Mitternachtskatzen, Band 4 - Der Geisterkater von Bakerloo - Barbara Laban - E-Book

Mitternachtskatzen, Band 4 - Der Geisterkater von Bakerloo E-Book

Barbara Laban

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Beschreibung

Die Gabe der Felidix Der grausame Katzenkönig Fergus und seine Verbündete Penelope wissen: Wenn die Felidix den Staub von Rocks Cliff einatmen, verlieren die Katzenbeschützer ihre Fähigkeit, Katzen zu verstehen. Eines ihrer ersten Opfer ist Novas und Henrys Freund Said. Nova und Henry haben nur eine einzige Chance, ihm zu helfen: Sie müssen den sagenumwobenen Geisterkater von Bakerloo finden, denn dieser soll ein Gegenmittel kennen. Alle Abenteuer mit den Mitternachtskatzen: Band 1: Die Schule der Felidix Band 2: Die Hüter des Smaragdsterns Band 3: Der König der Federträger Band 4: Der Geisterkater von Bakerloo Adventskalender: Mr Mallorys magisches Weihnachtsgeheimnis

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Seitenzahl: 331

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2023Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag© 2023, Ravensburger VerlagText © 2023 Barbara LabanOriginalausgabeCover- und Innenillustrationen: Jérôme PélissierAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN 978-3-473-51189-1ravensburger.com

Prolog

Das Mondlicht glitzerte auf den Wiesen und Bäumen. Ein paar Rehe schliefen friedlich auf dem weichen Gras. In der Nacht durften keine Menschen über die Hügel des großen Stadtparks streifen. Alle Tore waren geschlossen, alle Wege, die den Park durchkreuzten, waren leer. Eine ganz normale Nacht im Richmond Park also?

Nein, denn heute bot sich dort ein überaus ungewöhnlicher Anblick: Nebeneinander aufgereiht, dicht an dicht, konnte man schlanke Schatten mit spitzen Ohren und langen Schnurrhaaren sehen. Sie alle schienen den Ausblick zu bewundern, der tagsüber viele menschliche Besucher hierher lockte. Unten im Tal funkelten die Lichter der Stadt und selbst aus dieser Entfernung konnte jeder Londoner sofort die berühmten Hochhaussilhouetten erkennen und mit ihren Spitznamen benennen: die Scherbe, die Gurke, das Funkgerät.

„Ich hasse diese Stadt!“, sagte der kräftigste Kater von allen. Er war der Einzige, der etwas abseits der Reihe saß.

„Voll mit untreuen Artgenossen und ekelhaften Menschen“, pflichtete ihm eine zischende, schneidende Stimme bei. Sie gehörte einer Siamkatze, deren Augen grellrot in der Dunkelheit leuchteten.

Zur Zustimmung miauten die anderen Katzen kurz auf. Ein Fuchs, der gerade hinter einer Parkbank auf die Lichtung schlich, sah sich erstaunt um und rannte geduckt davon, als wäre diese seltsame Gesellschaft ihm unheimlich.

„Wie weit sind wir mit dem Plan?“, fragte der große Kater jetzt. Er war stämmig und hatte dichtes graues Fell. Um seinen Hals trug er ein abgewetztes Lederband mit vier kleinen Anhängern.

„Es ist alles bereit, Eure Majestät.“ Ein schwarzer Kater mit spitzem Gesicht und dünnen Pfoten trat aus der Reihe. „Wir haben die Beutel an der Stelle gefunden, die Ihr uns beschrieben habt. Es ist so viel davon da, dass wir der Geschichte der Katzenbeschützer in den britischen Reichen für immer ein Ende machen können. So, wie Ihr es euch wünscht.“

„Gut“, brummte der große Kater. „Doch es wäre tölpelhaft, alles davon auf einmal zu verschwenden. Wir müssen erst sichergehen, dass es funktioniert.“ Er räusperte sich und reckte seinen Hals, als würde ihm das Band darum die Luft abschnüren. „Es wird Zeit, die Katzenwelt von der unsäglichen Gabe der Felidix zu befreien. Seit Jahrhunderten mischen sie sich mit ihrem Gerede vom Frieden und ihrer widerwärtigen Fürsorglichkeit in unsere Angelegenheiten ein. Dabei ist es gegen die Natur, dass Menschen mit Katzen sprechen.“

„Genau!“, fauchte die Siamkatze mit den roten Augen. „Jede Spezies muss unter sich bleiben. Wir Katzen sind die stolzesten aller Erdbewohner. Wir lieben unsere Freiheit, den Kampf um ein Revier – eine Pfote nach der anderen erobern wir Feindesland. Und doch versuchen die Menschen, uns zu zähmen, einzusperren, mit Dosenfutter zu besänftigen. Die Mächtigsten unter uns mit unseren eigenen Mitteln …“, sie sah mit kaltem Blick auf das Halsband des großen Katers, „… zu vernichten.“

Ein grauer Kater mit weißem Lätzchen und rundem Gesicht leckte sich mit der Zunge über sein Maul. Man konnte seinen Bauch grummeln hören, als hätte die Erwähnung von Dosenfutter ihn daran erinnert, dass er Hunger hatte.

Die Siamkatze stolzierte die Reihe der Katzen auf und ab. „Die königlichen Katzenreiche haben versagt. Sie ziehen die Zusammenarbeit mit den Felidix dem natürlichen Revierkampf unter uns Katzen vor. Sie bitten diese Katzenbeschützer, von denen manche noch“, die Katze hielt kurz inne und sagte dann voller Abscheu, „Kinder sind, ihnen zu helfen, den unnatürlichen Frieden unter den Katzen zu wahren. Es ist ekelhaft. Demütigend. Eine Schande für unsere Art. Wir brauchen keine schnurrenden, sanften Herrscherinnen auf dem Thron. Die Katzenkönigin von England muss verschwinden!“

Wieder stimmten die Katzen in der Reihe ihr zu. Diesmal miauten sie noch lauter. Auch ärgerliches Fauchen mischte sich darunter.

Der Kater mit dem runden Gesicht warf ein: „Man darf diese Felidix aber nicht unterschätzen!“ Er plusterte sich auf. „Ein paar der Kinder haben ja damals die Königin aus deinen Krallen befreit, Penelope. Und sie haben dich vom schottischen Thron gestoßen, Fergus, und dir das Zauberhalsband umgebunden.“

Mit einem Mal war es totenstill. Die anderen Katzen starrten stocksteif in die Ferne. Keine bewegte auch nur ihren Schwanz.

