Mit Leo zwischen den Ozeanen - Peggy Biczysko - E-Book

Mit Leo zwischen den Ozeanen E-Book

Peggy Biczysko

4,9

Beschreibung

Ehefrau und Witwe innerhalb von neun Stunden: Das zieht der Zeitungsredakteurin Peggy Biczysko den Boden unter den Füßen weg. Die große Liebe ihres Lebens stirbt ein halbes Jahr nach der Diagnose Lungenkrebs und eine Woche vor der ursprünglich geplanten Hochzeit in ihren Armen. Dabei hatten sie und Chap noch so viele Pläne. Nach dem schweren Schicksalsschlag gibt es für die 52-Jährige nur eine Lösung: Rucksack packen und weg aus dem gewohnten Umfeld. Ein Jahr Auszeit führen die Journalistin auf fünf Kontinente, tief in den Dschungel Südamerikas, auf den Inka-Trail nach Machu Picchu, zu den Berggorillas in Ruanda und Uganda, auf die Galapagos-Inseln, nach Australien und Bali, in den südafrikanischen Busch und per Segelboot über den Indischen Ozean auf paradiesische Inseln. Stets an ihrer Seite das kleine Plüschzebra Leo. Es ist die beste Entscheidung, die sie hatte treffen können.

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Für Chap

Liebe meines Lebens

Inhaltsverzeichnis

One-Way-Ticket nach Panama

Hightech in der Hängematte

Das große Kriechen und Krabbeln

Die Odyssee des kleinen Slotty

Eine Insel im Weihnachtsrausch

Feuerwerk vor traumhafter Kulisse

Harter Wellenritt ins Inselparadies

Historie trifft pure Lebenslust

Bummeln, Beten, Strandparty

Auf der Suche nach der verlorenen Stadt

Leckere Lulo und ein Stromausfall

Auf den Spuren des Kokain-Königs

Picknick mit Traumaussicht

Gaumenfreuden im Paradies der Früchte

Zwischen Nasenbären, Kolibris und Kaffeesträuchern

Prunk und Elend auf engstem Raum

Im Mekka der Silikon-Busen

Wanderung auf gefährlichem Terrain

Erdbeben und brennende Felder

Gläserne Paläste auf steilen Klippen

Heiß ersehnter Besuch aus der Heimat

Steiniges Abenteuer im rollenden Doppeldecker

Machu Picchu - ein Traum über den Wolken

Blind Date mit Oscar

Land aus Feuer und Eis

Christliches Spektakel ganz in Lila

Das Paradies auf Erden

Vulkantour im Hagelsturm

Einen Sack Meerschweinchen, bitte

Ein Tag im Tal der Tränen

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Rosa Delfine im tiefen Dschungel

Im Reich der mysteriösen Nonnen

Wo der König der Anden kreist

Leinen los: Mit der

Wild One

auf hoher See

Christmas Island - das Galapagos Australiens

Traumhafte Nächte unterm Sternenhimmel

Mit Quokkas auf Tuchfühlung

Im Reich von Koala und Känguru

Familientreffen in Toowoomba

Banger Blick nach Bali

Warum man besser einen Helm tragen sollte

Die garstige Fratze der Apartheid

56/83 - eine Nummer neben Mandela

Leos Heimkehr in den Busch

Wale zum Wein

Sanfte Riesen, Massengräber und Pygmäen

Kontrastprogramm zwischen Illuminati,Shopping und Historie

Ein schottisches Abenteuer

Von der Schwierigkeit, wieder Fuß zu fassen

Wissens- und Bemerkenswertes

One-Way-Ticket nach Panama

Vor einer Woche hatte ich noch eine Wohnung. Zwar war es kein echtes Zuhause mehr, aber zumindest ein Dach über dem Kopf. Ein Auto hatte ich auch. Das steht jetzt abgemeldet in einer Scheune und wartet dort auf mich. Ebenso wie die Hälfte meiner früheren Möbel und all die Dinge, die mir immer am Herzen lagen. Sie sind eingelagert, bis ich zurück bin. Seit einigen Tagen bin ich wohnsitzlos. Meine Arbeit als Redakteurin bei der oberfränkischen Tageszeitung Frankenpost habe ich - natürlich im besten Einverständnis mit meinem Chef - für ein Jahr an den Nagel gehängt.

Jetzt sitze ich im feucht-heißen Panama City, ein Glas Rotwein neben mir, und blicke in der früh einsetzenden Dunkelheit hinaus in den gigantisch trommelnden Regen, während im Hintergrund heiße Latino-Rhythmen dröhnen. Es ist schweißtreibend heiß hier in den Tropen und die Dusche nur für den Moment erfreulich. Und ich bin einsam. Unendlich einsam. Die Tränen fließen mir übers Gesicht. Was mache ich eigentlich hier?

Das fragen sich einige meiner Freunde und Bekannten auch, meine Familie sowieso. Warum tut sie sich das an? Tropische Hitze, hohe Kriminalität, gefährliche Tiere, Machos. Und dann noch als Frau allein. Dennoch ist es für mich die einzige Lösung, diesen schweren Schicksalsschlag irgendwie annehmen und verkraften zu können. Chaps Tod hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Er war nicht nur der beste Partner, der mich auf Händen trug, er war mein bester Freund und Kumpel, für wenige Stunden Ehemann und über Jahrzehnte mein Reporter-Kollege.

Sechs entsetzliche Monate mit Krankheit, Furcht, Kampf, Leiden, Hoffen und letztlich Sterben liegen hinter uns. Am Ostermontag besiegelten wir unsere große Liebe mit dem Jawort. Es war eine Nottrauung. Die eigentliche Hochzeit mit unseren Trauzeugen hätte eine Woche später stattgefunden. Das erklärt auch das Datum, 28. April 2014, in unseren Eheringen. An besagtem Ostermontag 2014 starb Chap noch am Tag unserer Hochzeit in meinen Armen. Obwohl er gekämpft hatte wie ein Löwe, verlor er den Kampf gegen das Ungeheuer Krebs.

Da Chap die Liebe meines Lebens war und ist, kann ich nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen, mich an all den Orten herumtreiben, an denen wir über 14 Jahre lang zusammen glücklich waren. Was wir zu zweit als Lebenstraum in acht Jahren im Vorruhestand verwirklichen wollten, unser größtes Hobby in die Tat umzusetzen - das Reisen und Erforschen fremder Länder und Kulturen -, das mache ich nun allein.

In den vergangenen Monaten funktionierte ich nur noch, überwand wie ein Roboter all die bürokratischen Hürden. Ich bin nur noch eine Hülle, in der einst ein lebensfroher Mensch steckte. Vielleicht gelingt mir der Schritt zurück ins Leben. Doch dafür brauche ich großen Abstand, den ich nach all der schlimmen Zeit so unendlich nötig habe. Es ist keine Flucht, wie mir manch einer schon unterstellte. Diese Entscheidung ist gut durchdacht. Schließlich bin ich Steinbock, und Steinböcke haben nun mal einen eisernen Willen.

Es gibt auf der Welt noch so einige weiße Flecken, die ich eigentlich zusammen mit Chap hatte mit Farbe füllen wollen. So sitze ich also sieben Monate nach seinem Tod in Panama, dem Ausgangspunkt meiner Reise. „Da riecht alles von oben bis unten nach Banane.“ - Chap zitierte oft aus dem Janosch-Kinderbuch. Mal sehen, ob es stimmt.

Zusammen mit Leo habe ich mich auf die große Reise begeben. Leo, das ist ein Dreikäsehoch aus Plüsch. Ein kleines Zebra, das mir zur Seite steht, wenn ich mal einsamer bin als ohnehin schon. Zwar habe ich viele Freunde und Familie, aber die ließ ich in der Heimat zurück. Begeistert waren sie ob meiner Entscheidung nicht, aber sie entließen mich dann doch noch mit einer wunderschönen Überraschungsparty in mein neues Leben.

Chap und ich bekamen das Mini-Zebra vor etlichen Jahren von sehr guten Freunden geschenkt. Leo fand es neben Chap auf dem Sofa immer sehr gemütlich. Da es die Couch für geraume Zeit nicht mehr gibt, musste ich Leo also mitnehmen. Leo - der Name bedeutet ja Löwe - hatte bis zu meinem Aufbruch in die Ferne noch gar keinen Namen. Doch kurz vor der Abreise starb auch noch mein Onkel Leo in Australien. In guter Erinnerung an ihn gab ich meinem Plüsch-Kameraden also seinen Namen.

Ein One-Way-Ticket brachte uns über den Ozean. Rückflug: ausgeschlossen. Gleich am ersten Tag in Panama City erlebte ich ein regelrechtes Desaster. Denn Leo kam während meiner Tour zum Panama-Kanal abhanden, obendrein durch meine ureigene Schuld. Nicht nur er, sondern gleich mein kompletter kleiner Rucksack, der satte acht Kilo auf die Waage bringt. Er ist voll mit wichtigen Dingen - und Leo. Mein Kopf droht nach Chaps Tod und der Wohnungsauflösung zu platzen. Völlig gedankenverloren stieg ich aus dem Bus, nahm gerade mal meine Kamera, das Handy und ein paar Dollarscheine in der Hosentasche mit. Mir entging, dass nicht jeder Bus auf die Touristen wartet, die bei über 30 Grad den höchsten Gipfel Panama Citys erklimmen wollen. Er gehört zu den Hop-on-hop-off-Bussen der Touristen-Linie, auf die man überall zu gewissen Zeiten aufspringen kann.

