Wishkeeper, Band 2 - Die Reise nach Silversands - Barbara Laban - E-Book

Wishkeeper, Band 2 - Die Reise nach Silversands E-Book

Barbara Laban

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Beschreibung

Stellt euch vor, es gibt ein Land, in dem die unerfüllten Wünsche der Menschen gehütet werden. Kommt zusammen mit Lexi und Milo nach Everwish! Lexi und Milo kehren nach Everwish zurück, denn dort wartet eine weitere Aufgabe auf sie: Die beiden Wishkeeper sollen die Crimsons, kleine, verkuschelte Wunschwesen, aus der Stadt Silversands in ihre Heimat Flavia bringen. Als der Crimson Hope in die Fänge des Horroxers Tremoris gerät, müssen sie sich auf eine abenteuerliche Reise in die unwirtlichste Region von ganz Everwish begeben – in die Eiswelt von Eterna … Entdecke alle fantastischen Abenteuer der Wishkeeper: Band 1: Das Land der verborgenen Wünsche Band 2: Die Reise nach Silversands Band 3: In der Eiswelt von Eterna Ebenfalls von Barbara Laban: Mitternachtskatzen Band 1: Die Schule der Felidix Band 2: Die Hüter des Smaragdsterns Band 3: Der König der Federträger Band 4: Der Geisterkater von Bakerloo Adventskalender: Mr Mallorys magisches Weihnachtsgeheimnis

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MOBI

Seitenzahl: 270

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2025 Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag GmbH © 2025, Ravensburger Verlag GmbH

Text © 2025 Barbara Laban Originalausgabe Cover- und Innenillustrationen: Alessia Trunfio Rahmen- und Typografiegestaltung: Alexander Kopainski Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.

ISBN 978-3-473-51263-8

ravensburger.com/service

1

Lexis ganzer Körper kribbelte so sehr, dass sie nicht still sitzen konnte. Endlich war der Tag gekommen, auf den sie so sehnsüchtig gewartet hatte. Nur dass sie ihren Eltern nichts davon erzählen konnte, machte ihr schwer zu schaffen.

IhrVaterhatteFrühstückgemachtundihreMuttersaßbereits am Tisch. Das war ein gutes Zeichen. Wenn Benjamin Davis in London arbeitete und jeden Abend nach Hause kam, ging es seiner Frau etwas besser. Das hatte sich in der letzten Woche herausgestellt.

„Du strahlst vielleicht“, sagte Lexis Vater und schob einen Teller mit frischem Bananenbrot zu ihr hinüber, von dem Lexi hastig probierte, obwohl sie gar keinen Hunger hatte. „Hast du heute vielleicht etwas Besonderes vor?“

Lexi verschluckte sich und begann zu husten. Sie spürte, wie ihr Gesicht dabei feuerrot wurde, und ihr Vater reichte ihr ein Glas mit Wasser.

„Nein“, sagte Lexi so gelassen, wie sie nur konnte, „nichts Besonderes. Ich treffe mich im Park mit Milo und Talon. Wir wollen Fußball spielen.“ Sie aß mehr von dem süßen Bananenbrot, um ihren Eltern das Gefühl zu geben, dass es ein ganz normaler Morgen war.

„Die Jungen, die beide auf die Schule gleich um die Ecke gehen und von denen einer vor ein paar Tagen noch verschwunden war?“, fragte Benjamin Davis mit angestrengtem Lächeln. Auch Lisa Davis sah jetzt verwundert auf.

„Nur weil die beiden auf diese Schule gehen, die wir uns nicht leisten können, müssen sie ja nicht automatisch blöd sein“, rutschte es Lexi heraus.

Die Bemerkung tat ihr sofort leid. Ihr Vater machte sich natürlich Sorgen, weil die Sache mit Talons Verschwinden auch ihre Mutter ziemlich mitgenommen hatte. Wenn Papa wüsste, was sie heute vorhatte, würde er ihr sofort verbieten, in den Park zu gehen. Aber genau genommen würde er Lexi sowieso niemals glauben, was sie zu erzählen hatte.

Ihr Vater setzte sich neben sie und streichelte ihr über die Haare. „So habe ich das nicht gemeint und das weißt du auch. Mama und ich haben uns einfach ziemliche Sorgen gemacht, als Talon verschwunden war“, erklärte er mit angespannter Stimme.

„Es ist in Ordnung.“

LexiundihrVaterzucktenbeidezusammen,alssieMamasStimmehörten.LisaDavissprachnämlichnurnochselten.Daswarnormalfürjemanden,dersosehrunterseinerTraurigkeitlitt,hattedienetteHausärztinLexineulicherklärt.Dochdas hatte Lexi nicht getröstet. Sie vermisste Mamas Stimme.

Der Satz, den ihre Mutter jetzt sagte, klang so leise und zittrig, als müsste sie viel Kraft für ihre Worte aufwenden. „Wenn Lexi heute in den Park will, um ihre Freunde zu treffen, soll sie das ruhig machen.“

Lexi und Benjamin Davis sahen sich einen Augenblick an, halb überrascht, halb glücklich. Dann stand Lexi auf und gab ihrer Mutter einen Kuss. Sie verdrängte schnell ihr schlechtes Gewissen wegen der Geheimnistuerei, ließ den Rest des Bananenbrots liegen und verabschiedete sich, bevor ihr Vater weitere Einwände vorbringen konnte.

