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Ein schreckliches Verbrechen. Und ein Zeuge, dem niemand glaubt. Der Thriller »Mit den Augen eines Kindes« von Petra Hammesfahr als eBook bei dotbooks. Der kleine Oliver besitzt eine äußerst lebhafte Phantasie. Er hat schon den Weißen Hai in einem Bach entdeckt und T-Rex beim Angriff auf den Kindergarten beobachtet. Als Oliver erklärt, der Rex habe eine Frau entführt, glaubt ihm keiner – nicht einmal sein eigener Vater. Denn der ist als Kriminalhauptkommissar auf Tatsachen und eindeutige Beweise fokussiert. Allerdings ist Konrad Metzner nach dem Auftauchen seiner Jugendliebe diesmal nicht ganz bei der Sache. Als er die schreckliche Wahrheit hinter Olivers Worten erkennt, ist es fast zu spät. Die tödliche Gefahr ist längst vor Metzners Haustür angelangt … Der neue packende Psychothriller von der Autorin des Weltbestsellers »Die Sünderin«, produziert von Universal Cable Productions für USA-Network unter dem Titel »The Sinner«. Läuft derzeit weltweit bei Netflix. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Thriller »Mit den Augen eines Kindes« von Petra Hammesfahr wird auch Fans von Patricia Highsmith, Henning Mankell und Stephen King begeistern. Dieses Buch erschien als Erstausgabe bereits 1991 unter dem Titel »Marens Lover« in der Bastei Lübbe AG und 2004 unter dem Titel »Mit den Augen eines Kindes« im Rowohlt Verlag. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Über dieses Buch:
Ein schreckliches Verbrechen. Und ein Zeuge, dem niemand glaubt.
Der kleine Oliver besitzt eine äußerst lebhafte Phantasie. Er hat schon den Weißen Hai in einem Bach entdeckt und T-Rex beim Angriff auf den Kindergarten beobachtet. Als Oliver nun erklärt, der Rex habe eine Frau entführt, glaubt ihm keiner – nicht einmal sein eigener Vater. Denn der ist als Kriminalhauptkommissar auf Tatsachen und eindeutige Beweise fokussiert. Allerdings ist Konrad Metzner nach dem Auftauchen seiner Jugendliebe diesmal nicht ganz bei der Sache. Als er die schreckliche Wahrheit hinter Olivers Worten erkennt, ist es fast zu spät. Die tödliche Gefahr ist längst vor Metzners Haustür angelangt …
Der neue packende Psychothriller von der Autorin des Weltbestsellers »Die Sünderin«, bei Netflix verfilmt unter dem Titel »The Sinner«.
»Mit den Augen eines Kindes« erscheint außerdem als Hörbuch und Printausgabe bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.
Über die Autorin:
Petra Hammesfahr schrieb mit 17 ihren ersten Roman. Mit ihrem Buch »Der stille Herr Genardy« kam der große Erfolg. Seitdem schreibt sie einen Bestseller nach dem anderen. Die Autorin lebt in der Nähe von Köln.
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eBook-Ausgabe Dezember 2023
Die Erstausgabe erschien 1991 unter dem Titel »Marens Lover« in der BasteiLübbe AG, 2004 im Rowohlt Verlag unter dem Titel »Mit den Augen eines Kindes«.
Copyright © der Originalausgabe 2023 Petra Hammesfahr und SAGA Egmont
Copyright © der eBook-Ausgabe 2023 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-98690-861-4
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Petra Hammesfahr
Mit den Augen eines Kindes
Psycho-Spannung
dotbooks.
Es war eine schlimme Nacht, er konnte gar nicht schlafen, weil so viel passierte und er nicht wusste, was er davon halten sollte. Zuerst fuhr Papa weg, und Mama weinte ganz lange. Wie lange, ließ sich nicht feststellen. Er konnte zwar schon die Uhr ablesen, aber er besaß keine, war im März fünf geworden, und Mama fand, eine Uhr bräuchte man erst nach der Einschulung.
Ein kleiner Widder war er, ein bisschen dickköpfig und überaus durchsetzungsfähig. Normalerweise gab er den Ton an, in seiner Kindergartengruppe, bei seinem Freund Sven, bei Oma und Opa. Bei Mama und Papa nicht so sehr. Vor allem Mama ließ sich ganz gemeine Methoden einfallen, um ihm Paroli zu bieten, Fernsehverbot zum Beispiel. Und das bedeutete jedes Mal, dass er auch nicht mit Opa fernsehen durfte, weil Oma aufpasste, wenn Mama ihr das gesagt hatte. Manchmal konnte er sie deswegen gar nicht gut leiden. Aber weinen hören konnte er sie auch nicht. Davon bekam er Herzklopfen und ein seltsames Gefühl im Hals, das sich nicht runterschlucken ließ.
Angst.
Er hatte noch nie Angst gehabt und musste eigentlich auch keine haben, weil Papa Polizist war und Verbrecher verhaften konnte. Papa durfte die sogar totschießen, wenn sie ihm oder anderen Leuten etwas Bösen taten und nicht damit aufhören wollten.
Aber jetzt war Papa nicht da. Bestimmt war er noch mal zur Arbeit gefahren. In den letzten Tagen hatte Papa viel arbeiten müssen, war meist spät nach Hause gekommen oder noch mal weggefahren, wenn es schon dunkel war.
Da sein Zimmer gleich neben der Wohnungstür lag, hörte er immer, wenn Papa kam oder ging. Auch wenn er schon schlief, hörte er das und wachte davon auf. Und jetzt konnte er nicht schlafen, weil das Weinen kein Ende nahm.
Als er es nicht mehr aushielt, stand er auf und tat so, als müsse er noch mal Pipi machen. Mama war im Badezimmer. Sie kniete in der Wanne, als hätte sie sich mit der Brause die Haare gewaschen oder den Badeschaum vom Rücken gespült. Aber sie hielt die Brause nicht in der Hand. Und ihre Augen waren rot vom Weinen, ihr ganzes Gesicht war rot und verquollen.
»Warum weinst du denn?«, fragte er.
»Ich weine doch gar nicht«, schniefte sie. »Ich hab mir blöderweise Seife ins Auge gerieben.«
Das war bestimmt gelogen. Zwar brannte es höllisch, wenn man Seife ins Auge bekam. Aber dass Mama sich selbst welche ins Auge rieb, hielt er für ausgeschlossen. Wie sollte das denn passiert sein? Sie wusch sich ihr Gesicht doch nie mit Seife, hatte dafür extra Tücher. Abgesehen davon: Wenn Mama sich wehtat, weinte sie nicht. Sie fluchte stattdessen, sagte: »Mist«, oder verbotene Worte. Und wenn Erwachsene nicht die Wahrheit sagten, dann schämten sie sich, oder sie hatten Angst und wollten nicht, dass ein Kind ebenfalls Angst bekam. Das wusste er, Opa hatte es ihm erklärt.
Dass Mama sich schämte, konnte er sich nicht vorstellen. Sie hatte weder etwas kaputt noch schmutzig gemacht, aufgeräumt hatte sie auch. Da glaubte er schon eher, dass sie Angst haben könnte. Vielleicht Angst, dass Papa nicht mehr wiederkam, weil Papa ein Weib fickte. Was das bedeutete, wusste er nicht, hatte den Ausdruck bei Oma und Opa aufgeschnappt. Opa hatte ihm nicht erklären wollen, was es hieß. Und Oma hatte nur gesagt: »Dieses Weib kann gar nichts anderes als alles kaputtmachen.«
»Geh wieder ins Bett«, verlangte Mama.
»Ich muss aber mal«, behauptete er, was ein bisschen gelogen war. Aber wirklich nur ein kleines bisschen, als er sich aufs Klo setzte, kamen ein paar Tröpfchen.
Als er die Hose wieder hochzog, fragte Mama: »Magst du bei mir schlafen?«
Er schüttelte heftig den Kopf, hatte noch nie bei ihr geschlafen. Da hätte er sich ja in Papas Bett legen müssen. Wo sollte Papa denn schlafen, wenn er nach Hause kam? Er ging zurück in sein Zimmer, die Tür ließ er offen. So hörte er, dass Mama sich kurz darauf die Zähne putzte und ins Schlafzimmer ging. Sie weinte nicht mehr.
Eine Weile war es still in der Wohnung und dunkel natürlich, weil nirgendwo mehr Licht brannte. Er wäre beinahe eingeschlafen, aber dann klingelte das Telefon im Wohnzimmer. Mama stand wieder auf und ging hinüber. Dass Papa anrief, um zu sagen, dass er bald nach Hause käme, konnte eigentlich nicht sein. Papa rief Mama immer auf ihrem Handy an, damit sie nicht ins Wohnzimmer laufen musste.
Mit wem sie telefonierte, erfuhr er nicht, hörte nur, dass sie sagte. »Ich hab noch nicht geschlafen.« Dann fragte sie: »Wo bist du denn?« Und sagte noch: »Nein, kein Problem, wirklich nicht.«
Danach ging Mama noch mal ins Bad und ließ Wasser laufen, bis es an der Tür klingelte. Da kam sie eilig durch die Diele. Sie hatte nur ein Höschen an, nachts trug sie immer nur Höschen. Sie nahm den Hörer von der Gegensprechanlage, die sich an der Wand direkt neben seiner Zimmertür befand. Wahrscheinlich drückte sie auch gleich den elektrischen Türöffner und fragte: »Ist unten offen?«
Eine verzerrt klingende Stimme antwortete: »Ja«, nicht mehr und nicht weniger.