Schweißgebadet erreichte ich - ohne Leo und den Rest - die mit 199 Metern höchste Erhebung der Hauptstadt. Wow! Die Belohnung war ein sensationeller Ausblick auf Atlantik und Pazifik zugleich. Ein Traum. Spektakulär. Müde belächelt von all jenen, die sich mit feinen Schläppchen den Berg im Wagen hinauf chauffieren ließen, verbuchte ich meinen schweißtreibenden Aufstieg unter „Glücksgefühl“. Wer braucht schon ein Auto?

Der Blick vom Cerro Ancon ist ein absolutes Muss. Flora und Fauna sind einfach unglaublich. Irgendwelche gut meerschweinchen-großen Tierchen wuseln durchs Dickicht. Wohin allerdings Leo gerade unterwegs war, entzog sich meiner Kenntnis. Zwischen den Reißverschlüssen des Rucksacks eingeklemmt hielt er die Nase in den Wind. So konnte ich Fahrer und Begleitpersonal des nächsten Busses, den ich nach dem Abstieg erreichte, auch erklären, welche Tasche wann und wo verloren gegangen war. Na ja, von mir vergessen worden war. Mit dringend benötigtem Wasser, meinem überlebensnotwendigen Fettstift für die Lippen, die längst ausgetrocknet waren, mit meinem Reisetagebuch und dem neuen Fernglas. Nicht zu vergessen meine Lesebrille, ohne die ich nicht mal die winzigen Abfahrtszeiten auf dem Flyer entziffern kann.

Gottseidank standen an der Haltestelle die beiden Mädchen aus der Schweiz, die als meine Augen fungierten. Auch das Bus-Ticket für eben diese Weiterfahrt lag mit im Rucksack. Ich war schuld, dass der nächste Bus nicht planmäßig weiterfuhr, weil ich die Damen und Herren des Unternehmens flehentlich bekniete. Es klappte. Tatsächlich konnte ich Leo eine halbe Stunde später in die Arme schließen. Natürlich auch all die anderen wichtigen Dinge. Denn zwei Mitarbeiter machten sich von einer ganz anderen Haltestelle aus mit einem Minibus auf den Weg zum Visitor-Center Miraflores, um mir den vergessenen Rucksack samt Leo zu bringen. Mit einer fürstlichen Entlohnung bedankte ich mich für ihre Mühe. Immerhin ist Kriminalität hier schon von anderer Qualität, als wir dies tagtäglich in Deutschland gewöhnt sind. Obwohl!?

Mit Rucksack, Leo und neuem Elan betrat ich voller Spannung jenes Terrain, das mich schon seit Jahren interessiert: den Panamakanal. Nicht den Kanal selbst, aber die Besucherplattform. Unglaublich, dass dieses Wunderwerk, das Ozeane verbindet, schon 1914 in Betrieb ging. Zum Teil lebensgefährlich ist die Arbeit der Männer, die in winzigen, hölzernen Nussschalen den Giganten kurz vorm Einlaufen in die sieben Schleusen entgegen schaukeln. Sie haben die Aufgabe, das mächtige Seil hinüber zu den Schiffen aus aller Herren Länder zu transportieren, die die Engstelle passieren. Ein bis vier Lotsen müssen jedes Mal an Bord dieser riesigen Frachter, um sie sicher durch den Kanal zu geleiten. Binnen acht Minuten sinkt der Koloss vor meinen Augen neun Meter tiefer, um das nächste Level zu erreichen. Die Prozedur müssen die Frachtschiffe nicht nur einmal über sich ergehen lassen. Doch damit ersparen sie sich den unglaublichen Umweg rund um Patagonien und wieder hinauf.

Parallel zum Kanal - die Entstehung wird eindrucksvoll in einem Museum in Wort, Bild und Film dokumentiert - läuft bereits seit 2007 der Ausbau eines weit größeren Kanals, damit die durch modernere Technik immer monströser werdenden Giganten der Meere künftig ebenfalls den Panama-Kanal durchqueren können. Die 15 US-Dollar Eintritt für das imposante Schauspiel sind durchaus eine lohnenswerte Investition.

Panama zählt gerade mal rund drei Millionen Einwohner. Doch die Hälfte davon lebt in Panama City. Einige äußerst wohlhabend, das Gros hingegen in erbärmlichen Hütten oder in längst zerfallenen Kolonialbauten, die Schritt für Schritt instandgesetzt werden, und das zwischen all den glänzenden Hochhäusern, die die grandiose Skyline ausmachen. Der Bedarf der vielen Investoren aus aller Welt, Wissen und Kompetenz in dieser vom Kanal geprägten Metropole zu erweitern, macht sich in der Bildung bemerkbar. Jeder Schüler - zumindest in der Hauptstadt - wird mit einem Laptop ausgerüstet. Das erzählt einer der Reisebegleiter im Hop-on-hop-off-Bus. In dem boomenden Land bleibt allerdings all das Geld der durch den Kanal erwirtschafteten Einnahmen in der City selbst. Die ländliche Bevölkerung bleibt außen vor.

Hightech in der Hängematte

In die Inselwelt von Bocas del Toro zu gelangen, meinem nächsten Reiseziel, etwa 50 Flugminuten von Panama City entfernt, wäre gar nicht so problematisch, wäre da nicht dieser permanente tropische Regen. Leo und ich müssen warten. Eine Stunde, zwei Stunden. Und kein Mensch - es sind um die 50 Passagiere, die mit uns auf die Bocas del Toro fliegen wollen - weiß, warum nichts weitergeht.

Irgendwann greife ich mir einen von diesen Air-Panama-Menschen, die unentwegt mit einem Walkie-Talkie in der Hand durch die kleine Wartehalle wuseln. Es ist der Regen. Aber nicht der in der Hauptstadt, sondern der auf der Isla Colon, dem Zentrum dieser kleinen tropischen Inselwelt. Die Landebahn ist so stark überflutet, dass ein Aufsetzen der Maschine zu riskant wäre. Irgendwie läuft es gerade nicht rund.

Denn ehe ich mich auf den Weg zum Flughafen machte, funktionierte auch meine neu erworbene Visa-Card im Hotel nicht mehr. Glücklicherweise habe ich gleich drei verschiedene Kreditkarten dabei. Mit der Mastercard klappte es auf Anhieb. Und das ohne Geheimnummer. Oh, wundersame Welt der Technik.

Vor meiner Abreise aus Deutschland rüstete ich mich technisch auf, und das, obwohl ich mit all dem Hightech-Zeugs ein klein wenig auf Kriegsfuß stehe. Nach Chaps Tod - er war in unserer Beziehung immer derjenige, der sich um TV, Computer und Co. kümmerte - musste ich mich als absolute Technik-Niete in eine Materie reinknien, auf die ich keine Lust hatte. Skype, Dropbox und weiß der Teufel was noch alles waren für mich anfangs böhmische Dörfer.

Neben meinem Smartphone habe ich auch ein Tablet samt externer Tastatur und eine neue Kamera dabei, die als hochleistungstechnisches Leichtgewicht ein absolutes Muss war. Meine Familie hat es sogar geschafft, meine Mutter davon zu überzeugen, sich ein Smartphone anzuschaffen, um mit mir hin und wieder in Kontakt zu bleiben. Es gibt Tage, da überschwemmen mich ihre WhatsApps nun regelrecht.

Mein Rucksack schien mit Steinen gefüllt zu sein, als ich mich auf den Weg zu den Bocas del Toro machte. An Leo, dem Leichtgewicht, lag es sicher nicht. Eher daran, dass ich noch all meine Flug-Klamotten aus Deutschland nebst Wanderstiefeln hineingepresst hatte. Das Ende vom Lied: Ich hatte vier Kilo zu viel an Gepäck. Nur 14 Kilo insgesamt sind auf Inlandsflügen erlaubt. Das kostete mich schlappe 8,44 Dollar, was durchaus noch human ist. Mein Handgepäck, das um die acht Kilo wiegt, wurde nicht beanstandet.

Als wir landen, ist der Regen gerade vorbei. Ich nehme mir ein Taxi zum Anlegesteg nach Bastimentos. Mit einigen anderen Fahrgästen holpere ich über die unsanften Wellen. Ich klettere direkt am Guesthouse aus dem Boot, nur wenige Meter von meinem Bungalow entfernt. Die einzige Unterkunft mit eigener Terrasse, Hängematte und freiem Blick aufs Wasser. Allerdings nur Kaltwasser-Dusche. Leo und ich sind begeistert. Eben noch verwöhnt vom Fischmarkt in Panama City muss ich mich auf der Insel allerdings an andere Preise gewöhnen. Köstliche Ceviche - roher Fisch oder Meeresfrüchte, mariniert in Limettensaft, Koriander, Chili und Zwiebeln - ab 2,50 Dollar gibt es hier nicht. Dafür Hühnchen vom Grill für acht Dollar.

Der Safe in meinem auf Stelzen im Wasser stehenden Bungalow ist eine Holzkiste, die auf dem Boden festgenagelt ist. Wie gut, dass ich ein fettes Umhängeschloss dabei habe. Das ist ebenso nützlich wie Wäscheklammern, Schrauben oder Haken, nicht zu vergessen kleines Werkzeug und einen Korkenzieher, sollte ich mir statt einem Tetrapack im Supermarkt auch einmal eine Flasche Rotwein besorgen. Weißwein scheidet ebenso wie Bier in Ermangelung eines Kühlschranks aus. Alle Supermärkte sind hier übrigens in der Hand von Chinesen, die bei den Geschäften den Ton angeben.

Regen, Regen, Regen. Ich schaukle träge in meiner grün gemusterten Hängematte und entdecke soeben den Begriff „Abhängen“ neu. Allerdings bei durchaus akzeptablen Temperaturen von um die 27 Grad.

