Moderne Polizeipsychologie in Schlüsselbegriffen - Hans Peter Schmalzl - E-Book

Moderne Polizeipsychologie in Schlüsselbegriffen E-Book

Hans Peter Schmalzl

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Beschreibung

Von A wie Amok bis Z wie Zivilcourage Die vierte, vollständig überarbeitete Auflage des Leitfadens behandelt in gewohnter Weise polizeirelevante psychologische Themen. Die Autorinnen und Autoren erläutern kapitelweise insgesamt 35 Schlüsselbegriffe, von A wie Amok bis Z wie Zivilcourage. Die neuesten empirischen Erkenntnisse und neue polizeirelevante Fälle wurden eingearbeitet. Einheitlicher und übersichtlicher Aufbau Jede der Begriffserklärungen beginnt mit einem kurzen Überblick. Dieser verschafft den Leserinnen und Lesern einen raschen Einstieg ins Thema. Weiterführende Literaturhinweise schließen jedes Kapitel ab. Der klare und einheitliche Aufbau mit Tabellen und Abbildungen erleichtert das Verständnis. Appetitliche Wissenshäppchen Die Form des Glossars ermöglicht es den Leserinnen und Lesern, sich von Beitrag zu Beitrag mehr wissenschaftlich fundierte psychologische Kenntnisse anzueignen. Dieses Wissen verschafft ihnen mehr Sicherheit für das eigene Handeln und bei der Entscheidungsfindung. Das zeichnet das Autorenteam aus: Der Band enthält die geballte Fachkompetenz und Berufserfahrung der Verfasserinnen und Verfasser aus Universitäten und Hochschulen der Polizei Forschungseinrichtungen, polizeipsychologischen Diensten und deckt daher möglichst viele Facetten der modernen Polizeipsychologie ab. Hilfreiche Antworten für ... Das Fachbuch bietet Antworten auf die Fragen zur Polizeipsychologie, die sich den Polizeibeamtinnen und -beamten bei der Ausübung dieses anspruchsvollen Berufes stellen: im Einsatz, bei Ermittlungen, bei innerbetrieblichen Problemen, gegenüber bestimmten Personengruppen, in besonders kritischen Situationen. Beschäftigte in polizeinahen Berufen profitieren ebenfalls von den praxisorientierten Hilfestellungen des Leitfadens. Das Nachschlagewerk wendet sich neben den Polizeibehörden auch an Beschäftigte in sozialen Einrichtungen, bei der Feuerwehr, bei Rettungsdiensten und im privaten Sicherheitssektor. Die Fallbeispiele sind außerdem übertragbar auf Situationen in Behörden und Ämtern.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek | Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

4. Auflage, 2022

ISBN 978-3-415-07215-2

© 1996 Richard Boorberg Verlag

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Titelfoto: © Feodora – stock.adobe.com

E-Book-Umsetzung: abavo GmbH, Nebelhornstraße 8, 86807 Buchloe

Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG | Scharrstraße 2 | 70563 Stuttgart

Stuttgart | München | Hannover | Berlin | Weimar | Dresden

www.boorberg.de

Vorwort zur 4. Auflage

Das Fachbuch Moderne Polizeipsychologie in Schlüsselbegriffen liegt nunmehr in einer vierten, vollständig überarbeiteten Auflage vor. Die grundlegende Intention, polizeipsychologisches Wissen in Form eines Nachschlagewerkes allen Polizeibediensteten zur Seite zu stellen, ist den vier Auflagen gemeinsam geblieben. Doch der Kreis derer, die mit Sicherheitsfragen im deutschsprachigen Raum betraut sind, ist über die Jahre stetig gewachsen. Ebenso können und wollen viele sicherheitsrelevante Themen nicht mehr klar einem einzelnen wissenschaftlichen Fach zugeordnet werden, sondern reflektieren interdisziplinäre Erkenntnisstände. Dies betrifft in vergleichbarer Weise die anwendenden Personen. Zwar hat Moderne Polizeipsychologie in Schlüsselbegriffen den Anspruch, polizeirelevante psychologische Themen aufzugreifen und Antworten für daraus resultierende Fragestellungen anzubieten; viele der angebotenen Lösungsvorschläge besitzen jedoch eine große Schnittmenge mit den der Sicherheit betrauten Berufsgruppen.

Darum wurden in der neuen Auflage inhaltliche Änderungen vorgenommen. Einige Beiträge wurden wieder aktualisiert, da neue empirische Erkenntnisse oder neue polizeirelevante Fälle einzuarbeiten waren. Andere Beiträge stehen heute weniger im Blickpunkt des Interesses, während aktuell viel diskutierte Themen oder Phänomene, die vor zehn Jahren noch unbekannt waren oder für das Buch unbeachtet blieben, jetzt aufgenommen wurden.