Vielleicht war es doch Papa, der seine Schlüssel vergessen und gedacht hatte, Mama säße vor dem Fernseher. Und deshalb hatte er ausnahmsweise auf dem Wohnzimmertelefon angerufen. Er war sehr froh in dem Moment, ungeheuer froh und erleichtert. Damit es so aussah, als schliefe er längst, machte er die Augen fest zu.
Mama öffnete die Wohnungstür einen Spalt und lief schnell nach hinten zum Schlafzimmer. Sie sah wahrscheinlich nicht, wer hereinkam, aber er sah es. Nicht Papa, wie er gehofft hatte. Es waren zwei Verbrecher, schlimme Verbrecher, das wusste er genau, weil er gesehen hatte, wie sie der Mutter seines besten Freundes wehgetan hatten.
Es war ein regnerischer Mittwoch Anfang Mai, als mein Sohn eins der gefährlichsten Raubtiere kennenlernte, das vor vielen Millionen Jahren die Erde beherrscht und unsicher gemacht hatte. Es hieß Scharfzahn und war der König der Urzeit. Ein Tyrannosaurus Rex, der alles verschlang, was seinen Weg kreuzte. Es soll ja schon damals noch viel gefährlichere Tiere gegeben haben. Später gab es die garantiert, sie hielten sich allerdings nicht für Tiere. Denen begegnete er dann auch noch.
Aber welcher Erwachsene hätte ihm das auf Anhieb geglaubt und ernsthaft in Betracht gezogen, ein fünfjähriger Junge könnte, gute zwei Wochen nachdem er einen Zeichentrickfilm gesehen hatte, reale Monster bei einem Verbrechen beobachtet haben und in Lebensgefahr schweben?
Ich will mich damit nicht entschuldigen, weiß Gott nicht. Was ich angerichtet und versäumt habe, ist nicht zu entschuldigen. Für meinen Kleinen war ich der Größte. Papa, der alles heile machte und alles richten konnte. Er lebte in der festen Überzeugung, ich könne Ordnung in der Welt schaffen, die Bösen hinten Gitter bringen oder notfalls totschießen, und dafür sorgen, dass die Guten in Frieden leben durften.
»Mein Papa ist Polizist!« Wenn Oliver das sagte, schwang in seiner Stimme eine Intensität mit, als spräche er von Supermann. Das war ich für ihn. Und als er mich brauchte, zum ersten Mal wirklich und dringend brauchte, war ich nicht da. Ich hatte ihm nicht einmal richtig zugehört, solange noch Zeit gewesen wäre, das Schlimmste zu verhindern.
Olli, so nannte ich ihn oft, obwohl er das gar nicht mehr gerne hörte, seit er bei meinen Eltern einen Film mit Dick und Doof gesehen hatte, war mit einer überschäumenden Phantasie gestraft. Manche behaupteten schlicht und ergreifend: »Er lügt das Blaue vom Himmel herunter.« Das tat er eigentlich nicht. Er würzte nur seine täglichen Berichte mit ein paar effektvollen Details, um seinen Alltag etwas farbiger zu präsentieren und vor dem Einschlafen mindestens noch eine halbe Stunde Zeit zu schinden.
Wenn er den Nachmittag bei meinen Eltern verbracht hatte, musste man sich nur fragen, welchen Film Opa mit ihm angeschaut hatte, während Oma Einkäufe machte und dabei ein kleines Schwätzchen hielt oder schnell auf einen Sprung zu einer ihrer zahlreichen Bekannten ging, was dann meist den ganzen Nachmittag in Anspruch nahm, sodass sie daheim nicht eingreifen konnte.
Mein Vater verfügte über eine beachtliche Filmsammlung. In jungen Jahren war er Stammgast in einer Videothek gewesen. Er hatte zwei Videorecorder besessen und fleißig alles kopiert, was er sich auslieh, um es später noch mal anzusehen. Was sollte man als Ehemann und Vater auch sonst mit seinem Feierabend und den Wochenenden anfangen, wenn das Geld für Kneipenbesuche nicht reichte und Ausflüge mit kleinen Kindern eine nervenaufreibende Sache waren?
Als die Videotheken ebenso ausstarben wie die Dinosaurier und Vaters Recorder wegen Altersschwäche ihren Geist aufzugeben drohten, war mein älterer Bruder ihm behilflich, seine Schätze auf DVDs zu überspielen, sofern das möglich war. Wenn nicht, wurde der betreffende Titel eben gekauft oder als x-te Wiederholung von einem Fernsehsender neu aufgenommen.
Mein Vater liebte Helden und Katastrophen, egal ob sie in der Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft spielten. Die meisten Filme waren in den siebziger, achtziger oder neunziger Jahren gedreht worden. Filmen jüngeren Datums sprach er – mit wenigen Ausnahmen – die Qualität ab. Aber er konnte sich Streifen, die er längst auswendig kannte, auch beim fünfzigsten Mal noch mit Genuss reinziehen. Vielleicht machte das sogar den besonderen Reiz aus, genau zu wissen, was in der nächsten Sekunde passieren würde, Dialoge mitzusprechen oder vorherzusagen. Und warum sollte man einem kleinen Jungen, der sich ebenfalls dafür begeistern konnte, keine Spur von Furcht zeigte und nicht zu Albträumen neigte, diesen Genuss vorenthalten?
Oliver kannte sie alle: Die tapferen Feuerwehrmänner aus Flammendes Inferno, den wasserscheuen Polizeichef aus Der weiße Hai. Unzählige Stewardessen, die über sich selbst hinauswuchsen und einen schwer beschädigten Flieger mitsamt überlebenden Passagieren und toten oder zumindest schwer verletzten Piloten sicher wieder an die Erde brachten. Und nicht zu vergessen all die abgesoffenen U-Boote, deren Besatzungen nur teilweise mit einem DSRV gerettet werden konnten.
Besonders schätzte er Kapitän Marko Ramius, der mit seinem Großvater an einem Fluss geangelt hatte und dann dieses Prachtexemplar Roter Oktober sicher durch Unterseegräben schipperte und sogar unbeschadet an Thors Zwillingen vorbeikam. Als tragisch empfand er, dass Vasili Borodin es nicht nach Amerika geschafft hatte, wo er doch so gerne Montana gesehen hätte.
Ein verantwortungsloser Großvater? Nein. Oliver zog seine Lehren aus den Nachmittagen mit Opa. Pilot wollte er keinesfalls werden, die wurden ja meist von Flugzeugentführern erschossen oder kamen sonst wie ums Leben. Das Flammende Inferno lehrte ihn, seine kleinen Finger von Zündhölzern und Feuerzeugen zu lassen. Wir mussten im Urlaub an der Nordsee auch nicht befürchten, dass er zu weit ins Wasser ging. Er ließ nicht mal seine Zehen von Wellen umspülen. Es hätte ja ein weißer Hai auftauchen können. Die schwammen gerne da, wo es flach war.
Aus Stephen Kings Cujo zog er den Schluss, dass man um große Hunde besser einen weiten Bogen machte und immer ausreichend Getränke griffbereit im Auto haben sollte. Der Kasten Apfelsaft im Kofferraum nutzte einem nämlich gar nichts, wenn draußen ein tollwütiger Bernhardiner verhinderte, dass man noch ungebissen zum Kofferraum kam.
Auf seine Weise hat mein Vater ihn mit den oft blutrünstigen Schinken besser auf Leben und Tod vorbereitet als ich. Er hat ihm gezeigt, dass unsere schöne, bunte Welt an keiner Stelle heil ist und überall das Böse lauern kann. Nur die Sache mit dem Helden, der meist in letzter Minute auftaucht, um die gesamte Erde oder wenigstens die bedrohte Menschheit zu retten, hätte Opa vielleicht korrigieren müssen.
Ein Held war ich nie. Zuletzt war ich ein Feigling, ein verantwortungsloser Dreckskerl, der alles aufs Spiel setzte, obwohl er den Einsatz hätte kennen müssen. Ich will mich wirklich nicht herausreden. Ich will es nur erklären, um vielleicht selbst zu begreifen, wie ich es so weit kommen lassen konnte.
Vielleicht hatte Oliver uns einfach schon zu viel geboten, als er verlauten ließ, dass in unserer beschaulichen Kleinstadt ein Dinosaurier sein Unwesen trieb. Ein gutes Jahr zuvor hatte er einen weißen Hai im Neffelbach entdeckt. Ein Bach wie gesagt, kein reißender Strom. In heißen Sommern rinnt der Neffelbach über die Kiesel dahin. Nach tagelangem Dauerregen kommt er vielleicht auf eine Wassertiefe von etwa einem Meter, hin und wieder kann es auch ein Meter zwanzig sein.
Opa, der mit Olli an den Gestaden des haiverseuchten Gewässers spazieren gehen musste, sah den Hai natürlich nicht, weil er sich gerade bückte, um seinen Schuh zuzubinden. So war es immer, es gab nie Zeugen für die unglaublichen Vorfälle, von denen mein Sohn pro Woche im Durchschnitt drei erlebte, seitdem er alt genug war, um zusammenhängend berichten zu können.