Seit sieben Tagen bin ich jetzt auf der 800 Seelen zählenden Isla Bastimentos in Tiotoms Guesthouse. Keine Autos, keine Mopeds, bestenfalls ein paar klapprige Fahrräder gibt es auf der Insel und nur schmale Wege, die bei Nässe zu gefährlichen Rutschbahnen mutieren. Andere Menschen jenseits des Ozeans beneiden mich gerade, wie ich auf der Veranda meines spartanischen Bungalows sitze, direkt über dem Meer, die Hängematte gemütlich im tropischen Wind vor sich hinschaukelnd.

Doch ich sitze oder hänge noch immer ziemlich unentspannt und verkrampft da. Immer wieder dreht sich bei mir alles um den Ostermontag. Rund um mich herum scheint das Leben zehn Gänge herunter geschaltet zu sein. Bloß nicht zu schnell bewegen - ist ja schwül ohne Ende - und am besten nicht zu viel tun, am allerbesten: in der Hängematte abhängen. Wozu trägt sie schließlich ihren Namen? Ich hingegen toure nach wie vor unter Volldampf. Obwohl es keinerlei Notwendigkeit dafür gibt.

Mañana, Mañana lautet hier allerorten das Motto. Wenn es jedoch darum geht, die Menschen zu verstehen, überschlagen sich deren Stimmen wie Maschinengewehre auf dem Schlachtfeld. Mein Spanisch-Crashkurs auf Mallorca, den ich zwischen Wohnungsauflösung und elenden Tiefs absolvierte, scheint gerade wenig zu fruchten. Während in Panama City noch einiges verständlich war, wenn sich die Menschen einmal bemühten, etwas langsamer zu sprechen, stehe ich hier im Supermarkt - definitiv keiner, wie man ihn bei uns kennt - wie belämmert da. Ein Kauderwelsch aus Pidgin-Englisch und Spanisch dringt in rasendem Tempo an mein Ohr. Lieber Himmel! Gut, dass man hier die wichtigen Dinge wie Cerveza (Bier), Agua (Wasser) und Vino (Wein) versteht.

Als es gerade mal nicht regnet, organisiere ich mir mit einigen Leuten - hierher kommen unendlich viele Traveller aus der ganzen Welt - einen Bootsführer, der uns nach Salt Creek schippert. In den Mangroven über unseren Köpfen hängen müde und träge fünf Faultiere, die sich im Zeitlupentempo von Ast zu Ast hangeln. Faszinierend, wie sie sich mit ihren langen Krallen das Schmackhafteste aus den Bäumen und deren Rinden grapschen, um es in aller Gemütlichkeit zu verzehren.

Dann gelangen wir durch die herrliche Inselwelt - hinter Chaps RayBan-Sonnenbrille, die ich selbstverständlich während der ganzen Reise trage, schießen mir immer wieder die Tränen in die Augen - in das Indio-Reich nach Salt Creek. Ein so malerisch ruhiger Ort, wie ich ihn selten gesehen habe. Trotz vielen Mülls, der sich unter den Stelzenhäusern ansammelt, wirkt die Szenerie ganz idyllisch. Doch leben möchte hier sicherlich kaum einer von uns. Die Indios profitieren in erster Linie vom Verkauf kleiner Kunstwerke aus Muscheln und Perlen, die sie den Touristen in Form von Armbändern oder Ketten anbieten, oder Schnitzereien aus Holz.

Für zwei Dollar begleitet uns eine Indio-Frau mit ihrer Tochter durch das 700 Einwohner zählende Dorf. 200 Kinder besuchen die Schule in Salt Creek. Hier gibt es keinerlei Nachwuchssorgen wie in unseren Breiten. Die zwei Dollar Touren-Geld werden dafür verwendet, dass der Müll von der Insel geholt wird. Doch anscheinend nicht immer, denn so manches Plastikteil scheint man hier wohl vergessen zu haben. Dass die Kinder einfach Spaß daran haben, ein Holzbrettchen an einer Schnur durch einen kleinen Bachlauf zu ziehen, mag den verwöhnten Jungen und Mädchen bei uns zu Hause, die zuweilen schon zur Einschulung ihr erstes Handy besitzen, kaum zu vermitteln sein. Oder vielmehr deren Eltern. Ein wunderschönes Erlebnis ist es, als uns auf der Rückfahrt zwei Delfine begleiten.

Einen weiteren regenfreien Tag nutzen Leo und ich, um den Strand jenseits des Hügels zu erkunden. Irgendwo links hinter dem sogenannten Fußballplatz zweigt ein schmaler Pfad ab. Hier also geht's in Richtung Strand. Zirka 20 Minuten sollen es sein. Nur wenige Meter später erweist sich mein sportlicher Morgenspaziergang als ein ausgewachsenes Abenteuer. Ich mühe mich von Wurzel zu Stein oder was immer sich so in der Natur anbietet. Der Matsch nach den heftigen Regenfällen der vergangenen Tage wird immer schlüpfriger und tiefer. Ich bin mit Flipflops unterwegs. Hoffentlich gibt es keine Blutegel. Es wäre nicht das erste Mal, dass bei solch einer Dschungeltour plötzlich winzige, sich windende Tierchen als ausgewachsene, mit Blut vollgesogene Monster zwischen meinen Zehen wie festzementiert andocken. Heute habe ich Glück.

Mit Müh' und Not hangele ich mich mittlerweile von Baumstamm zu Ast. Letzterer ist allerdings doch ein bisschen zu zart. Mit den Resten in der Hand mache ich einen mit Sicherheit äußerst uneleganten Abgang, stecke so tief im Schlamm, dass ich kaum meine Schlappen befreien kann. Irgendwie gelingt es doch, Shirt und Shorts sind noch unversehrt. Barfuß taste ich mich auf dem kaum noch auszumachenden Pfad weiter - es geht jetzt richtig steil nach unten -, um letztlich doch die Balance zu verlieren. Ich lande auf dem Allerwertesten, meine Hände stecken im Schlamm, aber mein Rucksack mit Leo, Fotoapparat und Handy ist in Sicherheit. Jetzt ist ohnehin schon alles egal. Das Rauschen des Meeres dringt immer stärker an mein Ohr. Gleich habe ich es geschafft.

Nach etwa 50 Minuten bin ich da. Ein Strandwächter mit Machete in der Hand grinst mich ungläubig an und denkt sich wohl nur, wie bescheuert Gringos sein mögen. Etwas ungelenk wasche ich meine versifften Klamotten im Meer. Angesichts des Wellengangs ein fast aussichtsloses Unterfangen. Denn in den Schlamm mischen sich jetzt auch noch Tausende feiner Sandkörnchen. Während die nassen Lumpen an einem angespülten, modernden Ast ein wenig vor sich hin flattern, nehmen Leo und ich ein kurzes Sonnenbad am ausgedehnten, weißen und menschenleeren Strand. Bis auf den besagten Strandwächter.

Als ich am Horizont von Wizzard Beach zwei Figuren erblicke, hoffe ich, sie wüssten eine bessere Möglichkeit als den Weg zurück über den üblen Pfad. Es sind zwei 32 und 30 Jahre alte Israelis, die wiederum darauf zählen, ich könnte ihnen einen besseren Weg zeigen. Zumindest sind wir jetzt zu dritt. Schweißtriefend arbeiten wir uns nach oben. Das Gemisch aus Sonnencreme und Mückenschutz hat sich längst im Schwitzwasser aufgelöst. Es scheint den miesen Moskitos geradezu eine diebische Freude zu bereiten, über mich herzufallen. Wir gelangen auf dem Pfad zu einem Öko-Laden mitten im Dschungel. Mittlerweile bin ich nur im Bikini unterwegs, mit um die Hüften geschlungenem Handtuch und meinen Schnorchel-Stiefeln, die als Ersatz im Rucksack steckten. Der Rest meiner Klamotten baumelt pitschnass am Rucksack.

Ausgerüstet mit frischem Wasser und drei hausgemachten Essenzen - eines zur Verhinderung von Mossi-Stichen, eines, wenn es schon zu spät ist, und eines gegen Augenfalten (die Hoffnung stirbt zuletzt!) - machen wir uns weiter an den Abstieg, und das bei 30 Grad und etwa 70 Prozent Luftfeuchtigkeit. Der Stärkere meiner Begleiter geht mit einem riesigen Rums zu Boden. Die matschige Pampe klebt von oben bis unten an ihm. Zum Glück hat er sich nicht verletzt.

Endlich im Dorf angekommen verabschieden sich die beiden in ihr Hostel. Ich habe gerade eine Minute zu meiner Bleibe. Nur noch an der Polizeiwache vorbei. Zwei Beamte stehen in der Tür, einer kommt geradewegs auf mich zu. Ich ahne, was folgt. Mit Bikini-Oberteil oder nacktem Oberkörper durchs Dorf zu laufen, ist ein absolutes No-Go! Freundlich fragt der Polizist mich, ob ich am Strand war. Ich deute auf meine mit Matsch verschmierten Beine, Stiefel und die verdreckten Klamotten. Grinsend meint er, er hätte sich nur vergewissern wollen.

Abends bringen die beiden Israelis mir die sechs Dollar zurück, die ich ihnen in der Öko-Ranch geliehen hatte. „Wir haben kein Geld und sonstige Wertgegenstände mit nach Wizzard Beach mitgenommen, weil es hieß, man würde hier öfter überfallen“, meinte der eine. Ich hatte „lediglich“ Leo, 30 Dollar, meine neue Über-500-Euro-Kamera und mein Handy dabei. Mich hatte allerdings niemand gewarnt. Das war auch besser so, denn so konnten Leo und ich unser Matsch-Abenteuer ohne Panik „genießen“.