Die Siamkatze drehte langsam ihren schmalen Kopf in Richtung des Katers mit dem runden Gesicht. Dann lief sie bedrohlich auf ihn zu.

„Ich m-m-meine ja nur …“, stotterte der, als würde er jeden seiner Sätze bereuen. „Dieser Horatio und seine Schule … Es ist ja nur so, dass …“ Er begann zu zittern.

Die Siamkatze Penelope stand nun so dicht vor ihm, dass ihre Schnurrhaare sich beinahe berührten. „Du dummer Nichtsnutz!“, zischte sie. „Diese Menschen hatten einfach unglaubliches Glück. Überheblich und eingebildet, wie sie sind, denken sie vielleicht, sie hätten gewonnen. Wieder und wieder unterschätzen sie uns Katzen, bis sie auf einmal feststellen müssen, dass sie uns bei Weitem unterlegen sind. Und dann verstehen sie nur noch Miauuuuu.“

Mit dem letzten Wort setzte Penelope zum Sprung an und landete im Nacken des Katers. Sie biss in sein Ohr und zog ihre scharfen Krallen durch sein Gesicht. Der Kater versuchte, sich zu wehren, aber gegen die wendige Siamkatze hatte er keine Chance.

„Entschuldige dich bei Fergus, dem rechtmäßigen Katzenkönig von Schottland!“, schrie Penelope.

„Verzeiht mir, Eure Majestät“, keuchte der Kater unter dem Gewicht der Siamkatze.

Fergus verzog keine Miene. Er musterte die Reihe der Katzen. Die meisten von ihnen waren dünn und hager mit herausstechenden Rippen und struppigem Fell. Ihre Augen hatten ihren Glanz verloren und in ihrem Fell schimmerten kahle Stellen.

„Das hier ist keine Armee“, sagte Fergus verärgert, „sondern nur ein krallenloser Trümmerhaufen. Ich traue keinem und keiner von euch zu, meinen Auftrag auszuführen. Mögen die Felidix auch noch so schwach sein, ihr alle seid genauso erbärmlich. Wen soll ich nur senden, um unsere neue Waffe auszuprobieren?“

Es gab keinen Freiwilligen. Die Katzen rührten sich nicht, nur der Kater mit dem runden Gesicht jammerte unter den Schmerzen, die Penelope ihm zugefügt hatte.

„Trümmerhaufen!“, schrie Fergus, doch dann versagte seine Stimme. Mit grimmiger Miene fuhr er mit der Pfote über das Halsband.

Zunächst konnte man die kleine Katze, die ein paar Schritte nach vorn tapste, in der Dunkelheit kaum erkennen. Ihr Fell war grau, aber die Pfoten weiß, als ob sie Socken trüge. „Ich werde gehen“, sagte sie bestimmt, aber mit dünner Stimme.

Penelope fauchte verächtlich und Fergus sagte abschätzig: „Du hast ja wohl noch keine zwei Frühlinge hinter dir. Nenn mir einen Grund, warum ich dir in dieser Mission, von der die Zukunft unserer Spezies abhängt, vertrauen sollte?“

Ein Rabe krächzte nicht weit entfernt in einem der hohen Bäume. Ein leichter Wind erhob sich und brachte das Gras zum Rascheln.

Die kleine Katze ging auf Fergus zu. Sie hob den Kopf und sah dem ehemaligen Schottenkönig ins Gesicht. „Du musst mich gehen lassen“, sagte sie, „weil ich die Felidix so sehr hasse.“

1

Wo steckte Horatio nur? Nova warf Henry einen fragenden Blick zu, doch der zuckte nur mit den Schultern. Ihr Freund stand an dem Vorhang, hinter dem sich alle versteckten, und sah zur Treppe. Eigentlich sollte Horatio jeden Augenblick kommen, um das Frühstück vorzubereiten – wie an jedem Morgen.

Nova hörte ihre Eltern und Großtante Isabelle kichern und warf ihnen einen warnenden Blick zu. Es wäre zu schade, wenn ausgerechnet die Erwachsenen die Überraschung für Horatio verderben würden.

Die Katzen ihrerseits verharrten stocksteif in ihren Positionen, so wie es abgesprochen war. Pablo, Edison und Zia hatten sich auf dem gedeckten Frühstückstisch platziert. Benji, Rocco, Fox, Leandro und Shayan saßen auf einer der Katzenbrücken direkt über Novas Kopf. Hector ruhte majestätisch neben einem gewaltigen Stapel von Geschenken, der auf dem zweiten Frühstückstisch lag. Großtante Isabelles Begleiterin Moira, eine imposante Perserkatze, leistete ihm dabei Gesellschaft. Und auch auf den Stühlen und Bänken befanden sich jede Menge Gäste. So nannte Horatio, der Leiter der Schule im Turm, die Katzen, die hier lebten.

„Warum geht denn keiner nach oben und weckt ihn endlich auf?“, flüsterte Großtante Isabelle jetzt, was Hector, ein überaus stattlicher orange-weißer Kater, mit einem ärgerlichen Schnaufen kommentierte.

„Schon mal was von Geburtstagsüberraschung gehört?“, fragte er und seine langen Schnurrhaare zuckten.

„Es bleibt ja trotzdem eine Überraschung“, setzte Großtante Isabelle an, doch Novas Mutter legte ihr die Hand auf den Arm.

„Er kommt!“, flüsterte Henry aufgeregt.

Tatsächlich. Die alte Holztreppe knarzte unter Horatios Schritten, genau als die Katzenkuckucksuhr im ersten Stock sechsmal miaute. Dann war es still. Horatio musste auf der Treppe stehen geblieben sein. „Was ist das denn?“, hörte man ihn murmeln.

Der Vorhang war Mamas Idee gewesen. Er war lila und silbern und glitzerte in den zarten frühen Sonnenstrahlen, die durch die Fenster fielen. „So einen hatten wir auch im Zirkus“, hatte sie Nova erzählt.

Und Papa hatte erklärt: „Wenn wir ihn zur Seite gezogen haben und dahinter Mama mit ihrer Katzentruppe zum Vorschein gekommen ist, hat das Publikum jedes Mal Ah und Oh gerufen.“

Nova konnte nicht genug bekommen von den Geschichten, die ihre Eltern zu erzählen hatten. Sie saugte jedes Wort auf und in ihrem Kopf sah sie die passenden Bilder dazu: Papa auf einem Drahtseil hoch oben unter der Zirkuskuppel. Mama und die Katzen, zu denen einige der berühmtesten Katzenakrobaten der Welt gehörten, darunter in der Manege.