Moderne Polizeipsychologie versucht Antworten auf Fragen zu geben, die sich der einzelnen Polizeibeamtin und dem einzelnen Polizeibeamten in der Ausübung dieses anspruchsvollen Berufes stellen, sei es im Einsatz, bei Ermittlungen oder bei innerbetrieblichen Problemen, sei es gegenüber bestimmten Personengruppen oder in besonders kritischen Situationen. Auch den Beschäftigten in polizeinahen Berufen werden diese praxisorientierten Hilfestellungen von Nutzen sein. Das Buch will dabei gerade den neuen und drängenden Herausforderungen einer professionellen Polizei- und Sicherheitsarbeit Rechnung tragen.

Wir glauben, dass uns dies mit Hilfe der Autoren gelungen ist, die als Professoren, Professorinnen und Dozierende an Universitäten, Hochschulen der Polizei, als praktizierende Psychologinnen und Psychologen in polizeipsychologischen Diensten oder als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Forschungseinrichtungen ihre Fachkompetenz und Berufserfahrung in die vorliegenden Beiträge eingebracht haben, um so möglichst viele Facetten moderner Polizeipsychologie abzudecken. Allen Autorinnen und Autoren dieses Buches gilt deshalb unser besonderer Dank. Freilich blieben Themen unberücksichtigt. Aber der Lesende sollte doch den unbedingten Eindruck gewinnen, dass psychologisches Wissen hilft, den eigenen beruflichen Alltag und – vielleicht noch mehr – die besonderen Schwierigkeiten seines Berufs zu bewältigen. Diesem Ziel fühlen wir uns als Polizeipsychologen verpflichtet, nicht nur mit diesem Buch.

Bernd Körber, Hans Peter Schmalzl und Max Hermanutz

Hann. Münden, München und Villingen-Schwenningen im April 2022

Zu diesem Buch

Hans Peter Schmalzl, Max Hermanutz & Bernd Körber

Moderne Polizeipsychologie ist angewandte Psychologie in einem Umfeld, das sich ständig in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Konflikten, politischen Entscheidungen oder ökonomischen Krisen verändert. Wenn sich beispielsweise neue Formen der Gewalt oder neue Protestbewegungen entwickeln, wenn bestimmte Delikte zunehmen, wenn sich Polizeibeamte belastet fühlen oder auch nur dann, wenn sich Bürger über die Polizei beschweren. Von der Polizeipsychologie wird erwartet, dass sie bei der Bewältigung dieser Probleme mithilft. Das heißt nicht, dass sie immer Antworten parat haben müsste. Das heißt aber doch, dass sie um Antworten bemüht sein muss; und diese Antworten sind in den seltensten Fällen herkömmlichen psychologischen Lehrbüchern zu entnehmen, sondern müssen für die aktuelle polizeirelevante Situation erarbeitet werden.

Eine Psychologie, die sich mit polizeilichen Tätigkeitsfeldern und Phänomenen befasst, sollte also – doch anders als psychologische Grundlagenforschung – sich selbst abverlangen, aktuell und modern zu sein.

Wir haben deshalb mit dem vorliegenden Nachschlagewerk die Tradition herkömmlicher psychologischer Lehrbücher verlassen. Sie schienen uns in Aufbau und Ausrichtung zu global, zu umfassend in der Besprechung psychologischer Themen einerseits und andererseits zu wenig auf die unmittelbare polizeiliche Erfahrungswelt bezogen. Statt nacheinander die allgemeinpsychologischen Bereiche der Wahrnehmung, des Lernens, der Motivation etc. abzuhandeln, haben wir uns für ein Kompendium entschieden, das in 35 Schlüsselbegriffen auf Phänomene, Problemfälle und Situationen eingeht, mit denen die Polizei und angrenzende Berufsgruppen zurzeit konfrontiert sind.

Das „zurzeit“ ist von Fall zu Fall verschieden eng zu sehen. Es gibt berufliche Anforderungen an die Polizei, die von Dauer sind, beispielsweise in Fragen der Kommunikation mit dem Bürger, der Einsatzkompetenz, bei Verfolgungsfahrten, beim Schusswaffengebrauch oder bei Vernehmungen. Auch der Umgang mit suizidalen, alkoholisierten oder anderen auffälligen Personen kann sich relativ konstant bleibender Verhaltensmuster bedienen. Daneben aber gibt es Herausforderungen an die Polizei, die sich in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen immer wieder neu darstellen, man denke etwa an Gefährdungslagen bei Stalking oder Amokandrohungen oder an Phänomene kollektiven Verhaltens bei Demonstrationen oder bei unpolitischen Großveranstaltungen.