Das große Kriechen und Krabbeln

Endlich Sonne! In den vergangenen Tagen regnete es fast nur, wenn auch bei angenehmen Temperaturen von um die 25 Grad. Obendrein blies ein mächtiger Wind. Das ist beim Bootfahren absolut ungemütlich, zumal einem beim harten Ritt über die Wellen jedes Mal eine Überdosis Salzwasser nicht nur über den Körper, sondern auch mitten ins Gesicht gischtet. In der Inselwelt kann man sich jedoch nun mal nur von A nach B bewegen, indem man besagten Ritt auf sich nimmt.

Die düsteren Wolken stürzten mich in eine ziemliche Depression. Eigentlich hing ich nur in der Hängematte ab. Chap, Chap, immer nur Chap, hämmert es in meinem Kopf. Meine Gefühle fahren Achterbahn - und das ohne Gurt. Ohne Chap wird nichts mehr so sein, wie es einmal war.

Kein fröhliches Herumalbern mehr, keine ernsthaften Diskussionen über Gott und die Welt, kein Kreieren neuer Wortschöpfungen - das liebten wir unendlich -, kein Durchzechen bis zum Morgengrauen und nie mehr die Letzten im Wirtshaus sein, nie mehr gemeinsam die deutschen Schlager aus der Zeit unserer Eltern anhören und fröhlich falsch dazu im Wohnzimmer mit grölen und tanzen, nie mehr gemeinsam zum x-ten Mal „Das Leben des Brian“ anschauen und die Passagen auswendig daher beten. Nie mehr gemeinsam genüsslich Foie gras oder Lobster zu Champagner schlemmen oder schlicht eine Currywurst mampfen, nie mehr gemeinsam stundenlang Tiere in Zoos und der freien Natur bewundern, nie mehr gemeinsam verreisen. Nie mehr versteckte Liebesbriefe finden, wenn ich auf Reisen bin. Es gibt kein Wir mehr, nur noch ein Ich.

Warum er? Warum musste Chap so leiden, warum zerstörte Gott - sofern es ihn überhaupt gibt, denn jetzt zweifle ich daran noch mehr als zuvor - eine so glückliche Beziehung?

Jetzt, da endlich die Sonne scheint, erhellt sich mein Gemüt ein wenig. Düstere Gedanken vertreibt man am besten mit Sport. Um wieder auf die Beine zu kommen und mich für die vielen Unternehmungen, die noch vor mir liegen, fit zu machen, nehme ich Yoga-Stunden auf dem Bootssteg meiner Bleibe. Nur drei Tage, weil Barbara aus der französischen Schweiz nur so lange da ist. Sie lebt sonst in Costa Rica.

Gemeinsam fahren wir auch nach Colon, die Insel-Hauptstadt. Am Bankautomaten muss ich frische Dollars tanken, die Eins-zu-Eins-Währung zum Balboa, den es in Panama nur in Münzen gibt. Schon zum zweiten Mal versagt meine Visa-Card.

Ein bisschen schlendern und Shopping. Barbara ist völlig begeistert von dem Kolonialwarenmarkt, auf dem neben Schrauben, Stoffen, Werkzeug und Schreibwaren auch Klamotten und jede Menge kitschiger Weihnachtsdeko angeboten wird. „Bei uns im Dorf gibt es so was nicht“, verdeutlicht sie. Was für mich nicht mal des Ansehens wert ist, ist hier eine Notwendigkeit, um einigermaßen den Alltag meistern zu können. Keramikgehäuse für Glühbirnen oder ein Ersatz für Barbaras Fahrradlampe - ich überlasse sie ihrem Konsumrausch und mache mich allein auf die Socken.

Frisch gepresster Ananassaft mit Maracuja, dann ein T-Shirt mit Panama-Aufdruck und feines Fisch-Curry für sieben Dollar. Das Essen in dem netten Restaurant ergibt sich aus der Not, denn der Himmel öffnet erbarmungslos seine Schleusen. Schon wieder! Nachdem ich mein Abendessen verschlang, hört es fast auf. Jetzt schnell zum Bootssteg, um noch einigermaßen trocken wieder auf Bastimentos anzukommen. Geschafft. Barbara trifft 20 Minuten später ein. Nach ein paar Storys aus Barbaras Leben in der Wildnis ziehe ich mich mit einer Büchse Panama-Bier auf meine Veranda zurück.

Schon eine kleine Luxus-Geschichte, zumal ich die einzige bin. Alle anderen Gäste haben nur ein Zimmer und müssen im Lokal oder vorne am Bootssteg sitzen oder hängen. Dass heute Nikolaustag war, hätte ich ohne die WhatsApps meiner Familie nicht einmal mitgekriegt.

Mit einem jungen Pärchen aus dem badischen Raum, Caro und Christian, marschiere ich hoch zu Up the Hill, dem Ziel meiner letzten Schlamm-Tour, wo es die feinsten Brownies gibt, die ich je gegessen habe.

Der Matsch hinauf auf den Berg ist der gleiche wie beim ersten Mal. Jeanette aus England, die hier seit zwölf Jahren lebt, ist die famose Bäckerin. Sie zeigt uns, wo wir die kleinen, roten Pfeilgiftfrösche finden können. Um die zwei Zentimeter winzig machen sie mächtig Lärm und sind sehr, sehr giftig. Essen sollte man sie auf keinen Fall, anfassen besser auch nicht. Laut Reiseführer kann so ein Mini-Wesen zehn Männer zur Strecke bringen. Neben den kleinen, roten mit den schwarzen Tupfen gesellt sich noch ein cremefarbener Frosch mit ebensolchen Punkten. Genial! Tierisch geht es gleich weiter: Auf einmal entdecke ich eine riesige Spinne in einem Blütenkelch, in dem sich sonst für gewöhnlich die roten Frösche tummeln. Mit ein bisschen Ärgern locke ich sie aus der Reserve. Prächtig orange, allerdings weniger behaart als ihre Artgenossen, präsentiert sie ihr Antlitz. Ihr achtes Bein scheint bei irgendeiner wilden Begegnung abhanden gekommen zu sein. Sogar Jeanette, die hier so lange lebt, ist ganz verzaubert bei diesem Anblick. „Ich habe diese Sorte nur in Schwarz und Braun gesehen, aber noch nie in Orange“, ruft sie ganz verzückt aus und holt ihren Fotoapparat.

Wir haben also riesiges Glück, dieses etwa acht Zentimeter große Exemplar live im Dschungel zu erleben. Sogar Jeanettes kleine Kinder - drei an der Zahl - werfen interessiert einen Blick auf die Riesenspinne. Eigentlich ist das nichts Besonderes für den Nachwuchs, der hier in einer vollkommen offenen Behausung lebt. „Ja, Spinnen und Schlangen nehmen eben ihren Weg durch unser Haus“, meint Jeanette schulterzuckend. Dass es meine Begleiterin Caro beim bloßen Gedanken daran regelrecht schüttelt, kann die Besitzerin von Up the Hill nicht so recht verstehen.

Zwischendrin verzehren wir ihre köstlichen Brownies und eine hausgemachte Trinkschokolade. Abenteuerlich mutet der Gang zur Toilette an. Einige matschige Stufen führen hinunter auf einen freischwebenden Steg, auf dem eine Schüssel thront, abgeschirmt durch eine Bambus-Schwingtür. Der abgebrochene Klodeckel birgt ein Loch, das hinunter in eine Tonne führt. Auf der Öko-Ranch wird Umweltschutz großgeschrieben. Das Wasser zum Händewaschen kommt aus einer Regentonne. Die zu füllen, ist momentan wahrlich ein Leichtes.

Tags darauf - endlich lässt sich die Sonne mal blicken - mache ich mich mit Caro und Christian per Boot auf nach Colon, um in der Hauptstadt des Inselreichs den Bus nach Boca del Drago zum Red-Starfish-Beach zu nehmen. 17 Kilometer geht es quer über die Insel, zum Schluss auf abenteuerlichem Terrain am Strand entlang, bis wir nach einer halben Stunde Fußmarsch endlich in der malerischen Lagune angelangen.

Unter Bambusdächern harren die Verkäufer von Bier, Cocktails und Souvenirs aus. Das Meer ist glatt wie ein Spiegel. Gleich neben uns liegen zwei graue, längere Motorboote vor Anker. Typen in Tarnanzügen, einer davon gar mit Sturmhaube - bei den Temperaturen! -, gehen von Bord, um zu essen und ein paar Geschenke zu kaufen. Bei den Jungs handelt es sich um die Küstenwache, die hier immerzu irgendwo auftaucht. Sobald die Männer in Sichtweite sind, trägt plötzlich jeder Bootsfahrer eine Rettungsweste und befiehlt auch seinen Gästen, diese zu tragen. Ansonsten schert das hier niemanden, Tourist hin oder her. Doch vor dieser Garde scheinen alle einen Heidenrespekt zu haben.

Immerhin grenzt Panama an die im Dschungel verborgene Drogen-Hochburg in Kolumbien. Laut Chris, meinem deutschen Vermieter, gibt es im Grenzgebiet des Darien - das ist der größte zusammenhängende Regenwald Mittelamerikas - auf kolumbianischer Seite 247 illegale Landebahnen. Woher er diese Zahl so genau weiß, entzieht sich meiner Kenntnis. Angesichts der Waffendichte und Präsenz der großen Drogenbosse und ihres mächtigen Arms scheint keiner ein großes Interesse daran zu haben, da mal wirklich einzugreifen. Es wäre doch nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, und dass viele Politiker bei solch üblen Spielchen ihre schmutzigen Hände mit im Spiel haben, ahnt oder weiß längst jeder.

