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Der angehende Lokomotivführer Klaus Wulff verliebt sich in die hübsche Helferin des Apothekers in Freiburg. Doch seine Freundin weckt auch das Interesse des Bürgermeistersohnes. Er hat mehr Geld und die besseren Verbindungen und kann sich so gegen den Lokführer behaupten. Ein Streit zwischen beiden macht die Runde. Eines Tages wird der Kontrahent tot aufgefunden, der junge Lokführer wird verdächtigt, den Sohn des Bürgermeisters erschlagen zu haben und landet im Gefängnis. Die Polizei konzentriert sich auf das Naheliegende. Kann jetzt noch jemand helfen?
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Seitenzahl: 167
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Feuriger Elias ist eine alte umgangssprachliche Bezeichnung für Dampflokomotiven, beziehungsweise für die Eisenbahnstrecke, auf der sie verkehrten und findet sich zumeist bei kleineren Nebenbahnen (Wikipedia).
Der feurige Elias ist ein Begriff aus der Bibel. Der Name rührt daher, dass der biblische Prophet Elias nach 2 Könige 2,1–18 EU in einem von feurigen Rossen gezogenen feurigen Wagen „gen Himmel“ entrückt wurde.
Anmerkung
Klaus und Gertrud
Walter und Paula
Walter und Gertrud
Lina Gerstkamp
Die jungen Detektive
Braune Zeichen
Der Jagdunfall
Im Gefängnis
Nachwort
Zum Autor
Es ist Februar, 4 Uhr morgens und noch finstere Nacht. Eine einzelne Karbidlampe sendet ein blasses Licht in die Dunkelheit. Ein paar Schneeflocken fallen torkelnd durch den Schein. Der Lokschuppen und die Werkstätten bilden einen großen, dunklen Komplex, der sich kaum vom schwarzen Himmel abhebt. Es weht ein kalter Wind, der auf den Wangen brennt und die Wärme erbarmungslos aus dem Körper zieht.
Die schwarze Dampflokomotive ist kaum zu erkennen, leise zischt es aus einer undichten Stopfbuchse, roter Schein dringt aus der nicht ganz geschlossenen Feuerbüchse.
Der Heizer steht mit einer kleinen Kassette vor der Esse in der Werkstatt und füllt mit einer Zange glühende Kohlen hinein. Er ist groß und kräftig, die kurzgeschnittenen blonden Haare werden von einer schwarzen Kappe verdeckt. Er füllt eine zweite, dann bringt er die beiden Behälter zu den Personenwagen, die an die Lok angekoppelt sind. Er schiebt sie in die dafür vorgesehen Öffnungen unten in der Außenseite. So beheizen sie den Boden der Wagen, die Passagiere werden sich freuen. Er hat mehrere Male zu laufen, zu jedem Personenwagen der zweiten Klasse gehören sechs Kohlekästen, vier zu den Wagen der dritten Klasse.
Schritte sind zu hören, leise quietscht der Schnee bei jedem Tritt. Es ist Georg Koch, der Lokführer. Er ist etwas kleiner als sein stämmiger Heizer, er hat schwarze Haare und einen ebensolchen Schnurrbart. In seiner schwarzen Dienstkleidung ist er in der Dunkelheit fast unsichtbar. „Guten Morgen, Klaus, schon fleißig?“ In seiner Stimme schwingt ein freundlicher, wohlwollender Ton mit.
„Guten Morgen, Georg. Ja, unsere Passagiere sollen es gut haben. Es sind über zwei Stunden bis Stade, da würden sie ohne unsere Kohleheizung ganz schön frieren.“
„Schön, dass du dich darum kümmerst. Ich werde mal anregen, dass der Nachtheizer das erledigt, du hast vor der Fahrt schon genug andere Dinge zu tun. Apropos: Hast du schon Kohle in der Lok nachgelegt?“
„Natürlich, der Druck beträgt jetzt 10 Atmosphären. Bis wir abfahren, wird er noch bis 12 steigen.“
„Sehr gut!“ Lokführer Koch freut sich über seinen tüchtigen und klugen Heizer. Er fährt gerne mit ihm zusammen und gibt ihm Ratschläge, weil Klaus – wie er weiß – sich bald für die Lokführerprüfung anmelden wird. Falls er die Prüfung besteht, wird er mit einem anderen Heizer fahren müssen. Aber der Lokführer wird Klaus keine Knüppel zwischen die Beine werfen, der junge Mann hat jede Unterstützung verdient.
