Millies Millionen - Peter Eckmann - E-Book

Millies Millionen E-Book

Peter Eckmann

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Beschreibung

"Robin - willst du mich heiraten?" Der gescheiterte Rennfahrer Robin Denso fällt aus allen Wolken. Die unscheinbare Jasmin aus der Firma, in der er einen zweifelhaften Job als Fahrlehrer für betuchte Kunden ausübt, muss verheiratet sein, um das Vermögen ihres verstorbenen Vaters erhalten zu können. Sein Lohn dafür: 25,000 Euro. Eine Summe, die sein geschundenes Konto gut gebrauchen kann... Doch der Nachlass versickert, noch ehe er angetreten worden ist. Ein weiteres, riesiges Erbe ist das eigentliche Ziel skrupelloser Verbrecher. Gut, dass die unscheinbare Jasmin zu einem Paradiesvogel mutiert und ihrem Helden in vielen Notlagen unverbrüchlich zur Seite steht. Der Roman spielt 2016 in Hamburg und der Umgebung

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Zu diesem Buch:

„Robin – willst du mich heiraten?“

Der gescheiterte Rennfahrer Robin Denso fallt aus allen Wolken. Die unscheinbare Jasmin aus der Firma, in der er einen zweifelhaften Job als Fahrlehrer für betuchte Kunden ausübt, muss verheiratet sein, um das Vermögen ihres verstorbenen Vaters erhalten zu können. Sein Lohn dafür: 25,000 Euro. Eine Summe, die sein geschundenes Konto gut gebrauchen kann...

Doch der Nachlass versickert, ein weiteres, riesiges Erbe ist das eigentliche Ziel skrupelloser Verbrecher.

Gut, dass die unscheinbare Jasmin zu einem Paradiesvogel mutiert und ihrem Helden in vielen Notlagen unverbrüchlich zur Seite steht.

Inhaltsverzeichnis

Personen

Monza 2015

Das Autohaus Tewes

Die Trauung

Die Vergangenheit kehrt zurück

Das Konto in der Schweiz

Geldquelle Treuhandanstalt

Die Entführung

Matthias Krause

Ein Raub der Flammen

Finale

Weitere Bücher des Autors

Personen

Robin Denso

Ein Formel-1 Rennfahrer. Nach einem Unfall muss er sich vom Sport zurückziehen und wird Fahrlehrer für betuchte Kunden des Autohauses von Friedrich Tewes

Jasmin Hoops

Die neue Mitarbeiterin in der Buchhaltung des Autohauses. Warum treffen sie und Robin aufeinander?

Friedrich Tewes

Der Inhaber des edlen Autohauses in Hamburg-Hohenfelde. Er führt nur die ganz teuren und edlen Marken.

Denise Tewes Hofer

Dessen Tochter, bildhübsch, aber verdorben. Verheiratet mit Julian Hofer.

Olaf Kersten

Ein Jugendfreund von Friedrich Tewes. Ein finsteres Geheimnis kettet sie aneinander.

Torsten Milner

Ein schwerreicher Verbrecher. Er stirbt in der Krankenabteilung der Strafanstalt Fuhlsbüttel.

Matthias Krause

Ein früherer Mitarbeiter von Torsten Milner

Jörg Lamberger

Ein Bettnachbar von Torsten Milner in der Krankenabteilung der Strafanstalt Fuhlsbüttel

Holger Kranitz

Ein Rechtsanwalt in der Hamburger Innenstadt

Heiko Benz

Kriminaloberinspektor in der Hamburger Innenstadt

Sascha Borken

Kriminalinspektor, Mitarbeiter von Heiko Benz

Sarah Pfeiffer

Eine Mitarbeiterin aus dem Autohaus, arbeitet in der Anmeldung.

Werner Baumann

Steuerinspektor im Finanzamt in der Steinstraße

Tim Bredow

Mitarbeiter eines Autoverleihers in Volksdorf, ein Fan von Robin Denso

Arne Kemel- mann

Barkassenführer im Hamburger Hafen

Fabian Becker

Anhalter, den Robin mitnimmt. Er spielt eine kurze, aber wichtige Rolle.

Christoph Böttcher

Ein Freund aus frühen Tagen

Marius Kümin

Ein Schweizer Bankangestellter

Monza 2015

Es ist der 6. September 2015. Robin Denso sitzt am Lenkrad seines orange-schwarzen McLaren-Honda und rast über den »Autodromo Nazionale di Monza«. Er ist jetzt in Runde 33, noch 20 weitere, dann wird das Rennen zu Ende sein. Es ist heiß, die Sonne brennt schon den ganzen Tag vom blauen Himmel und wird sich erst am Abend zurückziehen. Robin Denso spürt die Wärme des Sommertages nicht, die Hitzeentwicklung des 1000 PS starken Rennmotors hinter seinem Rücken stellt jede andere Wärmequelle in den Schatten. Eben hat er die Kurve »Seconda Variante« hinter sich gebracht, Meter für Meter holt er den vor ihm fahrenden Wagen ein. Sein Formel-1 Wagen läuft gut, das Fahrwerk von McLaren ist eines der besten auf der Welt. Der kreischende Lärm des Honda-Motors hätte ohne Gehörschutz seine Trommelfelle zerrissen.

Robin fährt jede Kurve und jeden Meter der Geraden mit traumwandlerischer Sicherheit. Mit seinen Runde für Runde völlig identischen Bremsmanövern und der Fähigkeit, die möglichen Geschwindigkeiten in den Kurven mit einer Präzision einzuschätzen, die nur ein genialer Rennfahrer besitzt, hat er sich auf den vierten Platz vorgearbeitet. Dabei sah es zuerst gar nicht gut aus. Ein kurzer Aussetzer des Motors beim Start hat ihn auf den vorletzten Platz zurückgeworfen. Unter dem Jubel der Zuschauer hat er eine beispiellose Aufholjagd hingelegt. Mit etwas Glück, und wenn ihn die Technik nicht im Stich lässt, könnte er vielleicht sogar auf dem Treppchen landen.

Mir 17 Jahren fing er an, Gokarts zu fahren. Bald wurde man auf ihn aufmerksam und er erhielt von den großen Firmen lukrative Angebote. Manche sahen ihn schon als kommenden Weltmeister, jemanden, der sogar Lewis Hamilton besiegen könnte.

Robin folgt dem Italiener vor ihm in seinem Honda mit wenigen Metern Abstand und hofft, ihn in den beiden Lesmo-Kurven hinter sich lassen zu können. Er ist bereits seit mehreren Runden hinter ihm, er beobachtet ihn genau und weiß, wie und wo er ihn überholen könnte.