Abends ist unser Guesthouse rappelvoll. Fisch steht auf dem Speiseplan, und Chris hat wieder alle Tische mit den bunten Plastikdecken zusammengestellt, damit sämtliche Gäste von überall her gemeinsam tafeln und miteinander in Kontakt kommen können. Diesmal ist es ein wahrhaft bunt zusammengewürfelter Haufen. Slowaken und wir Deutsche, ein sehr sympathisches Paar aus den Niederlanden, ein Holländer, der mit einer Indio-Frau aus Costa Rica verheiratet ist, und noch weitere deutsche Neuankömmlinge nehmen an der „Tafel“ Platz.

Mit riesigem Getöse stürzen sich neben uns Pelikane und Möwen ins Wasser, nachdem Dami, Chris‘ Lebensgefährtin, Küchenabfälle ins Meer warf. Das nennt man biologische Verwertung ohne Umwege. Zwei Delfine ziehen in nächster Nähe zum Guesthouse ihre Bahnen.

Tierisch geht es in meinem kleinen Bungalow weiter, in dem ich mich mittlerweile ganz heimisch fühle: der Angriff der Moskitos - irgendwann musste er ja kommen. Welche sonderbaren winzigen Bläschen über Nacht in Mengen an meinen Händen und Fingern aufquellen, weiß ich auch nicht. Nur, dass sie teuflisch jucken. Da mag man dann großzügig über die kleinen Kakerlaken hinwegsehen, die ich nachts aufschrecke, wenn ich für den Gang zur Toilette mal Licht mache. Ich bin mir sicher, dass sie ihre Deckung unter den Holzplanken sofort wieder verlassen, sobald sich die Dunkelheit in meiner Hütte breitmacht.

Die Odyssee des kleinen Slotty

Hinter mir liegen mal wieder zwei tränenreiche Tage voller Depressionen. Ein Hexenschuss und der Stich einer Biene vervollkommnen mein Gefühls-Elend. Es kann eigentlich nicht mehr schlimmer werden. Endlich ist der Regen vorbei, die Sonne lugt hinter den Wolken hervor. Zusammen mit den vier jungen Schwaben Miriam, Patricia, Anja und Jens mache ich mich auf den Weg zur Isla Zapatilla. Entweder wird das mit meinem Hexenschuss auf der holprigen Fahrt über das wogende Meer besser oder es geht mir abends dann so dreckig, dass ich nicht mehr laufen kann.

Auf der Naturschutz-Insel führt ein malerischer Pfad durch den Dschungel. Hier sollen überall Schildkröten leben. Leider entdecken wir keine einzige. Dafür ist die Insel so, wie man sich Robinsons Eiland vorstellt. Lange, weiße Strände umzingeln den Dschungel. Wir genießen die schöne Auszeit für ein paar Stunden.

Isabelle und Hakon, die ebenfalls aus Baden-Württemberg stammen, haben bei ihrem Ausflug zur Eco-Lodge das klägliche Geschrei eines Tieres gehört und entdeckten ein Faultier-Baby ohne Mutter am Baum. Als es nach Einbruch der Dunkelheit noch immer da, aber bereits in eine Kuhle darunter gestürzt war, beschlossen Isabelle und Hakon, die sich mit Wäschekorb, Handtuch und Stirnlampe noch mal auf in den Dschungel gemacht hatten, das Kleine mitzunehmen. Die Mutter war über Stunden nicht zurückgekehrt.

Das Baby Sloth - Sloth ist der englische Name für Faultier - ist natürlich Gesprächsthema Nummer 1 im Tiotoms. Es entbrennen Diskussionen um das Für und Wider der Rettung dieses Faultier-Jungen. Die einen meinen, das sei nun mal der Lauf der Natur, andere wiederum hoffen, dass man das Tier über die Runden bringt. Deutsch, Schwäbisch und Englisch - kunterbunt durcheinander.

Als die Retter eintreffen, ist das Baby umringt von allen Travellern. Geschwächt klammert sich Slotty - so wird es kurzerhand getauft - an das Handtuch und beginnt gleich, heftig an einer Pipette voll Milch zu saugen. Über Nacht nehmen die beiden Finder das Junge mit in ihr Zimmer, um es zu füttern, wenn es schreit. Die Nacht übersteht Slotty wunderbar.

Helle Aufregung herrscht am Morgen darauf. Alles in Tiotoms Guesthouse dreht sich weiterhin nur um Slotty. Peter aus den USA - er lebt hier auf der Insel - wartet bereits auf Isabelle und Hakon, denn er möchte das verwaiste Tier rüber nach Colon bringen, wo es einige Kilometer außerhalb des Ortes das Smithsonian gibt. Das ist eine Forschungseinrichtung, so eine Art Auffanglager für verletzte Tiere - oder eben Waisen.

Mit diesem Entschluss beginnt die Odyssee des kleinen Slotty. Damit der Winzling - er ist maximal so groß wie Leo - nicht so allein ist, begleiten ihn nicht nur Peter und die Pflegeeltern. Auch Anja, Jens und ich sind mit von der Partie. Es ist Slottys erste Bootsfahrt in seinem so jungen Leben. Es wird sicherlich nicht allzu häufig vorkommen, dass Faultiere auf hoher See unterwegs sind. Zumindest werfen etliche Einheimische staunend einen Blick in den Wäschekorb.

Am Bootssteg muss Slotty ins Taxi wechseln. Zu fünft quetschen wir uns auf den Rücksitz, während Slotty auf Peters Schoß auf dem Beifahrersitz einen Ehrenplatz ergattert. Zu sechst stehen wir dann mit dem Baby Sloth an der Pforte des Smithsonian, an der sich der rüpelhafte und wenig hilfsbereite Pförtner wichtig aufbläst, um uns mitzuteilen, dass der Chef heute nicht da ist. Eigentlich ist heute gar niemand da. Der Typ unternimmt auch keinerlei Anstalten, mit irgendjemandem telefonisch Kontakt aufzunehmen, um von dem hilflosen Geschöpf zu berichten. Er murmelt irgendwas von „Wir nehmen keine Kuscheltiere“ - und lässt uns verdattert zurück.

Da man sich im Inselreich bestens zu kennen scheint, stoppt glücklicherweise gerade ein Taxi mit einem Bekannten von Peter. Der wiederum hat eine Freundin, die sich kranker und verwaister Tiere annimmt. Großes Aufatmen. Ein Teil springt mit in das Taxi, der Rest muss ein weiteres stoppen, damit wir wieder in die Stadt kommen. Die Freundin des Freundes unseres neuen Freundes Peter wohnt am Hafen. Mehrmaliges Klopfen, Klingeln - Fehlanzeige. Auch hier haben wir kein Glück. Die Nachbarin erzählt, die Freundin des Freundes des Freundes sei derzeit gar nicht im Lande. Wahrscheinlich Visum verlängern jenseits der Grenze in Costa Rica. Dieses Spielchen müssen hier alle Deutschen, Amerikaner oder wo immer sie auch her sind, jedes halbe Jahr aufs Neue wiederholen. Mal in Verbindung mit ein paar Tagen Urlaub, einer Shopping-Tour oder im Eiltempo am gleichen Tag zurück. Auf jeden Fall ist besagte Freundin nicht da und somit guter Rat teuer.

Slotty indes räkelt sich wohlig in dem Frotteehandtuch. Der Nachbarin kommt die zündende Idee: Gleich ein paar Häuser weiter ist der Sitz der Naturschutzbehörde, die für den riesigen Nationalpark zuständig ist, der einen Großteil der Inseln samt ihrer Unterwasserwelt beherbergt. Allerdings zeigen sich die beiden Diensthabenden - ein Mann und eine Frau -, die einen müden Blick auf Slottys Antlitz werfen, wenig erfreut über den Ansturm der Europäer. „Na ja, den könnte man zu den Indios nach Salt Creek bringen“, quetschen sie heraus. Wir scheinen den Büroschlaf des Duos extrem zu stören. Immerhin endet Slottys kleine Odyssee hier.

Mit wenig beruhigtem Gewissen ziehen wir Leine. Peter erklärt den beiden, die Slotty nebst Körbchen in einem Flur abstellen, dass er morgen wieder kommen wolle, um zu überprüfen, was mit Slotty passiert ist. Wenig beeindruckt nehmen es die Naturschutz-Vertreter zur Kenntnis. Wir haben jedoch alles unternommen, um das Leben des Kleinen zu retten. Jetzt liegt es nicht mehr in unserer Macht. Es wäre das schönste Weihnachtsgeschenk, wenn der Kleine das Ganze überlebt. Erfahren werden wir es leider nie.

Das Faultier-Baby ist nicht größer als mein 26 Zentimeter kleiner Leo.

Mächtige Ozean-Riesen bahnen sich täglich ihren Weg durch den Panama-Kanal.

In Tiotoms Guesthouse auf der Insel Bastimentos - mein Bungalow ist links zu sehen - hielt ich es einen ganzen Monat lang aus.

Eine Insel im Weihnachtsrausch

Mein nächstes Ziel kurz vor Weihnachten ist Almirante. Ich begleite Damaris, die Freundin meines Vermieters, und ihre Cousine Rachel auf die Einkaufstour in dem schmuddeligen Ort, den wir nach einer Stunde Bootsfahrt erreichen. Hier gibt es weder einen Preis für Charme noch für Natur oder irgendwas zu gewinnen. Es ist eine zweckmäßige Shopping-Tour. Ein jeder warnt Touristen eindringlich davor, hier zu übernachten. Wer hierher reisen kann, muss auch Geld haben und ist daher ein potenzielles und äußerst willkommenes Opfer für Diebe, Räuber und zuweilen auch Mörder. Sagen die Leute von den Inseln. Selbst die hüten sich davor, hier zu übernachten.

