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Zusammen mit seiner Verlobten Julia plant Niko in Kreta einen entspannten Sommerurlaub. Dabei möchte er Julia seinen Freunden auf der Insel vorstellen und mit ihr über die gemeinsame Zukunft reden. Ein weiteres Vorhaben für den Sommer hat Kira auf Lager. Ernsthaft bemüht sich um mehr Umweltschutz auf der Insel, hat sie mit Unterstützung einer internationalen Organisation eine große Informationskampagne aufgestellt. Zusammen mit Niko und seiner Familie ist eine Schifffahrt um die Insel und viel Aufklärungsarbeit geplant. Kaum ist diese gestartet, geraten Kira, Niko und die anderen an eine Gruppe Krimineller, die das Schiff zerstört und Kiras Träume mit einem Schlag zunichtemacht. Doch die Verbrecher haben nicht mit Niko gerechnet. Zusammen mit Kiras Freunden will er dafür sorgen, dass die Verbrecher von der Insel verschwinden und Kira ihre Pläne weiterführen kann. Dieses Mal bekommt er zusätzliche Unterstützung von einer Gruppe, die selbst schon einiges auf der Insel erlebt hat. Und gemeinsam werden sie abermals die Insel auf den Kopf stellen... Im letzten Teil der "Lost Tales"-Trilogie treffen nicht nur Nikos Freunde und seine Familie zusammen, es kommt auch zu einem Wiedersehen mit Takis, Brian, Christina und Despina, bekannt aus dem Roman "Bittersüßer Rakomelo".
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Seitenzahl: 203
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Prolog: 2. Juli, Wien
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Die Turnhalle hatte den unverkennbaren Geruch von jugendlichem Schweiß.
Noch dazu waren alle Fenster geschlossen, da es draußen in Strömen regnete. Zu Ferienbeginn hatten sich die anwesenden Jugendlichen sicherlich besseres Wetter gewünscht.
Die Gruppe von insgesamt zwölf Mädchen stand verschwitzt in ihren Straßenklamotten vor Niko und Ben. In den letzten zwei Stunden hatten die Jugendlichen den letzten Teil ihres Kurses absolviert.
»Damit endet euer Selbstverteidigungskurs«, sprach Ben, der Kursleiter zu der Gruppe, »Ihr wart sehr ambitioniert und ich hoffe, es ist einiges hängen geblieben. Aber ich hoffe auch, dass ihr es niemals anwenden müsst.«
Neben ihm stand Niko Dovas im schwarzen Trainingsanzug und übernahm das Wort.
»Zum Schluss noch die wichtigste Lektion des Ganzen: Soweit wir konnten, haben wir euch gezeigt, wie ihr euch im Falle eines Angriffs wehren könnt. Aber das hier war Kampfsport, Betonung auf Sport. Wenn es zu einem Ernstfall kommt, sind nur zwei Dinge wichtig.
Erstens, überschätzt euch selbst und unterschätzt euren Angreifer niemals. Es wird immer jemanden geben, der stärker oder besser ist ...«
»So wie du, Niko«, warf eines der Mädchen ein. Er nickte ihr zu.
»Genau. Zweitens: Im Notfall geht es um euer Leben.
Dann gibt es keine Regeln, alles ist erlaub. Nutzt Gegenstände oder lauft so schnell ihr könnt. Manchmal ist flüchten besser als den Helden spielen zu wollen.
Und immer vorsichtig und vorbereitet sein.«
Mit diesen letzten Ratschlägen verabschiedeten sich die zwei Männer von der Gruppe. Niko schüttelte jedem Mädchen die Hand. Als er vor Stefanie stand, eines der Mädchen, die besonders motiviert waren, sah er ein verschmitztes Grinsen in ihrem Gesicht.
»Du hast dich wirklich gut angestellt. Du solltest überlegen, weiter zu machen«, riet ihr Niko.
»Nur, wenn du der Lehrer bist.«
Schon in den Kursen hatte Niko die Vermutung, dass die junge Frau ein bisschen zu viel Interesse an ihm hatte.
»Und nicht vergessen, immer schön vorsichtig ...«
»Und immer bereit sein, ich weiß«, ihr Grinsen wurde breiter.
