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Bin ich verliebt? Wenn ja, in wen?
Milly hat ein Problem. Eigentlich sogar zwei. Nein, drei. Zum einen hat sie ihren neuen Freundinnen Fi und Dana noch immer nicht gebeichtet, dass Ole kein Exfreund, sondern ihr Bruder ist. Das führt direkt zu Problem Nummer zwei: Wie soll sie die beiden zu ihrem Geburtstag einladen, wenn zu Hause eben jener Ole rumhängt? Und dann ist da auch noch der Kuss, den sie auf der Mittelstufen-Halloweenparty von einem geheimnisvollen Vampir bekommen hat. Nur zu gern wüsste Milly, wer hinter der Verkleidung steckt – denn der Kuss will ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ist sie etwa verliebt??? Woher weiß man so was? Drei Probleme, keine Lösung – aber Milly scheut keine Mühe, eine zu finden …
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Seitenzahl: 173
Eva Hierteis
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1. Auflage 2017
© 2017 cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: *zeichenpool, München, unter Verwendung von Fotos von © Shutterstock (photomaster (2×), Curly Pat)
kk · Herstellung: UK
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN: 978-3-641-19925-8V001www.cbj-verlag.de
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… in dem ich in der Luft hänge, mich mit einer Kacktze rumschlage und fast einen Jungen erschlage
Ich hing in der Luft. An einem Ast. Man könnte auch sagen, ich baumelte von einem Baum. Das ist echt mal wieder typisch für mich. Nicht umsonst nennt mein großer Bruder mich Milly Panne statt Milly Anne. Warum muss immer mir so was passieren? Und dann auch noch mitten auf dem Pausenhof, mit massenhaft Zuschauern.
Aber von vorn. Ihr fragt euch sicher, wie ich da hingekommen bin:
Vor zwei Tagen am Samstag bin ich zwölf geworden. Und weil ich bis dahin nur mit meiner allerallerbesten Freundin Luzi gefeiert hatte, kamen am Montagmorgen in der Schule natürlich alle an, um mir zu gratulieren. Erst war ich von Danas dunkelbrauner Lockenmähne eingehüllt und dann glitzerte mir Fionas kleiner Nasen-Funkelstein aus nächster Nähe ins rechte Auge und blendete mich, während sie mich drückte.
Immer mehr Leute stürzten sich auf unser Knäuel und riefen laut »Happy birthday!« und »Alles Gute, Milly!«.
So müssen sich Fußballer fühlen, wenn sie ein Tor geschossen haben und sich alle auf sie draufwerfen. Schön war das, so beliebt zu sein. Vor allem, weil Luzi und ich erst seit ein paar Monaten an der Schule waren.
»Wann feiern wir?«, hörte ich Fis Stimme durch den Trubel. »Dana und ich, wir haben so ein tolles Geschenk für dich!«
Ich erstarrte unter dem ganzen Mädchenhaufen. Da war es wieder, mein altes Problem. Ich konnte meine neuen Freundinnen nicht zu mir einladen, weil sie dachten, Ole wäre mein Ex-Freund und nicht mein Bruder. Wie sie darauf kamen? Weil ich es kurzerhand behauptet hatte, als er versucht hatte, mich aus Rache vor der versammelten Mannschaft zu küssen. Und dummerweise hatte ich es immer noch nicht aufgeklärt. Zuerst hatte ich Schiss, dass sie mich dann nicht mehr cool finden würden. Und inzwischen habe ich Schiss, dass sie sauer sind. Denn je länger ich nichts sage, desto schlimmer wird die Lüge. Und dann ist es vorbei mit meiner schönen Beliebtheit.
Im Moment war ich aber noch sehr beliebt, das spürte ich deutlich, denn sie drückten mich so doll, dass ich kaum Luft bekam, und Fi und Dana skandierten: »Par-ty, Par-ty, Par-ty!«
Was sollte ich jetzt tun? Hilfesuchend warf ich Luzi durch Danas Haarwolke einen Blick zu, doch die zuckte nur ratlos mit den Schultern.