Während ich in der stickigen, zuweilen von Gestank geschwängerten Luft wenig Freude am Einkaufen empfinden kann, haben die beiden eine Menge Spaß am Ausprobieren künstlicher Haarteile. Denn obwohl die Damen hier fast allesamt schwarzes, langes oder gekräuseltes Haar haben, muss die Pracht durch Kunstteile in Blond, Rot oder Schwarz noch getoppt werden. Die 41-jährige Dami wählt drei rötlich-blonde Teile, ihre Cousine Rachel (26 Jahre jung) entscheidet sich nach gut einer halben Stunde letztlich für schwarzes Kunsthaar.

Dann müssen noch wichtige Dinge fürs Guesthouse besorgt werden. Insgesamt zwölf neue Plastikstühle sind Bestandteil unseres Gepäcks, ein Stapel neuer Trinkgläser, ein Linoleumboden für Rachel, allerhand Küchengerät, meterweise Plastiktischdecken und Schüsseln aus ebensolchem Material. Plastik soweit das Auge reicht. Und natürlich der künstliche Weihnachtsbaum, blinkende Lichterketten, bunte Kugeln und Girlanden. Das Wichtigste hätte Dami beinahe vergessen. „Chris hat gesagt, wir sollen ein Waschbecken kaufen“, erklärt sie.

Im entsprechenden Waschbecken-und-sonst-noch-was-Laden schleppt ein Verkäufer das in Karton verpackte Becken vor an die Verkaufstheke. Allerdings ist Dami jetzt nicht mehr ganz so sicher, was Chris eigentlich will. Sicherheitshalber ruft sie ihn an und versteht auch auf Englisch - die Sprache, in der sie mit ihrem deutschen Partner kommuniziert - nicht, was sie besorgen soll. Kurzerhand drückt sie mir das Handy in die Hand, was sich als absolut richtig erweisen sollte. Chris braucht kein Waschbecken, sondern einen Wasserhahn. Dafür halten wir uns eine halbe Stunde lang vor Lachen den Bauch. Gestärkt mit einem Essen beim Schmuddel-Chinesen müssen wir noch zum Metzger. Da hängen bei 27 Grad die Rinderhälften am Haken. Dami braucht einen Ochsenschwanz, der vor Ort gleich in kleine Teile zersägt wird, einen riesigen Schinken für Weihnachten und natürlich einen Truthahn fürs Buffet an Heiligabend.

Mit einem Pickup-Taxi schaffen wir die Plastik- und Tütenberge zum Pier, wo alles fest verstaut wird. Zurück „zu Hause“ - ich gehöre schon fast zur Familie -, mache ich mich an das Schmücken des Weihnachtsbaums.

Während es in meiner alten Heimat momentan auch nicht gerade nach weißen Weihnachten aussieht, so kann ich nur sagen: auf der Isla Bastimentos noch viel weniger. Morgens um 7 Uhr zeigt die Quecksilbersäule bereits 26 Grad. Häuser und Restaurants sind mit jeder Menge zum Teil äußerst kitschiger Weihnachts-Deko geschmückt. Mein erstes Weihnachtsfest so fern von allem Gewohnten rollt auf mich zu. Auch wenn ich allein unterwegs bin, werde ich Heiligabend eine bunte Truppe um mich herum haben. Chris und seine Frau Dami bereiten ein Buffet für alle Gäste vor, die über Weihnachten auf der Insel gestrandet sind. Schweizer, Holländer, Österreicher und Deutsche werden beisammen sitzen.

Weihnachtsgeschenke gibt es in diesem Jahr keine. Obwohl: Ich habe jede Menge Geschenke bekommen, die mich auf meiner Reise begleiten. Leider versagte das von meinem Patenkind Shirley selbst gemachte Freundschaftsbändchen bereits nach der dritten Dusche seinen Dienst. Da es nicht mehr um mein Handgelenk passt, zurrte ich es kurzerhand Leo fest um den Hals. Da verbindet es nun uns drei.

Zusammen mit vielen anderen kleinen Dingen baue ich meinen Gabentisch an Heiligabend auf der Veranda auf. Zwei Weihnachtssterne werden in meinem Bungalow mit Reißzwecken an der Holzwand angepinnt. Einer ist von meiner Mama, den anderen bastelte Oskar für mich. Er ist der Sohn meiner Kollegin Brigitte, die mir erklärte, dass Oskar extra für mich rosa auswählte, weil ich ein Mädchen bin, dabei kann Oskar rosa eigentlich gar nicht leiden. Von Brigitte bekam ich ein eingepacktes Geschenk, das ich bis zum Abend aufheben werde, damit ich wenigstens ein Geschenk auspacken kann.

Zwei weitere Glücksbändchen fürs Handgelenk beschützen mich auf meiner Reise. Eines ist von meinen früheren Nachbarn Uli und Rainer, ein weiteres von Linda und Mark, guten Freunden, die ebenso reiselustig sind wie ich. Von meinem Mädels-Stammtisch bekam ich zwei USB-Sticks, die es in sich haben. Nicht nur ein Foto, damit ich sie auf Reisen nicht vergesse - wie könnte ich! -, es befinden sich auch zwei Hörbücher und eine Menge Musik darauf. Den Schutzengel von meiner Mama habe ich ebenso im Gepäck wie die Wunderkerzen, die ich zu Silvester anzünden werde. Dabei denke ich an meine Familie und all meine lieben Freunde - und natürlich an Chap.

Wenn dann meine Tränen angesichts all dieser wundervollen Erinnerungen nicht mehr aufhören zu fließen, greife ich zu der Packung Taschentücher, die mir meine Schwester Carmen schenkte. Es sind „Merry Christmas“-Taschentücher, die ich zu Weihnachten hoffentlich nicht komplett aufbrauchen werde. Außerdem schnitzte Carmen mir einen Flügel aus Speckstein, der mich beschützen soll. Riesig freute ich mich über ihren selbst gebatikten Schal. Gelb soll für die Sonne und Sterne stehen, pink - meine Lieblingsfarbe - dafür, dass auch wieder einmal rosige Zeiten für mich kommen mögen, und natürlich Chaps Lieblingsfarbe: schwarz.

Dann habe ich noch einige Abschiedskarten dabei. In einer liegt ein Foto, das Chap und mich bei einem runden Geburtstag meiner Freundin Kerstin zeigt. Ein Anhänger erinnert mich an unsere Freunde Sonija und Stanko, die Chap und mir vor einigen Jahren Leo schenkten. Ein weiterer Anhänger ist das Geschenk meiner Masseurin Dani. Mein Gabentisch wird also reichlich gedeckt sein - mit vielen lieben Erinnerungen.

Auf den Bocas del Toro gibt es keine stille oder heilige Nacht. Schrill, laut, lauter, noch viel lauter, dröhnend. Dazu fließt jede Menge Alkohol. Eine Insel im Dauerrausch. So in etwa geht es Weihnachten knapp 10.000 Kilometer weit von Deutschland entfernt zu. Zumindest auf „meiner“ Insel.

Während bei uns daheim alle vermutlich im unvermeidlichen Weihnachtsstress stecken, um Berge von Geschenken unter einem festlich herausgeputzten Baum zu platzieren, geht auf Bastimentos das Wettrüsten um die größten Musikboxen los. Die werden vornehmlich auf den mit bunt blinkenden Kunst-Girlanden und -Bäumen geschmückten Terrassen oder in den Wohnstuben postiert, damit jeder den Nachbarn überschallen kann. Jedoch nicht mit Jingle Bells oder Feliz Navidad - mir fliegen derart harte Beats um die Ohren, dass mir die Schädeldecke abzuheben droht. Ganz so unglücklich bin ich nicht darüber, dass dieses Weihnachtsfest so rein gar nichts mit dem sonst so gewohnten und doch gefühlsbetonten im Kreise der Familie zu tun hat.

Zur Feier des Tages tischen Chris und Dami gefüllten Truthahn auf. Dazu gibt es leckere Soßen, einen riesigen Schinken aus der Röhre, feinen Fisch mit Zwiebeln, Kartoffelsalat und anderen Salaten und natürlich Reis. Der fehlt hier so gut wie nie bei den Mahlzeiten. Na ja, ein paar Weihnachtsplätzchen wären schon ...

Wir erleben während unserer Weihnachtsfeier eine Bescherung mit ganz vielen glücklichen Kinderaugen gleich neben dem Tiotoms oben auf dem Dorfplatz. Hier kommen anscheinend sämtliche Kinder der Insel zusammen. Es dürften locker um die hundert sein, die sich versammeln, um die kleinen Gaben vom Weihnachtsmann in Empfang zu nehmen. Auch Chris erlebt dies zum ersten Mal. „Vielleicht hat das was mit dem Regierungswechsel zu tun“, mutmaßt er.

Ob Säugling oder Schulkind, jedes bekommt eine blinkende Nikolausmütze verpasst und diverse Süßigkeiten, die gierig verzehrt werden. Auf dem Dorfplatz thront ein aufgeblasener, etwa drei Meter hoher Santa Claus gleich neben einem riesigen Weihnachtsbaum. Aus den Lautsprechern dröhnt wenig weihnachtliche Musik. Eine Bescherung für die Kinder daheim gibt es nicht, nicht einmal bei den Amerikanern, die hier heimisch geworden sind. „Mein Sohn hat sein Fahrrad schon vor über einer Woche gekriegt“, verrät Peter uns. Denn er könnte es daheim weder verstecken oder einstweilen bei Nachbarn unterbringen. „Jeder würde das hier verraten“, ist er ganz sicher.

