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Ist Achtsamkeit in Unternehmen mehr als nur ein Modetrend? Welche Wirkung von Meditation ist neurowissenschaftlich erwiesen? Welche Erfahrungen haben Unternehmen in der Praxis mit Mindfulness gemacht? Die Unternehmenswelt hat seit einigen Jahren Achtsamkeit und Meditation als potenzielles Allzweckmittel gegen Stress und für mehr Leistungsfähigkeit entdeckt. Achtsamkeitstraining hat vielerorts Einzug in Leadership-Programme und das betriebliche Gesundheitsmanagement gehalten. Uli Funke, Master of cognitive Neuroscience (aon), gibt einen kurzen historischen Überblick über "mindful based interventions" (MBI) vom Ursprung im Buddhismus bis zum säkularisierten Einsatz in Unternehmen. Er erläutert die neurobiologische Basis von MBI und liefert einen Überblick über den aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand. Drei Beispiele aus der unternehmerischen Praxis von Weltkonzernen zeigen, wie MBI aktuell in diesen Unternehmen umgesetzt wird und welche positiven Erfahrungen damit gemacht wurden.
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Seitenzahl: 86
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ULI FUNKE MINDFUL BUSINESS
Die Auswirkung von Meditation und Achtsamkeitstraining im unternehmerischen Kontext.
© 2021 Uli Funke
Umschlag, Illustration: Uli Funke
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback
ISBN: 978-3-347-39191-8
Hardcover
ISBN: 978-3-347-39192-5
e-Book
ISBN: 978-3-347-39193-2
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Inhaltsverzeichnis
1.1 Vorwort
1.2 Abstract
2 Einführung
3 Meditation und Achtsamkeit im unternehmerischen Kontext
3.1 Die Definition und Geschichte von Achtsamkeit
3.2 Die neurobiologische Basis von Meditation und Achtsamkeit
4 Auswirkung von Achtsamkeitstraining und Meditation
4.1 Auswirkung auf Stress
4.2 Auswirkung auf geistige Gesundheit
4.3 Auswirkung auf körperliche Gesundheit
4.4 Auswirkung auf Sozialverhalten und Empathie
4.5 Auswirkung auf Aufmerksamkeit und Konzentration
4.6 Zusammenfassung
5 Anwendung in der Praxis
5.1 Beispiel 1: SAP SE
5.2 Beispiel 2: Procter & Gamble AG
5.3 Beispiel 3: Robert Bosch GmbH
6 Fazit und Ausblick
7 Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
ACC
anteriorer cingulärer Cortex
AMCC
anteriorer midcingulärer Cortex
CBMT
Corporate-Based Mindfulness Training
CBT
kognitive Verhaltenstherapie
CEN
Central Executive Network
CFM
Center for Mindfulness in Medicine, Health Care and Society
DBT
dialektisch-behaviorale Therapie
DLPFC
dorsolateraler präfrontaler Cortex
DMN
Default Mode Network
EEG
Elektroenzephalogramm
FMRT
funktionelle Magnetresonanztomographie
FPN
frontoparietales Netzwerk
INS
Insula
MB-EAT
Mindfulness-Based Eating Awareness Training
MBCP
Mindfulness-Based Childbirth and Parenting
MBCT
Mindfulness-Based Cognitive Therapy
MBI
Mindfulness-Based Intervention
MBRP
Mindfulness-Based Relapse Prevention
MBSR
Mindfulness-Based Stress Reduction
MCI
leichte kognitiver Beeinträchtigung
MOFC
medialer orbitofrontaler Cortex
MPFC
medialer präfrontaler Cortex
MRT
Magnetresonanztomografie
MW
Mind Wandering
NKCA
Aktivität der natürlichen Killerzellen
PACC
prägenitaler anteriorer cingulärer Cortex
PCC
posteriorer cingulärer Cortex
PET
Positronen-Emissions-Tomographie
PFC
präfrontaler Cortex
SAD
soziale Angststörung
SIY
Search Inside Yourself
SIYLI
Search Inside Yourself Leadership Institute
SN
Salienz-Netzwerk
SOXT