Der Fahrer scheint Robins Absichten zu erkennen, er beginnt, in den Kurven immer weiter über die Randsteine, die Curbs‘, zu fahren. Jetzt hat er es übertrieben, der schwarze Wagen springt einen halben Meter hoch in die Luft, das rechte Hinterrad reißt ab und fliegt direkt auf Robins Honda zu. Bei einer Geschwindigkeit von über 200 Kilometern pro Stunde zählen Bruchteile von Sekunden. Er leitet ein Ausweichmanöver ein und kollidiert dabei mit dem rechten Reifen des Mercedes' hinter ihm, der ihn seit ein paar Minuten wie eine Klette verfolgt. Die beiden Räder verhaken sich, die schnellen Fahrzeuge rasen ineinander verkeilt auf den mit Strohballen geschützten Rand der Rennstrecke zu. Robin krallt sich am Lenkrad fest, stützt sich gegen den Vierpunkt-Gurt und schließt die Augen, dann verliert er das Bewusstsein.

Zwei Sanitäter ziehen den bewusstlosen Rennfahrer aus dem Cockpit und bringen ihn und zwei weitere Verletzte ins Krankenhaus.

Im Krankenhaus von Monza, dem »Centro Medico del Parco«, wacht er auf. Was ist passiert? Welcher Tag ist heute? Sein ganzer Körper schmerzt. Mit großer Mühe findet er in die Gegenwart zurück. Er erinnert sich vage an ein rotes Flammenmeer und an den furchtbaren Schmerz, der durch das rechte Bein schoss.

Dem schlechten Englisch des Stationsarztes entnimmt er, dass er Brandwunden an beiden Unterarmen und am Kopf erlitten hat. Kopf und Arme sind bandagiert, das rechte Bein ist eingegipst, es ist mehrfach gebrochen, er wird es, so viel versteht Robin, zeit seines Lebens nur eingeschränkt benutzen können.

Zwei Wochen später, Robin Denso ist transportfähig und wird in ein deutsches Krankenhaus, das BG-Klinikum in Hamburg-Lohbrügge, überstellt. Es liegt zum einen in seiner Heimatstadt Hamburg, zum anderen ist man dort auf schwere Unfälle und Brandwunden spezialisiert.

Der erste Besucher ist sein jüngerer Bruder Florian. Er ist sein Halbbruder, das leibliche Kind seiner Mutter und ihres Mannes Wolfgang Denso. Beide Elternteile sind inzwischen verstorben. Die Mutter, Melanie, ist vor drei Jahren verunglückt. Ein betrunkener Autofahrer hat sie auf dem Fußgängerüberweg angefahren und tödlich verletzt. Sein Stiefvater hat vor zwei Jahren zwei dicht aufeinander folgende Schlaganfälle nicht überlebt. Der treu sorgende Familienvater ließ zwei Söhne zurück, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Florian gerät nach seinem leiblichen Vater Wolfgang Denso, einem nachdenklichen, in sich gekehrten Mann; fleißig und penibel bei allem, was er anfing, bis hin zur Pedanterie.

Und er, Robin? Seinen Vater hat er nie kennengelernt. Er war offenbar das, was man gemeinhin als »Lebenskünstler« bezeichnet. Womit er sein Geld verdient hat, wusste niemand so genau. Außerdem soll er sehr gut ausgesehen haben, er war offenbar ein Mädchenschwarm. Eine junge Kellnerin, Melanie Behnke, verliebte sich in den jungen Mann. Das Paar bekam ein gemeinsames Kind, es wurde »Robin« genannt. Als der Kleine drei Monate alt war, packte den ruhelosen Vater die Abenteuerlust, und er verschwand von einen auf den anderen Tag.

Die junge Mutter, Melanie, lernte den gutmütigen Buchhalter Wolfgang Denso kennen, der sie zur Frau nahm und ihren Jungen adoptierte, als der ein Jahr alt war. Fünf Jahre später wurde der gemeinsame Sohn Florian geboren. Die Familie war nun komplett, unter der geduldigen Fürsorge Wolfgang Densos wurde sie behutsam durch das Leben geführt. Sechs Jahre später riss ein entsetzlicher Unfall die Mutter in den Tod. Der Vater hat danach nie wieder gelacht, bis er vor zwei Jahren seiner geliebten Frau folgte.

„Hallo, Robin. Schön, dich immerhin lebend wiederzusehen. Ich habe den Unfall im Fernsehen gesehen und mach’ mir seitdem die größten Sorgen.“ Er mustert skeptisch die vielen Verbände. „So richtig gesund sieht das nicht aus.“

„Vielen Dank für deinen Besuch und deine aufmunternden Worte. Du weißt doch: Totgesagte leben länger.“ Er lacht gequält, ein Verband ziert den Kopf und seine Unterarme, der Gips am Bein ist gestern entfernt worden.

„Wann kannst du denn wieder Rennen fahren?“

„Keine Ahnung, das steht völlig in den Sternen. Ich glaube eher nicht, dass ich mich je wieder in einen Rennwagen – oder irgendeinen Wagen - setzen kann. Mein rechtes Bein hat einen komplizierten Bruch gehabt, ob ich damit überhaupt fahren kann, ist noch nicht raus. Vorerst muss ich froh sein, wenn ich wieder laufen kann.“ Von den Albträumen, die ihn seit dem Unfall plagen, sagt er dem Bruder lieber nichts. Wenn er ehrlich ist, sind die Albträume der wahre Grund, warum Robin glaubt, nie wieder ein Rennen fahren zu können.

Florian ist sein treuester Fan, er leidet mit dem großen Bruder. Eine Wand in seinem kleinen Zimmer ist mit Zeitungsausschnitten der Rennen geschmückt, an denen sein Bruder teilgenommen hat. Auch die Trophäen, die Robin so reichlich angeschleppt hat, werden in einem Schrank in seinem Zimmer aufbewahrt.