„Jetzt!“, zischte Ed, der auf der gegenüberliegenden Seite des Vorhangs stand. Er und Henry zogen an dem dünnen Stoff, der daraufhin von dem Balken fiel, um den er geschlungen worden war.

„Alles Gute zum Geburtstag!“, riefen Menschen und Katzen durcheinander.

Horatio stand der Mund weit offen. Er sah sehr verschlafen aus und trug noch seine dicken Pantoffeln aus Plüsch. Seine Brille war ein wenig verrutscht und er rückte sie gerade, um die Katzen- und Menschenversammlung genauer zu betrachten.

Großtante Isabelle stimmte Happy Birthday an und alle begannen zu singen. Die Katzen bemühten sich ausnahmsweise, den Noten menschlicher Musik zu folgen, was nicht ganz gelang. Katzenmusik unterschied sich jedoch so sehr von menschlicher Musik, dass es ihnen nicht vorzuwerfen war.

Horatio sah auf die zwei langen Holztische, auf denen Novas Eltern, Großtante Isabelle und die Kinder ein köstliches Frühstück vorbereitet hatten. Gestern Nacht hatte Isabelle begonnen, Brot und Kuchen zu backen, darunter das Meisterwerk – eine Erdbeer-Vanille-Sahnetorte, die mit bunten Pfotenabdrücken von Moira dekoriert war. Noch immer klebte etwas farbiger Zuckerguss an den Pfoten der Perserkatze.

Zwischen farbigen Schüsseln, die mit Obst, Joghurt, Schokostreuseln und verschiedenen Marmeladensorten gefüllt waren, befanden sich kleine Teller für die Katzen. Für sie gab es Sardinen, Thunfischkekse, Frikassee und andere Leckereien. Im Gegensatz zu sonstigen Festen hatte keine Einzige der Katzen bereits davon genascht. Das zeugte davon, wie sehr sie Horatio schätzten.

Horatio sah furchtbar gerührt aus, als er seinem Geburtstagslied lauschte. Novas Vater hielt ihm eine Serviette hin, um die Tränen abzutupfen, die sich in seinen Augenwinkeln befanden.

„Lieber Horatiooooo“, sang der Kater Edison vor Nova auf dem Tisch und seine schöne Stimme konnte tatsächlich auch eine menschliche Melodie tragen. Sie wurde aber von dem kreischenden Geräusch übertönt, das der kleine Kater Pablo machte. Er war so begeistert bei der Sache, dass er nicht einmal merkte, wie er mit der Vorderpfote in eine flache Schüssel mit Sahne trat.

Dann war das Lied zu Ende. Alle jubelten und die Menschen klatschten in die Hände. Pablo sah verdutzt auf seine Pfote und leckte dann glücklich die Sahne ab. Als der Lärm langsam verstummte, räusperte sich Horatio.

„Ich weiß gar nicht …“, begann er und stockte. „Eigentlich ist mein Geburtstag ja keine große Sache. Die Katzen feiern keine Geburtstage und deshalb …“

„Stimmt nicht!“, rief Pablo. „Beim ersten Vollmond im Juli feiern wir Funkelfest. Und zwar alle gleichzeitig. Weil ja so viele von uns im Frühling und im Sommer geboren werden und wir uns nicht mit Kalendern und solchen Sachen beschäftigen.“

Nova erinnerte sich an das Funkelfest in den Sommerferien. Horatio hatte sie und Henry abends durch London streifen lassen. In jedem Park gab es kleinere und größere Katzenversammlungen, bei denen die Katzen sich gegenseitig über Wiesen und auf Bäume jagten. Sie spielten eine Art Fangen, bei dem es keine Gewinner und Verlierer gab. Dutzende Katzenaugen hatten in der Dunkelheit aus den Sträuchern und dem Laub der Bäume gefunkelt. Sie hatten dem Fest seinen Namen verliehen.

„Ich feiere auch sehr gern Funkelfest, aber dass ihr euch heute, speziell für meinen Geburtstag, so viel Mühe gegeben habt …“ Horatio wischte sich über seine Stirn, als wäre ihm auf einmal furchtbar warm. Dann sah er auf seine Füße. „Und seht nur, ich habe noch meine Pantoffeln an!“

Alle lachten, nur Hector, der orange-weiße Kater und Horatios bester Freund, brummelte: „Ich sage dir seit Jahren, wie lächerlich die Dinger aussehen. Aber nein, auf mich hört ja keiner.“

Großtante Isabelle schwang ihre langen silbernen Haare nach hinten, zog ihre Perlenkette zurecht und rief: „Wir sind alle halb verhungert, weil du dir so viel Zeit gelassen hast! Wie wäre es, wenn wir jetzt frühstücken und danach machst du deine Geschenke auf?“

Pablo maunzte zustimmend und so laut, dass alle um ihn herum lachten.

„Aber natürlich!“ Horatio lief zu einem der Stühle am ersten Tisch. Auf einem Regal daneben saßen Mr Octagon, Miss Bridge und Mr Marlo, allesamt Katzenlehrer in Horatios kleiner Schule für Felidix. Der Schulleiter begrüßte sie freundlich.

Mr Marlo klatschte Horatio mit der Pfote ab und rief: „Menschengeburtstage finde ich prima! Nicht dass irgendeine Katze viel von Geschenken halten würde, es sei denn, man kann sie essen. Aber das ganze Singen, die Ballons und die Spiele – das ist doch eine tolle Erfindung! Und dann kann man auch noch solchen hervorragenden Menschen wie dir gratulieren, lieber Horatio.“

Horatios Wangen waren ganz rot und er strahlte. Nova fand es schön, dass heute einmal ihr Lehrer im Mittelpunkt stand, der sich sonst die ganze Zeit um andere kümmerte: Menschen und Katzen.

Horatio und der Rest der Geburtstagsgesellschaft waren so abgelenkt, dass sie nicht bemerkten, wie sich kurz darauf langsam die Eingangstür öffnete. Es war keine Katze, sondern ein Mensch, der sie aufstieß. Genauer gesagt ein Mann mit eingefallenen Wangen und grauen Haaren, zwischen denen seine Ohren hervorschauten. Seine Mundwinkel hingen so sehr nach unten, dass man sofort erkannte, dass er nur selten lachte.