Niko schüttelte dem nächsten Mädchen die Hand, als er hinter sich eine Bewegung wahrnahm.
Du versuchst mich zu überraschen, süß, dachte er.
Aus dem Augenwinkel erkannte er, wie Stefanie ihn packen wollte. Blitzschnell drehte er sich um, wehrte mühelos den versuchten Angriff ihrer Hand ab und packte sie fest an Handgelenk und Hüfte. Ohne wirkliche Anstrengung schulterte er die Jugendliche und warf sie über seine Schulter. Sie landete auf ihren Beinen, drehte sich zu ihm um und blickte direkt auf seine Hand, die nur wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht war. Mit ihrem Handy in der Hand.
»Ich habe euch gesagt, ihr sollt Handy und Geldbörse nicht in der Gesäßtasche einstecken, dort sind sie leicht zu klauen.«
»Das war ... sehr überzeugend«, staunte Stefanie und griff nach ihrem Handy.
Gemeinsam mit Ben, der neben dem Job an der Schule sein ehemaliger Bewährungshelfer war, spazierte er zum Parkplatz.
»Ein Trip nach Kreta, mit offenem Rückflug. Du hast ein Leben, Niko«, beneidete ihn der zehn Jahre ältere Mann.
»Ich muss die Zeit nutzen, seit dem Tod von Julias Vater ist sie fast durchgehend in Schottland.«
»Du solltest vielleicht zu ihr ziehen.«
Niko, der den Gedanken selbst schon hatte, schwieg.
Das Thema bereitete ihm Unbehagen. Ben erkannte es und wechselte das Thema.
»Wer übernimmt unterdessen ihre Geschäfte und diese ganzen Clangeschichten?«
»Murray, offiziell nur Hausbutler, aber er ist weitaus mehr und hat die Erfahrung. Julia wird diesen Sommer keinen Stress haben und kann sich richtig entspannen.«
»Einfach nur hinunterfliegen. Kreta, Sonne, Strand und Meer. Ein paar Ausflüge, heiße Nächte und dazu Bier und Raki. Was soll da schon schiefgehen?«
Diesen Satz habe ich schon einmal gehört, dachte Niko, und danach hat sich mein Leben völlig verändert.
Bei Bens Wagen verabschiedeten sich die Männer.
»Genieß es, Niko. Bleib anständig, okay?«
»Natürlich.«
Als Niko das Schulgebäude verließ, stand Stefanie mit zwei Freundinnen beim Ausgang und erwartete ihn.
»Niko! Hast du vielleicht noch Lust, etwas trinken zu gehen?«, rief sie ihm zu.
»Würde ich gerne, aber ich werde erwartet.«
»Von deiner Frau, Freundin oder sogar Kinder?« Ihre Enttäuschung war deutlich zu hören.
»Verlobte. Meine Tochter kommt erst morgen. Ich wünsche euch Mädchen noch einen schönen Abend.«
Kaum war er um die Ecke gebogen, stand plötzlich eine Frau in seinem Alter vor ihm. Ihre dichten und lockigen roten Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden.
»Die Kleine hat wohl ein ganz besonderes Interesse an dir?«, meinte seine Verlobte Julia mit breitem Grinsen.
»Scheint so.«
Mit gespielter Empörung stemmte sie ihre Hände in die Hüften.
»Da fliegt man nach Wien, verschiebt und übergibt alle beruflichen Angelegenheiten, um den ganzen Sommer mit dir zu verbringen und erwischt dich mit einem anderen Mädchen. Du gibst dich gern mit jungen Frauen ab, kann das sein?«
»Ein bisschen zu jung für meinen Geschmack.«
»Nur weil sie zu jung ist?«, fragte Julia schnippisch.
»Ich stehe mehr auf gleichaltrige, rothaarige Frauen, die mich zum Essen ausführen«, antwortete er und gab ihr einen langen Kuss.
»Lass uns den Abend ausgiebig genießen, bevor wir morgen Besuch von unserer Tochter bekommen«, meinte Julia und zog ihn mit in Richtung ihres Wagens, »und dann geht es endlich in den Süden. Ich freue mich schon so auf diese Zeit, ein Sommer mit dir, Honey.«
Niko verdrehte die Augen. Er mochte den Kosenamen überhaupt nicht, fand ihn viel zu lieblich und unpassend
für sich. Aber Beschwerden dagegen hatte er längst aufgegeben.
