenen Soldaten zur Umsetzung dieser These. Es bedarf also nicht nur guter Technik und Ausbildung, sondern auch eines passablen Lebensstandards und damit einer gezeigten Wertschätzung für die Soldaten und deren Familien, auch in Form einer erleichterten Lebensführung. Wenigstens oder gerade in Friedenszeiten!
Einen weiteren und näheren Vergleich mit der Bundeswehr in den damaligen Zeiten erspare ich mir. Er würde trostlos ausfallen. Statt pfleglicher Behandlung durch den Dienstherrn durfte man Häme ertragen durch die Öffentlichkeit und, so man noch dazu bereit war, war man ständig darin gefordert, die berufliche Existenzberechtigung zu deuten und zu erklären. Allerdings waren diese Wahrnehmungen anfangs noch nicht so ausgeprägt, als dass sie mein persönliches Empfinden und damit auch das berufliche Selbstwertgefühl wesentlich beeinflusst hätten. Eine solche Auswirkung auf die Psyche kam erst sehr viel später...
Ich möchte noch kurz auf ein dienstliches und damit berufliches Phänomen eingehen, das mir erst sehr viel später, als ich begann Auffälligkeiten zu deuten und zu verstehen, richtig klar wurde. Es gab in der Militärfliegerei eine deutliche Unterscheidung in der taktischen Wertigkeit und damit der Bedeutung und des Einflusses sowie auch des Ansehens. Erst kam der Kampfflieger, dann eine ganze Weile nichts, dann endlich der Transporter und eindeutig zum Schluss der Hubschrauberpilot, dem man eigentlich nicht einmal den Begriff des Flugzeugführers zubilligen wollte. Das wirkte sich dann später sogar noch bis in die hohen Ränge aus, denn ein Inspekteur der Luftwaffe (ein Kampfflieger!) ließ einen vom Drehbuch her völlig abwegigen Film drehen, um die Verwundbarkeit und damit den taktischen Nichtsnutz dieses Fluggerätes unter Beweis zu stellen.
Ein ebenfalls ranghoher Kommandeur brachte in einer geselligen Runde und damit aber unter Zeugen verbal seine Abneigung gegen die Hubschrauber zum Ausdruck. Er mochte dieses Fluggerät ganz einfach nicht und hatte damit auch keine Sympathie für die Hubschrauberführer. Warum, hat er nie erklärt.
Psychologisch ist die oben angeführte Besonderheit in der Reihenfolge vielleicht noch erklärbar. Auch beim Heer fühlen sich zum Beispiel die Fallschirmjäger den Panzergrenadieren und die Panzergrenadiere den Pionieren gegenüber überlegen. Aber alle brauchen einander im Einsatz, denn das gemeinsame Ziel ist der sogenannte „Verbund der Waffen“.
Es gibt aber in der Luftwaffe neben der grundsätzlichen, im Soldatengesetz verankerten Kameradschaftspflicht in der Truppe, auch noch allgemein die Fliegerkameradschaft, und die enthält eigentlich zunächst keine hochnäsige Festlegung der Wertigkeit. Flieger ist Flieger, egal mit welchem Gerät er sich in die Luft erhebt. Ich glaube, die Transporter hatten damals wenig Selbstbewusstsein, und ich kann das auch verstehen. Auch auf sie mit ihren schwerfälligeren Flugzeugen wurde von den Jet-Kameraden spöttisch herabgesehen. Sie hatten damals auch noch wenige spektakuläre Einsätze oder Erfolge vorzuweisen. Die Hubschrauber der Luftwaffe waren in den Augen der Flächenflieger ohnehin kein Flugzeug, höchsten vielleicht ein „Luftfahrzeug“. Aber wir waren bereits einmal in der Öffentlichkeit aufgefallen durch einen äußerst segensreichen und effektiven Rettungseinsatz bei der Flutkatastrophe in Hamburg. Bei diesem Einsatz wurden Menschen mit den Helikoptern von Dächern und Bäumen gerettet und damit ihre vielseitige Verwendbarkeit unter Beweis gestellt. Wir wurden deshalb in der Presse wenigstens einmal bejubelt und von dem damaligen Hamburger Innensenator Schmidt ausdrücklich für diesen Einsatz gelobt, während die Transporter mit der Noratlas in aller Stille Sandsäcke nach Hamburg transportierten bzw. sie über der Insel Wangerooge abwarfen, also wenig spektakulär unterwegs waren.
Meine frühere Ausbildungseinheit in Faßberg war inzwischen zur Hubschrauberführerschule der Luftwaffe aufgestiegen. Meine Sehnsucht nach ihr war aber inzwischen abgekühlt, sah ich doch jetzt die Vielfältigkeit der Einsatzmöglichkeiten eines Hubschraubers im Lufttransport und im Such- und Rettungsdienst der Luftwaffe. Genau das reizte mich hinsichtlich einer nachfolgenden Verwendung. Dazu musste ich aber, um im Einsatzgeschwader zukünftig verwendet werden zu können, alle Voraussetzungen für eine fliegerische Tätigkeit erfüllen, und das waren die noch fehlende Blindflugausbildung und der fliegertaktische Lehrgang auf der UH-1D.