So gesehen ist „Moderne Polizeipsychologie“ ein Buch der angewandten Psychologie zum besseren Verständnis der tatsächlichen beruflichen Herausforderungen und damit eine Psychologie, die zur besseren Bewältigung der Polizeiarbeit und von individueller Sicherheit in unserer Gesellschaft beitragen soll. Die Fallbeispiele und Erklärungen, die sich unter den 35 Schlüsselbegriffen finden, sollen den Beamtinnen und Beamten und mit Sicherheit betrauten Personen etwas mehr verlässliche Handlungsoptionen geben und ihnen bei der Entscheidungsfindung helfen. Deshalb sind die Fallbeispiele so gewählt, dass sie dem Einzelnen vom Dienst her bekannt sind. Dabei werfen die teils realen, teils konstruierten Fälle Fragen auf, die sich den Beamtinnen und Beamten im Polizeidienst konkret stellen können. Die Antworten auf diese Fragen enthalten Erklärungsmodelle und Vorhersagen des Verhaltens und Erlebens der geschilderten Personen, Aspekte des Umgangs mit ihnen und die Möglichkeiten polizeilicher Interventionen. Obwohl das Buch von einem Fallbeispiel zum nächsten geht, wird sich der Leser wie nebenbei wissenschaftlich fundierte psychologische Kenntnisse aneignen.

Bei näherem Hinsehen ist Polizeipsychologie die zwar einem Berufsstand zugedachte, aber weit über ihn hinausreichende Psychologie des Umgangs mit Menschen in besonderen – und das heißt häufig: schwierigen, krisenhaften und konfliktträchtigen – Situationen und Lebenslagen. Ein Buch über Polizeipsychologie wird so zum Studienbuch über Schwierigkeiten und deren Überwindung im praktischen Umgang mit Menschen.

Als Nachschlagewerk sei es daher einem größeren Leserkreis empfohlen. Wir denken dabei vor allem an Beschäftigte in sozialen Einrichtungen, bei Behörden und Ämtern und in der Jurisdiktion, bei Feuerwehr, Rettungsdiensten und in der Notfallmedizin, bei IT-Experten, die beispielsweise mit Internetkriminalität oder Geoinformation-basierten Tathergangsanalysen befasst sind, natürlich an Beschäftigte im privaten Sicherheitssektor und nicht zuletzt an Studenten und psychologisch bzw. sozialwissenschaftlich Interessierte.

Geschrieben aber wurde das Buch für alle, ob in Ausbildung oder in der beruflichen Praxis stehend, denen professionelles Handeln im Umgang mit Menschen ein ernsthaftes Anliegen ist; denn Professionalität heißt nicht nur in der Polizei, zwischenmenschliche Konflikte einfühlsam-verstehend, angemessen und handlungssicher zu bewältigen.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort zur 4. Auflage

Zu diesem Buch

Inhaltsverzeichnis

Amok

Das Wichtigste vorweg

Amok – was ist das?

Die historische Sichtweise

Amoktaten und Medien

Wenig wissenschaftliche Daten zu Amoktätern

Fakten

Auslöser

Nachahmungstaten

Ursachen

Gehirnfunktionsstörungen

Veränderungen im Gehirn

Psychische Krankheit

Verrohung durch Gewaltdarstellungen – Konditionierung und Nachahmung

Vorbeugung beginnt mit Gewaltprävention im Alltag

Isolierte Vorhersagekriterien (Prädiktoren) sind wenig hilfreich

Es gibt Warnsignale – Amoktaten können auch verhindert werden

Wie viele Amoktaten wurden schon verhindert?

Die Grenzen der Verhinderung von Amoktaten (Ein Ausnahmebeispiel, bei dem die Behörden eine Amoktat verhindern wollten)

Dilemma zwischen Eigensicherung und Bürgerfreundlichkeit

Angst

Das Wichtigste vorweg

Angst hat viele Gesichter

Die körperliche Komponente der Angst

Die Gedankenkomponente der Angst

Die Verhaltenskomponente der Angst

Der Angstkreislauf

Wann können Ängste als krankhaft bezeichnet werden?

Es gibt unterschiedliche Angststörungen

Entstehung der Ängste

Was kann man gegen Angst tun?

Die Behandlung mit Psychotherapie

Die Behandlung mit Medikamenten

Attentäter – Psychologische Aspekte der Terrorabwehr

Das Wichtigste vorweg

Verhaltensanalysen im Personenschutz

Verhaltensmerkmale von Attentätern in der Vortatphase

Attentate im begrenzten öffentlichen Raum

Attentate im erweiterten öffentlichen Raum

Kulturelle Invarianz des Verhaltens von Attentätern

Die Fähigkeit zur Identifikation von Attentätern im öffentlichen Raum

„Auffällig unauffälliges Verhalten“ als Figur-/Hintergrund-Phänomen

Visuelles Erkennen als aktiver Prozess

Die Bedeutung von Wissen und Erfahrung …

… und die Probleme stereotyper Einstellungen

Zusammenfassung und Ausblick

Audiovisuelle Vernehmung von Kindern

Das Wichtigste vorweg

Befragungspraxis

Das Wohlbefinden des Kindes während der Vernehmung

Altersabhängige Narrative

Die trichterförmige Befragung

Aufmerksamkeitssteuerung und taktische Blickführung

Das Wichtigste vorweg

Fallanalyse

Empirische Erklärungen

Interventionen

Schnelle Loslösung der Aufmerksamkeit von einem irrelevanten Objekt

Zielgerichtetes visuelles Absuchen relevanter örtlicher Bereiche in dem sich darbietenden Szenarium