Eine Woche später
Die Anzeigetafel in der Ankunftshalle des Flughafen Heraklion zeigte 35 Grad.
»Und wir haben gerade erst zehn Uhr morgens«, jammerte Denise.
»Sobald unsere Gäste da sind, werden wir an den Strand gehen«, versicherte ihr Freund Aléxandros, »etwas anderes kann man heute sowieso nicht machen.«
Insgesamt standen sie zu fünft in der Ankunftshalle und erwarteten die Passagiere der Maschine aus Wien.
»Da kommen jede Menge Leute raus, hoffentlich übersehen wir ihn nicht.«
»Keine Sorge Thaumas, Niko wird nicht zu übersehen sein. Er wird derjenige sein, der heraussticht. Garantiert kommt er wieder ganz in Schwarz«, war sich Kira sicher. Die 20-jährige stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den Kopf, um über die anderen Leute hinwegsehen zu können. Ihr Freund Manos bot an, sie hochzuheben, was sie aber verweigerte.
»Ich weiß, dass ich klein bin.«
»Kommt er mit seiner Freundin?«, wollte Thaumas wissen.
»Wenn sie mitkommt, sind sie noch leichter zu erkennen. Groß, dichtes rotes Haar, so war die Beschreibung.«
»Du weißt doch, dass Niko immer für Überraschungen gut ist?«, erinnerte Thaumas an Nikos letzten Aufenthalt.
»Überraschungen? Oh ja. Aber dieses Mal wird es ein ausgedehnter Sommerurlaub, mehr nicht!«
»Das würde mich sehr freuen, Kleine«, meldete sich eine Stimme hinter Kira.
Sie schreckte zusammen und wirbelte herum. Neben ihr stand ein Paar, welches sie im ersten Moment nicht erkannte. Die Überraschung dauerte aber nur kurz.
»Niko! Was ist denn mit dir geschehen?«
Niko trug knielange Jeans, ein rotes Hawaii-Hemd mit schwarzen Blumen, dessen oberen Knöpfe offen waren.
Seine dunklen Haare waren auf wenige Millimeter gestutzt. Kira erinnerte sich nicht daran, dass Niko einen Bart trug. Nun hatte er einen Drei-Tages-Bart.
»Ich freue mich auch, hier zu sein.«
Kira machte einen Schritt zurück und betrachtete ihn.
»Ich auch ... aber das bist doch nicht du. Kein Schwarz, nicht einmal dein geliebtes Armband oder eine dunkle Sonnenbrille.«
»Ich musste ihn für den Urlaub umstylen«, meinte Julia, die neben Niko stand. Sie war tatsächlich sofort zu erkennen. Ihre roten Haare strahlten in der Sonne.
»Du musst Julia sein. Für dich gilt gleich mal folgende Regel: Eincremen, viel eincremen.«
Kira deutete auf ihre blasse Haut.
»Ansonsten bist du morgen rot wie deine Haare.«
Nachdem Niko jeden begrüßt hatte, machte sich die Gruppe auf den Weg zum bereitstehenden Kleinbus. Im klimatisierten Wagen stellte Niko seiner Freundin alle Anwesenden vor.
»Von Kira hast du schon gehört.«
»Ja, und von deiner beeindruckenden Tätowierung.«
Julia deutete auf Kiras Dekolleté. Da sie nur ein Trägerleibchen trug, war die farbenprächtige Tätowierung auf ihrer Brust deutlich zu sehen. Ein blauer Diamant, der auf einer roten Blüte zu liegen schien. Dornenbesetzte Ranken verliefen zu den Schultern hinauf, auf jeder Seite saß ein Vogel mit ausgebreiteten Flügeln auf den Ranken.
»Ich hoffe, der alte Mann hat mehr von mir erzählt als das hier«, meinte Kira und streckte ihren Oberkörper hinaus.
