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Einen Text schreiben ist eine Sache, ihn vor Publikum vorzutragen eine ganz andere: Ein vorgelesener oder rezitierter Text muss durch die Stimme des Vortragenden zum Leben erweckt werden. Es muss gelingen, in den Köpfen der Zuhörer Bilder entstehen zu lassen. Sebastian Fuchs verrät in seinem kompakten Ratgeber die Kniffe der Profis und berichtet aus seiner Praxis als Sprecher, Sprechtrainer und Sprecherzieher. Durch seine Erfahrung als Professor an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg sowie als langjähriger Dozent für Sprecherziehung an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" kennt er alle Kniffe und weiß um die Tücken der Praxis. Das ist nicht nur für Autoren interessant, sondern für alle, die Texte lesen oder frei sprechen müssen. "Mit der Stimme Bilder malen" ist ein E-Single aus dem Tatort-Schreibtisch-Ratgeber "Hört mir jemand zu?". Mehr Informationen unter www.tatort-schreibtisch.de
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Seitenzahl: 58
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Tatort Schreibtisch ist eine Buchreihe, in der ausschließlich versierte Profis zu Wort kommen. Basierend auf ihren langjährigen Erfahrungen, geben Fachleute ihr Wissen weiter und ermöglichen einen grundlegenden und vor allem praxisorientierten Einblick in ihre Arbeit. Mehr Informationen und weitere Texte unter: www.tatort-schreibtisch.de
Sebastian Fuchs
Mit der Stimme Bilder malen
Sprechtechnik für Anfänger und Profis
KICKVerlag
Inhalt
Prolog
1. Könnerschaft
2. Problemlösung
3. Sie steuern den Bus!
4. Übungen zur Strukturierung
5. Übungen zur Imagination
6. Der Weg zur Meisterschaft
7. Übungen zur Praxis
Epilog
Prolog
„Man kann nicht nicht kommunizieren“, schreibt der Psychotherapeut Paul Watzlawik in seinem Buch „Menschliche Kommunikation“ (Bern Stuttgart Wien 1969). Sie kennen es selbst: Egal was wir tun, unser Gegenüber reagiert auf uns. Selbst ein etwas zu langes Schweigen auf eine Frage oder Aufforderung hin spricht Bände. Man könnte sogar den ambitionierten Versuch wagen und eine Enzyklopädie des Schweigens schreiben. Darin fänden sich vermutlich das aufmerksame Schweigen des Zuhörers, das verwirrte Schweigen des Nicht-Verstehenden, das angespannte Schweigen des Mitwissers oder das zufriedene Schweigen des Kauenden.
Allgemeiner gesprochen: Alles, was wir tun und sagen, hat eine Wirkung auf andere. Jedes Auf-den-Boden-Starren, Auflachen, Seufzen, jedes „Oh“, „Hey“, „Hm“, „Hä“, „Boah“.
Sie ahnen vielleicht, was das für Ihre Situation, für die Lesung vor Publikum bedeutet? Die Bühne wirkt wie ein Vergrößerungsglas. Alles ist sichtbar: wie Sie den Raum betreten, ob Sie locker oder angespannt sind, wie Sie die Zuschauer ansehen, wie Sie sich setzen, wie Sie mit dem Lesen beginnen. Alles, was geschieht, geschieht in einer bestimmten inneren Haltung. Diese Haltung nimmt das Publikum zuallererst wahr, und diese Wahrnehmung dauert so lange fort, wie Sie für die Zuschauer hör- und sichtbar sind.
Als Vokalkünstler spreche ich des Öfteren nach der Vorstellung mit Zuschauern, die beschreiben: „Ihr Programm war für mich Kino im Kopf. Wie machen Sie das?“ Ich gebe dann einen kurzen Einblick in mein Lautlabor und füge an, dass das jeder könne – und bekräftige, weil mein Gegenüber mich ungläubig ansieht: Ja, natürlich, Sie können das auch!
Und dies ist genau das, was ich jetzt auch Ihnen sage: Sie können den Zuschauer dazu anregen, Ihrer Stimme und Ihrem Text zu folgen und dadurch eine Szenerie aufscheinen lassen, die bewegende Bilder erzeugt. Das einzige, was Sie dazu brauchen, ist die Bereitschaft, sich mit Forschergeist dem Thema „Lesung“ zu nähern, sich selbst und das eigene Schaffen neu wahrzunehmen – und: etwas Zeit zu investieren, die hier vorgeschlagenen Übungen praktisch anzuwenden.
Lassen Sie uns starten!
1. Könnerschaft
Sobald Sie aus Ihrem Werk vorlesen, werden Sie vom Autoren zum Erzähler. Sie wechseln das Fach. Statt mit dem geschriebenen begegnen Sie dem Hörer nun mit dem gesprochenen Wort, mit Ihrer Stimme. Und die muss mehr leisten als im Alltag. Anstatt in Umgangssprache mit Bekannten zu reden, kommunizieren Sie über einen Text mit einem Publikum. Und damit dieses Ihnen gerne folgt, brauchen Sie zweierlei: eine tragfähige, flexible Stimme und eine klare Aussprache.
