Sommer der Diebe - Peter Eckmann - E-Book

Sommer der Diebe E-Book

Peter Eckmann

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Beschreibung

Heranwachsende in Stade spielen Mitte der 80er Jahre Detektiv, aus dem Spiel wird unerwartet Ernst. Das Mädchen ist die Tochter von Kriminalkommissar Werner Hansen, sie und zwei Jungen aus der Nachbarschaft spielen Ermittler und beobachten Merkwürdigkeiten in der Umgebung, unversehens werden sie Zeugen eines Banküberfalles. Eine spannende Suche nach den Tätern beginnt für die Hobby-Detektive. Die Täterjagd wird für die 13-jährigen Heranwachsenden plötzlich gefährlich, aus dem Spiel wird bitterer Ernst. Der Roman spielt in Stade und Umgebung und in der Festung Grauerort.

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Zu diesem Buch:

Heranwachsende in Stade spielen Mitte der 80er Jahre Detektiv, aus dem Spiel wird unerwartet Ernst.

Das Mädchen ist die Tochter von Kriminalkommissar Werner Hansen, sie und zwei Jungen aus der Nachbarschaft spielen Ermittler und beobachten Merkwürdigkeiten in der Umgebung, unversehens werden sie Zeugen eines Banküberfalles. Eine spannende Suche nach den Tätern beginnt für die Hobby-Detektive.

Die Täterjagd wird für die 13-jährigen Heranwachsenden plötzlich gefährlich, aus dem Spiel wird bitterer Ernst.

Der Roman spielt in Stade und Umgebung und in der Festung Grauerort.

Ich bedanke mich bei meiner Frau, die mein größter Fan und gleichzeitig meine strengste Kritikerin ist, für ihre unermessliche Arbeit am Manuskript und den vielen hilfreichen Diskussionen.

PETER ECKMANN, geboren 1947, lebt im Niederelbe-Dreieck in der Nähe von Cuxhaven.

Ingenieur der Verfahrenstechnik, schreibt unter dem Pseudonym Allan Greyfox Wildwest- und Detektivromane.

Dieses Buch ist der fünfte Kriminalroman, der in der Heimat des Autors spielt. Heranwachsende in Stade spielen Mitte der 80er Jahre Detektiv, aus dem Spiel wird unverhofft Ernst.

Inhaltsverzeichnis

Die Personen

Die Sommerferien

Der erste Auftrag

Der Banküberfall

Der Zirkus kommt

Eine Spur der Bankräuber

Die Verfolgung der Diebe

Die alte Festung

Eingesperrt

Die Personen

Christine Hansen

13 Jahre, Tochter von Kommissar Werner Hansen und dessen Frau Gabriele

Thomas Marek

13 Jahre, die Mutter arbeitet hinter dem Schalter der Post, der Vater arbeitet bei der Regierung,

Michael Heinze

13 Jahre, groß und kräftig, lebt in einfachen Verhältnissen

Christian Hansen

16 Jahre, Sohn von Werner und Gabriele Hansen, Bruder von Christine Hansen,

Werner Hansen

Kriminalkommissar in Stade

Gabriele Hansen

dessen Frau

Die Jungen von der Festung:

Hans-Hermann Butt, Martin Sommer, Sven Plüger,Daniel Schlichtmann

Die Sommerferien

Juli 1985 Zwei Jungen stehen an dem kleinen Fluss hinter dem Haus in der Jahnstraße. Gerade eben ist ein Zug auf der Brücke über die Schwinge hinweg gepoltert, nun herrscht wieder Ruhe.

Sie blicken nachdenklich in das langsam vorbeiziehende Wasser. Der größere von beiden hält eine Zwille in der Hand und versucht, vorbeischwimmende Blätter mit einem kleinen Stein zu treffen.

„Du wirst immer besser mit deinem Katapult," lobt der dunkelhaarige seinen Freund.

„Es geht so", wiegelt der Angesprochene ab. „Es hängt viel von der Gleichmäßigkeit der Steine ab. Besser wären Kugeln oder Murmeln."

„Warum nimmst Du dann keine?"

Der Blonde schüttelt den Kopf mit dem wirren Haar. „Dann würden überall Murmeln von mir herumliegen, außerdem kosten die Geld. Steine findet man überall."