Routiniertes Erkennen von aufgabenrelevanten Objektmerkmalen

Taktische Blickführung und Aufmerksamkeitsausrichtung in der polizeilichen Aus- und Fortbildung

Prognosen

Auslandseinsätze – Psychologische Grundlagen internationaler Polizeimissionen

Das Wichtigste vorweg

Professionalität und Aufgabenvielfalt in den Missionen

Die Auswahl

Das Leben am Einsatzort

Die Reintegration in das Heimatland

Ausblick – Missionen der Zukunft

Bedrohungsmanagement und Früherkennung

Das Wichtigste vorweg

Fallanalyse

Ansätze des Bedrohungsmanagements

Informationserhebung

Gefährdungsbewertung und Prognose

Intervention: Maßnahmenplanung und -umsetzung

Früherkennung

Cybercrime

Das Wichtigste vorweg

Phänomenbereich Cybercrime

Social Engineering

Bedeutung für die Polizei

Schlusswort

Deeskalation im Protestgeschehen und Einsatzkommunikation

Das Wichtigste vorweg

Fallanalyse und Erklärungsansätze

Das Wesen des Protestgeschehens – Um was geht’s?

Das Bild der Lage – was ist wichtig für den Faktencheck?

Eskalationsfördernde Faktoren

Prinzipien der Deeskalation – „Zurückhaltung“ oder Situationsgestaltung?

Einsatz-Fazit – im Gesamten ein Erfolg

Kommunikative Intervention: Umsetzungskonzepte der Einsatzkommunikation – Taktische Kommunikation

Zielsetzung

Zielgruppen: Wer wird „angesprochen“?

Konzeptbausteine: Auf welchen Ebenen muss kommuniziert werden?

Art: Wie funktioniert Taktische Kommunikation?

Ist Taktische Kommunikation ausreichend?

Einsatzkommunikation als kommunikative Gesamtstrategie

Umsetzung/Aufgaben

Depression und Suizid

Das Wichtigste vorweg

Fallanalyse

Depression

Häufigkeit von Depressionen

Suizid

Erkennung der Suizidalität und Hilfeleistung

Suizidprävention

Einsatzkompetenz – Ein Modell zur Bewältigung kritischer Einsatzsituationen

Das Wichtigste vorweg

Ausgangsüberlegung: Einsatzhandeln ist Risikohandeln in kritischen Situationen

Entwicklung eines Modells der Einsatzkompetenz

1. Koordination mit dem/der Partner*in vorab (vor der ersten Einsatzhandlung)

2. Eigensicherung/Distanzkontrolle

3. Aufmerksamkeitssteuerung/Wahrnehmung/Wachsamkeit

4. Flexibilität/geistige Wendigkeit/Neuorientierung

5. Äußeres Erscheinungsbild

6. Selbstsicherheit im Auftreten

7. Verbale Deeskalation und Direktive Intervention (Handlungsanweisung)

8. Taktisches Vorgehen

9. Koordination mit dem (Streifen-)Partner in den Einsatzhandlungen

Einsatztrainings als Königsweg zum Erwerb von Einsatzkompetenz: Ein empirischer Beleg

Weitere empirische Ansätze zur Einsatzkompetenz und zu Einsatzkompetenz-Trainings

Folgen für die polizeiliche Praxis

Ableitungen/Hinweise und Handlungsempfehlungen für die Praxis

Entscheider*innen

Einsatzkräfte

Einsatztrainer*innen

Emotionsregulation im Polizeiberuf

Das Wichtigste vorweg

Was bedeutet der Begriff „Emotion“?

Welche besonderen Erfordernisse zur Emotionsregulation gehen mit der Polizeiarbeit einher?

Wie geschieht Emotionsregulation?

Welche Art der Emotionsregulation ist besser?

Wie können die Polizist*innen, von denen anfangs berichtet wurde, ihre Emotionen regulieren?

Evaluation

Das Wichtigste vorweg

Begriffsbestimmung

Bedeutung wissenschaftlicher Evaluation

Evaluationsprozesse

Das Kirkpatrick-Model

Zufriedenheit

Lernen

Verhalten

Resultate

Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung

Das Wichtigste vorweg

Wissenschaftliche Erkenntnisse über Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung

Das polizeiliche Handeln

Polizei gegen Bürger*innen

Bürger*innen gegen Bürger*innen

Bürger*in gegen Polizei

Führungskompetenz: Professionalität und Führung

Das Wichtigste vorweg

Professionalität als Grundlage guter Führung

Klima für Professionalität

Moral und Evidenz als Führungsstandards

Tugendhafte Führung

Professionelle Führung in der Polizei

Gefährderansprache

Das Wichtigste vorweg

Rechtliche Einbettung

Fallanalyse und Erklärungsansätze

Prognosen

Interventionen

Geiselnahme

Das Wichtigste vorweg

Was macht die Geiselnahme zum psychologischen Fall?