Ich brauchte eine Ausrede. Dringend! Sollte ich vielleicht einfach eine Ohnmacht vortäuschen, um der Frage nach der Geburtstagsfeier zu entgehen? Ich verdrehte die Augen und versuchte, meinen Handrücken dramatisch an die Stirn zu heben, kam aber bei dem Gewirr von Armen und Beinen nicht durch. Verzweifelt schielte ich nach der Bank unter dem großen Kastanienbaum. Höchstens zwei Schritte war sie entfernt. Ob es mir gelingen würde, mich darauf fallen zu lassen? Und wenn nicht? Über Nacht hatte es geregnet. Um uns herum war der Schulhof von lauter Pfützen übersät, und ich hatte keine Lust, meinen ersten Schultag als Zwölfjährige mit einer nassen Hose zu beginnen, als hätte ich mir reingepinkelt. Also musste ich es schaffen, so zusammenzubrechen, dass ich auf die Bank sank. Und zwar schnell.
Meiner Kehle entfuhr ein hoher Ton. Fast schon wie von einer verängstigten Katze – kläglich, jämmerlich, herzzerreißend.
Noch einmal folgte ein lang gezogenes Mau.
Äh, Moment mal, das war ja gar nicht ich. Das war ja wirklich ein Miauen.
Die anderen hatten es wohl auch gehört, denn sie ließen mich los und sahen sich um.
Miaaauuuuuuuu!
Da! Über mir im Baum entdeckte ich eine dicke schwarze Katze. Sie saß ziemlich hoch droben in den kahlen Ästen, die sich in den verhangenen Novemberhimmel reckten, und traute sich allem Anschein nach nicht mehr herunter.
Pech für die Mieze, Glück für mich. Mein Herz tat vor Erleichterung einen Satz, denn auf einmal drehte sich alles um die arme Katze und darum, dass man sie retten musste. Und noch bevor mich wieder jemand nach meiner Feier fragen konnte, traf ich eine Entscheidung: Unerschrockene Baumkletterin und tapfere Tierretterin – das passte zu der Milly, als die ich mich hier ausgab.
Kurzentschlossen warf ich meinen Rucksack auf die Bank, stieg auf die Lehne und hangelte mich von dort aus den ersten Ast hinauf. Geschafft. Dann erklomm ich den nächsten und den übernächsten. Es ging leichter als gedacht.
Über mir maunzte die Katze, unter mir rief Luzi meinen Namen. »Milly«, rief sie. »Milly, komm lieber wieder runter!«
Doch dort lauerten Freunde mit unangenehmen Fragen. Also kletterte ich weiter. Die Katze saß ziemlich weit außen auf einem Ast und starrte mich aus ihren grünen Augen an, die Pupillen zu schmalen Schlitzen verengt. Ein Blick zurück verriet mir, dass jetzt noch mehr Schüler zusammengelaufen waren. Manuel entdeckte ich in der Menge, Luzis Freund Leon, ja sogar meine Erzfeindin Janja.
In meinem Bauch zog es ganz komisch. Von unten hatte es gar nicht so hoch ausgesehen. Kennt ihr das? Das ist wie im Schwimmbad auf dem Dreimeterbrett. Von unten denkt man, das ist voll pillepalle, aber wenn man oben steht … auweia. Ganz ähnlich ging es mir jetzt auch. Nur, dass unter mir kein Schwimmbecken war, sondern nur eine Pfütze auf dem Asphalt. Mir wurde ein bisschen schwindelig.
Bloß nicht runterschauen!, befahl ich mir. Konzentriere dich auf die Katze. Du bist eine Heldin. Eine Superheldin. Katzenretter-Baumkletter-Girl. Ich sah mich vor mir, mit engem Leoprint-Ganzkörperanzug und wehendem Umhang.
»Na komm«, säuselte ich der Katze mit sanfter, hoher Stimme zu und machte mit dem Zeigefinger eine lockende Geste. »Miez, miez.«
Sie starrte mich unverwandt an und machte einen Buckel.
Ich setzte mich auf den Ast, ein Bein links, eins rechts wie auf ein Pferd, und robbte ihr ein Stück entgegen. »Na komm, Süße«, lockte ich sie, »ich will dir doch helfen, du Dummerchen! Komm zu Milly!«
Als ich noch ein Stück näher rückte und die Hand nach ihr ausstreckte, fuhr sie die Krallen aus und schlug nach mir. Ihre Vorderpfoten blitzten weiß auf, als hätte sie so Sportsocken an, wie mein Paps sie immer trägt.
Ich zuckte zurück.
Das war der Moment, in dem ich das Gleichgewicht verlor.
