Mismatch - Laura Willud - E-Book

Mismatch E-Book

Laura Willud

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Beschreibung

Er will einfach nur vergessen. Ihr Job ist es, all seine Geheimnisse zu lüften. Austin Fields ist der neue Spitzenspieler der College-Basketballmannschaft der Hopeville University. Nach dem Umzug in die Kleinstadt will er ein für alle Mal mit seiner Vergangenheit abschließen – wenn nur diese ebenso hübsche wie hartnäckige Sportjournalistin aufhören würde, Fragen zu stellen. Denn sein dunkelstes Geheimnis scheint ihm bis hierher gefolgt zu sein … Joyce Reed ist eine angehende Sportjournalistin, wird als Frau aber nicht richtig ernst genommen. Da kommt es ihr gerade recht, dass der neue Star der Hopeville Dragons Geheimnisse zu verbergen scheint. Die perfekte Gelegenheit, sich zu beweisen. Doch als sie die Wahrheit erfährt, ändert das alles. Eine Sports-Romance zum Wohlfühlen: ein kleiner Ort, eine kuppelnde Oma und ein grumpy Basketballspieler mit einem dunklen Geheimnis.

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Seitenzahl: 452

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Laura Willud

Mismatch

Roman

 

 

 

Über dieses Buch

ER WILL EINFACH NUR VERGESSEN.

Austin Fields ist der neue Spitzenspieler der College-Basketballmannschaft der Hopeville University. Nach dem Umzug in die Kleinstadt will er ein für alle Mal mit seiner Vergangenheit abschließen – wenn nur diese ebenso hübsche wie hartnäckige Sportjournalistin aufhören würde, Fragen zu stellen. Denn sein dunkelstes Geheimnis scheint ihm bis hierher gefolgt zu sein …

 

IHR JOB IST ES, ALL SEINE GEHEIMNISSE ZU LÜFTEN.

Joyce Reed ist eine angehende Sportjournalistin, wird als Frau aber nicht richtig ernst genommen. Da kommt es ihr gerade recht, dass der neue Star der Hopeville Dragons Geheimnisse zu verbergen scheint. Die perfekte Gelegenheit, um sich zu beweisen. Doch als sie die Wahrheit erfährt, ändert das alles.

Er ist der Rivale ihres Bruders. Sie ist die Frau, die seinen Neuanfang zunichte machen könnte. Der charmante Auftakt zur Hopeville-Dragons-Dilogie von Laura Willud punktet mit Gefühl, Humor und Spannung.

 

Eine Sports-Romance zum Wohlfühlen: ein kleiner Ort, eine kuppelnde Oma und ein grumpy Basketballspieler mit einem dunklen Geheimnis.

Vita

Laura Willud, geboren 1997, wuchs in Niedersachsen auf und lebt mittlerweile in Zürich. In ihrer Jugend spielte sie selbst lange in einem Basketballverein. Mit ihren Büchern über die College-Basketballmannschaft der Hopeville Dragons erfüllte sie sich einen Autorinnentraum. Neben dem Schreiben und Lesen verbringt sie ihre Freizeit am liebsten beim Sport oder Bergwandern. Außerdem bloggt sie auf Instagram gemeinsam mit einer Freundin über Bücher und betreibt ihren eigenen Account @laurawillud.autorin.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2025

Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung Kelley McMorris

ISBN 978-3-644-02328-4

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Für F

Weil sich große Träume sehr viel realistischer anfühlen, wenn sie jemand befeuert

Playlist

The Man – Taylor Swift

Secrets – OneRepublic

fuck, i’m lonely – Lauv, Anne-Marie

Something’s Gonna Kill Me – Corey Kent

Stutter – Granger Smith

Heartfirst – Kelsea Ballerini

The Alchemy – Taylor Swift

Soul – Lee Brice

feelslikeimfallinginlove – Coldplay

Kiss Me – King Henry, Sasha Alex Sloan

Question …? – Taylor Swift

Cowboys Cry Too (with Noah Kahan) – Kelsea Ballerini, Noah Kahan

Healing (Shattered Heart) – Kygo, Jonas Brothers

How Do I Do This – Kelsea Ballerini

Dates in Pickup Trucks – Kassi Ashton

Skyline – Khalid

50 Shades of Pink – We Three

Shower – Becky G

Fall Into Me – Forest Blakk

Brave – Ella Henderson

Kapitel 1

Austin

«Fields und Reed! Ich will ein vernünftiges Eins-gegen-eins von euch sehen!», brüllt mein neuer Coach. Schweiß tropft mir von der Stirn, mein Atem geht stoßweise. Dieses Training soll mich auf die Probe stellen.

Es ist meine gerechte Strafe. Wobei gerecht eigentlich nicht ganz treffend ist. Ich habe die Strafe verdient, ja. Nur ist sie nicht hoch genug. Was ich getan habe, kann nicht wiedergutgemacht werden. Mir das einzugestehen, ist genauso niederschmetternd wie schmerzhaft. Trotzdem hilft der Gedanke auf eine seltsame, masochistische Art und Weise.

«Wird’s endlich, Fields?!», schreit der Coach noch lauter und holt mich zurück in die stickige Sporthalle. Ich setze mich sofort in Bewegung.

Neue Stadt, neues College, neues Team. Mein selbst gewähltes Exil. Das Einzige, das gleich bleibt, ist das Spiel. Und darin bin ich gut. Auch wenn es Momente gibt, in denen ich wünschte, es wäre anders. Doch diese Augenblicke sind eigentlich Heuchelei. Ohne Basketball wäre ich nicht hier. Und damit meine ich nicht nur hier, in dieser Halle. Ich würde vermutlich in irgendeinem Aushilfsjob festhängen und meinen Chef um den Mindestlohn anbetteln. Ein Collegebesuch wäre unwahrscheinlich gewesen, meine Perspektiven beschränkt. Ich habe diesem Sport ähnlich viel zu verdanken, wie er mir genommen hat.

Wir werfen von der Drei-Punkte-Linie um den Ballbesitz. Reed ist ein guter Werfer, aber das hier, genau diese Position, ist mein Spezialgebiet. Zweimal hintereinander treffen wir beide, dann vergibt mein neuer Teamkollege einen Wurf, und ich gewinne den ersten Ballbesitz. Reed übergibt mir mit starrer Miene den Ball, und es geht los. Ich bin mir der neugierigen Blicke des Teams die ganze Zeit über bewusst. Sie wollen wissen, ob ich so gut bin, wie es sich alle erhoffen. Wenn jemand aus einer High-Major-Liga in eine Mid-Major-Liga wechselt, sind die Erwartungen hoch. Auch Coach Soto nimmt mich genau unter die Lupe. Ich werde mich hier neu beweisen müssen, auch wenn ich behaupten würde, einen kleinen Vertrauensvorschuss zu genießen.

Ich täusche an, zum Korb zu ziehen, schließe dann aber mit einem Sprungwurf ab. Reed ist eine Millisekunde zu spät, sonst hätte er den Treffer vielleicht verhindern können. Dieses Manöver funktioniert noch ein zweites Mal, dann wird es schwieriger. Er ist verdammt gut. Kein Wunder, dass er in den letzten beiden Jahren die Punktestatistik der Hopeville Dragons angeführt hat. Sobald ich ihn in den Ballbesitz kommen lasse, habe ich schlechte Karten. Also versuche ich das mit aller Kraft zu verhindern.

Reed ist nicht zimperlich auf dem Spielfeld. Immer wieder bekomme ich einen vor den Augen des Coaches geschickt verborgenen Ellenbogen ab. Langsam beschleicht mich das Gefühl, dieses Match hier sei etwas Persönliches für ihn. Dabei sind wir uns vor diesem ersten Training noch nie begegnet.

Mir fehlen noch zwei Punkte zum Sieg, als Reed mir im Dribbling auf Höhe der Drei-Punkte-Linie den Ball abnimmt. Fuck. Mit einem selbstgefälligen, aber konzentrierten Grinsen dribbelt er links an mir vorbei. Ich höre das Leder durch das Netz schnellen, ehe ich mich überhaupt umdrehen kann. Unser Match bleibt bis zum letzten Punkt spannend. Ein vergebener Wurf bringt den Ball zurück in meinen Besitz. Der Basketball rotiert um den Ring, und obwohl es nur ein Trainingsspiel ist, ändert es nichts an der aufgeregten Spannung in meiner Brust.

Der Ball geht rein, sein lautes Aufprallen auf dem Parkett signalisiert das Ende des Spiels.

Ich atme auf.