„Und? Wie läuft es bei dir?“, fragt Robin, „wie kommst du mit dem Studium voran?“

„Ach das.“ Florian macht eine abwertende Handbewegung. „Das läuft, das bekomme ich hin. Seitdem Papa nicht mehr lebt, ist alles so kompliziert geworden. Du weißt ja, dass ich ein Stipendium erhalte. Ich jobbe hier und da und bessere dadurch mein Taschengeld auf.“ Er mustert seinen Bruder. „Wie sieht es eigentlich mit deinen Finanzen aus? Was ist, wenn es mit dem Rennfahren nicht mehr klappen sollte?“

Robin zuckt mit den Schultern. „Mein Vertrag läuft noch bis Ende der Saison, dann sehen wir weiter.“ Seine Gagen sind zuletzt sehr hoch gewesen und haben ihm ein Leben im Überfluss erlaubt. Was nun folgen würde, wenn der Geldregen aus Woking in Groß-Britannien versiegen würde, weiß er nicht. Vorläufig denkt er nicht darüber nach. Das ist eine der Eigenschaften, die er von seinem Vater geerbt hat: Er plant nicht in die Zukunft, er vertraut darauf, dass sich immer rechtzeitig eine Lösung findet. Es gibt immer etwas, womit man weitermachen kann. Bis jetzt ist sein Konto gut gefüllt, es gibt für ihn keinen Grund, sich zu sorgen.

„Dein Optimismus ist unerschütterlich, nicht?“ Florian lacht. „Mitunter wünschte ich, ich würde nicht so viel grübeln, sondern so unbesorgt leben wie du.“ Er schüttelt den Kopf. „Keiner kann aus seiner Haut, vielleicht ist das auch besser so. Ich komme morgen nach der Vorlesung wieder vorbei. Bis dann - gute Besserung!“

Die zweite Person, die zu einem Krankenbesuch erscheint, ist eine blonde Nymphe. Seine Freundin Silvia schwebt in sein Krankenzimmer und füllt es für ein paar Momente mit dem fragwürdigen Glamour des Jetset. „Hallo, mein Schatz!“ Sie beuge sich zu ihm hinunter und haucht ihm einen Kuss auf den nicht mehr ganz weißen Verband am Kopf. Ihr süßliches Parfüm nimmt ihm fast die Luft zum Atmen. „Mein Armer, wie siehst du denn aus?“ Sie setzt sich auf den Stuhl neben seinem Bert und streicht sich ein paar blonde Haare aus der Stirn. Ein knappes T-Shirt enthüllt mehr, als es verbirgt. Der Rest der schlanken Figur steckt in einer hautengen Jeans.

„Vielen Dank für deinen Besuch. Es sind nicht viele, die den Weg an mein Krankenbett finden.“

„Nein? Ist denn niemand vom Rennstall hier gewesen? War Enzo noch nicht bei dir? Der kümmert sich doch sonst um jeden im Team.“

„Nein, von dem habe ich nur eine knappe Whatsapp-Nachricht mit den üblichen Genesungswünschen erhalten.“

„Was? Mehr nicht? Wie ist es denn mit dem Rest der Saison? Du wirst doch sicher wieder fahren, oder?“ Vor ihrem inneren Auge erscheinen spritzender Champagner und die Kameras der Reporter, die auch auf sie gerichtet sind, die »schöne Freundin des erfolgreichen Rennfahrers«. Manchmal sieht sie sich schon als die oft fotografierte Begleiterin des angehenden Weltmeisters.

„Das kann ich nicht sagen. Im Moment ist das mehr als fraglich. Ich weiß nicht, ob ich je wieder fahren werde, oder kann.“

„Robin!“ Sie mustert ihn erschrocken. „Ich komme extra aus Hannover hierher und muss mir nun anhören, dass du nicht mehr fahren willst?“

Er zuckt mit den Schultern. „Was heißt »wollen«? Ich kann mir das doch nicht aussuchen. Im Moment können die Ärzte noch nichts Genaues sagen, aber stell‘ dich darauf ein, dass ich mich aus dem Rennsport zurückziehen muss. Es hätte mich auch schlimmer treffen können. Sei froh, dass ich noch lebe.“

„Ja, das bin ich auch. Natürlich. Wann wirst du denn entlassen?“

„Das kann noch ein bis zwei Wochen dauern. Ich soll dann eine Physiotherapie beginnen, um wieder laufen zu lernen.“

„Laufen? Du kannst nicht laufen?“

„Na ja, jedenfalls im Moment nicht. Mein rechtes Bein hat mehrere komplizierte Brüche, ich werde zunächst auf Gehhilfen angewiesen sein.“

„Gehhilfen? Du meinst Krücken?“ In ihrem Blick liegt so etwas wie Abscheu, als sie auf die Decke blickt, dort, wo sie sein Bein vermutet. „Ich - ich muss jetzt los, ich drücke dir die Daumen, werd’ möglichst bald gesund!“ Sie spitzt ihre roten Lippen, beugt sich zu einem flüchtigen Kuss hinunter. Dann rauscht sie aus dem Zimmer und lässt ihren Freund erschrocken und frustriert zurück.

Robin kann es kaum glauben. Während seiner erfolgreichen Zeit ist sie immer an seiner Seite gewesen, sie hat mit ihm und seinen Kollegen nach den Rennen die Nächte durchgefeiert. Aber jetzt, wo es schlecht für ihn aussieht, lässt sie ihn im Stich.

Er sollte mit seinen düsteren Vorahnungen recht behalten, Silvia Gerstenberg wird er nie mehr wiedersehen.

Die ersten Gehversuche gelingen besser als erwartet. Die Knochen sind verheilt, er lernt, zwei Krücken zu benutzen. Auch die wird er bald beiseitelegen können. Sein rechtes Bein, so sagen die Ärzte, wird ihn allerdings beim Gehen ständig behindern, er wird das Knie beugen können, wenn auch nur begrenzt. Um Rennen zu fahren, wird es nicht reichen. Vorerst muss er von seinen Rücklagen leben. Bis die aufgebraucht sind, wird es noch eine Weile dauern.

Ein halbes Jahr später, Robin ist seit ein paar Monaten wieder zu Hause. Er und Florian leben in der Wohnung der verstorbenen Eltern, die für die beiden eigentlich zu groß ist. Die Miete ist jedoch erschwinglich, deshalb haben sie die Wohnung behalten.

Es ist 17:00 Uhr, als jemand klingelt. Draußen steht ein junger Mann. Es ist einer aus der Clique, aus der Robin später als hoffnungsvolles Rennfahrertalent hervorgegangen ist.

„Mensch, Christoph! Alter Kumpel, komm rein!“ Robin schließt die Tür und geht, das rechte Bein nachziehend, voraus in die Stube. „Mensch, das ist gut, dich zu sehen!“

„Ich habe von Florian gehört, dass du einen schweren Unfall hattest, und dachte, ich sehe mal nach dir.“

„Das ist nett. „Möchtest du etwas trinken?“

„Hast du ein Bier?“

Robin holt für beide ein Bier aus der Kiste im Flur.