Die Welt drehte sich um und ich mich auch, und ehe ich mich’s versah, hing ich kopfüber an dem Ast, auf dem ich gerade noch gesessen war. Und dann drehte sich die Welt wieder zurück und ich hing noch ein Stück tiefer und nur noch an den Händen.
Oben fauchte die Katze, von unten kamen Schreie. In meinen Ohren rauschte das Blut. Ich spürte, wie mich schon nach wenigen Sekunden die Kraft verließ. Verzweifelt zappelte ich mit den Beinen und versuchte, mit den Füßen irgendwo Halt zu finden. Doch vergeblich. Und da hing ich also – in der Luft. An einem Ast. Die feuchte Rinde war eine bescheuerte Mischung aus rau und glitschig zugleich und tat mir an den Händen weh.
In Filmen baumeln die Leute ja immer ewig von Klippen und Felsvorsprüngen und Dächern – vorzugsweise nur noch mit einer Hand oder ein, zwei Fingern –, bis dann nach einer halben Ewigkeit Hilfe kommt und jemand sie hochzieht. Aber ich kann euch berichten: Das ist Quatsch. Erstens kann man sich keine zehn Sekunden halten – auch nicht mit zwei Händen – und zweitens kommt keiner und rettet einen. Ich warf einen kläglichen Blick nach oben. Die Kack-Katze (eine Kacktze gewissermaßen) machte jedenfalls keine Kralle krumm, um mir zu helfen, und unten schrien die Mädchen nur schrill meinen Namen, damit auch der Letzte auf dem Pausenhof mitbekam, dass es Milly war, die da gleich abstürzen würde.
Was jedoch wirklich stimmt, ist das mit dem Film. Bei mir lief zwar vor meinem inneren Auge nicht mein ganzes Leben ab, sondern nur ein winziger Ausschnitt, aber dafür ein ganz besonderer, nämlich der Kuss, den ich vor drei Tagen auf der Schul-Halloweenparty von einem Vampir bekommen hatte. Es war ein sehr, sehr schöner Kuss gewesen, und wenn ich daran dachte, schlug mir das Herz noch immer bis zum Hals. Er ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Weder der Kuss noch der Vampir, der zum Kuss dazugehörte. Zu dumm nur, dass ich nicht wusste, wer hinter der Vampirverkleidung steckte. Da es sich um eine Mittelstufenparty gehandelt hatte, musste er aus der achten, neunten oder zehnten Klasse sein.
Dieser Moment war es jedenfalls, den ich noch einmal vor mir sah. Obwohl, eigentlich sah ich nur verschiedene Schwarzschattierungen und erahnte sein Vampirlächeln, denn es war zappenduster gewesen, als ich ihm in die Arme gestolpert war, und deshalb hatte ich ihn mehr gespürt und geschmeckt. Und wie gut er geschmeckt hatte! Auf meinen Lippen lag ein verträumtes Lächeln, als meine Finger von dem Ast abglitten und ich in die Tiefe rauschte.
»Aaahhhh!«
… in dem ich von den Vom-Baum-Gefallenen auferstehe, dem Schokoladenauge eine Szene mache und mein Gehirn einen Kurzschluss erleidet
War ich tot? Um mich herum war alles schwarz. Das konnte allerdings auch daran liegen, dass ich die Augen zugekniffen hatte. Dafür spürte ich meinen Po umso deutlicher. Und das Handgelenk auch. Hm. Vielleicht war ich ja in der Hölle – zu ewigen Schmerzen verdammt wegen meiner Lügerei.
Ich blinzelte vorsichtig. Nein, in der Hölle war ich nicht gelandet. Nur auf dem Boden und auf Manuel, wie ich mit Entsetzen feststellte. Denn er lag unter mir und war ziemlich weiß um die Nasenspitze.
Oh Mann, jetzt war ich schon von so weit oben runtergeknallt. Hätte sich da nicht rumpelstilzchenmäßig der Boden auftun und mich verschlucken können – gulp und weg –, und Manuel, der das alles noch ein bisschen schlimmer gemacht hatte, gleich mit? Ich sah schon die Überschrift in unserer Schülerzeitung vor mir: Junge von Millys Hintern erschlagen.
Ängstlich beugte ich mich näher zu ihm und überprüfte, ob er noch atmete. Tat er. Und jetzt kam richtig Leben in ihn und er rieb sich ebenfalls den Po und das linke Knie.