Was ist das Charakteristische einer Geiselnahme?

Was passiert beim Geiselopfer?

Was kann die Polizei tun?

Gewalt gegen die Polizei

Das Wichtigste vorweg

Gewalterfahrungen

Theoretisches Modell zur Entstehung von Gewaltübergriffen

Empirische Befunde zu Gewaltübergriffen aus Risikofaktorstudien

Folgen und Umgang mit Gewalterfahrungen

Prävention

Jagdfieber

Das Wichtigste vorweg

Fallanalyse

Psychologische Erklärungsansätze zum Jagdfieber

Mögliche Folgen

Möglichkeiten, dem Jagdfieber entgegenzuwirken

Vor-Vorbereitungsphase

Vorbereitungsphase

Aktionsphase

Nachbereitungsphase

Kinderpornografie & Missbrauchsabbildungen

Das Wichtigste vorweg

Einleitung

Befundlage

Copingstrategien, Ressourcen und förderliche Arbeitsbedingungen

Copingstrategien

Ressourcen

Förderliche Arbeitsbedingungen

Das erste Fürsorgekonzept im Bundeskriminalamt 2009

Die Einführung

Die Evaluation der Supervisionsangebote

Überarbeitungen des Konzeptes

Fazit

Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern bei polizeilichen Routinetätigkeiten

Das Wichtigste vorweg

Fallanalysen

Wissenschaftliche Befunde

Ein kombiniertes Kommunikations- und Einsatztraining

Korruption

Das Wichtigste vorweg

Definition und Abgrenzung

Dunkelfeld

Gefahren und Folgen

Ursachen

Neutralisierung

Prävention und Repression

Operative Fallanalyse (OFA)

Das Wichtigste vorweg

Problemstellung für die Polizei

Zielrichtung der Operativen Fallanalyse

Der methodische Prozess der Fallanalyse

Aktuelle Forschung

Personalauswahl

Das Wichtigste vorweg

Personalauswahlverfahren in der Polizei

Anforderungsanalyse

Methoden der Personalauswahl

Verfahren zur Bewertung fachlicher Fähigkeiten

Verfahren zur Bewertung kognitiver Fähigkeiten

Verfahren zur Bewertung der persönlichen Kompetenz

Verfahren zur Bewertung der sozialen Kompetenz

Evaluation von Auswahlverfahren

Personalauswahl in der Polizei

Posttraumatische Belastungsstörung

Das Wichtigste vorweg

Fallanalyse

Erklärungsansätze

Interventionen

Prävention

Das Wichtigste vorweg

Präventionsbegriff

Umsetzung von Prävention

Prävention durch die Polizei

Prävention innerhalb der Polizei

Zukunft der Prävention in der Polizei

Psychologische Begleitung

Das Wichtigste vorweg

Psychische Belastung im Polizeidienst

Allgemeines (Un)Wohlbefinden und psychische Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Anforderungen an qualitativ hochwertige psychologische Betreuung von Polizeibediensteten

Gebot der Schweigepflicht

Hilfesuchverhalten und Inanspruchnahme des psychosozialen Dienstes

Hinderliche „John Wayne“-Arbeitskultur

Akzeptanz psychischer Schwäche innerhalb der Polizei stärken

Ausbau- und Verbesserungsmöglichkeiten psychosozialer Betreuungskonzepte

Psychologische Krisenintervention

Das Wichtigste vorweg

Fallanalyse

Erklärungsansätze

Prognosen

Interventionen

Ziele psychologischer Krisenintervention

Bereitstellung aufsuchender psychologischer Hilfe für alle Beteiligten

Verringerung der Stresssymptomatik

Diagnostik und Weiterleitung

Fazit

Hintergründe

Schusswaffengebrauch

Das Wichtigste vorweg

Was macht den Schusswaffengebrauch zu einem psychologischen Phänomen?

Wie ist das eigentlich, wenn man auf Menschen schießt?

Wem gelingt es, wenn es sein muss, die Schusswaffe richtig und lebensrettend einzusetzen?

Wie ist das, wenn man auf Menschen geschossen hat?

Wer und was kann dem Polizeibeamten helfen, die Folgen eines Schusswaffeneinsatzes zu bewältigen?