„Vielen Dank!“, rief Horatio, der den Neuankömmling noch immer nicht bemerkt hatte. „Zur Feier des Tages lassen wir heute natürlich den Unterricht ausfallen!“

Der Schulleiter hatte erwartet, dass die Kinder jubeln würden. Zugegeben, der Unterricht an Horatios Schule auf dem Gelände des Tower of London war tausendmal besser als der Unterricht an jeder anderen Schule. Aber auch hier ging nichts über einen schulfreien Tag.

Doch Nova, Henry, Ed, Said, Ria und Gustav, seine Schüler, reagierten nicht. Sie sahen zur Tür und betrachteten den Mann mit den grauen Haaren. Jetzt drehte sich auch Horatio um. Er stutzte und das Lächeln gefror auf seinem eben noch so fröhlichen Gesicht.

Der grauhaarige Mann stützte sich auf einen Gehstock, an dessen oberem Ende sich ein aus Holz geschnitzter Katzenkopf befand. Er blinzelte mit seinen Augen, die so grau waren wie seine Haare, und sagte mit heiserer Stimme: „Guten Morgen, Horatio. Sagtest du eben, dass heute ein schulfreier Tag ist? Wie überaus bemerkenswert! Offenbar war es wirklich an der Zeit, dass ich mal wieder hier vorbeischaue. Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt!“

2

„A-A-Albert!“, stotterte Horatio. „Was machst du denn hier? Ich meine natürlich … äh … herzlich willkommen! Eine weite Reise … äh … nehme ich an.“ Horatio hielt sich mit der Hand am Tisch fest. Er war jetzt ganz blass und sah aus, als würde ihm gleich schlecht werden.

Novas Vater sprang auf. Er lief zu dem Mann, der anscheinend Albert hieß, streckte ihm die Hand entgegen und rief: „Noch mehr Besuch zu Horatios Geburtstag. Fantastisch! Kommen Sie doch herein. Das Frühstück steht bereit und wir wollten gerade beginnen zu feiern. Ich bin Marc Loxley …“

Der Mann ignorierte die ausgestreckte Hand. „Loxley?“, fragte er heiser.

Marc Loxley ließ die Hand sinken und lachte. „Meine Frau Alice ist bekannter als ich. Sie sitzt da drüben.“

Novas Mutter winkte dem Mann zu, doch sie verzog keine Miene dabei. Nova konnte es ihr nicht verdenken. Dieser Albert war auf den ersten Blick wirklich kein besonders sympathischer Mensch.

„Und wo ist Nova Loxley?“, fragte der Mann jetzt mit kratzender Stimme.

Nova zuckte zusammen, als er ihren Namen aussprach.

„Ah ja“, sagte ihr Vater lachend, „das berühmteste Mitglied der Familie! Nova ist natürlich auch hier.“ Er zeigte in ihre Richtung und schnitt eine Grimasse, ohne dass Albert es sehen konnte.

Albert machte ein paar Schritte nach vorn und musterte die gedeckten Tische. Für einen Moment sah er fast hungrig aus, aber dann blickten seine Augen wieder streng und kalt durch den Raum.

Der Kater Hector war aufgestanden und dehnte seinen mächtigen Körper. Er gähnte, bevor er sagte: „Sieh mal einer an. Besuch aus Wales. Hat sich nicht erst vor zwei Jahren jemand unseren Turm angesehen und nichts daran auszusetzen gehabt? Also wirklich Albert, nach allem, was gerade in Schottland passiert ist, solltest du Wichtigeres zu tun haben.

Hast du nicht gehört, dass der Tyrannenkönig Fergus Finnigan gestürzt wurde und es deshalb wieder offiziell Katzenbeschützer in Schottland geben kann? Darum solltest du dich kümmern! Immerhin gab es nun viele Jahre lang keine Schule für Felidix in Schottland.“

„Mein lieber Hector“, sagte Albert jetzt, doch seine Stimme klang alles andere als freundlich, „du bist doch schlau genug, um zu wissen, dass ich hier gerade am meisten gebraucht werde. Nova Loxley scheint die zukünftige Hüterin des Smaragdsterns zu sein und ihre Ausbildung hat enorme Bedeutung. Das ganze Chaos der letzten Monate hätte sich sicher verhindern lassen, wenn Horatio seine Aufgaben pflichtbewusst erfüllt hätte. Wenn man der Prophezeiung der Katzen glauben darf …“

Alice unterbrach Albert mit scharfer Stimme. „Hier ist alles in bester Ordnung. Horatio leitet die Schule vorbildlich. Die jungen Felidix lernen jeden Tag dazu und setzen sich mit ganzem Herzen für die Belange der Katzen ein. Ihnen ist es zu verdanken, dass Fergus und Penelope vertrieben wurden und die Katzen in Schottland wieder in Frieden und Freiheit leben dürfen. Ich muss Hector zustimmen: Es gibt im Moment wirklich Wichtigeres zu tun …“ Ihre Stimme wurde immer lauter und sie klopfte beim Reden mit der Hand auf den Tisch, um ihre Worte zu unterstreichen.

„Verstehst du, was hier los ist?“, flüsterte Nova ihrem Freund Henry zu, der sich gerade verstohlen ein Stück Schokoladenkuchen in den Mund stopfte.

„Keine Ahnung“, murmelte er, „aber ich habe so ein Gefühl, dass der Unterricht heute doch nicht ausfällt.“

Albert hob seinen Gehstock an und ließ ihn krachend auf den Boden donnern. Novas Mutter verstummte. „Genau wie ich es mir vorgestellt habe!“, rief er. „Die ganze Familie Loxley hat ja anscheinend ein Problem damit, Regeln zu befolgen. Regeln, die es aus gutem Grund gibt. Wir Felidix haben schließlich eine wichtige Aufgabe und sind nicht zu unserem Vergnügen hier. Wenn ich mich umschaue, fallen mir gleich mehrere Sachen auf. Zum einen natürlich, dass diese Felidix heute nicht in den Unterricht gehen wollten. Absolut inakzeptabel! Und dann ist es auch noch strengstens verboten, dass Menschen, die nicht mit Katzen sprechen können, im Turm wohnen.“ Er drehte seinen Kopf zu Novas Vater, der schuldbewusst auf den Boden sah.

Nova wollte aufspringen und erklären, dass ihre Eltern ja gar nicht im Turm wohnten, sondern in einem kleinen Haus auf der anderen Seite der Themse, aber Henry neben ihr schüttelte verstohlen den Kopf. Nova sah ein, dass er recht hatte. Es war sicher keine gute Idee, diesem Albert zu widersprechen.

„Ja … äh …“, begann Horatio, wieder zu stottern. „Es wäre eigentlich eine Ausnahme gewesen. Die Kinder können natürlich nach dem Frühstück in den Unterricht gehen. Miss Bridge … äh?“ Er sah fragend zu ihrer Lehrerin für Katzenetikette.

