Schneewittchen - Peter Eckmann - E-Book

Schneewittchen E-Book

Peter Eckmann

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Beschreibung

Ein junges Mädchen wird als Haushaltshilfe in einer Wohngemeinschaft aus sieben Männern zwangsverpflichtet. Die werden zunehmend zudringlich, schließlich stirbt einer von ihnen, es folgen weitere in den Tod. War es das "Schneewittchen"? Die Polizei untersucht die Todesfälle, sie erfährt eine Mauer des Schweigens. Ein Kriminalbeamter wird undercover eingesetzt, kann er das Schweigen brechen? Er erfährt vom Schneewittchen die wahren, erschreckenden Hintergründe. Der Roman spielt 2018 in Hechthausen und Umgebung.

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Inhalt

Schneewittchen

Prolog

Das Waisenkind

Die Gefangenschaft

...

da waren es nur noch sechs

Trauerfall bei den Hansens

...

da waren es nur noch fünf

Die Hamburger Mordkommission

...

da waren es nur noch vier

Der neue Kommissar

Krautsand an der Elbe

Das Gesellenstück

Der vergiftete Apfel

Die Flucht

Das Verhör

Die Erpressung

Wenn sie nicht gestorben sind.

Weitere Bücher des Autors

Schneewittchen

Schneewittchen ist eines der bekanntesten Märchen aus der Sammlung der Gebrüder Grimm. Für diejenigen, die es nicht kennen, oder vergessen haben sollten, hier eine kurze Zusammenfassung:

Die Königstochter Schneewittchen hat Haare so schwarz wie Ebenholz, Lippen so rot wie Blut und eine Haut, so weiß wie Schnee. Nach dem Tod ihrer Mutter heiratet der König bald eine schöne, aber herzlose Frau. Sie ist neidisch auf ihre Stieftochter, die laut ihres magischen Spiegels noch tausendmal schöner sein soll, als sie. Die Stiefmutter beschließt daraufhin, Schneewittchen nach dem Leben zu trachten. Sie lässt sie durch einen Jäger in den Wald bringen, der sie töten soll. Der gutherzige Mann bringt es nicht übers Herz, das Mädchen zu erschießen, und lässt sie im Wald zurück.

Schneewittchen irrt im Wald umher und findet ein Haus, in dem sieben Zwerge wohnen, die im Bergbau arbeiten. Dort wird sie aufgenommen und führt ihren Haushalt.

Die Königin erfährt über ihren magischen Spiegel, dass Schneewittchen lebt und wo sie ist (hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen). Die Königin, die Zauberkräfte hat, versucht, die verhasste Stieftochter zu vergiften. Sie verkleidet sich und findet Schneewittchen in dem Haus der sieben Zwerge. Nach zwei erfolglosen Versuchen gelingt ihr beim dritten Mal, Schneewittchen mit einem vergifteten Apfel zu töten. Die Zwerge sind todtraurig und bahren Schneewittchen in einem gläsernen Sarg auf. Ein Prinz kommt des Weges, sieht Schneewittchen und will sie auf sein Schloss bringen, um sie jeden Tag betrachten zu können. Bei dem Transport stolpert einer der Träger, der Sarg stürzt zu Boden, Schneewittchen speit das vergiftete Apfelstück aus und kehrt ins Leben zurück.

Schneewittchen heiratet den Prinzen, die Königin muss bei der Hochzeit in eisernen, glühenden Pantoffeln tanzen, bis sie tot umfällt.

Die Zwerge könnten kleinwüchsige Männer gewesen sein, die von Südeuropa kommend auch in Deutschland nach Silbererzen gegraben haben (aus ihnen sind die Klopf- und Poltergeister der deutschen Sagen entstanden). Sieben Personen sind dabei eine gängige Größe solcher Gruppen. Harke und Gießkanne dienten zum Spülen und Sichten der geförderten Erze (deshalb werden sie auch als „Gartenzwerge“ fehlinterpretiert). Was lag näher, als sich ein ansässiges Mädchen für die notwendige Hausarbeit und der Zubereitung des Essens zu suchen? Soweit die Theorie von Herrn Lehne, einem Gewerbeschullehrer für Chemielaboranten an der Gewerbeschule Steinhauerdamm in Hamburg in den 60er Jahren.

Prolog

Es wurde ganz groß in der Sensationspresse als das »Ereignis des Jahres« angekündigt: Freiherr Konstantin von Bosbach hat die Hochzeit mit Letizia Ramirez angekündigt, der spanischen Adeligen, die allein schon wegen ihrer Schönheit und ihrer Herkunft seit Jahren von den Paparazzi verfolgt wurde. Doch es gab nicht viel zu berichten, die Trauung fand an einem geheimen Ort statt - unter Insidern orakelte man, dass es der Wohnsitz derer von Bosbach irgendwo in Norddeutschland sein könnte.

Das Waisenkind

Es war einmal eine schwarzhaarige Schönheit. Sie brachte im Krankenhaus Stade ein Kind zur Welt. Das Baby wuchs zu einem quirligen, lustigen Mädchen heran. Lange, schwarze Haare und ein blasses Gesicht waren auffällige Merkmale, sie geriet damit nach ihrer Mutter. Die Kleine wurde Maja genannt, Maja von Bosbach.

Das Glück währte nicht lange, die Mutter starb an einer Lungenentzündung, kurz nach Majas sechstem Geburtstag.

Der Vater trauerte herzzerreißend um sie, er hatte Letizia sehr geliebt. Der Zufall wollte es, dass er nur zwei Jahre später einer Frau über den Weg lief, die seiner verstorbenen Frau sehr ähnlich sah. Sie hieß Victoria Bergmann, er heiratete sie nur wenig später, in der vagen Hoffnung, dass die neue Frau die große Lücke füllen würde, die seine geliebte Frau hinterließ.

