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Schnurrend durch den Advent Weihnachten steht vor der Tür, und auf eine Tradition freuen sich Katzen und Felidix ganz besonders: im festlich geschmückten Schulturm zusammenzusitzen und den Geschichten aus den Magischen Seiten zu lauschen. Sobald sie erklingen, erfüllen sie jedes Herz mit ihrem einzigartigen Zauber. Doch alle 24 Blätter sind verschwunden! Wird es den Katzen gelingen, sie rechtzeitig wiederzufinden und das Weihnachtsfest zu retten? Alle Abenteuer mit den Mitternachtskatzen: Band 1: Die Schule der Felidix Band 2: Die Hüter des Smaragdsterns Band 3: Der König der Federträger Band 4: Der Geisterkater von Bakerloo Adventskalender: Mr Mallorys magisches Weihnachtsgeheimnis
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Seitenzahl: 163
Veröffentlichungsjahr: 2023
Als Ravensburger E-Book erschienen 2023Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag© 2023, Ravensburger VerlagText © 2023 Barbara LabanOriginalausgabeCover- und Innenillustrationen: Jérôme PélissierAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN 978-3-473-51186-0ravensburger.com
Mein Name ist Pablo. Ich bin eine Mitternachtskatze und gehöre damit zur berühmten Leibgarde der Katzenkönigin Quinn der Einundzwanzigsten von Piccadilly. Vielleicht bin ich etwas kleiner als die anderen und manchmal ein bisschen tollpatschig, aber dafür traue ich mich einfach alles!
Wisst ihr eigentlich, warum Weihnachten in der Schule für Felidix besonders schön ist? Oh, vielleicht muss ich erst mal erklären, dass Felidix Katzenbeschützer sind, die mit Katzen sprechen können. Im Tower of London gibt es einen uralten Turm, in dem eine Schule für Felidix untergebracht ist. Der Schulleiter heißt Horatio und ist ein Mensch, doch es unterrichten dort tatsächlich auch Katzen. Zum Beispiel in den Fächern Katzenmusik und Katzenkampfkunst, aber auch in Mathematik.
Ich sitze übrigens gerade auf Barbaras Schreibtisch. Sie ist diejenige, die diese Geschichte aufschreibt, damit ihr sie lesen könnt. Ich bin total stolz, dass ich beginnen darf, doch gerade in diesem Moment fängt Hector draußen vor der Tür an zu singen. Er ist nach mir mit dem Erzählen dran. Wenn er noch lange singt, dann hat Barbara vielleicht keine Lust mehr, heute noch ein weiteres Wort zu schreiben. Menschen finden unsere Musik irgendwie nicht so gut. Warum, weiß ich auch nicht.
Darum überlasse ich Hector gleich mal meinen Platz auf Barbaras Tisch, sobald ich euch erzählt habe, wie alles angefangen hat. Freut euch auf die Geschichte der Magischen Seiten!
Vorher muss ich aber noch kurz erklären, wer im Moment alles im Turm wohnt. Also, da gibt es Nova, eine tolle Felidix, die wir Katzen sehr mögen, weil sie abenteuerlustig ist wie wir und weil sie sich oft nachts durch die Straßen und Gassen Londons schleicht. Und Henry, der ist ein Mathematik- und Geruchsgenie. Die beiden sind Mitternachtskatzen ehrenhalber. Die Mitternachtskatzen sind die Leibgarde der Katzenkönigin von England: Quinn der Einundzwanzigsten von Piccadilly. Sie wohnt in einem Palast und nicht hier im Turm. Aber ich schweife ab. Im Turm leben noch andere Felidix: Said, Ria, Ed und Gustav. Und jede Menge Katzen natürlich!
Wir wollen euch gern eine tolle Geschichte erzählen. Sie hat mit den Magischen Seiten, uns Katzen und Weihnachten zu tun. Und sie fängt am ersten Dezember an. Gibt es ein passenderes Datum, um mit so einer Geschichte zu beginnen?
Ups, jetzt habe ich leider gerade Barbaras Teetasse vom Tisch geworfen. Entschuldige bitte, Barbara!
Höchste Zeit, mit unserer Geschichte zu starten. Los geht’s:
„Pablo!“, rief Nova mir aus einem Fenster in Horatios Turm entgegen, als ich gerade durch das Loch in der Mauer schlüpfte. Ich freute mich riesig auf meinen freien Tag und auf den Besuch bei den Felidix.