«Gut gespielt, Jungs!», lobt uns der Coach und erklärt das Training für beendet. Sonderlich gut scheint mein neuer Kapitän die knappe Niederlage nicht wegzustecken. Mein Versuch, Reed abzuklatschen, wie es eigentlich üblich ist, endet in einer peinlichen Abfuhr. Er würdigt mich nicht mal eines Blickes, als er an mir vorbeigeht.

Vielleicht wäre es cleverer gewesen, ihn gewinnen zu lassen. Allerdings konnte ich so was noch nie. Was in Chicago geschehen ist, hemmt mein Spiel, aber absichtlich Punkte zu verschenken, liegt nicht in meiner Natur.

Der Coach entlässt uns, und wir machen uns auf den Weg zu den Umkleidekabinen.

Es hat also nur ein einziges Training gedauert, um beim einflussreichsten Spieler des Teams in Ungnade zu fallen. Grandios, Austin, grandios. Als wären die Aussichten für dieses Jahr nicht schon beschissen genug gewesen.

«Das war echt ein starkes Match!», merkt ein Spieler neben mir an.

Nachdem ich fast zwanzig Minuten in das feindselige Gesicht von Reed geschaut habe, ist es erfrischend, mal etwas freundlicher angesprochen zu werden.

«Danke … Sorry, ich habe mir vorhin nicht alle Namen merken können», gebe ich zu. Mein Namensgedächtnis ist grottig. Keine zwei Sekunden, nachdem sich mir jemand vorstellt, vergesse ich den Namen meistens schon wieder.

«Willie», antwortet mein Mitspieler und löst den Zopf, mit dem er seine Dreadlocks am Hinterkopf zusammengebunden hat.

«Willie», wiederhole ich, in der Hoffnung, mich so besser erinnern zu können. «Ich bin Austin», stelle ich mich vor, auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass er das bereits weiß.

«Ey, Willie, komm mal her!»

«Der Chef ruft», entschuldigt sich Willie und lässt sich ein wenig zurückfallen, bis er bei Reed angekommen ist. Joshua Reed ist nicht nur der Kapitän dieser Mannschaft, er ist scheinbar auch der Typ, der alle Fäden zieht.

Mich spricht nicht eine einzige weitere Person an, während wir duschen, uns anziehen und die Kabine verlassen. Es ist mir recht. Freunde zu finden, steht auf meiner Prioritäten-Liste nicht weit oben.

Eigentlich steht es gar nicht darauf.

Gute Noten erzielen, beim Training und in den Spielen so viel geben, dass mein Platz im Team gesichert ist, und vergessen, was passiert ist – nur diese drei Dinge sind wichtig. Es sind die Ziele, von denen ich mich nicht abbringen lassen darf. Ich hänge mir die große Sporttasche über die Schulter und verlasse mit einem «Bye» in die Runde die Kabine.

Coach Soto steht noch in der Sporthalle und tippt auf seinem Tablet herum.

«Bis morgen, Coach!», verabschiede ich mich auch von ihm.

«Hey, Fields.» Er blickt von dem Bildschirm auf und sein ernster Blick trifft meinen. «Ich freue mich, dass du bei uns bist. Diese Saison könnte gut für die Dragons laufen – lass dich nicht unterkriegen. Manche der Jungs kommen mit Veränderungen nicht sonderlich gut zurecht, aber sie werden sich daran gewöhnen.»

Die Worte sind nett gemeint, seine Stimme ist trotzdem forsch. Möglicherweise kann man irgendwann nicht mehr allzu freundlich klingen, wenn man jeden Tag Leute anschreit, sie sollen sich schneller bewegen, besser verteidigen und endlich den verdammten Korb treffen.

«Mache ich nicht, Coach!», antworte ich und lächle vorsichtig, ehe ich die schwere Doppeltür der klimatisierten Sporthalle aufstoße und in die intensive Sonne Georgias hinaustrete.

Bei über dreißig Grad hätte ich mir die Dusche auch sparen können. Mein Körper fängt direkt wieder an zu schwitzen. Ein Problem, das ich in Chicago nicht gehabt hätte. Dort sind solche Temperaturen im September eher unwahrscheinlich.

Mein klappriges Fahrrad steht einsam und allein in dem dafür vorgesehenen Metallständer. Die meisten der Spieler sind im Wohnheim untergebracht, wohnen direkt in Campusnähe oder kommen mit ihren riesigen Pick-up-Trucks und Geländewagen zur Universität. Meine Unterkunft liegt allerdings fünf Kilometer entfernt, weswegen ich von nun an wohl noch eine kleine Kardio-Einheit nach meinem eigentlichen Training absolvieren darf.

Weil ich den Weg noch nicht so gut kenne, tippe ich meine neue Adresse ins Handy ein und fahre erst dann los.

Den ersten Tag habe ich überstanden. Mehr oder weniger erfolgreich. Denn auch wenn der Collegetag rum ist, ist da noch meine neugierige Mitbewohnerin, die sicherlich alles bis ins kleinste Detail berichtet haben möchte. Meine neugierige Mitbewohnerin aka Grandma.

Kapitel 2

Joyce

Unser traditionelles Sushi-Dinner zum Semesterstart wird durch das geräuschvolle Zuknallen der Haustür unterbrochen.

«Da scheint jemand einen fantastischen ersten Tag gehabt zu haben», stelle ich sarkastisch fest.

Lori, die neben mir sitzt und sich mit ihren Essstäbchen über die letzte Sushi-Rolle auf ihrem Teller beugt, zuckt nur mit den Schultern. «Vielleicht war das keine Absicht, sondern nur der Wind.»

Meine beste Freundin glaubt es selbst nicht. Das leichte Zucken ihrer Mundwinkel verrät sie.

«Für mich klang das eher nach zu viel Testosteron», erwidere ich und spieße mit meiner Gabel wenig elegant ein Stück Avocado-Maki auf. Noch bevor ich es runterschlucken kann, kommt eine herbe Duschgel-Wolke in das Wohnzimmer geschwebt. Oder eher gepoltert.

Ein Blick auf den Tisch, und das Gewitter bricht aus.

«Ist das euer Ernst? Mehr habt ihr mir nicht übrig gelassen?» Mein großer Bruder steht mit noch feuchten Locken im Raum und deutet finster auf das restliche Sushi. Viel ist es tatsächlich nicht mehr. Lori und ich waren ziemlich hungrig.

«Du bist eine Viertelstunde zu spät. Was hast du erwartet?», ärgere ich ihn, weil es einen unglaublichen Spaß macht und es als kleine Schwester auch irgendwie zu meinen Aufgaben gehört.

«Deine Portion steht noch in der Küche», deeskaliert Lori die Situation. Wie immer. Manchmal fehlt sie als Puffer in unserer Wohngemeinschaft. Im ersten Semester hat sie für ein paar Wochen mit in unserer Wohnung gelebt. Es gibt nur zwei Schlafzimmer, weswegen sie solange mit in meinem Bett geschlafen hat. Ich hatte damit überhaupt kein Problem. Wir sind seit der Middleschool beste Freundinnen, und ich würde sogar eine Abstellkammer unter der Treppe mit ihr teilen. Doch auf Dauer wurde es ihr etwas zu eng.

Sie gibt es nicht zu, aber ich glaube, Joshua ist damals der echte Grund hinter ihrem Auszug gewesen. Er kann ein ziemlich nerviges Arschloch sein. Und das sage ich, obwohl er mein Bruder ist und ich ihn liebe. Als dann zur Mitte des Semesters ein Zimmer im Wohnheim frei wurde, ist sie ausgezogen. Die meisten Nachmittage und Abende verbringt sie dennoch hier.

«Danke, Lori», antwortet mein Bruder übertrieben freundlich und wirft einen finsteren Seitenblick in meine Richtung. Dann verschwindet er in die Küche, um sich das restliche Festtagsmahl zu holen.

Wenige Sekunden später sitzt er mir gegenüber an dem runden Glastisch und malträtiert sein Sushi. Ich studiere sein Gesicht und versuche zu ergründen, ob ich es mit der Frage, die mir auf den Lippen liegt, zu weit treiben würde.

«Frag schon», fordert er mich brummend auf, ohne vom Teller aufzusehen. Heute war für Joshua nicht nur der erste Unitag, sondern auch das erste Basketballtraining in diesem Semester. Und es gibt einen neuen Mitspieler bei den Hopeville Dragons.

«Wie ist Austin Fields?»

«Der Typ ist ein arrogantes Arschloch», murmelt Josh mit vollem Mund.

Gleich und gleich gesellt sich anscheinend nicht so gern.