Strahlende Kinderaugen erleben wir auch in unserem kleinen Kreis auf der Terrasse des Guesthouses. Oskar ist das einzige Kind unter etwa 20 Erwachsenen. Der Fünfjährige aus München, der zusammen mit seiner Mutter schon seit einem halben Jahr auf Reisen ist - der Papa stieß nun ein zweites Mal zu ihnen -, hatte schon die größten Bedenken, dass das Christkind ihn hier nicht finden könnte. Denn in den letzten Monaten war er schließlich immer woanders, mal in Äthiopien, mal in Südafrika, mal in Kolumbien.

Aber das Christkind wäre nicht das Christkind, fände es den Weg nicht auch zu Oskar. Dass der Plüsch-Papagei vom Papa aus München in die Tropen gebracht wurde, wird er schließlich nie erfahren. Die einzige Befürchtung des kleinen Globetrotters ist nun, dass seine Geschenke - ein paar Legos gibt es auch noch - nicht in die ohnehin schon vollgepackten Rucksäcke reinpassen. Sie passten. Waren ja vorher schon drin. Aber wie sollte Oskar das auch wissen?

Ich habe ja auch noch ein Geschenk auszupacken, das meine Kollegin Brigitte mir mitgab. Und - wie könnte es anders sein? - es ist das schöne Janosch-Buch Oh, wie schön ist Panama. Verschämt lasse ich es im Bungalow zurück, sonst hätte ich es vielleicht Oskar in die Hand gedrückt. Aber ich halte es in Ehren, und es wird mich auf meiner Reise begleiten - auch über Panama hinaus.

Feucht-fröhlich geht es in der Runde weiter, während drüben am Bootsanleger die ersten Raketen in den sternenklaren Nachthimmel steigen. „Das geht jetzt bis ins neue Jahr so weiter“, erklärt Chris im Brustton der Überzeugung. Er meint nicht nur die Ballerei und die laute Musik, sondern auch das kollektive Besäufnis, dem wir uns in dieser Nacht anschließen.

Am nächsten Morgen sind alle mehr als froh, dass sich die Sonne kaum blicken lässt. Mit schwerem Kopf und schweren Gliedern hängen alle in den vielen Hängematten und sind happy, weder schnorcheln, schwimmen, auf einen Ausflug über irgendwelche matschigen Dschungelpfade gehen oder gar etwas trinken zu müssen.

Bis sich der Tag seinem Ende zuneigt. Denn dann sind die Stammgäste des Tiotoms zum Feiern in Damis Haus eingeladen. Leo muss diesmal daheim bleiben, zumal ich kein gutes Vorbild abgeben würde.

Die Bewohner der Insel sind schon seit den Morgenstunden von Haus zu Haus unterwegs, um sich hier und da und dann auch mal dort dem zügellosen Vergnügen des Alkohol-Vernichtens hinzugeben. Gerade mal drei Minuten zu Fuß, schon sind wir in den privaten Gemächern von Chris' Lebensgefährtin. Man fühlt sich wie in einer Diskothek angesichts der dröhnenden Bässe aus den Boxen, die hinaus auf die Veranda und bis tief in den Magen dringen.

Der wird gleich aufs Neue erschüttert, denn auf dem Tisch stehen zwei halbe Gallonen - also Flaschen mit jeweils knapp zwei Litern Inhalt - Rum, daneben Cola und Eis in Schüsseln. Cuba Libre ist das Getränk der Insel. Viele fangen morgens schon damit an, in den meisten Fällen aber trinken sie gleich Rum pur. Nach dem zweiten Glas kehrt endlich Farbe in mein Gesicht zurück. Zumindest fühlt es sich so an.

Gegenüber, wo die tatsächliche Diskothek beheimatet und an den noch mehr dröhnenden Klängen unüberhörbar zu erkennen ist, gibt es einen Menschenauflauf beziehungsweise einen wütenden Mob, der sich brüllend zusammenrottet. Irgendwelche Frauen mit mächtigen Oberarmen fallen kreischend übereinander her, ziehen Männer andere an T-Shirts und Hosenbund, stürzen kreischende Knäuel Volltrunkener auf die mit Müll übersäte Wiese oder in den Graben, den der prasselnde Regen gerade vorhin aufweichte. Fröhliche Weihnachten!

Unsere Köpfe hängen neugierig über dem Geländer von Damis Veranda, und auch Passanten und einige Disco-Besucher, die sich aus der Streit-Arena zurückzogen, schauen dem Spektakel zu. Endlich eilt der Dorfpolizist herbei. Allein. Mitten rein in den Mob - und schnell wieder raus. Wie sich herausstellt, fordert er über Funk Verstärkung von der Hauptinsel an.

Mittlerweile drängen immer mehr junge Leute in Damaris' Haus. Jeder erzählt irgendwas. Die Rede ist von einem oder einer Toten. Dieses Gerücht macht schnell die Runde. Näheres erfahren wir erst am Tag darauf. Eine Frau - Schlägereien unter den Vertretern des weiblichen Geschlechts sind laut Chris auf der Insel an der Tagesordnung - hatte einem Mann letzte Nacht ein Messer in den Bauch gerammt. Irgendwelche Kopfverletzungen gab es obendrein. Glücklicher Ausgang: Es gab keinen Weihnachts-Toten, der Typ landete im Hospital von Colon. Er überlebte die Messerattacke. Für alle anderen Insulaner und Gäste ging es mit hämmernden Bässen erneut weiter bis zum Morgengrauen.

Heiligabend und den ersten Feiertag überstand ich so einigermaßen, zumal um mich herum pausenlos Trubel herrschte. Nachdem der Clan, mit dem ich nun einige Tage verbrachte, abreiste und im Tiotoms Stille einzieht, überkommen mich die Erinnerungen an Garnelen-Fondue und Champagner, an wunderschöne Stunden in unserem alten Heim in trauter Zweisamkeit. Die Tränen fließen und fließen und fließen, wollen gar nicht mehr aufhören, während ich von der Hängematte aus in den wolkenverhangenen Himmel blicke und nach einem Zeichen von Chap suche. Sieht er mich? Weiß er, wie entsetzlich einsam ich mich fühle? Spürte er, dass ich an diesem grauenvollen Ostermontag, nachdem er in einen tiefen Morphium-Schlaf gefallen war, bei ihm war, bis er wenige Stunden nach unserer Hochzeit in meinen Armen starb? So vieles treibt mich um. So vieles. Und keine Antworten. Weder vor Weihnachten noch danach.

Feuerwerk vor traumhafter Kulisse

Pläne sind dazu da, sie über Bord zu werfen. Das hat mich das Jahr 2014 in all seiner Brutalität gelehrt. Meinen Geburtstag an Silvester wollte ich eigentlich in Bastimentos feiern. Wollte. Da ich zwischen dem 1. und 4. Januar keinen Flug mehr nach Panama City bekomme, verwerfe ich diesen Plan kurzerhand. Und so sitze ich am 31. Dezember mutterseelenallein auf dem Mini-Flughafen in Bocas del Toro und warte auf meinen Flug nach Panama City. Mein Geburtstags-Verwöhnprogramm umfasst ein Milky Way und einen Orangensaft.

Ehe ich aufbrach, hätte ich vor lauter Heulen fast meinen Bungalow geflutet. Die vielen Glückwünsche aus der Ferne berührten mich sehr. Außerdem hatte ich ja eine tolle Zeit auf der Isla Bastimentos. Es hat über 30 Grad. Mein Rücken ächzt unter den 26 Kilogramm meiner beiden Rucksäcke, zumal ich kein Taxi bekam und alles bis zum Flugplatz schleppen musste. Dann hat mein Flug auch noch über eine Stunde Verspätung. So kann man seinen Geburtstag auch über die Bühne bringen.

Dafür gibt es im Flieger - freie Platzwahl und Drängeln erlaubt - sogar was feines Alkoholisches. Ein Zettelchen, das um den Flaschenhals des hellgelben, dickflüssigen Gemischs hängt, weist dieses Getränk eindeutig als selbst gemachtes Weihnachtsgeschenk aus. Es ist ein in der Konsistenz einem Eierlikör ähnelnder Rum-Punch auf Eis. Na, dann kann die Party ja starten. In Deutschland wäre so was völlig undenkbar. Vermutlich hätte die Fluggesellschaft die Lebensmittelüberwachung am Hals.

Für den stolzen Preis von 140 Dollar werde ich in 50 Minuten in die Hauptstadt befördert. Mit dem Bus wäre ich zehn Stunden unterwegs gewesen. Nicht mehr in diesem Jahr! Als Geschenk gönne ich mir eine Übernachtung in einem relativ guten Hotel für 85 Dollar. Dafür ist aber auch Frühstück dabei und richtiger Luxus. Ich freue mich auf die erste heiße Dusche seit vier Wochen.

In dem Kingsize-Bett hätten locker fünf Leute nebeneinander Platz. Leo und ich liegen quer und haben von hier aus einen Logenplatz. Denn die Fenster reichen bis zum Boden und geben den Blick frei auf einen Teil der Panama-Skyline. Auch die Dachterrasse bietet einen gigantischen Ausblick auf ein Meer im Neonglanz strahlender Hochhäuser. Ja, hier werden wir das Feuerwerk zum Jahreswechsel anschauen.

Das Buffet mit Glitzerzylindern auf dem Kopf und Schoko-Münzen auf dem Tisch sparen wir uns. Allerdings ist die Pizzeria um die Ecke auch nicht gerade der Brüller für mein Geburtstags-Menü. Das besteht aus gemischtem Ceviche (Garnelen, Tintenfisch und weißem Fisch) und Kräckern. Dass mich der Ober gleich mit saurer Miene begrüßt und es ewig dauert, bis schon mal mein Getränk kommt - Rotwein zum Fisch, weil heute eh alles wurscht ist -, wechsele ich in den Bereich eines freundlicheren Obers, was die Miene des Miesepeters noch weiter verdüstert.