„Okay, das sehe ich ein."

Michael, der Junge mit der Zwille, überlegt einen Moment. „Du, Thomas, was machen wir in den Ferien?"

Der denkt schon eine Weile darüber nach. Es muss etwas Besonderes sein, etwas, zu dem man während der Schule keine Zeit hat. Er hat auch schon eine Idee, aber vielleicht gefällt sie Michael nicht. Zu Weihnachten hat er von seinem Vater ein Buch geschenkt bekommen, »Das Jahrhundert der Detektive«, von Jürgen Thorwald. Seitdem lässt ihn der Gedanke, auch Detektiv oder vielleicht Kriminalkommissar zu werden, nicht los. Von seinem Taschengeld hat er sich vor einem Monat einen Detektivroman gekauft, den »Tiefen Schlaf«, von Raymond Chandler. Er schließt die Augen und denkt darüber nach. Ja, das wäre was, knifflige Kriminalfälle zu lösen und Abenteuer zu erleben. Aber irgendwie passt nicht in das friedliche Stade. Ja, wenn er in Los Angeles wohnen würde, oder in den Häuserschluchten von Manhattan, das wäre ganz etwas anderes, dort sind Verbrechen an der Tagesordnung. Thomas seufzt, er lebt nun einmal hier und muss das Beste daraus machen. Er lehnt sich an die alte Weide und sieht seinen Freund an. „Was hältst davon, wenn wir einen Kriminalfall lösen würden? So mit beobachten, Spuren verfolgen und so?"

„Was?" Michael sieht Thomas skeptisch an. „Wo willst Du den Kriminalfall denn hernehmen?"

Sein Freund hat das Problem auf den Punkt gebracht. Doch so schnell gibt er nicht auf. „Wir könnten Christine fragen, deren Papa ist doch Kriminalkommissar. Vielleicht können wir irgendwo mithelfen?"

„Na, ich weiß nicht. Wenn wir da ankommen, werden wir bestimmt gleich wieder weggeschickt. Es heißt dann, es sei zu gefährlich und sowieso nur für Erwachsene."

Ein langer Seufzer löst sich aus Thomas' Brust. „Ich fürchte, da hast Du recht. Wir müssen selbst einen Fall herausfinden."

„Ach Du! Jetzt lass uns was machen. Wir könnten mit dem Ruderboot auf der Schwinge herum schippern."

„Ja! Wer zuerst am Steg ist!"

Die beiden Jungen laufen unter Gelächter zu dem kurzen Bootssteg, den Thomas' Vater schon vor vielen Jahren in den kleinen Fluss gebaut hat. Das Ruderboot dümpelt im Wasser, es ist mit einem kurzen Seil am Steg angebunden. Es ist lange nicht benutzt worden, nun steht Wasser darin, bestimmt zwei handbreit hoch.

„Wir müssen das Boot ösen", bemerkt Thomas sachkundig.

„Was müssen wir?", fragt Michael.

„Wir müssen das Wasser herausschöpfen, da muss irgendwo unter der Bank eine Dose an einem Seil angebunden sein." Schnell findet er das sogenannte »Ösfass«, es ist eine Konservendose ohne Deckel, mit einer etwa einen Meter langen Schnur am Boot angebunden. Thomas springt barfuß ins Wasser und beginnt zu schöpfen. „Du kannst schon mal die Riemen holen, die sind im Schuppen", ruft er seinem Freund zu.

Eine Viertelstunde später ist das Boot fast trocken. Thomas beginnt zu rudern, Michael sitzt vorne im Boot und gibt die Richtung vor, da Thomas mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzt. Die Strömung in dem kleinen Fluss ist schwach, Thomas rudert leicht dagegen an.

„Huhu! Thomas! Michael!" Die helle Stimme eines Mädchens schallt über den kleinen Fluss.

Thomas hält mit Rudern inne, er und sein Steuermann sehen sich um. Auf dem kleinen Sandweg, der an der Schwinge entlangführt, steht ein blondes Mädchen und winkt.

„Christine!", rufen sie beide gleichzeitig. Sie ist ihre gemeinsame Freundin, sie wohnt in der Nähe, nur um eine Ecke herum, in der Horststraße. Zu Michaels Ärger, der auch ein Auge auf sie geworfen hat, geht sie mit Thomas in die gleiche Klasse. Das ist aber nicht so schlimm, eines Tages wird sie seine Qualitäten ganz sicher erkennen.