Milo, Talon und Lexi wollten sich auf der Wiese vor dem Prinz Albert Memorial im Hyde Park treffen. So hatte es Lexi zumindestmitMiloabgesprochen,densieindenletztenTagen immer kurz auf der Fußballwiese neben dem großen Spielplatz getroffen hatte. Leider hatte ihr Vater sie dabei immer begleitet. Er hatte Milo freundlich ein paar Fragen gestellt und der hatte sie höflich beantwortet, aber Lexi wusste, wie ungern Milo über sich selbst redete.

Über seine Eltern, die kaum Zeit für ihn hatten. Über die riesige Schule mit ihren majestätischen Toren und den hohen Eisenzäunen, auf die er ging. Oder über das Haus, in dem er wohnte und das größer war als das Mietshaus, in dem Lexis und fünf weitere Familien lebten.

Lexis Vater war Journalist und spürte mit Sicherheit, dass Lexi und Milo ein gemeinsames Geheimnis hatten. Nur was das genau war, konnte er natürlich nicht mal erahnen.

Die Jungs waren weit und breit nicht zu sehen. Lexi ließ ihren Blick über die Wiese und die Schotterwege des Parks schweifen. Überall tummelten sich Kinder, die Ferien hatten, Touristen, die die Stadt besuchten, und Leute, die gerade eine Frühstückspause machten. Lexi setzte sich auf eine Bank, schloss die Augen, lauschte den Stimmen und dem Vogelgezwitscher und genoss die Sonne, die ihr Gesicht wärmte.

„Popcorn?“,flüsterteaufeinmaljemandinihrOhrund sie fuhr erschrocken hoch. Ihr Herz machte einen Freudensprung, als sie sah, wer nun neben ihr auf der Bank saß, sie verschmitzt anblickte und sich mit einem Händchen durch seinen wilden lilafarbenen Haarschopf fuhr.

„Hope!“, rief Lexi und nahm den kleinen Crimson, der genauso strahlte wie sie, auf den Arm. „Ich habe dich schrecklich vermisst!“ Die fünf Tage, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte, kamen ihr auf einmal wie Monate vor.

Der Crimson umschlang nun mit seinen Ärmchen ihren Hals. „Popcorn?“, fragte er erneut.

Lexi griff in ihren Rucksack und zog lachend eine Tüte hervor. Der Crimson riss sie auf und stopfte sich die weißen Flocken in den Mund. Lexi sah sich nervös um. Für andere Leute, die Hope natürlich nicht sehen konnten, musste es so aussehen, als schwebte die Tüte in der Luft und das Popcorn löste sich spurlos auf.

LexidagegenwareineWishkeeperinundriesigstolzdarauf. Sie konnte die Wesen, die aus den unerfüllten Wünschen von kleinen Kindern entstanden waren, genauso sehen, wie sie die Krähen sah, die auf der Wiese vor ihnen auf und ab hüpften, oder den Hund mit den Schlappohren, der den Schotterweg entlangjagte.

Und dann sah sie noch jemanden. „Milo! Talon!“, rief Lexi aufgeregt.

Die Jungs hatten es nicht eilig. Beide schlenderten auf sie zu, Hände in den Hosentaschen. Talon war immer noch so blass wie vor einer Woche. Die Sonne hatte ihm nicht mal Sommersprossen ins Gesicht gezaubert. Milo sah entspannt und lässig aus. Er grinste Lexi freundlich zu und hob die Hand. Er trug ein dunkles T-Shirt und eine helle Hose. Es kamLexivor,alswürdesieihnschonewigkennen,nicht erst seit einer Woche. Einer Woche in der Menschenwelt, fuhr es ihr durch den Kopf. Als Wishkeeper und Wishkeeperin im verborgenen Land Everwish hatten sie natürlich mehr Zeit miteinander verbracht.

Hope ließ das Popcorn fallen und stürzte auf Talon zu. „Talon! Ich bin so aufgeregt!“

Nun waren die Jungs bei der Bank angekommen.

„Hope kann so viele neue Wörter!“, sagte Milo bewundernd und setzte sich neben Lexi.

Talon streichelte den Crimson. „Na ja“, sagte er, „es scheinthieretwasschnellerzugehenalsinEverwish,abereigentlich lernt er nur, was er will.“

„Spaß haben!“, schrie der Crimson wie zur Bestätigung.

Sie lachten und Lexi fühlte sich einen Moment genauso frei und unbeschwert wie Hope. Es war Sommer. Ihr Vater würde für eine Weile in London bleiben und sich um ihre Mutter kümmern, der es ein klein wenig besser zu gehen schien. Und Lexi selbst war endlich wieder mit Hope zusammen.

Auch Milo spielte fröhlich mit dem Crimson, fütterte ihn mit Popcorn und versuchte, ihm neue Wörter beizubringen. Hinter den beiden lief ein Mann im Nadelstreifenanzug vorbei, der die Szene kurz misstrauisch und mit zusammengekniffenenAugenbeobachtete.Milosahtatsächlichetwasseltsam aus – zumindest für Menschen, die nicht wussten, dass er mit einem unsichtbaren Wunschwesen spielte.