«Dann ist er also gut?», hake ich nach und kassiere einen mahnenden Blick von meiner Freundin, den ich allerdings nur im Augenwinkel wahrnehme.

«Nicht so gut wie ich», antwortet Joshua und sieht auf. Der Ausdruck, der auf seinem Gesicht liegt, ist nicht schwer zu deuten. Er ist entschlossen. Er ist bereit, seinen Titel als wichtigster Spieler des Teams zu verteidigen.

Es ist der erste Tag des Semesters – und doch deutet alles darauf hin, dass es ein äußerst spannendes Halbjahr wird.

«Und? Wie lief es bei euch heute?», erkundigt sich mein Bruder schließlich. Vermutlich nur, um nicht weiter von mir gelöchert zu werden.

«Bei uns ist noch nicht viel passiert. Die meiste Zeit ging es um organisatorische Dinge», antwortet Lori und tunkt ihr letztes Stück Sushi in die Schüssel mit der Sojasoße.

«Keine Bastelstunde heute?» Josh sieht etwas herausfordernd vom Teller auf. Seine Miene ist nun weniger finster. Lori studiert Lehramt. Ihr Studium beinhaltet deswegen ab und an auch kreative Bastelarbeit, um Kindern den Lehrstoff so interaktiver beibringen zu können. Etwas, das ich sehr bewundere. Erstens machen Kinder mir Angst, zweitens ist Fingerfertigkeit nicht gerade meine größte Stärke.

«Sehr witzig. Nein, keine Bastelstunde heute.» Kurz denkt sie darüber nach. «Dafür aber bestimmt morgen bei Professorin White.» Unser Lachen lockert die angespannte Stimmung im Raum.

«Ich hatte heute einen neuen Dozenten», beginne ich von meinem ersten Tag zu erzählen. «Er war vor ein paar Jahren ein hohes Tier bei CNN. Sein Lebenslauf ist ziemlich beeindruckend. Ich glaube, es ist endlich jemand, der uns richtig wertvolle Eindrücke aus der Praxis geben kann und mit Sicherheit noch Verbindungen in der Branche hat, die uns Türen öffnen könnten.»

«Pass auf, du sabberst», kommentiert Joshua meine Begeisterung trocken und erntet damit einen rechten Mittelfinger von mir. Ich liebe mein Studium eben und will jede Chance nutzen, die sich mir dadurch bietet. Sportjournalistin zu werden, war mein Traum, seit ich ein Kind war und mit meinem großen Bruder Basketballspiele geschaut habe. Joshua wollte einer der berühmten Spieler sein, ich die Person, die das Spiel kommentiert oder darüber berichtet. Diejenige, die Interviews mit den Spielern führt, herausfindet, was sie dazu bewegt hat, den Ball im genau richtigen Moment doch noch abzuspielen, statt selbst zu werfen.

Für meinen Bruder hingegen ist sein Studium nur eine Bürde, die er tragen muss, um Basketball spielen zu können. Außerdem sein Plan B, den er eigentlich verabscheut.

Die sichere Alternative.

Unser ausgeprägter Ehrgeiz und die Liebe zum Sport sind zwei der wenigen Gemeinsamkeiten, die wir teilen.

Zumindest was die Charaktereigenschaften betrifft. Optisch betrachtet können wir wohl nicht verleugnen, dass wir Geschwister sind. Unsere Haare haben den gleichen dunkelblonden Farbton, nur dass Josh mehr von der lockigen Haarstruktur unseres Vaters geerbt hat. Haselnussbraune Augen haben wir beide, eine athletische Figur, die gleiche ovale Gesichtsform.

«Hat Coach Soto eigentlich erwähnt, dass ich bei eurem Training nächste Woche Interviews führen werde?»

«Es ist der erste Collegetag. Wann zum Teufel hast du das eingefädelt?», antwortet Josh kopfschüttelnd.

«Ich habe ihm heute Morgen vor meinem ersten Kurs einen Besuch abgestattet. Er hat sich sehr gefreut, mich zu sehen.»

«Das bezweifle ich. Viel wahrscheinlicher ist, dass er sich gefreut hat, deine Bestechungsversuche in Form von Donuts zu kosten», stichelt mein Bruder.

«Darüber lässt sich streiten. Fakt ist jedenfalls: Ich habe sein Wort und darf mir jeden Spieler für ein paar Fragen ausleihen. Auch Austin Fields», ärgere ich ihn nun.

«Falls er in einer Woche noch im Team sein sollte.» Er murmelt den Satz leise, eher zu sich selbst. Doch den entschlossenen Ausdruck in seinen Augen kenne ich genau.

Kapitel 3

Austin

Meine Großmutter wartet bereits auf der Veranda auf mich, neben ihr ein Liebesroman und eine Kanne mit selbst gemachter Zitronenlimonade inklusive zweier Becher. Ihr grau-blondes Haar ist zu einem Knoten zusammengebunden und die großen, himmelblauen Ohrstecker haben die gleiche Farbe wie ihre Bluse. Ich winke ihr zu und fühle mich nach dem katastrophalen Training direkt etwas besser.

Das T-Shirt klebt mir am Körper, und ich frage mich, wie sinnvoll es war, vor meiner Fahrradfahrt nach Hause in der Sporthalle zu duschen. Denn eine halbe Stunde später sehne ich mich schon nach der nächsten Abkühlung.

«Limonade?», fragt Grandma aufmunternd. Auch wenn wir nicht darüber gesprochen haben, weiß sie, wie wenig Lust ich auf diesen ersten Tag hatte.

«Gern.» Ich lasse meine Sporttasche vor der Tür fallen und setze mich auf den Hocker, der gegenüber von dem Schaukelstuhl meiner Großmutter steht.

Sie reicht mir einen der beiden Becher, den sie fast bis zum Überlaufen gefüllt hat. «Lief es schlimmer oder besser, als du erwartet hast?»

Einen Moment muss ich über ihre Frage nachdenken und nehme einen Schluck von dem süßsauren Getränk. Viel Zeit, den Tag Revue passieren zu lassen, hatte ich bisher nicht. Mein Programm war ziemlich straff, und während der Fahrt nach Hause war ich ausreichend damit beschäftigt, mich nicht zu verfahren.

«Die Dozenten waren nicht übel und das College an sich ist ganz schön. Das Training … Na ja.»

Natürlich lässt sie mich mit dieser kargen Antwort nicht durchkommen. Fragend legt sich ihre Stirn in Falten.

«Der Coach scheint echt kompetent zu sein. Er hat Hoffnung auf die Meisterschaft in dieser Saison, und auf seine eigene Art und Weise wirkt er auch sympathisch.» Ich überlege, wie viel ich mit ihr teilen sollte. «Das Team hingegen, besonders der Kapitän, scheint sich nicht sonderlich über meinen Wechsel nach Hopeville zu freuen.»

«Zeig ihnen einfach, was für ein toller junger Mann du bist. Auch abseits des Spielfeldes. Vielleicht sind sie nur skeptisch, weil sie dich nicht einschätzen können. Wenn du offen an die Sache herangehst, findest du bestimmt schnell Freunde.»

«Ich will keine Freunde finden, Granny. Ich muss einfach diese letzten zwei Jahre überstehen, irgendwie im Team bleiben, mein Stipendium behalten und einen guten Abschluss machen.»

«Austin …», ihr Blick ist tadelnd, und ich weiß, dass wir bei diesem Thema nicht einer Meinung sind. «Du hattest immer viele Freunde, du bist kein einsamer Wolf, dem es allein am besten geht. Du wirst die Kontakte vermissen. Lasse dich auf die neue Situation ein und quäle dich nicht mit dieser selbstauferlegten Isolation», rät sie mir.

Nur, weil ich in der Vergangenheit ein eher extrovertierter Typ mit einer großen Freundesgruppe war, heißt es doch nicht automatisch, dass ich alleine nicht klarkommen würde. Es ist ja nicht für immer. Zwei Jahre. Dann kann ich dem Druck, den der Sport mit sich bringt, entkommen und niemand wird sich dafür interessieren, warum ich vor meinem dritten Jahr das College gewechselt habe. Die Angst wird verschwinden, und vielleicht werden meine Dämonen das irgendwann auch. Es ist jedenfalls die beste Chance, die ich habe.

«Ich bin nicht isoliert. Mit dir spreche ich doch jeden Tag», versuche ich mich aus der Affäre zu ziehen.

