Mit allem rechnen (E-Book) - Geri Thomann - E-Book

Mit allem rechnen (E-Book) E-Book

Geri Thomann

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Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Improvisation wird im Bildungsbereich oft mit Fehlplanung und mangelnder Unterrichtsvorbereitung gleichgesetzt. Das wird den vielseitigen Facetten und Interpretationsmöglichkeiten von Improvisation aber nicht gerecht. Improvisation wirkt der scheinbaren Planbarkeit oder Vollständigkeit des zu Lernenden entgegen, schafft Räume für spontane Entwicklungen, Irrtümer, Korrekturen und Kreativität. Wie diese Aspekte in die Hochschullehre und Erwachsenenbildung integriert werden können, wird im vorliegenden Band skizziert.

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Geri Thomann, Monique Honegger (Hrsg.)

Mit allem rechnen

Improvisieren in der Bildungsarbeit

ISBN Print: 978-3-0355-1698-2

ISBN E-Book: 978-3-0355-1699-9

1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Reihe Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung

Geri Thomann und Monique Honegger

Einleitung – Funktionen von Improvisieren in Bildung

Theo Wehner und Geri Thomann

Über den Geltungsbereich improvisierenden Handelns

Geri Thomann

Improvisieren, Planen und Scheitern in der Pädagogik – Denken und Handeln in Optionen

Monique Honegger

Lücken und Vielfalten: Querdenken als improvisierendes Lernen

Ursula Bertram

Nonlineares Denken und Handeln entwickeln – Improvisationskraft, Erfindungsgabe und Probierbewegungen

Wanja Kröger

Improvisation? – Ein Bildungsframework verschieben und erweitern

Natascha Kuhn

Improvisation Raum geben – Erfahrungsbericht aus studentischer Perspektive

Mathis Kramer-Länger

Improvisationskompetenz im Theater – oder eben nicht

Christopher Dell

Improvisation. Von den emanzipierten Lernenden

Bernhard Suter

Improvisationskompetenz erfassen – componere und improvvisare im didaktischen Handlungsfeld

Lucie Tuma

Während ich tanze

Rolf Kuhn

JAZZAGOGIK – Improvisation, Resonanz und Bildung

Sandra Wilhelm

Im Clinch mit der Improvisation – Rollenfindung zwischen Loslassen und Kontrolle

Autorinnen und Autoren

Register

Vorwort zur Reihe Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung

Lehren, prüfen, beraten, forschen, organisieren: Diese Themen sind Bestandteil des Aufgabenfelds von Dozierenden an Hochschulen oder Lehrenden in der Erwachsenenbildung. Sie sind die Akteurinnen und Akteure im Wissens- und Technologietransfer durch Weiterbildung und Dienstleistungen, betreiben Projektmanagement und engagieren sich in der Qualitätsentwicklung der eigenen Bildungsorganisation.

Lehre und Unterricht sind dabei herausgefordert. So gestalten Dozierende etwa gemeinsam Curricula oder einzelne Module, planen Leistungsnachweise, integrieren Phasen von selbstorganisiertem Lernen oder implementieren Konzepte von Blended Learning in ihre Lehrveranstaltungen.

Die Abteilung für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich (PH Zürich) unterstützt seit 2009 Hochschulen, Berufsfachschulen sowie Organisationen der Erwachsenenbildung und ihr Lehrpersonal durch Weiterbildung und Beratung.

Themenschwerpunkte sind dabei Studierenden-/Lernendenorientierung, Rollenvielfalt bei Lehrenden, kompetenzorientierte Lehre, erwachsenenbildnerisches Handeln, Mentoring, Tutoring, Beratung, Schreib-, Denk- und Lernförderung in Lehre an Hochschulen und Bildungsorganisationen der Erwachsenenbildung, Hochschulentwicklung, Evaluation sowie Digitalisierung und ihre Folgen für die Weiterbildung.

Der vorliegende Band bezieht sich auf die Aktivitäten der Abteilung «Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung» im Jubiläumsjahr 2019 (10 Jahre ZHE).

Das ZHE wurde 2009 mit einem kleinen Team gegründet. Es ist das heutige Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung. Im Lauf der Jahre stiessen das «Schreibzentrum», das «Zentrum Berufs- und Erwachsenenbildung», das «Zentrum für Evaluation» und die «Professur Höhere Berufsbildung und Weiterbildung» dazu. Seit 2018 sind wir die Abteilung «Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung».

«Improvisation – zwischen Chaos und Determinierung»: Unter diesem Motto stand unser Jubiläumsjahr.

Herausgebende des vorliegenden Bands sind Geri Thomann und Monique Honegger.