Die Kohlekassetten sind eingesetzt, die Petroleumlampen in den Personenwagen sind angezündet, nun wird Georg mit seiner Kastenlok den Zug in Richtung Bahnhof ziehen. Klaus hat das Feuer kontrolliert, ein Blick geht zum Druckmesser, dann zum Wasserstandsanzeiger. Diese Kontrollen gehören bei ihm - genauso wie dem Lokführer – zur alltäglichen Routine, sie sind für die Lokomotive lebenswichtig. Die Werte befinden genau dort, wo sie sein sollen – alles ist in Ordnung.
Georg stellt den Steuerungshebel auf langsame Rückwärtsfahrt, dann öffnet er mit Fingerspitzengefühl den Dampfregler. Langsam setzt sich die sechs Meter lange Hohenzollernlok in Bewegung und schiebt den Zug, der aus drei Personenwagen und einem Gepäckanhänger besteht, vor den Freiburger Bahnhof.
Klaus beobachtet genau, wie er das macht. Er beherrscht ebenfalls jeden Handgriff an der Lokomotive. Aber Praxis ist nicht alles, für die Lokführerprüfung muss er noch viel Theorie büffeln. Signalstellungen, Handzeichen, das ganze Regelwerk. Da ist noch viel zu lernen.
Vor dem Bahnhof Freiburg haben sich die Fahrgäste in Richtung Stade versammelt, Abfahrt ist um 5:50, also in einer Viertelstunde. Die Passagiere bestehen zu zwei Dritteln aus den Schülern des Gymnasiums Atheneum in Stade. Außerdem sind einige Frauen mit Körben dort, sie wollen in Stade einkaufen und ebenso einige Herren, adrett mit Hut und Aktentasche. Sie stehen beisammen und unterhalten sich leise.
Die Fahrgäste haben sich an der Schmalseite des Bahnhofes aufgestellt, es ist dort windgeschützt. „Wo bleibt eigentlich Kuddel?“, fragt einer der Herren. „Der öffnet doch sonst immer den Warteraum. Gerade heute, bei dieser Eiseskälte würde ich mich lieber drinnen aufhalten, anstatt mir hier den A... abzufrieren.“
Gemurmel kommt als Antwort. „Da hast du recht, ich fühle meine Fingerspitzen schon nicht mehr“, antwortet Friedrich Hadeler, ein Angestellter der Regierung in Stade.
Von irgendwoher kommt ein Schneeball geflogen und trifft einen der Jungen an der Schulter. Der Getroffene lässt seinen Ranzen fallen und bückt sich. „Peter!“, ruft er, „du Flegel! Das werde ich dir heimzahlen!“ Weitere Jungen neben ihm bücken sich, um rasch Schneebälle herzustellen. Eine muntere Schneeballschlacht entsteht. Dass die Folge später nasse Handschuhe sein werden, stört die Jungen im Moment nicht.
Ein Mann taucht aus der Dunkelheit auf. Er geht eilig auf die Eingangstür des Bahnhofes zu und öffnet sie.
„Da bist du ja endlich, Kurt. Hast du verpennt?“, fragt einer der Herren mit Spott in der Stimme. Seine Kollegen lachen leise.
„Tut mir leid, mein Wecker ist stehengeblieben“, antwortet der Betroffene.
„Du musst den Wecker ab und zu aufziehen, Kurt!“
Zu mehr als Gelächter und ein paar dummen Sprüchen kommt es nicht. Der Zug taucht aus der Dunkelheit auf, er fährt mit der unbeleuchteten Rückseite auf die Passagiere zu, sodass er erst spät bemerkt wird.