«Auch wenn ich mich unfassbar doll freue, dass du hier bist und das Gästezimmer endlich mit etwas Leben füllst, sollte das nicht alles sein. Du brauchst Kontakte in deinem eigenen Alter. Du solltest auf wilde Collegefeten gehen, dich verlieben, von mir aus auch mal Drogen ausprobieren. Du solltest leben, mein Junge.»

«Keine Ahnung, was mich mehr irritiert: der Begriff Collegefete, oder, dass meine Großmutter mir empfiehlt, Drogen zu nehmen.»

«Ich mag eine gläubige Südstaatlerin sein, die mindestens einmal wöchentlich in die Kirche geht und Vorsitzende des Bingo-Clubs ist, aber ich war auch mal jung. Das Einzige, was ich damit sagen möchte, ist, dass das College der beste Ort ist, solche Erfahrungen zu machen. Fehler zu machen. Es ist komplizierter, wenn du irgendwann draußen in der großen weiten Welt bist», prophezeit sie mir.

Noch komplizierter? Das sind ja fantastische Aussichten. Wenn meine Großmutter mich mit dieser Ansprache motivieren wollte, ist sie kläglich gescheitert.

«Ich will nicht, dass irgendwer hier erfährt, was passiert ist. Mich von allen fernzuhalten, ist der sicherste Weg.»

«Dann sprich bitte wenigstens mit einem Therapeuten. Oder mit dem Pfarrer, Herrgott noch mal. Irgendwer, der dir helfen kann und bei dem es sicher unter Verschluss bleibt.»

«Eine Therapie kann ich mir nicht leisten, Grandma.» Und in einen Beichtstuhl werde ich mich sicher nicht setzen. «Das ist auch nicht nötig, ich werde das schon in den Griff bekommen.»

«Ich könnte dich bei den Rechnungen unterstützen», bietet sie an, obwohl wir beide wissen, dass ich dieses Angebot niemals annehmen würde. Ich bin mir bewusst, dass eine Therapie mir sicherlich nicht schaden würde. Gibt es überhaupt irgendeine Person auf diesem chaotischen Planeten, für die das nicht hilfreich wäre? Doch das muss warten. Zwei Jahre, bloß zwei verdammte Jahre, bis alles besser sein wird.

«Das kommt nicht infrage», sage ich deshalb. «Du tust schon mehr als genug, indem du mich hier wohnen lässt.»

Meiner Großmutter geht es gut. Sie hat dieses Haus, die Rente von ihr und meinem Großvater. Im Überschuss badet sie allerdings nicht.

Außerdem vermute ich schon länger, dass sie meinen Eltern ab und an finanziell unter die Arme greift. Ich wünschte, sie würde es nicht tun. Die beiden sind erwachsen und sollten langsam selbst zurechtkommen und nicht bei meiner viel zu gutherzigen Grandma um Unterstützung betteln, die sie nicht verdienen.

Meine Großmutter seufzt und greift nach ihrem Becher. Sie ist nicht überzeugt, kann aber einschätzen, wann eine Diskussion aussichtslos ist. Und dieses Gespräch haben wir nicht das erste Mal geführt. Bestimmt auch nicht das letzte Mal.

Eine Weile sitzen wir schweigend auf der Veranda, beide unser Glas mit der Limonade in der Hand, erwidern die Begrüßung von ein paar Nachbarn, die die Straße entlanggehen. Grandma scheint jeden Einzelnen von ihnen zu kennen, erzählt mir Geschichten über ihre Kinder und Enkel. Sie ist diese typische ältere Dame, die über alles in der Nachbarschaft Bescheid weiß. Als Außenstehender würde man vermuten, sie habe ihr ganzes Leben hier verbracht, nicht nur die letzten drei Jahre. Es ist schön, sie hier so fröhlich und zufrieden zu erleben. Nach dem Tod meines Großvaters und dem Umzug nach Hopeville hat sie sich noch mehr als zuvor in ehrenamtliche Arbeiten und den Nachbarschaftstratsch gestürzt, und ich glaube, das ist gut für sie. Sie hat so die nötige Ablenkung von dem Kummer, die Liebe ihres Lebens verloren zu haben.

«Ronald!», ruft Grandma plötzlich einem alten Mann zu, der mit einem struppigen Hund spazieren geht, und winkt ihn zu uns heran. Das warmherzige Lächeln in dem faltigen Gesicht erkenne ich erst, als er die Stufen zur Veranda hochkommt. Der Hund, vielleicht eine Art Schnauzer, hechelt laut und lässt die Zunge aus dem Maul hängen. Kein Wunder, die Hitze ist ja schon für uns kaum erträglich. Wie würde es mir wohl mit all dem Fell gehen? Und dieses Tier hat wirklich eine Menge davon.

«Carol, ich habe dich von der anderen Straßenseite aus gar nicht gesehen!»

«Ich habe dir schon vor Wochen gesagt, dass du mal wieder einen Sehtest machen solltest. Die Brille ist wohl kaum noch stark genug», tadelt meine Grandma und zeigt auf die Hornbrille mit der schmalen Fassung.

«Ach, die ist doch erst fünf Jahre alt, die macht bestimmt noch fünf weitere.» Bei dem ungläubigen Kopfschütteln meiner Großmutter kann ich ein Lachen kaum unterdrücken.

Grandma schielt zu mir herüber. «Ich habe dir doch von meinem Enkelsohn erzählt – Austin. Das ist er!», verkündet sie stolz.

Also erhebe ich mich und schüttle dem Herrn die Hand, mit der er nicht die Hundeleine umschlossen hält.

«Ronald. Schön, dich kennenzulernen, Austin.»

«Ronalds Enkelin studiert auch an der Hope. Vielleicht könnten wir euch ja mal miteinander bekannt machen.»

Oh Gott, wie verzweifelt muss ich wirken, dass meine Grandma Dates für mich organisieren möchte?

«Sie würde sich bestimmt freuen!» Ronald scheint ebenso begeistert von der Idee wie meine Grandma.

Verdammt, wie komme ich aus dieser Nummer raus? Wütend funkle ich Granny an, die meinen Blick vehement ignoriert. Es ist noch keine halbe Stunde her, dass ich ihr gesagt habe, mein Plan sei es, Abstand von sozialen Kontakten zu halten. Und nun bringt sie mich mit so einer Aktion in Verlegenheit?

«Na ja … Also … Wenn sie das wirklich gern möchte, könnt ihr meine Handynummer weitergeben», versuche ich, den Schaden etwas einzugrenzen. So kann ich zumindest hoffen, dass sich Ronalds Enkelin niemals bei mir meldet oder wir per Chat gemeinsam entscheiden, dass diese Aktion von unseren Großeltern sicher nett gemeint, aber absolut nicht nötig ist. Mich beschleicht das Gefühl, die beiden organisieren sonst direkt ein Blind Date für uns – mit einer Restaurantreservierung, einem Streichquartett und Blumen, die ich gezwungen werde, mitzubringen.

«Sie kommt am Sonntag zum Essen. Da werde ich sie direkt fragen.» Ronald strahlt bei dem Gedanken an die gemeinsame Zeit mit seiner Enkeltochter. Oder dem Sonntagsessen.

«Wunderbar!», antwortet meine Grandma begeistert, und ich brumme zustimmend, obwohl ich es überhaupt nicht wunderbar finde.

«Wir müssen dann mal weiter. Carol, wir sehen uns spätestens beim Bingo, richtig?»

«Natürlich.»

Ich winke zum Abschied in Ronalds Richtung, dann wende ich mich mit einem eindeutigen Blick meiner Großmutter zu, die unschuldig mit den Schultern zuckt und den letzten Schluck ihrer Limonade nimmt.

«Hältst du das nicht für ein wenig übergriffig, Granny?» Die Frage ist eher rhetorisch gemeint.

«Ich wollte nur behilflich sein», rechtfertigt sie ihr Verhalten. Und auch wenn es mich nervt, wie emsig sie darauf besteht, dass ich sozialen Anschluss bräuchte, weiß ich, dass sie es nur gut meint. Vielleicht braucht sie einfach etwas Zeit, um zu begreifen, warum ich so dringend auf Abstand gehen möchte. Zu verstehen, wie wichtig es für meine mentale Verfassung ist, unter dem Radar zu fliegen. Neuzugang bei den Hopeville Dragons zu sein, bringt schon genug Aufmerksamkeit mit sich.

Kapitel 4

Joyce

«Einen Kaffee mit Hafermilch und –»

«Karamellsirup», unterbricht mich die Barista, während sie nach meinem Mehrwegbecher greift, den ich ihr entgegenhalte. Sie arbeitet erst seit Beginn des Semesters im Brain Brew, dem einzigen Café, das der Campus zu bieten hat. Verflucht, das ging definitiv schneller als letztes Jahr.

