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Nacht für Nacht sieht der Architekt Cray Maclnnes eine hinreißende Frau in seinen Träumen. Wer ist die schöne Fremde? Dann lernt er sie eines Tages kennen: Sie heißt Catherine - und ist die Witwe des Mannes, dem Gray nach einem Unfall sein Leben zu verdanken hat. Wie Gray, empfindet auch Catherine eine Vertrautheit zwischen ihnen, die ihr völlig unerklärlich ist. Woher kommt plötzlich diese Lust, von Gray Maclnnes geküsst, geliebt zu werden? Woher der sinnliche Wunsch, mit ihm heiße Nächte Haut an Haut zu verbringen? Am seltsamsten ist, dass Gray nicht nur ihre Sehnsucht errät - er weiß auch so viel über sie. Fast, als würde er sie schon sehr lange und sehr gut kennen ...
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Seitenzahl: 199
IMPRESSUM
Mit jedem Kuss, mit jeder Nacht erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2003 by Anne Marie Rodgers Originaltitel: „Billionaire Bachelors: Gray“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 1292 - 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Eleni Nikolina
Umschlagsmotive: katiafonti/GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 06/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733747350
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Es freut mich zu hören, dass es Ihnen gut geht, Mr. MacInnes.“ Der Arzt schrieb lächelnd ein Rezept aus. „Vierundzwanzig Monate nach einer Transplantation sind ein wichtiger Meilenstein. Ihr neues Herz funktioniert außergewöhnlich gut. Ich verschreibe Ihnen noch ein Medikament, das das Risiko der Organabstoßung verringert. Haben Sie noch Fragen?“
Gray nahm das Rezept entgegen. „Danke.“ Er rieb sich geistesabwesend die Narbe, unter der jetzt das Herz eines Organspenders schlug. „Haben Sie jemals etwas davon gehört, dass andere Organempfänger von seltsamen Dingen berichten, die nach der Transplantation geschehen?“
Der Arzt sah stirnrunzelnd von seinen Papieren auf. „Was für seltsame Dinge?“
Gray zuckte die Achseln. Er hatte das Thema eigentlich gar nicht anschneiden wollen, denn er kam sich dabei ziemlich albern vor. „Ach, eigentlich nichts. Nur kleine Dinge, an die ich mich von vorher nicht erinnere. Gerichte, die ich vor der Operation nicht ausstehen konnte, schmecken mir jetzt zum Beispiel.“
Der Arzt lächelte. „Sie können sich mit anderen Organempfängern darüber austauschen. Hier im Krankenhaus trifft sich eine Therapiegruppe.“ Er zögerte. „Aber offensichtlich geht es anderen Patienten ähnlich wie Ihnen. Sie haben den Eindruck, sie hätten zusammen mit dem Organ. Gefühle und Erinnerungen ihrer Spender übernommen. Man nennt das Zellgedächtnis. Ein Patient entdeckte zum Beispiel, dass er plötzlich ganz wild auf Brathähnchen war, und eine andere Patientin trinkt nun mit Genuss Bier, das vorher nicht ausstehen konnte.“
Aber wie viele von ihnen erinnern sich an ein Gesicht? Eine Stimme? Wie viele haben intime Erinnerungen an eine ganz bestimmte Frau, der sie noch nie begegnet sind? Laut sagte Gray: „Danke. Vielleicht werde ich mal hingehen.“
„Sie treffen sich jeden dritten Dienstag im Monat, glaube ich.“ Der Arzt sah diskret auf seine Uhr. „Wenn sonst nichts mehr ist …“
„Nur eins noch. Ich möchte sehr gern der Familie des Spenders persönlich danken. Ich weiß, es ist gegen die Vorschrift …“
Der Arzt schüttelte den Kopf, noch bevor Gray geendet hatte. „Sie wissen, dass das nicht erlaubt ist. Sie können ihnen einen Brief schreiben, und das Krankenhaus leitet ihn dann weiter. Sie dürfen auch Ihren Namen und Ihre Adresse hinzufügen. Wenn die Familie dann von sich aus mit Ihnen Kontakt aufnehmen möchte, steht dem nichts im Wege.“
„Das habe ich schon getan.“ Gray hatte kaum eine Woche nach der Operation einen kurzen Brief geschrieben, seinen Namen aber nicht angegeben. Damals hatte er geglaubt, die Familie würde einen anonymen Kontakt vorziehen. „Ich würde sie nur gern kennenlernen, oder sie wenigstens aus der Ferne sehen.“ Vielleicht würde er noch einen Brief schreiben und diesmal seinen Namen angeben.