Thomas rudert zum Ufer hinüber, springt auf die niedrige Böschung und bindet das Boot an einem Strauch fest. Michael folgt ihm zu dem jungen Mädchen.

„Wie kommst Du denn hierher?", will Michael wissen.

Christine lacht, ihre blauen Augen blitzen vor Freude, ihre langen, blonden Haare sind zu einem dicken Zopf geflochten und reichen bis zum Gürtel ihrer Jeans hinunter. Vor einem Monat ist sie dreizehn geworden und ist damit die jüngste der drei, denn Michael und Thomas haben ihren dreizehnten Geburtstag schon vor über einem halben Jahr gefeiert.

Sie ist bestimmt das schönste Mädchen auf der Welt, denken die beiden Jungen, die sich beide ganz fest vorgenommen haben, Christine eines Tages zum Altar zu führen. Bis das passieren kann, dauert es noch einige Zeit und sie wird sich bis dahin ganz sicher für einen von ihnen entscheiden.

„Ich bin mit dem Fahrrad hier, ich war bei einer Freundin am Hohenwedel und wollte jetzt nach Hause."

„Bleib doch noch ein bisschen", fordert sie Michael auf.

„Klar, was macht ihr denn?"

„Wir schippern nur ein bisschen mit dem Boot herum", sagt Thomas. „Jetzt, wo Du da bist, könnten wir alle in die Stadt rudern und uns ein Eis kaufen."

„Wir müssen aber auslosen, wer neben Christine sitzen darf und wer rudern muss", wirft Michael ein.

„Wir werden alle fünf Minuten wechseln, das ist sonst unfair", schlägt Thomas vor.

Mit Hilfe von zwei verschieden langen Hölzchen wird ermittelt, wer zuerst rudert. Michael beginnt, Thomas darf zuerst neben Christine sitzen. Das kleine Boot schaukelt heftig, als sie einsteigt.

An dem kleinen Kiosk, der direkt am Wasser liegt, kaufen sie sich alle drei je eine Waffel mit zwei Kugeln Eis. Beide wollten Christine dazu einladen, doch das Mädchen wehrt lachend ab. „Was soll das? Wir haben alle wenig Taschengeld, warum wollt ihr mein Eis bezahlen?"

Michael nickt, er hat wahrscheinlich noch weniger als Christine und Thomas. Sein Vater und er leben allein, da seine Mutter vor fünf Jahren die Familie verlassen hat. Der Vater ist Nachtwächter im Atomkraftwerk in Bassenfleth, das Geld reicht vorn und hinten nicht. Michael hat schon oft darüber gegrübelt, warum das so ist. Seinen Vater zu fragen, traut er sich nicht, weil der bestimmt wütend werden würde. Außerdem ist der entweder bei der Arbeit, oder er schläft am Tag wegen seines Schichtdienstes. Mit dem Vater zu sprechen, ist daher gar nicht möglich, selbst wenn es Michael wollte. Freunde kann er nicht mit nach Hause bringen, da es dort leise sein muss, damit sein Vater nicht aufwacht. Christine und Thomas haben das akzeptiert, ohne Fragen zu stellen.

Nach dem Eis essen steigen sie wieder ins Boot und rudern gegen den Strom, das Wasser läuft zwar langsam, es ist jedoch anstrengender als flussabwärts. Außerdem machen die beiden Jungen viel Quatsch, sodass das Boot mal links und mal rechts am Ufer landet. Mit viel Gelächter wird es dann wieder zurück in den Fluss geschoben. Es erweist sich dabei als zweckmäßig, dass sie beide barfuß sind und eine kurze Hose tragen.

„Wenn ich wegen euch ins Wasser falle, könnt ihr was erleben!", droht Christine.

Nach der lustigen Fahrt erreichen sie den Anlegesteg von Thomas' Eltern. Er springt zuerst auf den Steg, befestigt das Boot und hilft Christine an Land.

Sie steht auf dem Rasen und sieht den beiden Jungen zu. Die Sonne spielt in ihrem Haar und zaubert goldene Lichter hervor, süß sieht sie aus in ihrer dunkelblauen Jeans und dem weißen T-Shirt.