Leider erfüllten sich seine Hoffnungen nicht. Die zweite Ehefrau hatte weder an ihrem Mann, noch an der kleinen Tochter Interesse. Ihr Hauptantrieb für die Heirat mit dem gut aussehenden Mann waren sein Reichtum und die gesellschaftliche Stellung, die er ihr bieten konnte.

Maja von Bosbach war eben zehn Jahre alt, als ihr Vater bei einem Autounfall ums Leben kam. Er war in Gedanken bei seiner verstorbenen Frau gewesen und übersah den ausscherenden Lastwagen auf der Autobahn A26. Er war mit seinem Lieblingsauto, einem Porsche 911, wieder viel zu schnell unterwegs.

Die Trauer der Frau war kurz und unehrlich. Sie verstand es nicht, das Kind zu trösten, das in kurzer Zeit beide Elternteile verloren hatte. Sie konnte und wollte ihr die Murrer nicht ersetzen. So musste die Zehnjährige allein mit diesem Verlust klarkommen. Nur Martina Tiedemann, die Hausangestellte, tat was möglich war, um das Mädchen zu trösten.

Häufig saß Victoria von Bosbach vor dem großen Spiegel in ihrer Ankleide und gab sich wirren Fantasien hin. Sie musterte ihr Gesicht, ihre Figur. Ja, sie sah noch gut aus, trotz ihrer 38 Jahre. Kaum ein Fältchen war auf der zarten Haut ihres Gesichts zu finden.

In diesem Moment kam Maja herein „Victoria, ich treffe mich mit Bernie. Es könnte spät werden.“

Verdammt, sah das Mädchen gut aus – dieser Gedanke schoss Victoria jedes Mal durch den Kopf, wenn sie ihre Stieftochter sah. Zwanzig Jahre Altersunterschied waren natürlich zu sehen: hier das junge Mädchen - da die erwachsene Frau. Aber auch wenn sie beide gleich alt wären, würde ihre Stieftochter schöner, perfekter sein, als sie. Die langen schwarzen Haare umrahmen das ständig blasse Gesicht. Perfekt kontrastieren die roten Lippen mit dem schwarzen Haar und dem blassen Teint.

„Geh nur, du bist alt genug. Weck’ mich nicht, falls du spät heimkommen solltest.“

Die Gefangenschaft

Victoria von Bosbach und ihre Stieftochter leben in der Villa, die ihr der Vater, beziehungsweise der Ehemann, hinterlassen hat. Das Grundstück erstreckt sich von der Straße »Elbinsel Krautsand« bis an den Deich der Elbe. Das Anwesen wirkt wie ein kleines Schloss. Konstantin von Bosbach war keinen finanziellen Zwängen unterworfen, als er den Bau in Auftrag gab. Die Grundfläche beträgt 250 Quadratmeter, es gibt ein Obergeschoss und einen runden Turm, einem Bergfried mit Absicht nicht unähnlich. Vom Obergeschoss und vom Turm aus hat man eine weite Sicht über den Deich auf die Elbe und die Elbinsel Rhinplate.

Die Tochter des Hauses ist den Turm hinaufgestiegen. Auf den rauen Stein der Brüstung hat sie ein Kissen gelegt, um ihre Unterarme darauf abstützen zu können. Sie beobachtet die gemächlichen Bewegungen der Schiffe auf der Elbe. Sie versinkt in Grübeleien, sie denkt an den geliebten Vater, den sie so sehr vermisst. Sie hadert mit ihrem Schicksal, das sie dazu verurteilte, mit einer herzlosen, selbstsüchtigen Frau als Stiefmutter ihr Leben zu verbringen. Maja kann bis heute nicht verstehen, warum ihr Vater diese gefühllose Frau geheiratet hat. An ihre Mutter hat sie nur vage Erinnerungen, die zu ihrem Kummer immer schwächer werden. Aus Erzählungen von Martina Tiedemann, die schon zu Lebzeiten ihrer Mutter im Haus angestellt war, weiß Maja, dass sie liebevoll und empathisch gewesen war.

Martina kümmert sich um alles, was im Haushalt anfällt, einschließlich des Kochens. Darüber ist Maja froh, denn Victoria kann und will nicht kochen. Die Hausherrin schikaniert Martina oft und behandelt sie wie eine Dienstmagd.

Maja besucht das Gymnasium der Elbmarschenschule in Drochtersen, ihr Abschluss wird vor diesem Sommer sein. Seit einer Woche sind Sommerferien, im nächsten Monat wird sie 18 Jahre alt. Noch dieses Jahr sollte sie das Abitur in der Tasche haben. Anschließend möchte sie zur Hotelfachschule. Der Gedanke, später vielleicht einmal in einem anderen Land ein Hotel zu führen, gefällt ihr.

Vorerst wird ihr Geburtstag stattfinden, es wird in vier Wochen sein, am 13. August. Sie wird wahrscheinlich ein Auto bekommen, sie besucht seit ein paar Wochen eine Fahrschule in Drochtersen, noch ein paar Fahrstunden und sie kann die praktische Prüfung ablegen.

Unten auf dem Parkplatz hält ein dunkelblauer Sportwagen mit offenem Klappdach. Es ist Günter Boll, der Freund ihrer Stiefmutter. Maja hört die Autotür zuschlagen, dann betritt der große, gut aussehende Mann das Haus. Er besitzt einen Schlüssel, um seine Geliebte - ihre Stiefmutter - jederzeit besuchen zu können. Die ist ganz verschossen in ihren Günter, Maja dagegen findet ihn arrogant und geht ihm möglichst aus dem Weg. Er ist der Sohn eines Arztes aus Drochtersen, er arbeitet als Rechtsanwalt in einer Kanzlei in Stade.