Talon dagegen saß stumm auf der Bank und schaute ihnen mit verschränkten Armen zu. Selbst Hopes Grimassen und seine Versuche, Lexi an den Haaren zu zupfen, brachten ihn nicht zum Lachen. Nach einer Weile sagte er: „Und – habt ihr Inklinge gefunden?“

Lexi und Milo schüttelten beide den Kopf. Sie hatten die letzten Tage im Park Ausschau gehalten, aber keins der kleinen, schmetterlingshaften Wesen hatte sich gezeigt. Das war seltsam, denn früher waren ihnen auf dem Spielplatz im Hyde Park häufig Inklinge aufgefallen. Inzwischen wusste Lexi, dass diese aus den unerfüllten Wünschen von kleinen Kindern entstanden. Ihre Bestimmung war es, sich in der Welt von EverwishineinWunschwesenzuverwandeln –einWunschwesen, so wie Hope eines war.

„Keine Arbeit für uns Wishkeeper“, sagte Milo und zog die Mundwinkel zu einem Grinsen nach oben, aber er klang ziemlich enttäuscht.

„Spaß!“, kreischte Hope und rannte über die Wiese.

„Ich will einfach nur zurück nach Everwish“, sagte Talon undsahfüreinenMomentziemlichverträumtaus,bevor sich seine Miene wieder verdüsterte. „Meine Eltern haben mich die ganze Woche nicht aus den Augen gelassen und heute muss ich zum Mittagessen zurück sein. Ich hatte wirklich gehofft, dass hier ein paar Inklinge herumschwirren.“ Er stand auf, den Fußball in der Hand, den Blick in die Luft gerichtet.

Ohne Inklinge kein Everwish. Talon musste es nicht einmal aussprechen. Auch Lexi war enttäuscht. Hier waren sie nun und hatten Zeit und Gelegenheit, durch das Portal im Prinz Albert Memorial in die Welt von Everwish zu reisen, aber das Wichtigste fehlte: die Inklinge!

Sie stand auf und sah in Richtung des Spielplatzes in der Hoffnung, einen bunten Schimmer in der Luft wahrzunehmen. Aber sie sah nur Vögel, Insekten und hoch am Himmel ein paar Flugzeuge.

Lexi drehte sich um und schaute Talon und Milo zu, die begonnen hatten, sich den Fußball zuzukicken. Hope stob zwischen ihnen hin und her. Lexi wollte sich gerade ebenfalls ins Spiel stürzen, da fiel ihr etwas auf: Über den Köpfen von Talon und Milo schwirrte und flatterte es. Kleine Kreaturen mit großen Flügeln und Knopfaugen. Da waren sie endlich – die Inklinge! Und zwar richtig viele!

2

„Schaut nach oben!“, rief Lexi den Jungs zu. Warum bemerkten die beiden denn nicht, was da über ihnen flatterte?

TalonhieltsichdieHandansOhr,weilersienichtverstanden hatte, doch Milo folgte schließlich ihrer Aufforderung. Er hielt inne, den Ball am Fuß und legte seinen Kopf in den Nacken. „Endlich!“, rief er sofort und strahlte übers ganze Gesicht, bevor er stutzte.

Lexi war zu ihm gelaufen und sah sich die fliegenden Kreaturen genauer an.

„Das sind keine Inklinge!“, sagte Talon nun. „Die sehen seltsam aus.“

„Klar sind das Inklinge!“, rief Lexi.

Die Wesen über ihnen hatten den gleichen schlanken Körper und die großen Flügel wie alle anderen Inklinge, die ihr zuvor begegnet waren. Und sie glitzerten, so als hätte sie jemand mit Silberstaub bestreut. Doch Talon hatte recht.

„Die sind ja grau!“, sprach Milo aus, was sie alle dachten.

Normalerweise leuchteten die Inklinge in allen erdenklichen Farben. Es gab zum Beispiel blaue, grüne, rote oder auch silberne und grellgelbe. Diese hier dagegen erinnerten an die Farbe von nassen Schiefersteinen, wie man sie in einem flachen Flussbett finden kann.

Lexi wartete auf eine Erklärung von Talon. Er war schon länger ein Wishkeeper als Milo und sie. Bei seinem letzten Aufenthalt im Land der verborgenen Wünsche war er allerdings von Horroxern in eine Falle gelockt worden und Lexi und Milo hatten ihn befreien müssen.

Talon begutachtete eins der Wesen, das vor seiner Nase schwirrte. „Sie sehen aus wie farblose Inklinge. Irgendwie traurig, finde ich.“

Lexi wurde es ganz mulmig zumute. Vor Kurzem waren fünf der Horroxer, inklusive ihres Anführers Tremoris, aus Everwish entkommen. Dadurch war das Gleichgewicht in der Wunschwelt gestört worden. Was, wenn dadurch die Inklinge in der Menschenwelt ihre Farbe verloren hatten?