«Keine Sorge, mir ist die Bestellung nur im Kopf geblieben, weil ich meinen genauso trinke», beruhigt sie mich. Mein Blick hat scheinbar Bände gesprochen. Sie hantiert hinter der Theke mit der Kaffeekanne.

«Puh, ein Glück. Ich dachte, ich hätte es nach einer Woche schon auf die Liste der Anonymen Kaffeejunkies geschafft.»

«Nein, nein. Wobei ich mit der Liste auch erst nach einem Monat beginne. Und mit deinem Becher würdest du sowieso Nachhaltigkeits-Bonuspunkte bekommen.» Das Geräusch, wie die Hafermilch und der wundervoll süße Sirup mit einem Plätschern in meinem Kaffee landen, ist wie Musik.

«Wow, ich hätte nicht gedacht, dass die Liste so viele verschiedene Faktoren berücksichtigt», antworte ich lachend und ein wenig erleichtert.

Diese Barista ist wirklich das absolute Gegenteil von ihrem Vorgänger. Einer der Mitarbeiter, der letztes Semester viel im Brain Brew gearbeitet hat, war von meinem Becher immer ziemlich genervt. Keine Ahnung, was sein Problem war, aber er tat stets, als sei mein Wunsch, keinen Einwegbecher zu benutzen, ein furchtbarer Mehraufwand. Er war außerdem gegen sämtliche meiner Versuche, ein freundliches Gespräch zu führen, vollkommen immun. Es ist toll, bei meinen täglichen Besuchen hier in ein freundliches Gesicht zu blicken.

«Ich bin übrigens Joyce», stelle ich mich vor, während ich mit meinem Handy bezahle.

«Kathleen. Schön, dich kennenzulernen», erwidert sie und reicht mir meinen duftenden Kaffee rüber.

«Gleichfalls. Ich muss leider weiter, habe es etwas eilig. Aber meine nächste Bestellung lässt bestimmt nicht lange auf sich warten.»

Sie strahlt mich an. «Bis dann!»

Das Koffein verfehlt seine Wirkung nicht. Energiegeladen und hoch motiviert betrete ich die Sporthalle. Die Jungs sind schon in Bewegung. Die Tür fällt laut hinter mir ins Schloss, weswegen der Coach von seinem Tablet aufblickt. Sein Gesichtsausdruck liegt immer irgendwo zwischen genervt und glücklich. Sehr seltsam, aber auch ziemlich liebenswert. Auf eine verschrobene, grimmige Art.

«Coach Soto! Wie schön, Sie zu sehen.»

«Ja, ja, bringen wir es hinter uns, Miss Reed.»

«Dann wollen Sie also direkt mit Ihrem eigenen Interview beginnen? Wunderbar!», nutze ich meine Chance sofort. Er scheint gedanklich kurz nach einer Ausrede zu suchen, gibt schließlich aber auf und kommt mir entgegen. «Ich habe gedacht, wir führen die Interviews am besten hier oben auf der Tribüne. Das Licht ist gut, und so stören wir das Training nicht.» Während ich ihm meinen Vorschlag unterbreite, deute ich auf die Ränge auf der Ostseite der Halle.

«Das Training wird durchaus gestört, wenn ständig ein Spieler fehlt», murmelt er. Ich ignoriere seinen Kommentar und gehe vor.

«Soll ich entscheiden, in welcher Reihenfolge das Team zu mir kommen soll, oder ist es besser für Sie, wenn Sie mir schicken, wen Sie gerade entbehren können?»

«Das Zweite.» Wortkarg wie immer. Tolle Aussichten für mein kleines Interview. Wobei ich mich nicht beklagen will. Coach Soto ist mit seinen knappen Antworten, die dafür aber stets auf dem Punkt sind, schon in der letzten Saison zu einem heimlichen Liebling vieler meiner Followerinnen und Follower geworden. Hintereinander steigen wir die Ränge hinauf. Mit schnellen Handgriffen hole ich das leichte, zusammenklappbare Stativ und meine Kamera aus meinem Rucksack und baue mein Set innerhalb weniger Augenblicke auf. Der Blick des Coaches wandert immer wieder auf das Spielfeld, um zu überprüfen, dass dort niemand zu faulenzen beginnt.

«Würden Sie sich hier einmal hinstellen?» Ich zeige mit dem Finger auf einen Punkt auf dem Boden, der den richtigen Abstand zur Kamera haben sollte. Im Hintergrund sind die vertrauten Geräusche vom Aufprallen des Balls, dem Quietschen der Schuhe, den leisen Stimmen des Teams zu hören, die einsilbig miteinander kommunizieren.

Ich überprüfe die Position mit einem Blick in die Kamera und beginne mit meinen Fragen. Die erste ist leicht, und noch bevor ich sie überhaupt gestellt habe, freue ich mich schon auf die Reaktion von Coach Soto.

«Wie lautet das Saisonziel in diesem Jahr?» Seine harte Fassade bröckelt wie erwartet für eine Millisekunde. An ihre Stelle treten der winzige Anflug eines Lächelns und ein Funkeln, das über seine Augen huscht.

«Die Meisterschaft», antwortet er dann schnell und vehement. Entschlossen. Alles in seinem Gesicht zeigt, für wie realistisch er die Meisterschaft in dieser Saison hält. Es liegt sicher nicht nur, aber bestimmt auch an dem Neuzugang der Dragons. Er stellt sich tapfer einer Frage nach der nächsten über die diesjährige Aufstellung und seine Trainingsansätze.

Coach Soto hat mir letzte Woche maximal fünf Minuten Gesprächszeit pro Person zugesichert, und ich werde seine Geduld nicht überstrapazieren, indem ich die Zeit zu sehr ausreize. Also entlasse ich ihn nach etwa vier Minuten Fragenhagel und beobachte das Geschehen auf dem Platz, ehe er mir den nächsten Spieler hochschickt.

Das Team absolviert gerade eine Art Zirkeltraining mit verschiedenen Stationen. Sprungübungen, Werfen, Sprints, Mobilitätsübungen, das volle Programm. Die meisten Spieler des Teams kenne ich. Zum einen, weil viele von ihnen Freunde meines Bruders sind, zum anderen, weil ich dank meiner Bestechungsversuche auch letzte Saison schon ein paar Behind-the-Scenes mit den Hopeville Dragons drehen durfte. Es gibt nichts, was Donuts nicht erreichen könnten. Zumindest wenn es um Soto geht.

Drei neue Gesichter sind nun allerdings dabei.

Zwei Jungs, die gerade ihr erstes Collegejahr begonnen haben, und natürlich Austin Fields. Unser neuer Starspieler, der sein hochrangiges Team in Chicago verlassen hat, um für Hopeville zu spielen. Als Journalistin weiß ich, dass sich da eine Story verbirgt. Eine Story, die ich definitiv aufdecken werde.

Ich sehe Austin zu, wie er sich mit Young, unserem Center-Spieler, einen schweren Medizinball hin und her passt. Seine gebräunten Arme sind angespannt, der Bizeps durch diese Bewegung betont. Schweiß tropft seinen Hals entlang auf seine Brust. Ich will gerade auf meinen Fragenkatalog schauen, da halten die beiden inne, vermutlich um gleich die Übung zu wechseln. In diesem Moment begegnen sich unsere Blicke. Austin mustert mich und zieht eine fragende Augenbraue hoch. Scheibenkleister, ich sollte wirklich nicht so offensichtlich starren.

«Joyce!», unterbricht Willie Jackson meine Gedanken. «Wie kann ich dir nur dafür danken, dass du mich für ein paar Minuten aus diesem Todes-Zirkel rettest?»

Ich habe ihn gar nicht zu mir hinaufkommen sehen, so gebannt war ich von dem Training. Ein Blick auf Austin verrät mir, dass er zur nächsten Trainingsstation weitergegangen ist, mit dem Rücken zu mir.

«Mit spannenden Antworten, hoffe ich.»

«Wie liegen meine Dreads? Alles in Ordnung? Der Coach hat uns schon ziemlich gequält heute!»

«Alles bestens. Wie immer», stelle ich mit einem kurzen Blick auf seine Haare fest. Willie gehört zu den sympathischsten Menschen, die ich kenne. Seltsamerweise versteht er sich sogar mit meinem nicht immer ganz leicht zu ertragenden Bruder ziemlich gut, weswegen er uns auch ab und an in der gemeinsamen Wohnung besucht.