Ein kurzer Pfiff von der Lokomotive informiert den Bremser, der sich in einem kleinen Anhängsel des Gepäckwagens befindet, dass er jetzt die Bremse anziehen muss. Er steht von seinem hölzernen Sitz auf und reibt sich die kalten Hände. Dann dreht er das Rad, mit dem die Bremsklötze an die Bremstrommeln gepresst werden. Quietschend kommt der Zug zum Stillstand.
Die Kinder klettern die Stufen der Personenwagen mit viel Lärm hinauf. Es ist nicht ganz einfach, der Ranzen auf dem Rücken behindert das Einsteigen. Einige nehmen den Tornister vorher ab, stellen ihn in den Wagen und steigen dann ein.
Drinnen ist es kalt, von der Heizung unter dem Fußboden ist noch nicht viel zu bemerken. Der Atem der Passagiere gefriert auf den Scheiben zu glitzernden Eisblumen. Die Petroleumlampen geben ein schwaches Licht, es reicht gerade, um sich zurechtzufinden.
Johann Holthusen ist heute Morgen der Schaffner. Genau um 5:50 gibt er ein Pfeifsignal, um dem Lokführer anzuzeigen, dass der Zug abfahrbereit ist.
Georg hat die Steuerung bereits auf Vorwärtsfahrt gestellt, jetzt öffnet er gefühlvoll den Dampfregler. Unter lautem Zischen setzt sich der Zug in Bewegung. Allmählich wird er schneller, der Bahnhof Freiburg liegt jetzt hinter ihm. Die nächste Station ist »Landesbrück-Oederquart«, sie ist 2,2 Kilometer entfernt. Die Landschaft liegt in völliger Dunkelheit, Schnee bedeckt die Wiesen und Felder. Im Bahnhofsgebäude Landesbrück-Oederquart gibt es ein Gasthaus der Familie Vollmers – wie bei vielen Bahnhöfen an der Strecke. Auch hier warten ein paar Gäste auf den Zug.
Um 7:40 wird die Endstation in Stade erreicht. Die Schulkinder springen aus dem Zug, sie haben noch ein Stück Fußweg bis zum Atheneum in der Harsefelder Straße vor sich. Unter ihnen ist Otto Suhr, ein schmächtiger Junge von 14 Jahren. Er trägt eine Brille, was ihm immer wieder den Spott seiner Kameraden einbringt. Er mag sich kaum damit abfinden, eine zusätzliche Erschwernis ist, dass er als Klassenbester ohnehin spöttische Bemerkungen auf sich zieht. Er seufzt, rückt sich den Ranzen zurecht und trottet einer Gruppe Schüler hinterher.
Klaus Wulff und Georg Koch haben es sich in der Bahnhofswirtschaft bequem gemacht und ihre Brote herausgeholt. Außer ihnen sind noch zwei weitere Herren hier. Sie tragen einen Anzug, es scheinen leitende Angestellte zu sein. Der Warteraum ist klein, eine kleine Theke grenzt ihn zu der Getränke- und Essensausgabe ab.
Die Lok steht hinter dem Bahnhofsgebäude, Wasser und Kohle müssen noch nicht ergänzt werden, bis zur Abfahrt um 8:10 zurück nach Freiburg und weiter nach Itzwörden haben Lokführer und Heizer noch etwas Zeit. So Essen sie in Ruhe und haben etwas Muße zum Klönen.
„Hast du die neue Helferin in der Adler-Apotheke schon gesehen?“, fragt der Lokführer seinen Heizer. „Das dürfte doch genau deine Kragenweite sein.“
Klaus lächelt. „Du meinst die Apotheke in Freiburg? Nein, da war ich lange nicht mehr. Ist sie hübsch?“
„Das kannst du laut sagen, bildhübsch.“
„Vielleicht sollte ich mal unter einem Vorwand hin.“ Er lächelt und stopft die Papiertüte in seine Tasche. „Zeit, aufzubrechen, obwohl ich lieber noch ein wenig ausruhen und mit dir schnacken würde.“
Georg nimmt sein Teeglas und stellt es auf die Theke.