»Ja, von deiner wilden Frisur und deinem losen Mundwerk«, gab Niko als Antwort. Kiras Haare waren weißblond, mit vielen knallroten Strähnen, die herausleuchteten.
»Und du bist Manos, ihr Freund?«, wandte sich Julia an den vollbärtigen Fahrer neben Kira.
»Du hast zugelegt«, stellte Niko fest.
»Ich arbeite auch nicht in einem Fitnessstudio, so wie
Du. Wenn man den ganzen Tag vor dem Computer sitzt, leidet die Figur.«
Auch von Denise, der Tochter seines besten Freundes, und ihrem Verlobten Aléxandros hatte Julia schon gehört. Niko hatte ihr sein Abenteuer, bei dem er die ganze Gruppe kennengelernt hatte, bereits ausführlich geschildert. Der Jüngste im Wagen war Thaumas.
Nahezu schüchtern begrüßte er Julia. Er konnte nicht verstecken, dass sie ihn faszinierte, immer wieder wanderte sein Blick von ihrem Gesicht zu ihrer üppigen Oberweite.
»Was ist mit deiner ... eurer Tochter?«, wollte Kira wissen.
»Sie kommt morgen oder übermorgen mit dem Privatjet. Sie ist gerade mit ihrer Freundin unterwegs, die nicht mitfliegen konnte«, erklärte Julia und wischte sich über ihr Gesicht. Die Hitze auf Kreta war sie als Schottin nicht gewohnt.
Die Fahrt bis nach Bali, dem kleinen Ort an der Nordküste Kretas, nutzte Julia, um einen ersten Eindruck von der Insel zu bekommen.
Das Meer glänzte unter der Sonne am wolkenlosen Himmel, die schroffen Küsten waren großteils karg, vereinzelt standen Bäume auf den Feldern. Die Strände dazwischen wirkten gut besucht.
»Das Meer wirkt völlig anders als daheim. Sandstrände gibt es zwar auch in Schottland, aber ...«
»Aber hier sind es Badestrände. Das Wasser hat sicher angenehmere Temperaturen«, meinte Kira.
»Was ist mit deinem Bruder?«, wandte sie sich an Niko, »Wird er vorbeikommen, oder müssen wir wieder über eine Klippe fahren und zu ihm schwimmen?«
Niko hatte inzwischen seine Sonnenbrille aus seinem Rucksack gekramt und lehnte sich entspannt zurück.
»Er ist im Moment in Athen, wird aber nächste Woche zurückkommen.« Auch er freute sich, seinen Bruder Stefanos wiederzusehen, der seit Jahren in einem Kloster an der Südküste der Insel lebte.
Sie fuhren die Küstenstraße entlang, vorbei an Ortschaften, in denen sich Hotelanlagen aneinanderreihten, meist direkt am Sandstrand.
Dazwischen befanden sich Dörfer mit nur einigen weißen Häusern, die noch nicht vom Tourismus überrannt schienen. Während auf einer Seite das schier endlose türkisblaue Meer bis zum Horizont reichte, konnte Julia auf der anderen Seite die Hügellandschaft sehen, die weit ins Landesinnere reichte. Die Vegetation war noch nicht völlig ausgetrocknet, zwischendurch leuchteten immer wieder saftige Bäume und Sträucher zwischen den steinigen Feldern heraus.
»Der Frühling war dieses Jahr recht feucht, ansonsten wäre schon alles ausgedörrt. Es wird jedes Jahr früher Sommer und die Temperaturen steigen«, klärte Kira sie auf.
Sie versprach Julia und Niko, dass sie die kommenden Tage mit vielen Ausflügen rechnen durften, um noch mehr von Kreta zu sehen. Dabei versicherte sie ihnen weniger Kulturausflüge, sondern vor allem landschaftliche Highlights der Insel.
»Und dann könnt ihr bei einem Schiffsausflug dabei sein, der hoffentlich Geschichte schreiben wird.«
Niko hatte bislang nur Andeutungen erfahren, eine genaue Erklärung versprach Kira in Bali.
»Und zwar im ›Porto Paradiso‹ bei mindestens einem kalten Mythos.«
»Auf diese Strandbar bin ich schon sehr gespannt, nach allem was ich schon davon gehört habe.« Julia konnte ihre freudige Aufregung nicht verstecken. Es war der erste gemeinsame Urlaub mit Niko und nach Langem endlich eine Möglichkeit, viel Zeit miteinander zu verbringen.