Suicide by Cop

Fallbeispiele und Begriffsbestimmung

Der konkrete Antrieb (der Vorsatz) zur provozierten Selbsttötung durch die Polizei

Die Absicht zur vorsätzlichen Täuschung Dritter über die Einschätzung des eigenen Verhaltens

Die Fähigkeit zur Einschätzung der Folgen der Täuschung anderer

Wahl und Einsatz tauglicher Mittel zur Provozierung letaler Reaktionswirkung (lebensgefährlicher Waffengebrauch) durch die Polizei

Der Suicide by cop: Spezialform eines Suizids

Exkurs: Der Begriff „verteidigter Suizid“

Exkurs: Tötung auf Verlangen vs. provozierter Suizid

Empirische Erhebungen zum Phänomen

Suicide by cop

Kennzeichen des Suicide by cop

Definition provozierter Suizid

Fazit

Supervision und Coaching

Das Wichtigste vorweg

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Supervision und Coaching

Fallsupervision im Team

Coaching für Führungskräfte

Möglichkeiten und Chancen von Supervision und Coaching in der Polizei

Umgang mit psychisch auffälligen Personen

Das Wichtigste vorweg

Die besondere Gefahrenkonstellation bei Kontakten der Polizei mit psychisch auffälligen Personen

Begriffsbestimmungen

Polizeilich kritische Erkrankungen und ihre spezifischen Gefahrenmomente

Allgemeine und spezifische Risiken im Umgang mit psychisch Auffälligen

Basiskompetenzen im konkreten Kontakt mit einer psychisch auffälligen Person

Handlungsempfehlungen für die Praxis

Unbeabsichtigte Schussabgabe

Das Wichtigste vorweg

Schusswaffe und Waffenträger

Statistische Betrachtung

Arten unbeabsichtigter Schussabgaben

Möglichkeiten der Vermeidung einer unbeabsichtigten Schussabgabe

Weitere Empfehlungen

Vernehmung (Investigatives Interview)

Das Wichtigste vorweg

Begriffsbestimmung (Rahmengestaltung)

Rapport

Zeugenvernehmung

Lügenerkennung

Vernehmungslehre

Zivilcourage

Das Wichtigste vorweg

Erklärungsansätze

Was ist Zivilcourage?

Hinderliche und förderliche Faktoren für Zivilcourage

Zivilcourage fördern und trainieren

Autorinnen & Autoren

Stichwortverzeichnis

Amok

Max Hermanutz & Joachim Kersten

Das Wichtigste vorweg

Amoktaten sind selten und spektakulär. Allen Fällen gemeinsam ist eine massive Aggression gegen andere Menschen und häufig gegen die eigene Person des Amoktäters. Den Amoktaten geht oft ein schwerwiegender Konflikt, meist eine Kränkung des Täters voraus, sie kann real existieren, aber auch als Wahnvorstellung. Dafür ist der Fall im norwegischen Oslo im Juli 2011 ein besonders grausames Beispiel.

Aufgrund der Seltenheit des Ereignisses liegen nur wenige systematische Untersuchungen über die Gründe solcher „Amoktaten“ vor, denn sehr viele Einflussfaktoren müssten zur Erklärung berücksichtigt werden. Es erscheint grundsätzlich sehr schwierig, Amoktaten zu verhindern. Vorbeugung beginnt mit der Gewaltprävention im Alltag. Auch für die Polizei erscheint es möglich, vorbeugende Maßnahmen zu treffen, um solche Taten unwahrscheinlicher zu machen, ganz verhindern kann man sie nicht. Warnsignale einer Tat müssen beachtet werden. In jedem Fall scheint dann Vorsicht geboten zu sein, wenn eine Tat angekündigt wird, wenn sich eine Person gekränkt oder bedroht fühlt und sich mit Schuss-, Hieb- und Stichwaffen ausrüstet, wenn sie psychisch krank ist und bereits durch Gewalttaten aufgefallen ist.

Opfer und Angehörige sollten nach einer Amoktat intensiv psychologisch betreut werden, weil sie oft traumatisiert sind.

Fallbeispiel 1

Der Hauptlehrer Ernst Wagner tötete im September 1913 seine Frau und seine vier Kinder in Degerloch, während sie ahnungslos schliefen. Der Frau schnitt er mit einem Dolch die Kehle durch, die Kinder erschoss er mit einem Revolver, fuhr dann nach Mühlhausen, steckte das Dorf an vier Stellen in Brand und schoss mit zwei Pistolen auf alle möglichen Personen unter den aufgescheuchten Bewohnern. Nachdem er 8 Personen sofort getötet und 12 andere schwer verletzt hatte, wurde er überwältigt. In seinem Besitz befanden sich 250 Patronen. Die Mord- und Brandarbeit, die er so verrichtet hatte, war noch nichts gegen das, was er eigentlich beabsichtigte. Sein Plan ging auf Vernichtung von viel mehr Menschenleben, und auf weit umfassendere Brandstiftung aus. Wagner überlebte diese Tat und wurde im Psychiatrischen Krankenhaus Winnenden bis zu seinem Tode untergebracht.

Fallbeispiel 2

Ein elf- und ein 13-jähriger Schüler lösen in ihrer Schule in Jonesboro im US-Staat Arkansas 1998 falschen Feueralarm aus und erschießen aus dem Hinterhalt vier Mädchen und eine Lehrerin, 10 Personen werden schwer verletzt.

