Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Dieser kleine Kommentar zu den ersten 14 Kapiteln des Matthäusevangeliums entstand aus gewecktem Interesse im Studium, eigenen Arbeiten mit den Texten und der Neugier, da weiter zu suchen, wo andere aufhören. Gespräche mit Schülerinnen und Schülern über die Bergpredigt, Schriftsteller wie Franz Alt und Ernesto Cardenal, aber auch Theologen und eigenes "predigen müssen" standen an seiner Wiege. Aber auch die Begeisterung für einen Schriftsteller, der die Jesusgeschichte neu erzählt und dabei auch für sich und andere gliedert und formt. Für die 2. Auflage wurde einge Fehler der ersten Auflage korrigiert.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 577
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Meinen Eltern Arthur und Anni
Einleitung
Die Kindheitsgeschichte
Kapitel 1,1-17; Der Stammbaum Jesu
Kap 1,18-24; Die Geburtsgeschichte
Kapitel 2,1-12; Das Kind wird von Magiern angebetet
Kap 2,13-15; Die Flucht nach Ägypten
Kap 2,16-18; Der Kindermord des Herodes
Kap 2,19-23; Die Rückkehr aus Ägypten
Zusammenfassung zu 2,13-23
Zusammenfassung zu Kap 2
Der Anfang, Kapitel 3 und 4
Kap 3,1-12; Johannes der Täufer
Kap 3,13-17; Die Taufe Jesu
Kapitel 4,1-11; Die Gefährdung des Messias
Kapitel 4,12-17; Der Anfang
Kapitel 4,18-22; Die Berufung der ersten Jünger
Kapitel 4,23-25; Jesus als Heiler – ein erstes Summarium
Die Bergpredigt
Kapitel 5,1-12; Die Seligpreisungen
Eröffnung; Kap 5,13-20
Kapitel 5,13-16; Salz und Licht der Erde
Kap 5,17-20; Die Grundlage: Über das Gesetz
Die Antithesen
Die erste Antithese 5,21-26; Vom Töten
Mt 5,27-30; Vom Ehebruch
Mt 5,31.32; Von der Scheidung
Kap 5,33-37; Vom Schwören
Kap 5,38-42; Vom Vergelten
Kap 5,43-48; Von der Feindesliebe
Von der Frömmigkeit; 6,1-18
Mt 6,1-4; Vom Almosengeben
Kap 6,5-8; Vom Beten
Kap 6,9-15 Das Vaterunser
Kap 6,16-18; Vom Fasten
Mt 6,19-34; Umgang mit Besitz
Mt 6,19-21; Die Schätze
Mt 6,22.23; Über das Erkennen
Kap 6,24; Über den Mammon
Kap 6,25-34; Vom Sorgen
Kap 7,1-6; Vom Urteilen
Kap 7,7-11; Vom Bitten
Kap 7,12-23; Die Gefährdung auf dem Weg
Mt 7,24-27; Der Abschluss – Das Gleichnis vom Hausbau
Mt 7,28.29; Die Reaktion der Menschen
Die Vollmacht Jesu, Kap 8,1-9,34
Kap 8,1-4; Heilung eines Aussätzigen
Kap 8,5-13; Der Hauptmann von Kapernaum
Kap 8,14-17; Jesus heilt die Schwiegermutter des Petrus
Kap 8,18-22; Von der Nachfolge
Kap 8,23-27; Die Sturmstillung
Kap 8,28-34; Jesus heilt zwei Besessene
Kap 9,1-8; Heilung eines Gelähmten
Kap 9,9-13; Jesus beruft Matthäus
Kap 9,14-17; Vom Fasten
Kap 9,18-26; Die Auferweckung der Tochter des Synagogenvorstehers und die Heilung der blutflüssigen Frau
Kap 9,27-34; Heilung zweier Blinder und eines Taubstummen
Die Aussendungsrede, Kapitel 9,35-10,42
Kap 9,35-38; Eine Zusammenfassung der Heilungen
Kap 10,1-4; Jesus schickt die Jünger los
Kap 10,5-15; Anweisungen für Unterwegs
Kap 10,16-25; Warnungen für Unterwegs
Kap 10,26-35; Jesus warnt und macht Mut
Kap 10,34-39; Die Ankündigung von Konflikten
Kap 10,40-42; Über die Beheimatung unterwegs
Kap 11,1; Jesus verkündet weiter
Zusammenfassung der Aussendungsrede
Auseinandersetzungen und Konflikte, Kapitel und 12
Kap 11,2-6; Johannes fragt nach Jesus
Kap 11,7-19; Jesus über Johannes
Zusammenfassung zu Kap 11,2-19
Kap 11,20-24; Weheruf über Städte in Galiläa
Kap 11,25-30; Der Heilandsruf
Kap 12,1-14; Jesus und der Sabbat
Kap 12,15-21; Über Jesus und sein Heilen – eine Deutung
Kap 12,22-30; Heilung eines Kranken
Kap 12,31-37; Die Sünde gegen den Heiligen Geist – oder: echte Autorität
Kap 12,38-42; Die Zeichenforderung
Kap 12,43-45; Über unreine Geister
Kap 12,46-50; Jesus und seine Familie
Die Gleichnisrede, Kapitel 13
Kap 13,1-9; Das Gleichnis vom Sämann
Kap 13,10-17; Über die Gleichnisrede
Kap 13,18-23; Die Deutung des Gleichnisses vom Sämann
Kap 13,24-30; Das Gleichnis vom Unkraut im Weizenfeld
Kap 13,31.32; Das Senfkorn
Kap 13,33; Das Gleichnis vom Sauerteig
Kap 13,34.35; Noch einmal über die Gleichnisrede
Kap 13,36-43; Deutung des Gleichnisses vom Unkraut im Acker
Kap 13,44-46; Das Gleichnis vom Schatz im Acker und von der kostbaren Perle
Kap 13,47-52; Das Gleichnis vom Fischnetz
Weitere Taten, Rein und Unrein, Kapitel 13,5317,27
Kap 13,53-58; Jesus in Nazareth
Kap 14,1-12; Das Schicksal Johannes des Täufers
Kap 14,13-21; Die Speisung der Fünftausend
Kap 14,22-33; Jesus wandelt auf dem See
Kap 14,34-36; Jesus heilt – ein Summarium
Ein Zwischenwort
Literaturverzeichnis
Bilderverzeichnis
„Mit dem Matthäusevangelium bin ich selbst noch nicht fertig.“ Mit diesen Worten hat Dr. Reinhard Feldmeier damals als Assistent an der Augustana Hochschule im Proseminar mein Interesse an Matthäus geweckt. Die Bergpredigt auf der einen und die harten Worte gegen Sünderinnen und Sünder mit Heulen und Zähneklappern auf der anderen Seite.
Seitdem hat mich Matthäus immer wieder im eigenen Studium wie auch in der Arbeit als Prediger oder Unterrichtender begleitet. Er hat mich fasziniert und ich habe mich an ihm gestoßen. Die Idee, Matthäus selbst zu kommentieren, verdankt sich in erster Linie diesem Arbeiten an und mit Matthäus.
Ein weiterer Meilenstein war dabei eine Predigtreihe über Matthäus im Jahr 2010, in der dieser Evangelist mich, meinen Kollegen Thomas Bucka und meine Gemeinde ein ganzes Kirchenjahr hindurch begleitet hat. Mit einem Mal standen Texte wie die Versuchung (4,1-11) plötzlich in einem anderen, nicht von der Tradition und dem Kirchenjahr geprägten Kontext. Plötzlich hatte die Bergpredigt ihren eigenen Duktus und die Wundergeschichten folgten aufeinander.
Einen besonderen Gewinn hatte ich dabei am Kommentar von Ulrich Luz, der mich in dieser Zeit besonders begleitete. Er hat in mir aber auch so viel Neugierde geweckt, dass ich mich trotz der knappen Zeit eines geschäftsführenden Pfarrers auf neue Kommentare einlassen konnte und wollte.
Wichtig wurde mir dabei auch der Umgang mit Mt in der Kunst und die Ausflüge in breitere Themen der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte. Diesen versuche ich in diesem Buch da nachzugehen, wo sie eine größere Tiefe und Weite des Denkens erlauben.
Fertig bin ich mit Matthäus auch jetzt noch nicht.
Im Blick auf den Aufbau seines Evangeliums orientiert sich Mt weitgehend an Mk. Seinem Erzählfaden folgt er aber nicht, ohne sein Evangelium reichlich mit anderem Material aufzufüllen und zu ergänzen. In erster Linie ist hierbei die Logienquelle „Q“ zu nennen.
Zunächst aber ergänzt er sein Evangelium durch die „Kindheitsgeschichte“ in Kap 1.2. Am Ende fügt er der kurzen und beinahe fragmentarisch wirkenden Grabesgeschichte des Mk noch eine weitere Erscheinung vor den Frauen (Kap 28,9f), einen Bericht über die Bestechung der Wächter und schließlich den Bericht über die Erscheinung vor den Jüngern auf dem Berg und den so genannten „Missionsbefehl“ an.
Vor der Passionsgeschichte dominieren im Aufbau fünf große Redekomplexe:
Die sogenannte „Bergpredigt“ (Kap 5-7)
Die sogenannte „Aussendungsrede“ (Kap 10,5-42)
Die Gleichnisrede (Kap 13)
Die Gemeinderegel (Kap 18)
Die Gerichtsrede (Kap 23-25)
In der Anordnung dieser Reden zeigt sich eine Konzentrik. Die beiden längeren Reden (Bergpredigt und Gerichtsrede) bilden einen Rahmen. Aussendungsrede und Gemeinderegel sind rein an die Jünger adressiert und handeln von der Gemeinde. Die im Zentrum stehende Gleichnisrede handelt vom Königreich der Himmel und seinen „Mysterien“.