Der Wirt nickt und bedankt sich.
Dessen Blick fällt auf die zwei Herren, die in Krawatte und Anzug neben den schwarz gekleideten Bahnbediensteten deplatziert wirken. „Was hast du denn für Gäste, Johannes? Die habe ich hier noch nie gesehen.“
Der Gastwirt beugt sich vor und flüstert: „Die sind von der Omnibusgesellschaft Peill, die wollen sich wohl mit dem Vorstand von der Kreisbahn in Freiburg treffen.“
„Omnibus? Mist, das hört sich nach einer dunklen Zukunft für uns an. Aber vorerst fahren wir wieder zurück nach Freiburg. Mach’s gut, Johannes, bis bald.“
Klaus erhebt sich ebenfalls und folgt seinem Kollegen hinaus zu den Gleisen. „Meinst du, der Bahnbetrieb wird eingestellt, wenn hier Busse fahren? Wieso soll ich dann noch meinen Lokführer machen?“
Georg winkt ab. „So schnell schießen die Preußen nicht. Wenn überhaupt, dann dauert das noch eine Weile. Außerdem kannst du überall als Lokführer fahren. Fachleute werden immer gebraucht.“
Klaus ist nicht beruhigt. „Wenn du meinst,“ sagt er tonlos.
Im Osten erscheint ein grauer Schimmer, in einer halben Stunde wird die Sonne aufgehen. Durch die Stadt Stade geht es mit Schrittgeschwindigkeit zurück. An allen Kreuzungen steht ein Angestellter der Bahn, der die Menschen und Fahrzeuge mit einer roten Fahne vor der Bahn warnt. So zum Beispiel an der Station Salztor, hier kreuzen die Gleise die Straße »Beim Salztor«. Weiter geht es am Hafen entlang, über eine Drehbrücke überqueren sie die Schwinge, die nächste Station ist eine Behelfsstation, »Kehdinger Tor«. Ein Unterstand befindet sich gegenüber der Zufahrt zu der Ziegelei Münster. Bis Bützfleth halten sie an zwei weiteren Behelfsstationen: Hörne-Brunshausen und Götzdorf.
Bützfleth hat eine enge und kurvenreiche Ortsdurchfahrt, so dass der Zug auf einem extra angelegten Bahndamm die Kurven umgeht. An jeder Station gibt es Betrieb, Fahrgäste besteigen oder verlassen den Zug. Ein Schaffner kontrolliert die Fahrkarten, es ist wieder Johann Holthusen. Er ist ständig zu Späßen aufgelegt und scherzt mit seinen Fahrgästen. Der Zug transportiert auch Post, an jedem Ort werden Briefe und Pakete übergeben. Gepäckstücke werden übernommen, der Zug ist ein wichtiger Versorger der verkehrsarmen Region zwischen Oste und Elbe.
In Freiburg steigen die beiden Vertreter der Omnibusgesellschaft Peill aus. Heinrich Peill und sein Betriebsleiter Friedrich Schild brauchen nicht weit zu gehen, die Besprechung findet im ersten Stock des Bahnhofsgebäudes statt. Zwei Vertreter der Kehdinger Kreisbahn erwarten sie bereits.
„Treten Sie ein, meine Herren“, fordert sie Doktor von Buchka auf. „Kann ich Ihnen etwas zu Gute kommen lassen? Einen Kaffee vielleicht?“
Herr Doktor Karl von Buchka ist der Vorsitzende der Kommission der Kehdinger Kreisbahn und außerdem Landrat des Kreises Kehdingen. Sein Begleiter Ludwig Gerdts bekleidet das Amt des Bürgermeisters in Freiburg und ist Mitglied der Kreisbahn Kommission.