Etwas stieß an ihr Bein. Lexi dachte, es wäre vielleicht Hope und sah hinunter, aber da stand nur ein kleines Mädchen,daswieLexiselbstroteHaarehatte.Essahsiemiteinem breiten Lächeln an und fragte: „Ballspielen?“ Dabei zeigte es auf Milos Fußball.

Lexi kniete sich vor das Mädchen. „Eigentlich sehr gern“, sagte sie. „Aber jetzt habe ich leider keine Zeit. Wo sind denn deine Eltern?“

Das Mädchen deutete mit der Hand hinter sich, ohne den Blick von Lexi abzuwenden.

Unweit von ihnen entfernt standen ein Mann und eine Frau. Beide sahen so aus, als würden sie gleich in ein Büro zur Arbeit gehen.

„Ich kann nichts dafür, dass sie abgesagt hat“, sagte die Mutter. „Dann musst du eben auf Lucy aufpassen!“

Der Mann schüttelte heftig den Kopf. „Das geht heute echt nicht. Das habe ich dir doch schon erklärt.“

Nun kniete sich Milo ebenfalls hin und sagte zu dem Mädchen: „Sieht so aus, als hätten deine Eltern keine Zeit zum Spielen, oder?“

Das Mädchen nickte und schniefte ein wenig. Lexi sah, dass es gleich anfangen würde zu weinen.

Milo schnappte sich den Ball. „Los geht’s!“, rief er und lief ein paar langsame Schritte. „Ich wette, du kannst mich nicht fangen!“

Das Mädchen stolperte glücklich und jauchzend in Milos Richtung, doch plötzlich stand sein Vater hinter Milo und nahm ihm den Ball ab.

Die Mutter war auch gleich zur Stelle und nahm das Mädchen auf den Arm. „Lucy, du musst jetzt doch in den Kindergarten. Deine Tante hat leider keine Zeit fürs Museum, aber heute Nachmittag darfst du selbst was malen. Versprochen!“

Lucy sah entsetzt über die Schulter ihrer Mutter zu Milo. „Museum!“, rief sie.

„Nein!“, sagte ihr Vater. Er warf Milo und Lexi ein gequältes Lächeln zu. „Lucy malt gern“, sagte er, als müsste er erklären, warum seine Tochter nun weinte. „Und ihre Tante arbeitet in der National Gallery. Dahin nimmt sie Lucy manchmal mit und die beiden malen dann zusammen.“ Er sah zugleich stolz und verlegen aus. „Sag Tschüss!“, forderte er seine Tochter auf.

Lucy dachte jedoch nicht daran, Tschüss zu sagen. Sie weintejämmerlichundstreckteihreArmenachdemBall aus. Auch wenn Lexi das Mädchen leidtat, war sie auf einmal ganz aufgeregt, denn über Lucys Schulter entdeckte sie plötzlich das ihr so vertraute Glitzern.

Sie lief hinter Lucy und ihren Eltern her und fing den Inkling vorsichtig mit ihren Händen ein. Er war federleicht und flatterte aufgeregt. Zu Lexis Freude hatte er eine satte, honiggelbe Farbe. Sie konnte ihn Lucy nur noch kurz zeigen, denn ihre Eltern entfernten sich mit schnellen Schritten, doch das reichte, um ein strahlendes Lächeln auf Lucys Gesicht zu zaubern.

Dann entdeckte Lexi erneut den Mann im Nadelstreifenanzug. Er hatte sie anscheinend die ganze Zeit beobachtet. Doch bevor sie ihn genauer betrachten konnte, war er schon wieder verschwunden.

Gerade als Lexi sich umdrehen wollte, um zurück zu den Jungs zu gehen, spürte sie, wie ihr eine Gänsehaut den Rücken hinunterlief. Der Inkling, den sie zwischen den Händen hielt, begann zu zittern. Dann fegte ein eiskalter Wind durch Lexis Haare. Sie schloss die Augen und für eine Sekunde fühlte sie sich, als ob sich die Welt um sie herum drehte. Was passierte nur mit ihr?

„Vorsicht!“, rief Talon ihr zu. „Hinter dir!“

Lexi riss die Augen wieder auf fuhr herum. Sie sah nichts außereinemflaschenförmigenSchatten.Eswareinwolkenloser Tag. Niemand stand hier, zu dem der Schatten gehörte, und trotzdem war er da. Lexi trat danach. Es war das Einzige, was ihr einfiel. Sie hörte ein Zischen und Fluchen vom Boden. Nun versuchte sie, auf den Schatten zu springen, der geschickt zur Seite auswich. Lexi gab jedoch nicht auf. Wieder und wieder sprang sie, bis sie den Schatten auf einmal nicht mehr sehen konnte.

„Was war das?“, fragte Milo, der nun neben ihr stand.

„KeineAhnung“,sagteLexi.„DerSchattenkam,nachdem ich den Inkling gefunden hatte. Den von Lucy. Ihr Wunsch, mit uns ins Museum zu gehen, ist nicht in Erfüllung gegangen. Da hat sich einInklinggebildet.SoeinenSchattenhabeichnochniegesehen.“

Talon war jetzt ebenfalls zu ihr gekommen. Er hatte seine Schultern hochgezogen, als würde er frieren, und seine Lippen schienen trotz der warmen Sommersonne blau vor Kälte zusein.„Das“,sagteerdüster,„warganzsichereinwiderlicher Horroxer.“

Lexi wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie kannte sich nicht sogutmitHorroxernauswieTalon.InEverwishhattesieerfahren, dass die Horroxer zu den verwünschten Wesen zählten, so wie die Irritati, die Confussler und die Flippanti. Doch die Horroxer waren bei Weitem die Gefährlichsten.