Der Arzt lächelte mitfühlend. „Ich verstehe Sie, aber einige Familien können die Erinnerung an ihren Verlust nicht ertragen. Es wäre zu viel für sie, wenn die Person, die das Organ ihres geliebten Menschen in sich trägt, aus heiterem Himmel auftauchen würde. Wir versuchen, ihre Anonymität zu wahren.“
„Ja, natürlich.“ Gray sprach gelassen, aber in Wirklichkeit war ihm eher danach zu schreien: Aber ich muss herausfinden, wer diese Frau ist, die in meinen Kopf herumspukt! „Trotzdem vielen Dank“, sagte er.
„Gern geschehen. Machen Sie so weiter. Ich erinnere mich nicht, je einen Patienten in diesem Stadium in so guter Form erlebt zu haben.“ Er hielt inne. „Aber Sie waren ja auch in besserer Verfassung – wenn man von den Unfallverletzungen absieht – als die meisten Patienten, die sehr viel wertvolle Zeit damit verlieren, dass sie jahrelang auf der Warteliste stehen.“
Gray nickte. „Bis jetzt fühle ich mich fantastisch.“ Bis auf die Tatsache, dass ich offenbar zusammen mit dem Herzen eines fremden Mannes auch dessen Erinnerungen bekommen habe.
„Rufen Sie mich auf jeden Fall sofort an, wenn Fieber bei Ihnen auftreten sollte oder sonst etwas Ungewöhnliches. Ansonsten sehe ich Sie dann bei Ihrem nächsten Check-up in sechs Monaten.“ Der Arzt erhob sich und reichte ihm die Hand. Er lächelte, als Gray sie mit einer Kraft drückte, die keinen Zweifel an seinem positiven Zustand ließ. „Vorsicht, ich brauche meine Finger noch.“ Er drehte sich um und verließ den Raum.
Gray griff nach seinem Hemd, das an einem Haken an der Wand hing. Dabei fiel sein Blick auf eine Akte, die auf dem Schreibtisch lag. Seine Akte! Gray zögerte nur einen Moment, dann öffnete er sie entschlossen. Ein schneller Blick auf die ersten Seiten brachte ihm zwar nicht die Information, die er suchte, aber jetzt wusste er wenigstens, dass das Herz des Spenders vom John Hopkins Hospital in Baltimore nach Philadelphia geflogen worden war, wo er es dann erhalten hatte.
Einen Augenblick später, Gray knöpfte sich noch das Hemd zu, kam der Arzt herein und nahm die Unterlagen mit einem Kopfschütteln an sich. „Ich glaube, ich brauche ein paar Pillen für mein Gedächtnis“, sagte er mit einem trockenen Lächeln. „Passen Sie auf sich auf, Mr. MacInnes.“
„Würden Sie mit mir tanzen?“
Catherine Thorne, die gerade mit ihrer Schwiegermutter gesprochen hatte, drehte sich zu dem Fremden um. Ihr war aufgefallen, dass er sie schon den ganzen Abend über beobachtet hatte, aber sie hatte nicht die geringste Ahnung, wer er war. Eintrittskarten für den Wohltätigkeitsball zu Gunsten des Organspende-Programms hatten natürlich auch der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestanden.
„Danke, aber ich tanze nicht.“ Sie erinnerte sich nicht, wann sie das letzte Mal gelogen hatte, und die Worte drohten ihr in der Kehle stecken zu bleiben.
Patsy Thorne, die neben ihr stand, kicherte. „Das ist doch lächerlich, Catherine.“ Sie wandte sich an den hoch gewachsenen Fremden, dessen kurz geschnittenes rabenschwarzes Haar im Licht der Kronleuchter bläulich schimmerte. „Natürlich tanzt sie. Sie tanzt sogar sehr gern. Geh schon.“ Sie gab Catherine einen sanften Schubs.