Eigentlich lebe ich ja als Mitternachtskatze im Palast der Katzenkönigin Quinn, aber an diesem Tag wollte ich unbedingt Nova, Henry und die anderen Kinder sehen, die auf Horatios Schule gehen. Es war nämlich der erste Dezember und der Dezember ist mein allerliebster Monat. Natürlich nicht, weil ich dann oft nasse Pfoten bekomme und die Sonne so schnell untergeht, sondern weil es der Monat der Kerzen, der Lichter und des Weihnachtsfests ist. Ich liebe Weihnachten!
Im Jahr zuvor hatte ich Weihnachten im Palast feiern dürfen und das war richtig toll gewesen, aber Königin Quinn wollte dieses Jahr nach Schottland reisen und viele der Mitternachtskatzen hatten beschlossen, sie zu begleiten. Selbst mein bester Freund Benji und das finde ich sehr traurig. Benji und ich machen fast alles zusammen, da sollten wir auch Weihnachten gemeinsam feiern!
Also war ich an diesem ersten Dezember zum Turm gekommen, um zu fragen, ob ich mit Horatio und den Kindern feiern könnte. In Horatios Turm werden an Weihnachten nämlich immer weiche Decken und Kissen ausgebreitet, Hector lässt auf dem Grammofon Katzenharfenmusik laufen und die Straßenkatzen tragen ihre Gedichte vor. Ich hatte aber auch gehört, dass viele der Felidix Weihnachtspläne mit ihren Familien hatten. Wer würde dieses Jahr überhaupt Weihnachten in Horatios Turm verbringen?
Ich lief also über den kleinen Kiesweg, vorbei an den winterleeren Blumenbeeten. Von hier aus konnte ich die Steintreppen, die zum Eingangstor des Turms führen, schon sehen. Da hörte ich plötzlich ein seltsames Geräusch. Es klang wie ein ängstliches Wimmern und es kam aus der alten Linde, die so hoch ist, dass man sie selbst von der Tower Bridge aus sehen kann.
„Hallo?“, rief ich und blickte nach oben in die kahlen Äste und Zweige des Baums. Da! Was war das? Ein Katzenschwanz, gefleckt wie der von Benji und daran eine ziemlich kleine, dünne Katze, die wie ein Chamäleon auf einem dicken braunen Ast verschwand.
„Hey!“, sagte ich. „Ich hätte dich fast nicht gesehen da oben! Alles in Ordnung?“
Die Chamäleonkatze rührte sich nicht. „Geh weg!“, entgegnete sie ziemlich unhöflich.
Ich setzte mich unter dem Baum auf die Hinterpfoten: „Nur, wenn du runterkommst!“, maunzte ich ihr zu.
„Kann nicht“, antwortete die Chamäleonkatze jetzt von oben. „Sitze fest.“
Ich verstand natürlich sofort. Ich darf von mir behaupten, dass ich mich selbst schon in die eine oder andere missliche Lage gebracht habe. Das Gefühl, irgendwo hoch oben zu sitzen und keinen Plan zu haben, wie man wieder auf den Boden kommt, kenne ich also sehr gut.
Vermutlich fand ich mich deshalb keine zehn Sekunden später selbst in der Linde auf demselben Ast wieder, auf dem die Chamäleonkatze verweilte. Ich hatte nicht einmal darüber nachgedacht, was ich da tat! Die Aussicht vom Baum war gewaltig ohne die Blätter, die der Herbst bereits vor einiger Zeit davongejagt hatte. Dann blickte ich nach unten. Der Boden schien auf einmal meilenweit entfernt zu sein und ich musste daran denken, wie Nova immer mit mir schimpfte, wenn ich wieder etwas Dummes angestellt hatte.
„Bist du gekommen, um mich zu retten?“, fragte mich die Chamäleonkatze höchst erstaunt.