Die Katze drehte ihren Kopf mit dem perfekt geleckten Fell in Alberts Richtung und warf ihm einen verächtlichen Blick zu. „Selbstverständlich“, antwortete sie kühl.

„Und Albert“, sagte Horatio, „wenn du … äh … in mein Arbeitszimmer kommen möchtest? Wir haben ja sicher eine Menge zu besprechen …“ Er trottete mit gesenktem Kopf in Richtung der kleinen braunen Tür. Der unfreundliche Besucher folgte ihm, nicht ohne bei jedem Schritt den Gehstock auf den alten Holzboden donnern zu lassen.

Ohne Horatio ergab das Geburtstagsfrühstück keinen Sinn. Nova sah ihre Eltern miteinander flüstern und an den Falten auf Papas Stirn war zu erkennen, dass es sich um ein ernstes Thema handeln musste.

Ria räumte bereits die Katzenleckereien vom Tisch und stellte sie unter die Regale auf den Fußboden.

„Willst du gar keinen Kuchen?“, rief Gustav ihr zu.

Ria schüttelte den Kopf. „Nee. Vielleicht verschwindet dieser Albert ja bald wieder. Dann können wir mit Horatio die Torte anschneiden und feiern.“

„Mach dir keine falschen Hoffnungen“, sagte jemand unter dem Tisch. „Wenn Albert erst einmal da ist, wird man ihn so schnell nicht wieder los.“

Nova beugte sich herunter. Es war keine Katze, die unter dem Tisch saß, sondern ihre Großtante Isabelle. Sie hob den Kopf und sah Nova mit weit aufgerissenen Augen an. „Ist er weg? Kann ich hochkommen?“, flüsterte sie.

Nova schob einen Stuhl zur Seite, um Platz zu schaffen. „Was machst du denn da?“, fragte sie. „Hast du dich etwa versteckt?“

Isabelle tauchte mit hochroten Wangen wieder auf. Ein paar silbergraue Strähnen ihres Haars hingen ihr ins Gesicht. Sie presste eine Hand auf ihren Rücken, als sie aufstand. In letzter Zeit beklagte sie sich oft über Rückenschmerzen, die sie plagten.

„Oh ja, meine Liebe!“, sagte Isabelle. „Und gerade noch rechtzeitig. Wenn Albert Trotter dich einmal in die Mangel nimmt, ist es schwer, irgendein Geheimnis für dich zu behalten. Und es gibt da jede Menge Dinge, die ich ihm lieber nicht erzählen will. Außerdem hat er wahrscheinlich eine Liste meiner Vergehen, über die er mit mir sprechen will. Aber“, sie lächelte, „zum Glück hat er auch eine kleine Schwäche für mich. Das hat mir bisher eine Menge Unannehmlichkeiten erspart.“

Henry hatte sich inzwischen noch mehr von dem Schokoladenkuchen genommen und verzierte ihn auf seinem Teller mit Himbeeren und Schlagsahne. „Wer ist denn dieser Albert Trotter eigentlich?“, fragte er.

Isabelle beugte sich ein wenig nach vorn und flüsterte: „Er kommt aus Wales und ist der Leiter der größten Schule für Felidix in den vier Königreichen. Er ist dafür zuständig, dass Felidix sich an verstaubte Regeln halten und er nimmt seine Aufgabe sehr ernst. Total dämlich, wenn ihr mich fragt!“

Nova versuchte zu verstehen, was ihre Großtante gerade erklärte. „Es gibt eine Schule für Felidix in Wales?“, fragte sie erstaunt. Horatio hatte nie davon erzählt. Sie wussten nur, dass Gustav aus Irland zu ihnen gekommen war, weil es dort eben keine Schule gab. Und unter König Fergus in Schottland waren Felidix sogar verboten gewesen.

„Oh ja“, sagte Großtante Isabelle. „Vor vielen Jahren bin ich dort zur Schule gegangen. Man hat mich aber ziemlich schnell rausgeworfen. Wegen einer Kleinigkeit, wenn ihr mich fragt. Ich habe allerdings schon als Kind nichts von Regeln gehalten, sehr zum Bedauern meiner Eltern. Jedenfalls war die Catminster Akademie für Felidix eine der strengsten Schulen, von denen ich je geflogen bin.“

Said nickte verständnisvoll. Er hatte eine Schüssel mit Joghurt vor sich stehen, aus der er noch nichts gegessen hatte. „Mein Vater ist in Wales auf die Catminster Akademie gegangen. Es hat ihm dort nicht besonders gut gefallen. Zuerst dachte er, hier wäre es genauso, und er wollte mich nicht zu Horatio schicken. Aber als Felidix hat man ja keine große Auswahl …“

Nova stand der Mund offen. Warum nur hatte nie jemand erwähnt, dass es außer Horatios Turm noch eine andere Schule für Felidix gab? Und allem Anschein nach eine viel größere!

Hector war vom Tisch gesprungen. Er schüttelte sich, sodass sein Fell nach allen Seiten stob. „Ihr Felidix wisst nicht, wie gut ihr es in unserem Turm habt! Ich könnte da Geschichten erzählen, die ich über die Catminster Akademie gehört habe … Und Geschichten über Albert Trotter.“ Er fauchte. „Mache ich aber nicht. Für den Moment belassen wir es dabei: Wenn Albert Trotter im Haus ist, heißt das nichts Gutes. Im Namen von Horatio empfehle ich euch Menschen also, so wenig wie möglich aufzufallen. Auch wenn das den meisten von euch sehr schwerfallen wird.“ Er warf Nova und Großtante Isabelle einen missbilligenden Blick zu und marschierte in Richtung Arbeitszimmer.

Nova sah ihm neugierig hinterher.

3

Durch den unerwarteten Besuch von Albert Trotter im Turm kam es also, dass die Kinder pünktlich mit dem Miauen der Standuhr vor dem Klassenzimmer zum Unterricht erschienen, statt mit Horatio seinen Geburtstag zu feiern.

„Dafür habe ich deiner Großtante die halbe Nacht beim Backen geholfen“, maulte Ed, in dessen roten Haaren tatsächlich noch etwas Mehlstaub zu sehen war. Er ließ sich müde auf den Stuhl neben Said fallen.