Ein weiterer Wagen fährt vor. Es ist ein Volkswagen Golf, sie kennt die Fahrerin. Es ist eine Freundin Victorias, Claudia Kirchberg. Die Frau ist ihr noch unangenehmer als Günter Boll.

Sie hört Schritte auf der Treppe, es ist Martina Tiedemann. „Hallo, Schätzchen!“, begrüßt diese die junge Frau. Sie mag die oft traurig wirkende Maja gern und versucht, sie die herzlose Stiefmutter vergessen zu lassen. „Es ist noch Kuchen übrig, soll ich dir etwas bringen?“

„Ist es der Krokant-Kuchen, den du immer so toll zubereitest?“ Ein Lächeln huscht über das Gesicht des schwarzhaarigen Mädchens.

„Danke für das Lob, ja, es ist der Krokant-Kuchen. Außerdem sind noch zwei Stücke Schwarzwälder Kirsch zu haben.“

„Klasse Martina, davon nehme ich gerne. Ich komme runter zu dir in die Küche, du bist schließlich nicht unser Dienstmädchen, auch wenn Victoria das zu denken scheint. Wir trinken einen Cappuccino, ja?“ Sie läuft hinter Martina Tiedemann die Treppe hinunter. „Weißt du, warum sich die Herrschaften treffen?“

Die zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung, ich hab’ ein paar Mal deinen Namen gehört, ich fürchte, das bedeutet nichts Gutes.“

„Meine Stiefmutter wird nicht zögern, mir das Ergebnis beizeiten unter die Nase zu reiben.“

„Davon gehe ich auch aus.“

Maja setzt sich an den kleinen Tisch in der Küche, vor sich ein hohes Glas mit dem duftenden Getränk. Martina Tiedemann stellt eine Platte mit Kuchenstücken auf den Tisch.

„Setz dich doch zu mir, dann können wir ein bisschen klönen. Soll ich dir einen Kaffee bereiten?“, fordert Martina die junge Frau auf.

„Das mache ich gerne, darum brauchst du dich nicht zu bemühen, das bekomme ich gerade noch selbst hin.“

Martina sitzt am Tisch, nippt an einer Tasse mit Cappuccino und sieht Maja zu, wie sie sich den Krokant-Kuchen mit Genuss einverleibt. Sie ist eine etwas pummelige Frau mit einer blonden Kurzhaarfrisur, die 40 Jahre hat sie vor zwei Jahren überschritten.

„Sag mal, wie lange bist du eigentlich schon bei uns?“, möchte das junge Mädchen wissen.

„Beinahe von Anfang an. Ich habe damals gehört, dass dein Vater, der Freiherr von Bosbach, eine Hilfe für seine Frau benötigte. Du warst gerade auf die Welt gekommen – du warst so ein hübsches Baby!“, ruft sie entzückt aus.

„Danke, ich kann nichts dafür. Jetzt bin ich nicht mehr hübsch?“, erwidert Maja amüsiert.

„Doch, doch. Du weißt schon, wie ich das meine.“

Sie lachen beide.

„Wie war meine Mutter denn? Ich kann mich kaum an sie erinnern.“

„Deine Mutter war eine wunderbare Frau. Sie war vier Jahre älter als ich, sie hat mich wie eine jüngere Freundin behandelt und hat mich Standesunterschiede nicht spüren lassen. Als sie starb, ist für deinen Vater eine Welt zusammengebrochen.“

„Das kann ich mir vorstellen, so früh schon die Frau zu verlieren.“

„Ja, das ist nun leider vorbei. Als dein Vater dann Victoria Bergmann kennenlernte, war es um ihn geschehen. Sie sah seiner verstorbenen Frau sehr ähnlich, das hat für ihn den Ausschlag gegeben. Dass er eine herzlose Frau ehelichte, die nur auf sein Geld und seinen gesellschaftlichen Stand sah, hat er in seiner Verblendung nicht bemerkt.“

„Du magst meine Stiefmutter nicht besonders, nicht?“

„Sie ist eine schreckliche Person, immer nur auf ihren Vorteil bedacht.“ Sie lächelt. „Habe ich dir erzählt, dass deine Stiefmutter neulich von einer Wespe gestochen worden ist?“

„Nein. Du hast dich sicher heimlich darüber gefreut?“

„Soweit kam es nicht, die Wespe fiel tot zu Boden.“

Die beiden Frauen lachen entspannt, sie freuen sich, dass sie so oft einer Meinung sind.

„Hast du bemerkt, dass sich deine Stiefmutter fast täglich in ihrem Spiegel bewundert? Sie hat ein seltsames Verhältnis mit dem, mitunter spricht sie mit ihm.“

„Mit einem Spiegel?“, fragt Maja überrascht.

„Ja, sie hat schon einen Vogel. Sie hält sich für die hübscheste Frau in der ganzen Gegend.“

„Na, ja. Sie ist schon sehr hübsch.“

„Du bist tausendmal schöner als sie. Der entscheidende Unterschied ist der, dass du – genauso wie deine Mutter – eine innere Schönheit hast. Du hast ein Herz aus Gold und ein offenes, ehrliches Wesen. Das hat deine Stiefmutter nicht, darum kann sie nie so schön sein, wie du.“

„Das war jetzt ein bisschen sehr oft schön.“

„Ist doch wahr. Wie kann man nur so viel Aufhebens um Äußerlichkeiten machen, das ist eben typisch Victoria von Bosbach.“

„Ich denke, ich werde das schöne Werter nutzen und mich im Pool amüsieren. Wir sollten unser Gespräch zu einem anderen Zeitpunkt fortsetzen, es hat mir sehr gefallen. Später werde ich mir auf der Terrasse noch einen Kaffee genehmigen.“