Dass Mt seine Jesusreden bewusst gestaltet hat, zeigt sich daran, dass sie beinahe stereotyp beendet werden: „und es geschah, als Jesus…beendet hatte, da…“1 Damit wird zugleich der Erzählfaden neu aufgenommen. Die Reden, bzw. die Art, wie Mt sie gestaltet, zeigen, dass er „eine ‚inklusive’ Geschichte“2 erzählen will. Seine Darstellung ist transparent für die Situation seiner Gemeinde(n). Die zeitgenössischen Probleme spiegeln sich im Erzählten wieder.
Aber gerade im Unterschied zu einer seiner beiden Hauptquellen bleibt Mt eine Erzählung. Die Reden sind daher nur ein Kriterium, nicht das Kriterium für die Gliederung. Zwei weitere Gliederungssignale sind die beiden beinahe gleichlautenden Sätze in 4,17 und 16,21, mit denen Mt zuerst die verkündigende Tätigkeit Jesu einleitet und anschließend diese unter dem Vorzeichen des Weges nach Jerusalem und der Passion weiterführt.
Diese beiden Hauptteile lassen sich untergliedern. 4,17-16,20 enthält mit 4,17-11,1 einen ersten Teil, der eher grundlegend Jesus den Leserinnen und Lesern vorstellt und mit dem Jüngerkreis auch die „Rahmenbedingung“ dazu setzt. Diese Darstellung flankiert Mt mit der Bergpredigt und der Aussendungsrede. In 1,2-16,20 vertieft Mt als Erzähler die Konflikte, in die der Messias hineingerät und konturiert so stärker die äußeren Rahmenbedingungen. Die Gleichnisrede, die auch auf unterschiedliche Rezeptionsverhalten gegenüber den Worten Jesu hinweist, unterstreicht diese zunehmende Differenzierung3.
Ab 16,21 ist Jesus auf den Weg nach Jerusalem. 16,21-20,34 stellen einen weiteren Abschnitt da, der durch die drei Leidensankündigungen4 beherrscht wird und in dem Deutungen der Passion und des Dienstes Jesu in den Vordergrund rücken. Dass diese auch auf die Gemeinde(n) wirken zeigt die sog. Gemeinderegel.
Kap 21-25 spielen dann in Jerusalem und erzählen den sich immer weiter vertiefenden Konflikt mit den dortigen Autoritäten. Die letzte Rede Jesu als Endzeitrede ist dem zugeordnet, ehe mit Kap 26-28 die Passions- und Ostererzählungen folgen.
Wer war aber dieser Matthäus? Traditionell wird er mit dem Zöllner Matthäus aus Kap 9,9-13 identifiziert. Dadurch wird er zu einem Jünger Jesu.
Diese Identifikation lässt sich aber nicht halten: Es ist wenig wahrscheinlich, dass ein Zeit- und Augenzeuge eine andere Quelle wie Mk so intensiv genutzt hätte, wie Mt es getan hat.
Was wir über Mt erfahren können, können wir also nur indirekt aus dem Text erschließen. Demnach beherrschte er sowohl das Koinegriechische als auch Hebräisch gut. Er hatte ein gutes Sprachgefühl und war mit dem hellenistischen Judentum so gut vertraut, dass man annehmen muss, dass er selbst aus diesem Umfeld stammt.
Die altkirchliche Tradition, dem Jünger Matthäus die Verfasserschaft zuzuschreiben, beruht auf Papias, einem Bischof von Hierapolis, der um das Jahr 140 eine Sammlung von Traditionen über die Verfasser ntl. Schriften zusammengestellt hat. Die Tradition selbst muss aber wesentlich älter sein und verdankt sich sicher auch der Tatsache, dass Mt Mk nicht ersetzen wollte, sondern zusammen mit ihm in den ersten Gemeinden benutzt wurde. Beide Bücher mussten also durch einen sekundär hinzugefügten Titel unterschieden werden. Dies dürfte bereits sehr bald erfolgt sein.
Er selbst ist ein Autor, der mit seinen Quellen grundsätzlich eher konservativ und vorsichtig umgeht. Obwohl er gerade die Erzählpartien aus Mk häufig radikal kürzt, versucht er doch oft den ursprünglichen Aufbau bis in die Wortwahl zu halten. Sehr wohl kann er aber auch eigene Erzählungen schaffen oder möglicherweise auch vorgefundene mündliche Traditionen verschriften.
Das Mk, das Mt benutzt, muss kurz nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n. Chr. abgefasst worden sein. Im Prinzip ist dann jede Datierung bis zur ersten definitiven Spur5, die das Mt in anderen Schriften hinterlässt, möglich. M.E. spricht aber sehr viel dafür, dass Mt sein Evangelium im unmittelbaren Horizont der Trennung der jungen Gemeinde vom Judentum verfasst hat. Die Auseinandersetzungen wirken sehr heftig und fast emotional und hinterlassen oft den Eindruck, dass sie alles andere als theoretisch sind. So lassen sich meiner Meinung nach auch einige Auseinandersetzungen in Mt am besten verstehen.
Daher sind die späten siebziger oder die achtziger Jahre wahrscheinlich.
Sehr beliebt ist die Verortung im syrischen Raum. Dafür spricht, dass Ignatius von Antiochien Mt zitiert6, aber auch die sonst recht unmotivierte Notiz in Kap 4,24, dass die Nachricht von Jesus sich im ganzen syrischen Raum verbreitet habe7. Dazu würde auch passen, dass für den syrischen Raum ein größeres jüdisches Umfeld vorausgesetzt werden kann und gleichzeitig Kontakt zu heidnischen Bevölkerungsteilen sicher gegeben war8.
Im Blick auf die Gemeinde des Mt fallen sofort zwei Aspekte auf: 1. Mt propagiert und unterstützt die Mission unter nichtjüdischen Gruppen. Zentraler Text hierfür ist unter anderem der sogenannte Missionsbefehl, den Mt ausdrücklich als letzten Auftrag Jesu an die Jünger wiedergibt. Seine Gemeinde ist also für so eine Mission offen. Umso bemerkenswerter ist der zweite Aspekt: Seine ungebrochene Affinität zu jüdischer Tradition und Denkweise. Immer wieder wird sich im Kommentar zeigen, das Mt rabbinische Argumentationsmuster kennt und anwendet. Seine Wertschätzung des Gesetzes zeigt sich am deutlichsten in 5,17. Für Mt ist Jesus nicht das Ende, sondern die Erfüllung des atl. Gesetzes.
Daher steht er für ein Judenchristentum, das gegenüber dem Heidenchristentum offen ist und aus der jüdischen Katastrophe des Jahres 70 einen anderen Weg wählt als das rabbinische Judentum.
Hilfe auf diesem Weg ist ihm womöglich das Mk, das, im syrischen Raum entstanden, den Weg in seine Gemeinde gefunden hat. Mt verbindet diese neue Form „Evangelium“ mit der Spruchquelle Q, die vermutlich vorher schon in seiner Gemeinde bekannt war.
Den Bruch mit dem Judentum pharisäischer Prägung hat die mt Gemeinde grundsätzlich bereits vollzogen. Das muss nicht bedeuten, dass Mt und seine Gemeinde sich nicht mehr als Juden empfunden hätten – immerhin war das antike Judentum auch nach der Katastrophe des Jüdischen Krieges noch hinreichend ausdifferenziert, aber die Distanz war bereits sehr erheblich9. In seiner Härte wirkt dieser Bruch nach und führt Mt so zu manchen harten Aussagen gegenüber dem Judentum. Eine ganze Reihe „harter“ Statements wird sich so wohl nicht rechtfertigen aber doch erklären und erhellen lassen, wie im Folgenden mehrfach zu sehen sein wird. Diese Ablösungswehen erklären aber auch, weshalb Mt sich an manchen Stellen sehr ausführlich Fragen und Aussagen widmet, die die Legitimation Jesu aber auch der Gemeinde belegen wollen. Zudem wusste er sich zumindest innerjüdisch auch in einer Konkurrenzsituation zu pharisäisch geprägten Gemeinden10, was die Breite und Tiefe der Auseinandersetzung mit den Pharisäern zeigt.
Gerade dadurch bleibt auch die Nähe der Gemeinde zum Judentum11 offensichtlich.
Dass Mt überhaupt von Gemeinde 12 spricht, gibt ihm ein Alleinstellungsmerkmal unter den Evangelien. Deutlich wird das am zwar nicht oft gebrauchten aber öfter im Hintergrund stehenden Begriff „Immanuel“ (Gott mit uns, Kap 1,23), der sogar zum Zweitnamen Jesu avancieren kann. Dahinter steht m.E. das Bewusstsein der Gegenwart Gottes in einer Gruppe von Menschen, die dann auch (28,18) einen wesenhaft missionarischen13 Impetus hat.
Dass diese Gruppe keine Idealgemeinschaft darstellt, zeigt Mt an verschiedenen Stellen: Er stellt die Jünger nicht als Idealgestalten dar und kann sie auch als „Wenigläubige“ bezeichnen; er weiß, dass die Gemeinden kein reines Ackerfeld sind (13,3643;22,8-14); er besteht auf zwischenmenschliche Vergebung (6,14) und weiß also um Verfehlungen aneinander.
Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb ruft Jesus diese Gemeinde dazu, Jünger zu werden14 und andere in das zu rufen, was er als „Nachfolge“ bezeichnet. Was er über die Jünger und deren Nachfolge erzählt ist für ihn Auftrag an seine Gemeinde(n)15.