Endlich ein gemeinsamer Urlaub. Wenn da nur nicht diese Kleinigkeit wäre, kam Niko sein letztes Treffen mit seinem Freund Martin in den Sinn.
Zwei Tage vor seinem Abflug:
Das Anwaltsbüro von Martin Leitner lag im ersten Wiener Gemeindebezirk, direkt an der Ringstraße.
Dementsprechend nobel war die Ausstattung der Räume. Als Niko den Vorraum betrat, blickte die Sekretärin kurz auf und nickte ihm zu.
»Er hat noch einen Klienten bei sich. Nehmen Sie einfach Platz.«
Martin war es, der vor Jahren dafür gesorgt hatte, dass Niko nach einem missglückten Einbruch vorzeitig aus der Haft entlassen wurde und sein Leben wieder in den Griff bekam. Dabei freundeten sich die beiden Männer an. Niko hatte ihm viel zu verdanken, weshalb er ihm gerne half, ob bei diversen Aufträgen für seine Kanzlei oder auch persönlichen Angelegenheiten. Er war es auch, der damals Denise nach Kreta gefolgt war, um sicherzugehen, dass es ihr mit ihrem Freund gut geht.
Bei diesem Abenteuer hatte er auch Kira und ihre Freunde kennengelernt.
Kaum hatte er es sich auf einem dunklen Ledersofa im Warteraum bequem gemacht, öffnete sich die Tür zu Martins Arbeitszimmer. Ein bekannter Politiker kam heraus und erschrak, als er Niko erblickte.
»Keine Sorge, das ist ein Mitarbeiter von mir. Schönen Abend, ich melde mich im Laufe der Woche bei ihnen«, beruhigte Martin den Mann und begleitete ihn hinaus.
Mit einer Flasche Whisky kam Martin zurück und bat Niko zu sich ins Zimmer.
»Du wirst in den nächsten Tagen viel von einem hochanständigen Politiker lesen, der natürlich niemals etwas mit Veruntreuung zu tun hatte«, meinte Martin sarkastisch und füllte zwei Gläser.
»In zwei Tagen ist mir das alles egal, da zählt nur noch eins.«
»Ich weiß. Endlich der ersehnte, lange Urlaub mit deiner Julia. Eine wirklich sehr sympathische Frau.
Schade, dass ich sie damals nur so kurz getroffen habe.«
Die beiden Männer sprachen über Nikos weitere Pläne, die vorsahen, Julia zu fragen, ob sie sich ein gemeinsames Leben vorstellen konnte. Niko war es leid, immer wochenlang alleine zu sein und seine große Liebe nur sporadisch zu sehen, vor allem da sie im Grunde schon verlobt waren.
»Und dir ist es egal, ob Wien oder Schottland?«, wollte Martin wissen.
»Ja. Mich hält hier nicht viel, abgesehen von dir.«
»Meinen Segen hast du. Bei aller Freundschaft, ich bin der Letzte, der deinem Glück im Weg stehen möchte.«
»Ich werde die nächsten Wochen genug Zeit haben, mit Julia darüber zu reden«, gab sich Niko zuversichtlich.
In Wahrheit war er sich bei dem Thema äußerst unsicher. Auch wenn sie sich beide ihre Liebe schworen, würde dieser Schritt große Veränderungen mit sich bringen.
»Du hast vor, den ganzen Sommer auf Kreta zu verbringen?«
Niko nickte.
»Kira hat angedeutet, dass sie einen besonderen Ausflug vorhat. Könnte interessant werden, irgendetwas mit einem Schiff und rund um die Insel oder so ähnlich. Details will sie uns erst vor Ort verraten.«
»Das klingt doch nach einem richtig erholsamen Urlaub, ein kleiner Ausflug inklusive. Was soll da schon schiefgehen?«
Der Satz ließ Niko zusammenzucken.
Die letzten Male haben damit Abenteuer begonnen, die alles andere als ein Urlaub waren, erinnerte er sich an die vermeintlich kleinen Aufträge, die er von Martin erhalten hatte und ihn schlussendlich in prekäre Situationen gebracht hatten.