Die Reihe Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung regt Diskussionen über und Auseinandersetzungen mit aktuellen und praxisrelevanten hochschuldidaktischen und erwachsenenpädagogischen Fragen an. Sie stellt Dozierenden an Fachhochschulen, in der Höheren Berufsbildung sowie Verantwortlichen von Aus- und Weiterbildungen in Institutionen der Erwachsenenbildung Reflexions- und Handlungsinstrumente zur Verfügung. Üblicherweise erscheint ein Band jährlich.

Geplant ist folgender Band:

Band 11 (2021)

Umgang mit Unerwartetem: Führen in Expertenorganisationen – Bildung und Gesundheit im Vergleich (Hrsg. Geri Thomann, Niels Anderegg, Sylvia Kaap-Fröhlich und Hans-Peter Karrer)

Bereits publizierte Bände:

phzh.ch/w-he-publikationen

Bitte kontaktieren Sie uns für Rückmeldungen oder Ideen. Wir wünschen Ihnen viele Anregungen.

Das Editorialboard der Reihe:

Geri Thomann, Monique Honegger, Daniel Ammann, Dagmar Bach, Erik Haberzeth und Tobias Zimmermann

Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung PH Zürich

[email protected]

phzh.ch/w-he

Improvisation? Braucht es für Orientierungslosigkeit neuerdings eine andere Bezeichnung?

Geri Thomann und Monique Honegger

Einleitung – Funktionen von Improvisieren in Bildung

Vorliegender Band fokussiert ein Thema, das bislang kaum im Brennpunkt hochschuldidaktischer und erwachsenenbildnerischer Aktualität war: Improvisation. Improvisation führt als Begriff ein Doppelleben: Während sie in Kunst (Musik, Tanz, Performance) oft positiv gewertet wird, gilt sie in anderen Tätigkeitsfeldern (etwa in der Bildung) häufig als Indikator des Mangels; wenn vermeintliche Fehlplanung kompensiert wird, wird dies im Bildungsbereich in der Alltagssprache gern «Improvisieren» genannt.

In der einschlägigen deutschsprachigen pädagogischen Literatur findet sich der Begriff «Improvisation» interessanterweise kaum – mit wenigen Ausnahmen (Danner, 2001), obwohl sich gesellschaftssoziologische und organisationstheoretische Konzepte seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts mit Begriffen wie «Risiko», «Unvorhersehbarkeit», «Ungewissheit» oder «Multioptionalität» beschäftigen.

Beck (2003) beschrieb mit gesellschaftlicher Perspektive das «untragbare Joch der praktischen Irrtumslosigkeit», vom Menschen, welcher zur «Fehlerfreiheit verdammt» ist, was bei der wachsenden Risikopotenzierung eine Vernebelung von Tatsachen sei. Er plädierte dafür, Entwicklungen, die Irreversibilität schaffen, zu vermeiden und stattdessen Raum für Irrtümer und Korrekturen zu lassen. Durch die Revidierbarkeit von Entscheidungen bleibe die Zurücknahme später erkannter Nebenwirkungen möglich; die Fehler- und Irrtumsbehaftetheit menschlichen Denkens und Handelns sei die «bestbestätigte und sympathischste Theorie» (Beck, 2003, S. 293 f.). Damit plädierte er mit unseren Worten dafür, die Zielfixierung improvisierend zu flexibilisieren, aber auch dafür, Handeln nicht einfach aufgrund der Risikolage zu unterlassen.

Gesellschaftliche Konzepte beschwören das «Ende der Eindeutigkeit» (Bauman, 1995) im Zusammenhang mit einer Abkehr von einer passiv-teleologisch-ergebenen Haltung des Menschen zu einem postmodernen Risikoverhalten; die Forderung, universale (religiöse) Prinzipien radikal zu verwirklichen, scheint in der postmodernen Vielfalt nicht mehr haltbar zu sein. Das Zauberwort unserer Existenz hat sich schon seit Längerem von «Schicksal» zu «Problem» gewandelt. Diese soziologische Perspektive aus den 80er- und frühen 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts führt bis in die Gegenwart zu dezidierten Aussagen über gesellschaftliche oder organisationale Phänomenen wie «Risiko» (Dufourmantelle, 2018) oder «Scheitern» (Kunert, 2016).