Catherine zwang sich zu einem Lächeln. Sie liebte ihre Schwiegermutter, die für sie wie eine Freundin war, obwohl Catherines Mann, Patsys Sohn, gestorben war. Patsy hielt ihr oft vor, dass eine so junge Frau sich nicht so abkapseln durfte. Mike hätte auch gewollt, dass sie ein neues Leben anfing und jemanden fand, mit dem sie es teilen konnte. Aber Catherine wünschte sich nur, Patsy würde damit aufhören, ständig zu versuchen, sie zu verkuppeln. In den vergangenen sechs Monaten hatte ihre Schwiegermutter sie mit so vielen Junggesellen bekannt gemacht, die sie für passend hielt, dass Catherine inzwischen längst die Übersicht verloren hatte.
Zögernd gab sie dem Mann die Hand. Als sie bei seiner Berührung ein wohliger Schauer überlief, sah sie erschrocken zu ihm auf und hielt unwillkürlich den Atem an. „Danke. Ich tanze wirklich gern.“
Sie hatte noch nie so dunkelblaue Augen gesehen, und sein Blick war so intensiv, dass sie vergaß, worüber sie sich gerade unterhalten hatte. Er sah sie fast forschend an, genau wie seit dem Moment vorhin, als ihre Blicke sich zum ersten Mal gekreuzt hatten. Wer war er?
Sein Griff um ihre Hand war fest, während er sie auf die Tanzfläche führte. Als er sich herumdrehte und sie in die Arme nahm, spannte Catherine sich unwillkürlich an. Seit Mikes Tod hatte sie nicht mehr getanzt und war auch von keinem Mann mehr in die Arme genommen worden.
„Keine Sorge, ich bin harmlos“, flüsterte der Fremde ihr zu und wirbelte sie im Rhythmus eines Walzers übers Parkett.
Sie sah ihm ins Gesicht. „Stimmt das wirklich?“
Er hob die schwarzen Augenbrauen und grinste. „Mehr oder weniger. Ich heiße Gray MacInnes.“
„Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Mr. MacInnes“, erwiderte sie förmlich und versuchte zu ignorieren, dass ihr Magen unruhig flatterte, als ihr Tanzpartner sie nun anlächelte. „Ich heiße …“
„Catherine“, fuhr er für sie fort. „Catherine Thorne.“
Sie lächelte kühl, entschlossen, ihn nicht merken zu lassen, wie nervös seine Nähe sie machte und die Art, wie er ihren Namen aussprach. Als wäre es eine Liebkosung. „Sie sind mir gegenüber im Vorteil, Mr. MacInnes. Haben wir uns schon einmal getroffen?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich habe mich einfach danach erkundigt, wer die zauberhafte Frau in Mitternachtsblau ist. Sie haben die heutige Veranstaltung organisiert, also kennt Sie so ziemlich jeder hier.“
Das stimmte. Warum hatte sie also das Gefühl, dass seine Erklärung nicht ganz der Wahrheit entsprach?
„Sind Sie aus Baltimore, Mr. MacInnes?“
„Bitte nennen Sie mich Gray. Ich komme aus Philadelphia, und bin vor ein paar Wochen nach Baltimore gezogen. Und Sie? Sind Sie hier aufgewachsen?“
„Ja. In Columbia, außerhalb der Stadt.“
Er wirbelte mit ihr herum, und Catherine kam sich neben ihm klein und schwach vor, dabei war sie mit ihren einszweiundsiebzig nicht gerade kurz geraten. Mike, ihr Mann, war einsachtzig gewesen, aber schlank und sehnig. Gray MacInnes musste mindestens fünfzehn Zentimeter größer sein, und wenn er in seiner Jugend kein Footballspieler gewesen war, dann hatte er sich eine einmalige Gelegenheit entgehen lassen.
Für einen so großen Mann war er erstaunlich leichtfüßig und führte sie geschickt über die Tanzfläche. Erst jetzt wurde ihr klar, wie sehr ihr das Tanzen gefehlt hatte.
„Einen Penny für Ihre Gedanken.“ Seine Stimme war tief und heiser, und Catherine erschauerte wieder.
Sie lachte, um die allzu gespannte Atmosphäre etwas aufzulockern. „So viel sind sie nicht wert. Ich dachte nur gerade, wie gern ich tanze.“
„Dann sollten Sie es oft tun.“
„Ich bin Witwe und habe selten Gelegenheit dazu.“ Das klang so niedergeschlagen, dass Catherine selbst darüber erschrak.
„Das tut mir leid. Wie lange ist es her, dass Sie Ihren Mann verloren haben?“
Obwohl seine Reaktion die herkömmliche war, schien ihn ihre Enthüllung nicht zu überraschen. Vielleicht hatte er auch das erfahren, als er sich nach ihrem Namen erkundigt hatte.