Keiner sah E.T., der beim Kindergarten um Kleingeld bettelte, weil er nach Hause telefonieren wollte. E.T. versteckte sich immer, wenn Leute kamen. Nur zu Olli fasste er Vertrauen. Und das flammende Inferno in Omas Küche verhinderte Olli, weil er geistesgegenwärtig seine neue Wasserpistole lud und löschte, was das Zeug hielt. Logischerweise waren anschließend keine Brandspuren zu sehen, es war nur alles ein bisschen nass.
Solche Geschichten hatten meist nur einen wahren Kern: Oliver mochte nicht Zeugnis einer Schandtat ablegen. Oder er war noch gar nicht müde und sah nicht ein, dass er sich nun ganz allein in seinem Zimmer langweilen sollte, während Mama und Papa es sich auf der Wohnzimmercouch gemütlich machten und sich etwas wahnsinnig Spannendes genehmigten. Womöglich aßen sie dazu auch noch Chips, Schokolade oder ein Eis.
Es gab auch andere Storys, durchaus realistisch geschildert, die einem einen gehörigen Schreck einjagen konnten, wenn man sie für bare Münze nahm. Damit präsentierte er für gewöhnlich nur einen Sündenbock für eigene Missetaten oder ein Missgeschick, das er als furchtbar peinlich empfand, weil es einem Jungen in seinem Alter einfach nicht mehr hätte passieren dürfen.
Hanne und ich konnten damit leben, dass ihm in der ruhigen Straße am Stadtrand, in der sein Freund Sven Godberg wohnte, wo nun wirklich kein Mensch mit bedrohlichen Vorfällen rechnete, ein tollwütiger Hund ein Loch in die neue Jeans gebissen hatte. Natürlich hatte Cujo auch Ollis Knie erwischt, das war aber nicht so schlimm. Ein Pflaster dafür brauchte er nicht und ganz bestimmt keine Spritze gegen Tollwut, die Mama für angebracht hielt, um ihm zu zeigen, dass man nicht ungestraft lügen durfte.
Wir trugen es mit Fassung, dass Rockerbanden vormittags den Kindergarten heimsuchten, nachdem mein Vater sich eine Reportage über die Aktivitäten der Hell’s Angels angeschaut hatte, während Oliver ihm Gesellschaft leistete.
Tags darauf verwüsteten die Rocker den Gruppenraum und zwangen die friedlich in der Sandkiste spielenden Kinder unter Androhung brutaler Gewalt, sich dermaßen mit Sand zu bewerfen, dass es noch Stunden später wie die Wüste Gobi aus Haaren und Schuhen rieselte und zwischen den Zähnen knirschte.
Auf vorsichtige Nachfragen hieß es, unser sanftmütiger Sohn, dem wir noch diverse Ängste unterstellten, habe zusammen mit seinem Freund Sven die Bude auf den Kopf gestellt und sich anschließend kopfüber in die Sandkiste gegraben.
Wir mussten uns – ob es uns gefiel oder nicht – damit abfinden, dass kurz darauf ein rücksichtsloser Autofahrer viel zu schnell in die Kurve ging und unserem Sohn mit seinem nagelneuen Fahrrad ohne Stützräder, mit dem er gar nicht allein unterwegs sein sollte, nur einen Fluchtweg ließen, den viel zu hohen Kantstein der Gosse. Sodass er mit blutender Nase, aufgeschürften Knien und demoliertem Rad in der Polizeiwache abgeholt werden musste. Hanne weigerte sich jedoch, ihm zu glauben, er sei auf der Flucht vor zwei wüsten Motorrad-Rockern gewesen.
Hanne war übrigens meine Frau, das heißt, verheiratet waren wir nicht. Nachdem sich die Auflösung meiner ersten Ehe geraume Zeit hingezogen hatte, eine Zeit, in der trotz längst überholtem Schuldprinzip verdammt viel und ausschließlich meine dreckige Wäsche gewaschen worden war und ich ein Vermögen an Anwaltshonoraren und Gerichtsgebühren hatte hinblättern müssen, war ich in diesem Punkt etwas vorsichtiger geworden. In einem anderen Punkt leider nicht.
Dieser andere Punkt war Maren. Das Weib, wie meine Mutter sie zu bezeichnen pflegte. Wie viele schlaflose Nächte Maren mich seit meinem achtzehnten Lebensjahr gekostet hat, weiß ich wirklich nicht mehr.
Maren Koska und Konrad Metzner. Da konnte man in jungen Jahren so schön mit den Anfangsbuchstaben der Namen spielen. Später spielten wir mit anderen Dingen. Zuletzt um das Leben meines Sohnes. Ich habe es nur viel zu spät begriffen.
Es gibt ein Foto aus der Zeit, in der meine verhängnisvolle Affäre begann. Darauf bin ich nur ein Jahr älter, als Oliver es bei seiner Begegnung mit einem leibhaftigen Monster war. Ich ging seit zwei oder drei Monaten zur Schule. An einem Vormittag wurden wir alle hinaus auf den Pausenhof gescheucht. Bitte im Halbkreis Aufstellung nehmen fürs Gruppenbild mit Dame – sprich unserer Lehrerin. Die Kleinen nach vorne, bitte hinsetzen, damit man von der mittleren Reihe auch etwas sieht.
Maren war damals eine von den Kleinen. Wie eine kostbare Puppe sitzt sie auf dem Foto mitten in der ersten Reihe. Im Schneidersitz, das weißblonde Haar umrahmt ein feines Gesicht. Der zierliche Körper ist umhüllt von einem hellblauen Gespinst, das andere Mütter ihren Töchtern wahrscheinlich nur zu Hochzeitsfeierlichkeiten angezogen hätten. Maren trug solch kostbare Gewänder jeden Tag und nie öfter als dreimal.
Während das Proletariat – also ich und meinesgleichen – jeden Morgen bei Wind und Wetter zu Fuß antrabten, wurde Maren Koska von Mami im Mercedes vorgefahren, nach Schulschluss natürlich auch wieder abgeholt. Und wehe, es fiel mal eine Stunde aus, und Mami wurde nicht rechtzeitig informiert. Dann kam am nächsten Tag Papi und machte der Schulleitung die Hölle heiß.
Einmal habe ich das erlebt. Die gesamte Lehrerschaft war danach so klein mit Hut, dass sie bequem alle zusammen zwischen aneinandergelegten Daumen und Zeigefinger Platz gefunden hätten. Nun gut, Familie Koska wohnte etwas außerhalb, umgeben von sehr viel Grün, nahe einer Bundeswehr Kaserne am Rand des Gewerbegebiets. Das war ein weiter und gefährlicher Schulweg für ein kleines Mädchen in Lackschuhen, das Papi und Mami am liebsten unter eine Glasglocke gesetzt hätten.
Zu der Zeit muss Maren ein verdammt einsames Kind gewesen sein. Mit ihr spielen wollte niemand, weil sie daran gewöhnt war, immer zu bekommen, was sie haben wollte, und alle zu kommandieren. Es durfte auch niemand mit ihr spielen. Das ging nicht von ihren Eltern aus.
Mami hätte sich wohl erbarmt und nachmittags irgendein kleines Mädchen mit dem Mercedes abgeholt, um dem Töchterlein ein wenig Unterhaltung zu verschaffen. Aber falls eine unserer Mitschülerinnen bereit gewesen wäre, sich einige Stunden lang schikanieren zu lassen, da spielten die anderen Eltern nicht mit.
Es kursierte nämlich das Gerücht, Mami habe in jungen Jahren als Callgirl gearbeitet. Keine Ahnung, wer das in Umlauf gebracht hatte, vielleicht einer, der sich früher gerne eine halbe Stunde mit Mami geleistet hätte, aber nicht genug dafür hinblättern konnte.
Marens Vater galt ebenfalls als zwielichtige Figur. Er betrieb einen schwunghaften Handel mit Gebrauchtwagen. Später kamen noch Baumaschinen hinzu. Seine Gewinne investierte Koska in Häuser wie beispielsweise das, in dem mein Vater für drei Zimmer, Küche, einen schmalen Flur und ein winziges Bad Miete zahlte. Da fiel schon mal der Begriff »Halsabschneider«.
Koska galt als reicher Mann, fühlte sich als König der Stadt und des Landkreises und führte sich auch so auf. Zuerst kaufte er, um nur ein Beispiel zu nennen, nahe der Kaserne ein Stück Land mit Bäumen, das eigentlich nicht zur Bebauung vorgesehen war. Zu Anfang stellte er auch nur ein paar alte Autos zwischen die Bäume, von denen er dann etliche fällen ließ, um mehr Platz für mehr alte Autos und ein neues Bürogebäude zu erhalten. Aus dem Bürogebäude wurde jedoch ein klotziges Wohnhaus. Die Stadtoberhäupter nahmen es zähneknirschend hin und besorgten ihm im Nachhinein die Baugenehmigung, um nicht einen guten Gewerbesteuerzahler zu verlieren. Damit soll er gedroht haben.
Maren war sein einziges Kind, spät geboren, erst nach zwanzig Jahren Ehe, hieß es, es kann auch noch länger gedauert haben. Koska war schon Mitte fünfzig, seine Frau nicht wesentlich jünger, als sie wider Erwarten doch noch Mutter wurde. Zu Anfang habe Mami die Schwangerschaft für Wechseljahresbeschwerden gehalten, erzählte Maren mir einmal.