Fallbeispiel 3

Mit Pistolenkugeln und einem Sprengsatz tötet ein Mann nach einer Gerichtsverhandlung in Euskirchen 6 Personen und sich selbst. Unter den Toten sind sein Richter und die Freundin des Amoktäters, die ihn wegen Körperverletzung angeklagt hatte.

Fallbeispiel 4

Laurie Dann beschafft sich Gift, Benzin, Sprengsatz und Waffen und plant 1988 in Chicago die Vernichtung von Kindern. Sie vergiftet Getränke, legt mehrere Brände und schießt wahllos auf Schulkinder. Mehrere werden verletzt, ein Kind wird getötet.

Fallbeispiel 5

Im März 2009 ereignete sich der Amoklauf von Winnenden, rund 20 Kilometer nordöstlich von Stuttgart, sowie in Wendlingen am Neckar. Der 17-jährige Tim K. tötete 15 andere Menschen und zuletzt sich selbst, nachdem er nach mehrstündiger Flucht von der Polizei gestellt worden war. Elf weitere Menschen, einige von ihnen schwer verletzt, wurden in Krankenhäuser eingeliefert.

Fallbeispiel 6

Von Oslo aus, wo er im Juli 2011 bei einem Bombenattentat acht Menschen tötet und zehn verletzt, begibt sich Anders B. auf eine Insel, auf der ein Sommercamp von Jugendlichen stattfindet. Er trägt eine Polizeiuniform und schießt aus nächster Entfernung eineinhalb Stunden aus einer halb automatischen Schusswaffe auf die wehrlosen und verängstigten Opfer. Dort beträgt die Zahl der Todesopfer fast 70. Die Polizei hat Schwierigkeiten zum Tatort zu gelangen. Der Täter wird von einer Spezialeinheit widerstandslos verhaftet. Der jetzige Kenntnisstand spricht dafür, dass der junge Mann einem rassistisch-rechtsextremen Weltbild verfallen ist. Wie andere Täter vor ihm, sieht er sich selbst als „Vollstrecker“ einer „großen Sache“. Laut zwei psychiatrischer Gutachten leidet der Täter an einer psychischen Störung mit bizarren Wahnvorstellungen. Er ist der Überzeugung, dass er als perfekter Ritter auserwählt sei, über Leben und Tod zu entscheiden … will sein Volk erlösen, um die Gefahr des muslimischen Bevölkerungswachstums zu bannen.

Fallbeispiel 7

In einer Schule im russischen Kasan werden am 11.5.2021 zwei Lehrer und 7 Kinder in einer Schule mit Schusswaffen getötet, 20 weitere verletzt. Der festgenommene 19-jährige Täter soll Medienberichten zufolge kurz vor der Tat das Verbrechen im Nachrichtenkanal Telegram angekündigt haben. Er soll mit einem Maschinengewehr die Schule durch einen Haupteingang betreten und sofort um sich geschossen haben. Der Republikchef von Tartastan, Rustam Minnichanow, nannte ihn einen „Terroristen“. Auf den 19-Jährigen soll auch die genutzte Waffe registriert worden sein. Die Hintergründe waren zunächst unklar. Diskutiert wurde, ob es sich um eine terroristische Tat oder einen verwirrten Amoktäter handelt.

Amok – was ist das?

Schwere Gewalttaten mit wahllosen Tötungsversuchen werden als Amoktaten bezeichnet. In der englischsprachigen Fachliteratur werden sie häufig als „Killing Spree“ bezeichnet. Allen Fällen gemeinsam ist ein massives aggressives Vorgehen der Täter. Oft nehmen sie ihren eigenen Tod in Kauf. Amoktaten mit einer hohen Zahl von Todesopfern ereigneten sich bereits 1982 in Südkorea. Dort erschoss ein Polizeibeamter innerhalb von acht Stunden 69 Menschen. Im tasmanischen Port Arthur tötete ein junger Mann 35 Menschen (1996). Die Zahl der Todesopfer in Norwegen liegt bei fast 80. Mögliche Vorgehensweisen beim Amok sind Schießen, Niedermetzeln, Vergiften, Sprengsätze zünden, Brände entfachen, Sachbeschädigungen. Die Motive und die Auslöser für Amoktaten sind oft unklar, aber vorhanden und oft vielschichtig. Bei anderen Mehrfachtötungen wird der Begriff „Amoktat“ nicht verwendet, weil die Motive eindeutiger sind, z. B. bei Familientragödien mit mehreren Opfern, bei erweiterten Suiziden, bei politisch-motivierten, terroristischen Mehrfachtötungen (hier ist Oslo als Grenzfall einzuordnen), bei materiell- oder religiös-motivierten Massakern und bei Serienmorden. Für die Unterscheidung von Amoktat und terroristische Tat haben Terrorismusforscher bisher keinen Konsens gefunden. Im Gegenteil: Mit Terrorgruppen, die sich als Staat bezeichnen, und psychisch labilen Einzeltätern, die im Internet Anschluss an radikale Gruppen finden, sind die Grenzen nicht eindeutig. Terrorismus dient der Durchsetzung politischer Ziele. Nicht der Gewaltakt selbst, sondern seine Motivation ist der wesentliche Unterschied zwischen Terrorismus, „gewöhnlicher“ Kriminalität und einer wahnmotivierten Amoktat (Neumann, 2015).