Niko stand auf und reichte Martin die Hand.
»Es wird ein erholsamer Urlaub. Genau das richtige, um mit Julia über eine gemeinsame Zukunft zu reden.«
»Ich wünsche dir alles Gute und euch beiden nur das Beste.«
Ich habe gerade ein ganz mieses Gefühl, dachte Niko, als er Martins Gesichtsausdruck sah.
Er wandte sich um und ging zur Tür, doch gerade, als er nach dem Knauf greifen wollte, stand Martin auf.
»Niko, einen Moment noch.«
»Ja, bitte.«
»Ich hätte da noch eine Kleinigkeit.«
Jeder Muskel in Nikos Körper schien zu verkrampfen.
Nein, bitte nicht. Langsam drehte er sich um.
»Wie bitte?«
»Ich hätte da ein Anliegen, welches rein zufällig zu deinem Urlaub passen würde ...«
»Ernsthaft?«, fragte Niko ungläubig.
»Wirklich nur eine Kleinigkeit«, versicherte ihm Martin.
Und so beginnt es ... erneut, dachte Niko und verdrehte die Augen.
Niko erkannte sofort den Berg, der von Bali aus deutlich zu sehen war und bei seinem letzten Besuch das Ziel einer abenteuerlichen Suche war. Bali selbst lag direkt am Meer, von der Küstenstraße konnte man drei unterschiedlich große Strandabschnitte ausmachen.
Der erste und größte Strand, neben dem sich ein Campingplatz befand, der Strandabschnitt, an dem die Strandbar ›Porto Paradiso‹ auf sie wartete und der Strand beim Hafen des Ortes. Ein weiterer Strand, der sich hinter den Felsen versteckte, war von der Straße aus nicht zu erkennen.
Julia und Niko hatten ein Zimmer in einem Aparthotel, welches nur wenige Meter von Kiras Elternhaus entfernt war. Die Koffer waren schnell ausgepackt, da Julia darauf drängte, umgehend etwas Kaltes zu Trinken zu bekommen.
»Dann zieh dich um. Wir werden gleich zum Strand gehen und damit auch zur Strandbar«, sagte Niko und warf ihr einen Badeanzug zu.
Die Strandbar ›Porto Paradiso‹ war durch eine Straße vom Strand getrennt und nahm einen Großteil des Strandabschnitts ein. Auf dem runden Tresen, in dem die Getränke zubereitet wurden, standen diverse Souvenirs aus karibischen Ländern. Lautsprecherboxen an dem Mittelposten spielten Reggea-Musik in angenehm leiser Lautstärke.
Neben der Bar gehörte auch ein Restaurant zum ›Porto Paradiso‹. Dieses war jetzt zu Mittag gut besucht, wahrscheinlich auch, weil viele der prallen Sonne entkommen wollten. Der Geruch von Pizza und gebratenem Fleisch lag in der Luft.
Kaum hatte die Gruppe rund um Kira an einem der Tische an der Brüstung Platz genommen, erschien Giannis, der Besitzer der Bar.
»Niko, schön dich wiederzusehen.«
Nachdem er auch Julia begrüßte, fragte er Niko aus, wie seine Pläne für den Aufenthalt aussahen.
»Keine verrückten Abenteuer, keine versteckten Schätze, kein Mythos, den es ...?«
»Dieses Mal gibt es nur eine Art von Mythos, die mich interessiert«, unterbrach ihn Niko, »nämlich in flüssiger Form.«
Mit einem breiten Grinsen nickte Giannis und brachte
für jeden ein großes Glas der auf Kreta bekannten Biermarke.
Julia sorgte für erstaunte Gesichter, als sie ihr Glas in einem Zug zur Hälfte leerte.
»Ich muss mich erst an die Hitze gewöhnen«, argumentierte sie.
Angesprochen auf ihre Andeutungen, zog Kira ein Prospekt hervor und legte es vor Julia und Niko auf den Tisch.