Unter diesen Voraussetzungen war es kaum verwunderlich, dass dem Töchterlein nie ein Wunsch abgeschlagen wurde. Und wer alles im Überfluss hat oder haben kann, wer von Papi schon in frühester Kindheit lernt, wie man mit anderen Leuten umspringen muss, um seinen Kopf durchzusetzen, weiß bald vor lauter Langeweile und Überdruss nicht mehr, was er sich noch wünschen oder anstellen könnte.
Bis zum dritten Schuljahr hatte ich nichts mit Maren zu tun. Wir saßen zwar in derselben Klasse, aber ich nahm sie nicht zur Kenntnis und sie mich nicht. Ich hatte einen Freund, Peter Bergmann, mit dem ich in den Pausen und auch nachmittags zusammen war. Bis zu dem Tag, als das mit der Katze passierte.
An dem Morgen kamen wir zu dritt vor der Schule an. Mein jüngerer Bruder war auch dabei, er ging gerade ins erste Schuljahr. Am Straßenrand war ein Pulk von Kindern versammelt. Ein Mädchen weinte und schrie: »Lass das sein! Das darf man nicht tun! Du bist ein Schwein! Das arme Kätzchen!«
Eine junge Katze lag in der Gosse, dem Anschein nach war sie angefahren worden. An einem Hinterbein ragte der Knochen aus dem zerfetzten Gewebe. Sie fauchte zum Gotterbarmen. Maren hockte bei dem verletzten Tier und stocherte mit einem Zweig in der scheußlichen Wunde herum.
Mit Ausnahme des Mädchens, das nur schrie, wagte es keiner, etwas gegen Maren zu unternehmen. Peter Bergmann lief los, um unserer Lehrerin zu holen. Und mir hatte man beigebracht: »Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz.«
Dass Gewalt keine Lösung sei und man immer zuerst versuchen solle, mit Worten zu überzeugen und schändliches Tun zu beenden, wusste ich damals noch nicht. Vermutlich hätte das bei Maren ohnehin nichts gebracht.
Ohne mir großartige Gedanken über die Folgen zu machen, riss ich Maren den Zweig aus der Hand und schlug ihr damit ins Gesicht. Auf ihrer Wange zeichnete sich ein zuerst weißer Striemen ab, der sich rasch rot färbte, aber nicht so rot wie das Blut der Katze, das sich vom Zweig in Spritzern auf Marens Haut verteilte.
Plötzlich herrschte Totenstille, das schreiende Mädchen verstummte abrupt, als hätte ich ihr eine gewischt. Auf allen Mienen zeichnete sich Unbehagen oder Entsetzen ab. Mein jüngerer Bruder war ganz weiß um die Nase geworden und brachte flüsternd zum Ausdruck, was vermutlich alle dachten: »Das sagt die ihrem Vater, und dann sperren sie dich ein.«
Ich rechnete ebenfalls damit, dass Maren nun auf mich losging, nicht unbedingt mit ihren kleinen Fäusten, nur verbal, dass sie mir mit Papi und schlimmen Konsequenzen drohte. Tat sie aber nicht. Sie schaute mich irgendwie verwundert an, tastete ihre Wange ab, verrieb die Blutspritzer mit den Fingern, richtete sich auf und sagte: »Das wäschst du ab.«
Das tat ich dann auch. An dem Morgen war ich zum ersten Mal mit ihr im Mädchenklo. Während unsere Lehrerin dafür sorgte, dass die verletzte Katze weggeschafft, wahrscheinlich zu einem Tierarzt gebracht wurde, wusch ich das Blut aus Marens Gesicht und trocknete es mit meinem Hemd, weil kein Handtuch da war. Ich schätze, das war der erste Schlag, den sie eingesteckt hatte. Und wie ich vergaß sie ihn niemals.
Von dem Tag an hing sie wie eine Klette an meinen Fersen – zumindest in der Schule. Ich war etwas größer als die meisten unserer Mitschüler und hatte kurz zuvor bei einem Sportfest mit der höchsten Punktzahl für unseren Jahrgang abgeschnitten. Hinzu kam, dass ich bedingt durch das ständige Training mit zwei Brüdern aus Raufereien meist als Sieger hervorging. Und für Maren kam schon damals nur ein Sieger in Frage. Einer, der keine Angst vor Papi hatte, vielleicht einer, der sie aufhalten, festhalten, bremsen und bändigen konnte, der sich jedenfalls nicht von ihr kommandieren oder schikanieren ließ.
Peter Bergmann konnte sie nicht leiden, natürlich nicht, er war eifersüchtig. Nachmittags hatte ich zwar immer noch Zeit, mit ihm in der Gegend herumzustromern oder wenn das Wetter nicht danach war, Sammelbildchen von Autos und Fußballspielern zu tauschen oder Comic-Hefte durchzublättern.
Aber in den Pausen am Vormittag gab ich mich mit einem Mädchen ab. Und dann noch mit einer, von der die Hälfte aller erwachsenen Einwohner unserer Stadt sagte, es nähme mal ein schlimmes Ende mit ihr – und mit jedem, der sich mit ihr einließ. Wiederholt drohte Peter mir, es meiner Mutter zu erzählen. Das konnte ich verhindern, indem ich ihm drohte, nachmittags nicht mehr zu ihm zu kommen.
Ab der fünften Klasse gingen wir drei aufs Gymnasium. Dort wurde Maren auch ohne Tüllgewänder rasch die Prinzessin. Sie war immer nach der neusten Mode gekleidet, hatte stets eine gut gefüllte Geldbörse in der Schultasche. Mit dem Inhalt ging sie äußerst großzügig um. Sogar Peter arrangierte sich mit ihr, weil sie ihm den einen oder anderen Kinobesuch spendierte. Aber ich war und blieb ihr einziger Freund. Anfangs nannten wir das noch so. Später nannten mich andere Marens Lover.
Schon mit vierzehn lernte ich von ihr alles über weibliche Anatomie, was ein Mann wissen sollte. Mit fünfzehn kannte ich die gängigen Methoden, mit denen man eine Frau – auch eine Jugendliche – zum Höhepunkt brachte und verhütete, was in dem Alter mindestens ebenso wichtig war.
Damals war ich der Mann mit dem Zauberbesen, vor dem der gefallene Engel demütig fordernd in die Knie ging. Ich hatte Macht über sie, das war nicht zu leugnen. Unser gesamter Jahrgang begegnete mir mit Hochachtung, weil sich kein anderer getraut hätte, seine Hände nach ihr auszustrecken.
Wenn wir uns während der Pausen draußen aufhielten, bildete sich automatisch ein undurchdringlicher Ring aus Leibern, der uns vor den Blicken der Lehrerschaft schützte. Zogen wir uns in die Toiletten zurück, stand immer einer Schmiere. Für Maren war das ein wichtiges Zubehör. Sie brauchte Publikum, Nervenkitzel und einiges mehr. Die fortwährende Demonstration zum Beispiel, dass ich ihr gehörte. Mein Ding waren Zuschauer nicht unbedingt, aber solange es sich nur um unsere Mitschüler handelte, konnte ich damit leben.
Damit es nicht eintönig wurde, probierte Maren sämtliche ihr bekannten Praktiken aus, und das waren viele. Ich schätze, sie hatte das Kamasutra auswendig gelernt. Oft hatte ich schon vor der ersten Schulstunde nach allen Regeln der Kunst entspannen dürfen. Dann kam die große Pause, in der sie ihren Teil einforderte, wobei ich natürlich ebenfalls noch mal voll auf meine Kosten kam.
Nachmittags sah die Sache nicht so rosig aus. Mami hatte sich in den Kopf gesetzt, aus Maren eine höhere Tochter zu machen. Ballettstunden, Geigenunterricht, Klavier spielen musste sie auch lernen. Dazwischen war gerade noch Zeit, sie regelmäßig neu einzukleiden, zum Friseur oder einer Kosmetikerin zu kutschieren, die dafür zu sorgen hatte, dass Prinzessin Silberhaar nicht von einer vulgären Akne entstellt wurde.
Aber für die Nachmittage hatte ich immer noch Peter Bergmann. Und ehrlich gesagt, hätte ich es auch nicht gewagt, mich nachmittags mit Maren in der Stadt zu zeigen. Eine halbe Stunde später wäre meine Mutter informiert gewesen und hätte mich garantiert sofort von der Schule genommen, um mich zur Vernunft zu bringen.
An den Wochenenden und in den Ferien sahen wir uns nicht. Samstags und sonntags musste Maren ihren Eltern Gesellschaft leisten, damit Papi auch etwas von ihr hatte. Die Ferien verbrachte sie regelmäßig im Süden, meist nur mit Mami, Papi war mit seinem Unternehmen zu beschäftigt für einen Urlaub. Die Sommerferien waren für mich eine Tortur, sechs Wochen Enthaltsamkeit. Aber die Vormittage in der Schule waren einsame Spitze.
Es gab kein Tabu, über das Maren sich nicht mit ihrem typischen Lächeln hinweggesetzt hätte. Sie hatte eine unnachahmliche Art zu lächeln, mit leicht heruntergezogenen Mundwinkeln und Augen, die mehr als jedes Wort deutlich machten, wie sie über unsere Mitmenschen dachte. Blöde Spießer allesamt, nur ich war die große Ausnahme, der Einzige, der Beste.