Selbstverständlich setze ich für die Entstehung des Mt die Zweiquellentheorie voraus. Mt benutzt das Mk und die Spruchquelle Q. Seine Version von Q hat sich vermutlich etwas von der Q-Version, die Lk vorlag, unterschieden. Das gilt möglicherweise auch für seine Version des Mk16.
Q war ursprünglich eine Quelle, die fast ausschließlich Spruchgut Jesu enthielt, möglicherweise im galiläischen Raum verfasst worden ist und durch zwei spätere Redaktionsstufen gegangen ist17.
Fraglich ist sein Sondergut. An manchen Stellen könnte es sein, dass Mt auf schriftliche Vorlagen zurückgreifen konnte18. An vielen Stellen lässt sich aber auch gut mit der Hypothese eine Erstverschriftlichung durch Mt arbeiten. Das bedeutet aber wiederum, dass die (mündliche) Tradition seiner Gemeinde für Mt ebenfalls eine Quelle war.
Ob Mt durch sein Evangelium das Mk ersetzen wollte und wie er selbst zu seiner Quelle Mk stand, wird in der Forschung heftig diskutiert19. Grundsätzlich ist hier nicht der Ort, um zu erwägen, ob Mt eine Eliminierung des Mk beabsichtigte oder „nur“ einige Ergänzungen vornehmen wollte. In jedem Fall aber hat er deutlich andere Akzente in seiner narrativen Wiedergabe des Mk-Stoffes gezeigt. Dies zeigt sich v.a. in seinem Gesetzesverständnis, aber auch in seiner Christologie20 und seiner Darstellung des Jüngerkreises21. Sicher war ihm aber die Einarbeitung der Spruchquelle Q, die ja dann auch wirklich im Gegensatz zu Mk von den Evangelien verdrängt worden ist, ein Anliegen. Allein dadurch ergaben sich weit größere Verschiebungen in der Gesamtdarstellung.
Grundsätzlich weiß ich mich als Verfasser der historisch kritischen Methode verpflichtet. Sie ist für mich der adäquate Zugang zum ursprünglichen Sinn der Texte, ohne damit behaupten zu wollen, dass es uns als Epigonen möglich wäre diesen Sinn wirklich und in aller Tiefe zu umfassen. Aber als Methode – also als „Nachgehen eines Weges“ – ist sie für mich der Versuch, diese Texte in ihrem ursprünglichen Sinn zu Wort kommen zu lassen und ihre Worte nicht im Vorhinein durch mein Vorverständnis zu überhören. Sie ist für mich Verteidigung des Wortes und nicht Angriff auf das Wort.
Als Gemeindepfarrer wende ich diese Methode gerade deshalb nicht um ihrer selbst willen an. Ich betrachte meinen Kommentar nicht als Predigt mit anderen Mitteln, sondern als eine Verstehenshilfe für Menschen, die mehr über Mt und seine Welt, über seine Art zu denken und die Botschaft von Jesus Christus zu erzählen, erfahren wollen. Wenn dann gelegentlich daraus Früchte für die eine oder andere Predigt oder Bibelarbeit, Andacht oder auch nur für eine Gesprächsrunde entstehen, wäre ich zufrieden und ich denke, Mt wäre es auch.
Eine besondere Rolle spielen dabei zentrale Texte, die einen breiteren Rahmen in der Auslegung einnehmen werden. Das sind zum einen Abschnitte, die in besonderer Weise das Proprium des Mt zum Ausdruck bringen. Mit diesen Texten lenkt Mt – vielleicht auch in Auseinandersetzung mit seinen Quellen – den Fokus seiner Art und Weise, die Geschichte Jesu von Nazareth zu erzählen. Es sind bisweilen nur Stichworte, wie die Bezeichnung „Immanuel“ für Jesus oder die gezielte Wiederholung bestimmter Sätze an Gelenkstellen des Makrotextes.
Dazu gehören aber auch regelrechte Theologumena wie die Ausweitung der Mission über das jüdische Volk hinaus direkt aus dem Mund Jesu oder seine besondere Sicht von der Gestalt des Petrus, die mich ausführlicher beschäftigt haben und daher in der Darstellung einen größeren Raum bekommen haben.
Natürlich zählen dazu auch die fünf großen Redekomplexe, in denen Mt geballt seine Theologie als Rede darstellt. Allen voran die Bergpredigt.
Es ist kein Zufall, dass ein großer Teil dieser Texte auch im Leben der Kirche, vor allem in der Ordnung der Predigttexte eine Rolle spielt. An dieser Stellen findet dann auch, soweit es mir möglich war, eine Auseinandersetzung mit der Tradition statt, um auch einen Blick dafür zu gewinnen, wie diese Texte in der Kirchengeschichte ausgelegt, weitergedacht, verstanden, missverstanden oder aktualisiert wurden.
An einigen Stellen habe ich durch kleine Exkurse diese Linie noch weitergezogen. Einmal, um besondere wirkungsgeschichtliche Linien auszuziehen und auch auf diese Weise indirekt wieder ein Licht auf Mt selbst, aber auch auf unseren eigenen Glauben zu gewinnen. Zum anderen aber auch, um über den Text hinaus größere gesamtbiblische Linien betrachten zu können.
Mt und die Kunst wäre sicher ein Thema für einen eigenen Kommentar. An einigen wenigen ausgewählten Stellen habe ich versucht auch von dieser Seite aus einen Zugang zu Mt, seinen Texten und der Wirkungsgeschichte zu finden. Diese wenigen Beispiele ließen sich mit Sicherheit um viele vermehren. Sie sollen einerseits zeigen, wie Mt und seine Texte in späterer Zeit verstanden und ausgedrückt wurden. Sie sollen aber auch zeigen, dass die Interpretationsgeschichte des Mt und damit der Worte und Taten Jesu nicht mit der Abfassung der Evangelien geendet haben. In vielerlei Hinsicht sind gerade die „Bild gewordenen Texte“ Fortschreibung des Evangeliums. Damit haben diese Künstler aber faktisch nichts anderes getan als Mt auch: Das Evangelium für ihre Zeit und ihre Leute neu formuliert.
Nicht zuletzt mögen vielleicht gerade diese Exkurse auch ein Weg sein, auf Mt noch einmal anders zuzugehen, als es der Theologe für gewöhnlich tut.
Im Einzelnen bedeutet das, dass ich nicht jeden methodischen Schritt darstelle, sondern mich auf die Schritte beschränke, die am jeweiligen Text wirklich einen Erkenntnisbeitrag leisten. Bei der Textkritik, der Methode, die versucht aus den verschiedenen alten Handschriften den (wahrscheinlichsten) Urtext zu rekonstruieren, habe ich mich nur auf die ganz wenigen Stellen beschränkt, die echte Alternativen bieten und auch den Sinngehalt unter Umständen verändern könnten. Die Literarkritik spielt nur dort eine Rolle, wo Mt wirklich deutlich von seinen Quellen abweicht und neue Akzente setzt. Die Redaktionskritik, also die Methode, die darstellt, wie der Verfasser seine einzelnen Erzähl- und Redestücke zusammensetzt und wie er mitunter Bindeglieder an Schaltstellen setzt, wird an den entsprechenden Stellen berücksichtigt. Die Traditionsgeschichte, die die Aufgabe hat, größere Linien durch die theologische Gedankenwelt und über die beiden Testamente, die Jahrhunderte und in die zeitgenössische Umwelt hineinzuziehen, spielt am ehesten bei bestimmten Begriffen und gelegentlich auch bei atl. Zitaten eine Rolle.
Insgesamt ist für mich der mt Gesamttext ausschlaggebend. Ich würde das aber selbst nicht als „canonical approach“ bezeichnen, da ich in den oben genannten traditionsgeschichtlichen Linien, aber auch in der Art der mt Komposition selbst durchaus einen theologisch wertvollen und damit relevanten Weg, Theologie zu treiben und die Wahrheit Gottes eigenständig auszudrücken, erkenne und anerkenne.
Ich würde meine Methode auch nicht als „nachkritisch“ bezeichnen, da ich es mir nicht erlauben will, die Bibel trotz aller methodischen und kritischen Arbeitsschritte, plötzlich wieder im Literalsinn wörtlich zu nehmen. Dazu ist mir der gedankliche Weg und die kreative Leistung, die Mt und mit ihm auch alle anderen biblischen Autoren vollbracht haben, zu wertvoll. Dieser gedankliche Weg, der durch die Methoden, sei es als Geschichte des Textes, als Geschichte der Redaktion des Evangeliums oder als Geschichte der Tradition durch die Zeiten hindurch geht, ist selbst schon theologische Wahrheit, hinter die wir nicht zurückgehen können. So relativ und hinterfragbar diese Wahrheit auch immer sein mag: Das war theologische Wahrheit aber immer und zu allen Zeiten und wird es auch bleiben, bis Gott selbst allem theologischen Raten ein Ende setzen wird.
Nachkritisch kann mein Denken auch deshalb nicht sein, weil eine wörtliche Auslegung des Textes viele mögliche andere Deutungen ausschließt. Wer Jesus wörtlich über den See wandeln lässt, der schließt nicht nur all diejenigen aus, die dies nach der Aufklärung nicht nur nicht mehr glauben wollen, sondern einfach nicht glauben können, sondern der schließt streng genommen auch sich selbst aus, weil er die eigentliche Deutung und Bedeutung für sich selbst nicht erschließen kann: dass Jesus als der Auferstandene jederzeit und überall über die Wellen meines Sees auf mich zu kommt und wohl auch mich Weniggläubigen heißt, über meine Wellen zu gehen. Es geht bei solchen – früher hätte man gesagt „mythologischen“ - Aussagen um die Bedeutung heute für uns und nicht um eine - wie auch immer - zu beweisende Historizität. Daher werde ich mich bei solchen Fragen, auch bei Fragen nach dem historischen Jesus und der sogenannten Authentizität seiner Worte immer zurückhalten. Nicht nur weil ich meine, dass solche Aussagen letztlich nur einen mehr oder minder großen Grad an Wahrscheinlichkeit beinhalten, sondern auch, weil sie nicht danach fragen, was die Worte und Taten, ja die Person Jesus heute für uns bedeuten. Ja, weil sie diese Frage vielleicht sogar manchmal verstellen können.