„Ja, ähhh“, entgegnete ich und schielte in die Tiefe. „Vielleicht können wir gemeinsam versuchen, hier wieder runterzukommen …“
Die Chamäleonkatze schüttelte sich, als wäre ihr kalt und sie fragte ungläubig: „Und wie soll das bitte gehen? Dieser Baum hat ja unten gar keine Äste. Ihn hinaufzurennen, war überhaupt kein Problem. Aber rückwärts stürzen wir bestimmt sofort ab.“
Wo sie recht hatte, hatte sie recht. Mein Magen begann, sich mehrfach zu überschlagen, sobald ich in den Abgrund blickte. Dabei war es doch der erste Dezember und ich wollte unbedingt die Felidix sehen. Wenn uns niemand zu Hilfe kam, müssten wir wahrscheinlich den ganzen Advent hier oben verbringen.
Die Chamäleonkatze starrte auf meine Vorderpfote, auf der sie die kleine weiße Krone, das Symbol der Mitternachtskatzen, sah. „Bist du etwa …?“, fragte sie erstaunt.
Stolz nickte ich und verlor dabei fast das Gleichgewicht.
„Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?“, rief sie fröhlich. „Ist es wirklich so, dass ihr einfach nur den Baum schnell genug nach unten lauft, ohne darüber nachzudenken? Das erzählt man sich doch über die Mitternachtskatzen. Sie sind ja so mutig und kennen keine Furcht! Ein Cousin von mir hat das mit dem Baumlaufen mal probiert und er sagt, das sei gar nicht schwer. Wir Katzen haben ja einen prima Gleichgewichtssinn.“
Bevor ich auch nur Zeit hatte, etwas zu erwidern, hatte die Chamäleonkatze sich schon auf den Weg gemacht. Ich hörte das kratzende Geräusch ihrer Krallen auf der Baumrinde und ehe ich michs versah, war die dünne Katze schon unten auf dem Kiesweg angekommen.
„Danke!“, rief sie mir außer Atem zu. „Ohne dich hätte ich das nie geschafft! Ich bin so glücklich, endlich eine Mitternachtskatze kennengelernt zu haben.“
In diesem Moment tauchten hinter der Katze auf einmal die Felidix auf. Nova, Henry und die anderen. Anscheinend waren sie gerade dabei, Plätzchen zu backen. Ich konnte den Duft von Zimt und Lebkuchen bis oben riechen und Gustav hatte vom Mehl ganz verstaubte Arme und Hände.
„Brauchst du Hilfe, Pablo?“, rief Nova, die dicht an die Linde herankam.
Ich fuhr nervös meine Krallen schnell ein und aus. „Aber nein!“, rief ich. „Ich bin schließlich eine Mitternachtskatze! Wir wissen natürlich bestens, wie man von einem so kleinen Baum wieder runterkommt.“ Mit zitternden Pfoten raste ich den Baumstamm herunter. Mein Magen überschlug sich mehrfach und in meinen Ohren sauste es, wie sonst nur auf der Rennstrecke im königlichen Palast. Dann landete ich unversehrt genau neben der Chamäleonkatze, die mich bewundernd anblickte. Ich fand sie wirklich ganz entzückend!
„Wie schön, dass du hier bist!“, sagte Henry und nahm mich auf den Arm. „Wollen du und deine Freundin uns beim Plätzchenbacken helfen? Wir machen auch Krabbenkekse.“
Da musste man mich natürlich nicht zweimal bitten und auch die Chamäleonkatze bekam einen ganz hungrigen Blick.
„Wisst ihr eigentlich“, fragte ich die Kinder, „dass heute der erste Dezember ist? Ich habe dieses Jahr so ein paar Pläne, was Weihnachten angeht, die ich gern mit euch besprechen will …“
Henry sah mich ein bisschen traurig an. „Ich bin über Weihnachten leider nicht hier“, sagte er. „Meine Eltern kommen mit dem Schiff nach Brighton. Ich treffe sie dort. Das ist natürlich toll, aber dafür verpasse ich Weihnachten im Turm.“
Gustav und Ria seufzten gleichzeitig. „Wir auch.“
Nach und nach stellte sich heraus, dass außer Nova alle Felidix Weihnachten mit ihren Familien verbrachten und nicht in Horatios Turm. Natürlich freute ich mich für sie, aber irgendwie war ich auch enttäuscht. Wie sollte denn Weihnachten ohne die Felidix und ohne Benji werden? Ich ließ mir dennoch nichts anmerken, damit die anderen nicht auch traurig wurden. Dann drückte ich mich ganz dicht an Henry und schnurrte. „Sagtest du Krabbenplätzchen?“
Ich brauche mich eigentlich nicht vorzustellen. Jeder weiß ja schon, dass ich der wichtigste Kater in Horatios Turm bin. Nicht nur, weil ich der Musiklehrer bin, sondern vor allem, weil ich zu jeder Zeit genau informiert bin, was hier vor sich geht.