Sein Kumpel Christoph Böttcher mustert ihn aufmerksam. „Wie geht es dir? Du humpelst ein bisschen, oder?“

„Fein beobachtet“, er lacht gezwungen. „Die Brandwunden sind verheilt, auch die am Kopf. Dort wachsen die Haare aber nicht mehr richtig, ich habe mir die Längeren darüber gekämmt.“ Robin beugt sich nach vorne. „Siehst du? Etwa Handteller-groß.“

Christoph blickt hin und nickt. „Nicht schlimm, später wären dir an der Stelle die Haare sowieso ausgefallen.“ Er lacht. „Und das Bein?“

„Das war mehrfach gebrochen, besser als jetzt wird es wohl nicht mehr.“

Beide schweigen einen Moment.

„Was ist eigentlich mit deinem »Triumph«? Hast du den noch?“

„Natürlich! Ich hänge an dem Wagen, den gebe ich nicht her.“

„Wo steht er denn? Ich würde mich freuen, mit dir eine Runde damit drehen zu können.“

„Tja, ich bin seit dem Unfall nicht mehr damit gefahren. Vielleicht springt er nicht an - außerdem muss ich auf mein Bein Rücksicht nehmen.“ Sein Trauma, in einem Wagen eingeschlossen zu sein, hat sich gebessert.

Der Triumph ist ein Oldtimer, ein TR6, Baujahr 1973. Robin hat ihn gekauft, als Geld keine Rolle für ihn spielte. Jede freie Minute hat er daran poliert und geschraubt. Nun steht der schöne englische Roadster in einer Garage in der Nähe.

„Komm schon, lass uns probieren, ob er noch läuft. Vielleicht können wir eine kleine Runde drehen.“

„Ja! Das will ich auch wissen.“ Robin erhebt sich und holt den Schlüssel aus seinem Zimmer. Mit vorsichtigen Schritten steigt er im Treppenhaus ein Stockwerk hinab, gefolgt von seinem Freund.

„So richtig schnell bist du nicht mehr“, bemerkt er, während er Robins Hinken beobachtet.

„Danke, dass du mich daran erinnerst. Das wird wohl so bleiben, damit muss ich mich abfinden.“

„Entschuldige, ich wollte dich nicht ärgern.“

„Vergiss es.“

Die Garage befindet sich, neben etwa 20 anderen, auf dem Hof des Häuserblockes, der wie eine moderne Burg den stillen Innenhof umgibt. Robin geht etwas steifbeinig an den Garagen vorbei, bis er seine erreicht. Er schließt das Tor auf und schiebt es nach oben. Im Halbdunkel schimmert der dunkelgrüne Lack, eine dünne Staubschicht mindert den gewohnten Glanz. Robins Blick fällt auf das Kennzeichen, der Wagen ist tatsächlich noch zugelassen. Wie lange würde er sich den Unterhalt für das Schmuckstück noch leisten können? Er verdrängt den Gedanken, schiebt sich an dem Auto vorbei und steigt, das rechte Bein vorsichtig mit der Hand unterstützend, an der rechten Seite ein, denn der englische Sportwagen hat sein Lenkrad natürlich rechts. Er setzt sich auf das dunkelbraune Leder und steckt den Schlüssel in das Zündschloss. Ob er wohl anspringen wird? Zaghaft bewegt er den Schlüssel, der Starter dreht mit ein paar schwachen Umdrehungen, doch dann spuckt der Motor, läuft ein paar Sekunden unrund, um dann das gewohnt sanfte Brummen eines 6-Zylinders von sich zu geben.

Christoph springt aufgeregt auf dem Hof herum. „Er läuft! Er läuft! Klasse, jetzt geht es los!“

Robin stellt den Sitz ein Stück nach hinten, um etwas Platz für sein Bein zu schaffen. Dann fährt er langsam aus der Garage, er strahlt wie ein Honigkuchenpferd. „Steig ein, Chris, wir machen eine kleine Spritztour!“

Der lässt sich nicht lange bitten und steigt in den offenen Wagen. Es ist zwar noch kühl, jetzt im beginnenden Frühling, aber es ist Ehrensache, dass der Triumph mit offenem Dach gefahren wird.

Ein Blick auf die Benzinuhr - für etwa 100 Kilometer sollte es reichen. Er hat Probleme beim Gas geben, sein Knie schmerzt leicht beim Strecken des Beines.

Die Fahrt geht die Eiffe-Straße entlang, dann in den Heidenkampsweg, Richtung Autobahn. Chris legt seinen Arm auf die Tür, die Haare flattern im Wind. Für eine Unterhaltung ist es ohnehin zu laut, die Windgeräusche und vor allem der Lärm des Motors, verhindern selbst bei Stadtgeschwindigkeit jedes Gespräch.

Robin fährt routiniert, jeden Gangwechsel führt er sanft und unmerklich durch. Hinter der Elbbrücke beginnt die Autobahn, noch liegt die erlaubte Geschwindigkeit bei 110, er biegt in den Abzweig Richtung Lübeck ein. Jetzt gibt er Gas, um die 180 Grad-Kurve zu nehmen, die eigentlich auf 70 km/h limitiert ist. Der Zeiger steht fast auf 140, leise pfeifen die Reifen, die Insassen werden kräftig zur Außenseite der Kurve gedrängt. Christophs Gesicht hat ein bisschen an Farbe verloren, obwohl er weiß, dass nur wenige Fahrer ihren Wagen so gut unter Kontrolle haben, wie Robin.

Weiter geht es ein Stück die Autobahn entlang, am Anschluss Billstedt verlässt er sie und fährt auf der Bundesstraße zurück in Richtung Stadtmitte.

Als sie an einer Ampel warten müssen, und man wieder ein paar Worte wechseln kann, fragt Robin seinen Beifahrer: „Gibt es diesen Club in der Luisenstraße noch?“

„Du meinst diesen Puff mit dem Casino im Keller?“

„Puff? Was für ein böses Wort! Ja, genau den. Da haben wir doch früher oft rumgehangen.“ Robin biegt in südlicher Richtung ab und fährt über eine mit Kopfsteinen gepflasterte Straße durch ein Gewerbegebiet. Hart springt der Wagen über die runden Steine. Triste Flächen mit vielen abgestellten Autos und Fabrikhallen, mal ziemlich neu, dann wieder alt und schäbig, säumen ihren Weg. Wenige Minuten später halten die beiden Freunde vor einem dreistöckigen, Rot verklinkerten Gebäude. Ein Blick in den Himmel – nein, das Verdeck kann unten bleiben. Gut gelaunt steigt Robin mit Christoph die sieben Stufen zum Club hinauf, drückt die Tür aus weißem Kunststoff auf und betritt das Etablissement.