Was für eine selten dämliche Situation. Jetzt bloß nicht heulen, Milly! Ich biss die Zähne zusammen und versuchte, an was Schönes zu denken. Nur war das gar nicht so leicht, wenn einem Schmerzen durch den Körper schossen, Janja das Gesicht zu einem breiten Grinsen verzog und Leon ein Prusten entfuhr, für das er sich von Luzi einen bitterbösen Blick und einen Ellbogenhieb einhandelte.
In diesem Moment entdeckte ich die Kacktze. Sie sprang von einem der unteren Äste auf die Lehne der Bank, von dort aus auf den Asphalt, stieg mit ihren dummen weißen Pfoten über mein Bein hinweg und stolzierte hoch erhobenen Hauptes davon.
Ungläubig starrte ich ihr nach. Mit Kacktzen, die über mich drüberstiegen, war ich fertig. Und mit Jungs, die unter mir zusammenbrachen, auch.
Jetzt galt es zu retten, was noch zu retten war. So würdevoll wie möglich rappelte ich mich auf und wischte mir die Hände an der Jeans ab, die nun doch nass geworden war. Dann hielt ich Manuel die Hand hin, zog ihn hoch und sah ihm in die Augen. Ganz dunkel waren die und mit langen Wimpern dran. Ich musste an Schokolade denken, was jetzt wirklich überhaupt nicht passte. Noch dazu musste ich ein gutes Stück zu ihm hochschauen, was mich nur noch mehr aufregte. Hätte ich ihn doch nur liegen lassen!
»Und wenn ich das nächste Mal vom Baum springe, dann geh gefälligst aus dem Weg!«, motzte ich ihn an, weil mir das alles so unglaublich peinlich war.
Er sah mich mit seinen Schokoladenaugen ganz seltsam an.
Dann drängte sich Janja zwischen uns. »Maaanu«, flötete sie. »Manu, tut’s sehr weh? Die ist ja mit ihrem Hintern voll Karacho auf dich draufgeknallt! Wie eine Arschbombe!«
Danke auch, Janja.
Zum Glück zerrte Luzi mich weg, bevor ich noch mehr dummes Zeug von mir geben konnte, und bugsierte mich auf die Bank. »Hast du dir sehr wehgetan?«, fragte sie und legte den Arm um mich, doch ich schüttelte sie ab und gab mir alle Mühe zu grinsen.
»Von so einem kleinen Hopser doch nicht.« Ich winkte ab, wobei ich merkte, dass ich mir das Handgelenk übel verstaucht hatte. »Alles gut.«
»Lässige Aktion«, meinte Fi, die mir mein cooles Getue abnahm. »Wenn du den Sprung beim Abgang noch stehst, kannst du Kunstturnerin werden.«
»Genau, und ich interviewe dich dann für die Schülerzeitung.« Dana zwinkerte mir zu. »Äh, wo waren wir stehen geblieben? Ach, ja, genau: Wann steigt denn jetzt die Party?«
In diesem Moment wurden meine Knie doch noch butterweich, und ich war froh, dass ich saß. Meine Schläfen pochten und meine Ohren pfiffen. Es fühlte sich an, als würde in meinem Kopf ein Orchester seine Instrumente stimmen.
»Nächstes Wochenende hätten wir Zeit«, drängelte Fi.
Wo blieb denn der verflixte Gong, um mich zu retten? Ich wartete einen Moment, dann noch einen und noch einen. Nichts geschah.
Und dann geschah doch was: Mein Mund ging auf und sagte, noch ehe ich einen klaren Gedanken fassen konnte: »Okay.«
Wahrscheinlich hatte mein Kopf doch etwas abbekommen bei dem Sturz. Wie betäubt sah ich in Luzis blaue, weit aufgerissene Augen. Und dann kam der Gong. Zwei Sekunden zu spät. »Vielleicht könnten wir ins Kino –«, setzte ich an.
Fi schüttelte den Kopf, dass ihr Nasendiamant funkelte. »Nee, bei dir zu Hause«, verlangte sie. »Wir wollen doch endlich mal deine Mutter kennenlernen, die so coole Bücher schreibt.« Seit ich in der Schule in einem Referat Im Spiegelsaal der 1000 Küsse vorgestellt hatte, waren sie Mamas treueste Fans.