Was war das gestern für ein Trubel, als Pablo hier aufgetaucht ist! Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie aufgeregt junge Menschen und Katzen in der Vorweihnachtszeit sind. Ich dagegen liebe meine Ruhe, vor allem im Dezember.
So saß ich also auf dem Schoß meines Lieblingsmenschen Horatio und ließ mich verwöhnen. Dachte ich zumindest.
Horatio kraulte mir gerade mein Kinn. Irgendwie machte er es nicht so gekonnt wie sonst und sein Griff war etwas zu fest. Mir wurde schnell klar, dass heute etwas mit ihm nicht stimmte.
Also fauchte ich kurz, aber bestimmt, und er entschuldigte sich hastig: „Verzeih mir, Hector. Es ist diese Zeit im Jahr, die mich immer etwas nachdenklich macht. Weihnachten steht vor der Tür und da muss ich an die längst vergangenen Feste im Turm denken, als ich selbst noch ein Schüler war. Sie sind mir in unvergesslicher Erinnerung geblieben.“
Natürlich kannte ich Horatios Verstimmungen zur Weihnachtszeit nur zu gut. Auch wenn er versuchte, seine Niedergeschlagenheit mit Dekoration, Plätzchen für Katzen und Kinder und menschlicher Weihnachtsmusik (pah!) zu überspielen: Der Dezember schien jedes Jahr Schatten auf sein Gesicht zu werfen. Doch für gewöhnlich redete er nicht gern darüber, weshalb ich verständnisvoll zu schnurren begann. „Liegt es daran, dass die jetzigen Schülerinnen und Schüler sich so unglaublich schlecht benehmen?“, fragte ich mitfühlend. „Eine wirklich anstrengende Bande!“
Nova, Henry und die anderen vier brachten mit ihren nächtlichen Ausflügen und gefährlichen Abenteuern unser ganzes gemütliches Leben im Turm beinahe täglich durcheinander. Ich konnte es gut nachvollziehen, dass dieses ungehörige Verhalten zu Horatios strubbeligen Haaren und glasigem Blick geführt hatte. Allerdings war das nicht nur im Dezember so. Wenn man mich fragt: Die Kinder waren das ganze Jahr über eine echte Plage.
Horatio lachte kurz auf. „Nicht doch, Hector. Wir haben den Kindern viel zu verdanken. Meinst du nicht? Wie würde die Katzenwelt jetzt wohl ohne sie aussehen?“ Sofort wurde sein Blick wieder ernst. „Es ist nur …“, er stockte und sah bedrückt durch seine dicken Brillengläsern auf die Holzdielen am Boden. „Weihnachten mit Mr Mallory war magisch. Von ihm habe ich alles gelernt, was ich über Katzen weiß. Der ganze Turm glänzte im warmen Licht, es duftete förmlich nach Freude und Geborgenheit. Katzen, Kinder und Erwachsene fühlten ein ganz besonderes Band, das sie zusammenhielt.“
Mr Mallory war vor langer Zeit Leiter der Schule im Turm gewesen, als Horatio selbst hier Schüler war. Noch heute sprach Horatio oft und gern von seinem alten Lehrer. Der Seufzer, der nun folgte, war kaum auszuhalten. Nicht nur, weil meine Ohren so empfindlich sind, sondern auch, weil ich es hasse, wenn Horatio trübselig ist. Unglücklicherweise wurde sein Griff in meinem Nacken jetzt so fest, dass er mir buchstäblich die Luft abschnürte. Doch ich rührte mich nicht. Stattdessen presste ich hervor: „Weihnachten mit dir ist auch unvergesslich, mein Freund. Die traditionelle Fischsuppe, das Katzengrasspiel, die Wunderkerzen. Wir lieben diese Zeit mit dir!“
Die Hand an meinem Nacken entspannte sich etwas. Ich zeigte mit der Pfote auf die blaue Teetasse auf dem Tisch. Die Brühe würde ihn sicher beruhigen. Horatio griff danach und ich hielt die Luft an, damit er nichts von der braunen Flüssigkeit über mir verschüttete.