Die Blindflugausbildung für die Hubschrauberpiloten der Luftwaffe fand inzwischen in Faßberg statt. Es gab aber auch kleine Kontingente der Heeresflieger für diese Ausbildung in Fort Rucker im Staat Alabama/USA. Es waren dies Lehrgangsplätze, die damals immer wieder frei wurden, weil Heeresflieger-Aspiranten für den Lehrgang den englischen Sprachtest nicht bestanden hatten.
Schon bei unserer Anreise hatten wir einen Eindruck von der Größe dieses Landes bekommen. Dieser Eindruck setzte sich fort bei der Einweisung in die Liegenschaften von Fort Rucker, dem Sitz der Army Aviation School mit dem Logo „Above the Best“ in ihrem Wappen, welches auch groß und breit über der Hauptwache installiert und somit weithin zu sehen war. Das Areal dieses Armeegeländes hatte in etwa die Fläche eines deutschen Landkreises. Es beherbergte zwei Flugplätze und die dazugehörende Infrastruktur.
Der Lehrgang begann mit der theoretischen Ausbildung auf der Grundlage von etwa zehn Unterrichtsunterlagen in Heftform, die durchgearbeitet werden mussten, etwa einem Tagespensum entsprachen und mit einem jeweiligen abschließenden Testblatt versehen waren. Es gab also keinen Frontalunterricht, sondern nur Selbststudium unter Aufsicht. Nach der Theorie folgten zehn Ausbildungsstunden in einem Flugsimulator, der allerdings kein Hubschraubercockpit, sondern das eines Flächenflugzeugs hatte und auch dessen Steuerung und Flugverhalten, was aber nicht zu besonderen Problemen führte. Die fliegerische Ausbildung begann dann auf einem der beiden Flugplätze und auf der UH-1D in Echtform. Geflogen wurde in drei Perioden, von frühmorgens 0530 Uhr bis spätabends 2230 Uhr, und das in ständiger Rotation. Ein Fluglehrer betreute zwei Flugschüler.
Wir kehrten nach Deutschland zurück mit der Befähigung, die UH-1D im Blindflug und unter Instrumentenflugregeln steuern zu können. Emotional aber habe ich die USA in dieser Zeit leider verloren. Es waren nicht nur die Kleinigkeiten, die hier zu schildern zu weit führen würden, die zu einem Wechsel meiner Gefühle geführt haben. Es war insgesamt die Einsicht, eine falsche Einstellung zu einem System gehabt zu haben, das ich bislang immer als beispielhaft und in seiner Gesellschaftsform als erstrebenswert betrachtet hatte. Es waren vor allem die extremen nationalistischen und rassistischen Erscheinungen, die mich abschreckten.
Ende des Jahres dann der letzte notwenige fliegerische Lehrgang, der Taktiklehrgang UH-1D an der HFSLw (Hubschrauberführerschule der Luftwaffe) in Faßberg. Ich erlernte nun noch die notwendigen Einsatzverfahren für die Durchführung des Such- und Rettungsdienstes und des taktischen Lufttransportes in der Luftwaffe und wartete jetzt auf eine Umsetzung meiner nunmehr umfassenden fliegerischen Befähigungen in einer entsprechenden Position im Einsatzverband.
Mitte des Jahres erhielt ich die Mitteilung, man beabsichtige, mich zum 1. Oktober 1973 zur 1. verstärkten Staffel des Hubschrauber-Transportgeschwaders 64 nach Penzing zu versetzen. Ich war sofort Feuer und Flamme für diese Verwendung, hatte ich doch diese Staffel in meiner bisherigen Tätigkeit als äußerst effizient und zuverlässig kennenund auch den Fliegerhorst und Standort zur Zeit meiner Umschulung schätzen und lieben gelernt. Außerdem war ich immer noch fasziniert von der Gebirgsflugeinweisung damals auf der kleinen Bell in Oberjettenberg und nun befand ich mich in Vorfreude auf das Fliegen mit der großen Bell UH-1D im Gebirge.
Die Zeit in dieser Staffel war einmalig. Sie war für mich in der Rückschau das Tollste, was die Luftwaffe und die Fliegerei für mich zu bieten hatte. Es kam zwar später noch anderes in Form von höherem Dienstgrad und entsprechender höherer Dienststellung, sowie weiterer fliegerischer Erlebnisse nach, aber nichts mehr in dieser Großartigkeit des Erlebens von Führung, Erfolg und einmaligen fliegerischen Einsätzen wie in dieser besonderen Staffel.