Die Stimme ist ein filigranes Organ, dessen klingendes Endprodukt ganz unten beginnt: In den Füßen. Denn Tragfähigkeit kann man tatsächlich im Wortsinn verstehen. Sie ist ein Zusammenspiel aus Körperhaltung, Atmung und Muskelspannung. Flexibilität in der Stimme ist für Sie und Ihre Zuhörer ebenso wichtig: Wer seinen Stimmapparat kennt und zu führen weiß, der kann immer wieder neue Reize setzen und sein Publikum überraschen. Oder umgekehrt: Nichts ist langweiliger, als die immer gleichen Muster zu wiederholen. Eine klare Aussprache brauchen Sie, damit Sie für die Zuhörer mühelos verständlich sind.
Wie ist Ihre innere Haltung? Hochmotiviert oder skeptisch? Keine Sorge, jede Stimme kann sich entwickeln, jeder kann lernen, sie bewusst einzusetzen. Geben Sie sich und Ihrer Stimme Zeit, sich zu entwickeln, wiederholen Sie die Übungen, die ich Ihnen vorschlage. Die Beherrschung der Stimme braucht viel Praxis.
Machen wir uns an die Arbeit!
1.1 Tragfähigkeit
Eine aufrechte Körperhaltung ist wichtig, damit der Atem frei fließen und die Stimme locker schwingen kann. Wir beginnen mit dem Kontakt zum Boden und arbeiten uns über Beine, Becken und Oberkörper bis zum Stimmapparat vor.
Diese Übung wirkt am besten ohne Schuhe. Befreien Sie Ihre Füße von den Schuhen und richten Sie sie schulterbreit am Boden aus. Krallen Sie sich mehrmals im Boden fest und lösen Sie die Spannung wieder. Verlagern Sie das Gewicht Ihres Oberkörpers auf eine Seite (vorne, links, hinten, rechts) und schließlich wieder zentral. Lassen Sie den Atem dabei stets frei fließen.
1.2 Aufrichtung, Präsenz, Wohlspannung
Mithilfe der folgenden Übungen richten wir den Körper vom Becken aus auf, schaffen Platz für die Atmung und aktivieren die Resonanzräume.
A) Rollen Sie vom Kreuzbein aus langsam Ihre Wirbelsäule ab- und wieder aufwärts. Lassen Sie dabei Kopf und Schultern unbedingt los, also locker hängen.
B) Ihr linker Arm schnellt synchron zu einem impulsiven Einatem durch die Nase nach oben, lassen Sie ihn anschließend mit einem Ausatem durch den Mund wieder auf Ihren Oberschenkel fallen (Arm und Bauchdecke sollten dabei ganz losgelassen werden).
C) Drehen Sie Ihr Becken in eine Richtung. Oberkörper und Arme folgen. Wenn Sie ganz auf einer Seite angekommen sind, wechseln Sie die Richtung und so fort.
1.3 Atemökonomie
Unsere Atmung funktioniert wie ein Blasebalg. Ein Blasebalg hat im Normalzustand maximale Reserven. Drückt man ihn zusammen, spendet er Luft, lässt man ihn los, saugt er Luft an. Die Ausatmung wird deshalb physiologisch als aktiver Vorgang bezeichnet, die Einatmung als passiver Vorgang, als Einströmenlassen oder Atemergänzung. Im Liegen atmen wir automatisch richtig. Bauch und Brust heben und senken sich. Zwerchfell und Lunge arbeiten zusammen und schöpfen das Atemvolumen optimal aus.
Wenn wir sprechen oder singen, verlängern wir den Ausatemvorgang. Dadurch, dass wir die Stimmlippen in Schwingung versetzen, gelangt viel weniger Luft auf einmal nach oben, als während der Ruheatmung. Im persönlichen Gespräch dürfte Atmung für Sie kein Thema sein. Sie läuft unbewusst ab. Auf der Bühne gerät sie plötzlich ins Bewusstsein, da Sie beobachtet werden und nicht spontan, sondern vorbereitet agieren. Für einige Sätze oder Sprechbögen werden Sie mehr Luft als gewöhnlich brauchen. Dafür sollte es Ihnen möglich sein, mehr Luft auf einmal einströmen zu lassen und den Ausatemvorgang so zu verzögern, dass der Sprechbogen gelingt. Zu einer ökonomischen Atmung brauchen Sie Wohlspannung im Körper und einen bewussten Zugriff auf Ihre Atemmuskulatur. Beides braucht viel Übung und setzt eine sensible Körperwahrnehmung voraus.
Ich möchte Ihnen vier Übungen zeigen, die den Weg zu einer ökonomischen Atmung vorbereiten.
A) Nehmen Sie in folgenden Haltungen den Atemvorgang bewusst wahr:
– Legen Sie sich rücklings auf einen Teppich oder eine Yoga-Matte. Führen Sie eine Hand zum Brustbein, eine zum Bauch und lassen Sie dort liegen.
– Stützen Sie die Ellenbogen auf. Ihr Oberkörper bildet eine schiefe Ebene.