Speicheloxytocin
TAA
Training Achtsamkeit am Arbeitsplatz
ToM
Theory of Mind
VACC
ventraler anteriorer cingulärer Cortex
VBM
Voxel-basierte Morphometrie
RCC
randomisierte Kontrollgruppe
1.1 Vorwort
Achtsamkeitstraining und Meditation haben eine positive Wirkung, die ich selbst schon erleben durfte. Gerade in Zeiten von belastendem Stress oder schwieriger persönlicher Momente ermöglicht mir Meditation, in einen ausgeglicheneren und ruhigeren Zustand zu gelangen. Auch wenn ich noch nicht auf viele Jahre Praxiserfahrung zurückblicken kann, ist die Wirkung für mich spürbar. Überraschend war für mich, als ich zum ersten Mal von neurowissenschaftlichen Studien zu Achtsamkeit gehört habe. Das war noch vor meinen ersten eigenen Praxiserfahrungen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich das in die Schublage „Esoterik“ einsortiert. Ich begann, mich mit Jon Kabat-Zinn und seinen Erkenntnissen zu beschäftigen. Durch ein späteres Seminar bei Prof. Dr. Tobias Esch wurde mir langsam klar, welche entscheidende Rolle „mindful based interventions“ (MBI) für die psychische Gesundheit und damit auch für Unternehmen spielen könnten. So beschloss ich, meine Masterarbeit zum Erwerb des Titels „Master of cognitive Neuroscience (aon)“ der Frage des wissenschaftlichen Nachweises der Wirksamkeit von Achtsamkeitstraining und Meditation zu verfassen.
Durch meine Mitgliedschaft im „Mindful Business Circle“, der sich zum ersten Mal im März 2020 in der Nähe von Berlin traf, habe ich Kontakt zu vielen Personen, die in kleinen und größeren Unternehmen das Thema Achtsamkeit verantworten und begleiten. Sie bestätigen ausnahmslos, welche positiven Effekte in den Unternehmen zu spüren sind. Die subjektiven Erfahrungen von drei Unternehmen habe ich in die Masterarbeit einfließen lassen.
Begutachtet wurde diese Arbeit von Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth und mit „sehr gut (1,0)“ bewertet.
1.2 Abstract
Die Unternehmenswelt hat seit einigen Jahren Achtsamkeit und Meditation als potenzielles Allzweckmittel gegen Stress und für mehr Leistungsfähigkeit entdeckt. Achtsamkeitstraining hat so vielerorts Einzug in Leadership-Programme und das betriebliche Gesundheitsmanagement gehalten. Auch die Zahl der Publikationen zu Wirkmechanismen von achtsamkeitsbasierten Interventionen ist rasant gestiegen.
Diese Arbeit gibt einen kurzen historischen Überblick über MBI vom Ursprung im Buddhismus bis zum säkularisierten Einsatz in Unternehmen. Sie erläutert die neurobiologische Basis von MBI und dessen Zusammenhang mit Systemen wie zum Beispiel dem Default-Mode-Netzwerk, dem Salienz-Netzwerk oder dem exekutiven Netzwerk. Anhand von wissenschaftlichen Studien und Übersichtsarbeiten wird dargelegt, dass in einzelnen Bereichen vielversprechende Erkenntnisse zu Wirkmechanismen von MBI gewonnen wurden, gerade aber im unternehmerischen Kontext zu wenige qualitativ ausreichende Studien vorliegen, um alle von den Praktizierenden beschriebenen positiven Effekte wissenschaftlich zu untermauern.
Drei Beispiele aus der unternehmerischen Praxis zeigen, wie MBI aktuell in diesen Unternehmen umgesetzt wird und welche positiven Erfahrungen damit gemacht wurden. Im Gesamtbild zeigt sich Achtsamkeitstraining in Unternehmen als vielversprechende Intervention gegen Stress und für mehr Wohlbefinden der Mitarbeitenden, wobei auch deutliche Hinweise auf andere positive Effekte für Menschen und Unternehmen vorliegen.