„Mach das. Ich an deiner Stelle würde es auch so machen. Pass auf die Sonne auf, creme dich ein und bleibe immer im Schatten. So blass, wie du bist, holst du dir noch einen Sonnenbrand.“

„Vielen Dank für deine Fürsorge. „Komm doch mit - wer hindert dich?“

Martina Tiedemann verzieht das Gesicht. „Ich höre schon deine Stiefmutter: ,Der Swimming-Pool ist nicht für das Personal gedacht. Die sollen arbeiten und nicht unverdient an unserem Wohlstand teilhaben’. Danke, darauf kann ich verzichten.“

„Das wird wohl so stattfinden, ich kann dich verstehen. Obwohl – sie selbst hat nichts zu dem Wohlstand beigetragen“, entgegnet die langbeinige Schönheit. „Wir trinken doch zusammen Kaffee, oder? Du bist der einzige Lichtblick in diesem Haus...“ ein paar Minuten später ist sie zurück, sie hat sich ihren blauen Bikini angezogen.

„Pass auf, dass du nicht verbrennst!“, ruft ihr Martina nach, „du weißt, wie empfindlich deine Haut ist!“ Maja winkt und stürzt sich in das kühle Wasser.

Victoria von Bosbach, ihr Geliebter Günter Boll und ihre Freundin Claudia Kirchberg sitzen im Wohnzimmer mit Blick auf die Terrasse. Der Kuchen ist gerade verspeist, gleich werden sie ihre angefangene Diskussion wiederaufnehmen.

„Martina!“, ruft die Stiefmutter nach der Haushälterin. Dann lauter: „Frau Tiedemann!“

Einen Moment später steht ihre Angestellte in der Tür. „Ja bitte?“

„Sie könnten uns etwas Alkoholisches kredenzen. Für mich bitte ein Glas Genever.“ Sie wendet sich an ihre Gäste. „Was möchtet ihr? Unsere Bar ist gut ausgestattet.“

„Wie wäre es mit einem Prosecco?“, möchte Claudia wissen.

„Oh, das ist eine gute Idee. Würden Sie uns eine Flasche Prosecco und drei Gläser bringen, meine liebe Frau Tiedemann?“ Sie blickt ihren Freund an. „Ist Prosecco für dich okay, Günnilein?“

Günter Boll nickt. Er ist 35 Jahre alt, hat modisch geschnittene, dunkle Haare und einen gepflegten Dreitagebart. Er sieht unverschämt gut aus. „Habt ihr einen Spumante? Der würde mir gefallen.“

Ihre Köchin nickt, sie kennt die Vorräte genau. „Natürlich, kommt sofort.“

„Na, prima.“ Günter schenkt ihr ein umwerfendes Lächeln.

Martina verschwindet in der Küche, um kurz darauf mit einem Tablett wiederzukommen, auf der eine Flasche Prosecco und drei Gläser stehen. Sie stellt sie auf den Tisch und öffnet sachkundig die Flasche mit dem Drahtverschluss.

„Maja wird in vier Wochen 18 Jahre alt, dann wird sie vom Nachlassgericht die Nachricht erhalten, dass sie über ihren Teil des Erbes ihres Vaters verfügen kann“, erklärt Victoria den Grund für ihr Treffen. „Bis jetzt verwalte ich es treuhänderisch, das wird dann ein Ende haben. Habt ihr irgendwelche Ideen, wie wir das verhindern können?“

„Was wird mit dem Sitz im Aufsichtsrat?“, will Günter wissen. „Bisher habe ich den kommissarisch inne. Wird den dann Maja übernehmen?“

„Das macht ja gar keinen Sinn. Sie weiß überhaupt nicht, worum es da geht.“

„Schon, sie ist jedoch als Tochter ihres Vaters auch die Teilhaberin am Rüstungskonzern. Vielleicht möchte sie wissen, was dort passiert.“

Victoria von Bosbach stößt empört den Atem aus. „Soweit kommt es noch! Mir stinkt es schon gewaltig, dass dieses Kind dann über so viel Geld verfügen kann.“

„Du hast es bisher genossen, über so viel Geld zu verfügen - oder nicht?“, erwidert ihr Freund mit einem Grinsen.

„Halt’ du dich da raus. Wer fährt denn immer den teuren Benz? Dazu hast du auch nicht Nein gesagt.“

Günter Boll verschränkt die Arme vor der Brust und sagt nichts mehr.

„Sag du doch mal was dazu, Claudia. Wie würdest du dich verhalten?“

Claudia Kirchberg ist eine Frau von 42 Jahren. Sie hat braune Haare, die ihr in Locken auf die Schultern fallen. Ein hellblaues Sommerkleid verhüllt eine schlanke Figur. Sie kennt Victoria seit ein paar Jahren, sie haben sich auf der Geburtstagsfeier einer gemeinsamen Freundin kennengelernt. „Ich habe eine Idee, was eventuell zu tun wäre. Es hätte jedoch erhebliche Einschränkungen für deine Stieftochter zur Folge.“

„Das stört mich nicht. Lass mal hören.“

In dem Moment verlässt Maja den Swimming-Pool. Das Wasser läuft an ihr hinunter, als sie auf der Treppe aus dem Becken heraussteigt, ihr langes, schwarzes Haar klebt am Rücken.

Günter blickt fasziniert durch das Fenster, sichtlich bemüht, keinen Moment der Bewegung des jungen Mädchens zu verpassen. „Meine Güte, ich werde noch blind bei dem Anblick.“

Victoria von Bosbach ist deutlich verärgert. „Glotz ihr nicht so auf die Möpse, dann wirst du nicht blind.“

„Okay, okay. Du musst zugeben, dass es schon erstaunlich ist, wie so wenig Stoff so viel Masse halten kann.“ Er lächelt genüsslich und wendet sich keinen Zentimeter ab.