Während die Irritati, Confussler und Flippanti Wut, Zweifel und übertrieben große Freude in Menschen auslösten, verbreiteten die Horroxer Angst. Und anscheinend, so hatte es Talon ihnen berichtet, hatten Tremoris und einige der anderen Horroxer gelernt, die Gestalt von anderen Wesen anzunehmen. Das machte sie so gefährlich.

„Woher weißt du das?“, fragte Lexi, obwohl sie ahnte, dass Talon recht hatte, und hoffte insgeheim, dass der Schatten doch einfach nur zu einer Wolke gehört hatte.

„Wenn dich einmal ein Horroxer gefangen gehalten hat“, sagte Talon und sah sie mit leeren Augen an, so als wäre er nicht hier im sonnigen Park, sondern an einem dunklen, unheimlichen Ort, „dann vergisst du das Gefühl nie mehr. Es ist so,alswürdedirdieLuftabgeschnürtundgleichzeitigalles in dir drin explodieren. Glaub mir, dieser Schatten – das war ein Horroxer!“

Milo sah auf Lexis Hand. „Hast du den Inkling noch?“, fragte er.

Ohnezuantworten,öffneteLexidieHand.DerInkling sah mitseinenwinzigenschwarzenAugenneugierigzuihrauf.DannflatterteerindieLuftundstießzuderWolke grauer Inklinge, die sich kaum von ihnen entfernt hatte. DurchseinestrahlendhelleFarbewarerwunderbarzuerkennen.

Als hätten die anderen nur auf ihn gewartet, flogen sie auf einmal höher hinauf. Ihre Flügel glitzerten im Sonnenschein. Sie kreisten um den Neuankömmling und dann nahmen sie Kurs. Sie flogen genau dorthin, wo es die Inklinge immer hinzog, sobald sie dafür bereit waren: in Richtung des Portals nach Everwish, das sich genau vor ihnen im Prinz Albert Memorial befand. Lexi, Milo und Talon zögerten keine Sekunde, ihnen zu folgen.

3

Das Prinz Albert Memorial besteht aus einer Statue auf einem hohen Podest unter einem goldenen Baldachin. Rund um das Denkmal befinden sich Reihen von kleineren Statuen aus weißem Marmor. Genau dorthin flogen nun die Inklinge.

Lexi, Milo und Talon hatten natürlich keine Flügel. Deshalb mussten sie erst über den Zaun klettern, der das gesamte Denkmal umgab. Sie taten es, ohne den geringsten Gedanken daran zu verschwenden, dass das Betreten des Denkmals natürlich strengstens verboten war.

Zu Lexis großer Freude saß Hope auf ihrer Schulter. Hope hatte eine ganze Weile in seiner Inklingform bei Talon gelebt. Als Talon in Everwish gefangen gehalten worden war, war Hope ihm in die Wunschwelt gefolgt.

BisheutewarensichdieWishkeepernichtsicher,was ohneLexiausdemInklinggewordenwäre,dennsiehatte bei seiner Verwandlung ein wenig nachgeholfen. Talon vermutete,dassHopesichohneLexisHilfeineinverwünschtesWesen verwandelt hätte. Und so waren alle überglücklich, dass sich Hope stattdessen zu einem Crimson mit außergewöhnlichen lilafarbenen Haaren entwickelt hatte.

„Warum dauert das denn so lang?“, rief Milo. „Wann öffnet sich endlich das Portal?“

SiewarendieTreppenzudenReihenkleinerStatuenhinaufgelaufen, um die die Inklinge nun herumflatterten.

Talon erreichte die oberste Stufe als Letzter. „Manchmal muss man eben ein bisschen warten“, murmelte er. Aber er sah immer noch skeptisch aus.

„Da!“,riefLexiaufgeregt.DergoldgelbeInklingflattertedichtanderStatueeinesMannsmitBartundStock vorbei und auf einmal passierte es. Ein heller, leuchtender StrahlblendeteihreAugen.Erwurdegrößerundbreiter und die Inklinge flogen direkt in das Licht hinein, bis Lexi sie nicht mehr sehen konnte. Sie folgte ihnen, so schnell sie nur konnte.

Dabeiwarsiesoglücklichundaufgeregt,dassderplötzliche Fall ins Nichts sie keineswegs erschreckte. Im Gegenteil: Sie wusste ja genau, dass die Rutschen von Radinia, auf denen sie sich nun befand, nach Everwish führten!

„Spaß!“, kreischte Hope auf ihrer Schulter.

„Genau!“,riefLexiundsiehörteauchMiloirgendwo jubeln, konnte aber nicht erkennen, wo er war.

LexilandetealsErste.BeimAufprallwurdesiewieaufeinem Trampolin hochgeschleudert. Sie ruderte mit den Armen nach vorn und landete weich neben dem Kreis der Statuen von Everwish.