Seit sie zum ersten Mal ihr Höschen für mich ausgezogen hatte, erlebte ich mit ihr den sexten Himmel auf Erden. Sie war unersättlich und hatte ein Vokabular, von dem allein man schon rote Ohren bekam. Während des Unterrichts schrieb sie auf Zettel, wie sie sich das Programm für die nächste gemeinsame halbe oder Viertelstunde vorstellte.
Da wir nicht unmittelbar nebeneinandersaßen, gingen diese Zettel durch einige Hände, ehe sie mich erreichten. Wenn ich endlich las: »Wo willst du heute mein Döschen nachpudern?« oder: »Gleich will ich auf deiner Flöte spielen«, hatten das vor mir schon ein paar andere gelesen. Und die gaben sich während der Pause redlich Mühe, wenigstens zu sehen und zu hören, wenn sie schon nicht selbst pudern und spielen lassen konnten.
Mit achtzehn galten wir als ein Paar für die Ewigkeit. Aber dann kam das Ende – aus heiterem Himmel, wie es meist kommt. Wir wurden in der Sporthalle erwischt, wo wir uns an der Sprossenwand eingehend mit Biologie beschäftigten. Und von einem Lehrer beim Geschlechtsverkehr ertappt zu werden, wie ein begossener Pudel mit heruntergelassener Hose dazustehen und sich anzuhören: »Was werden eure Eltern dazu sagen?« Hinzu kam die Drohung, wir würden beide von der Schule fliegen. Sonderlich erbauend fand ich das nicht, die körperliche Reaktion war entsprechend und Maren zum ersten Mal bitter enttäuscht von mir.
Ihr Vater ließ seinen Einfluss spielen und verhinderte, dass wir beide ohne Abitur blieben. Was mich betraf, stellte er allerdings die Bedingung, dass ich ab sofort die Finger und alles andere von seiner Tochter ließ. Für seine Einzige hatte Papi etwas Besseres im Sinn als mich, den mittleren Spross eines Schlossermeisters, der bei Ford am Fließband stand und sich krummlegte, damit die Kinder eine vernünftige Ausbildung bekamen und es einmal besser hatten.
Zu allem Überfluss spielte Koska auch noch seine Macht als Hausbesitzer aus. Er drohte tatsächlich damit, die gesamte Familie Metzner an die frische Luft zu setzen, falls das zweitjüngste Mitglied noch einmal Anlass zu Klagen gab. Etwas Schlimmeres hätte man meinen Eltern gar nicht antun können. Sie lebten in der Wohnung, seit sie verheiratet waren. Hier waren wir Kinder aufgewachsen, hier wollten sie alt und irgendwann mit den Füßen voran hinausgetragen werden.
Wie nicht anders zu erwarten, gab es mächtigen Ärger. Da meine Brüder es beide nicht aufs Gymnasium geschafft hatten, war meinen Eltern bis dahin gar nicht bekannt gewesen, warum ich jeden Morgen mit heller Begeisterung meine Schultasche schnappte und aus der Wohnung stürmte. Warum ich nachmittags, an den Wochenenden und in den Ferien nichts Besseres mit mir anzufangen wusste, als zu büffeln. Peter Bergmann hatte inzwischen auch eine Freundin und keine Zeit mehr für mich.
Meine Eltern hatten mich schon für einen Streber gehalten. Und nun das! Unser Konrad und dieses verkorkste Weib, über das sich alle die Mäuler zerrissen. Mutter bestand darauf, dass ich mich umgehend von Kopf bis Fuß beim Hausarzt untersuchen ließ. Wer wusste denn, was für unaussprechliche Krankheiten ich mir bei Maren geholt hatte? Vater hielt mir einen nicht enden wollenden Vortrag, in dem immer wieder der Satz fiel: »Schuster, bleib bei deinem Leisten.«
Im ersten Schock war ich durchaus zu Kompromissen bereit. Ich wollte Maren um keinen Preis der Welt verlieren. Und es hätte Möglichkeiten gegeben. In aller Heimlichkeit, in verschwiegenen Winkeln, sich nicht mehr erwischen lassen. Doch das war nicht in Marens Sinn. Sie erwartete, dass ich mich nun erst recht in aller Öffentlichkeit zu ihr bekannte. Am Sonntagvormittag auf dem Platz vor der Kirche zum Beispiel, genau um die Zeit, wenn die honorigen Bürger nach dem Hochamt ins Freie traten.
Natürlich wollte sie auf dem Kirchplatz nicht einfach Händchen mit mir halten. Es gab da ein Mäuerchen, da wollte sie sich für mich drüberbeugen. Anschließend sollte ich hocherhobenen Hauptes die Konsequenzen tragen.
»Wenn du mich wirklich liebst, Konni, tust du das für mich. Anschließend hauen wir ab. Die sollen uns doch alle kreuzweise.«
Ich konnte sie nicht auf einem Mäuerchen vor der Kirche … Beim besten Willen nicht, da hätte sich bei mir nichts gerührt. Und mit ihr abhauen, guter Gott, ich hatte andere Pläne für die Zukunft. Nach dem Abitur wollte ich zur Polizei und nicht mit ihr Bonnie und Clyde spielen. Wovon hätten wir denn sonst leben sollen?
Ich war nicht dazu erzogen worden, mich über sämtliche moralische Werte und Regeln der Gesellschaft hinwegzusetzen, mein Frühstück im Supermarkt zu klauen oder alten Damen die Handtaschen zu entreißen. Mal ein Tabu brechen, okay, aber ich konnte nicht von einem Tag auf den anderen alles aufgeben und mich jagen lassen von Leuten, die ich lieber als meine Kollegen gesehen hätte. Und dann war ich eben von einem Tag auf den anderen für Maren weniger als Luft. Eine feige Sau, ein Verräter, ein blöder Spießer, der sich von alten Säcken einschüchtern ließ. Und Spießer konnte Maren auf den Tod nicht ausstehen.
Es war ein Weltuntergang für mich und nicht leicht zu begreifen, weil Maren in den letzten drei, vier Jahren quasi nach meiner Pfeife getanzt hatte, regelrecht besessen von mir gewesen war. Und plötzlich saß ich stundenlang drei Plätze hinter ihr und durfte sie nicht mehr anfassen, von anderen Dingen ganz zu schweigen. Die meiste Zeit hatte ich nur ihr Haar vor Augen, immer noch weißblond. Färben musste sie es nicht, es war von Natur so hell und reichte ihr bis auf die Hüfte.
Manchmal zeigte sie mir ein wenig Profil, wenn sie sich ihrer Sitznachbarin zuwandte, um sich von Brigitte Talber Unterstützung in Mathe, Deutsch, Bio, Englisch, Geografie und sämtlichen anderen Fächern zu holen. Eine Leuchte war Maren nicht. Aber sie war schon in sehr jungen Jahren ein Vollblutweib, das einem Mann den Verstand völlig ausschalten konnte.
In meinem Hirn kreisten die Erinnerungen an den Pausenhof und das Mädchenklo. Und darüber schwebte die Gewissheit, dass es vorbei war. Nach all den Jahren, immerhin mein halbes Leben damals, aus und vorbei. Es war ein kleiner Tod.
Um mir in aller Deutlichkeit vor Augen zu führen, dass ich von ihr nichts mehr zu erwarten hatte, flirtete Maren hingebungsvoll mit Willibald Müller, einem schwabbeligen Widerling, der erst ein knappes Jahr zuvor mit seiner Mutter in unser Städtchen gezogen war und nicht zu Unrecht den Spitznamen Porky trug. Müller hatte daheim nichts zu befürchten, sein Vater war tot, seine Mutter hatte keine Ahnung vom schlechten Ruf der Familie Koska und lebte nach dem Motto: Liebe geht durch den Magen.
Schon mit achtzehn brachte Porky gut und gerne drei Zentner auf die Waage, später gab es vermutlich keine Waage mehr, die ihn ausgehalten hätte. Und Maren blätterte in der großen Pause mit lüsterner Miene zerfledderte Pornoheftchen mit ihm durch.
Maren fragte, wenn ich in Hörweite war: »Sag mal, Willibald, wenn ein Mann so dick ist wie du, ist er dann überall so? Ich meine, hat er auch einen so voluminösen Schwanz? Das wäre ja ein irres Gefühl. Als ob man gesprengt wird. Das würde ich gerne mal ausprobieren.«
Dabei vergewisserte sie sich mit einem langen, eiskalten Blick, dass ich es auch wirklich mitbekam. Und nach Schulschluss klemmte sie sich dann vor meinen Augen hinter Porky auf sein Mofa. Man hatte immer die Befürchtung, sie müsse runterfallen, sobald er anfuhr. Aber sie fiel nicht. Unter einem Arm eine Decke, den anderen Arm um seinen Schwabbelbauch geschlungen, verschwand ihre Hand in den Speckfalten, als fände sie dort einen Griff zum Festhalten.