„Du bist ein Arsch. Du wirst mit dem vorliebnehmen müssen, was ich dir bieten kann. Wende dich endlich ab, deine offensichtliche Gier ist zum Kotzen.“ Ihre Stimme überschlägt sich fast vor Zorn.

„Ja, ja.“ Widerwillig dreht er den Kopf und füllt sich Prosecco nach. Doch als Maja einen Moment später mit einem Handtuch an den Fenstern vorbeigeht und auf einem der Stühle unter dem Sonnenschirm Platz nimmt, ist es mit seiner Beherrschung vorbei. Wieder dreht er den Kopf und fixiert die Badenixe.

„Erzähl doch mal, was hattest du für eine Idee?“, wiederholt Victoria ihre Frage an die Freundin.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen und einer steilen Falte auf der Stirn mustert die ihren Freund. „Soll ich sie vielleicht hereinbitten, damit du deinen Hals nicht so verdrehen musst?“, faucht sie ihn an.

„Ist ja schon gut.“ Zerknirscht wendet er sich ab und folgt den Ausführungen von Claudia Kirchberg.

„Mein Vorschlag ist nicht legal. Wenn herauskommt, dass wir dahinterstecken, kommen wir in Teufels Küche.“

„Das sehen wir dann. Erzähl zuerst einmal“, entgegnet ihre Freundin.

„Du willst die Kleine verschwinden lassen, richtig? Ihr wisst, dass mein Freund Yilmaz in Hechthausen wohnt?“

„Wissen wir“, erwidert Günter für sich und Victoria.

„In dem Zusammenhang haben wir Kontakt zu einer Villa in der Nähe vom Bahnhof in Hechthausen. Dort lebt eine Wohngemeinschaft aus sieben Männern. Mit der Pflege und Reinigung des Hauses, sowie der Zubereitung des Essens, mit dem Reinigen der Räume und der Wäsche tun sie sich schwer. Die brauchen eine Kraft, die ihnen zur Hand geht. Dabei habe ich an deine Stieftochter gedacht.“

„Das wird ihr kaum gefallen. Sie wollte ins Hotelgewerbe, aber nicht als Aushilfe. Könnte sie nicht einfach weglaufen?“, gibt Victoria zu bedenken.

„So einfach ist das nicht. Die Männer sind allesamt schwere Jungs, die leben von Einbrüchen, Handel mit Waffen und Rauschgift in großem Stil. Die werden sich schon durchsetzen. Außerdem könnte die Kleine eine elektronische Fußfessel tragen, dann wäre sie für immer an das Haus gebunden, quasi »gefesselt«.

„Sehr witzig, sei mal ernst. Das wäre jedenfalls in meinem Sinne.“

„Die Frage ist, was später passiert, wir können sie nicht bis an ihr Lebensende dort festhalten“, gibt Claudia zu bedenken.

„Das stimmt. Aber zuerst einmal ist sie weg. Ich kann weiterhin über das gesamte Erbe verfügen und Günter“ - sie sendet ihm einen giftigen Blitz aus ihren Augen zu - „kann sie nicht mehr anglotzen. Später sehen wir dann weiter.“

„Das ist ja fast so wie mit Schneewittchen und den sieben Zwergen“, wirft Günter ein. Er grinst seine Freundin an.

„Lass uns mal einen Moment mit deinem Quatsch in Ruhe. Wir konstruieren hier bedeutende Pläne und du redest nur Blödsinn“, stutzt ihn Victoria zurecht.

„Ja, ja. Und du bist die böse Königin“, setzt er noch einen drauf.

„Ich bin zwar keine Königin, aber ich habe hier das Sagen, du dagegen solltest besser deine Klappe halten.“ Sie ist immer noch stocksauer und auch eifersüchtig, was sie sich natürlich nicht eingestehen wird. Ihr Günther ist ein paar Jahre jünger als sie, eifersüchtig wacht sie über jede seiner Reaktionen auf ihre Stieftochter.

Sie steht auf. „Ich werde mal unsere Prinzessin holen, damit wir ihr mitteilen können, was wir für sie planen.“

Günter prustet. „Du willst ihr erzählen, dass sie Fußfesseln tragen soll?“ Er hat heute seinen witzigen Tag.

„So langsam platzt mir der Kragen! Hör endlich auf, uns mit deinen Kalauern zu nerven!“

Wütend verlässt sie das Zimmer und geht zur Terrasse. Doch die ist leer, lediglich ein paar nasse Flecken sind Zeugen dafür, dass die Badenixe hier gesessen hat. Sie steigt die Treppe ins Obergeschoss hinauf. Hier befindet sich das Reich ihrer Stieftochter. Sie klopft an. „Ich bin’s. Kann ich hereinkommen?

Maja öffnet die Tür einen Spalt breit. „Ach du. Ja, komm rein."

Victoria drückt die Tür noch weiter auf und tritt ein.

Maja ist gerade dabei, sich anzukleiden, ihre Haare hat sie geföhnt, sie fallen in langen, schwarzen Wellen weit über ihre Schultern. Sie trägt lediglich Unterwäsche - einen Slip und einen schwarzen Büstenhalter.