„Zwei Jahre“, sagte Catherine. „Länger, als unsere Ehe gedauert hat.“
Er drückte kurz ihre Hand. „Kam es unerwartet?“
„Es war ein Autounfall. Wir wurden von einem Lastwagen gerammt.“
„Sie waren dabei?“
Sie nickte. „Aber der eigentliche Aufprall war auf seiner Seite.“ Dann schüttelte sie sich leicht. „Entschuldigen Sie. Das ist wohl kaum ein passendes Thema für den heutigen Abend.“
„Das macht nichts.“ Die Walzermusik wurde von einer schnelleren Swingmelodie abgelöst, aber Gray MacInnes ließ Catherine nicht los. „Keine Kinder, nehme ich an?“
„Oh, doch.“ Catherine lächelte, wie sie es immer tat, wenn sie an Michael dachte. „Ich habe einen Sohn. Er wurde nach dem Tod seines Vaters geboren und ist jetzt fast siebzehn Monate alt.“
Gray MacInnes erstarrte, die Arme immer noch fest um sie gelegt. Seine blauen Augen weiteten sich, und wenn es nicht absurd gewesen wäre, hätte Catherine geglaubt, dass ihre Worte ihn schockiert hatten. „Hat Ihr Mann das gewusst?“
„Nein. Ich habe es selbst erst nach dem Unfall erfahren.“
Gray hatte aufgehört zu tanzen, und sie sah ihn besorgt an. „Mr MacInnes, geht es Ihnen nicht gut?“
„Doch, doch. Und bitte nennen Sie mich Gray. Das muss sehr schwer für Sie gewesen sein.“
Jetzt konnte sie lächeln, obwohl die Monate ihrer Schwangerschaft in mancher Hinsicht höllisch gewesen waren. Sie hatte sich nicht auf das Baby freuen können, weil sie gleichzeitig um Mike trauerte und weil sie mit der Tatsache fertig werden musste, dass ihr Kind ohne Vater aufwachsen würde. „Ja, das war es, aber es war auch ein wundervolles Geschenk.“
„Ich kann mir nicht einmal vorstellen, was Sie durchgemacht haben müssen.“
Sie lächelte. „Die Schwangerschaft war nicht so schlimm, aber ich hätte auf die Wehen verzichten können.“
„Da möchte ich wetten“, sagte er, und sein Lächeln milderte ein wenig die Intensität seines Blickes. Gray entspannte sich und lockerte den Griff. „Wollen wir diesen Tanz noch zu Ende tanzen?“
Sie passten sich dem lebhaften Swingrhythmus an, aber Catherine fiel auf, dass irgendetwas in dem Mann vor sich gegangen war. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass es etwas mit ihrem Gespräch über ihren Sohn zu tun hatte. Vielleicht hatte er auch kürzlich einen Verlust erlitten. Das würde seine Reaktion erklären.
Vergiss es, sagte sie sich. Du hast dich so lange nicht mehr privat mit einem Mann unterhalten, dass du jedes Gespür für das andere Geschlecht verloren hast.
Sie blieben auch noch während des nächsten Musikstücks auf der Tanzfläche. Catherine wusste, dass sie ihn nicht ermutigen sollte, aber sie hatte so lange nicht mehr getanzt, und Gray MacInnes war ein wundervoller Tänzer –, ein sehr viel besserer Tänzer als Mike. Und irgendetwas an der Art, wie er sie hielt, erfüllte sie mit Wärme, Ruhe und Zufriedenheit. Genau wie früher in Mikes Armen. Es war sehr verwirrend, und als sie sich dessen bewusst wurde, lehnte sie sich leicht zurück und sagte: „Ich glaube, ich gehe besser zu meinem Tisch zurück. Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, weil ich die arme Patsy so lange allein gelassen habe.“
Während Gray sie zum Tisch begleitete, sah Catherine, dass Patsy alles andere als allein war. Sie hatte eine ihrer besten Freundinnen gefunden, und sie hatten ihre perfekt frisierten Köpfe zusammengesteckt. Die Frauen sahen aber sofort auf, als Catherine und ihr Begleiter näher kamen. Patsys Freundin, ein Mitglied des Bridge-clubs, erhob sich mit einem freundlichen Nicken und ging an ihren Tisch zurück.