Nur um mich verrückt zu machen, versuchte ich mir verzweifelt einzureden. Sie hatte Porky während der Pause aufgezogen, etwas anderes konnte, durfte sie gar nicht getan haben. Sie doch nicht! Ihn heißgemacht hatte sie, bis ihm die Spucke im Hals verdampfte. Und wenn er gleich sein Mofa irgendwo anhielt, wenn die Decke ausgebreitet war, sagte sie wahrscheinlich: »So ein Mist, jetzt habe ich gerade meine Tage bekommen.«
Wahrscheinlich. Und wenn nicht? Wenn Porky nun doch einen Größeren hatte als ich? Wenn seine Wampe kein unüberwindbares Hindernis darstellte? Wenn sie die Abbildungen aus seinen Heftchen wirklich in Natura mit ihm nachstellte? Meine Phantasie machte mich halb wahnsinnig. Vor allem, als Maren sich dann auch noch mit Porky für ein Wochenende in der Eifel verabredete.
Ich stand direkt daneben, als sie sagte: »Mein Vater hat ein Wochenendhaus in der Nähe von Nideggen. Da sind Balken an den Wänden, das müsste ungefähr der gleiche Effekt sein wie an der Sprossenwand in der Sporthalle. Du musst nicht die ganze Zeit dein eigenes Gewicht stemmen, damit du mich nicht erdrückst. Da können wir es uns richtig gemütlich machen und haben viel mehr Zeit, um einiges auszuprobieren, Willibald.«
Damals fing es an mit den schlaflosen Nächten. Wochenlang lag ich nachts im oberen Etagenbett, von Kopf bis Fuß zu Stein geworden, einen Ring aus glühendem Eisen um die Brust und in der Kehle einen Schmerz wie ein Messer. Ich wartete nur darauf, dass mein jüngerer Bruder endlich einschlief. Der ältere war damals beim Bund und übernachtete nur am Wochenende daheim.
Wenn ich unter mir die ersten Schnarchtöne hörte, legte ich los, heulte Rotz und Wasser ins Kopfkissen, bis der glühende Ring erkaltet war und ich wieder durchatmen konnte. Gott, tat das weh. Es tat so weh, dass ich allen Ernstes überlegte, ob die Sache nicht doch ihren Preis wert sei. Ein Leben auf der Straße, manchmal wahrscheinlich auch hinter Gittern, plus Obdachlosigkeit der gesamten Familie Metzner für Maren Koska. Ich müsse ihr ja nur einmal in aller Öffentlichkeit demonstrieren, dass ich mich von niemandem einschüchtern ließ und auf bürgerliche Werte pfiff, dachte ich.
Was mich damals bewog, das Abitur und das Dach über den Köpfen meiner Lieben einem Geschlechtsakt auf dem Kirchplatz vorzuziehen, war nicht etwa Vernunft. Es war mein älterer Bruder. Er nahm sich einen ganzen Sonntag lang Zeit für ein ausführliches Gespräch unter Männern. Seine gesamte zwanzigjährige Lebenserfahrung warf er in das Spiel um meinen Seelenfrieden. Er erzählte grauenhafte Geschichten, die er angeblich mit eigenen Augen gesehen oder zumindest von überaus glaubwürdigen Zeugen gehört hatte.
Maren an einem Samstagabend im vergangenen Jahr – zu einer Zeit wohlgemerkt, als ich mich noch für ihren Einzigen hielt –, in einer Kölner Diskothek, die sie stündlich mit einem anderen Typ verließ und ganz bestimmt nicht, um draußen den Vollmond zu bewundern.
Maren an einem Nachmittag im letzten Sommer – während ich sie im Ballettunterricht, mit der Geige unterm Kinn oder bei Klavierübungen wähnte – im Gebüsch neben dem Fußballplatz. Bei ihr gleich zwei andere, beide etwas älter als ich, selber Jahrgang wie mein Bruder. Einer puderte aus Leibeskräften. Der Zweite hing über Marens Gesicht und ließ sie nach Lust und Laune musizieren. Dann kam noch ein Dritter dazu.
An der Stelle winkte mein Bruder ab. »Den Rest erspar ich dir lieber. Du kommst nie im Leben darauf, welche Stelle sie für den freigemacht hat.«
Natürlich kam ich darauf, mir hatte sie die Stelle auch mehrfach dargeboten. Selbstverständlich glaubte ich kein Wort. Aber zusätzlich erstellte mein Bruder diese Liste, nach Lebensjahren und Erfahrungen gestaffelt.
Mit siebzehn ist der Mann zu blöd, um zu begreifen, mit was für einem moralisch verkommenen Flittchen er sich eingelassen hat. Mit achtzehn müsste ihm eigentlich ein Licht aufgehen, tut es aber nicht, weil er meint, jetzt ginge die Welt unter. Und gesetzt den Fall, der Mann macht nun eine Dummheit, um dem Flittchen zu imponieren und es zurückzugewinnen, dann verliert der Mann zuerst sein Zuhause, danach seine Zukunftsaussichten. Die Polizei würde ihn nicht mal mehr Streife fahren, geschweige denn etwas anderes tun lassen. Die brauchen nämlich Leute ohne Fehl und Tadel. Und zu guter Letzt verliert der Mann seine Selbstachtung. Das habe ich noch im Kopf, als sei es gestern gewesen.
Nach dem Abitur verlor ich Maren für lange Jahre aus den Augen. Ihr Vater schickte sie in die USA, aus Sicherheitsgründen, denke ich, weil ich immer noch hinter ihr her war wie der Teufel hinter der armen Seele. Dass ich es trotz meiner erfolglosen Jagd zu einem passablen Schulabschluss brachte und die Prüfungen der polizeilichen Aufnahme- und Weiterbildungsstätte NRW mit Sitz in Münster bestand, mich sogar für den gehobenen Dienst qualifizierte, muss als Wunder betrachtet werden.
Für mich war es eine neue Erfahrung. Wenn Maren mich abservierte, beflügelte mich das zu Höchstleistungen auf anderen Gebieten. Irgendwie musste ich den Schmerz ja kompensieren, die Gedanken ausschalten oder in eine andere Richtung lenken.
Mit dreiundzwanzig lernte ich meine erste Frau kennen, Karola. Kein Vergleich mit Maren. Ein eher hausbackener Typ, sexuell etwas verklemmt, jedenfalls vor der Hochzeit, viel leidenschaftlicher wurde sie danach nicht, was mich jedoch nicht störte. Im Gegenteil, ich hielt es für besser, unsere Beziehung auf eine andere, spricht eine solide Grundlage zu stellen.
Zwei Jahre später heirateten wir, nahmen eine Hypothek auf, kauften uns eine Wohnung, richteten sie ein und besprachen, wann und wie viele Kinder wir haben wollten. Beim Zeitpunkt für das erste Kind waren wir uns schnell einig. Wenn wir die Hypothek zum Teil getilgt hatten und nicht mehr darauf angewiesen waren, dass Karola Vollzeit arbeitete.
Und vier Jahre später starb Marens Mutter. Zur Beerdigung kam sie aus Florida nach Hause, immer noch weißblond und so sonnengebräunt, als läge sie den lieben langen Tag am Strand. Wir trafen uns zufällig im Hallenbad. Da geht man nach einem Begräbnis ja für gewöhnlich hin.
Ich war jeden Donnerstagabend da – mit meiner Frau. Manchmal trieb auch Willibald Müller fast reglos im Becken, Fett schwimmt ja bekanntlich oben. Da musste er sich nicht anstrengen. An dem Abend war er nicht da. Aber an der Beerdigung hatte er teilgenommen – und Maren im Anschluss vermutlich brühwarm erzählt, wie ich mir mein Leben ohne sie eingerichtet hatte.
Karola wusste von meiner Schulzeit bis dahin nur, dass ich aufs Gymnasium gegangen und mit Peter Bergmann befreundet gewesen war. Sie war in Köln aufgewachsen und dort bei einer Versicherung angestellt. Wenn wir am Wochenende bei meinen Eltern einen Kaffee tranken, hätte meine Mutter sich vermutlich eher die Zunge abgebissen, als meine jugendlichen Verirrungen anzusprechen. Von den restlichen Familienmitgliedern wurde Maren ebenfalls totgeschwiegen. Man darf den Teufel bekanntlich nicht an die Wand malen, sonst holt er einen.
So gab es für Karola nur ein unverfängliches Hallo zwischen zwei Leuten, die zusammen in eine Grundschulklasse gegangen waren und am Gymnasium dieselben Kurse belegt hatten. Natürlich wurde viel erzählt, hauptsächlich über ehemalige Mitschüler, aber auch ein bisschen übers Private.
Maren erwähnte beiläufig, dass ihr Vater seine Geschäfte aus Altersgründen nun gerne in ihre Hände legen wolle. Aber mit ihm unter einem Dach, nein, das könne sie nicht. Das würde sie nicht mal für ein paar Stunden aushalten.
»Er hat mir vor Jahren etwas weggenommen, woran ich mit Leib und Seele hing«, erklärte sie mit einem schwermütig sehnsüchtigen Blick auf meine Badehose. »Das kann ich ihm nie verzeihen. Ich habe in Köln ein Hotelzimmer genommen. Vielleicht sehen wir uns mal, wenn du zufällig in Köln zu tun hast, Konni«, sagte sie in Gegenwart meiner Frau.