Leise Musik weht ihnen entgegen. Ob der Chef noch der von früher ist? Ob er sich an ihn erinnern kann? Robin blickt sich um. An der Bar sitzen zwei Pärchen, dort will man sich offenbar mit einem Kurzen in Stimmung bringen. Den stämmigen Mann dahinter, der gerade den blinkenden Zapfhahn bedient, erinnert er noch, der ist vor zwei Jahren auch schon hier gewesen. Der Barmann blickt auf, mustert ihn kurz, dann überzieht ein Lächeln sein Gesicht. „Hallo, Rennfahrer! Wie schön, dass du uns trotz deines Ruhmes nicht vergessen hast.“

Robin streckt seine Hand aus und drückt die Riesenpranke des Barkeepers. „Hallo, Omid, schön, dass du dich an mich erinnerst. Das mit dem Ruhm ist allerdings vorbei.“

„Mach keinen Quatsch!“

„1st kein Quatsch. Ich musste mich wegen eines schweren Unfalls vom Rennsport zurückziehen.“

Omid zögert. „Warte – da stand was in der Zeitung, aber ich wusste nicht, dass es um dich ging. Was soil’s, Hauptsache, du bist noch am Leben, oder?“

„Da sagst du was.“ Er zeigt auf seinen Freund. „Machst du für Chris und mich ein Bier fertig? Erzähl doch mal, wie läuft der Laden?“

„Naja, was soll ich sagen, der ehemalige Geschäftsführer sitzt im Knast. Es gibt einen Neuen, aber der ist im Moment nicht da. Sonst hat sich nicht groß was verändert. Den Spieltisch und das Billard im Souterrain gibt es noch. Jetzt ist der Billardtisch gerade frei, ich schlage vor, ihr spielt eine Runde. Kann ich euch noch etwas zu trinken bringen?“

„Danke, wir nehmen das Bier mit, sobald es leer ist, melden wir uns!“ Er grinst seinen Freund an. „Wie sieht es aus, kannst du noch Billard spielen?“

Chris lacht übermütig. „Du wirst dich wundern, ich bin in dem Lokal bei uns an der Ecke der Beste.“

„Na, das werden wir erst mal überprüfen, angeben kann jeder.“

Das Untergeschoss ist mit dunklen, dicken Teppichen ausgelegt, in denen jeder Schritt lautlos versinkt. Bis auf die hellen Lampen dicht über dem Billard- und dem Kartentisch herrscht intimes Halbdunkel. Am Kartentisch steht ein Croupier, drei gut gekleidete Herren und zwei eher spärlich bekleidete Frauen sitzen am Rand der mit grünem Samt ausgelegten Fläche.

Chris und Robin nehmen sich die Queues, Chris markiert sehr professionell die Spitze seines Queues mit Talkum. Sie vereinbaren, dass jeweils der Verlierer eine neue Runde spendieren muss.

„Was machen wir mit deinem Auto?“, fallt Chris ein, „wenn das mit den Getränken so weitergeht, wirst du nicht mehr fahren können“.

Robin winkt ab. „Wir sind ja fast zu Hause und haben nur ein paar hundert Meter zu fahren, wer soll uns da erwischen? Außerdem ist von hier bis nach Hause fast reines Gewerbegebiet, da sind wir nachher völlig alleine.“

Das Spiel beginnt. Chris hat, was seine Fähigkeiten angeht, deutlich übertrieben. Trotzdem ist er immer ein wenig besser als Robin.

Vom Kartentisch kommen Geräusche, Stühle werden gerückt, die Spieler sprechen miteinander. Bisher war von denen kaum etwas zu hören. Ein Paar verlässt den Raum. Einer der beiden verbliebenen Männer kommt zu Robin und Chris herüber. „Hätten Sie Lust, für die beiden einzuspringen, die uns eben verlassen haben?“

„Sie spielen Baccara?“

„Ja, mit einem Minimum-Einsatz von 100 Euro.“

Oha, das ist nicht gerade wenig. Robin sieht seinen Freund an. „Ist das okay für dich?“

„Wenn es bei dieser einen Runde bleibt, ja. Wenn ich gewinne, würde ich weiterspielen.“

Robin hat Übung in diesem Spiel. Tn Monte Carlo war er in mancher Nacht nach einem Rennen im Spielcasino versackt. Woher Chris‘ Kenntnisse in Baccara kommen, ist ihm unklar, er scheint dem Spiel nicht abgeneigt zu sein.

Es bleibt nicht bei der einen Runde. Er und Chris spielen in einem Team und haben zweimal gewonnen. Robin ist in euphorischer Stimmung - eigentlich sollte er wissen, dass man gerade Anfänger gewinnen lässt, um sie nicht sofort zu verprellen und in Spiellaune zu halten, aber er ist so im Spiel gefangen, dass er nicht darüber nachdenkt.

Die Nacht wird lang. Robin hat ein paar hundert Euro verloren, fast ebenso viel hat Chris in den Sand gesetzt. Immer wieder werden Drinks spendiert, die leichte Trunkenheit lässt sie immer leichtfertiger werden. Eine junge Frau verteilt ihre Liebkosungen großzügig, dafür wird sie immer wieder mit einem Drink belohnt.

Die Sonne erhebt sich bereits über den Horizont, als Chris und Robin mit unsicheren Schritten zu dem dunkelgrünen Wagen wanken. Robin muss aufpassen, dass er nicht stürzt, da er zusätzlich durch sein Bein behindert ist. Wenn sie wieder zu klarem Denken in der Lage sind, werden sie feststellen, dass sie zusammen mit über eintausend Euro in der Kreide stehen. Robin hat in seiner großzügigen Art Chris‘ Spielschulden mit übernommen. Wie es auf seinem Konto aussieht, will er lieber nicht wissen, diese Art Gedanken verdrängt er gerne. Die stolze Summe, die vor ein paar Monaten seine Auszüge zierte, dürfte inzwischen aufgezehrt sein.