„Danke, das wäre sehr nett.“ Er blickt seinen Mitarbeiter an. „Kaffee?“
Herr Schild nickt. „Ja, gern, da sag ich nicht nein.“
Landrat von Buchka kommt ohne Umschweife zur Sache: „Vielen Dank, meine Herren, dass Sie die Mühe auf sich genommen haben, meinem Wunsch nach einem Treffen zu folgen.“ Er räuspert sich „Ich muss Ihnen kaum sagen, dass wir in schweren Zeiten leben. Die Wirtschaftskrise seit dem Zusammenbruch des Aktienmarktes im Oktober vorigen Jahres hat uns den stärksten Niedergang der deutschen Wirtschaft beschert, an den ich mich erinnern kann.“
Die Anwesenden nicken zu seinen Worten.
„Auch die Kreisbahn ist davon nicht verschont worden. Nicht nur, dass uns zum wiederholten Male der Wunsch nach Beihilfen seitens der Landesregierung abschlägig beschieden wurde, haben wir im aufkommenden Kraftfahrzeugverkehr eine ständig stärker werdende Konkurrenz erhalten. Wenn es in dem Maße anhält, mache ich mir Sorgen um den Bestand unserer Bahn.“
„Was können wir tun?“, fragt Heinrich Peill.
„Darauf komme ich gleich. Ich fürchte, wir müssen Teile des Personentransportes in andere Hände legen und unsere Aufgaben in dem Bereich reduzieren. Sind Sie in der Lage, den Transport von Personen im Bereich zwischen Itzwörden und Stade in einem stärkeren Maße als bisher zu übernehmen?“
Peill sieht seinen Betriebsleiter an. „Wir haben unser Unternehmen vor zwei Jahren gegründet und sind jetzt im Besitz von drei Bussen. Wenn wir mehr Personen transportieren sollen als bisher, werden wir nicht umhin kommen, unseren Bestand zu erweitern. Sie verstehen sicher, dass das nicht von heute auf morgen zu machen ist. Auch uns macht die Wirtschaftskrise zu schaffen.“
„Werden wir von Ihnen, im gleichen Maße wie bisher, Beförderungsentgelte erhalten?“, möchte Betriebsleiter Schild wissen.
Jetzt meldet sich Doktor von Buchka zu Wort. „Im Moment können wir keine Zusage abgeben. Unsere Mittel sind begrenzt, wie Sie sich denken können. Wir müssen sehr sorgfältig kalkulieren, auch müssen wir mit der Provinz Hannover über eine weitere Förderung verhandeln. Obwohl ich mir da nicht viel Hoffnung mache.“ Er sieht den Landrat an. „Haben Sie inzwischen Nachricht aus Hannover erhalten?“
Doktor von Buchka schüttelt den Kopf. „Leider nicht. Ich fürchte, wir müssen in den sauren Apfel beißen und uns mit den geringen Mitteln, die uns bis jetzt zur Verfügung stehen, begnügen.“ Er wendet sich an seine beiden Besucher aus Stade. „Wir werden beide aufeinander zuarbeiten müssen. Sie prüfen bitte eine Aufstockung Ihres Fuhrparkes, wir werden auf eine Stilllegung des Personentransortes Einarbeiten. Wir werden Sie sofort informieren, sobald wir Nachrichten aus Hannover erhalten – obwohl ich nicht damit rechne, die Zeiten sind zu schwierig.“ Er erhebt sich, tritt an das Fenster und blickt nach draußen auf die Gleise. „Der nächste Zug nach Stade geht in einer guten Stunde. Was halten Sie davon, wenn wir Sie in unsere Bahnhofsgaststätte einladen? Bis nach Stade wird es zwei Stunden dauern, das dürfte zum Mittagessen dann zu spät sein. Es gibt eine einfache Küche, auf jeden Fall besser, als zu hungern.“
Die beiden Gäste aus Stade stimmen zu. Gemeinsam suchen sie das Wartezimmer der zweiten Klasse auf. Der Bürgermeister von Freiburg kennt den Wirt persönlich, so bestellt er, nach Rücksprache mit den Gästen aus Stade, was auf der Karte steht. Es gibt strammen Max und Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat.