Zurück in meinem Zimmer, wo ich die vielen Glückwünsche auf Facebook und WhatsApp studiere, kann ich gar nicht mehr aufhören zu heulen. Silvester feierten Chap und ich immer ausgiebig. In der Nacht zu meinem Geburtstag bekam ich von ihm immer ein privates Feuerwerk mit Champagner im Garten.

Eigentlich habe ich gar keine Lust auf Feuerwerk und Knutsch-Stimmung rund um mich herum. Das zieht so richtig schlimm im Herzen. Letztlich raffe ich mich doch dazu auf, hoch in die elfte Etage zu fahren, wo sich ein DJ glücklicher Weise im sonst so lauten Panama einmal etwas zurücknimmt. Denn es gibt hier normalerweise nur den Ein- und Aus-Knopf, möchte man glauben. Viele würden mich um diese Kulisse heute bei Fast-Vollmond beneiden. Wäre ich in trauter Zweisamkeit in Verzückung geraten, so bleibt meine Stimmung jetzt eher nüchtern. Schade, da sich die Kulisse wirklich die größte Mühe gibt.

Mangels Wein greife ich zum eiskalten Panama-Bier. Besser als das zu malzige Balboa. Es steht immer fifty-fifty, ob man Panama kriegt oder Balboa. Im besten Fall gibt es beides, womit die Entscheidung leichtfällt. Na ja, in der Not ... Hauptsache, es dröhnt! Nein: Ich bin kein Alkoholiker, aber manche Dinge lassen sich im Suff ganz einfach leichter ertragen. Zum Beispiel Silvester und Geburtstag allein in der Fremde zu feiern - neben zwei schrecklichen Typen, die jede Frau von Kopf bis Fuß mustern, um dann ein Urteil abzugeben. Einen Spiegel scheinen die äußerst bauchlastigen Männer, die dem Dialekt nach irgendwo aus Deutschland oder Österreich zu stammen scheinen, allerdings selbst nicht zu haben.

So wird es endlich Mitternacht, der Sekt schmeckt schal, um den Hals fällt mir niemand, keiner wünscht mir ein gesundes neues Jahr. Ich versuche, den Gedanken an frühere Silvester zu verdrängen. Noch zwei Cuba Libre zum besseren Berauschen, und dann ab in das mächtige Bett, wo Leo - wenigstens einer - schon sehnsüchtig wartend auf den Kissenbergen thront.

Am nächsten Morgen fasse ich den Entschluss, ins San-Blas-Archipel weiterzureisen. Eine weitere Nacht für 85 Dollar will ich hier nicht verbringen, auch wenn der ungewohnte Luxus eine wunderbare Abwechslung ist. Ich telefoniere ein wenig in der Gegend herum, um ein neues Quartier zu finden. Alle Hotels sind zu Neujahr brechend voll, dann habe ich im Hospidaje-Hostel doch noch Glück. Nun ja, besser als nichts. Einen kleinen Raum mit einem schmalen Bett gibt es noch.

Ich werfe mein Sturmgepäck in ein Taxi und lasse mich in die Altstadt chauffieren, in der ich nach meiner Ankunft im neuen Leben schon einmal residierte. Damals im Casa Nuratti, das jetzt verschärfte 127 Dollar pro Nacht verlangt. Also bevorzuge ich das Hostel für 25 Dollar. Gut, mehr wert ist es auch nicht. Als ich meiner Mutti das Foto meiner neuen Bleibe per WhatsApp sende, glaubt sie, man hätte mich verhaftet. Zumindest sind die Zellen in Deutschland einen klitzekleinen Tick schicker. Aber wozu braucht man schon so unnötige Dinge wie ein privates Klo oder eine Dusche? Wenn schon nicht gemeinsam im Mehr-Bett-Zimmer schlafen, dann wenigstens mit 20 Leuten die wenig einladende Dusche und die Toilette teilen.

Mein Zimmer besteht exakt aus einem einfachen Metallgestell, auf dem eine ziemlich durchgelegene Matratze liegt, und einem Plastikstuhl. Ach so, den Ventilator an der Decke - ein wichtiges Utensil in solchen Ländern - hätte ich fast unterschlagen. Meine wertvollen Dinge wie Pass, Geld, TAN-Nummern für meine beiden Konten zu Hause und mein Tablet lasse ich in einem einfachen Metall-Spind zurück.

Auf der Suche nach meinem Zimmer - es gibt zwar Schlüssel-Nummern, aber keine zugehörigen Zahlen an den Türen - gerate ich zunächst in den falschen Raum. Wie schön, dass der Schlüssel mehrere Türen öffnet. Ich hoffe mal, mein Gepäck, Leo und ich bleiben vor Fremdbesuchen verschont. In fast allen Zimmern, zu denen die meisten Türen offen stehen und in denen bis zu acht Mann pennen, hängen junge Leute mit ziemlich schweren Köpfen nach der Silvesternacht in ihren Matratzen auf Stockbetten.

Klar, dass am Neujahrstag kein Reisebüro offen hat, und weil der Mini-Bereich beim Eingang ins Hospidaje gerade voller junger Leute ist, die alle in ihre Handys und Tablets vertieft sind, besinne ich mich des freundlichen Service in meinem ersten Hotel in der Altstadt vor vier Wochen. Der nette Typ hinter der Rezeption nimmt sich gelassen alle Zeit der Welt, mir noch für den nächsten Tag einen Trip nach San Blas zu verschaffen. Super, um fünf Uhr morgens werde ich abgeholt. Hoffentlich klappt es.

Jetzt kann ich den Tag befreiter genießen, laufe mir die Füße in der herrlichen Altstadt fast wund. Alle paar Meter gibt es Staunens- und Sehenswertes zu erblicken. Die wunderbar renovierten Kolonialbauten zwischen jeder Menge verfallener und vom Verfall bedrohter Häuser, dazwischen auf Gehwegen schlafende Männer, die ihren Rausch noch nicht ganz überstanden haben, und Horden von Touristen mit mächtigen Kameras um den Hals.

In einer Havanna-Bar gönne ich mir - wieder mal - Ceviche. Ganz einfach, weil es frisch, gesund und leicht und daheim nirgends zu bekommen ist. Leo muss mein Zimmer bewachen, weil ich heute nur mit Umhängetasche unterwegs bin. Der kleine Rucksack ist schon separat für die karibische Inselwelt gepackt. Dann kann ich das schwere Monstrum von Rucksack wenigstens für ein paar Tage unangetastet lassen. Das Duschen in der schmalen Gemeinschaftskabine spare ich mir heute Abend und morgen früh auch. Ein bisschen Wasser ins Gesicht spritzen muss genügen. Duschen kann ich bei den Indios auch.

Ich bin gespannt, ob ich alles so auf die Reihe kriege, wie ich mir das im Kopf zurechtlegte. Demnach müsste es mit drei Übernachtungen auf den Kuna-Inseln so hinhauen, dass ich auf dem Rückweg in Colon - das ist eine dreckige Hafenstadt von wenig gutem Ruf - abgesetzt werde, um die Fähre nach Kolumbien zu erreichen. Denn die geht nur montags und mittwochs. Ich änderte meine Pläne nämlich abermals. Ich hatte Kolumbien wegen der vielen Horror-Geschichten, die sich rund um Drogenmafia und Entführungen argloser Touristen ranken, nie als Reiseziel ins Auge gefasst. Doch nach meinem Zwischenstopp im San Blas-Archipel, wo die Kuna-Indios leben, will ich genau dieses an Panama angrenzende Land anvisieren.

Harter Wellenritt ins Inselparadies

Pünktlich um 5 Uhr am Morgen des 2. Januar steht tatsächlich jemand von der Agentur vor meinem spartanischen Hostel. Ich bin wirklich überrascht, denn hier gehen die Uhren zuweilen ja doch ganz anders. Zusammen mit einigen Indios sitze ich wenig später in einem Allrad-Jeep.

Nach gut eineinhalb Stunden erreichen wir die Berge. Unendliche Serpentinen mit Steilpässen, die bei uns in diesem Winkel gar nicht erlaubt wären, geht es hoch und runter. Dazwischen sind unbefestigte, schlammige Pisten mit badewannengroßen Löchern, zum Teil gefüllt mit Regenwasser. Während der Fahrt regnet es immer wieder. Als wir oben in den immergrünen Hügeln eine Pause einlegen, bin ich doch sehr froh, einen Schal und meine Fleecejacke dabei zu haben. Hier dürfte es nicht mehr als 15 Grad kühl sein. Die Indios bleiben lieber gleich im Auto sitzen.

Als Leo und ich nach etwa drei Stunden ins Reich der Kuna gelangen, müssen wir erst einmal unsere Reisepässe zücken - Leo natürlich nicht, der reist als blinder Passagier unter meiner Obhut - und 20 Dollar abdrücken. Die sind also in den 300 Dollar für drei Nächte Insel-Genuss (fast) ohne Strom und sonstigen Komfort nicht enthalten. Ebenso wenig wie zweimal zwei weitere Dollar für den Transport mit dem Boot zur Insel Asseryaladup. Von der habe ich noch nie zuvor gehört.

Es ist ein harter Ritt ins Inselparadies. Meine rechte Hand krallt sich an der vorderen Bank fest, die linke an der Sitzbank. Während sich die Menschen in meiner Heimat teuren Meerwasser-Behandlungen im Kosmetikstudio unterziehen, bekomme ich das hier kostenlos. Eine komplette Ladung Wasser gischtet mir bei dem massiven Wellengang gleich mehrmals mitten ins Gesicht. Hierfür braucht man gute Nerven, einen ebenso guten Magen und eine Schwimmweste. Das erste Mal auf meiner Tour, dass ich die wirklich gern trage.