Michael sieht sie an und grinst. „Wir werden jetzt um Christine kämpfen, ich weiß auch schon wie."

Christine verdreht die Augen. „Macht jetzt keinen Quatsch, ich mag euch beide, ganz egal, wer gewinnt", versucht sie, den Wettkampf zu verhindern.

Aber Michael hat so etwas Ernstes ohnehin nicht im Sinn, das Werben um ihre gemeinsame Freundin spielt eigentlich keine Rolle, schon deshalb, weil beide Jungs wissen, dass sie sich Christines Unwillen zuziehen, wenn sie die Sache mit, „Wer bekommt Christine", übertreiben. „Wir stellen uns beide ins Boot und versuchen, den anderen ins Wasser zu stoßen. Wer zuerst in der Schwinge liegt, muss bei Christine zurückstehen."

„Das ist unfair, Du bist der Stärkere", gibt sie gegenüber Michael zu bedenken.

„Das ist nicht so wichtig, es kommt auf Geschicklichkeit an", erwidert Thomas, ihm gefallen der Plan und der Gedanke, seinem Freund zu einem Bad zu verhelfen.

So wird es gemacht, das Boot wird wieder gelöst und so am Steg angebunden, dass es etwa einen Meter entfernt in der Strömung treibt. Die beiden Freunde fühlen sich beide schon als Sieger, sie pendeln hin und her und versuchen immer wieder, dem anderen einen Stoß zu verpassen. Der Kampf ist ausgeglichen, Michael hat zwar breitere Schultern und ist kräftiger als sein Freund, dafür ist dieser flinker. Hin und her geht das Gerangel, mal strauchelt Thomas, dann wieder scheint er als Sieger hervorzugehen. Da tritt er auf die Dose, die vor einer Stunde zum Leerschöpfen des Bootes gedient hat, er stolpert, fällt nach hinten und kippt über die Bordwand. Instinktiv versucht Michael ihn festzuhalten, doch es ist zu spät. Durch eigene Dusseligkeit liegt Thomas jetzt im Wasser, es ist nur wenig mehr als knietief, aber er ist nass von oben bis unten.

„Das zählt nicht. Ich hätte mich ohnehin nicht nach dem Ergebnis gerichtet, ich bin schließlich kein Preis, den man gewinnt", bemerkt Christine. Darum ging es den Jungs nicht, es war ein Gerangel unter Freunden. Unter Lachen reicht Michael Thomas die Hand und hilft ihm aus dem Wasser heraus. „Wir holen das nach, damit der Wettkampf eindeutig entschieden wird, vorerst ist es unentschieden."

„Vor allen Dingen habe ich mich nicht entschieden", setzt Christine hinzu. „Lasst diesen Blödsinn, das kann mich sowieso nicht beeindrucken. Ich suche mir meinen späteren Mann bestimmt nicht danach aus, wie lange er in einem schwankenden Ruderboot stehen kann, ihr Clowns!"

Triefnass eilt Thomas ins Haus, um sich trockene Kleidung anzuziehen. Nur wenige Minuten später kommt er wieder heraus, schier und trocken, nur die Haare sind noch nass. Er setzt sich zu den beiden an den grün gestrichenen Holztisch in den Garten.

„Du darfst dein Fahrrad nicht vergessen", erinnert Michael Christine. Es steht noch auf der anderen Seite der Schwinge, es gibt hier jedoch Wege und eine Brücke, sodass es einfach zu holen ist.

„Wir haben heute erst den dritten Tag der Sommerferien, was machen wir mit dem Rest der Zeit?", beginnt Thomas wieder mit dem Thema, das ihn beschäftigt.

„Du denkst an Detektiv spielen, oder?", wirft Michael ein.

„Detektiv spielen?", fragt Christine. „Wie Räuber und Gendarm? Sind wir aus dem Alter nicht langsam raus?"

Thomas prustet: „Ach Quatsch! Nein, richtiges detektivisches Arbeiten, mit richtigen Fällen, weißt Du."

„Ach so! Ja, dazu hätte ich auch Lust, allerdings......"