»Habt ihr von 4ocean gehört?«
Niko schüttelte den Kopf und nahm das Prospekt in die Hand. Auf dem Titelbild war ein Schiff zu sehen, auf dem mehrere Personen damit beschäftigt waren, mit Keschern diverse Gegenstände aus dem Wasser zu fischen. ›Together, we can end the ocean plastic crisis‹ stand unter dem Bild.
»Aye, ich habe davon gehört«, fiel Julia ein, »Eine amerikanische Firma, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Verschmutzung der Meere aufzuhalten.«
»Genau«, stimmte Kira ihr zu, »Weltweit landen tagtäglich unzählige Tonnen Plastik im Meer.
Inzwischen ist man wenigstens soweit, zuzugeben, dass damit der Lebensraum von Fischen und anderen Wassertieren in höchster Gefahr ist. Ich habe Bilder aus Asien gesehen, wo das Plastik wie ein dicker, begehbarer Teppich auf dem Wasser schwimmt. Und wir reden von Größenordnungen, die unvorstellbar sind. Es gibt Gebiete, da schwimmt so viel Plastik auf dem Wasser, dass mir beim Anblick der Bilder schlecht wurde. Im Pazifik treibt eine Müllinsel, der ›Great Pacific Garbage Patch‹. Inzwischen schätzt man diese sogenannte Insel auf rund 1,6 Millionen Quadratkilometer. Das ist mehr als zehnmal die Fläche von Griechenland! Nicht Kreta, sondern ganz Griechenland, stellt euch das vor! Die Idee wurde zuerst in Bali, Indonesien umgesetzt.
Inzwischen gibt es Stützpunkte in Indonesien, Florida und Haiti.
Gesponsert wird das ganze Projekt unter anderem durch den Verkauf von Armbändern wie diesem hier.«
Kira legte ihren Arm auf den Tisch und zeigte ihnen ihre drei filigranen Armbänder in unterschiedlichen Farben. Auf einem dünnen, farbigen Plastikband waren durchsichtige Glasperlen aufgereiht. Das Logo der Company war ebenfalls als kleines Metallstück am Armband befestigt.
»Jede Farbe steht für eine gefährdete Tierart, deren Lebensraum in Gefahr ist. Das blaurote Band soll an die Seepferdchen, das weiße auf den Rückgang der Eisbärenpopulation hinweisen. Und dieses blaue Armband ist sozusagen das Signature-Armband der Organisation.
Hergestellt aus recyceltem Glas und Plastik. Jedes Armband steht für ein halbes Kilo Plastikmüll, dass aus dem Meer gefischt und zur Wiederverwertung weitergeleitet wurde. Außerdem gibt es noch T-Shirts aus recyceltem Material, wiederverwendbare Getränkebecher, ein Strohhalm aus Metall anstatt Plastik.«
»Die Idee ist sehr lobenswert, aber Amerika und Asien sind weit weg«, warf Niko ein.
»Das Problem geht uns alle an. Umweltschutz ist ein globales ...«
»Das meine ich nicht, Kleine. Worauf willst du hinaus?«
Nach einem weiteren Schluck Bier erzählte Kira weiter.
»Nachdem ich mir ein Armband bestellt habe ...«
»Ein Armband für dich und das halbe Dorf«, mischte sich Manos ein, der ebenfalls ein Armband trug, in den Farben Schwarz und Gelb.
»Ja, es blieb nicht bei einem. Ich habe mich auch mit anderen Fans weltweit unterhalten. Dabei kam oft zur Sprache, wie es auf Kreta aussieht. Plastikmüll findet man quer über die Insel verteilt. Auf Parkplätzen, am Straßenrand oder inmitten von Olivenhainen. Und in den Hafengebieten von Chania und Rethymno schwimmt der Müll im Wasser. Ich habe mehrere Vorschläge eingeschickt und eines Tages ...«
Manos fiel ihr ins Wort und erzählte weiter.
»Eines Tages hat ihr Handy geläutet und die sonst so freche Kira wurde plötzlich kleinlaut und nervös. Der Anruf kam direkt von einem der Gründer von 4ocean.
Ihr Engagement hat ihn beeindruckt und zu einer Idee inspiriert.«
»Und diese Idee wird in einer Woche Wirklichkeit«, freute sich Kira.