«Okay, okay. Ich verlasse mich auf dein Urteil. Sollte ich mich auf Instagram allerdings mit einer komplett ruinierten Frisur sehen, wird das unsere Freundschaft sehr belasten.» Mit einem breiten Grinsen positioniert er sich auf dem richtigen Punkt. Meine Anweisung benötigt er dafür gar nicht. Er und die Kamera haben einfach immer einen guten Draht zueinander.

«Bereit?», frage ich, den Finger schon über dem Start-Knopf schwebend.

«War ich jemals nicht bereit?», wieder dieses gewinnende Strahlen. Dieses Mal schon nicht mehr exakt in meine Augen, sondern ein klein wenig höher in die Linse.

«Wie zufrieden bist du mit dem aktuellen Team der Dragons?»

«Wir haben definitiv ein paar wichtige Spieler verloren, weil sie ihren Abschluss gemacht haben. Auf der anderen Seite haben wir drei sehr starke Neuzugänge, die meiner bescheidenen Meinung nach mehr als ein gleichwertiger Ersatz sind. Die neuen Jungs sind stark, und auch das restliche Team ist in bester Verfassung. Ganz ehrlich: Das könnte unser Jahr werden.»

Schon jetzt bin ich mir sehr sicher, dass ich diesen Ausschnitt für mein geplantes Video nutzen werde. Willies Euphorie steckt bestimmt nicht nur mich an, sondern auch viele andere Sportbegeisterte. Die Fans der Hopeville Dragons werden den Beginn der Saison und das kommende Testspiel am Wochenende mit Sicherheit kaum erwarten können. Meine Nacht wird kurz, ich sehe es schon kommen. Bevor meinem koffeingetränkten Körper die Augen spätnachts oder eher frühmorgens zufallen werden, werde ich an dem Zusammenschnitt arbeiten. Denn ich brenne darauf, meine Accounts endlich wieder mit Input rund um mein Lieblingsteam zu füttern.

Willie versucht das Interview in die Länge zu ziehen, um noch weitere Zeit abseits des Zirkels zu schinden. Doch auch wenn ich Coach Soto nicht sehen kann, spüre ich seinen Blick auf die alte, mechanische Armbanduhr, die er immer trägt. Es war nicht sonderlich leicht, als Außenstehende die Gunst des Coaches zu erlangen. Das werde ich nicht riskieren, weil Willie Jackson lieber noch ein wenig quatschen als laufen würde. Also jage ich ihn fast die Tribüne hinunter, damit er pünktlich nach seinem Fünf-Minuten-Slot wieder auf dem Hallenboden steht.

Nach und nach stelle ich meine Fragen einem Spieler nach dem anderen. Die neuen Freshmen sind zunächst etwas zurückhaltend. Einer von ihnen erzählt mir dann aber zum Ende des Gesprächs, dass er meine Berichte schon im letzten Jahr verfolgt hat und es spannend findet, nun nicht nur stiller Zuschauer, sondern Teil meiner Posts zu sein. Das ist ein willkommener Push für mein Selbstbewusstsein.

Die meisten Spieler sind zwar immer sehr freundlich zu mir, doch frage ich mich stets, ob es daran liegt, wer mein Bruder ist. Ob er manchmal das Team drillt, nett zu mir zu sein? Ob sie insgeheim wie so viele andere denken, eine weibliche Sportjournalistin könne nie so erfolgreich werden wie ihre männlichen Kollegen? Joshua würde es mir nicht sagen, wenn es so wäre. Bei manchen Themen nimmt er diese nervige Großer-Bruder-ist-gleichzusetzen-mit-ständiger-Beschützer-Nummer viel zu ernst. So auch, wenn es darum geht, mich vor Meinungen zu schützen, die mich verletzen oder entmutigen könnten.

Natürlich gelingt ihm das nur bedingt. Die Kommentare unter den Bildern und Videos auf meinem Profil kann er nicht kontrollieren. Zwar kann er die Accounts melden, aber er kann nicht verhindern, dass ich die Worte sehe. Es sind eine Menge. Denn bekanntlich haben Menschen, versteckt hinter der Anonymität des Internets, eine ganze Menge zu sagen. Eine ganze Menge Mist vor allem. Und auch wenn ich mir wünschte, es wäre anders, tun diese Kommentare und Nachrichten weh. Anfangs hatte ich gedacht, ich müsse mich nur ein paar Wochen daran gewöhnen. Dann wäre mein Fell dick genug und es wäre mir einfach egal.

Diese Hoffnung hat sich zerschlagen.

Nun versuche ich mich an der «Fake it till you make it»-Methode. Wenn ich immer wieder so tue, als würden mich die Meinungen von Fremden nicht kümmern, wird es vielleicht irgendwann die Wahrheit sein. Ich lächle stets, zucke mit den Schultern und verstecke meine Verletztheit und heimliche Unsicherheit hinter meinem selbstsicheren Auftreten.

Mein Bruder wird als Nächstes zu mir auf die Tribüne geschickt. Das Training, das sich langsam dem Ende neigt, scheint es wirklich ziemlich in sich gehabt zu haben, denn er ist vollkommen durchnässt und atmet schwer.

«Wie wäre es mit einer Umarmung für deinen geliebten Bruder?», ärgert er mich. Knapp kann ich seinen verschwitzten Armen entwischen.

«Ich passe. Danke», antworte ich und dirigiere Joshua an die richtige Stelle. Gespielt angewidert ziehe ich die Nase kraus.

«Also die anderen haben nicht so gemüffelt wie du.»

«Jaja, ist klar», antwortet er augenrollend und wischt sich noch ein letztes Mal, bevor ich die Kamera einschalte, mit dem Trikot über das Gesicht. Er beantwortet meine Fragen knapp, aber aussagekräftig. Also wie immer. Joshua ist nicht der Typ, der große Reden schwingt. Eher kurze, prägnante Aussagen, bei denen der Ton manchmal auch etwas härter ist. Besonders in der Kabine – habe ich mir sagen lassen. Kein Wunder, dass die meisten Jungs aus dem Team nach seiner Pfeife tanzen.

«War ich der Letzte?», fragt Joshua nach seinen fünf Minuten, einen Schritt schon auf den Treppen nach unten.

«Nein, einer fehlt noch», entgegne ich unschuldig.

«Wer denn?»

«Austin Fields», antworte ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

«Meinst du, der Coach hat durchschaut, wie neugierig du auf den arroganten Typen bist, und hat dich deswegen auf die Folter gespannt?» Der Gedanke ist mir selbst auch schon gekommen. Sicher kann Coach Soto ahnen, wie gern ich wüsste, was es mit dem Wechsel aus einer High-Major-Liga in eine vermeintlich etwas schwächere Liga auf sich hat.

«Würde ich ihm zutrauen», gebe ich zu.

«Immerhin können wir dann nachher zu Hause darüber sprechen, wie ätzend der Kerl ist.»

«Josh!», ermahne ich ihn, weil es sich nicht gehört, so von seinen Mitspielern zu sprechen. Besonders nicht als Kapitän.

«Ich gehe ja schon», murmelt er und springt mit erstaunlich viel Restenergie die Stufen hinunter. Von der Tribüne aus beobachte ich, wie der Coach Austin Fields zu sich ruft und in meine Richtung deutet.

Dann wollen wir mal herausfinden, warum es einen Spieler aus Chicago in das beschauliche Hopeville, Georgia, verschlagen hat.

Kapitel 5

Austin

Dieser Zirkel war der Todesstoß für heute, und am liebsten würde ich nun einfach nach Hause fahren und mich für den Rest des Tages nicht einen einzigen weiteren Zentimeter bewegen. Ärgerlicherweise trennt mich davon noch ein Interview mit dieser Studentin.

Viel habe ich von der Aktion bisher nicht mitbekommen. Nur, dass kein einziger Spieler von dieser Unterbrechung genervt war und dass sie scheinbar sehr vertraut mit Reed ist. Die beiden haben auf der Tribüne ziemlich rumgealbert, wie ich bei einem flüchtigen Blick mitbekommen habe.

Vielleicht seine Freundin? Das würde auch erklären, warum alle ohne Widerworte ihr Training unterbrechen und sich komplett verschwitzt vor eine Kamera stellen.

Meine Oberschenkel sind angespannt von all den Übungen, als ich mich die vielen Stufen hinaufkämpfe. In den Semesterferien habe ich mein Fitnessprogramm offenbar nicht ernst genug genommen. Die Quittung bekomme ich bei Coach Sotos intensiven Trainingseinheiten nun fast täglich dafür.