Hope hatte es irgendwie geschafft, die ganze Zeit auf ihrer Schulter zu bleiben. „Vorsicht!“, rief er gerade noch rechtzeitig.

Da kam Milo schon an der Stelle an, an der Lexi noch vor einer Sekunde gesessen hatte. Durch Hopes Warnung war sie zur Seite gerückt.

„Milo ist ein Fallenlasser“, kicherte der Crimson.

Bevor Milo etwas erwidern konnte, landete Talon gekonnt auf zwei Füßen neben ihnen und wandte ihnen den Rücken zu. „Cascadia!“, sagte er und verbeugte sich höflich vor dem riesigen Baum, der vor ihnen aufragte. „Wir sind zurück!“

Lexi sprang schnell auf und klopfte sich ein paar Gräser von der Jeans. Sie verschwendete keine Zeit mit Worten, sondernrannteblitzschnellaufCascadiazu,umsiezuumarmen. Sofort spürte sie Cascadias ruhigen, gleichmäßigen Herzschlag.

Sie presste ihr Gesicht gegen die warme Rinde des Baums und atmete Cascadias Duft nach Honig und frischem Laub ein. „Ich habe dich vermisst“, murmelte sie und merkte, wie Cascadia die Umarmung sanft erwiderte. Es war verblüffend, dass der Baum seine Zweige fast so nutzen konnte wie Menschen ihre Arme.

„Und ich euch erst!“, sagte Cascadia mit vertrauter weicher Stimme.

Milo strich mit der Hand über den Baumstamm, der zum Teil mit farbigem Moos bewachsen war. „Du siehst gut aus!“, sagte er.

Cascadia lachte so laut, dass ihre Äste und Zweige mit den herzförmigen orangefarbenen und gelben Blättern daran nur so zitterten. „Das habe ich euch zu verdanken, liebe Wishkeeper! Was wäre nur passiert, wenn ihr nicht die Waage von Everwish repariert hättet? Meine Äste wären abgebrochen, meine Wurzeln hätten keinen Halt mehr in der Erde gefunden. Vielleicht hätte ich gerade noch zu Feuerholz getaugt.“

Lexi wurde ganz schlecht bei dem Gedanken, dass Cascadia nicht mehr existieren könnte. Der Baum, dessen Zweige halbmondförmig auf den Boden reichten, war so ziemlich das Schönste, was sie jemals gesehen hatte. Und noch dazu war Cascadia so freundlich und klug!

„Wir haben diesmal sehr viele Inklinge mitgebracht!“, verkündete Talon und klang nun eher stolz als besorgt, während er dem Schwarm der fliegenden Wesen mit den Augen folgte.

„Wie wunderbar!“, jubelte Cascadia und streckte ihre Zweige weit aus, so als wollte sie mit den Inklingen spielen. Ihre Augen befanden sich in zwei dicken Ästen, die sich von ihrem Stamm abspalteten, direkt über ihrem Mund. Lexi sah, wie sie damit den Inklingen hinterherschaute und hörte ein besorgtes Knistern in ihren Ästen.

„Ichfühlemicheinwenigausgetrocknet“,sagteCascadia und lachte nervös. „Ich kann die Farben unserer neuen Freunde kaum erkennen. Vielleicht liegt es auch am Licht. Die Sonne scheint mir heute recht grell zu sein. Was meint ihr?“

Die drei Wishkeeper sahen sich betreten an.

„Ha!“, rief Cascadia im nächsten Moment. „Dieses gelbe Exemplar kann ich allerdings sehr gut sehen.“

Lexi, Milo und Talon warfen sich beunruhigte Blicke zu. Milo fuhr sich mit der einen Hand durch seine dunklen Locken und ließ die andere auf Cascadias Stamm liegen, als er sprach. „Die waren genauso so, als wir sie gefunden haben. Grau eben. Aber sie sind doch auf jeden Fall Inklinge. Ich meine – das sieht man ja …“

Lexi stimmte ihm zu: „Sonst hätten sie ja nicht nach Everwish kommen können. Das stimmt doch, Cascadia. Oder?“

Die Sonne von Everwish kam ihr auf einmal auch grell vor. Undeswarsostill.LexisahzudenStatuen,inderenMitte siegelandetwaren.DieStatuenwarenauchstill.Siebewegten sich zwar – ein dürrer Mann kratzte sich am Kopf und ein anderer zupfte die Ärmel seines Mantels zurecht – aber sie sprachen nicht. Dabei hatten die Statuen doch sonst immer eine Meinung, die sie laut äußerten!

TalonwarbereitsunterwegszudenStatuenundstellte sich vor den Mann, der die Waage von Everwish hielt. „Das Gleichgewicht stimmt immer noch nicht“, sagte er. Es war eine Feststellung, keine Frage.

„Nun“, murmelte der Mann leise, „das hat ja seine Gründe. Ich meine, wir wissen ja alle …“

Erwarkaumzuverstehen.DieanderenStatuenflüsterten und wisperten und Lexi wünschte sich, sie wären wieder sogesprächigwiebeimerstenMal,alssieinEverwishgelandet war, auch wenn sie nicht immer die nettesten Dinge sagten.