Zufällig hatte ich in Köln überhaupt nichts zu tun. Aber ich dachte, ein Kaffee an einer Hotelbar sei noch kein Ehebruch und ein Drink in Marens Zimmer kein Verbrechen. Wir könnten uns dabei über Schweinchen Dicks Pornohefte unterhalten und klären, ob sie wirklich ein Wochenende mit Porky im Ferienhaus ihres Vaters in der Eifel verbracht hatte. Vorstellen konnte ich mir das längst nicht mehr. Aber da waren ja auch noch die drei vom Fußballplatz, von denen mein älterer Bruder erzählt hatte, und die Typen aus der Kölner Diskothek.
Maren lachte mich aus. »Was denkst du von mir? Hältst du mich für eine Nymphomanin, Konni?«
Sie gestand freimütig, dass sie nach unserer Trennung nicht gelebt hatte wie eine Nonne. Davor habe es aber keine anderen gegeben, keinen einzigen. Die Sache mit Porky war ihren Worten zufolge genau das gewesen, was ich mir gedacht hatte. Die Demonstration, dass sie nicht auf mich angewiesen war. Was aber noch lange nicht hieß, dass sie den guten Willibald tatsächlich rangelassen hatte.
»Du hättest sein Gesicht sehen müssen, wenn ich ihn auflaufen ließ«, erklärte sie. »Der Ausdruck war zu köstlich. Ich wusste gar nicht, dass Mastschweine eine so lebhafte Mimik haben.«
Es kam, wie es kommen musste. Maren war eben Maren, ein Naturereignis. Sie konnte Gedanken lesen, wenn es darum ging, die manchmal unerfüllten Wünsche und Sehnsüchte aufzuspüren, die ein Mann mit sich herumtrug. Karola war auch vier Jahre nach der Hochzeit noch nicht in der Lage, einmal Bedürfnisse oder Verlangen zu bekunden. Sie wies mich nur selten ab, wenn ich das tat, aber oft hatte ich das Gefühl, mich ihr aufzudrängen.
Maren dagegen bestand aus Intuition und Bereitschaft, aus Gier und Unersättlichkeit, aus Opium, Morphium, hochprozentigem Rum und reinem Heroin, eine Mischung, die unweigerlich süchtig machte.
Vier Monate lang traf ich sie mindestens dreimal die Woche in dem Kölner Hotelzimmer und verfiel dem Wahn, dass letztlich zusammenfindet, was zueinander gehört und füreinander bestimmt ist. Mit neunundzwanzig lässt man sich von den Eltern nichts mehr verbieten. Genaugenommen brauchte man in dem Alter keine Eltern mehr, fand ich. Sollte es zum Bruch mit meiner Familie kommen, auch gut. Wenn Maren den immer noch schwunghaften Handel ihres Vaters mit Gebrauchtwagen und Baumaschinen übernahm, könnten wir uns eine Luxuswohnung in Köln leisten.
Maren sprach oft von solch einer Wohnung und der Hoffnung ihres Vaters, die Verantwortung für sein Imperium bald abgeben zu dürfen. Der alte Koska hatte die achtzig überschritten. Angeblich sah man ihm das nicht an, er sollte zwanzig Jahre jünger wirken. Aber trotzdem, andere in seinem Alter saßen auf Parkbänken oder in Seniorenheimen herum und er noch jeden Tag im Büro.
Zwar hatte er inzwischen einen Geschäftsführer, doch der verstand gar nichts von Baumaschinen und von Gebrauchtwagen nicht viel mehr. Maren schwankte, weil ich kein freier Mann war und meinen Beruf liebte. Nur fürs väterliche Unternehmen wollte sie nicht bleiben. Obwohl ihre beruflichen und privaten Kontakte in Florida durch den langen Aufenthalt in der Heimat arg ramponiert sein müssten, wie sie meinte. Den Job drüben sei sie auf jeden Fall los. Und hier erledigte der Geschäftsführer die Dinge nicht eben in ihrem Sinne.
»Gib deinem Herzen einen Stoß, Konni. Als Polizist verdienst du nun wirklich nicht die Welt. Ich bin sicher, du gibst einen guten Geschäftsmann ab. Du musst es nur wollen.«
Den Beruf wechseln wollte ich eigentlich nicht, aber schließlich hatte sie mich so weit. Und dann legte sie mir eine Hand auf den Arm und sagte: »Du musst das verstehen, Konni.«
Sie hatte noch einmal über alles nachgedacht und war zu der Erkenntnis gelangt, nach den Jahren Freiheit und Weite in Florida nicht mehr in den kleinkarierten deutschen Mief zu passen. Vier Monate hatte sie investiert, um systematisch meinen Untergang zu betreiben.
Der verheiratete Konrad Metzner, der seine Frau nach Strich und Faden belog, sogar einen Kollegen einspannte, um sich Alibis für die Stunden im Hotelzimmer zu beschaffen, der Mann, der sich mit seinem Beruf einen Jugendtraum erfüllt hatte, war genau der Richtige, der Einzige, der Beste gewesen.
Für den armen Trottel, der mit einer Flasche Sekt ins Hotelzimmer stürmte und verkündete: »Ich hab gekündigt und meiner Frau die Scheidung angeboten«, hatte Maren nur ein müdes Lächeln. Da mochte ich betteln und winseln. Sie rekelte sich derweil auf dem Laken, rauchte gelangweilt eine Zigarette, schaute genervt zur Zimmerdecke hinauf. »Du musst das verstehen, Konni.«
Ich verstand es nicht und ging zum zweiten Mal durch die Hölle. Meine Kündigung war von meinem Vorgesetzten zum Glück erst mal zur Seite gelegt worden in der Hoffnung, ich möge mir das noch einmal gut überlegen. Meine Ehe war nicht mehr zu retten, keine Aussicht auf Versöhnung, nur dreckige Wäsche.
Die Eigentumswohnung wurde mit beträchtlichem Verlust verkauft. Karola behielt einen Teil der Einrichtung und zog zurück nach Köln. Ich behielt die Schulden und musste zurück in das Zimmer mit Etagenbett und Klappcouch in der Wohnung meiner Eltern, weil ich mir in den ersten zwei, drei Jahren nicht mal mehr ein möbliertes Zimmer hätte leisten können. So viel verdient ein Polizist in dem Alter wirklich nicht, dass er locker einen Berg Schulden abtragen und nebenher noch angenehm leben könnte.
Monatelang hörte ich endlose Vorträge von Vater, Mutter und dem älteren Bruder. Der jüngere meinte inzwischen auch, er müsse seinen Senf dazugeben. »Dass du nicht eher begriffen hast, worauf die es anlegte, du Idiot. Für so eine lässt man doch nicht alles sausen. Du kannst vom Glück sagen, dass dein Chef mehr Verstand hatte als du. Stell dir vor, deine Kündigung wäre angenommen worden. Dann hättest du komplett im Regen gestanden.«
Alle waren sie einhellig der Meinung, dass Maren es nur darauf angelegt hatte, mich völlig fertigzumachen. Und nun, wo ich am Boden zerstört war, flog sie wieder auf der Suche nach Siegern um die Welt.
Man sollte annehmen, ich hätte daraus eine Lehre gezogen und es nicht so weit kommen lassen, dass mein Bruder die Liste, die er mit zwanzig erstellt hatte, um mich zur Einsicht zu bringen, erweitern musste: Mit achtunddreißig verliert der Mann die Frau, mit der er alt werden wollte, und seinen Sohn, der ihm wichtiger war als sonst etwas auf der Welt.
Nachdem Maren mir zum zweiten Mal den Laufpass gegeben hatte, war ich monatelang krank, richtig krank. Ich stürzte mich mit Magengeschwüren, Bluthochdruck und manchmal unerträglichen Kopfschmerzen in sämtliche Fortbildungsmaßnahmen, die ich ergattern konnte, und hielt mich damit wenigstens psychisch einigermaßen über Wasser.
Dann lernte ich Hanne kennen. Hanne Neubauer, Arzthelferin in der Praxis, in der ich Dauergast geworden war. Acht Jahre jünger als ich, frisch und unkompliziert, selbstbewusst und natürlich, tüchtig und selbstständig. Sie war das, was ich gerne gewesen wäre, obwohl oder gerade, weil das Leben nicht eben zimperlich mit ihr umgesprungen war.
Ihre Eltern waren ein Kapitel für sich, Bärbel und Siegfried. Hanne nannte beide nur bei den Vornamen und machte auf diese Weise deutlich, dass sie erwachsener war als die beiden Menschen, die zwar älter waren als sie, aber nicht mal imstande, Verantwortung fürs eigene Leben zu tragen, geschweige denn für ein gemeinsames Kind.
Bärbel und Siegfried konnten nicht mit-, aber auch nicht ohne einander. Wenn sie zusammen waren, fetzten sie sich wie kleine Kinder, weil die Versöhnung anschließend immer so schön war. Siegfried hatte die Familie verlassen, als Hanne zwölf Jahre alt gewesen war. Er sei das jetzt leid und wolle endlich seinen Frieden, hatte er gesagt, als er seine Sachen packte.
Bärbel war ihm augenblicklich hinterhergereist, ohne Sachen, so schnell hatte sie nicht packen können. Nach drei Tagen war Bärbel zurückgekommen, allerdings nur, um etwas Kleidung zu holen und Hanne mit zweihundert Mark auszustatten, damit sie sich etwas zu essen kaufen konnte. Miete, Strom und die Telefonrechnung wurden abgebucht, darum musste Hanne sich nicht kümmern.