„Ich weiß, was Du sagen willst", erwidert Michael. „Das Problem ist, dass wir erst mal von Verbrechen erfahren müssen. Die Gauner inserieren ja nicht in der Zeitung, wenn sie was vorhaben. Vielleicht haben die auch Ferien." Er grinst. „Wir müssen warten, bis etwas passiert."

Thomas sieht nachdenklich in die Ferne. „Vielleicht gibt es einen ungelösten Fall, bei dem wir unsere Hilfe anbieten könnten."

„Du meinst wohl, die haben gerade auf uns gewartet? Wenn wir drei bei der Polizei rein spazieren, schickt man uns sofort wieder weg", bemerkt Michael deprimiert. „Oder was meinst Du, Christine? Sollten wir deinen Vater mal fragen, ob es für uns etwas zu tun gibt?"

Ihre Freundin kraust die Stirn. „Er würde uns bestimmt gerne helfen, ich denke aber, dass wir zu jung sind, und dass er nicht will, dass ich mich in Gefahr begebe. Außerdem dürfen die Beamten bestimmt keine Informationen an Privatpersonen weitergeben."

„Eben, das sag ich ja. Wir müssen selbst etwas finden. Vielleicht finden wir einen Gauner, bevor er sein Verbrechen begeht", ereifert sich Thomas.

„Wie hast Du dir das denn gedacht? Das scheint mir ja nun völlig unmöglich", sagt Michael resigniert.

Doch Thomas lässt sich nicht so schnell entmutigen. „Was ist zum Beispiel mit unserem Nachbarn auf der anderen Straßenseite?"

„Du meinst den Senftleben?", fragt Christine.

„Ja, genau, der. Womit verdient der sein Geld? Einen dicken amerikanischen Straßenkreuzer fährt der, außerdem kommt er immer spät nach Hause, manchmal erst in der Nacht." Thomas zermartert sich das Gehirn, ihm fallen sicher gleich noch mehr Argumente ein.

„Der hat so 'n Auto, wie ein Zuhälter", ergänzt Michael. Dann leuchten seine Augen. „Den hab' ich schon mal mit zwei stark geschminkten Frauen mit ganz hohen Schuhen zusammen gesehen, vielleicht stimmt das sogar, das mit dem Zuhälter."

„Seht ihr", sagt Thomas, jetzt wieder zufrieden. „Man muss sich nur seine Umgebung genau ansehen, man findet immer irgendetwas. Es muss ja nicht gleich Mord sein, ein geklautes Fahrrad ist doch auch schon was."

„Was wollen wir denn jetzt mit dem Senftleben machen?", möchte Christine wissen. Sie stellt sich schon vor, wie bei dem Herrn die Handschellen klicken.

„Ich werde mir ab morgen den Kilometerzähler seines Autos ansehen, dann wissen wir schon mal, wie weit er so fährt." In Thomas' Kopf arbeiten die kleinen grauen Zellen, um bei dem Beispiel von Agatha Christie zu bleiben. Mit einer Pfeife in der Hand könnte er sicher noch viel weitergehende Schlüsse ziehen, vorerst muss eine imaginäre genügen. Später, wenn er dann richtiger Detektiv ist, wird er sich eine ganze Sammlung von Pfeifen leisten können. Für jeden neuen Fall wird er sich eine andere stopfen.

Thomas' Mutter kommt aus dem Haus auf die drei zu.

„Was? So spät ist es schon?", ruft er erschrocken aus. Seine Mutter arbeitet bei der Post im Zentrum, es ist fast 19 Uhr.

„Bleiben deine Freunde zum Abendessen?", fragt sie.

Die drei blicken sich an, Christine schüttelt den Kopf. „Meine Mutter kommt bald nach Hause, wir essen dann alle zusammen."

„Und Du, Michael? Ist dein Vater zu Hause?"

Der schüttelt den Kopf. „Nein, mein Vater hat diese Tage Spätschicht, den sehe ich frühestens am späten Abend." Wenn überhaupt, denkt Michael, meist kommt er grußlos ins Haus und sieht entweder fern, oder er geht ins Bett. Ein Gespräch mit seinem Sohn ist das Letzte, was er dann im Kopf hat.

„Dann bleib doch bei uns, auf einen Esser mehr am Abendbrottisch kommt es nicht an."