„Und Pfotenball im Garten fällt jetzt bestimmt auch aus“, sagte Ria und seufzte. „Dabei haben die Mitternachtskatzen extra freibekommen, weil wir ein Turnier spielen wollten.“

Nova hatte am Abend zuvor gesehen, wie Ria den ganzen Turm nach passenden Wollknäueln für das Pfotenballturnier durchsucht hatte, denn damit spielte man dieses unter den Katzen und Felidix so beliebte Spiel.

„Kuchen und Pfotenball sind jetzt gerade unser geringstes Problem“, sagte Miss Bridge, die sich elegant durch die Beine ihrer Schüler ins Klassenzimmer schlängelte. Sie sprang gekonnt auf die Lehne des Sessels, der vorn im Raum stand. Miss Bridge war eine wirklich vornehme Langhaarkatze. Die Tatsache, dass eine Fellsträhne gerade etwas von ihrem Hals abstand, war außergewöhnlich und musste mit dem unangekündigten Besuch zusammenhängen. Wer war nur dieser Albert Trotter und warum brachte er Katzen und Menschen im Turm so durcheinander?

Während die Kinder sich auf ihre Plätze setzten, murmelte Miss Bridge vor sich hin: „In so wenig Zeit … Ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll …“

Dann richtete sie sich auf, als wäre ihr auf einmal eine Idee gekommen. „Wer von euch kann mir etwas über die goldenen Benimmregeln für Felidix erzählen?“

Keiner meldete sich. Nova und Henry sahen sich fragend an.

„Kommt schon!“, sagte Miss Bridge aufmunternd. „Said, du vielleicht?“

„Mein Vater hat mal so was erwähnt“, begann Said. „Es ist aber schon lange her und ich kann mich nicht genau daran erinnern. Irgendwas mit füttern, aber nicht zusehen. Antworten, aber nicht fragen …“ Er stockte.

„Richtig!“, rief Miss Bridge. „Anbieten, aber nicht einfordern. Das ist die dritte Regel. Ihr merkt vielleicht: Es klingt alles sehr altmodisch. Diese Regeln stammen aus einer anderen Zeit. Als die Felidix uns Katzen nicht nur beschützten, sondern uns geradezu verehrten. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich das Verhältnis von Felidix zu Katzen verändert. Fast könnte man sagen, dass wir Freunde geworden sind. Was meint ihr?“

Die Kinder nickten, während Miss Bridge fortfuhr: „Dennoch gibt es eine Reihe von Felidix, die den Katzen ehrfürchtig gegenüberstehen. Sie leben nicht wie ihr hier im Turm gemeinsam mit den Katzen, sondern dienen ihnen sozusagen aus der Entfernung.“

Novas Arm schoss nach oben. Miss Bridge nickte ihr gnädig zu.

„Wo sind denn all diese Felidix? Ich kenne nicht viele und Horatio hat uns erzählt, dass die Gabe, mit Katzen sprechen zu können, sehr selten ist“, sagte Nova.

„So genau weiß das niemand“, antwortete Miss Bridge und drehte ihren Kopf zum Fenster. „In allen Königreichen gibt es vielleicht ungefähr hundert von euch oder sogar ein paar mehr.“

„Was?“, rief Henry. „So viele?“

„Viele der erwachsenen Felidix leben auf dem Land“, antwortete Miss Bridge, die nicht gern unterbrochen wurde, mit strengem Blick. „Oft kümmern sie sich um Katzen, die nicht mehr allein zurechtkommen. Aber in den Städten gibt es natürlich auch Felidix. Dort versorgen sie Straßenkatzen mit Futter und Wasser. Und was die jungen Felidix angeht: Viele von ihnen besuchen die Catminster Akademie, von der Albert Trotter kommt.“

Miss Bridges Schnurrhaare zuckten. „Ihr müsst verstehen, dass die Catminster Akademie sehr altmodisch ist. Dort leben nur wenige Katzen. Und sie sind auch keine Lehrer wie wir hier, sondern sie wachen darüber, wie die Felidix heranwachsen. Diese jungen Felidix legen dreimal im Jahr Prüfungen über das ab, was sie gelernt haben: Katzengeschichte, Katzenbiologie, Katzenpoesie und so weiter. Wer eine Prüfung nicht besteht, muss die Schule verlassen.“

„Das klingt nicht wie eine Schule, auf die ich gern gehen würde“, sagte Henry und Nova nickte zustimmend, während sie sich den Pferdeschwanz neu band. Es war doch gerade das Gute an Horatios Schule, dass sie keine Prüfungen schreiben mussten! Sie lernten freiwillig und voller Begeisterung alles, was die Katzen und Horatio ihnen beibrachten. Mathematik bei Mr Octagon und Geschichte bei Horatio waren so spannend und machten so viel Spaß, dass man automatisch alles behielt, was sie einem erzählten.

„Für die meisten Katzen in England ist es keine Frage, dass unser Turm hier ein wunderbarer Ort für alle Lebewesen ist. Wir bewundern Horatio und freuen uns, wie er euch Felidix zu echten Katzenbeschützern ausbildet. Doch eigentlich begann die Ausbildung von Felidix vor Jahrhunderten eben genau an der Catminster Akademie. Und deshalb ist der Leiter dieser Schule für alle Felidixschulen in den vier Königreichen zuständig. Ich nehme an, darum ist Albert Trotter hier in London.“ Miss Bridge hatte begonnen, sich während des Sprechens das lange Fell zu lecken. Sie saß jetzt in der Mitte des hellen Sessels.

Als hätte er seinen Namen gehört, wurde in diesem Moment die Tür aufgestoßen und Albert Trotter spazierte ins Klassenzimmer, dicht gefolgt von Horatio. Albert Trotter blieb neben Novas Tisch stehen und verbeugte sich ziemlich übertrieben in Richtung von Miss Bridge. Genau auf Novas Augenhöhe befand sich der Knauf seines Gehstocks. Die Katzenaugen in der Schnitzerei funkelten ihr grün entgegen.

„Verzeihung“, sagte Albert Trotter mit seiner kratzigen Stimme zu Miss Bridge, „ich störe nur ungern Ihren Unterricht.“

Miss Bridge sprang mit einem Satz vom Sessel auf Horatios Schreibtisch. „Warum, frage ich mich, sind Sie dann hier? Ich fühle mich nämlich durchaus gestört.“

Henry stupste Nova an. Miss Bridge konnte manchmal etwas kühl sein, aber eigentlich war sie nie unfreundlich.