Catherine nahm die obligatorische Vorstellung vor und setzte sich.
„Bitte leisten Sie uns doch ein wenig Gesellschaft“, bot Patsy prompt an. „Catherine und ich sind viel zu oft allein zusammen. Ein gut aussehender Gentleman wie Sie ist genau das, was uns fehlt.“
Gray lachte. „Jedenfalls müssen Sie aus freiem Entschluss allein sein. Zwei so reizende Damen wie Sie würden von einem Schwarm Männern umgeben sein, wenn sie es nur zuließen.“
Patsy lachte tief und kehlig, und Catherine erkannte leicht schockiert, dass ihre Schwiegermutter mit Gray MacInnes flirtete. „Und charmant ist er auch noch. Catherine, den solltest du vielleicht behalten.“
„Vielleicht möchte er nicht, dass man ihn behält“, erwiderte Catherine verlegen.
„Vielleicht aber doch.“ Gray amüsierte sich offenbar. Sein Lächeln war so warmherzig, dass Catherine den Blick senkte.
„Was bringt Sie heute Abend zu dieser Gala?“, fragte Patsy freundlich.
Gray zuckte die Achseln. „Ich komme nicht aus der Gegend und habe mir gesagt, dass es keinen besseren Weg gibt, Leute kennenzulernen, als so eine Veranstaltung zu besuchen. Herztransplantationen retten vielen Menschen das Leben.“
„Stimmt, aber die heutige Veranstaltung gilt nicht ausschließlich der Förderung von Herztransplantationen“, sagte Patsy, und ihr Lächeln verschwand.
„Natürlich nicht“, warf Gray schnell ein. „Ich meinte nur …“
„Aber Sie haben ja recht“, unterbrach Patsy ihn leise. „Ich weiß nicht, ob Catherine es Ihnen gesagt hat, aber mein Sohn, ihr Mann, ist vor einiger Zeit gestorben.“
„Sie hat es erwähnt. Mein Beileid.“
„Danke. Das Herz meines Sohnes wurde gespendet. Und der heutige Abend ist wirklich sehr wichtig, weil wir Mittel bekommen können, um ordentlich die Werbetrommel zu rühren. Wir wollen ein neues Bewusstsein für Organspenden in der Bevölkerung wecken.“
Gray schluckte. Plötzlich schien ihm der Kragen seines Hemdes zu eng zu sein. „Ich bin völlig Ihrer Meinung.“
„Das Einzige, was ich bedaure“, fuhr sie fort, „ist, dass wir nie den Menschen kennengelernt haben, der Mikes Herz bekommen hat. Ich hatte so sehr gehofft … Es wäre so schön, das Gesicht des Mannes zu sehen, in dem ein Teil meines Sohnes weiterlebt.“
Catherine machte eine ungeduldige Handbewegung, fasste sich aber schnell und verschränkte ihre Hände auf ihrem Schoß. „Das geht nicht, Patsy. Du kennst doch die Regeln. Der Empfänger bleibt anonym, es sei denn, er möchte uns kennenlernen.“
Patsy nickte traurig. „Ich weiß.“ Sie sah Gray an. „Wir haben einen anonymen Brief von dem Mann erhalten, der das Herz bekommen hat. Es war ein sehr netter Brief. Aber ich wünsche mir so sehr, er wäre einverstanden, uns zu sehen.“
Gray nickte nur betäubt.
„Catherine ist da leider ganz anderer Meinung.“
Catherine kämpfte gegen den Wunsch an, ihre Schwiegermutter zu erwürgen. „Mike ist fort. Und da gibt es jemanden, der sein Herz hat, und das bringt mich nun mal ein wenig auf. Ich weiß, dass es kleinlich ist und gemein, aber …“, sie versuchte zu lächeln, um die Schärfe ihrer Worte abzumildern, „… wenn es so gut funktioniert, warum konnte es das nicht auch für Mike tun? Es tut mir leid, Patsy, aber ich ziehe es wirklich vor, den Menschen nicht kennenzulernen.“
„Mir tut es auch leid, mein Kind.“ Patsy legte ihre Hand auf Catherines. „Die Organspende ist nicht nur aus medizinischer Sicht ein kompliziertes Thema.“
Gray MacInnes nickte. „Das kann ich mir vorstellen.“
Catherine bekam Mitleid mit ihm. Man sah ihm an, dass ihm das Thema nicht angenehm war, und sie selbst wollte auch nicht mehr darüber reden. „Sind Sie aus geschäftlichen Gründen nach Baltimore gezogen, Gray?“ Er sah sie mit so unverhohlener Erleichterung an, dass sie fast gelächelt hätte, und sie entspannte sich ein wenig.