Und dann hatte offenbar eine der Statuen ihre laute Stimme wiedergefunden.EswardieStatuedesMannsmitderaltmodischen Lockenperücke. „Tremoris!“, rief er. „Ihr habt Tremoris und vier weitere Horroxer entkommen lassen!“

Talon sah aus, als hätte ihn ein Pfeil mitten ins Herz getroffen. Seine Schultern hingen plötzlich nach vorn und sein Kinn sank auf seine Brust.

„Aber, aber“, murmelte Cascadia und schaffte es, mit einem ihrer Zweige Talon zu erreichen. „Es war allein meine Schuld, dass die Horroxer entkommen konnten. Und darüber sollten wir nicht verzweifeln! Die Wishkeeper haben Everwish gerettet und das bisschen Ungleichgewicht …“, sie klang nun übertrieben fröhlich, „das bekommen wir schon wieder ausgeglichen!“

Lexi griff nach Hope, pflückte ihn von ihrer Schulter und drückte ihn an sich. Vor ihren Augen flatterte der goldgelbe Inkling und blickte sie erwartungsvoll an, bis er sich schließlich auf Hopes Haaren niederließ. Genau, dachte Lexi, was auch immer in Everwish nicht stimmt, wir werden es schon herausbekommen!

4

„Sind die Crimsons noch im Land der Fireflashs?“, fragte Lexi Cascadia aufgeregt.

DerBaumraschelteundeinZweigschnelltezuLexisGesicht und tippte ihr freundlich auf die Nase. „Aber natürlich!“, rief Cascadia. „Von Zeit zu Zeit können meine Wurzeln ihre Sprünge fühlen. Manchmal vielleicht ein wenig zu heftig. Silversands gefällt den Crimsons gut. Und die Fireflashs sind ja sehr gastfreundlich. Auch wenn es langsam Zeit wird, dass die Gäste ihre richtige Heimat kennenlernen. So wie Hope hier …“

Talonblickteerschrockenauf,versuchtedannaberzulächeln. Natürlich wollte Talon nicht, dass Hope in Everwish blieb, dachte Lexi. Talon kannte ja gar kein Leben ohne Hope, auch wenn er den Crimson die meiste Zeit nur als Inkling erlebt hatte.

Lexi sagte schnell: „Aber zuerst müssen wir natürlich aufs Wishing Green! Ich kann es gar nicht erwarten, Libros wiederzusehen und bei der Verwandlung der Inklinge dabei zu sein.“

Das Wishing Green war ein wunderbarer Ort. Nicht nur, weil man sich auf der Wiese die Dinge, die man in Everwish brauchte, wünschen konnte. Dort fand schließlich die Verwandlung der Inklinge statt und im Schutz der Wunschwiese nahmen sie ihre endgültige Form an: Sie wurden zu Lumix, Fireflashs, Neverlingen oder eben zu Crimsons, so wie Hope. Allerdings hatten die anderen Crimsons im Gegensatz zu Hope feuerrote Haare.

„Langweilt sich Libros nicht, wenn es so lange Zeit allein ist?“ Milo stellte Cascadia eine Frage, über die auch Lexi in der vergangenen Woche viel nachgedacht hatte. Libros war ja eigentlich nur ein Buch, und Bücher konnten sich vermutlich nicht langweilen. Doch Libros war eben ein ganz besonderes Buch.

„Abernichtdoch!“,riefCascadia.„Librosgenießtesnatürlich, zu lesen. Es ist ja selbst das Buch der unendlichen Worte. Also liest es eben in sich selbst. Wie es das genau macht,hatesmirnochnieverraten,aberichweißmitSicherheit, dass Libros im Gegensatz zu euch Menschen keine Langeweile kennt.“ Cascadia klang jetzt ganz versonnen. „Libros“, fuhr sie fort, „hat jede Menge Geheimnisse – es ist ja schließlich das Gedächtnis …“ Sie brach völlig unerwartet ab, so als hätte sie den Wishkeepern zu viel verraten.

Lexi ließ sich auf den Boden fallen. „Also eine Tasse Toffeetee fände ich jetzt ganz toll!“, rief sie.

Wie aus dem Nichts erschienen vor ihr gleich drei kleine Tassen mit einer duftenden, hellen Flüssigkeit darin. Sie hatte sich den Tee für Milo und Talon gleich mitgewünscht.

Milo setzte sich freudig neben sie und trank sofort von dem Tee, der sich von selbst immer wieder auffüllte. „Zimt und Zucker!“, rief er.

Lexi wünschte sich Sauerkirschgeschmack und freute sich, wie der Tee auf ihrer Zunge bitzelte. Talon dagegen machte keine Anstalten, zu ihnen zu kommen. Stattdessen betrachtete er weiter besorgt die Statuen.

Das war die Gelegenheit für Hope! Der Crimson griff nach Talons Tasse und nahm einen großen Schluck. „Popcorn!“, rief er erfreut.