Dankend nimmt Michael das Angebot an. So bekommt er nicht nur ein reichhaltiges Abendbrot, sondern kann sich außerdem noch eine Weile mit seinem besten Freund unterhalten. Christine verabschiedet sich, sie muss noch ihr Fahrrad holen. Die beiden Jungen blicken ihr nach, bis sie auf der anderen Seite der Brücke verschwunden ist. Nur einen Moment später kommt sie zurück, sie sitzt auf dem Rad, winkt kurz mit einer Hand und fährt laut klingelnd auf dem Weg an ihnen vorbei. Die Speichen blinken im Abendlicht, ihr Zopf schwingt hinterher, als sie in Richtung Horstsee verschwindet.

„Christine ist schon etwas Besonderes", sagt Thomas mit einem Seufzer.

„Ja, das stimmt. Wir können uns freuen, dass sie uns zwei Esel als Freunde ausgesucht hat", fügt Michael hinzu.

„Das mit dem Esel trifft nur für dich zu. Ich weiß schon, warum sie mich auserwählt hat", antwortet Thomas mit einem Lachen.

„Wie ein Esel so den anderen kennt!", neckt Michael und sie eilen lachend ins Haus. Plötzlich fällt Michael siedend heiß ein, dass sein Bruder Andreas längst zu Hause ist, er war den Nachmittag über bei einem Klassenkameraden gewesen. „Ob ich mal telefonieren darf?", fragt er seinen Freund.

„Klar, was ist denn los?"

„Ach, Andreas, der weiß ja gar nicht, wo ich bin. Er kann ganz gut alleine zu Hause bleiben, aber es ist besser, wenn ich mich zwischendurch mal melde."

„Kein Problem, das Telefon steht auf dem Schränkchen im Flur."

Michael wählt und hört das Freizeichen. „Andreas Heinze?" Die Stimme seines Bruders ist kaum zu hören.

„Andy? Ich bin's Michael! Alles klar bei dir?"

„Michael! Wo bist Du denn? Es ist schon ganz spät und ich weiß nicht, wie die Matheaufgaben gehen!", beschwert sich Andreas mit weinerlicher Stimme. „Ich hab' mich mit Uwe gestritten und bin schon um halb vier nach Hause gefahren, aber Du warst nicht da." Er schnieft.

„Da war ich schon wieder weg. Mensch, Kleiner! Ich kann doch nicht immer zu Hause sein und dir die Hand halten! Ich komm in einer Stunde nach Hause, ja? Dann gucken wir uns noch mal deine Matheaufgaben an, okay?"

„Ist gut", schnieft der Bruder und legt auf.

Thomas hat das Meiste des Telefongesprächs mitbekommen. „Alles klar, Michi?" Er nennt Michael gerne so, obwohl der die Kurzform seines Namens hasst.

Doch heute geht er nicht darauf ein. „Ach, der Kleine", sagt er düster. „Ich muss praktisch immer ein Auge auf ihn haben, mein Vater fühlt sich nicht zuständig. Und wenn etwas mit Andreas passiert, er sich verletzt oder sonst was, kriege ich garantiert Ärger."

Thomas zögert. „Kann ich dir irgendwie helfen?"

Michael braust auf: „Wobei denn? Willst Du auf den Zwerg aufpassen und seine Matheaufgaben nachsehen?"

„Na ja, besser als Du, oder?"

Michael wirft ihm einen wütenden Blick zu. „Sehr witzig, wirklich. Ich weiß, dass ich nicht der Mathekönig bin, nicht nötig, mir das unter die Nase zu reiben."

„Ach komm schon, Michi. War doch nur 'n Witz. Was ich sagen wollte, ist, dass Du auf mich zählen kannst. Wenn Du von deinem Alten irgendwelche Jobs aufs Auge gedrückt kriegst, kann ich dir doch helfen!"

„Wirklich?"

„Nee, das sag ich nur so. Natürlich »wirklich«, was denkst Du denn? Komm, lass uns was essen, damit dein Brüderchen nicht so lange allein ist."

Thomas' Vater ist inzwischen von der Arbeit heimgekommen. Er ist Amtmann bei der Landesregierung und arbeitet in dem großen Gebäude am Bahnhof. „Hallo, mein Junge!", er umarmt Thomas, Michael bekommt einen Händedruck von ihm. „Na, ihr Schlawiner? Was habt ihr denn heute angestellt?"