Neidisch blickt Victoria auf die üppige Oberweite ihrer Stieftochter. „Kommst du runter? Wir wollen mit dir reden. Zieh’ dich sittsam an, Günter ist auch da.“

Maja schmunzelt. Ihr sind Günters Blicke nicht verborgen geblieben - dass ihrer Stiefmutter das nicht gefällt, kann sie sich vorstellen. „Gut, ich komme gleich, geh du schon vor.“

Victoria geht die Treppe hinunter, Maja zieht sich vollständig an. Sie trägt ein weißes Sommerkleid mit einem weit geschnittenen Rock und kurzen Ärmeln. Es harmoniert perfekt mit ihrem schwarzen Haar. Sie legt noch etwas Lippenstift auf, dann ist sie fertig. Ein letzter Blick in den Spiegel – sie weiß, dass sie perfekt aussieht. Männer wie Günter Boll folgen ihr wie Morten dem Licht. Dabei ist sie nicht single, das interessiert die Männer jedoch nicht. Sie hat in Drochtersen einen festen Freund, Bernhard „Berni“ Wicker, der ist ihr ein und alles. Mit sechzehn hatte sie nach einem Klassenfest das erste Mal Sex. Das war sehr unangenehm, sie hat jedoch schnell entdeckt, dass sie genießt, was Mann und Frau miteinander tun können. Günter wird nie dazu gehören, der ist ein arroganter Sack.

Sie geht nach unten und betritt das Wohnzimmer.

„Setz dich zu uns, Kind“, fordert ihre Stiefmutter sie auf. „Wir haben dir etwas Wichtiges mitzuteilen.“

Maja setzt sich an den Tisch. Sie spürt die Blicke der drei Erwachsenen auf sich ruhen. Den gleichgültigen ihrer Stiefmutter, den herablassenden von Claudia Kirchberg und nicht zuletzt den verschlingenden Blick von Günter Boll. Neugierig mustert sie die Runde. Was wird man ihr mitteilen?

„Also gut, hör zu. Du willst doch ins Hotelfach, oder? Wir haben etwas gefunden, da kannst du während der Ferien schon mal hineinschnuppern. Es ist ein Gästehaus in Hechthausen, dort sucht man jemand für die Organisation.“ Die dicke Lüge geht Victoria mühelos von der Zunge.

„Echt?“, ruft Maja glücklich aus. „Wann denn? Das wäre toll!“

„Ziemlich bald“, antwortet Claudia und holt das Handy aus ihrer Handtasche.

„Huch, nicht so schnell. Ich muss noch packen!“, ruft das junge Mädchen verblüfft aus. Sie springt auf, eilt nach oben in ihr Zimmer und überlegt schon auf der Treppe, was sie alles mitnehmen sollte.

Inzwischen telefoniert Claudia. „Ahmet, ich habe jemanden für euer Problem. Für den Haushalt, du weißt schon. Es ist die Stieftochter einer Freundin von mir. Ihr musst nur aufpassen, dass sie nicht wegläuft, wenn sie merkt, dass sie nicht ein und aus gehen kann, wie sie will.“

Die tiefe Stimme von Ahmed Dogan klingt aus dem Hörer. „Gut, ich werde mit meinen Männern reden. Wir werden ihr eine elektronische Fußfessel anlegen, das gibt einen Alarm, falls sie abhauen will.“

„Sehr gut, ich habe auch schon an so etwas gedacht, ich wusste nur nicht, dass ihr über so ein Ding verfügt.“

„Einer von uns musste das mal eine Weile tragen, danach hat es niemand abgeholt.“

„Sehr gut. Ich komme heute Abend. Wir müssen die Kleine wegbringen, bevor sie ihren Freunden oder sonst jemandem von ihrem neuen Aufenthaltsort erzählen kann. Am Ende kommt noch jemand auf die Idee, die Prinzessin zu befreien.“

„Ahmed lacht wieder laut. „Das möchte ich niemandem raten! Bis heute Abend dann. Mach’s gut, Claudia.“

Eine halbe Stunde später kommt Maja die Treppe herunter, sie hat einen Hartschalenkoffer von Samsonite und eine große Reisetasche dabei.

„Na, du hast ja ordentlich was eingepackt. Hast du auch nichts vergessen?“, fragt ihre Stiefmutter scheinbar fürsorglich.

„Ich hoffe nicht. Klamotten, Unterwäsche, Kosmetika, da kommt was zusammen,“ antwortet ihre Stieftochter.

Es dämmert bereits, als Claudia Kirchberg und Maja von Bosbach die Villa in Hechthausen erreichen. Es ist ein verklinkertes Gebäude, bestehend aus Erdgeschoss, Obergeschoss und einem verwinkelten Satteldach. Der Klinker ist rot, die Rahmen von Fenster und Türen sind weiß gestrichen. Das Haus steht in der Nähe vom Bahnhof in Hechthausen, Am Bruch 9, gerade ist die Schranke geschlossen worden, ein langer Güterzug fahrt mit laut klappernden Achsen vorüber.

Die Fahrerin parkt ihren Golf auf der Auffahrt, dann geht sie vor Maja zu der Villa hinüber.

Die folgt ihr mit dem Rollkoffer und der Reisetasche. Bange Gedanken bewegt sie in ihrem Kopf. ,Was wird das jetzt bringen? Ist es tatsächlich ein Hotel, in dem sie erste Erfahrungen sammeln kann?‘ Skeptisch mustert sie das Haus, wie ein Hotel sieht es nicht gerade aus.

Die Freundin ihrer Mutter hält ihr die Tür auf. „Tritt ein, meine Liebe, warte bitte, bis ich uns angekündigt habe.“

Maja sieht sich skeptisch um. Den Eingangsbereich bildet ein großer Raum. Er reicht bis zum Dach hinauf, eine Treppe an der Seite windet sich in das Obergeschoss. In der Eingangshalle stehen ein Billardtisch und ein Tisch mit Stühlen. An dem Billardrisch stehen zwei Männer, die jetzt ihr Spiel unterbrechen und zu den Ankömmlingen herüberblicken.

Am Tisch sitzt eine Gruppe von drei Männern, die sich bis eben lautstark unterhaken haben. Sie stellen die Flaschen ab, die sie in der Hand gehalten haben und drehen die Köpfe ebenfalls zum Eingang.