„Nun“, begann Albert Trotter und er klang auf einmal ziemlich leise und kleinlaut, „ich habe gerade mit Horatio den Lehrplan durchgesprochen. Es gibt da einige Unklarheiten. Wesentliche Prüfungen wurden nicht abgehalten. Die Kinder haben auch nicht alles gelernt, was eigentlich unterrichtet werden sollte. Normalerweise werden Felidix ja auch nicht von Katzen …“

Miss Bridge fauchte und machte einen Katzenbuckel, sodass Albert Trotter erschrocken ein paar Schritte zurückwich. „Wer, wenn nicht wir Katzen, kann wohl die Felidix am besten unterrichten?“, rief Miss Bridge. „In dieser Schule leisten wir großartige Arbeit und normalerweise werden wir nicht mitten im Unterricht dabei unterbrochen!“

Albert Trotter schien für einen Augenblick verwirrt zu sein. Er drehte sich Hilfe suchend nach Horatio um, dann aber blieb sein Blick an den bunten Bastschnüren hängen und den fröhlichen Bildern an den Wänden, auf denen sich bunte Pfotenabdrücke befanden.

Er zog seine Augenbrauen zu einem einzigen dünnen Stich zusammen und sagte zu Horatio: „Ich gebe dir eine Woche. Dann wird die Halbjahresprüfung abgelegt und ich werde persönlich anwesend sein.“ Er strich sich über die grauen Haare, räusperte sich und wandte sich wieder Miss Bridge zu. „Ich bitte um Vergebung für mein Eindringen. Es käme mir niemals in den Sinn, Ihren Unterricht zu kritisieren. Ich bin mir sicher, dass diese Felidix bei der Prüfung beweisen können, wie gut sie unterrichtet wurden. Und danke, Horatio, ich finde allein nach draußen. Hab noch einen angenehmen Geburtstag.“

Wieder verbeugte Albert Trotter sich, bevor er das Klassenzimmer verließ. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, stieß Miss Bridge einen tiefen, erleichterten Seufzer aus und begann, heftig die abstehende Fellsträhne zu lecken.

4

Horatio ging nach vorn und ließ sich in den Sessel fallen. „Das war knapp“, murmelte er.

Miss Bridge hörte auf, sich zu putzen, sprang auf die Lehne und rieb ihren Kopf an Horatios Schulter. „Ausgerechnet heute muss der hier erscheinen“, schnurrte sie. „Dabei hätte es so ein schöner Tag werden sollen!“

Horatio fasste sich an den Hals. Sein Krawattenknoten schien ihn zu stören. „In der Tat“, sagte er, „es ist kein schönes Gefühl, in Pantoffeln Albert Trotter gegenüberzustehen.“

Die Kinder und Miss Bridge lachten und Nova hob den Arm.

„Nova?“ Horatio lächelte ihr müde zu.

„Kommt Albert Trotter wieder zurück und müssen wir echt eine Prüfung machen?“, fragte sie und sprach damit aus, was allen Schülern gerade im Kopf herumging.

Horatio seufzte laut, löste den Knoten vollständig auf und zog sich die Krawatte vom Hals. „Ich fürchte“, sagte er, „dass wir ihn nur mit dieser albernen Prüfung abwimmeln können. Doch wenn das überstanden ist, hat Albert Wichtigeres zu tun. Er hat mir erzählt, dass jetzt tatsächlich in Schottland eine Schule für Felidix eröffnet werden soll. Wurde auch Zeit, nun wo Fergus vertrieben worden ist.“

Novas Hand schoss erneut nach oben. „Was für eine Prüfung soll das denn genau sein?“

Miss Bridge leckte sich gerade die Pfote. Bei Novas Frage hob sie den Kopf. „Ihr lernt hier wirklich alles, was man als Felidix wissen muss. So viel kann ich dir versichern. Und deshalb solltest du dir keine Sorgen machen, Nova. Und ihr anderen natürlich auch nicht. In der Prüfung geht es um Katzenkampfkunst, Katzenetikette, Katzenmalerei, Musik und Mathematik. Die Geschichte der königlichen Katzen spielt natürlich auch eine Rolle sowie das praktische Versorgen von hilfsbedürftigen Katzen.“

Ein lautes Aufatmen ging durchs Zimmer. Auch wenn sie bei Horatio noch nie eine Prüfung geschrieben hatten, so hatten die Kinder doch unglaublich viel in all diesen Fächern gelernt. Und sie waren richtig gut darin.

Horatio ließ seinen Blick durchs Klassenzimmer gleiten über die kreisförmigen Wände des Turms und die bunten Bilder, die dort hingen. Er lächelte zufrieden. „Ich weiß, dass ich stolz auf euch alle sein werde. Die Prüfung ist also wirklich kein Grund zur Besorgnis.“

Miss Bridge räusperte sich und sah Horatio erwartungsvoll an.

Ihr Lehrer zuckte zusammen. „Ja, natürlich. Da wäre noch etwas“, sagte er zögerlich. Er fuhr sich mit der Hand über den Schnauzbart und sah an die Decke, als würde er dort nach Worten suchen. „Wir haben euch bislang nicht in Katzenritualen unterrichtet. Es ist ja ein altes und – wie soll ich sagen – nicht wirklich zeitgemäßes Fach. Das wäre also das Einzige, was ihr nachholen müsstet. Melonia, wenn du vielleicht …?“ Horatio sah Miss Bridge bittend an.

Sie drehte ihren Kopf, ohne dass auch nur ein einziges Schnurrhaar zuckte. „Wenn es sein muss“, erwiderte sie kühl. „Aber jetzt habe ich erst mal Hunger.“ Sie sprang von der Lehne des Sessels und marschierte aus der Tür.

Horatio nahm ein Stück Kreide in die Hand.

Drei Stunden später liefen auch die Kinder endlich die Treppe hinunter und in die Küche. Vom Festmahl, das sie eigentlich am Morgen hatten verspeisen wollen, war nicht mehr viel übrig. Die Katzen hatten die meisten Schüsseln gelehrt.

Obwohl Nova schon von Weitem sah, dass ihr Lieblingskäse bis auf den letzten Krümel verspeist worden war, sprang sie die Treppenstufen fröhlich herunter. „Ihr seid noch hier!“, rief sie glücklich.

Es sah tatsächlich so aus, als wären im Moment die Katzen aus ganz London in dem gemütlichsten Raum in Horatios Turm versammelt. Sie lagen und saßen auf Sofalehnen und Teppichen, in Regalen und auf Katzenbrücken und zwischen den Essensresten auf den Tischen.