Beim ersten Mal blieb Bärbel für zwei Monate ihren Pflichten als Mutter fern, rief jedoch regelmäßig an, um sich zu erkundigen, ob Hanne noch Geld hatte, und schickte ihr etwas, wenn sie blank war. Das hatte sich in den folgenden Jahren mehrfach wiederholt. Hanne hatte es nie einem Menschen erzählt, aus Furcht, man könne sie in einem Kinderheim unterbringen.
Mit sechzehn hatte sie ihre Ausbildung begonnen, mit achtzehn ein möbliertes Appartement bezogen. Siegfried und Bärbel waren längst geschieden und lebten in Hannover wie ein Liebespaar. Jeder hatte seine eigene Wohnung, das war auch bitter nötig, wenn es wieder mal tüchtig gekracht hatte.
Geschult durch unzählige Stunden, in denen Bärbel das Drama ihrer Ehe mit der Tochter erörtert hatte, war Hanne mit nichts mehr zu erschüttern, die geborene Zuhörerin für Leute, denen man das Herz aus dem Leib gerissen hatte. Und wenn man wieder mal frühmorgens auf einem Stuhl sitzt, die Manschette des Blutdruckmessgerätes um den Arm oder die Nadel zur Blutabnahme drin, wenn man anteilnehmend gefragt wird, ob es mit den Kopfschmerzen immer noch nicht besser geworden ist oder was die letzte Magenspiegelung ergeben hat, gerät man ins Plaudern.
Wir gingen ein paarmal aus. Nicht auf meine Initiative. Hanne wusste, was sie wollte, und sagte das freiheraus. »Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht krank sind?«
»Dann bin ich im Dienst.«
»Aber doch nicht jeden Abend und jedes Wochenende.«
Doch, im Prinzip immer. Was hätte ich sonst anfangen sollen mit meiner Zeit? Aus der elterlichen Wohnung flüchten, mich in der Dienststelle verschanzen und Strategien austüfteln, mit denen man Einbrechern das Leben schwermachen konnte. Bei einigen Handwerksbetrieben war ich überaus beliebt. Ich organisierte Ausstellungen für Türen und Fenster, die Einbruchswerkzeugen länger standhielten, beriet Bürger, wie sie ihre Häuser und Wohnungen sicherer machen konnten. Damit verbrachte ich meine Abende und die Wochenenden. Ich schob einen Berg von Überstunden vor mir her.
Ein paar feierte ich dann mit Hanne ab. Wir machten lange Spaziergänge, tranken auch mal irgendwo einen Kaffee, obwohl ihr Chef mir den wegen meinem Blutdruckhochdruck verboten hatte. Aber Hanne meinte, es sei nur psychosomatisch und käme wieder auf die Reihe, wenn ich mein Privatleben in den Griff bekäme und einen rosa Schimmer für die Zukunft sähe.
Ich bemühte mich, ihr auszureden, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte. Such dir lieber einen Mann in deinem Alter, mit dem du glücklich werden kannst. Du bist noch so jung und hast es verdient, glücklich zu sein. Häng dich nicht an ein ausgebranntes Wrack. So sagte ich das natürlich nicht. Stattdessen erzählte ich ihr zur Abschreckung von Maren, was immer ich über die Lippen brachte.
Aber Liebe, Lust, Leidenschaft und diverse Querelen waren Hanne bestens vertraut. Abgestoßen fühlte sie sich davon nicht, im Gegensatz zu meiner Familie zeigte sie vollstes Verständnis. So etwas könne jedem passieren, meinte sie. Gegen Gefühle sei nun mal kein Kraut gewachsen. Das habe sie bei ihren Eltern erlebt und erlebe es immer noch, wenn nun auch aus der Ferne.
»Und in Ihrem Fall«, meinte sie – als wir darüber sprachen, waren wir noch nicht zum Du übergegangen –, »liegen die Dinge doch günstiger. Sie haben jedenfalls nicht alles stehen und liegen lassen und sind der Dame hinterhergeflogen. Sie haben nur eine bittere Erfahrung gemacht.«
Hanne hielt mich tatsächlich für einen Mann, der aus trüben Erfahrungen eine Leere zieht und denselben Fehler nicht zweimal macht. Ob ich davon so überzeugt war wie sie – ich weiß es nicht. Aber mit Maren in weiter Ferne und dieser jungen Frau in meiner unmittelbaren Nähe, die mich für wert befand, geliebt zu werden, offen und ehrlich geliebt, nicht verrückt oder besessen, lohnte es nicht, sich den Kopf zu zerbrechen, was geschehen könne, wenn.
An Hannes Seite erholte ich mich langsam, Magen, Blutdruck und Kopf, alles kam wieder in den grünen Bereich, das gespannte Verhältnis zu meiner Familie ebenso, dafür sorgte sie ebenfalls. Meine Brüder fanden Hanne übereinstimmend einsame Spitze. Vater war stark beeindruckt von ihrer Tüchtigkeit und sehr angetan von der Aussicht, in Zukunft nicht mehr mit jedem Zipperlein zum Arzt gehen und ohne Termin stundenlang im Wartezimmer sitzen zu müssen. Mutter hielt Hanne anfangs für zu jung, erkannte jedoch schon beim zweiten Kaffeenachmittag mit selbstgebackenem Streuselkuchen, dass Jugend in bestimmten Fällen von Vorteil sein konnte. Sollte sich das verfluchte Weib jemals wieder in der Heimat blicken lassen, wäre sie im Vergleich mit Hanne ja eine ältere Frau.
Nach sechs Monaten schlug Hanne vor, ich solle meine Habseligkeiten in ihr Apartment bringen, da könnte ich ebenso mietfrei wohnen wie bei meinen Eltern. Und wir beide könnten feststellen, ob es im Alltag mit uns funktionierte. Das tat es. Trotzdem blieb ich bei meinen Eltern gemeldet, damit Hanne keinen Ärger mit ihrem Vermieter bekam. Ihr Appartement war nur für eine Person konzipiert.
Heiraten wollten wir beide nicht. Ein Trauschein sei keine Garantie, ohne müssten wir uns mehr Mühe geben und könnten viel Geld sparen, wenn es schiefginge, meinte sie. An ihrer Einstellung änderte sich auch nichts, als Oliver sich ankündigte.
Für mich war schon die Schwangerschaft ein Erlebnis, das ich nicht missen möchte. Ich weiß noch, wie es war, als ich Hanne das erste Mal zu ihrer Gynäkologin begleitete und auf dem Ultraschallgerät seine Konturen sah. Das Köpfchen, die winzige Faust vor dem Mund, die Wölbung seines Rückens. Da wuchs ein Mensch heran, und ich hatte meinen Teil dazu beigetragen. Schon in dem Moment hätte ich mich für Oliver vierteilen lassen und schwor mir, alles zu tun, damit er behütet aufwachsen könnte, in geordneten Verhältnissen, wie man so schön sagt.
Natürlich war ich bei der Geburt dabei, durfte die Nabelschnur durchschneiden, ihn Hanne auf den Bauch legen und eine Weile halten, nachdem er gebadet und angezogen war. Er war ein Sonntagskind und der lebende Beweis, dass es nicht nur um Lust und Befriedigung ging. Er war das, was von mir übrigbleiben sollte, wenn es mich eines Tages nicht mehr gäbe.
Wenn ich bei irgendeiner Sache Zweifel hatte, reichte ein Blick auf ihn, um die Dinge geradezurücken. Bevor es ihn gab, war ich nur Konrad Metzner gewesen. Erst Oliver stellte mich auf meinen Platz im Leben und verlieh den Tagen, die bis dahin einer wie der andere vergangen waren, eine Intensität, von der ich nicht gewusst hatte, dass man so tief empfinden konnte.
Während ich noch vollauf mit dem Wunder des neuen Lebens beschäftigt war und in der Dienststelle Kollegen nervte, zuerst mit Abzügen vom Ultraschall, nach der Geburt mit Fotos, ging Hanne die Sache pragmatisch an. Das führte dazu, dass ich mich noch einmal mit Dingen auseinandersetzen musste, die ich weit hinter mir glaubte. Nein, nicht mit Maren, nur mit Willibald Müller, mit dem Maren in den Monaten vor dem Abitur genüsslich Pornoheftchen durchgeblättert hatte.
Von unserem Abiturjahrgang waren nur Porky, Peter Bergmann und ich in der Stadt geblieben. Peter arbeitete in der Kreissparkasse. Schweinchen Dick saß in der Stadtverwaltung und verteilte seine Massen im Amt für sozialen Wohnungsbau. Verheiratet oder sonst wie liiert war er nicht. Bei seinem Anblick musste jede Frau zwangsläufig befürchten, an seiner Seite elend zu verhungern.
Und offenbar bildete Müller sich ein, meine Frauen aufklären zu müssen. Während unserer Scheidung hatte er sich an Karola herangemacht und sie bis ins kleinste Detail über meine Entspannungsübungen am Gymnasium informiert. Vor Hanne machte er auch nicht Halt.
Kurz vor Olivers Geburt hatte sie sich auf eigene Faust um eine größere Wohnung für uns bemüht, leider vergebens. Danach probierte sie ihr Glück bei Müller, weil das Einzimmerappartement für drei Personen wirklich zu klein war. Der Kinderwagen stand vor der Tür im Hausflur, die Wiege immer im Weg.