1 Buch der Werdung Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.
2 Abraham zeugte Isaak, Isaak aber zeugte Jakob, Jakob aber zeugte Juda und seine Brüder, 3 Juda aber zeugte Perez und Sera mit Tamar, Perez aber zeugte Hezron, Hezron aber zeugte Aram, 4 Aram aber zeugte Aminadab, Aminadab aber zeugte Nachschon, Nachschon aber zeugte Salmon, 5 Salmon aber zeugte Boas mit Rahab, Boas aber zeugte Obed mit Ruth, Obed zeugte Isai, 6 Isai aber zeugte David, den König.
David aber zeugte Salomon mit der Frau des Uria, 7 Salomon aber zeugte Rehabeam, Rehabeam aber zeugte Abia, Abia aber zeugte Asaf, 8 Asaf aber zeugte Joschafat, Joschafat aber zeugte Joram, Joram aber zeugte Usija, 9 Usija aber zeugte Jotam, Jotam aber zeugte Ahas, Ahas aber zeugte Hiskija, 10 Hiskija aber zeugte Manasse, Manasse aber zeugte Amos, A-mos aber zeugte Joschija, 11 Joschija aber zeugte Jechonja und seine Brüder zur Zeit der Verbannung nach Babylon.
12 Nach der Verbannung nach Babylon aber zeugte Jechonja Schealtiel, Schealtiel aber zeugte Serubbabel, 13 Serubbabel aber zeugte Abihud, Abihud aber zeugte Eljakim, Eljakim aber zeugte Azor, 14 Azor aber zeugte Zadok, Zadok aber zeugte Achim, Achim aber zeugte Eliud, 15 Eliud aber zeugte Eleasar, Eleasar aber zeugte Mattan, Mattan aber zeugte Jakob, 16 Jakob aber zeugte Josef, den Mann Marias, aus welcher Jesus gezeugt wurde, der Christus genannt wird.
17 Alle Generationen nun von Abraham bis David sind vierzehn Generationen, und von David bis zur Verbannung nach Babylon sind vierzehn Generationen und von der Verbannung nach Babylon bis zu Christus sind es vierzehn Generationen.
Vers 1 hat den Charakter einer Überschrift. Es stellt sich die Frage, ob er eine Überschrift über den folgenden Abschnitt oder für das ganze Buch sein will.
Die Verse 2-16 sind eine Genealogie, wie sie ähnlich in alttestamentlichen Texten vorkommt22. Solchen Geschlechtsregistern ist sie nachgestaltet und teilt ihre Monotonie. Umso auffälliger sind die Abweichungen:
in 2c die Erwähnung der Brüder neben Juda, während sonst in der Regel nur der nächste „Erzeuger“ genannt wird. Die Brüder werden erwähnt, weil sie als Erzväter der Stämme Israels eine besondere Würde haben.
Ebenso wird in 3a Serach als Bruder genannt, weil es sich um eine Zwillingsgeburt handelt.
In 3a wird zudem erstmals eine Frau erwähnt: Tamar.
Ebenso in 5 zwei Frauen: Rahab und Ruth.
Vers 6a fällt aus der Reihe, weil David ausdrücklich als König klassifiziert wird und
in 6b taucht wieder eine Frau auf. Doch Batseba wird als einzige in dem Stammbaum nicht namentlich gekennzeichnet, sondern nur als „Frau des Uria“.
V11 erwähnt wieder die Brüder und bietet eine Zeitangabe.
Ebenso Vers 12.
V16 schließt die Genealogie ab, indem Josef als der
„Mann Marias“ gekennzeichnet wird und schließlich Jesus benannt wird, als der, der aus Maria gezeugt wurde.
Vers 17 kommentiert diese Genealogie.
Für die Gliederung ergibt sich daraus:
V1 Überschrift
V2-6a Genealogie von Abraham bis zur Entstehung des Königtums bzw. bis zu David als dem Inbegriff des Messias.
V6b-12 Genealogie der Könige Israels bzw. Judas bis zum Exil.
V12-16 Genealogie nach dem Exil bis zu Jesus.
V17 Deutung der Liste.
1,1-17 hat in Lk 3,23-38 ein entsprechendes Gegenstück, das aber in der Hauptsache vom mt Stammbaum abweicht23. Die Ableitung des Lukas erfolgt nicht über den Davidssohn Salomo, sondern über seinen Sohn Natan, der in 2. Sam 5,15 erwähnt wird und über den sonst in der biblischen Überlieferung nichts bekannt ist.
Außerdem führt Lukas den Stammbaum über Abraham hinaus bis auf Adam zurück und stellt ihn in einen weltgeschichtlichen Kontext.
Matthäus stellt Jesus im Gegensatz dazu als einen Sohn Abrahams, als einen Israeliten dar. Außerdem sieht er ihn nicht nur als einen Sohn Davids an, sondern stellt ihn in die direkte Nachfolge der Könige Judas mit Serubbabel als letzter historisch halbwegs greifbarer Gestalt.
Mt benutzt für seine Einleitung einen klassischen Topos aus der atl. Tradition. Genealogien werden im AT an vielen Stellen verwendet. Dabei erfüllen sie mehrere Funktionen:
Sie sollen eine Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellen.
Sie sollen die Legitimation einer historischen Gestalt oder Gruppe unter Beweis stellen.
Sie stellen Heilsgeschichte dar und rücken damit eine (meist bereits selbst historische) Gegenwart ins Licht dieser Heilsge schichte.
Generell lässt sich sagen, dass in diesen Genealogien historische Fakten und Fiktion ineinanderfließen. Sie sind vielleicht das literarisch greifbarste Beispiel dafür, wie in der biblischen Geschichtsdarstellung Fakten und theologische Deutung ineinandergreifen.
Den Verfassern dieser Genealogien muss klar gewesen sein, dass sie hier überliefertes Wissen mit eigener Fiktion kombinieren. Aber ihnen geht es nicht darum, Fakten zu überliefern, sondern darum Gegenwart (auch vergangene Gegenwart) zu deuten und in einen (neuen) Sinnzusammenhang zu stellen.
Mt hat mit Sicherheit einen Teil seiner Genealogie aus der Tradition übernommen, um ihn anschließend selbst zu bearbeiten. Ein deutliches Zeichen für seine Bearbeitung findet sich in seiner „Unterschrift“ zu 1-16. In V17 teilt er die Genealogie in drei Abschnitte zu je vierzehn Generationen ein. Dies funktioniert allenfalls dann, wenn die Könige David und Joschija jeweils doppelt gezählt werden24. Zumindest für Joschija aber halte ich das für zweifelhaft, da erst nach ihm der entscheidende Einschnitt (das Exil) folgt. Außerdem fallen drei Könige (Ahasja, Joas und Amazja) aus dem Stammbaum heraus.
Diese Auslassung muss aber bereits vorher geschehen sein. Auf Mt kann sie nicht zurückgehen, da er – um sein Vierzehner-Schema zu erhalten – noch auf einen weiteren König hätte verzichten müssen.
Am wahrscheinlichsten ist, dass der Stammbaum in irgendeiner Form Mt bereits vorlag. Möglicherweise hat er selbst mit V17 eine heilsgeschichtliche Deutung vorgelegt. Auch die Erwähnung der Frauen könnte auf ihn zurückgehen, obwohl sich aus dem weiteren Evangelium kein Rückbezug dazu herstellen lässt. Wichtig ist ihm, Jesus als Davididen und als Sohn Abrahams zu verstehen.
V1 Auffällig ist der Ausdruck (Buch der Werdung oder Entstehung), den Mt benutzt. Der Ausdruck ist atl25. Er passt als Überschrift eher zu 1,1-1726 und entspricht dem hebräischen sefär toledot. Stammbaum ist als Übersetzung sicher möglich. Eher geht es aber um einen Herkunftsnachweis, also um ein „Geschlechtsregister“27. Die Seitenverzweigungen, die zu einem Stammbaum gehören würden, interessieren hier nicht. Ziel ist es, nicht die Fülle der Vorfahren, sondern die Herkunft des Einen aufzuzeigen.
Der Überschriftcharakter zeigt sich darin, dass die mt Zielvorstellung, Jesus als den Sohn Abrahams aus dem Hause Davids zu erweisen, sofort benannt wird. Mit Christus und Sohn Davids werden bereits zu Beginn zentrale christologische Hoheitstitel eingeführt. Für eine Legitimation Jesu als Messias würde diese Davidssohnschaft28 ausreichen. Beide Titel sind faktisch gleichbedeutend29.
Dass Mt ausdrücklich seinen Stammbaum mit Abraham beginnt, weist darauf hin, dass er mehr sagen will. Abraham gilt im Judentum als „Vater der Proselyten“. Wer immer auch als Nichtjude in Beziehung zum Gott Israels tritt, der gilt als Sohn Abrahams30. Mt denkt hier möglicherweise schon im ersten Satz seines Evangeliums daran, dass sein Konzept von Gemeinde sich nicht nur an die Kinder Israels, sondern auch den Heiden zuwendet, die so ebenfalls zu „Abrahamskindern“ werden.