Mein Schicksal war besiegelt. Die beiden klatschten sich ab. »Super! Das wird voll top!«
Oder voll Flop, dachte ich und rang mir ein Lächeln ab, obwohl ich lieber lauthals geheult hätte wie mein kleiner Bruder Bruno, wenn man ihm kein Licht zum Schlafen anlässt.
In den ersten zwei Stunden hatten wir Deutsch bei Herrn Fistab. In meiner Verzweiflung über meine Geburtstagsfeier versuchte ich sogar, mich damit abzulenken, dass ich dem Unterricht folgte. Aber irgendwie waberte in meinem Hirn zäher Nebel.
Das Fischstäbchen faselte irgendwas von einem »klasse Projekt«, das er sich für uns ausgedacht hätte. Um ein erstes Mal in die Arbeitswelt hineinzuschnuppern, sollten wir ein eintägiges Mini-Praktikum machen. »Ein Praktikum«, erklärte er uns, »ist was, bei dem man praktische Erfahrungen sammelt und selbst etwas ausprobiert, um sich eine Meinung zu bilden.« Also im Prinzip genau dasselbe, was ich auf der Schulparty mit dem Küssen getan hatte. Es ausprobiert. Meine eigenen Erfahrungen gemacht.
Aber was interessierte mich ein Berufspraktikum, wenn ich doch viel lieber ein zweites Kusspraktikum machen wollte? Schließlich hielten mich hier alle für eine Expertin in Sachen Küssen und Liebe. Da wäre ein bisschen mehr praktische Erfahrung nicht schlecht. Dazu musste ich allerdings irgendwie rauskriegen, wer dieser Vampir war. Und dann dachte ich wieder an den Kuss und auf einmal tat mir alles nur noch halb so weh und mein Kopf rumorte nicht mehr so sehr wie das Gekribbel und Gekrabbel in meinem Bauch. Fast wie auf der Party. Ich wäre gern noch länger dortgeblieben und hätte noch ein klitzekleines bisschen geküsst. Doch dummerweise war dann Janja dazwischengekommen – bis zur Unkenntlichkeit als Hexe verkleidet, aber immer sofort an ihrem albernen Flattergang zu identifizieren – und hatte in rauen Mengen Waldmeistergötterspeise gekotzt und dadurch sich selbst, Luzi, Leon und mich enttarnt.
Als es gongte, schreckte ich hoch. Draußen schüttete es inzwischen wie aus Kübeln. Das bedeutete Pause auf den Gängen. Ich schnappte mir meinen Apfel und meine Trinkflasche und schlenderte auf den Flur, wo ich mich aufs Fensterbrett hochzog und die Füße auf den Heizkörper stellte. Keine Sorge: Das Fenster war natürlich zu – mein Bedarf an Abstürzen war fürs Erste gedeckt. Nachdenklich guckte ich hinaus ins Grau-in-Grau. Von hier oben sah der Baum gar nicht so hoch aus.
Neben mir schwangen sich Fi und Dana auf die Fensterbank. Manchmal lernten ein paar von uns in den Pausen noch hektisch Vokabeln, wenn ein Test anstand. Aber an diesem Tag blieben die Bücher zu. An diesem Tag gab es nur ein Thema. Nein, zum Glück nicht meinen bescheuerten Sturz vom Baum, sondern die große Halloween-Schulparty.
Übers Wochenende hatte sich natürlich schon herumgesprochen, dass Janja, Luzi, Leon und ich dort geschnappt worden waren. Jetzt wollten die anderen alles wissen. Wie hatten wir es als Sechstklässler überhaupt geschafft, uns auf einer Mittelstufen-Party einzuschleichen? Als was hatten wir uns verkleidet? Wie war die Feier gewesen? Hatte es schlimmen Zoff gegeben, als man uns erwischt hatte? Würden wir einen Verweis bekommen?
Luzi, Leon und ich kamen allerdings kaum zu Wort, denn Janja machte sich furchtbar wichtig. Und das, obwohl es ganz allein ihre Schuld gewesen war, dass wir aufgeflogen waren. Wenn sie nicht Wackelpudding gekotzt hätte, hätte kein Mensch etwas gemerkt. Ich warf Luzi einen Blick zu und wir verdrehten die Augen.