Am hinteren Ende des Raumes befindet sich eine Art Theke, einer Rezeption nicht unähnlich. Sollte es sich doch um ein Hotel handeln und die fünf Männer sind Gäste? Maja ist unwohl, ein Schauer läuft ihren Rücken hinunter.

Claudia Kirchberg tritt auf einen der Männer zu. „Guten Abend, Ahmet. Wir haben vor einer Stunde miteinander telefoniert. Die junge Frau hinter mir ist eure neue Haushaltshilfe.“ Sie dreht sich um und mustert Maja, die zwischen ihren beiden Gepäckstücken steht und sich unsicher umsieht.

Ahmet Dogan erhebt sich. Er hat eine kräftige Statur, ist etwa 1,90 Meter groß, sein dunkles, kantiges Gesicht wird durch eine schiefe Nase dominiert. Er geht auf Maja zu und reicht ihr die Hand. „Guten Abend, mein Name ist Ahmet. Ich freue mich, dass du uns helfen möchtest, wir Männer verstehen ja nichts von Hausarbeit - es ist ja auch eher Frauensache, stimmt’s?“

Unbewusst greift sie nach der starken Hand und erwidert vorsichtig den Druck. „Ich heiße Maja von Bosbach“, erwidert sie mit leiser Stimme den Gruß und blickt sich irritiert um. Die vielen Männer beunruhigen sie, in ihrem Ohr klingt noch das Wort ,Haushaltshilfe’. Irgendwas stimmt hier doch nicht?

Die Männer erheben sich und kommen auf sie zu. Wenn das breite Grinsen in den Gesichtern nicht wäre, würde ihr Auftritt bedrohlich wirken. Einer von ihnen gibt einen Pfiff von sich, einige johlen leise. Die Männer werfen sich bedeutungsvolle Blicke zu.

Maja fühlt sich so, wie sich ein Vieh auf dem Weg zur Schlachtbank vorkommen mag. Jeder der Männer mustert sie gierig, sie fühlt die Blicke beinahe körperlich. Gut, dass sie sich unauffällig und konventionell gekleidet hat.

Ahmet mustert sie freundlich. „Du brauchst keine Angst vor uns zu haben. Ich stelle dich gleich vor. Zwei von uns fehlen heute, die sind unterwegs. Wir sind sonst sieben.“ Er winkt einen zu sich. „Komm, Hakan, mach einen Diener vor unserer Prinzessin.“

Der Angesprochene löst sich aus der Gruppe. Er ist fast so groß wie ihr Anführer und sieht ansprechend aus. Er reicht Maja die Hand. „Ich heiße Hakan Serbes. Ich freue mich, dass du hier bist.“ Dunkle Augen blicken auf sie hinunter.

Schüchtern erwidert Maja auch dessen Händedruck.

Einer nach dem anderen wird ihr vorgestellt. Es sind offenbar zwei Deutsche unter ihnen, die anderen scheinen einen orientalischen Hintergrund zu haben.

,Was machen diese Männer?‘, fragt sich Maja. ,Wovon leben sie?' Ihre Gedankengänge werden durch Ahmet Dogan unterbrochen. „Ich denke, das genügt fürs Erste. Ich werde dir dein Zimmer zeigen, morgen besprechen wir genauer, was zu deinen Aufgaben gehört.“ Er bückt sich zu ihrem Gepäck. „Ich nehme deine Tasche, folge mir bitte mit deinem Koffer.“ Er geht die Treppe hinauf und betritt dann einen Flur, von dem mehrere Türen abgehen. Ahmet stößt eine von ihnen auf und tritt in den Raum.

Maja folgt ihm und sieht sich um. Das Zimmer ist etwa 15 Quadratmeter groß, wie ein übliches Hotelzimmer. Ein Bett, ein Schrank, ein Flachbildfernseher und ein Tischchen mit zwei Stühlen sind die knappe Ausstattung. In einem kleinen, abgetrennten Raum befindet sich ein Badezimmer, das mit einer Dusche, einem Waschbecken und einem WC versehen ist.

„Das ist dein Zimmer für die nächste Zeit. Es ist doch gar nicht so schlecht, oder?“ Ahmet Dogan sieht sie an. „Morgen mache ich Frühstück für dich und die anderen. Ab übermorgen gehört das zu deinen Aufgaben.“ Er zögert einen Moment. „Hast du schon zu Abend gegessen? Für den Fall werde ich eine Pizza für dich mitbestellen. Ich kann dir die Auswahlliste bringen, wenn du möchtest.“

Maja nickt. Erst jetzt fällt ihr auf, wie hungrig sie ist. „Das ist nett, dass du daran gedacht hast. Ja, ich würde gerne in die Liste sehen.“ Es kann nicht schaden, zuerst mal freundlich zu den Männern zu sein.

Ahmet Dogan verlässt den Raum, die junge Frau bleibt zurück. Sie öffnet ihr Gepäck und beginnt, ihre Kleidung in den Schrank zu sortieren und die Kosmetika in das Badezimmer zu bringen.

Sie legt sich auf das Bett und sinnt über ihre Situation nach. Wieso ist sie in diese Lage geraten? Es ist nicht das Praktikum in einem Hotel, das man ihr versprochen hat, soviel ist sicher. Stattdessen scheint sie eine billige Putzkraft zu sein. Was ihr besondere Sorgen bereitet, sind die vielen Männer. Soll sie für deren Amüsement herhalten? Maja schüttelt unmerklich den Kopf, so ein Unsinn! Wieso sollte Victoria sie in so eine Situation bringen? Gut, die Stiefmutter konnte ihre Stieftochter nie leiden, aber so etwas? Nein, nie im Leben!

Es klopft an der Tür. „Kommst du essen? Die Pizzen sind gekommen!“, hört sie jemanden auf dem Flur rufen.