Der Christustitel zeigt an, dass Jesus für Mt zunächst eine eminent wichtige innerjüdische Bedeutung hat. Er ist der Messias für dieses Volk31. Seine Schriftzitate werden später in genau diese Richtung weisen32.
V2-6a Der Stammbaum bis David läuft normal über die atl. Tradition. Auffällig ist, dass bei der Zeugung Judas dessen Brüder mit genannt werden. Dadurch wird Israel in seiner Gesamtheit in Erinnerung gerufen33. Dass neben Perez auch sein Bruder Serach genannt wird, mag daran liegen, dass es sich um Zwillinge handelt.
Bemerkenswerter sind die Frauen, die Mt ausdrücklich in seinem Stammbaum mit erwähnt34. Er setzt vermutlich voraus, dass seine Leser zumindest ansatzweise die biblische Geschichte kennen. Die Umstände von Tamars Schwangerschaft werden in Gen 38 erzählt. Diese Erzählung handelt von der List der Schwiegertochter Judas, wie diese durch ihren Schwiegervater doch noch zu Söhnen und damit zu ihrem Recht kommt. Mit Rahab und Ruth werden zwei Ausländerinnen im Stammbaum erwähnt35. Mt sagt damit, dass bereits in den Anfängen der Heilsgeschichte die Grenze zwischen Israel und den Heiden aufgerissen wurde. Darüber hinaus handelt es sich bei Rahab um eine Prostituierte und Tamar verkleidet sich als eine solche. Auch die moralischen Umstände dieser Beziehungen klingen also für den Leser an.
V6b-11 Batseba wird nur als Frau des Uria erwähnt36. Hier mischt sich ausgerechnet beim Idealkönig David der größte Makel in den Stammbaum: neben dem Ehebruch auch der Mord an Uria. Die Auslassung der drei Könige ist vermutlich rein zufällig entstanden. Mit V11 erwähnt Mt den entscheidenden Einbruch in der Geschichte Israels.
V 12-16 Hier verlässt Mt die atl. Überlieferung. Eine Quelle für die Informationen, die er hier liefert, gibt es nicht. 16b macht durch das Passiv bereits deutlich, dass Josef nicht im herkömmlichen Sinn als Vater Jesu zu verstehen ist. Jesus ist der, der „der Christus genannt wird“.
V17 Hier fasst Mt seinen Stammbaum zusammen und interpretiert ihn. Ob die Zahl vierzehn dabei eine bestimmte Bedeutung hat, lässt sich nicht feststellen.
18 Die Geburt Jesus Christi aber geschah folgendermaßen. Seine Mutter Maria war mit Josef verlobt. Ehe sie aber heirateten fand es sich, dass sie schwanger war, vom Heiligen Geist. 19 Josef aber, ihr Mann, war gerecht und wollte sie nicht bloßstellen; er wollte sich in Stille von ihr trennen. 20 Während er das aber überlegte, erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht! Nimm Maria zu deiner Frau! Denn, das, was in ihr entstanden ist, kommt vom Heiligen Geist. 21 Sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. Denn er wird retten sein Volk aus seinen Sünden. 22 Das ganze aber geschah, damit erfüllt wird das Wort des Herrn durch den Propheten:
23Siehe die Jungfrau wird schwanger und wird einen Sohn gebären und sein Name wird sein Immanuel.
Das heißt übersetzt: „Gott mit euch.“
24 Als Josef aber aufgewacht war vom Schlaf, tat er, was ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich, 25 schlief aber nicht mit ihr, bis sie einen Sohn geboren hatte! Und er nannte seinen Namen Jesus.
Mit V18 setzt die eigentliche Erzählung ein. Sie beginnt mit einem Bericht in dem Josef die Hauptrolle spielt. 20b setzt die wörtliche Rede des Engels ein, die stark an atln. Vorbildern orientiert ist. Ihr Ende ist nicht genau gekennzeichnet. V22f ist aber inhaltlich bereits eine Deutung des Gesagten. Bewusst spielt Mt mit der Möglichkeit, dass diese Deutung auch aus dem Munde des Engels sein könnte. V23 zitiert Jes 7,14 nach der LXX37. V24f berichtet über den Gehorsam des Josef. Mit 2,1 setzt eine neue Erzählung ein.
Der Stil der Erzählung ist recht unspektakulär. Das, was die Geschichte eigentlich erzählen will oder was die Leser erwarten könnten, wird gerade nicht erzählt. Im Grunde genommen geht es „nur“ um eine Engelserscheinung und den Gehorsam des gerechten Josef und eben nicht um die Geburt Jesu.
Was die Geschichte stattdessen bietet, ist eine christologische Belehrung. Der Engel kündet die Jungfrauengeburt an und befiehlt die Namensgebung. Dann deutet er das Geschehen mit Hilfe des Jesajazitats, gibt aber einen anderen Namen an. Dieses „Immanuel“ ist für Mt von besonderer Bedeutung. Der Begriff wird mehrfach in seinem Evangelium auftauchen. Vor allem: Sein Evangelium endet mit genau dieser Verheißung (28,20). Er stellt Jesus also als „Gott mit uns“ an dieser Stelle vor.
Der größte Teil der Perikope ist redaktionell. Das zeigen die vielen Matthäismen im Text an. 18 schließt an V 16 an. Das Zitat aus Jes 7,14 taucht nur hier im ganzen NT auf. dürfte auf die Hörer bzw. Leser abgestimmt sein: „Man“ nennt Jesus den Immanuel. So bezeichnet ihn die Gemeinde des Matthäus38.
Mt hat diese Perikope weitgehend selbst formuliert. Möglicherweise hatte er dazu aber bereits eine mdl. Vorform, die die Namensgebung Jesu zum Thema macht, überarbeitet.
V18 Hier setzt Mt mit seiner eigentlichen „Geburtsgeschichte“ ein. Er erzählt von Josef und seiner Verlobten Maria. Verlobung meint in diesem Fall, dass der Brautpreis und die mit der eigentlichen Heirat verbundenen Modalitäten bereits geklärt sind. Bemerkenswert ist, dass Mt an den äußeren Umständen keinerlei Interesse zeigt. Weder werden Eltern genannt noch ein Ort, an dem sich die Szene überhaupt abspielen soll.
Den eigentlichen „Skandal“ der Geschichte erzählt er mit einem lapidaren Satz: „Maria war schwanger vom Heiligen Geist“. Über ein Wie macht Mt sich keine Gedanken. Die Jungfrauengeburt ist für ihn eine Selbstverständlichkeit, die er ohne Details erwähnen kann. Was das faktisch bedeutet, erklärt er aus Sicht des Mannes Josef. Der versucht nämlich, auf elegante Art und Weise aus der Sache herauszukommen.
Zuvor aber stellt sich die Frage, was Josef eigentlich genau über die Schwangerschaft seiner Verlobten gewusst hat, bzw. wie Mt sich das Vorwissen des Josef vorstellt. Hierüber gibt es eine Kontroverse, die sich interessanterweise ziemlich genau an den Konfessionsgrenzen orientiert. Hat Josef gewusst, dass die Schwangerschaft Marias vom Heiligen Geist kommt und hat sich sein Bestreben, die Verlobung zu lösen, an seiner Ehrfurcht vor Gott orientiert? Oder ging er schlicht von einem Bruch des Verlöbnisses seitens Marias aus und hat sich dann aus Scham aus der Beziehung lösen wollen?
Die meisten katholischen Exegeten gehen davon aus, dass Josef um die Heiligkeit dieser Geburt wusste und Maria aus Ehrfurcht vor dem entstehenden göttlichen Leben verlassen wollte. Dafür spricht vor allem das „Fürchte dich nicht…“ seitens des Engels. Josef fürchtet sich demzufolge, Maria als Frau zu nehmen, da sie ja direkt in Verbindung zum heiligen Gott Israels steht.
Dagegen spricht, dass der Engel Josef in V 20b dann Informationen geben würde, die dieser schon weiß. Die (protestantische) zweite Hypothese ist daher weitaus wahrscheinlicher.
Josef hat zwei Möglichkeiten, die Trennung zu vollziehen: einen förmlichen Ehebruchsprozess oder die Ausstellung eines Scheidebriefes. Da ein Scheidebrief lediglich zweier Zeugen bedarf, ist dieser weniger auffällig und Josef entscheidet sich für diese Möglichkeit. Darin besteht dann seine Gerechtigkeit. Er gibt Maria nicht der öffentlichen Schande eines Prozesses preis.
V20f Die Erscheinung des Engels erfolgt nachts im Traum und wird nicht weiter beschrieben. Die Anrede geschieht in der üblichen Weise, die dem alttestamentlichen Frommen einerseits die Angst vor der Begegnung mit dem Göttlichen nehmen soll und ihm andererseits auch Mut machend auf die zu empfangende Weisung vorbereitet39. Dass das Kind vom Heiligen Geist gewirkt ist, verweist auf die kreative Kraft Gottes in und bei der Schöpfung. Geschlechtlich sexuelle Gedankengänge schließen sich dabei völlig aus. Josefs Auftrag besteht darin, Maria zu sich zu holen und das Recht des Vaters, den Namen zu geben, in Anspruch zu nehmen. Faktisch dient er dabei als Mittler, denn die eigentliche Namensgebung geschieht durch Gott, der seinen Boten den Namen nennen und begründen lässt. Jeschua bedeutet so viel wie „Gott hilft“ und die deutenden Worte der Engelserscheinung beziehen es auf die Rettung des Volkes aus seinen Sünden.