„Ja. Ich bin Architekt und plane, hier eine Filiale meiner Firma zu eröffnen.“
„Oh! Der MacInnes sind Sie!“, sagte Patsy und hob die Augenbrauen. Sie wandte sich an Catherine. „Gray hat einen neuen Typ von Solar… Dingsbums entworfen“, sagte sie und sah ihn fragend an.
„Solarfenster“, erklärte er.
„Und sie sind ein absoluter Hit. Ich habe gerade letzte Woche einen Artikel über Sie in der ‚Sun‘ gelesen. Offenbar revolutioniert Ihr Fenster die Bauweise von Solaranlagen.“
„Vielleicht.“ Gray neigte bescheiden den Kopf. Das passte nicht recht zu dem Selbstvertrauen, das er bisher ausgestrahlt hatte.
„Verwenden Sie Ihr Fenster in Ihren Entwürfen?“, fragte Patsy.
Er zögerte. „Nicht immer. Ich möchte gern wegen der Qualität des ganzen Entwurfs bekannt werden, nicht nur für eine besondere Einzelheit.“
„Haben Sie schon ein Haus hier gebaut, und dürfen wir es uns ansehen?“, fragte Patsy weiter.
„Patsy!“ Catherine war völlig verblüfft. Ihre Schwiegermutter war sonst immer die Zurückhaltung in Person.
Aber Gray schien es nichts auszumachen. Er schüttelte den Kopf. „Die traurige Wahrheit ist leider, dass ich in einem sehr kleinen Haus in einer sehr lauten Gegend wohne, während mein neues Haus gebaut wird. Der Bauunternehmer sagte mir vergangene Woche, dass sich die Fertigstellung noch verzögern wird.“
„Das ist Pech“, sagte Catherine.
„Das ist lächerlich“, meinte Patsy. „So können Sie doch nicht leben.“
Gray lächelte. „Ich kann es schon, aber ich tue es nicht gern.“
„Aber Sie verbringen wahrscheinlich sowieso nicht viel Zeit zu Hause, wenn Sie Ihr neues Büro einrichten“, sagte Catherine.
„Doch. Ich habe einen außerordentlich fähigen Büroleiter, der sich um alle Einzelheiten kümmert, sodass ich mich auf die Entwürfe konzentrieren kann. Mein Privatbüro befindet sich zurzeit in meinem Haus.“
„Aber es ist sehr wichtig für die eigene Kreativität, dass man sich in seiner Umgebung wohlfühlt“, warf Patsy ein. „Ich war selbst Künstlerin, bevor meine Hände so sehr zu schmerzen begannen, dass ich den Pinsel nicht mehr halten konnte.“ Sie hielt ihre von Arthritis verformten Hände hoch. „Ich weiß also, wie schwierig es sein kann.“
„Zum Glück ist es ja nur für eine kurze Zeitspanne“, sagte Gray. „In höchstens zwei Monaten wird das Büro normal laufen, und wenn es sein muss kann ich dann dort arbeiten, bis mein Haus fertig ist.“
„Aber Sie können nicht weiter in einem Haus wohnen, das so unbequem ist. Oh!“ Patsy presste eine Hand an ihre Brust. „Mir ist gerade eine wunderbare Idee gekommen.“
Die Begeisterung in ihrer Stimme versetzte Catherine augenblicklich in Alarmbereitschaft. „Was für eine Idee?“
„Gray kann das Gästehaus haben!“
„Das Gästehaus?“ Catherine war entsetzt. „Aber wir haben das Wasser und den Strom abstellen lassen.“ Sie konnten es sich auch nicht leisten, das zu ändern. Außerdem befand sich das Gästehaus auf dem großen Grundstück, das sie und Patsy sich teilten, nur wenige Meter vom Haupthaus entfernt. Allein der Gedanke, diesen Mann in so unmittelbarer Nähe zu wissen, weckte in Catherine ein Gefühl, das fast an Panik grenzte.