Im selben Zeitraum dominiert(e) paradoxerweise im Gegensatz dazu die sogenannte «Kompetenzorientierung» den Bildungsbereich. Diese betont zwar die Individualität von Lernprozessen und die stets zu berücksichtigende Einzigartigkeit sämtlicher Lernenden, präsentiert sich jedoch konzeptionell als ein planmässig zu durchlaufendes, «nach oben» führendes Stufensystem, das wenig Raum für ungeplante und spontane Entwicklungen und Bewegungen bietet – weder für Lehrende noch Lernende (Sieber, 2018). Das Konzept orientiert sich metaphorisch gesehen meist am gelingenden Emporwachsen von niedrigeren zu höheren Kompetenzen. Andere Wege als diese Stufen oder unvorhergesehene Wege, ein zu langes Verweilen auf einer Stufe, Rückschritte, Querschritte ohne «Wachstum» oder gar ein Verlassen oder Auslassen der Treppe sind nicht vorgesehen. Die formalen Vorgaben der Bologna-Reform für Hochschulen in der Schweiz beispielsweise gehen davon aus, dass Kompetenzen über Lernzielformulierungen angestrebt werden und im Rahmen von Modulprüfungen während des Studiums zu Qualifikationen führen. Dabei sollen die Lernziele (learning outcomes) dem jeweiligen Kompetenzstand angepasst sein und auch diesem Stand gemäss transparent überprüft werden. Die Handlungsorientierung wird hier durch das Prinzip der Vergleichbarkeit und der Überprüfung ergänzt. Wissen wird gemäss diesem Verständnis kontinuierlich zu Können, der Aufbau von Kompetenzen erfolgt auch in dieser Denkweise in Stufen. Hoffnungsvoll wird eine Steuerung der inneren Entwicklung (des Kompetenzzuwachses) von Lernenden angenommen. Bildungspolitische Harmonisierungs- und Anerkennungsbestrebungen führen zudem europaweit zu kompetenz- respektive outcome-orientierten Ausbildungsprofilen (Thomann, 2017). Dabei kultiviert sich die Paradoxie, dass es angesichts des vorausgesetzten steten Wandels nicht ausreicht zu qualifizieren, indem an Gegebenes angepasst wird. Kompetenzen per se zielen nämlich auf eine nicht begrenzbare Qualifikationsdimension.

Wo bleibt in diesem Rahmen das Risiko oder die Option des Scheiterns?

Scheinbare Planbarkeit oder Vollständigkeit des zu Lernenden wird offensichtlich im Bildungskontext als Illusion aufrechterhalten, obgleich der Anspruch nie zur Wirklichkeit passt (vgl. Beiträge von Thomann, S. 46, Honegger, S. 68, und Kröger, S. 96)

Immerhin zeigen in der aktuelleren didaktischen Literatur einschlägige Titel, dass diesbezüglich Bewegung entsteht, zum Beispiel «Ungewissheit als Herausforderung für pädagogisches Handeln» (Paseka, Keller-Schneider und Combe, 2018), «Agile Hochschuldidaktik» (Arn, 2016), «Scheitern als Ziel» (Schiefner-Rohs, 2019) oder «Exploring and learning from failure in facilitation» (Bomann & Yeo, 2019).

Doch nun zur Gegenwart, also der Zeit während des Entstehens vorliegender Beiträge. Zwar sind interpretierende Einordnungen der Gegenwart stets etwas keck, wir wagen es trotzdem. In der Covid-19-Krise veränderten sich sämtliche Abläufe des öffentlichen Lebens aufgrund staatlich verordneter Interventionen. Diese wirkten sich auch massgebend auf den Bildungsbetrieb aus: So mussten etwa sämtliche Hochschulen und Erwachsenbildungsanbieter ihr Präsenzangebot einstellen und auf distance learning oder hybride Angebote umsteigen. Dies führte teilweise zu hilflosen, aber ebenso auch zu zahlreichen kreativen Versuchen, Lehr-/Lernsituationen anzupassen und anders zu gestalten. Inwiefern sich der vormals «gut» organisierte und weniger auf Improvisieren eingestellte «Normalzustand» von «vor Covid-19» wiederherstellen lässt oder überhaupt lassen soll, wissen wir zum Zeitpunkt der Drucklegung des vorliegenden Bands noch nicht. Es scheint eher eine andere «Normalität» der Gegenwart ohne die gewohnte Zukunftsplanung zu entstehen. Werden wir wieder in ruhigere Fahrwasser gelangen oder wird sich das Fahrwasser beruhigen?

Die Auseinandersetzung mit Ungewissheit gilt für alle Lebensbereiche, sie wird zur lebensbegleitenden Anforderung und keineswegs zum Sonderfall, bis das «Schiff wieder in ruhiges Fahrwasser» gelangt ist und alte Routinen wieder die Oberhand gewinnen können.

(Sauer & Trier, 2012, S. 260)

Ungewissheit spielt stets mit und braucht entsprechende Improvisation – so unsere Prämisse; und es braucht Improvisation keineswegs nur, um Restrisiken oder ungeplante Nebenwirkungen zu minimieren. Vielmehr müssen soziale und professionelle (Alltags-)Handlungen in der neuen Situation überprüft und allenfalls modifiziert werden, die «andere» oder mitunter «neue» Gegenwart muss gestaltet werden, ohne zu wissen, was die Zukunft genau mit sich bringt. Es geht darum, das Potenzial der Situation (besser) zu nutzen (s. Beiträge von Wehner & Thomann, S. 24, und Thomann, S. 46).