Auffällig ist das Medium der Erscheinung, dessen Mt sich bedient. Die Formulierung (im Traum) kommt im ganzen NT nur bei ihm vor40. Darüber hinaus spielen Träume nur in der Apg eine Rolle. Möglich ist, dass Mt diese Form der Mitteilung göttlichen Willens benutzt, weil es im AT bereits einen anderen Josef gibt, der ein „Träumer“ ist. Zumal für Mt ja auch Ägypten in seinem Evangelium bzw. seiner Variante der Kindheitserzählungen Jesu von Bedeutung ist und hier auch die politische Dimension eine Rolle spielt.41 Möglicherweise scheint ihm diese Form der Willenskundgabe das passende Medium zu sein, um auszudrücken, dass Gott in diesem Kind sein Volk auf wunderbare Weise führt.
Die Namensgebung deutet der Engel sofort messianisch. Dass Gott sein Volk durch einen Messias rettet, ist eine geläufige Vorstellung. Aber der Zusammenhang mit Rettung aus Sünden ist ein spezifisch mt Interesse. Jüdische Texte sprechen davon, dass die Sünder vertilgt werden, es gibt aber unterschiedliche Aussagen darüber, ob die messianische Zeit mit oder ohne Sünden zu denken sei. Von einer Vergebung der Sünden ist an keiner Stelle die Rede42.
Ob die Namensgebung Jeschua sich auf Josua bezieht, bleibt offen. Auszuschließen ist es nicht, doch wird nirgends im Neuen Testament eine Linie in diese Richtung gezogen. Die wörtliche Wiedergabe des Namens als „Gott hilft“ oder „Gott rettet“ steht allerdings im Duktus der durch den Engel angegebenen Deutung.
V22f Bewusst unterbricht Mt die Erzählung mit der Einfügung eines Reflexionszitates, wobei er ebenso bewusst offen lässt, ob dieses Zitat nicht doch aus dem Mund des Engels stammt. Jes 7,14 wird wörtlich nach der LXX zitiert. Das hebräische alma meint ursprünglich eine junge Frau im heiratsfähigen Alter43. Doch schon die LXX gibt alma mit (Jungfrau) wieder. Seinen Ursprung dürfte die christologische Verwendung des Zitates in der hellenistisch-judenchristlichen Gemeinde haben44, die aus der LXX heraus diese Stelle messianisch gedeutet und auf Christus bezogen hat45. Durch das für Reflexionszitate unübliche 46 (das Ganze) zeigt Mt, dass er dieses Zitat auf die ganze Geburtsgeschichte bezogen wissen will. Dass Jesus Immanuel heißen wird, ist ein Spezifikum des Mt und steht in Spannung zu V20, aber auch in Spannung zur Wirklichkeit. Jesus heißt definitiv nicht so, aber Mt nutzt die Jesajavorlage, um das Wirken Jesu zu deuten: In diesem Menschen ist Gott wirklich mit seinem Volk. Das „Gott ist mit uns“ zieht sich als Leitfaden durch sein Evangelium. Vor allem nimmt er es in 28,20 mit dem letzten Satz auf und schafft so eine Verbindung zum Ende des Werkes und zur Gegenwart seiner Gemeinde. In Jesus ist Gott mit uns. So ist Gott inmitten seiner Leute.
23f Mt schildert nur knapp den Gehorsam des Josef. Dass Josef seine Frau aber auch nach der Überführung in sein Haus nicht berührte, dient nur der Klarstellung, dass Jesus wirklich der Sohn Gottes ist. Die Frage, ob die Jungfrauenschaft Marias auch nach der Geburt Jesu anhält, stellt sich Mt nicht47. Solche Gedanken dürften ihm auch völlig fremd sein.
1 Als aber Jesus geboren worden war in Bethlehem in Judäa in den Tagen des Königs Herodes, siehe da kamen Magier von Sonnenaufgang nach Jerusalem. 2 Die fragten: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Denn wir haben seinen Stern gesehen im Sonnenaufgang und sind gekommen, ihn anzubeten.“ 3 Als aber der König Herodes das hörte, geriet er in Aufregung und ganz Jerusalem mit ihm. 4 Und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Landes und fragte sie aus, wo der Christus geboren werden würde. 5 Die aber sagten zu ihm: „In Bethlehem in Judäa! Denn so steht geschrieben durch den Propheten:
6 Und du Bethlehem im Land Judäa
keineswegs bist du klein unter den Fürsten Judas!
Denn aus dir wird kommen der Fürst,
welcher mein Volk Israel weiden wird!
7 Da rief Herodes heimlich die Magier und forschte sie aus über die Zeit der Erscheinung des Sternes. 8 Und er sandte sie nach Bethlehem und sagte: „Geht, damit ihr genau herausfindet, was mit dem Kind ist! Wenn ihr es gefunden habt, berichtet mir, damit auch ich kommen und es anbeten kann.“ 9 Als sie nun den König gehört hatten, machten sie sich auf und siehe, der Stern, welchen sie im Sonnenaufgang gesehen hatten, ging ihnen voraus bis er stand an dem Ort, wo das Kind war. 10 Den Stern sehend wurden sie hoch erfreut 11 und gingen in das Haus und sahen das Kind mit Maria, seiner Mutter und sie fielen nieder und beteten es an und öffneten ihre Schätze und schenkten ihm Gold und Weihrauch und Myrrhe. 12 Und Gott warnte sie im Traum, nicht zu Herodes zurückzukehren, so dass sie auf einem anderen Weg wieder in ihr Land zurück zogen.
Textkritisch sei hier auf eine kleine Unregelmäßigkeit zur Lutherübersetzung hingewiesen. Luther übersetzt in V11 mit einigen lateinischen Textzeugen „und sie fanden“ das Kind48. Diese Variante ist möglicherweise aus der Hirtenszene der lk Weihnachtserzählung herübergewandert. Motiv für diese Beeinflussung des Textes durch Lk ist der Gedanke, dass jeder Mensch das Kind finden muss oder soll. Mt sagt hingegen: Der Christus ist einfach da.
V1 ist der redaktionelle Übergang, den Mt für diese Geschichte schaffen musste. Im Grunde genommen ist sie die einzige „Geburtsgeschichte“ bei Mt, der die Geburt Jesu nur hier schildert. Schon im zweiten Teil des Verses kommt er auf das zurück, was ihm eigentlich wichtig ist. Mit „siehe“ markiert er den Neueinsatz und führt die Magier als neue Protagonisten ein.
Die Geschichte erwähnt den Aufgang eines Sternes im Osten, spielt aber in ihrem Hauptteil in Jerusalem. V6 führt Mi 5,1.3 als Zitat ein. Das Zitat ist unvollständig und bezieht sich in erster Linie auf Mi 5,1. Das Stichwort (weiden, behüten) stammt aus V3.
Daraufhin sendet Herodes die Magier nach Bethlehem. Erst in Vers 9 tritt der Stern als Führer der Magier auf und führt sie in das Haus, in dem sie das Kind mit seiner Mutter finden. Josef, Hauptperson der vorherigen und der folgenden Geschichte, findet keine Erwähnung. Wohl aber taucht das Motiv „Traum“ auch an dieser Stelle wieder als Medium der Mitteilung des Gotteswillens auf. Erst im folgenden Vers 13 spielt Josef, wieder als Träumender, eine Rolle.
Mt nimmt hier atl. Motive auf. Jes 60,3.6 stehen im Hintergrund. Gold und Weihrauch werden als Geschenke gebracht. Jes 60,3 hat später sicher „mitgeholfen“ aus den Magiern Könige zu machen. Das Motiv der Völkerwallfahrt taucht an verschiedenen atl Stellen auf49. Für Mt ist das Motiv eine Legitimation dafür, dass seine Gemeinde sich verstärkt den Heiden zuwendet: Noch bevor seine israelitischen Landsleute zu diesem Kind kommen, sind die Magier aus dem Osten da und erfüllen proleptisch die Weissagung vom Kommen der Heiden. Was am Ende des Evangeliums zum Auftrag an die Jünger wird, ist hier schon vorab verwirklicht.
Magier als erste Anbeter scheinen trotzdem ungewöhnlich. Möglicherweise steht eine Gesandtschaft parthischer Magier, die im Jahr 66 n. Chr. zu Nero nach Neapel gekommen sein soll und von der mehrfach berichtet wird, im Hintergrund.50 Bultmann mutmaßt einen Hintergrund im arabischen Kult eines Gottes Duares, dessen Geburt von einer jungfräulichen Mutter mit „Gaben wie Münzen, Salben und Räucherwerk gefeiert“ wird51.
Das Sternmotiv soll auch bei der Geburt Abrahams eine Rolle gespielt und für König Nimrod eine Gefahr dargestellt haben52. Deutlicher aber ist noch die Parallele zu Mose, der von Pharao bedroht wird53. Allerdings gibt es auch sonst in der Antike vielfältige Belege für die Bedrohung eines neugeborenen künftigen Herrschers durch den alten König. Möglicherweise steht auch Num 24,17 im Hintergrund: Ein Stern, der aus Jakob aufgeht54.
Was es mit diesem Stern wirklich auf sich hat, trägt für die Auslegung wenig aus. Mt ging es um einen einzelnen Stern, der die Magier auf wunderbare Weise genau zu dem Haus, in dem sie das Kind fanden, geführt hat. Schon diese Führung ist dann allerdings mit einer Art „Aussetzer“ des Sterns kombiniert, durch den sie an den Hof des Herodes als Zwischenstation gelangen, die dann zur Einfügung des Erfüllungszitates aus Mi 5 genutzt wird. Der Stern hat einerseits eine begrenzte Wegweiserfunktion für die Magier. Darüber hinaus zeigt er aber auch an – und das ist seine eigentliche theologische Bedeutung – dass die Geburt des Christus eine kosmische und weltweite Funktion hat und so international und wissenschaftlich angekündigt ist55. Möglich ist auch, dass die damals nicht unübliche Praxis, auf Münzen über dem Kopf des Herrschers einen Stern abzubilden, im Hintergrund mitschwingt56. Diese Ankündigung bedarf aber dann einer endgültigen Bestätigung durch das prophetische Wort.