Die Flatter war wirklich die Pest, schon immer gewesen. Ein paar Jahre hatte ich Ruhe von ihr gehabt, aber jetzt war sie an der neuen Schule wieder in mein Leben getreten – älter, größer, geschminkt und mit Absätzen, aber genauso doof wie eh und je mit ihren albernen Tippelschritten und dem Armgefuchtel dazu, als würde sie versuchen zu fliegen. Genervt biss ich in meinen Apfel und stellte mir vor, es wäre Janjas Ohrläppchen.
»He«, raunten Fi und Dana mir zu, die anscheinend auch genug von Janjas Show hatten. »Wir waren auch auf der Halloweenparty.«
Sag bloß. »Nein!«, hauchte ich gespielt überrascht, denn natürlich hatte ich die beiden erkannt.
»Ich hab sogar Fotos gemacht«, flüsterte Dana. »Fürs Wölfchen.« Das Wölfchen war unsere Schülerzeitung, in der sie mitarbeitete.
Jetzt war ich ehrlich überrascht. »Aber dann wissen die anderen Redakteure doch, dass du dort warst. Kriegst du da keinen Ärger?«
Dana schüttelte die Wallemähne. »Die verpfeifen mich schon nicht.«
Sie war wirklich cool. Ich bewunderte sie sehr. Es war ein großes Glück und ein kleines Wunder, dass so tolle Mädchen wie sie und Fi mit mir befreundet waren. Nur manchmal zwickte und zwackte mich das schlechte Gewissen, weil ich mir ihre Freundschaft mit einer Lüge erschlichen hatte. Das lag mir ein wenig im Magen – und heute natürlich ganz besonders. Manchmal dachte ich: Wenn das rauskommt, ist richtig Feuer am Dach. Und dann dachte ich wieder: Mach dich locker, Milly, das kommt schon nicht raus.
Ich beschloss, von nun an so oft wie möglich die Wahrheit zu sagen. Und ich würde gleich damit anfangen. Ich gab Dana und Fi ein Zeichen und winkte sie ganz nah zu mir ran. Luzi hatte ich es schon erzählt. »Ich habe auf der Party geknutscht«, raunte ich verschwörerisch.
Dana und Fi nickten mäßig interessiert. Die Nachricht schien sie nicht umzuhauen. Dabei war es eine Weltsensation. Herzwackelnd und bauchzwackelnd. Seitdem hatte ich die ganze Zeit ein Lächeln im Gesicht festgetackert.
Fi biss in ihr Salamibrötchen. »Da wird immer rumgeknutscht.«
Ich war irgendwie enttäuscht. Mein allererster Kuss und sie gingen einfach so drüber weg. Eigentlich hätten sie große Augen machen sollen. Und kichern. Und kreischen. Mich umarmen und mir gratulieren. Oder wenigstens mal fragen, wie es war. Auf der anderen Seite durfte ich ihnen keinen Vorwurf machen. Schließlich hielten sie mich für eine vielgeküsste Frau und dachten, ich hätte schon diverse Freunde gehabt.
Aber so ganz ohne Oh und Ah und Oha wollte ich sie doch nicht davonkommen lassen, also setzte ich noch einen drauf. Ich winkte die beiden wieder näher und senkte die Stimme. »Jemand hat mich geküsst, aber ich habe nicht den leisesten Schimmer, wer.«
Die zwei sahen mich an.
»Und zwar nicht bei so einem Knutschspiel oder so, sondern in diesem dunklen Nebenzimmer, der Kammer des Schreckens. Da bin ich gestolpert, er hat mich aufgefangen und dann einfach geküsst. Der Typ ist wie aus dem Nichts aufgetaucht, und sobald Janja anfing zu kotzen und das Fischstäbchen aufkreuzte, war er genauso plötzlich wieder verschwunden.«
»Und du hast echt null Ahnung?«, fragte Dana mit großen Augen. Jetzt hatte ich sie am Haken.
Ich schüttelte den Kopf. »Alles, was ich weiß, ist, dass er als Vampir verkleidet war.«
»Ooooh, wie romantisch! Du hast einen heimlichen Verehrer!«, quiekte Dana.
Ich grinste. So ein altmodisches Wort passte gar nicht zu ihr.
»Wir müssen rausfinden, wer der geheimnisvolle Küsser ist«, rief sie und sprach mir damit aus der Seele.
Fi rümpfte die Nase. »Romantik-Schmonz! Ein geheimnisvoller Schisser ist der!«
Dann passte er ja hervorragend zu mir.