Es bleibt nicht bei diesem einen Besuch mit Chris im Bordell am Hammer Deich. Das Spiel an jenem Abend hat Robin auf den Geschmack gebracht. Die Spielbank Seevetal, ehemals Hittfeld, ist schnell erreicht. Dort gibt es mehrere Roulette-Tische, an denen Robin so manchen Abend und so manche Nacht verbringt. Mitunter fährt er mit einem dicken Gewinn nach Hause, meistens verliert er.

Florian beobachtet die wieder erwachte Spielsucht seines Bruders mit großer Sorge. Robin versucht ihm möglichst selten zu begegnen, den vorwurfsvollen Blick des kleinen Bruders empfindet er als sein personifiziertes schlechtes Gewissen. Diese Spielleidenschaft und die Neigung, Schulden zu ignorieren, scheint das verhängnisvolle Erbe seines unbekannten Vaters zu sein. Die Tage verbringt er mit Schlafen und Dösen bis zum Abend. Wenn die Nacht erwacht, läuft er zur Hochform auf. Mitunter fährt er bereits angetrunken los und stürzt sich in die Glitzerwelt des Casinos.

Heute Nacht hat er am Spieltisch einen Gast an seiner Seite, der ihm schon zweimal einen Drink spendiert hat. Der Mann ist groß und massig. Irgendwie wirkt er beunruhigend auf ihn. Immer wieder bemerkt er irritiert dessen Blick.

„Was ist? Kann ich etwas für Sie tun?“, fragt er ihn genervt.

„Sind Sie nicht dieser Rennfahrer, Robin Denso?“

„Ja, früher mal, das ist vorbei.“

„Wissen Sie, wer Ihr Vater ist? Denso ist doch nicht Ihr Geburtsname.“

„Mein Vater?“ Robin sieht den Fremden überrascht an. Was weiß dieser fremde Kerl über seine Familienverhältnisse? „Was soll ‘s. Für mich ist Wolfgang Denso immer mein Vater gewesen. Was reden Sie denn da überhaupt? Warum interessieren Sie sich für meinen Vater?“ Robin wendet sich ab und setzt seine Jetons. Er schiebt sie nervös auf dem grünen Filz umher, bis der Ruf des Croupiers ,Rien ne vas plus!‘ ertönt. Der merkwürdige Zeitgenosse hat sich inzwischen von ihm abgewandt, er sitzt nun am Rande des Spielsaales an einem der vielen kleinen Tische.

Ein neuer verlustreicher Abend am Spieltisch beginnt. Robin hat den ehemaligen Nachbarn am Spieltisch inzwischen vergessen. Bedächtig setzt er seine Spielsteine auf das Tableau.

„Entschuldigen Sie, Herr Denso“, wird er von hinten angesprochen - es ist wieder der Mann, der über seinen Vater geredet hat.

„Was ist, verfolgen Sie mich etwa?“, fährt er ihn unwirsch an.

„Ja und nein. Wenn Sie einen Moment Zeit hätten - ich habe vielleicht ein interessantes Angebot für Sie. Ich warte da drüben auf Sie.“ Er zeigt auf einen der vielen Tische am Rand des Saales.

Robin wartet ab, bis die Kugel zur Ruhe gekommen ist und der Croupier ausruft: „21, impair, Rouge, Passe“. Mist, er hat auf Schwarz gesetzt und verloren – mal wieder. Er steht auf und geht zu dem Unbekannten hinüber. Sein Bein schmerzt.

Der Mann zeigt auf den freien Stuhl. „Setzen Sie sich. Kann ich etwas für Sie bestellen?“

„Danke, ich werde einen Moment pausieren.“ Er fühlt sich im Kopf nicht ganz klar und will sich diese merkwürdige Geschichte halbwegs nüchtern anhören.

„Ich heiße Olaf Kersten, ich bin ein Freund und Beauftragter von Friedrich Tewes.“

„Das sagt mir beides nichts. Sollte ich Sie oder diesen anderen Herrn kennen?“

„Ich habe gedacht, dass Sie wenigstens Herrn Tewes kennen, den Inhaber und Geschäftsführer vom Sportwagenzentrum Hohenfelde. Ich bin lediglich ein guter Bekannter von ihm.“

„Von dem Sportwagenzentrum habe ich schon mal gehört, es ist eines der größten deutschen Autohäuser für exklusive Fahrzeuge.“

„Genau das meine ich. Der Inhaber, Herr Tewes, hat Arbeit für Sie. Er hat von ihrem schrecklichen Unfall gehört und möchte Ihnen eine Tätigkeit anbieten, die Ihren Fähigkeiten entspricht.“

„Ich werde keine Rennen mehr fahren, das kann er sich abschminken.“

Kersten schüttelt den Kopf. „Das hat er bereits vermutet. Es handelt sich vielmehr um eine Art Fahrlehrerfunktion. So wie wir Sie einschätzen, schütteln Sie sich das aus dem Ärmel.“ Er greift in die Tasche seines Jacketts und entnimmt ihr eine kleine, silberfarbene Karte. „Rufen Sie ihn doch bei der nächsten Gelegenheit an, es soll ihr Schade nicht sein.“ Herr Kersten steht auf und verabschiedet sich. „Zögern Sie nicht zu lange, wer weiß, wie lange dieser Job noch zu haben sein wird.“

Robin sitzt noch eine Weile an dem kleinen Tisch und blickt versonnen auf die Visitenkarte. Auf der Vorderseite sind die Symbole von Porsche, Audi und Bugatti abgebildet, auf der Rückseite ist die Geschäftsadresse und die Telefonnummer eingeprägt. Vielleicht ist das ein Wink des Schicksals, dass er jetzt sein Leben ändern sollte. Vor ein paar Tagen hat sein kleiner Bruder mit ihm gescholten. Es muss ihm sehr schwergefallen sein, dem geliebten und vergötterten Bruder eine Standpauke zu halten. Und jetzt dieses seltsame Angebot! Er beschließt, sich gleich morgen dort zu melden.

Das Autohaus Tewes

Am Telefon meldet sich eine freundliche Stimme. „Sportwagenzentrum Hohenfelde, was können wir für Sie tun?“

„Mein Name ist Robin Denso, ich möchte Herrn Tewes sprechen.“

Eine kleine Pause, dann meldet sich die offenbar junge Frau wieder. „Wenn Sie einen Moment warten, ich verbinde Sie gleich.“

Es ertönt eine muntere Musik, Robins ungeübten Ohren kommt es wie ein Wiener Walzer vor.