„Wir sind mit dem Boot zum Eis essen nach Stade gerudert", antwortet Michael.

„Das hat bei dem schönen Wetter sicher Spaß gemacht. War Christine dabei? Ihr drei seid doch unzertrennlich."

„Ja, sie kam zufällig mit dem Fahrrad vorbei."

„Dachte ich 's doch. Es ist schön, dass ihr euch so gut versteht."

Nach dem Abendessen verabschiedet sich Michael, Thomas begleitet ihn zur Straße. „In den nächsten Tagen werden wir uns meinen Nachbarn mit dem Amischlitten mal vornehmen," sagt er, „Vielleicht hat er ein Geheimnis zu verbergen."

„Ja, gut. Ich werde mich mal in meiner Nachbarschaft umsehen, vielleicht haben wir Verbrecher in der allernächsten Umgebung, wer weiß das schon. Vielleicht klaut jemand eine fremde Zeitung, oder die Milch, die beim Nachbarn auf der Schwelle steht, oder -" Michael hat offenbar Freude an der Idee gefunden, jemandem eine strafbare Handlung nachzuweisen. Zuerst muss er sich allerdings um seinen Bruder kümmern. Sein Weg nach Hause ist nicht lang, er wohnt in der Teichstraße an der Ecke zur Feldstraße.

Thomas steht auf dem Bürgersteig und blickt Michael hinterher. In diesem Moment kommt Herr Senftleben nach Hause. Dumpf grollend rollt das große Auto vor die Garage. Thomas steht scheinbar gleichmütig vor der Haustür seiner Eltern und visiert möglichst unauffällig zu dem Nachbarn hinüber. Der schaltet den Motor ab, steigt aus und geht ins Haus. Thomas wartet eine kleine Weile und geht dann unauffällig über die Straße. Er benimmt sich so, als wolle er sich aus reiner Neugier das Auto ansehen. Es ist glänzend schwarz lackiert, goldene Zierlinien sind an jeder Kante zu finden, auf der Motorhaube prangt riesengroß das Firebird-Logo – ein stilisierter goldener Adler: der Feuervogel. Thomas beugt sich zur linken Seitenscheibe und sieht in das Innere des Wagens. Sein Interesse gilt dem Kilometerzähler, er merkt sich die fünfstellige Zahl und geht leise pfeifend zurück nach Hause.

Drei Tage später treffen sich die drei wieder. Sie stehen im Haus von Thomas Eltern am Küchenfenster, und blicken auf die Jahnstraße hinaus. Das auffällige Auto des Herrn Senftleben steht noch an seinem Platz. Entsprechend Thomas' Beobachtungen sollte der Wagen innerhalb der nächsten halben Stunde den Platz vor der Garage verlassen.

„Werden wir es schaffen, ihn mit unseren Fahrrädern zu verfolgen?", sorgt sich Christine.

Thomas gibt sich selbstbewusst. „Solange er in der Stadt bleibt, dürfte es nicht schwierig sein. Außerhalb des Ortes ist nichts zu machen, wir können dann nur sehen, in welche Richtung er verschwindet. Aber", er hebt einen Finger, „er fährt nicht so weit. In den letzten beiden Tagen hat er lediglich acht Kilometer zurückgelegt. Rechnet man hin- und zurück, beträgt eine Tour nur zwei Kilometer. Nun lasst uns hier nicht versauern, wir werden uns mit unseren Fahrrädern am Ende der Jahnstraße auf die Lauer legen, dort fährt er immer vorbei, dann können wir ihn verfolgen."

Aufgeregt gehen die drei Freunde auf die Straße, sie steigen auf ihre Fahrräder und radeln bis zur Ecke. Thomas stellt sein Fahrrad ab und blickt immer wieder die Jahnstraße hinunter. Die beiden anderen warten etwas abseits, damit sie nicht auffallen.