Die Studentin mustert mich neugierig und ich habe schon jetzt keine Lust mehr. Es liegt auf der Hand, in welche Richtung die Fragen gehen werden, die sie mir stellen wird. Zumindest wenn sie sich ein klein wenig mit den Veränderungen bei den Hopeville Dragons beschäftigt hat. Das Erste, was mir an ihr auffällt, sind die pinken Striche auf den Augenlidern.

Keine Ahnung, wie man das nennt. Kajalstift oder Eyeliner vielleicht? Meine Make-up-Kenntnisse sind nicht gerade ausgeprägt. Auf jeden Fall kenne ich das nur in Schwarz. In einem knalligen Pink-Ton habe ich es noch nie zuvor gesehen.

Das Zweite, das ich bemerke, ist, dass sie sehr attraktiv ist. Auch wenn ich den Gedanken am liebsten sofort wieder zurücknehmen würde. Schließlich hat Reed es die ganze Woche schon auf mich abgesehen gehabt. Und sollte er erfahren, dass ich seine Freundin attraktiv genannt habe, auch wenn es nur in Gedanken war, würde mir das sicherlich weitere Minuspunkte bescheren.

«Hi, ich bin Joyce. Wir kennen uns noch nicht», begrüßt sie mich und hält mir die Hand entgegen. Schnell wische ich meine Handfläche an meinen Shorts ab und greife nach ihrer.

«Austin», erwidere ich knapp und frage mich, wie lange das hier wohl dauern wird. Die anderen waren, soweit ich das mitbekommen habe, vielleicht fünf bis zehn Minuten verschwunden. Hoffentlich geht das bei mir noch schneller.

«Ich weiß», antwortet sie auf eine ungewöhnlich selbstsichere Art. Ich nicke verhalten und mustere sie noch einen kurzen weiteren Moment, während sie etwas an ihrer Kamera einzustellen scheint. Ihre blonden Haare sind zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden, abgesehen von den pinken Strichen wirkt sie eher dezent geschminkt. Sie trägt eine kurze dunkelblaue Leggins und ein Top in der exakt gleichen Farbe.

«Ich bin Studentin an der Hope mit dem Hauptfach Sportjournalismus, und der Coach lässt mich seine Spieler für die Homepage des Teams und für meine Social-Media-Kanäle interviewen. Ich würde dafür die Kamera mitlaufen lassen, wenn das in Ordnung für dich ist?»

«Bekomme ich es mit Reed zu tun, wenn es nicht in Ordnung ist?» Die Frage ist mir herausgerutscht, keine Ahnung wieso. Mein Gehirn scheint nach diesem zweistündigen Training nicht mehr richtig zu arbeiten. Wenn ich das hier schnellstmöglich hinter mich bringen möchte, sollte ich ihr nicht noch Fragen stellen, sondern nur ihre beantworten. Verflucht, das war wirklich dumm.

Joyce’ Blick macht mich zudem nervös. Es fühlt sich an, als würde sie allein mit ihren haselnussbraunen Augen versuchen, meine Geheimnisse auszugraben. Gut, dass ich sie sicher verschlossen habe.

«Mein Bruder ist nicht dein größter Fan, hm?»

Ich schaue kurz in Richtung der Kamera, um zu überprüfen, ob das rote Licht schon blinkt.

«Sie ist noch nicht an», versichert die angehende Sportjournalistin mir etwas amüsiert.

Nicht seine Freundin also. Seine Schwester.

Jetzt, wo ich über ihre Verwandtschaft in Kenntnis gesetzt wurde, fühle ich mich ziemlich dämlich, es nicht früher bemerkt zu haben. Die beiden sehen sich sehr ähnlich. Die gleiche dunkelblonde Haarfarbe, eine sehr identische Gesichtsform. Hohe Wangenknochen, braune Augen, sonnengeküsste Haut.

«Lässt Coach Soto dich das hier deswegen während der Trainingszeit machen? Weil du die Schwester vom Kapitän bist?», übergehe ich die Feststellung über ihren Bruder. Shit, ich wollte doch meine Klappe halten und das hier einfach nur mit knappen Antworten oder Ausflüchten hinter mich bringen.

Ihre Mundwinkel zeigen noch immer nach oben, trotzdem flackern ihre Augen gefährlich. Abgesehen von dem Lächeln ein Ausdruck, den ich schon öfter in der Mimik ihres Bruders wahrgenommen habe. «Du denkst also, ich würde es nur mit der Unterstützung meines großen Bruders schaffen?»

Meine Frage kam wirklich falsch rüber. Auch das noch. Es reicht ja nicht, dass Joshua Reed mich nicht leiden kann. Nun bringe ich es auch noch zustande, Joyce Reed gegen mich aufzuhetzen.

«Sorry, so war das wirklich nicht gemeint. Ich dachte nur, es wäre naheliegend, dass er dich unterstützt», ihr Blick ist noch immer skeptisch. «Also nicht, weil du es nötig hättest, sondern weil er es gern tut. Ungefragt vielleicht auch. Als großer Bruder.» Gott, ich rede mich um Kopf und Kragen.

«Nein. Mein gutes geschäftliches Verhältnis zu Coach Soto ist allein mein Verdienst.»

«Wie hast du ihn davon überzeugen können? Er wirkt nicht so … offen … für Dinge, die Trainingszeit kosten.» Mache ich es gerade besser oder schlechter? Sie besitzt das seltene Talent, Leute zum Sprechen zu bringen. Auch wenn diese, wie ich, mit der absolut gegenteiligen Einstellung in die Unterhaltung hineingegangen sind. Vielleicht ist dieser Weg aber gar nicht so schlecht. Statt es möglichst schnell hinter mich zu bringen, frage ich sie einfach so viele Dinge, dass gar keine Zeit mehr für ihre Fragen an mich bleibt. Wieso bin ich da nicht gleich draufgekommen?

«Mit Donuts und meinem Charme. Zusammengenommen hat kein Gebäck-Liebhaber auch nur die geringste Chance, mir einen Wunsch abzuschlagen.»

«Was für Donuts? Nur, falls ich mal eine Strategie für einen Bestechungsversuch brauche.»

«Austin Fields – ist das hier eigentlich eine Hinhaltetaktik? Hast du etwa Angst vor diesem Interview?» Sie ist gut, verdammt.

«Natürlich nicht», streite ich ihre Vermutung ab.

«Gut», sagt sie selbstgefällig, «dann legen wir los.»

Das rote Licht blinkt nun, und ich verkneife es mir, Joyce darauf hinzuweisen, dass ich offiziell noch gar nicht eingewilligt habe.

Die ersten Fragen sind eher allgemeiner Natur. Fragen, die sie so oder ähnlich bestimmt auch den anderen Jungs gestellt hat. Als sich ihre Miene aber verändert, bin ich mir sicher, dass es jetzt brenzlig für mich wird.

Pure Neugierde zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab. Vorfreude, mir Antworten zu entlocken, die noch keiner auf diesem College kennt. Sie hat keine Ahnung, dass ich nicht das geringste Interesse daran habe, ihr diese Genugtuung zu gönnen. Oder überhaupt irgendwem.

«Du hast die letzten beiden Jahre für ein High-Major-Team gespielt. Wieso hast du das College gewechselt, obwohl deine Chancen auf die NBA als Spieler der Hopeville Dragons statistisch gesehen geringer sind?»

Das war zu erwarten. Darauf war ich vorbereitet, denn mit Nachfragen von meinen neuen Kommilitonen, vielleicht auch von anderen Dragons, in diese Richtung habe ich gerechnet.

«Es war kein sportlich motivierter Wechsel. Ich bin aus familiären Gründen umgezogen. Außerdem ist das Team wirklich stark, und ich würde nicht behaupten, dass die Hopeville Dragons, was das Talent angeht, Chicago unterlegen sind.»

«Du hast also Familie in Hopeville?» Sie scheint keine Sekunde über ihre nächste Frage nachgedacht zu haben. Abwartend sieht sie mich an. Eine gute Methode, um die Leute zum Reden zu bringen. Auch wenn ich kein Experte bin, würde ich dieser Frau eine anständige Karriere als Journalistin prophezeien. Allerdings ist mir die Frage zu heikel. Mein Zögern bringt sie zum Nachdenken. Kurzerhand drückt sie einen Knopf an der Kamera. Das rote Licht erlischt.

«Meine Großmutter», höre ich mich sagen. Was ist nur los mit mir? Sind diese pinken Striche auf ihren Augenlidern Hilfsmittel, um ihre armen Opfer zu hypnotisieren?

«Ihr geht es nicht gut?»