„Tewes. Mit wem habe ich die Ehre?“

„Ich bin Robin Denso. Mir wurde zugetragen, dass Sie eventuell einen Job für mich haben. Stimmt das?“

„Oh, Sie sind es. Ich freue mich, dass ich Sie endlich gefunden habe - äh, sorry, ich freue mich, dass Sie sich so schnell melden. Wann können Sie kommen? Heute Vormittag passt es mir nicht, vielleicht irgendein Termin am Nachmittag?“

„Mir ist jeder Zeitpunkt recht, vielleicht gleich um 13:00 Uhr? Sagen Sie, können Sie bitte vorab andeuten, um was es geht?“

„Natürlich, ich habe nur gerade jetzt nicht viel Zeit. Nur so viel: Ich möchte Sie als Fahrlehrer für einen exklusiven Unterricht für begüterte Kunden gewinnen.“

„Ich habe aber keine Lizenz als Fahrlehrer.“

„Das macht nichts. Es ist auch kein Unterricht für einen Abschluss, es soll lediglich eine Einweisung in meine besonderen Fahrzeuge sein. Wir können nachher genauer darüber reden, ja?“

„Natürlich. Ist Ihnen dreizehn Uhr recht?“

„Ja, Herr Denso, ich freue mich auf Sie, bis nachher!“ Bevor er etwas erwidern kann, legt Tewes auf.

Robin denkt eine Weile über das Gespräch nach. Wieso läuft ihm plötzlich jemand hinterher, um ihm einen Job anzutragen? Sollte er seine Popularität unterschätzt haben? Nein - in bestimmten Kreisen ist er berühmt, aber das wird nicht mehr lange anhalten. Für einen abgehalfterten Rennfahrer interessiert sich keiner mehr. Warum hat sich dieser Tewes zu Beginn des Gespräches so merkwürdig versprochen? ,Sie endlich gefunden habe‘. Hat man ihn gesucht? Hat ihn dieser Kersten gesucht, anstatt ihm zufällig begegnet zu sein, wie er behauptet hat? Wie auch immer, dieses Angebot könnte eine Wende in seinem verkorksten Leben sein.

Robin fährt mit der Untergrundbahn zur Station »Lübecker Straße«. Von dort sind es nur wenige Schritte bis zu dem riesigen Autohaus. 50 Meter Durchmesser mag das runde, mit einer silbrig schimmernden Fassade verkleidete Gebäude haben. Beeindruckt betritt er das Autohaus und findet sich in einer großen Ausstellungshalle wieder. Protzige Wagen mit glänzendem Lack dokumentieren den Anspruch des Autohauses, die exklusivsten Fahrzeuge in Deutschland zu verkaufen. Am Ende der großen Halle steht eine Reihe von Schreibtischen, an denen vier blonde Frauen sitzen. Er wendet sich an die Erste.

„Guten Tag, ich bin mit Herrn Tewes verabredet, mein Name ist Robin Denso.“

„Oh, Herr Denso, Herr Tewes hat uns schon informiert. Wenn Sie mir bitte folgen würden.“ Das Lächeln, das sie ihm schenkt, wirkt professionell und schon etwas abgenutzt.

Er folgt der jungen Frau durch die riesige Halle. Ihre weiße Bluse und der schwarze Rock wirken wie eine Uniform, die Kolleginnen sind in gleicher Weise gekleidet. Sie betritt einen Raum, dessen Tür offen steht und zeigt hinein. „Bitte, wenn sie hier hereinkommen wollen?“

Gespannt tritt Robin in das Büro. Nun wird er endlich erfahren, was man von ihm will. Er bedenkt die junge Frau mit einem Lächeln, sie verschwindet mit leisem Klackern ihrer hochhackigen Schuhe.

Herr Tewes sitzt hinter seinem mächtigen Schreibtisch, wie die sprichwörtliche Spinne in ihrem Netz. Er ist groß, etwas füllig, die ehemals blonden Haare sind teilweise grau und schon lange nicht mehr vollständig. Er steht auf und reicht ihm die Hand. „Herr Denso, ich freue mich, Sie endlich kennenzulernen. Nehmen Sie doch Platz.“ Er nimmt das Telefon in die Hand. „Kann ich Ihnen etwas bringen lassen? Einen Kaffee vielleicht? Einen Snack?“

„Ein Kaffee wäre gut, danke.“ Robin setzt sich und blickt sich in dem großen Büro um. Es ist fast leer, eine Vitrine mit zahllosen Modellautos ist die auffälligste Ausstattung und zieht seinen Blick auf sich. Er sucht unter den vielen kleinen Autos nach einem Triumph, aber dort stehen ausschließlich Modelle der hier verkauften Marken.

„Ich habe eine Schwäche für diese kleinen Fahrzeuge, vielleicht handele ich deshalb mit Autos.“ Tewes lacht kurz. „Ich freue mich, den großen Rennfahrer endlich persönlich kennenzulernen. Ich habe von dem schrecklichen Unfall in Monza gehört und habe gelesen, dass Sie nun nicht mehr Rennen fahren wollen. Stimmt das?“

Robin nickt. „Von wollen kann keine Rede sein, aber ich werde tatsächlich nicht mehr fahren. Das hat physische und - ja, auch psychische Gründe. Zum einen habe ich ein lahmes Bein, zum anderen habe ich ein Trauma zurückbehalten.“

„Tut mir leid, das zu hören. Umso mehr wird es sie freuen, dass ich eine Aufgabe für Sie habe, die Sie ganz sicher bewältigen können und bei der ihre Fähigkeiten Ihnen zu Gute kommen.“

„Das klingt interessant, um was genau geht es?“

Eine junge Frau kommt mit einem Tablett herein, auf dem zwei Becher Cappuccino und eine Schale mit Gebäck stehen.