Improvisierend zu handeln und zu lernen, mit Unvorhersehbarem umzugehen, war unbestritten bereits vor der Covid-19-Krise in der täglichen Bildungsarbeit eine relevante Konstante – auch wenn dafür pädagogische Modelle weitgehend fehlten.

Immerhin: Classroom-Management-Forscher Walter Doyle (nach Doyle in Dick, 1996, S. 74 ff.) schlüsselte (nicht ganz zufällig) in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Komplexität für Unterrichtssituationen nach verschiedenen Aspekten auf. Er unterschied dabei «simultane Wirklichkeiten». Dazu gehören unter anderen: Multidimensionalität, Gleichzeitigkeit, Unmittelbarkeit und Unvorhersehbarkeit. Doyle konstatierte: Lehr-/Lernsituationen nehmen oft einen unerwarteten Verlauf. So erschweren etwa Unterbrechungen oder Ablenkungen, das Unterrichtsgeschehen zu prognostizieren oder längerfristig zu planen. Dieses Handeln wurde bisher meist nicht explizit «Improvisieren» genannt.

Was meint Improvisieren eigentlich?

Improvisieren bedeutet, «etwas ohne Vorbereitung, aus dem Stegreif tun», entlehnt von lat. providere, «vorhersehen», italienisch improviso, «unvorhergesehen, unerwartet». Demnach bedeutet «Improvisieren» zu handeln, ohne vorherzusehen (Bormann et al., 2010, S. 7). Improvisation steht also für eine «radikale Öffnung des Tuns, das sich auf Kontingenz und das Unvorhersehbare als Faktoren von Situationen und Ereignissen einlässt» (Bormann, 2010, S. 7 und Dell, 2002, S. 27).

Es lassen sich unter Bezugnahme auf verschiedene Beiträge im vorliegenden Band diverse Diskurse und Fragen zu «Improvisieren» feststellen.

A Improvisieren und Planen haben ein kritisches Verhältnis zueinander

B Improvisieren ist Umgang mit Unvorhersehbarem (managing the unexpected)

C Improvisieren hängt mit Kreieren, Ordnen und in weiterem Sinn Lernen zusammen

D Improvisieren ist das «mystifizierte Anders»

E Improvisationskompetenz und improvisierendes Lernen

A Improvisieren und Planen haben ein kritisches Verhältnis zueinander

Vielerorts diskutiert, oftmals schnell abgehandelt und entsprechend mystifiziert ist das Verhältnis von Planen und Improvisieren. Mit Widersprüchlichkeiten umzugehen, gehört zum täglichen Handeln. Auch in der Bildungsarbeit. Planung stellt die eine Seite der Handlungsmünze dar, die Realität die andere.

Mit der Realität umzugehen, fordert jeweils oft Improvisieren oder zumindest ein Umspielen des Planes, Plankorrekturen. Pläne reibungslos durchzuführen, zu realisieren, ist eher die Ausnahme, weil jede Durchführung eines Plans neue Komplexität generiert. Diese erwachsende Komplexität ist kein ungewollter Nebeneffekt einer geordneten oder zu ordnenden Welt. Sie ist vielmehr eine Form der Realität. Indem wir linear, «professionell» und nach Plan handeln, vermeiden wir scheinbar Risiken und Fehler, für die wir uns nachher allenfalls schämen müssten. Durch diese Vermeidungsstrategie entgeht uns als Handelnde und Reflektierende jedoch das Potenzial der durchkreuzten Pläne, der verlorenen Fassungen und Fehlleistungen: Genau diese «Scheitererfahrungen» oder «-quellen» könnten dabei helfen, adäquatere oder bessere Lösungswege zu entdecken.

Karl Weick unterscheidet vier Ebenen improvisationaler Performanz (Dell, 2012, S. 136): die Interpretation, die minimale Variation, die Variation und die Improvisation (vgl. den Beitrag von Thomann, S. 46). Die Notwendigkeit, sich in Situationen zu entscheiden, wächst dabei mit der Zunahme der improvisierenden Gestaltungsmöglichkeiten (von der Variation bis zur freien Improvisation). Konkret bedeutet dies: Improvisieren ist kein Gegenspieler von Planen. Vielmehr lassen sich improvisierend Pläne als mögliche Struktur, als Option fassen: Pläne können benutzt, neu arrangiert und umspielt werden. Entscheidungen werden im Moment getroffen. Die – sich stets ändernde – Ordnung wird auf diese Weise nicht nur vor dem Prozess, sondern ebenso während des Prozesses hergestellt. Improvisieren bedeutet, mit einer minimalen Struktur zu beginnen und handelnd einen Plan zu entwickeln (Dell, 2012, S. 138). Demnach ist Improvisation eindeutig kein ungeplantes Handeln – Planen und Echtzeithandeln stimmen nämlich überein (Dell, 2012, S. 135 f.).