Ich schüttle mechanisch den Kopf, mein Blick auf den Boden gerichtet. Meiner Großmutter geht es blendend. Aber alles andere würde meinen Vorwand als Lüge entlarven.

Das Video läuft nicht mehr, es wird also keine weiteren Zeugen meiner Schwindelei geben.

«Das tut mir leid», antwortet Joyce mitfühlend. Doch irgendeine Nuance in ihrer Stimme macht mich nervös. Sie sieht aus, als ob sie noch etwas sagen möchte, aber dann ertönt Coachs schrilles Pfeifen, und er winkt mich zurück aufs Spielfeld.

Ich habe es geschafft. Dieses Gespräch ist beendet und ich habe nichts über die wahren Gründe für meinen Wechsel verraten.

Freundlich verabschieden wir uns, und ich beeile mich, zurück auf das Spielfeld zu gelangen, wo Coach Soto gerade das Training beendet. Erleichtert atme ich aus.

Wie lange ich die Luft angehalten hatte, weiß ich gar nicht.

Der Geruch in der Umkleidekabine ist eine der verlässlichsten Konstanten in meinem Leben. Es ist egal, wie heruntergekommen oder modern eine Sporthalle ist – die Kabinen riechen immer exakt gleich, wenn das Team sich dort nach dem Training oder nach einem Spiel ausbreitet. Ich spreche den Gedanken nicht laut aus, weil mich vermutlich jeder für irre halten würde, aber dieser Geruch, objektiv betrachtet könnte man es vielleicht auch Gestank nennen, ist eine Sicherheit, fast etwas wie ein Zuhause-Gefühl für mich. Es ist nicht so, dass ich mir nicht wünschen würde, dass der Schweiß und die versagenden Deodorants von zehn Typen anders riechen würden, aber beruhigend ist es dennoch. Es ist Euphorie, aufgebrauchte Energie, zufriedene Erschöpfung, und für ein paar Sekunden kann ich vergessen, wie gern ich woanders wäre.

«Murphy, Vega! Ein paar von den Jungs und ich treffen uns nachher noch im Hope & Hops. Kommt doch auch vorbei», schallt Joshua Reeds Stimme über das Klappern der Spind-Türen hinweg durch die Kabine.

Ich ziehe meine Sporttasche aus dem Schließfach und möchte wirklich nicht in Reeds Gesicht sehen. Welcher Ausdruck darin liegt, weiß ich auch so.

Und trotzdem kann ich es nicht lassen.

Joshua Reed lädt die anderen beiden Neuzugänge zu einem Barbesuch am Abend ein und sieht nicht einmal in ihre Richtung. Die gleiche unterschwellige Provokation, die in seiner Stimme mitschwingt, zeichnet auch seinen Blick, der eindeutig auf mir liegt.

Es ist fast etwas schmerzhaft, so bewusst ausgeschlossen zu werden. Doch das Gefühl hält nicht lange an.

Manchmal muss ich mich nur selbst daran erinnern, dass es doch genau das ist, was ich möchte. Unter dem Radar fliegen, keinen Kontakt zu meinen Teamkollegen, der sich über diese Sporthalle hinaus erstreckt, niemanden zu nah an mich ranlassen, keine Neugierde für meine Vergangenheit wecken.

Ich wäre sowieso nicht mit dem Team in diese Bar gegangen. Der Stich, den ich in meiner Brust spüre, ist dämlich und unbegründet.

Du hast es verdient, höhnt diese grässliche Stimme, die wie meine eigene klingt, zwischen meinen Ohren. Mit einem lauteren Krachen als geplant schließe ich meine Spind-Tür, drehe am Zahlenschloss und überlege, dieses Mal tatsächlich ohne eine Dusche auf mein Fahrrad zu steigen. Unterricht habe ich heute sowieso nicht mehr, und umso eher ich hier abhauen kann, desto besser. Schweigend wechsle ich meine Schuhe und versuche das Geplapper meines neuen Teams auszublenden.

Zwei Jahre. Zwei verfluchte Jahre.

Ein kleiner Preis für meine Schuld.

Ohne mich umzudrehen, murmle ich einen Abschied und verlasse als Erster die Umkleide.

Coach Soto ist nicht in der Sporthalle zu entdecken, also nutze ich die Gelegenheit, um mitten auf dem Parkett stehen zu bleiben und die Augen zu schließen. Dieses Wochenende ist mein erstes Spiel als Hopeville Dragon. Ich versuche mir all die Studierenden und Familien auf der Tribüne vorzustellen, die Cheerleader mit ihrer beeindruckenden Choreografie, mich selbst in dem weißen Trikot mit der grünen Schrift. Früher haben mich solche Vorstellungen beflügelt, mich aufgebaut, mir Kraft nach einem beschissenen Tag gegeben. Heute passiert nichts.

Gar nichts.

Seufzend schiebe ich den Tragegurt meiner Tasche weiter die Schulter hinauf und verlasse das Gebäude. Aus dem Seitenfach fische ich einen Proteinriegel hinaus. Der Riegel hat unter meinem eiligen Zusammenpacken gelitten und ist in viele kleine Teile zerbröselt.

So ist es eben, wenn man mit dem Gewicht, das auf einem lastet, nicht zurechtkommt. Man zerbricht darunter. Von außen scheint alles intakt zu sein, doch wer hinter die Fassade schaut, stellt schnell fest, dass in Wirklichkeit gar nichts in Ordnung ist.

Kapitel 6

Joyce

Vollkommen elektrisiert stehe ich vor dem Badezimmerspiegel, der dringend mal wieder geputzt werden müsste, und ziehe mit einer geübten Bewegung meinen Eyeliner-Wing. Passend zum ersten Spieltag habe ich mich natürlich für das Grün der Dragons entschieden. Ich setze die Kappe auf den Stift, straffe meinen hohen Zopf noch ein letztes Mal und begutachte das Ergebnis. Zufrieden lächle ich meinem Spiegelbild entgegen und hüpfe fast hinaus ins Wohnzimmer.

Mein Rucksack ist bereits mit meiner Kamera, dem Stativ, meinem Notizbuch und einer Powerbank, die ich nie brauche, aber immer mitschleppe, bestückt. Mein Bruder ist schon vor einer Stunde aufgebrochen. Das Chaos in der Küche hat er allerdings hier zurückgelassen. Nur Joshua schafft es, dass die Arbeitsfläche nach dem Mixen eines einzigen Proteinshakes einem Schlachtfeld gleicht. Ich bin kurz davor, die Unordnung zu beseitigen, halte mich dann aber zurück. Das kann er nach dem Spiel schön selber machen, ich bin schließlich seine Mitbewohnerin, nicht seine Putzfrau.

Die Lust, mir noch einen schnellen Kaffee zu machen, ist nun allerdings verflogen. Vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht. Ich fühle nicht einen Hauch Müdigkeit oder Erschöpfung. Nötig habe ich die Koffeindosis gerade also wirklich nicht.

Die Wohnungstür wird mit einem Klicken geöffnet, und wieder einmal bestaune ich das gruselig perfekte Timing meiner besten Freundin.

«Bist du so weit?», ruft Lori mir aus dem Eingangsbereich zu.

Bis zuletzt hatte ich mit ihrer Absage gerechnet. Sie ist kein riesiger Basketballfan, erträgt einige Spiele aber, um mir Gesellschaft auf der Tribüne zu leisten oder mich beim Fotografieren zu unterstützen. Ich schnappe mir meine Tasche und laufe Lori entgegen.

Sie hat dunkelroten Lippenstift aufgetragen, der ihren Schneewittchen-Look noch weiter unterstreicht. Helle Haut, braune Augen, die ein oder zwei Töne dunkler sind als meine, schulterlange, schwarz gefärbte Haare. Mit einer kurzen Umarmung begrüße ich sie und wir treten ins Treppenhaus hinaus.

«Wie toll, dass du wirklich mitkommst!» Die Aufregung ist deutlich an meiner Stimme zu erkennen.

«Meine erste Wahl ist das Spiel definitiv nicht, aber da ungefähr das komplette College hingeht, waren meine weiteren Optionen ziemlich beschränkt», gibt Lori schmunzelnd zu.

«Konntest du kein Date mit irgendeinem Anti-Basketball-Typen arrangieren?»

«Seltsamerweise nicht. Hoffentlich ebbt das nach den ersten Spielen ab. Stell dir vor, ich müsste meine Abende nun ständig in einer überfüllten, miefenden Sporthalle verbringen, in der zehn Kerle verzweifelt versuchen, den Ball in einen Korb zu manövrieren.»