„Das ist nett, Sarah. Vielen Dank - wenn Sie bitte die Tür schließen würden?“ Tewes folgt der jungen Frau mit den Augen, räuspert sich und beginnt zu erklären. „Wissen Sie, wir verkaufen hier nur die exklusivsten Marken. Es beginnt mit Porsche, führt über Audi und Bugatti und hört bei Ferrari noch nicht auf. Meine Kunden können selbstverständlich alle fahren, sie haben natürlich auch alle einen Führerschein. Ich stelle mir vor, dass Sie eine spezielle Einführung in die einzelnen Modelle geben könnten. Wie ist zum Beispiel die genaue Bedienung der automatischen Getriebe, wie schaltet man auf die manuelle Variante um? Das steht zwar alles in der Bedienungsanleitung – aber wie viel besser könnte das ein Profi wie Sie vermitteln? Ich könnte mir auch ein Fahrtraining für einige Interessierte vorstellen. Wie bremst man bei Glatteis? Nicht jeder will das einer Automatik überlassen. Wie handhabt man eine starke Maschine beim Gas geben, ohne die Kontrolle zu verlieren? Nicht zuletzt wäre der berühmte Rennfahrer Robin Denso ein Aushängeschild für mein Autohaus. Ich könnte mir vorstellen, ein großes Plakat mit Ihrem Konterfei aufzuhängen. „Fahrtraining auf höchstem Niveau – der berühmte Rennfahrer Robin Denso bildet Sie aus!“ Er lehnt sich freundlich lächelnd zurück. „Wie gefällt Ihnen das?“

Robin ist verblüfft, das klingt gar nicht so schlecht. Scheint nicht zu viel Arbeit zu sein, es lässt ihm wahrscheinlich auch viel persönlichen Spielraum. „Was würde ich dabei verdienen?“ Er denkt kurz an sein überzogenes Konto.

„Tja, das ist schwer zu kalkulieren. Ich denke, wir fangen mit 30 Stunden in der Woche an, dafür erhalten sie 3000 Euro im Monat. Ich kann Ihnen natürlich nicht die Gagen bieten, die Sie von früher gewohnt sind“ - er lacht gekünstelt – „dafür biete ich Ihnen eine unfallfreie und sichere Beschäftigung.“ Nun lächelt er schelmisch.

„Sehr schön, besonders das ‚unfallfrei‘ gefällt mir. Wann kann ich anfangen?“

„Ich freue mich über Ihre Entscheidung! Sie können kommen, wann sie mögen. Wir müssen nur noch Ihr Büro herrichten.

„Gut, ist Anfang nächster Woche in Ordnung?“

***

Florian ist der Erste, der von seinem neuen Job erfahrt. Neugierig lauscht er der Erzählung seines Bruders. „Was musst du da machen?“

„Ich werde eine Art exklusiver Fahrlehrer für betuchte Kunden.“

„Das ist klasse, ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich darüber bin! Weißt du schon, was du verdienen wirst?“

„Ja, vorerst 3000 Euro im Monat bei einer 30-Stunden Woche.“

„Nicht schlecht, dann brauchen wir uns um die Miete keine Sorgen mehr zu machen.“

Florian hat recht. Völlig rücksichtslos hat Robin sein Erspartes verspielt, ohne auch nur einen Gedanken an solche Dinge wie Miete oder Unterhalt zu verschwenden. Als die Reserven aufgebraucht waren, hat er Schulden gemacht. Deshalb ist es quasi Rettung in letzter Minute. Der neue Job würde ihn aus dieser zwielichtigen Gesellschaft herausholen, seine Tage würden jetzt endlich wieder Struktur bekommen, einen geregelten Ablauf.

Am Montag, seinem ersten Arbeitstag, erweist sich sein neues Büro als groß und modern. Wandhohe Fenster lassen viel Licht herein. Das Inventar besteht aus einem Schreibtisch aus hellem Holz, einem Aktenschrank und einem Tisch mit vier Stühlen, passend zum Schreibtisch. Es gibt einen Bearner und eine Leinwand.

„Falls Sie ein Video zeigen möchten“, erklärt Herr Tewes, sichtlich stolz über die Einrichtung. „In den nächsten Tagen werden wir ein großes Plakat im Eingangsbereich aufhängen und mit unserer speziellen Fahrausbildung Reklame machen. Der Auftrag an den Grafiker und die Druckerei ist bereits erteilt.“ Er hebt die Hand und wendet sich zur Tür. „Ich werde wieder an meine Arbeit gehen. Ich überlasse Sie jetzt der netten Frau Pfeiffer, sie wird Ihnen alles zeigen und Sie bei Ihren Kollegen einführen. Auf gute Zusammenarbeit!“

Sarah Pfeiffer ist eine der vier jungen Frauen von der Anmeldung. Wie ihre Kolleginnen ist sie blond und hübsch. Das ist natürlich kein Zufall. Die meisten Kunden dieses Autohauses sind Männer und sollen durch die attraktiven Frauen zu einem längeren Aufenthalt und möglicherweise zu einem tieferen Griff in das Portemonnaie veranlasst werden.

„Kommen Sie, ich werde Ihnen Ihre Kollegen und Kolleginnen vorstellen.“ Sarah bewundert den großen, gut aussehenden Mann. „Ist es richtig, dass Sie ein berühmter Rennfahrer gewesen sind? Der Chef hat so etwas angedeutet.“

„Naja, berühmt. Ich habe vor drei Jahren das Rennen in Silverstone gewonnen. Sonst bin ich noch ein paar Mal auf den zweiten und dritten Plätzen gelandet; der Rest wird unter ferner liefen abgelegt. Jetzt ist es mit dem Fahren ohnehin vorbei, ich erlitt einen schweren Unfall und kann es nicht mehr ertragen, in einem Rennwagen zu sitzen.“

Sie nickt betrübt. „Hat ihr Humpeln auch damit zu tun?“

„Ja, da ist die Folge des Unfalles.“ Oha, ist das so deutlich zu erkennen? Er sollte besser auf sein Gangbild achten. Er möchte nicht, dass man das Hinken sieht; er kann selbst nicht sagen, warum. Eitelkeit?

Sie geht voraus und führt ihn durch alle Abteilungen: Verwaltung, Verkauf, Disposition, Service, bis zur Werkstatt. Etwa 50 Mitarbeiter sind hier angestellt. Viele von ihnen sind rennsportbegeistert und sprechen ihn auf seine Rennfahrerlaufbahn an.

„Nein, ich habe mich aus gesundheitlichen Gründen davon zurückgezogen“, muss er immer wieder erklären und erntet oftmals einen wehmütigen Blick.

„Schade für Sie und gut für uns“, hört er gelegentlich.

Der erste Tag vergeht im Wesentlichen mit dem Kennenlernen der Räumlichkeiten und der Kollegen. Die nette Frau Pfeiffer zeigt ihm alles, was er wissen muss: die Teeküche, die Toiletten, Waschräume, Speiseraum und die Personalabteilung. Auch die Arbeitszeiten der einzelnen Abteilungen lernt er kennen. Am Ende des Tages sitzt er in seinem Büro, hat die Beine ausgestreckt und atmet durch. Das rechte Knie schmerzt wegen der vielen Lauferei. Bisher wirken alle Kollegen sehr freundlich - nun ist er gespannt auf seinen ersten Kunden.