Diesem Phänomen gehen die Beiträge von Dell (S. 118), Thomann (S. 46) und Tuma (S. 144) diskursiv auf den Grund.

B Improvisieren ist Umgang mit Unvorhersehbarem (managing the unexpected)

Mit einem unerwarteten Verlauf umzugehen, lässt sich als managing the unexpected bezeichnen, wie es auch Karl Weick und Kathleen Sutcliffe (2016) basierend auf Untersuchungen in sogenannten high reliability organizations tun. Sie plädieren dafür, sich auf Fehler und Abweichungen zu konzentrieren, um defensive Routinen zu verhindern und Innovation zuzulassen (vgl. den Beitrag von Wehner & Thomann, S. 24).

Zwar geht es bei der Arbeit in Bildungsorganisationen selten um Leben und Tod. Anders dagegen rettet in einer Rettungssanität oder Intensivstation mitunter standardisiertes Vorgehen Leben, manchmal tut das jedoch ebenso der Situation angepasstes, von Standards abweichendes Verhalten (vgl. die Beiträge von Kramer-Länger, S. 110, Thomann, S. 46, und Wilhelm, S. 168).

Judith Neumer (2012, S. 37–67) diskutiert unter dem Titel «Von der bounded rationality zum situativen Handeln» aktuelle Konzepte, wie sich in unsicheren Situationen Entscheiden und Handeln konstruktiv verbinden lassen. Ähnlich charakterisiert der Literaturwissenschaftler Sandro Zanetti die Improvisation als ein Verfahren, «wie mit dem Unvorhergesehenen produktiv umgegangen werden kann». Improvisation ist grundsätzlich «gegenwarts- und zukunftsoffen» (Zanetti, 2014, S. 15). Luhmann schreibt von «Präparation» im Sinn der Vorbereitung auf Überraschungsmomente und Unvorhersehbarkeiten (2002, S. 45). Ebenso betont Coach und Autor Hermann Rühle, dass Improvisieren bedeute, «mit dem Unvorhergesehenen fertigzuwerden, spontan und flexibel das Beste aus einer überraschenden Situation zu machen» (Rühle, 2004, S. 40).

Diesen Strang nehmen im vorliegenden Band die Beiträge von Bertram (S. 88), Honegger (S. 68), Kramer-Länger (S. 110), Kröger (S. 96), Kuhn (S. 154), Suter (S. 134) und Tuma (S. 144) auf.

C Improvisieren hängt mit Kreieren, Ordnen und in weiterem Sinn Lernen zusammen

Ist Improvisation als unvorhersehbarer Akt lediglich Creatio ex nihilo? Oder ist Improvisation erst vor dem Hintergrund von Ordnungsmustern möglich? Oder meint Improvisieren eher, Prozesse an den Grenzen von Regeln zu gestalten bis hin zum Regelbruch, der neue Formen und Spielräume eröffnet?

Christopher Dell darf theoretisch als Vertreter des Ordnungsansatzes gesehen werden. Improvisieren braucht seines Erachtens Ordnung und Technologie. Dell führt in diesem Zusammenhang aus, dass sich die Fähigkeit zu improvisieren darin zeige, mit einer begrenzten Anzahl einfacher Regeln und minimaler Strukturen eine grosse Anzahl Verhaltens-, Handlungs- oder Kommunikationsvarianten zu generieren (Dell, 2012, S. 22). Er charakterisiert Improvisation als Technologie des maximalen «Verschaltens vorhandener Strukturen und Ressourcen» (Dell, 2017, S. 135). Improvisationsvermögen wächst in diesem Verständnis mit der Variabilität der Erfahrungen, die sich in der Gegenwart nutzbar machen lassen. Dell sieht in Improvisation «eine Art Deterritorialisierungsprozess, der in seiner Rekonstruktion eine Reterritorialisierung erfährt» (Dell, 2012, S. 128). Übersetzt in die Alltagssprache: Improvisieren bedeutet, Regeln umzudeuten, mit den gegebenen Handlungsräumen zu spielen und diese zu erweitern. Ordnung wird für Dell übrigens nicht nur vor, sondern ebenso während des Prozesses hergestellt (Dell, 2012, S. 148). Improvisation beinhaltet stets auch «die Lage sondieren» und das «Potenzial der Situation orten» (Dell, 2012, S. 137). Zum in diesem Sinn emanzipierten Lernenden findet sich ein Beitrag von Dell in vorliegendem Band.