Nachdem er getrunken hatte, sagte Horatio leise: „Ich habe dir nie davon erzählt, Hector. Es gibt einen Grund, warum Weihnachten mit Mr Mallory so besonders war. Er hat uns aus den Magischen Seiten vorgelesen.“
Seine letzten Worte waren kaum zu verstehen. Gestern erst hatte mir Ria die Ohren ausgeputzt. Sie ist die Einzige, der ich in dieser Hinsicht vertraue. Einmal hatte auch Ed es versucht und diese Erfahrung bereitet mir bis heute Albträume.
„Die Magischen Seiten sind doch reine Fantasie!“, wandte ich ein. „Eine Gutenachtgeschichte für kleine Kätzchen, die sich vor dem Gewitter fürchten. Mehr nicht. Mein lieber Horatio, du verklärst wahrscheinlich mal wieder deine Jugend. Geht mir nicht anders. Die Mäuse waren damals schmackhafter und die Katzenopern klangvoller. Magische Seiten – wer glaubt schon an so was? Tsss…“
„Es gab sie wirklich“, sagte Horatio und klang fast beleidigt. Jedenfalls schob er mich von seinem Schoß. Er hielt die Tasse fest umklammert, stand auf und lief zur Spüle. „Doch Mr Mallory musste sie verstecken. Ich weiß nicht, wem er damals misstraute und das spielt auch keine Rolle. Es gab vierundzwanzig Seiten, die er an den verschiedensten Orten in London verborgen hat. Eine überaus komplizierte Angelegenheit und ich weiß wirklich nicht, wo ich mit dem Suchen beginnen soll. Weihnachten wird wohl einfach nie mehr so werden, wie es mit Mr Mallory war.“
Er stand an der Spüle und hatte die Brille abgenommen. Jetzt wischte er sich mit dem Hemdsärmel über die Augen. Ein wirklich trauriger Anblick, der selbst mir die Schnurrhaare schmerzen ließ!
Ich sprang leichtfüßig vom Sofa, aber die Landung auf den Holzdielen tat meinen empfindlichen Pfoten nicht gut. Trotz meines eigenen Unwohlseins strich ich Horatio gekonnt um die Beine, denn damit lässt er sich immer beruhigen.
„Es waren die Magischen Seiten, die Weihnachten für mich unvergesslich gemacht haben“, sagte Horatio und es klang wie ein trauriges Geständnis.
Irgendetwas in meinem Bauch zog sich zusammen, wie es nur passiert, wenn ich mir Sorgen um Horatio mache. Zum Glück kommt das nicht allzu häufig vor. Vielleicht war es auch nur mein Frühstück, das sich dort rührte.
Horatio war bereits auf der Treppe nach oben, wo die Katzenuhr miaute. „Ich muss in den Unterricht …“, murmelte er und war verschwunden.
Eigentlich ist es Zeit für ein Schläfchen, sagte ich mir. Doch mein Bauch ließ mir keine Ruhe. Dann schlich sich auch noch dieser abstoßende, ungeheure Gedanke in meinen stattlichen Kopf. Was soll ich sagen? Ich hasse nichts mehr, als andere Katzen um Hilfe zu bitten. Nennt mich einen Einzelgänger. Aber es ging um Horatio. Und um Weihnachten. Und wenn Mr Mallory vor zig Jahren diese Magischen Seiten irgendwo versteckt hatte, dann würde mir sicher jede Katze Londons dabei zur Seite stehen, sie zu finden!
Außerdem wusste ich etwas, wovon Horatio keine Ahnung hatte. Ich trottete in sein Arbeitszimmer, drückte mit der Pfote an die mir vertraute Stelle an der Wand und marschierte in die winzige Kammer, die sich dahinter verbirgt. Sie ist der Rückzugsort von Cleo, einer Norwegischen Waldkatze, gewesen, die zu Mr Mallorys Zeiten im Turm gelebt hat. Ich habe das Versteck durch Zufall entdeckt und ziehe mich öfter dorthin zurück, wenn die anderen Turmbewohner mal wieder zu anstrengend sind.