Sämtliche astronomischen Verifizierungsversuche57 bleiben Spekulation und haben bestenfalls dann eine apologetische Funktion, wenn man auf die Historizität der Geschichte Wert legt58. Mit dieser steht es aber auch von der inneren Logik her schlecht. Weshalb sollte Herodes sich der Magier bedienen, um den neugeborenen König auszukundschaften, wenn es ihm doch auch so ein Leichtes gewesen wäre, diesen Thronprätendenten durch eine kleine Abteilung selbst und sofort ausschalten zu können? Die ganze Herodesfigur in Mt 2 dient nur dem Erweis der wunderbaren Bewahrung des neugeborenen Königs. Wiewohl der historische Herodes in Mt 2 treffend charakterisiert ist, gibt es doch keinen Grund anzunehmen, dass er eine wirkliche Bedrohung für den Christus gewesen ist.
Dass Magiermotiv und Herodesmotiv erst sekundär verbunden wurden, ist unwahrscheinlich. Ohne die Magier würde die Bedrohung durch Herodes gar keine Grundlage haben. Eher schon könnte vormt eine reine Magiererzählung vorgelegen haben. Eine solche Erzählung würde aber nur aus 1a.9b-11 bestehen. Auch die Magiererzählung ist eng auf Herodes und den Aufenthalt am Jerusalemer Hof bezogen. So ist es am wahrscheinlichsten, dass Mt diese Geschichte selbst als erster verschriftlicht und v.a. mit Mi 5,1 in Verbindung gebracht hat. Das Magiermotiv und das Herodesmotiv haben von Anfang an zusammengehört.
Das Zitat aus Micha ist mit keiner der bekannten Michaversionen direkt vergleichbar. Der Schluss scheint wörtlich aus 2.Sam 5,2 (LXX) zu stammen. Mt zitiert hier frei und möglicherweise, wenn dieses Zitat von ihm stammt, aus dem Gedächtnis. Denkbar ist aber auch, dass es bereits vorher mündlich in dieser oder einer ähnlichen Form mit der Erzählung verbunden war. Mt dürfte es dann aber zu einem Erfüllungszitat umgebaut haben.
Voran möchte ich ein Gedicht von Wislawa Szymborska stellen:
Ein neuer Stern ist entdeckt, was nicht bedeutet, es wäre heller geworden und etwas, was fehlte wäre hinzugekommen.
Der Stern ist groß und fern, so fern, dass wiederum klein, kleiner sogar als die andern, die noch viel kleiner sind. Verwunderung wäre nicht verwunderlich, hätten wir dafür Zeit.
Das Alter des Sterns, die Masse des Sterns, die Lage des Sterns, das alles reicht womöglich zu einer Doktorarbeitund für ein bescheidenes Gläschen Wein in dem Himmel nahe stehenden Kreisen –
dem Astronom, seiner Frau, den Verwandten und den Kollegen – ohne Kleiderzwang, bei aufgelockerter Stimmung. Lokale Themen beherrschen die Konversation, und Erdnüsse werden geknabbert.
Der Stern ist herrlich, aber das ist doch kein Grund, aufs Wohl der uns unvergleichlich näher stehenden Damen nicht anzustoßen.
Ein Stern ohne Konsequenz. Ohne Einfluss auf das Wetter, die Mode, das Spielergebnis, aufs Einkommen, den Regierungswechsel, die Krise der Werte.
Ohne Folgen für die Propaganda, die Schwerindustrie. Ohne Abbild auf der Politur am Konferenztisch. Überzählig für die gezählten Tage.
Wozu hier fragen, unter wie vielen Sternen der Mensch geboren werde, unter wie vielen Sternen er etwas später sterbe?
Ein neuer. „Zeige mir wenigstens wo er ist.“ „Zwischen dem Rand dieses grauen ausgefransten Wölkchens Und jenem Akazienzweig, weiter links, ja dort.“ Ich sage „Aha“.59
Eine Legende, die keinen historischen Kern für sich beanspruchen kann, muss auf ihre Relevanz für den Menschen befragt werden können. Wenn Mt für die Geburt des Messias, des Immanuel, einen Stern nebst Astrologen und einen bedrohlichen König in Anspruch nimmt, dann will er damit mehr zum Ausdruck bringen, als nur eine Legende zu erzählen, die er vielleicht in seiner Gemeinde oder ihrem Umfeld gehört hat und auf die man dann mit „Aha“ antwortet.
Die kosmische Dimension dieser Legende bezeugt, dass er dieses Ereignis als eine kosmische, weltgeschichtliche und heilsgeschichtliche Wende betrachtet hat. Damit nimmt er in anderer Form das Motiv seiner Gliederung im Stammbaum (1,1-17) auf. Wenn diese Wende dann zugleich unter das Vorzeichen einer Bedrohung gestellt wird, signalisiert er seinen Lesern, dass diese Wende auf Widerstände stoßen wird. In der Tat taucht das Motiv von V3 über die Aufregung in Jerusalem wieder in 21,10 beim Einzug in Jerusalem auf und nimmt dort fast seismographische Züge an60, die den Lesern zeigen, dass das Geschehen seiner Krisis zueilt. Die Geschichte fragt also trotz oder vielleicht gerade wegen der ihr fehlenden historischen Grundlage danach, wie der Leser sich nun zu diesem Immanuel stellen will. Sieht er in dem neuen Stern ein Vorzeichen, ein Symbol, unter dem er selbst steht? Oder bleibt die Sache bedeutungslos? Vielleicht ist es geradezu ein Geschenk, dass die astronomischen Versuche der Verortung des Geschehens gescheitert sind.
Nicht zuletzt deutet die Proskynese der Magier darauf hin, dass es hier um Anbetung und Verehrung geht, die die Leserinnen und Leser selbst diesem Kind schulden und zu der sie unabhängig von ihrer Herkunft eingeladen sind.
Luz unterscheidet vier Auslegungstypen. Einen christologischen, einen missionstheologischen Typ, eine paränetische Deutung und eine Auslegung von der Führung Gottes her. Alle vier Typen ergänzen sich wechselseitig61. Der christologische Typ unterstreicht die Bedeutung und die Bewahrung des Messias in seiner Geburt und bereitet auf die kommende Geschichte des Messias vor. Der missionstheologische Typ verweist auf die Offenheit des Evangeliums gegenüber den Völkern. Die paränetische Deutung bezieht sich vor allem auf die Geschenke und das Handeln der Magier62, während der vierte Typ die Bewahrung des Kindes und die Führung durch den Stern hervorhebt.
V1.2 Hier wird erstmals Bethlehem als Geburtsort benannt und mit dem König Herodes auch eine Zeitangabe gemacht. (Magier) kann sich neben den auch im Text offenkundigen astronomischen Fähigkeiten auch auf Zauberei und Traumdeutung beziehen63. Das Wort selbst stammt von einem medischen Stamm, „der in der persischen Religion Priesterdienste wahrnahm“64. Dass die Magier zuerst nach Jerusalem kommen, mag zunächst verwundern, weil wir, von zahlreichen Krippenspielen beeinflusst, die Weisen als Wanderer sehen, die dem Stern folgen. Aber die Magier reden nicht von einem wandernden Stern, sondern davon, dass sie im Morgenland diesen Stern gesehen haben. Weshalb sie diesen Stern mit dem König der Juden65 in Verbindung bringen, wird nicht gesagt. Aber die Verknüpfung von Sternen mit Völkern und Einzelpersonen dürfte für Sternenkundige nicht überraschend sein66. Also suchen sie diesen König da, wo er zu vermuten ist: in Jerusalem. Damit taucht schon zu Beginn des Evangeliums die Heilige Stadt auf, in der sich dann auch das Schicksal des Kindes am Ende erfüllen wird. V3 Das Erschrecken Jerusalems hat für den Makrotext des Evangeliums große Bedeutung. Beim Einzug Jesu in Jerusalem wird dieselbe Stadt wieder erschrecken und sich wundern über das, was da geschieht67. Zugleich wird deutlich, dass dieser neue König die bestehenden Machtverhältnisse erschüttern kann68.
Jerusalem hat bei Mt eine eindeutig negative Besetzung. Es ist für ihn die Stadt, in der Jesus ermordet wird. Es ist die Stadt über die Jesus sagen wird: „Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten“ (23,37)69. Kennzeichnend ist auch, dass Mt erst wieder in der Passionsgeschichte von Jesus als dem „König der Juden“ (27,11.29.37.42) sprechen wird.
V4.5 Jetzt treten die offiziellen Vertreter des Judentums auf den Plan. Es ist das erste Mal, dass Mt sie erwähnt. Dass sie zusammen mit Herodes, ja sogar auf seine Initiative hin, auftreten, stellt sie in kein gutes Licht. Mt arbeitet hier auch mit dem Motiv einer Übertreibung. Natürlich lässt Herodes nicht alle Priester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen. Das wäre ja geradezu eine Synode. Aber dieses „alle“ steht doch für mehr. Im Votum dieser Schriftgelehrten kommt einstimmig zum Ausdruck, dass dieses Kind der Messias sein muss. Das Votum mit dem Hinweis auf den Geburtsort Bethlehem bescheinigt dem Kind „amtlich“, dass es alle wichtigen Bedingungen zum Messias erfüllt.