D Improvisieren als das «mystifizierte Anders»

Improvisation entspreche «einer Lebensform – und einer geistigen Form» und sei nicht lediglich das «Gegenbild von Komposition». So der Musikwissenschaftler Christian Kaden. Kaden umschreibt Improvisation als eine «spezifische Daseinsweise»: Ein Dasein des «So-und-auch-anders» (Kaden, 1993, S. 47). Wer sich improvisatorisch verhält, trifft eine Wahl, «aber er behält vor Augen und Ohren, dass es eine Wahl ist und dass er beim nächsten Mal andere Möglichkeiten ergreifen kann» (ebd., S. 51). Demgegenüber besitzt für Dell «Improvisation einen flüssigen Plan, der in die Navigation der Spielenden selbst als Matrix und Reservoir für Handlungsoptionen eingelagert ist» (Dell, 2012, S. 133). Im vorliegenden Band finden sich hierzu Gedanken in den Beiträgen von Kuhn, Kramer, Kröger, Suter sowie Tuma.

E Improvisationskompetenz oder improvisierendes Lernen?

Was bedeutet es, im alltäglichen beruflichen Handeln mit Unvorhersehbarem umzugehen und damit entsprechend Unvorhersehbares zu kreieren? Sollen wir lediglich besser planen, um den Plan verlassen zu können? Oder braucht es Pläne mit der Option des Scheiterns (Risikoanalyse), damit wir in der jeweiligen Situation flexibel sind, um Abweichungen in den Griff zu bekommen oder zu legitimieren? Fordern komplexe Arbeitskontexte eine erhöhte Flexibilität im Handeln? Falls diese Fragen bejaht werden, eine letzte Frage: Wie lässt sich eine spezifische Kompetenz für den Umgang mit Unvorhersehbarkeit und Mehrdeutigkeit herauskristallisieren, eine «Improvisationskompetenz»? (Vgl. den Beitrag von Suter, S. 134).

Um Improvisationskompetenz zu generieren, wäre improvisierendes Lernen per se einerseits eine Bedingung, andererseits gibt es gewisse Lernformen, die sich als improvisierend bezeichnen lassen. Ausführungen hierzu in den Beiträgen von Honegger, Kröger und Kuhn.

Überblick der Beiträge

Vorliegender Band und seine Beiträge reflektieren, welche Funktionen improvisierendes Handeln im Kontext von Handeln, Lernen und Lehren an Hochschulen und in der Erwachsenenbildung einnimmt und einnehmen kann. Die Beiträge stammen von Expertinnen, Funktionstragenden sowie Dozierenden unterschiedlicher Disziplinen (unter anderem Arbeitspsychologie, Architektur, Cultural Studies, Diversity, Erwachsenenbildung, Lehrpersonenbildung, Linguistik, Organisationsentwicklung, Musik, Städtebau und Tanz).

Eingangs erörtern Theo Wehner und Geri Thomann den Geltungsbereich von Improvisation. Wehner fokussiert auf Individuen, Thomann auf Organisation.

Inwiefern Pädagogik per se als Sicherheitskonzept funktioniert, wird im Beitrag von Geri Thomann diskutiert.

Ums Lerngeschehen an Hochschulen gehen die Ausführungen von Monique Honegger. Sie stellt dar, wie Lücken und Vielfalten einerseits Chancen für improvisierendes Lernen sind. Andererseits wird gezeigt, dass gewisse «gesellschaftspolitisch brisante Themen» an Hochschulen improvisierende Lernformen brauchen fürs Querdenken.

Ursula Bertram fokussiert in ihrem Beitrag zu nonlinearem Denken das notwendige Zusammenspiel von Improvisationskraft, Erfindungsgabe und Probierbewegungen.

Eine hochschuldidaktische Denkbewegung, die weg von bestehenden Curricula hin zu Formen für ein anderes Bildungsframework führt, das improvisierendem Lernen Raum eröffnet und dessen Relevanz aufzeigt, macht Wanja Kröger in seinem Essay.

Die Studentin Natascha Kuhn beschreibt in ihrem Erfahrungsbericht aus Studierendenperspektive, wie Improvisieren Räume für hochschulisches Lernen eröffnen kann.

Erinnerungen an improvisierende Lernerfahrungen an Hochschulen und mögliche Formen von Improvisieren aus Dozierendensicht reflektiert Mathis Kramer.

Christopher Dell schliesslich stellt sich der Frage, welches emanzipatorische Potenzial Improvisation birgt.

Improvisationskompetenz müsste sich charakterisieren und feststellen lassen können, so die Arbeitshypothese von Bernhard Suter. Mit seinem Impro-Spyder bietet er eine Möglichkeit an, das Unfassbare in sechs Dimensionen zu erfassen.

Jazzagogik nennt Rolf Kuhn das von ihm unter anderem aus den Praxen des Jazz abgeleitete Verfahren, das Kreieren und eben auch Improvisieren in denkenden Gruppen ermöglicht.

Sandra Wilhelm schliesslich rundet den Band als Leserin aller Beiträge ab und zieht ihre Folgerungen für ihre weitere Tätigkeit als Erwachsenenbildnerin und Dozentin und stellt sich neuen Fragen.