2 Einführung
Die Unternehmenswelt hat seit einigen Jahren Achtsamkeit als potenzielles Wundermittel gegen Stress und für mehr Leistungsfähigkeit entdeckt. Achtsamkeitstraining, im Folgenden auch als MBI (Mindfulness-Based Intervention) bezeichnet, hat so Einzug in Leadership-Programme und das betriebliche Gesundheitsmanagement gehalten.
Google Trends, ein Analyse-Werkzeug zur Ermittlung des Suchaufkommens in der Suchmaschine Google, zeigt, wie die weltweite Nachfrage des Begriffs ‚Mindfulness‘ innerhalb der letzten sieben Jahre gestiegen ist. Zwischen Juni 2004, als das geringste Suchaufkommen verzeichnet wurde, und April 2020, als der Maximalwert erreicht wurde, ist die Nachfrage um das 14-Fache gestiegen (Abb. 1).1
Abb. 1: Weltweites Suchergebnis Google Trends zum Begriff ‚Mindfulness‘ Stand 28.12.2020. Quelle: GOOGLE TRENDS (2020)
Auch die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen steigt in den letzten Jahren deutlich an. Die erste Achtsamkeitsmeditation thematisierende Veröffentlichung, die in der National Library of Medicine der USA (pubmed.gov) auffindbar ist, stammt von Jon Kabat-Zinn und erschien im Jahr 1982. Sie beschreibt theoretische Überlegungen und erste Ergebnisse seines ambulanten verhaltensmedizinischen Programms für chronische Schmerzpatienten auf Basis von Achtsamkeitsmeditation.2 3
Ende 2020 weist PubMed 8.309 Suchergebnisse aus, die den Begriff ‚Mindfulness‘ im Titel oder Abstract beinhalten, 99 % davon in den letzten zehn Jahren. Im Jahr 2020 gab es mit 1.581 Suchergebnissen die höchste Anzahl an dort auffindbaren Publikationen (Abb. 2).
Abb. 2: Suchergebnis PubMed zum Begriff ‚Mindfulness‘ in Title/Abstract, Stand 28.12.2020. Quelle: PUBMED (2020)
Doch es mehren sich auch vorsichtige und kritische Stimmen, die vor einer Überinterpretation der bisherigen Erkenntnisse warnen.4 5 Viele Studien würden unter geringer methodischer Qualität leiden und sich mit spekulativen Post-hoc-Interpretationen präsentieren, so zum Beispiel Tang u. a. 2015.6
Ziel dieser Arbeit ist es, unterschiedliche Wirkungsbereiche zu untersuchen, zu denen wissenschaftliche Studien in Bezug auf Meditation und Achtsamkeitstraining vorliegen. Dabei stehen die Wirkmechanismen im Fokus, die im unternehmerischen Kontext von Relevanz sind. Berücksichtigt werden auch klinische Wirksamkeitsstudien mit eher medizinischem Hintergrund und experimentelle Laborstudien, da die Zahl qualitativ ausreichender Untersuchungen zum betrieblichen Kontext eher gering ist.7
Ergänzend zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen wird ein Blick auf die Praxis am Beispiel von drei größeren Unternehmen geworfen, wobei zu eruieren ist, ob sich die dortigen Praxiserfahrungen mit den Ergebnissen der aufgeführten Studien decken.