Der Geburtsort Bethlehem taucht erst hier im Evangelium auf. Mk weiß noch nichts von einer solchen Geburt zu erzählen. Herkunftsort Jesu ist für alle Quellen Nazareth. Dieser Herkunftsort ist so prägend, dass er sogar zeitweise und regional zu einem Begriff für die Christen wird. Mt verknüpft Nazareth mit Bethlehem. Das ist eine Funktion u. a. des ganzen Kap 2. Mt erzählt von der Geburt in Bethlehem und muss, entsprechend der Überlieferung, Jesus dann irgendwie nach Nazareth kommen lassen. Der Geburtsort Bethlehem ist deshalb wichtig, weil Jesus damit in die Davidssohnschaft auch geographisch eingeordnet ist, da Davids Familie aus Bethlehem kommt und dieser als Prototyp aller israelitischen Könige fest mit der Stadt verbunden ist. Hier wird nun gerade das durch offizielle Theologen bestätigt. Und zwar geradezu verbindlich.
Das hat für eine Gemeinschaft, die von solchen offiziellen Gremien und Versammlungen öffentlich aus dem Judentum ausgeschlossen wird, weil sie an eben diesen Messias glaubt, eine bestätigende Funktion. Etwa nach dem Motto: Sie haben doch selbst mal gesagt, dass dieses Kind der Messias ist.
V6 Das Zitat aus Micha 5,1 ergänzt Mt durch ein zugefügtes Stück aus 2Sam 5,2. Es geht dabei zum einen um den Geburtsort Bethlehem. Die Zufügung aus der Davidsgeschichte charakterisiert den neugeborenen Messias als den würdigen Nachfolger Davids, der für sein Volk da ist und es weidet. Zugleich werden die Schriftgelehrten damit zu Antitypen, denn sie ziehen aus ihrem eigenen Schriftbeweis keine Konsequenz. Die Magier machen sich auf den Weg nach Bethlehem und nicht die Theologen.
Die Erfüllungsformel vermeidet Mt dann auch konsequent aus ihrem Munde.
Auf welche Textform sich Mt bezieht, lässt sich nicht rekonstruieren. Vermutlich zitiert er frei aus dem Gedächtnis.
Das Wort stammt aus einer exilisch-nachexilischen Erweiterung des Michabuches. Bewusst wird dort auf den Königstitel verzichtet70. Diese Institution ist mit dem Exil gescheitert. Obwohl auch hier eine Messiastradition aufrechterhalten wird, wird sie gerade königskritisch neu aufgerichtet. Dem dient auch das Hirtenmotiv aus Mi 5,3 die bei Mt deutlicher auf David akzentuiert wird durch die Einfügung von 2Sam 5,2. Nur David selbst gilt unter den Königen als ein Hirte. Wenn Micha dieses Motiv auf den Messias bezieht, dann unterstreicht er damit, dass die bisherigen Davididen und ihre Form eines nationalen Königtums am Ende sind.
Für Mt war sicherlich wichtig, Jesus durch dieses Zitat und den Geburtsort Bethlehem als Messias zu legitimieren. Mit (hüten) bringt er aber zugleich auch eine herrschaftskritische Note in das, was die Theologen dem König Herodes sagen.
V7.8 Nun wird die Geschichte spannend. Durch das Wort (heimlich) steigert Mt den Spannungsbogen. Die Leser gewinnen den Eindruck, in eine Art Geheimgeschichte mit hinein genommen zu werden. Die Magier werden zu Spionen des intrigenreichen Herodes. Akribisch sollen sie das Kind ausforschen. Er selbst möchte das Kind anbeten. Wörtlich „vor ihm niederfallen“ und es mit der Proskynese ehren.
Die Leser ahnen schon, was der König wirklich will. Aber mit keinem Wort deutet der Evangelist an, ob die Magier den König durchschauen oder sich gutgläubig auf den Weg machen. Überhaupt interessiert ihn das „Gefühlsleben“ dieser Magier in diesem Moment nicht. Herodes ist ganz der Handelnde.
V9 Nun machen die Magier sich wieder auf den Weg. Jetzt erst spielt der Stern wieder eine Rolle und erst hier wird er zum Leitstern. Dies setzt voraus, dass die Magier nachts reisen.
V 10.11 Die Wiederentdeckung des Sterns erfreut die Magier. Dass sie ihn in Jerusalem nicht sehen konnten, mag manchen Leser vielleicht irritieren. Möglicherweise will Mt dadurch auch zum Ausdruck bringen, dass das erschrockene Jerusalem diesen Stern gar nicht sehen konnte. Ausgeführt wird dieser Gedanke aber nicht. Der Stall, den wir uns traditionell an Weihnachten vorstellen, ist bei Mt ein Haus. Zur Weihnachtsgeschichte des Lukas findet sich nicht die geringste Parallele. In dem Haus finden sie das Kind mit seiner Mutter. Josef findet keine Erwähnung. Für manche mag das ein Indiz dafür sein, dass es ursprünglich eine reine Magiererzählung gegeben haben könnte, die ohne Josef und Herodes ausgekommen ist. Ich denke aber, dass Mt die Mutter besonders hervorheben wollte. Gold, Weihrauch und Myrrhe als Geschenke haben zu dem Schluss geführt, dass es sich um drei „Weise aus dem Morgenlande“ handeln müsse.
Über die Bedeutung der Geschenke ist viel gerätselt worden. Fest steht auf jeden Fall, dass es sich um sehr wertvolle Geschenke handelt. Weihrauch und Myrrhe sind Importprodukte aus dem arabischen Raum. Gold ist natürlich auf jeden Fall ein Wert. So soll ausgedrückt werden, dass diese Heiden dem Kind das Kostbarste schenken, was sie haben.
Ob Jes 60,6 für Mt schon bewusst im Hintergrund steht, ist fraglich. Ausgeführt wird auch dieser Gedanke an keiner Stelle. Sollte es so sein, dann würde in dieser Huldigung die Völkerwallfahrt der Heiden aus Jes 60 präfiguriert und diese dann von Jerusalem nach Bethlehem transferiert71.
In der Auslegungsgeschichte spielen die Geschenke eine große Rolle. Gold kommt dem Kind als König zu. Weihrauch entspricht seiner Rolle als Hoherpriester und Myrrhe ist auf seine menschliche Natur und seine Sterblichkeit bezogen.
Die Proskynese ist Ritus der Anbetung. Herodes hat sie in täuscherischer Absicht angekündigt (V8). In der Passion werden sie die Soldaten als Parodie vollziehen. (27,11).
V12 Am Schluss bricht die Geschichte ab. Mt vermeidet jede Deutung. Die Anbetung und die Geschenke sind für ihn der Höhepunkt, nach dem für die drei Magier nur der Abgang bleibt.
Dieser verknüpft die Perikope wieder mit Herodes und leitet dadurch auch zur folgenden Perikope von der Flucht nach Ägypten über. Diesmal werden die (heidnischen) Magier eines göttlichen Traumes gewürdigt. Von den Träumen des Josefs unterscheidet lediglich das Fehlen eines Engels. Auf ihrem Rückweg sollen sie einen anderen Weg nehmen und in ihr Land zurückkehren. Damit wird klar, dass die Magier aus einem einzigen Land stammen und nicht die unterschiedlichen Erdteile symbolisieren. Darüber hinaus hat Mt kein Interesse an den Magiern. Weiteres erzählt er nicht über sie und er überlässt damit diese literarischen Gestalten der Legendenbildung.
Nachfolgend soll es nicht um die Entwicklungsgeschichte einer Tradition gehen. Vielmehr geht es darum, dass biblische Texte immer – mehr oder weniger – offen sind für Traditionsbildung und Forstschreibung ihrer Botschaft. Nicht immer hat diese Fortschreibung echten Rückhalt im Text. Manchmal muss sie vom Text her korrigiert werden, muss ihr vom Text her sogar widersprochen und sie als Fehlentwicklung vielleicht sogar verworfen werden. Manchmal widerspricht sie aber auch dem Text von einer – wie auch immer verstandenen – „Mitte der Schrift“ her. Oder, und hierin liegt ihre ganz eigene innovative Kraft, sie entfaltet ganz neue Sinnpotentiale.
Dass aus den Magiern drei heilige Könige, die dann sogar namentlich bekannt sind, werden, ist Mt 2,1-12 nicht ins Stammbuch geschrieben. Aber die Entwicklung ist interessant und letztlich hat Mt selbst die Wurzel dazu gelegt, in dem er mit den Magiern durchaus geheimnisvolle und daher interessante Gestalten in sein Evangelium aufnimmt.
Ihr Magiertum an sich war schon in der Alten Kirche problematisch. So setzt sich Tertullian in De Idolatria IX ausführlich mit ihnen als Sterndeutern auseinander. Faktisch weiß er sich nicht anders zu helfen, als ihre Anbetung als Abkehr von ihrer Astrologie zu deuten. So versteht er den anderen Weg, den sie für die Rückkehr wählen als „dass sie fortan den richtigen Lebensweg gehen und nicht mehr die falsche Disziplin üben sollten“72.
Dass die Dreizahl von den Geschenken herrührt, ist noch die einfachste Fortführung der Legende. Später wurde diese Dreizahl verschieden gedeutet. Klassisch wurde die Deutung der drei Könige als Vertreter der drei bekannten Erdteile Afrika, Asien und Europa. Dies drückte sich dann sogar in der Auswahl ihrer Tiere aus: Kamel, Pferd und Elefant wurden zu den Reittieren der Könige. Damit konnte die ganze Menschheit an die Krippe geholt werden. In der St. Anna Kirche in Augsburg findet sich übrigens ein interessantes Altarbild aus Antwerpen. Dieses Bild ist etwa um die Reformationszeit entstanden und dem Maler war