Der Band fokussiert auf ergänzende Handlungsgrundlagen – auf den ersten Blick scheinbar konträr zum rational-logisch geplanten Vorgehen: situative Gefühle, das Antizipieren von Ereignissen, das Assoziieren vorangegangener Erfahrungen, das Spielen und Rütteln an vermeintlich Festgelegtem sowie die Fantasie als zentrale Komponenten der Handlungsregulation.

Gegenstimmen und Contra-Argumente sollen es Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in Ihrem «Hin- und Herdenken» ermöglichen, eine Position zu finden. Diese finden sich als kurze prägnante und kernige Sätze zwischen den jeweiligen Beiträgen. Auf unsere Bitte hin formulierten die folgenden Kolleginnen und Kollegen kurze Gegenpositionen, die nicht unbedingt ihrer persönlichen Überzeugung entsprechen: Daniel Ammann, Nadine Bieker, Matthias Briner, Dagmar Engfer, Anja Friderich, Erik Haberzeth, Simone Heller-Andrist, Walter Mahler, Jürg Schwarz und Katrina Welge.

Die künstlerische Umsetzung des Themas «Improvisieren» in der Bildungsarbeit obliegt Sarah Burger. Ihre Grafiken (auch auf dem Titelbild) finden sich jeweils neben den Gegenstimmen («Weather, Words», 2020).

Herzlichen Dank unserer Reflexions- und Begleitgruppe während unserer Jubiläumsaktivitäten im Jahre 2019 für etliche Anregungen: Tamara De Vito, Dagmar Engfer, Wanja Kröger, Mira Sack und Beni Suter.

Literatur

Arn, Christof (2016). Agile Hochschuldidaktik. Weinheim: Beltz Juventa.

Bauman, Zygmunt (1995). Moderne und Ambivalenz. Frankfurt am Main: Hamburger Edition.

Beck, Ulrich (2003). Risikogesellschaft – auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt: Suhrkamp.

Bomann, Jennifer & Yeo, Michelle (2019). Exploring and learning from failure in facilitation. In: International Journal for academic development. Online: www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/1360144X.2019.1700120.

Bormann, Hans-Friedrich et al. (Hrsg., 2010). Improvisieren – Paradoxien des Unvorhersehbaren. Bielefeld: Transcript.

Danner, Stefan (2001). Erziehung als reflektierte Improvisation. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Dell, Christopher (2002). Prinzip Improvisation. Kulturwissenschaftliche Bibliothek, Band 22. Köln: Verlag Walther König.

Dell, Christopher (2012). Die improvisierende Organisation – Management nach dem Ende der Planbarkeit. Bielefeld: Transcript.

Dell, Christopher (2017). Technologie der Improvisation. In: W. Stark et al. (Hrsg.), Improvisation und Organisation. Bielefeld: Transcript, S. 131–141.

Dufourmantelle, Anne (2018). Lob des Risikos – Ein Plädoyer für das Ungewisse. Berlin: Aufbau Verlag.

Dick, Andreas (1996). Vom unterrichtlichen Wissen zur Praxisreflexion: Das praktische Wissen von Expertenlehrern im Dienste zukünftiger Junglehrer. 2. Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Kaden, Christian (1993). Des Lebens wilder Kreis – Musik im Zivilisationsprozess. Kassel: Bärenreiter Verlag.

Kunert, Sebastian (2016). Failure Management – Ursachen und Folgen des Scheiterns. Berlin, Heidelberg: Springer Gabler.

Luhmann, Niklas (2002). Das Erziehungssystem der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Neumer, Judith (2012). Entscheiden unter Ungewissheit – Von der bounded rationality zum situativen Handeln. In: F. Böhle et al. (Hrsg.), Management von Ungewissheit. Bielefeld: Transcript, S. 37–68.

Paseka, Angelika, Keller-Schneider, Manuela & Combe, Anno (2018). Ungewissheit als Herausforderung für pädagogisches Handeln. Wiesbaden: Springer VS.

Präview, Zeitschrift für innovative Arbeitsgestaltung und Innovation 1/2014: Improvisation in Kunst, Organisation und Gesellschaft. Dortmund.

Rühle, Hermann (2004). Die Kunst der Improvisation. Mit Überraschungskompetenz das Unvorhergesehene meistern. Paderborn: Junfermann.

Schiefner-Rohs, Mandy (2019). Scheitern als Ziel – Ambivalenzen forschungsorientierter Lehre im Studiengang. In: G. Reinmann et al. (Hrsg.), Forschendes Lernen in der Studieneingangsphase. Hamburg: Springer VS, S. 79–91.

Sauer, Johannes & Trier, Matthias (2012). Ungewissheit und Lernen. In: F. Böhle & S. Busch (Hrsg.), Management von Ungewissheit. Bielefeld: Transcript, S. 257–278.