Shayan, der Anführer der Mitternachtskatzen, saß aufrecht am Ende eines der Tische und neigte den Kopf zur Seite. „Nun ja. Wenn schon einmal alle Katzen am Hof freibekommen, müssen wir das ausnutzen. Königin Quinn droht im Moment keine Gefahr, da Fergus und Penelope vertrieben wurden. Was soll ich sagen? Man muss die Ruhe nutzen, bis der nächste Hofhund nebenan einzieht. Altes Katzensprichwort.“

Henry schob die Ärmel seines Pullovers hoch und griff in eine Schüssel mit Zimtschnecken. „Als ob Mitternachtskatzen Angst vor Hofhunden hätten …“

Die meisten Katzen im Raum lachten, nur Edison, der schwarze Straßenkater, verzog keine Miene. Nova setzte sich neben ihn.

„Nicht so nah!“, maunzte er. „Hast du etwa noch nichts über Katzenrituale gelernt?“

Nova sah Edison erschrocken an. „Was meinst du?“

Der Kater verzog ein wenig sein Gesicht. „Entschuldige, war nur ein Scherz. Dieser Albert Trotter hat mir einen Schauer über den Rücken gejagt. Unangenehmer Typ!“

Nova nickte heftig mit dem Kopf. „Wenn ich mir vorstelle, ich müsste bei ihm zur Schule gehen und nicht bei Horatio … Und das mit den Katzenritualen sollen wir erst noch lernen. Was soll das überhaupt sein?“

„Völliger, totaler, hirnrissiger und krallenspaltender Unsinn“, sagte Edison so laut, dass die Katzen am Tisch neugierig ihre Köpfe zu ihm drehten. Der Kater fuhr etwas leiser fort: „Wenn du mich fragst, dienen Katzenrituale nur dazu, Felidix und Katzen voneinander fernzuhalten. Und manchen Menschen, so wie Albert Trotter, helfen sie dabei, sich wichtigzumachen.“

Horatio hatte begonnen, laut mit Töpfen und Pfannen zu klappern. Nova drehte sich um und sah, wie er eine Schachtel Eier aus dem Kühlschrank zog. Sie wollte ihm zurufen, dass noch die Torte da war und er kein Essen machen musste.

Doch Henry kam ihr zuvor. Er sprang auf, zog Horatio an einem Hemdsärmel und sagte: „Du sollst heute gar nichts machen – außer Geburtstag feiern!“

Viele der Katzen schrien und bekundeten so aus vollem Hals ihre Zustimmung. Ria war bereits dabei, die Torte anzuschneiden, und auch Großtante Isabelle tauchte auf einmal wieder auf. Sie stand in der Tür, ihr Gesicht war rot vom Wind und um ihren Hals flatterte ein buntes Seidentuch mit Frühlingsblumen darauf. „Endlich – die Torte!“, rief sie begeistert.

Die Stimmen von Katzen und Felidix hallten von den Wänden des alten Turms wider. Kühle Frühlingsluft drang durch alle Ritzen und Nova hatte es sich in einem gemütlichen Ohrensessel bequem gemacht. Sie war gar nicht so hungrig. Im Moment fand sie es einfach schön, dem Trubel zuzusehen und sich darüber zu freuen, mit Horatio Geburtstag zu feiern.

Zugegeben, der Besuch von Albert Trotter heute Morgen hatte ihnen kurzfristig die Laune verdorben, aber jetzt war alles wieder in Ordnung. Diese komische Prüfung würden sie schon irgendwie hinter sich bringen. Die Felidix und die Katzen waren im letzten Jahr zweifellos mit ganz anderen Schwierigkeiten fertiggeworden.

An ihrem Bein streifte eine dünne schwarze Katze vorbei, die sofort unter dem Sessel verschwand. „Nova Loxley?“, fragte sie.

„Ja“, sagte Nova und beugte sich hinunter, um die Katze zu sehen. Es war nur ein Schatten zu erkennen. „Und wer bist du?“

Die Katze beantwortete die Frage jedoch nicht. „Geh nach draußen!“, hörte Nova sie sagen. „Eine Katze ist in großer Gefahr. Komm schnell! Sie versteckt sich hinter den Sonnenblumen.“

5

„Warum siehst du so erschrocken aus?“, fragte eine Stimme hinter Nova. „Ich glaube, es ist genug Kuchen für alle da. Horatio gibt den Katzen nur winzige Stücke, obwohl deine Großtante darauf geachtet hat, dass ihnen von der Torte nicht schlecht werden kann. Altes Felidixrezept oder so ähnlich …“

Es war Said, der sich jetzt auf eine Armlehne des Sessels setzte und ihr seinen Teller mit Torte hinhielt. Normalerweise hätte sich Nova gern mit ihrem Mitschüler unterhalten. Said war oft in sich gekehrt und still, doch das hatte sich in den letzten Wochen etwas geändert. Am Anfang des Schuljahrs hatten Nova und Said kaum miteinander geredet, aber nun taten sie das oft. Vor allem wenn Said etwas über Katzenkunst erzählte, war er kaum zu bremsen.

Nova sah auf die Torte und fühlte, wie ihr Magen einen Purzelbaum schlug. „Ich muss los“, sagte sie aufgeregt. „Da draußen ist eine Katze, die Hilfe braucht …“ Sie sprang auf. Dummerweise übersah sie dabei die kleine Kugel aus Holz, mit der Rocco und Pablo vor ein paar Minuten noch gespielt hatten. Ihr Fuß rutschte darüber, glitt ab und sie schlitterte nach vorn. „Auuuuu!“

Mit einem lauten Knall landete Nova auf einem Vorleger aus Bast, an dem die Katzen oft ihre Krallen schärften. In der Küche war es für ein paar Sekunden still, dann riefen alle laut durcheinander und Großtante Isabelle beugte sich über Nova. „Diese dämlichen Holzkugeln!“, schimpfte sie. „Ich habe mir neulich den Zeh daran gestoßen. Es kann doch nicht sein …“

„Nicht so schlimm“, versuchte Nova, sie zu beruhigen. Sie zog sich am Sessel hoch, aber als sie den Fuß belastete, fuhr ein heftiger Schmerz durch ihren Knöchel. Sie schrie erneut auf.

Jetzt war auch Horatio zur Stelle. Er und Isabelle drückten Nova zurück in den Sessel. „Ich hole Eis“, sagte ihr Lehrer und hastete zum Kühlschrank.

„Aber ich muss …“, versuchte Nova zu erklären. Neben ihr stand Said. Sie warf ihm einen flehenden Blick zu und schon lief Said zur Tür.

„Ich gehe!“, rief er Nova zu. „Mach dir keine Sorgen!“