„Wir haben seit vergangenem Herbst eine Drehscheibe im Einsatz“, berichtet der Vorsitzende der Kreisbahn-Kommission, Doktor von Buchka.
„Warum haben Sie den Aufwand einer Drehscheibe auf sich genommen?“, möchte der Betriebsleiter der Omnibusgesellschaft wissen. „Obwohl die Zukunft so ungewiss ist?“
„Wir haben den Gedanken an eine Modernisierung unseres Fuhrparks nicht ganz aufgegeben und werden in Kürze drei Dampflokomotiven von der Herforder Kreisbahn übernehmen. Diese Loks können nur in Vorwärtsrichtung betrieben werden, deshalb mussten wir Möglichkeiten ersinnen, sie zu drehen. Folglich haben wir hier in Freiburg eine Drehscheibe und in Stade ein Gleisdreieck geschaffen.“
Rechtzeitig zur Abfahrt des Zuges um 12:50 sind die Herren am Bahnsteig. „Vielen Dank für die freundliche Aufnahme und die Bewirtung“, bedankt sich Heinrich Peill bei den Mitgliedern der Kreisbahn.
„Keine Ursache. Ein Bahnhofrestaurant ist etwas, das es bei Ihnen nie geben wird“, erwidert der Landrat mit einem Schmunzeln.
Der Zug ist eben aus Itzwörden eingetroffen und steht nun leise zischend am Bahnsteig. Die Herren verabschieden sich voneinander, dann steigen die beiden Gäste aus Stade ein.
Doktor von Buchka sieht dem davonfahrenden Zug nachdenklich hinterher. „Als die Bahn vor vierzig Jahren in Betrieb genommen wurde, hat niemand geahnt, dass wir einmal mit einem Kraftfahrzeugverkehr würden konkurrieren müssen. Ich hoffe, dass wir mit dem Transport von Gütern noch eine Weile wettbewerbsfähig bleiben können. Für den Personenverkehr sehe ich schwarz, mit schienenunabhängigen Omnibussen werden wir in absehbarer Zeit nicht mehr konkurrieren können.“
***
Die Hauptstraße in Freiburg ist mit Kopfsteinen gepflastert, wie die meisten Straßen im Ort, einige wenige sind ungepflastert, die Räder der Fuhrwerke haben tiefe, dunkle Spuren in den Schnee gegraben. Die Apotheke des Ortes hat eine kleine Front zur Straße hin, eine Tür mit einer Glasscheibe und ein Schaufenster. Reklame von Beiersdorf-Pflaster und ein paar braune Flaschen mit bunten Pulvern ziehen gelegentlich die Blicke einiger weniger Fußgänger auf sich.
Es ist März, auf den Bürgersteigen liegen noch Reste von Schnee, die Felder und Gärten bedeckt eine geschlossene weiße Schicht.
Fräulein Willmers, mögen Sie mal kommen?“ Die Stimme des Apothekers schallt durch die Räume.
„Jaa-a!“ Gertrud Willmers wiegt gerade Pülverchen in Tüten ab, eine Aufgabe, die sehr viel Sorgfalt und eine ruhige Hand erfordert. Bis zum Ausgleich der ungedämpften Waage muss sie eine Weile warten, sodass sich das Wiegen in die Länge zieht. Sie füllt das Pulver in die Tüte und legt sie in die Schachtel zu den anderen. Sie streicht sich eine vorwitzige Locke der braunen Haarpracht aus der Stirn und steht auf.