Es roch dort immer noch nach Mr Mallorys Sahnekaramellbonbons und Cleos Pfotenöl. Doch im Moment interessierte ich mich nur für eins: Cleos Geheimnisse, die sie mit den Pfoten in die Wand geritzt hat. Dort steht zum Beispiel, wo sich die geheimen Ausgänge aus dem Turm befinden und um welche Uhrzeit der damalige Milchmann seine Köstlichkeiten vor dem Tor abstellte.
Aber es gab noch eine Botschaft, der ich bisher keine Beachtung geschenkt hatte: Weihnachten beginnt im Mäuseloch, stand dort. Wie überaus seltsam!
Geschickt fühlte ich mit einer Pfote den Boden ab. Es kostete mich ziemlich viel Geduld, aber dann war es so weit. Ich fand eine Öffnung auf dem Boden direkt an der Wand. Schon lange war ich nicht mehr auf Mäusejagd gewesen, doch dieses kleine Loch weckte Kindheitserinnerungen in mir. Ich fischte ein wenig mit der Pfote darin herum und blieb mit der Kralle an etwas hängen. Voller Vorsicht zog ich eine Papierrolle hervor, die nur mit einem dünnen Band zugeschnürt war. Konnte es etwa sein …?
Kaum hatte ich das Band entfernt, rollten sich die Blätter auf. Es waren zwei davon. Cleos kleine Kammer erstrahlte auf einmal in einem goldenen Licht, das wie von einer Lampe von den beiden Blättern schien. Magische Weihnachten konnte ich lesen, doch der Rest der Worte ergab keinen Sinn.
Ich betrachtete das untere Ende der zweiten Seite. Dort stand in Druckbuchstaben:
Die nächste Seite ist unter dem letzten Stein in der Mauer beim Rabenturm versteckt. Für magische Weihnachten musst du dort mit der Suche beginnen.
Von vierundzwanzig Seiten hatte Horatio gesprochen und der Rabenturm befindet sich ganz in der Nähe auf dem Gelände des Towers of London. Natürlich konnten die Raben uns Katzen alle nicht ausstehen. Mit einer Ausnahme: Es gab zum Glück eine Katze, der ich vertraute und die ich sogleich um Rat bitten würde. Mein wohlverdientes Schläfchen musste also noch warten.
Mein Name ist Moira. Ich bin eine Langhaarkatze in den besten Jahren und ständig mit meinem Menschen Isabelle unterwegs. Wir reisen mit dem Catjet, unserem Wohnmobil, über die Britischen Inseln und ihr werdet nicht glauben, wie viele Abenteuer wir dabei schon erlebt haben.
„Wo sind nur diese verflixten Pantoffeln?“, schimpfte Isabelle. Wie bei Menschen so üblich, verfiel sie kurz bevor sie zu einer Reise aufbrach gern in Panik.
Ich strich ihr schnurrend um die Beine, so gekonnt, wie ich es in all den vielen Jahren, die ich schon bei Isabelle lebte, gelernt hatte.
Mein liebster Mensch beugte sich herunter und sah mich ernst an. „Moira, ich weiß, du denkst es ist verrückt, im Dezember Richtung Norden zu fahren, aber so machen wir es jedes Jahr und nur wegen ein paar fehlender Pantoffeln werde ich sicher nicht aufgeben. Sag mir lieber, wo sie stecken.“
Ich hatte keine Lust auf eine Diskussion mit ihr und keine Ahnung, wo sie ihre Pantoffeln verlegt hatte, also drehte ich mich um und lief zur Tür des Catjets, unseres umgebauten Wohnmobils. Mit einer Pfote bereits durch die Katzenklappe, rief ich: „Ich kann dir heute nicht beim Suchen helfen! Hector hat mich um einen Gefallen gebeten!“ Sie wusste, wie sinnlos es war, mich aufzuhalten.
Die Luft war kalt und trocken wie ein gefrorener Milchkeks. Ich sog den scharfen Geruch durch meine Fellnase und meine Schnurrhaare zitterten vor Aufregung.
Hector bittet selten um Hilfe, also wusste ich, wie wichtig meine Mission heute war. Ich konnte natürlich für nichts garantieren. Die Tatsache, dass die Raben mich für gewöhnlich in Ruhe ließen, bedeutete nicht, dass sie einfach dabei zusehen würden, wie ich ihnen eine Magische Seite vor dem Schnabel wegstibitzte.