Die Eigenart dieser Staffel lag zunächst an ihrer Größe, was alleine ja schon imponierend war, denn sie hatte einen Personalumfang von zirka 240 Soldaten, also fast Bataillonsoder Gruppenstärke. Der Verfügungsbestand an Fluggeräten belief sich auf 42 Hubschraubern, eine starke Flotte! Aus dieser Stückzahl ergab sich wiederum die Anzahl der von der Technik zur Verfügung gestellten Flugstunden. So war die Jahresflugstundenzahl dieser Staffel zur damaligen Zeit höher als die von vielen Jet-Geschwadern in der Luftwaffe! Diese Flugstunden verteilten sich auf die Einsatzgebiete des militärischen Lufttransportes, des Such- und Rettungsdienstes und des taktischen Trainings einschließlich der Ausbildung im Gebirgsflug. Jedes Besatzungsmitglied hatte diese hochwertige Zusatzausbildung im Gebirgsflug zu absolvieren, um den Status „Combat Ready Gebirge“ für eine fliegerische Tätigkeit in dieser Staffel zu erreichen. Diese spezielle fliegerische Ausbildung im Gebirge erhöhte nicht nur das fliegerische Können und die Erfahrung eines jeden Einzelnen, sondern führte auch zur Zusammenarbeit mit der Bergwacht in der Gebirgsluftrettung und zu weiteren Einsatzgebieten außerhalb Deutschlands. So mancher spektakuläre Rettungseinsatz im Gebirge wurde von den Medien aufgegriffen und verbreitet, so dass die Staffel ein herausragendes Ansehen bei der Bevölkerung in Süddeutschland, aber auch in Bundeswehrkreisen erlangt hatte. Die Besatzungen genossen dieses besondere Ansehen, waren sich aber auch der Tatsache bewusst, dass diese durchaus auch als persönlich empfundene Anerkennung als Besatzungsmitglied in erster Linie aber dem Glücksumstand zu verdanken war, dieser besonderen Staffel mit diesem herausragenden Charakter und Einsatzprofil anzugehören. Die Psychologie kennt eine solche erreichte Einstellung des Personals als „excellent corporate culture“.
Nichts hält eine Truppe besser zusammen als ihr guter Ruf!
Ich hatte Respekt vor meiner neuen Aufgabe. Ich war ja, abgesehen von meiner Inübunghaltung und den skizzierten Lehrgängen, längere Zeit aus dem aktiven Flugdienst entfernt gewesen, und die größte Einheit, die ich bislang geführt hatte, war eine Fluggruppe mit jeweils etwa zwanzig Flugschülern und acht Fluglehrern. Ich war mit verhaltener Achtung erwartet worden. Einige, vor allem die jüngeren Kameraden, kannten mich noch aus Faßberger Zeiten als Fluglehrer oder als FSO (Flugsicherheitsoffizier) aus dem Unterricht in der Lehrabteilung, oder aber von meiner kurzen Zeit in Penzing bei der Umschulung auf UH-1D und der nachfolgenden fliegerischen Einsätze im Geschwader.
Ich musste noch die Gebirgsflugberechtigung erwerben. Sie ist gemäß der „Zentralen Dienstvorschrift für den Flugdienst in der Bundeswehr“ bei Flügen in gebirgigem Gelände vorgeschrieben. Die hierfür konzipierte und durch die Staffel selbst durchgeführte fliegerische Schulung umfasste 40 Flugstunden. Sie enthielt alle im Gebirgsflug gängigen und notwendigen Manöver wie präzise Landungen auf Gipfeln, in Kesseln und auf Graten, Anlandungen mit Innenund Außenlasten, Windenmanöver mit der eingebauten Seilwinde und das alles oft an der Leistungsgrenze der Maschine. Dazu kamen terrestrische Navigation in kleinstem Kartenmaßstab und spezielle Suchverfahren. Sie endete mit einem Überprüfungsflug und mit dem Eintrag der Gebirgsflugberechtigung in die Fliegerische Akte und in den Militär-Luftfahrzeugführerschein. Die Ausbildung fand wochenweise in Oberjettenberg statt, wo die Staffel inzwischen den Liegenschaftsbereich von der früheren Lehrund Verbindungsstaffel übernommen hatte. Bereits zum Abschluss der Schulung in Faßberg war zur Abrundung der Grundschulung eine Gebirgsflugeinweisung durchgeführt worden.
Die damals geflogene kleine Bell 47-G2 wurde von einem 6-Zylinder Kolbenmotor angetrieben und hatte schon auf Grund dieser Tatsache Leistungsprobleme in geringerer Höhe. Dagegen war die Bell UH-1D ein ganz anderes Kaliber, sozusagen ein Muskelprotz mit seinem Turbinentriebwerk. Eine Turbine besitzt nun einmal wesentlich bessere Leistungsmerkmale in Abhängigkeit von den Faktoren Flughöhe und Außentemperatur, und so war die große Bell ein riesiger Fortschritt in der sich bereits angebahnten, aber noch jungfräulichen Zusammenarbeit im Rettungsdienst