„Was gibt es denn, Herr Gärtner?“
„Haben Sie gelernt, wie man Pillen dreht? Ich muss einige anfertigen, das ist eine gute Gelegenheit für Sie, sich das anzusehen.“
„Ich habe das während meiner Lehre in Drochtersen schon üben können. Aber vielleicht kann ich von Ihnen noch etwas lernen.“
„Das ist schön, dann können Sie mir sicher gelegentlich etwas abnehmen.“ Apotheker Gärtner lächelt und mustert unauffällig seine neue Helferin. Seit Anfang des Jahres ist sie bei ihm, es war eine gute Entscheidung, sie einzustellen. Sie ist hübsch, das mag ihm manchen zusätzlichen Kunden bescheren. Üppig wallende, braune Haare umrahmen ein Gesicht wie das einer Prinzessin.
Er räuspert sich, um seine abschweifenden Gedanken wieder auf Kurs zu bringen. „Ich färbe die Pillen ein, je nach Verwendungszweck. Rot sind die gegen Schmerzen, die blauen erleichtern das Einschlafen und die gelben sind für Harnwegserkrankungen. “
Gertrud Willmers sieht ihm genau auf die Finger, der alte Herr ist sehr geschickt. Rasch rollt er die weiche Masse zu langen Rollen, die dann auf dem Pillenbrett auf einer Unterlage mit vielen Stegen in kurze Abschnitte unterteilt werden. Mit einem Holzbrettchen werden die Zylinder zu Kugeln geformt.
„Sehen Sie, ganz einfach!“ Er lächelnd seine aufmerksame Helferin an. „Jetzt versuchen Sie das mal!“
Tatsächlich hat Gertrud viel Übung im Pillen drehen, sie wollte den Apotheker nur nicht kränken. Geschickt rollt sie einen dünnen Strang, den sie rasch in kleine Stückchen teilt und im Nu viele neue Pillen entstehen lässt.
„Meine Hochachtung! Ich habe gedacht, ich kann ihnen etwas beibringen – es scheint genau anders herum zu sein!“
Sie freut sich über sein Lob, es zaubert ein Lächeln auf ihr Antlitz. „Vielen Dank! Ich freue mich, dass Sie mir so bereitwillig Unterricht geben.“
„Das ist ganz eigennützig. Umso mehr Arbeit können Sie mir abnehmen und mich auf die Weise entlasten.“
Die Türglocke läutet – Klingeling!
„Gehen Sie mal nachsehen, ich räume nur auf und komme dann nach vorne.“
Gertrud Willmers streicht sich über ihre Haare und eilt in den Verkaufsraum.
Vor dem Tresen steht ein junger Mann in schwarzer Kleidung, die mit den silbernen Knöpfen und der schwarzen Mütze einer Uniform nicht unähnlich ist. Er mustert sie überrascht mit seinen blauen Augen.
„Wie kann ich ihnen helfen?“, fragt sie ihn.
„Ich, äh, ich habe hier eine Brandwunde.“ Er streift seinen rechten Ärmel etwas nach oben und zeigt mit einem Finger auf eine etwa handtellergroße, rote Stelle am Handgelenk, die in der Mitte von einer etwa Groschen-großen Blase gekrönt wird.
„Oh, Sie Armer! Das ist sicher sehr schmerzhaft!“ Ein Mitgefühl überschwemmt sie, sie ist versucht, die Hand zu halten und auf die rote Stelle zu pusten. Sie räuspert sich etwas verlegen. „Wir haben Salbe für Brandwunden, ich werde meinen Chef rufen, der kann Ihnen etwas passendes empfehlen.“
Jetzt lächelt der junge Mann. „Können Sie das nicht erledigen? Ich fühle mich bei Ihnen in guten Händen.“
Gertrud Willmers wird fast etwas rot. Der junge Mann gefällt ihr, jetzt zeigt er ein lausbubenhaftes Grinsen. Er ist groß und hat breite Schultern. Auf seinem attraktiven Gesicht befindet sich ein schwarzer Ruß-Fleck. „Ich könnte das, ich darf jedoch nicht verkaufen, ich bin nur die Helferin.“
„Schade. Dann rufen Sie bitte Ihren Chef – wenn es nicht anders geht.“