1 GOOGLE TRENDS (2020).
2 PUBMED (2020).
3 Vgl. KABAT-ZINN, J. (1982), S. 33.
4 Vgl. VAN DAM, N. T. u. a. (2017), S. 36.
5 Vgl. SCHINDLER, S. (2020), S. 111.
6 Vgl. TANG, Y. u. a. (2015), S. 10.
7 Vgl. HÖLZEL, B. (2020).
3 Meditation und Achtsamkeit im unternehmerischen Kontext
Schon unsere frühesten Vorfahren, die ersten Vertreter des Homo sapiens, kannten Meditations- und Entspannungsverfahren, die sie rituell praktizierten.8 Sie sind ebenfalls zentraler Bestandteil der über 2500 Jahre alten buddhistischen Lehre und nun, im 21. Jahrhundert, auch in den Unternehmen dieser Welt angekommen. Das Wesen von Lehre und Praxis der Meditation sei von universellem Charakter und werde immer mehr zum geistigen Gemeingut unserer Gesellschaft, so Jon Kabat-Zinn, der die Prinzipien der Achtsamkeit in den 1970er Jahren in die westliche Medizin einführte.9
Während die Auswirkungen von MBI im medizinischen Kontext seit über 30 Jahren wissenschaftlich untersucht werden, steht die qualitativ ausreichende Erforschung im Unternehmenskontext noch am Anfang. Für eine qualitativ ausreichende Studie ist es erforderlich, Studienteilnehmer zufällig einer Interventionsgruppe und einer Kontrollgruppe zuzuordnen. Im besten Fall erhält die Kontrollgruppe ebenso eine aktive Intervention, die einem Achtsamkeitsprogramm ähnlich ist, aber eben keine Achtsamkeit beinhaltet. So können unspezifische Effekte wie zum Beispiel Interaktionen in der Gruppe oder Aufmerksamkeit durch einen Trainer kontrolliert werden. Auch die Teilnehmer des Kontrollprogramms sollten eine gute Wirkung erwarten, um die meist sehr einflussreichen Erwartungseffekte berücksichtigen zu können. Da Fragebogendaten oft starken Effekten wie sozialer Erwünschtheit oder Erwartungseffekten ausgesetzt sind, sollten möglichst objektive Variablen erhoben werden, zum Beispiel physiologische Daten oder Leistungsparameter.10 In dieser Arbeit werden daher auch Studien berücksichtigt, die MBI in einem medizinischen Kontext betrachten.
3.1 Die Definition und Geschichte von Achtsamkeit
Der Begriff ‚Achtsamkeit‘ wird in zahlreichen unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet und kann so auch durchaus verschiedene Bedeutungen aufweisen. Im Englischen wird das Wort ‚Mindfulness‘ verwendet, das möglicherweise treffender ist als ‚Achtsamkeit‘ und auch mit ‚Geistesklarheit‘ übersetzt werden könnte. Achtsam zu sein, bedeutet für viele im alltäglichen Sprachgebrauch, eher ‚vorsichtig zu sein‘ oder ‚aufzupassen‘, also eine dispositionelle Achtsamkeit, die sich allerdings von der hier behandelten Achtsamkeit unterscheidet.
Seinen Ursprung hat der Begriff ‚Achtsamkeit‘ im Buddhismus und ist somit über 2500 Jahre alt. Das älteste schriftliche Dokument, in dem Achtsamkeit Erwähnung findet, ist der Pali-Kanon. Er gehört zum ältesten Schriftgut des Theravāda-Buddhismus, der ältesten noch existierenden Schultradition des Buddhismus, und wurde im 1. Jahrhundert vor Christus auf Basis zuvor nur mündlich überlieferter Lehrreden des historischen Buddha Gautama handschriftlich festgehalten.11 Achtsamkeit wird in der indischen Schriftsprache Pali mit dem Wort ‚sati‘ übersetzt. Buddha spricht im Pali-Kanon von den vier Säulen der Achtsamkeit, die auch als Grundlagen oder ‚Gegenwärtighaltungen‘ bezeichnet werden: die Betrachtung des Körperlichen, die Betrachtung der Gefühle, die Betrachtung des Bewusstseins und die Betrachtung der Geistobjekte.12
Der 1901 in Hanau geborene buddhistische Mönch Nyanaponika hat während seiner Internierung im Zweiten Weltkrieg in einem nordindischen Lager Texte aus dem Pali-Kanon ins Deutsche übersetzt und kommentiert. Seiner Auffassung nach stellt das Thema Achtsamkeit in einem derart hohen Maß den Inbegriff der buddhistischen Heilslehre dar, dass Buddha davon als den einzigen Weg sprach, um das höchste Ziel zu erreichen: die endgültige Aufhebung von Gier, Hass und Verblendung, sich von allem Leid zu lösen. Buddha soll laut Nyanaponika Achtsamkeit als „Helfer für alles“ bezeichnet haben, doch gehe es dabei nicht um Erfolg in weltlichen Angelegenheiten, sondern vielmehr um die „Gewinnung des erlösenden Klarblicks“.13