Maja zögert einen Moment. Sie scheut sich, sich zu ihnen zu setzen. Auf der anderen Seite muss sie essen, vielleicht kann sie bei der Gelegenheit die Männer besser kennlernen und herausfinden, was hier eigentlich läuft. Wovon leben sie? Gehen sie einer geregelten Arbeit nach, haben sie eine Frau oder eine Freundin?

Sie geht den Flur bis zur Treppe und steigt nach unten, ihr schallen laute Männerstimmen entgegen. Sie zwingt sich zur Ruhe und geht langsam die Stufen hinunter.

An dem großen Tisch sitzen fünf Männer, vor denen jeweils ein Karton mit einer Pizza steht. Während sie sich mit Messer und Gabel daran abmühen, unterhalten sie sich laut.

Hakan Serbes bemerkt sie zuerst. „Hallo, Prinzessin! Schön, dass du dich entschieden hast, mit uns zu essen. Deine Pizza steht auf dem Schrank.“ Er zeigt mit der Gabel in die Richtung zu einem Sideboard. Neben den Pappdeckeln der Pizzen der Männer, steht noch eine verschlossene Schachtel. »Hawaii« ist mit schwarzem Filzstift darauf geschrieben.

„Besteck findest du in der obersten Schublade!“, ruft ihr jemand anderer zu.

Sie nimmt den Karton, entfernt das Oberteil und nimmt das Unterteil der Schachtel mitsamt der Pizza mit, weil es keine ausreichend großen Teller gibt. Sie geht damit zum Tisch und überlegt, wohin sie sich setzen soll. In einer Hand hält sie Messer und Gabel.

„Setz dich doch zu mir!“, ruft ein kräftiger, gut aussehender junger Mann.

„Nein, komm zu mir!“, ruft ein anderer.

Maja muss jetzt doch lächeln. Vielleicht sind die Männer doch nicht so unangenehm, wie sie ihr zuerst vorgekommen sind. Sie setzt sich an einen freien Platz, an dem sie etwas Distanz zu ihnen hat. Sie stellt den Karton auf den Tisch und setzt das Messer an, sie ist wirklich sehr hungrig.

„Hast du einen Freund?“, fragt einer der Männer. Das ist offenbar der Punkt, der sie alle zu beschäftigen scheint.

„Jemand, der so hübsch ist, hat bestimmt einen Freund“, antwortet ein anderer, „es sei denn, die Kerle da draußen sind alle blind, stimmt doch?“, er blickt Beifall heischend in die Runde. „Hast du?“

„So fragt man Leute aus“, erwidert sie mit einem Lächeln. „Ich würde gerne wissen, wie es bei euch aussieht. Habt ihr eine Freundin? Was macht ihr eigentlich den ganzen Tag, wenn ihr nicht hier herumsitzt und mich anstarrt?“

Jetzt meldet sich der Anführer, Ahmet Dogan. „Du hast recht. Fast alle von uns haben eine feste Freundin, verheiratet ist noch niemand. Womit wir unser Geld verdienen, möchten wir vorläufig für uns behalten, früher oder später wirst du es sicher herausbekommen.“

Es klappert an der Eingangstür. Sie wird geöffnet und zwei Männer kommen herein. Sie tragen zwei große Taschen bei sich und wirken erschöpft.

„Da seid ihr ja endlich! Gab es Schwierigkeiten mit der Schmiere?“, werden sie gefragt.

„Moment, Moment, lasst uns erst mal ankommen. Wir müssen zuerst unsere Sachen wegstellen.“ Sie blicken zum Tisch. „Ihr esst Pizza? Habt ihr für uns auch noch was?“

Hakan Serbes antwortet. „Nein, es ist nichts mehr da. Wir können für euch noch was nachbestellen, das dauert etwa fünfzehn Minuten. Ihr müsst euch aus der Liste etwas aussuchen.“ Er blickt Maja an. „Du hast die Liste doch zuletzt benutzt. Kannst du sie Akim und Tarek geben?“

Maja steht auf, um die Liste zu holen, die auf dem Tresen neben dem Telefon liegt. Sie gibt sie den beiden Neuankömmlingen, die sich auf zwei Sessel gesetzt haben.

Beide Männer starren Maja an. „Hey, wen haben wir denn hier? So eine hübsche Aushilfe haben wird noch nie gesehen!“

„Sie ist neu, seit heute Nachmittag ist sie hier. Sie heißt Maja von Bosbach“, erklärt Ahmed Dogan.

„Mann, Mann, die ist echt ein Hauptgewinn. Wo habt ihr die denn her?“

„Sie ist die Stieftochter von so ‘ner reichen Zicke.“ Dann etwas leiser: „Die will zu Hause offenbar niemand mehr haben, warum wissen wir nicht. Jetzt soll sie uns den Haushalt führen“, ergänzt Hakan Serbes.

Maja folgt fassungslos dem Gespräch. Ihre Augen werden immer größer, als sie begreift, dass die Männer mit ihren Vermutungen wahrscheinlich richtig liegen. Ihre Stiefmutter hat sie eiskalt abserviert – warum nur? Sie hat sich doch immer gut benommen, an ihr kann es nicht gelegen haben.

Sie zieht das Handy aus ihrer Hosentasche, um zu prüfen, ob neue Nachrichten eingegangen sind.

Ahmet Dogan mustert sie kritisch. „Deine Murrer hat uns aufgetragen, dein Handy einzubehalten.“ Gebieterisch streckt er eine Hand aus. „Her damit!“

Scheiße! Zähneknirschend gibt sie ihm ihr Samsung Galaxy. Kurz schießen ihr ein paar Tränen in die Augen. Das hier ist kaum besser als ein Gefängnis, wie konnte sie nur in diese Lage geraten? Was für Pläne verfolgt ihre Stiefmutter?