Das Wünschen funktionierte nicht überall in Everwish gleich, so viel hatte Lexi inzwischen verstanden. Wenn die Wishkeeper ihren Aufgaben nachkamen und Wunschwesen in ihre Regionen begleiteten, konnten sie sich oft nützliche Dinge wünschen, die ihnen dabei halfen. Doch die meisten Wünsche – einfach zu fliegen, ein anderes Transportmittel als die, die es in Everwish bereits gab, oder das Lieblingsessen der Wunschwesen und Wishkeeper – blieben ihnen auf diesen Reisen verwehrt. Deshalb deckte sich vor allem Milo gern bereits auf dem Wishing Green mit allen möglichen und unmöglichen Sachen ein.

Lexi begann, Cascadia zu erzählen, wie die letzte Woche bei ihr zu Hause verlaufen war. Sie sprach von ihrem Vater, derfürseinenJobalsJournalistvielreisenmusste,unddarüber, dass er jetzt erst mal bei ihr und ihrer Mutter blieb. Weil Mama eben so traurig war und es ihr darum ab und zu schlecht ging.

Nicht nur Cascadia, auch Milo hörte interessiert zu. Lexi sah ihn manchmal von der Seite an. Sie fand es schön, dass sie endlich mit jemandem darüber sprechen konnte, wie schwierig es in letzter Zeit zu Hause war. Bisher hatte sie nie auch nurimEntferntestendarangedacht,ihreGeheimnissemiteinem anderen Menschen, geschweige denn mit einem Baum zu teilen.

Cascadia fand die richtigen Worte für sie, als Lexis Stimme mit einem Mal immer leiser wurde und es sich anfühlte, als würden Tränen sie gleich zum Schweigen bringen. „Oft werden die Dinge aus heiterem Himmel leichter, besonders wenn wir das gar nicht erwarten. Auch in der Menschenwelt helfen natürlich Wünsche. Was denkst du, Talon?“

Lexi hatte Talon gar nicht bemerkt. Sie fuhr herum und der Toffeetee in ihrer Tasse schwappte über. Hatte Talon ihr etwa auch zugehört?

Doch er sagte nur: „Die rollenden Hügel lassen den Durchgang zum Wishing Green frei. Eine der Statuen hat es eben geflüstert. Vielleicht ist es besser, wenn wir jetzt losgehen. Diese grauen Inklinge könnten wirklich etwas Farbe vertragen und die Lockstoffe auf dem Wishing Green helfen vielleicht dabei.“

Lexi wäre gern noch länger bei Cascadia geblieben. Doch Milo war bereits aufgesprungen und sah begeistert auf seine Füße. „Habe ich mir gerade gewünscht!“, rief er glücklich.

Er trug die federnden Schuhe, mit denen die Wishkeeper so schnell laufen konnten.

Nun konnte auch Lexi ihre Aufregung nicht mehr unterdrücken und nach einem kurzen Wunsch steckten ihre Füße ebenfalls in den Turnschuhen. Talon blieb cool, während sie und Milo ein paarmal in die Luft sprangen und dabei hoch in Cascadias Zweige gelangten.

„Springen!“, rief Hope.

Milo bückte sich, nahm den Crimson auf den Arm und hüpfte mit ihm in die Höhe. Die Statuen murrten, immer noch leise, aber laut genug, um Lexi ein schlechtes Gewissen zu machen. Es schien ihnen nie zu gefallen, wenn die Wishkeeper einfach nur Spaß hatten.

„Wir sehen dich in ein paar Tagen!“, sagte Lexi zu Cascadia und stieg vorsichtig über eine Wurzel, die mächtig aus der Erde quoll. „Wie lang haben wir noch mal Zeit?“, überlegte sie laut.

„Kommt drauf an, wie lang deine Eltern dir erlaubt haben, im Park zu bleiben“, antwortete Milo. „Ich muss um eins zurück sein. Drei Stunden in der Menschenwelt sind …“

„… mehr als sieben Tage in Everwish“, ergänzte Talon. „Das ist nicht besonders lang. Aber meine Eltern machen auch Stress, wenn ich nicht pünktlich zu Hause bin. Also nichts wie los!“

Die Inklinge ließen sich nicht lang bitten. Sie flogen in Richtung des kleinen Bachs, der ein wenig entfernt von ihnen entsprang.

Lexi streichelte über Cascadias Wurzel und lief dann los.

„Endlich, wird ja auch Zeit! Solche Trödeleien …“, hörte sie die Statuen flüstern, doch sie klangen dabei gar nicht mehr unfreundlich, sondern eher erleichtert.

5

„Willkommen zurück!“, wisperte es von den Rändern des flüsternden Bachs, als Lexi und Milo zu Talon und den Inklingen aufschlossen. „Everwish hat auf euch gewartet.“

Milo zuckte kurz erschrocken zusammen und sagte: „Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass die Blumen sprechen können.“

„Sie reden ja auch nicht oft“, erwiderte Lexi und ihr Herz schlug schneller bei dem Gedanken daran, welche Wunder in Everwish wohl noch auf sie warteten. Der Tag fühlte sich nun federleicht an. Sie war unendlich glücklich, zurück zu sein. Der Weg am Bach entlang wurde immer schmaler und sie liefen auf weichem hellblauem Moos, das Lexi an Zuckerwatte erinnerte. Wie hieß es doch gleich? Fluffybloom!