Sieber, Peter (2018). Autorenschaft und Ästhetik – Abwesende in der Schreibdidaktik? Online: zeitschrift-schreiben.ch

Thomann, Geri (2017). Kompetenzorientierung und Bildung auf Tertiärstufe: Drei unterschiedliche Sichtweisen. In: Case Management 4/2017, S. 148–151.

Weick, Karl. E. & Sutcliffe, Kathleen (2016). Das Unerwartete managen. 3. Auflage. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

Zanetti, Sandro (Hrsg., 2014). Improvisation und Invention – Momente, Modelle, Medien. Zürich: diaphanes.

Improvisation legitimiert nachträglich selbst verschuldete Pannen.

Theo Wehner und Geri Thomann

Über den Geltungsbereich improvisierenden Handelns[1]

Gut ist der Vorsatz,

aber die Erfüllung schwer.[2]

Menschen planen, handeln und improvisieren (auch)

… am besten war ich, wenn ich improvisierte.

In einer Weiterbildung mit Dozierenden zum Fehler- und Konfliktmanagement ging es um die Voraussetzungen und um die Bewältigung von Fehlern. Die Dozierenden waren sich einig, dass unter anderem fehlende Ressourcen und Gründlichkeit bei der Vorbereitung eine der häufigsten subjektiv wahrgenommenen Fehlerquellen für einen nicht gelungenen Unterricht darstellen. Als wir den Umgang mit Fehlern, Pannen, Irrtümern oder nicht vorher bedachten Störungen im Unterricht reflektierten, gab es viele interessante, meist individuelle Erfahrungsberichte, aber letztlich keinen gemeinsamen Nenner. Eindrücklich war für den Erstautor des Textes die in einem späteren Gespräch selbstbewusste Aussage eines Dozenten: «Am besten war ich, wenn ich improvisierte …» Obwohl dieser Dozent meine kopfnickende Zustimmung erfuhr, schob er unmittelbar nach: «… natürlich ging das nur, wenn ich auch gut vorbereitet war.» Damit ist der Dreiklang benannt, um den es im Folgenden geht: (gründliche) Vorbereitung – (unerwartete) Störung – (selbstsichere) Improvisation.

Wer erfolgreich improvisiert, braucht – dort, wo der Plan nicht hinreicht, oder dort, wo Störungen auftreten, mit denen nicht zu rechnen ist – Handlungsfähigkeit in Form von Geistesgegenwart beziehungsweise eine gesteigerte Präsenz. Vor diesem Hintergrund soll hier – stark vereinfacht – nachgezeichnet werden, was in der Psychologie unter Handeln verstanden wird.

Wer improvisiert, der handelt

Wer vom menschlichen Handeln – im Alltag oder in organisationalen Kontexten – spricht, der spricht irgendwann immer auch und zwar ausführlich vom Planen und weiss sich damit in guter Gesellschaft mit der Praxis von Führungspersonen, Dozierenden, Lehrpersonen und mitunter auch von Lernenden: Sie alle legitimieren ihr Handeln meist durch Planung und finden dafür auch in den angewandten Wissenschaften veritable Referenzen (Walkowiak & Erber-Schropp, 2017 oder Heimberg, 2017).

Wer hingegen vom improvisierenden Handeln sprechen möchte, relativiert den vermeintlich allumfassenden Geltungsbereich des rational-planvollen Vorgehens und muss jenen der Improvisation – als erweitertes Handlungsvermögen – bestimmen.

Improvisierendes Handeln – ob in einer musikalischen Darbietung, in der manageriellen, handwerklichen oder pädagogischen Praxis – zeigt sich als aktives Tätigsein, welches zum Beispiel für die Musik nicht auf eine Komposition oder, in den anderen Fällen, nicht auf einen geplanten Ablauf zurückgreift. Um Handeln handelt es sich dabei aber allemal.

Ohne an dieser Stelle eine Handlungs- oder Tätigkeitstheorie zu referieren oder gar weiterzuentwickeln (Volpert, 1992; Leontjev, 1977), lässt sich, um Handeln zu kennzeichnen, auf enzyklopädisches Wissen zurückgreifen: «Handeln bezeichnet jede menschliche, von Motiven geleitete zielgerichtete Tätigkeit, sei es ein Tun, Dulden oder Unterlassen.»[3] Letztlich ist es die Ethik beziehungsweise die Moralphilosophie, die sich auf universaltheoretischer Ebene mit der Bewertung menschlichen Handelns und auch mit dessen Absichten und Voraussetzungen befasst (vgl. hierzu den Beitrag von Honegger, S. 68). Als zentral gilt dabei eine Hervorhebung von Höffe (1992, S. 92): «Handlungen sind nur verstehbar, wenn sie unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, ob sie ein Mittel darstellen, das gewünschte Ziel zu erreichen.» Der Zweck, die Mittel und die Zweck-Mittel-Relation sind es, die für