„Er kommt!" Thomas springt auf sein Fahrrad und rollt an den Rand des Bürgersteiges. Einen Moment später rollt leise brummelnd der auffällige schwarze Wagen vorbei, die drei treten in die Pedale und folgen ihm in etwa dreißig Schritt Abstand. In den verwinkelten Straßen ist es kein Problem, dem Auto zu folgen, die drei halten Distanz zu dem Wagen. Schließlich steht das Auto an der Ampel vor der Brücke über die Bahn. Das Lichtzeichen springt auf Grün, der Firebird fährt an und folgt der Harburger Straße. Mit etwa fünfzig Sachen fährt der Straßenkreuzer die gerade Straße entlang und entfernt sich von den dreien auf ihren Rädern. Selbst Michael, der Sportlichste unter ihnen, kann dem Wagen nicht mehr folgen. Doch dann hält das Auto am Abzweig zur Sachsenstraße an einer roten Ampel. Keuchend erreichen unsere Radfahrer die Kreuzung, bei spätgelb überqueren sie die Kreuzung, der schwarze Wagen ist kaum noch zu sehen.

Einen halben Kilometer weiter gibt Thomas das Zeichen zum Halten. „Das hat keinen Sinn, er hat heute offenbar ein anderes Ziel, wir müssen die Verfolgung auf später verschieben."

„Ja, das finde ich auch," keucht Michael, „nach meinem Kilometerzähler hat er schon über zwei Kilometer zurückgelegt, der will heute woanders hin."

Christine schnauft noch von dem raschen Treten, sie ist etwas enttäuscht. „Das ist schade, dass es heute nicht klappt."

Michael klopft ihr auf die Schulter. „Macht nichts, das holen wir morgen nach." Dann sieht er seine Freunde an. „Was haltet ihr vom Baden? Wir könnten zum Freibad nach Campe fahren."

„Ja, das wär' gut nach dieser Strampelei, ich muss mir nur mein Badezeug holen", sagt Christine.

„Das ist keine Sache, das müssen wir auch", wirft Thomas ein.

Eine halbe Stunde später sind die drei im Freibad im alten Stader Stadtteil Campe. In früheren Jahren war Campe ein Dorf, das von der sich vergrößernden Stadt Stade einverleibt wurde. Bis zum Jahr 1965 stand die Stader Saline in der Nähe des heutigen Freibades. Darüber denken die drei nicht nach, übermütig spielen sie im Wasser und sonnen sich auf der großen Liegewiese. Michael kann es sich nicht verkneifen, Christine durch einen Sprung vom Zehnmeterturm zu beeindrucken.

„Angeber!", ist der einzige Kommentar von Thomas. Mitunter beneidet er Michael um seinen Mut und dessen sportliche Fähigkeiten. Ihm liegt das nicht, er arbeitet lieber mit dem Kopf. So auch jetzt, heute Abend wird er sich wieder den Kilometerzähler in dem dicken Auto von dem Senftleben ansehen. Wo der wohl hingefahren ist?

Gegen Mittag fahren die drei nach Hause, Thomas ist gespannt, ob der Nachbar von seinem Ausflug zurück ist, aber von Senftlebens Pontiac ist weit und breit nichts zu sehen. Erst spät am Abend, es ist schon nach zehn, hört Thomas von seinem kleinen Zimmer im Dachboden das typische Grollen der 6-Liter Maschine. Er schleicht mit einer Taschenlampe aus dem Haus und zu dem Nachbarn hinüber. Um diese Uhrzeit bei dem Wagen erwischt zu werden, würde ihn sicher in Erklärungsnot bringen, so prägt er sich die Kilometerzahl ein und kehrt rasch in sein Zimmer zurück. Aus der Schublade am Tisch holt er sich einen Notizblock. »Observierung Senftleben, Stade« steht in großen Druckbuchstaben als Titel darauf. Bisher gibt es nur eine sehr kurze Liste mit Kilometerangaben, die Daten von heute Abend fügt er hinzu und rechnet die Differenz aus. Aha, über 140 Kilometer ist Senftleben heute gefahren. So was ist mit Fahrrädern natürlich nicht zu schaffen. Thomas seufzt, wenn sie nur schon älter wären!

Übermorgen wollen sie einen neuen Versuch starten. Morgen hat Christine keine Zeit, ihre Mutter will mit ihr zu Mohr nach Dollern zum Einkaufen. Sie sei aus allen ihren Hosen herausgewachsen, hatte Christine erzählt.

Die drei Freunde stehen wieder hinter der Gardine in der Küche. Harmlos steht das schwarze Auto in der Auffahrt auf der anderen Straßenseite und glänzt in der Sonne.