„Ach, das ist kein Problem. Es ist die perfekte Lösung. Es ist ein zweistöckiges Haus mit zwei Schlafzimmern, einer Küche sowie Wohn- und Esszimmer. Viel größer, da bin ich sicher, als Ihre jetzige Wohnung und viel ruhiger. Es wäre perfekt für Sie!“
Sicher wird er höflich ablehnen und Patsy für ihr freundliches Angebot danken, dachte Catherine.
„Das ist sehr großzügig von Ihnen, Misses Thorne. Ich wäre Ihnen dankbar bis in alle Ewigkeit.“ Gray hielt inne. „Ist es möbliert?“
„Nein.“ Patsy schüttelte den Kopf. „Ist das ein Problem?“
„Überhaupt nicht. Ich habe meine eigenen Möbel mitgebracht.“ Er hob die Augenbrauen. „Wenn Sie es ernst meinen, nehme ich mit Freuden an.“
Catherine sah ihn fassungslos an.
„Wunderbar.“ Patsys Ton deutete an, dass die Sache damit geregelt war. „Morgen lasse ich es sauber machen. Sie sollten eigentlich schon Anfang der Woche einziehen können.“
„Wie sieht es mit der Miete aus?“
Patsy machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das ist nicht nötig …“
„Doch“, unterbrach Gray sie so entschlossen, dass Patsy keine weiteren Einwände machte. „Ich kann unmöglich so ein Geschenk annehmen. Und ich werde schließlich Strom und Wasser verbrauchen, also werde ich auch eine angemessene Miete zahlen.“
„Nun, wenn Sie darauf bestehen“, meinte Patsy ein wenig schmollend. „Wir werden später darüber reden und uns schon irgendwie einigen.“
Nein, das werden wir nicht! hätte Catherine am liebsten gerufen. Aber das Haus gehörte Patsy, und sie konnte einladen, wen sie wollte. Wenn sie entschlossen war, diesen Mann zu ihrem Mieter zu machen, dann konnte niemand etwas dagegen tun.
Catherine starrte ihre Schwiegermutter beschwörend an, um ihr mit Blicken deutlich zu machen, was sie von ihrer Idee hielt. Was wussten sie schließlich über Gray MacInnes? Patsy hatte etwas über ihn gelesen. Na und? Die Tatsache, dass er ein erfolgreicher Architekt war, bedeutete nicht unbedingt, dass sie ihm vertrauen konnten.
In dem Moment sagte Gray: „Da wir uns gerade erst kennengelernt haben, denke ich, es wäre nur richtig, wenn ich Ihnen ein paar Referenzen gebe. Ich bringe sie Ihnen am Montag vorbei.“
Es war, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Dann kam Catherine noch eine Idee. Was war mit Michael? Hatte Patsy überlegt, welche Wirkung die Anwesenheit eines wildfremden Mannes auf Catherines Sohn haben würde? Mochte Gray Kinder überhaupt? Patsy hatte ihm Ruhe und Frieden versprochen, aber Michael sorgte weder für das eine noch für das andere. Sie würde nicht ständig ihr Kind ermahnen, weil der Nachbar Ruhe zum Arbeiten brauchte.
Sie holte tief Luft und zwang sich, Gelassenheit zu zeigen. Irgendetwas an Gray MacInnes machte sie nervös, obwohl sie nicht sagen konnte, was genau es war. Es kam ihr vor, als könnten seine blauen Augen hinter ihre Fassade sehen und ihre Unsicherheit darunter wahrnehmen. Es war, als würde er sie kennen. Dabei war sie sicher, dass sie ihm nie zuvor begegnet war. Er gehörte nicht zu den Männern, die man leicht vergaß.
Offenbar nahm Gray Catherines Bestürzung nicht wahr. Er griff nach Patsys Hand und führte sie an seine Lippen. „Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich Ihre Hilfe zu schätzen weiß.“
Es war kaum zu fassen.
Während er in der folgenden Woche die Möbelpacker instruierte, wo sie seine Möbel hinstellen sollten, staunte Gray über das unglaubliche Glück, das ihn hergebracht hatte.
Er war nur aus einem einzigen Grund zur Wohltätigkeitsveranstaltung gegangen: Er wollte die Frau aus seinen Träumen suchen. Nein, nicht aus seinen Träumen, sondern aus seinen Erinnerungen. Er hatte sie gefunden und einiges über sie in Erfahrung gebracht. Sie war Mike Thornes Witwe. „Catherine“, murmelte er, und es klang wie ein Zauberwort.