»Werden wir irgendwann erfahren, wie diese Idee aussieht?«, fragte Niko ungeduldig.
»Eine Rundfahrt um die Insel, mit einem Schiff von 4ocean. Unterwegs wird fleißig der Müll aus dem Meer gefischt und gesammelt. In den Häfen von Rethymno, Heraklion, Sitia, Ierapetra, Agia Galini, Chora Sfakion und Paleochora wird das Schiff anlegen. Der Müll wird entladen und zur Wiederverwertung hergerichtet, außerdem gibt es vor Ort Informationsstände zur Müllvermeidung und zu dem Projekt. Das Schiff liegt bereits in Chania vor Anker. Ich werde mit an Bord gehen, vielleicht kommen noch andere mit. Ihr beide seid natürlich herzlich eingeladen, ein paar Tage mitzufahren.«
»Du schwärmst ja richtig davon. Dieses Thema bedeutet dir scheinbar sehr viel«, meinte Julia anerkennend.
»Ja. Ich komme viel auf Kreta herum und habe mir schon oft gedacht, dass viel zu viel Müll herumliegt.
Unmengen an Plastikfolien und Flaschen, einfach so weggeworfen und im Meer schwimmt auch genug.«
»Deine Begeisterung ist lobenswert«, stellte Niko fest, »Aber es braucht mehr als nur eine Rundfahrt, um große Veränderungen zu bewirken. Jeder Souvenirshop, Supermarkt, jedes kleine Geschäft verwendet Plastik- tüten.«
Er deutete auf die Bar, hinter der eine junge Frau in Kiras Alter gerade zwei Cocktails auf ihr Tablett stellte.
»Mindestens jedes zweite Getränk, ausgenommen Bier, wird mit einem Strohhalm serviert.«
»Gutes Beispiel«, stimmte Kira ihm zu, »Vor allem, weil ich Giannis und sein Team schon bearbeitet habe.
Sie trennen inzwischen das Plastik, welches einmal die Woche von einer Firma abgeholt wird. Du hast schon Recht, es sind nur kleine Taten, aber irgendwer muss damit anfangen. Diese Schifffahrt soll darauf aufmerksam machen und die Leute aufrütteln.«
»Ich habe schon verstanden und ich finde deinen Einsatz sehr bemerkenswert«, meinte Julia, »Meine Firma verhandelt gerade in Schottland bezüglich Gezeiten- kraftwerke. Eine umweltfreundliche Art, bei der Turbinen vor der Küste die Strömung der Meeresgezeiten zur Energiegewinnung nutzen. Wenn du Hilfe benötigst, wir sind voraussichtlich den ganzen Sommer hier.«
Julia beendete die Gesprächsrunde, um der Hitze zu entkommen und sich im Meer abzukühlen. Bis zum frühen Abend blieb sie beinahe durchgehend im Wasser, Niko leistete ihr zwischendurch Gesellschaft, verbrachte aber lieber die Zeit auf der Sonnenliege.
Dabei konnte er zusehen, wie unbeschwert seine Freundin das Wasser genoss. Sie schien alle Probleme und den Stress der letzten Wochen mit einem Schlag abgeschüttelt zu haben. Außerdem bewunderte er dabei ihren Körper und schmolz bei jedem Lächeln von ihr dahin. Jedenfalls innerlich, nach außen ließ er sich seine Gefühle nur selten anmerken.
Es wurde ein langer Abend an der Bar. Bei einer Souvlaki-Platte, Cocktails und Bier musste Niko ausführlich berichten, wie er in Schottland die Wahrheit über seine Tochter erfuhr und Julia nach vielen Jahren wieder gefunden hatte.
Obwohl das Paar selbst einige Pläne für den Sommer auf Kreta hatte, bestand Kira darauf, sie am folgenden Tag in der Früh abzuholen.
»Du hast den Wagen, Manos und ich werden die Reiseleitung übernehmen«, bestimmte sie.
Widerspruch war sinnlos, so gut kannte Niko die junge Frau bereits.
Julia und Niko hatten ihr Frühstück auf dem Balkon noch nicht beendet, da tauchte bereits Kira mit ihrem Freund Manos auf und drängte darauf, loszufahren.