Die historische Sichtweise

Im Vergleich zu unserer Umschreibung von Amoktaten entsprechen einige Definitionen in Lexika und Nachschlagewerken nicht mehr dem heutigen Sprachgebrauch. Sie gehen auf den malaiischen Begriff zurück. Dort wurde Amok als gruppengebundenes, kriegstaktisches, später auch religiös motiviertes, kriegerisches Verhalten bezeichnet. Ein Krieger läuft, das Schwert schwingend, vor der Hauptstreitmacht her, dabei laut „AMOK“ schreiend, und nimmt dabei den eigenen Tod in Kauf. Letzteres auch für Kriegsgeschehen ungewöhnliches Verhalten wird im Deutschen mit dem Ausdruck „Berserker“ bezeichnet. Das südostasiatische Beispiel hat vermutlich den gebräuchlichen Ausdruck Amoklauf geprägt, der heute nur noch im übertragenen Sinn zutrifft.

Amoktaten und Medien

Wenn jemand Amok läuft, geht dies sofort durch die Medien. Auf den Titelseiten erscheint das Geschehen als aus dem Nichts heraus entstandenes, ebenso dramatisches wie sinnloses Töten zumeist Unbeteiligter, gelegentlich auch ganzer Familien, die entweder mit dem Selbstmord des Täters oder im Feuerhagel von Spezialkommandos der Polizei enden (Adler et al., 1993). Das Medienecho auf Amokgeschehnisse ist in letzter Zeit stärker zum Gegenstand von Forschung geworden, weil von den Mediendarstellungen insbesondere der Täter ein Nachahmungsimpuls ausgehen kann. Carsten Höfler liefert in seiner Untersuchung von Printmedien eine umfassende Analyse solcher Darstellungen (Höfler, 2010). Er fragt darüber hinaus, ob den Verantwortlichen in den Redaktionen und in der Öffentlichkeitsarbeit der Polizei die Nachahmungsfaktoren bekannt sind (ibid., S. 75). Allerdings, dass die Medien solche Ereignisse aufgreifen, liegt am Interesse der Menschen, an der Informationspflicht und sicherlich auch daran, dass solche Ereignisberichte die Auflage steigern. Der Umstand, dass der Kenntnisstand unmittelbar während und im Anschluss an eine Tat gering ist, verschafft insbesondere den Sensationsmedien breiten Spielraum für Spekulationen. Es gab nach Amokläufen in Deutschland eine regelrechte Hetzjagd auf Mitbetroffene und Hinterbliebene. Erzeugnisse der Boulevardpresse, allen voran BILD, wurden wegen ihrer Berichterstattung über Winnenden vom Presserat gerügt.

Wenig wissenschaftliche Daten zu Amoktätern

Systematische Untersuchungen zu Amoktaten sind kaum vorhanden. Gründe dafür sind:

Amoktaten kommen selten vor und die Amoktat endet oft mit dem Tod des Täters, der gegen sich selbst vorgeht oder von anderen Personen getötet wird. Bei Ermittlungsbehörden und Justiz besteht kein weitgehendes Interesse an einer umfassenden Motivforschung, wenn der Täter einen erweiterten Suizid begeht. Betroffene und Angehörige wollen an das schreckliche Ereignis nicht mehr erinnert werden. Wenn der Täter überlebt, ist es aus therapeutischer Sicht unter Umständen zweifelhaft, den Täter aus wissenschaftlichem Interesse heraus damit wieder zu konfrontieren.

Schwere Gewalttaten mit wahllosen und gezielten Tötungsversuchen bezeichnen wir als Amoktaten.

Fakten

1.

Der Begriff „Amoktat“ wird nicht präzise benutzt.

2.

Amoktaten sind selten. Pro Jahr wurden zwischen 1980 und 1989 in der Bundesrepublik und im industrialisierten Ausland von ca. 20 Amoktaten in den Medien berichtet. Für die BRD ist mit 1–2 Amoktaten pro Jahr zu rechnen (Adler u. a., 1996).

3.

Frauen werden selten (5 %, Adler) zu Amoktäterinnen.

4.

Bisher waren Amoktäter Einzeltäter (2 Ausnahmen).

5.

Das Alter der Täter bei Amoktaten sinkt.

6.

In letzter Zeit erscheinen Amoktaten häufiger als geplant, völlig spontane Taten werden seltener.

7.

Unmittelbare Auslöser für die Tat sind oft eine persönliche Kränkung oder subjektiv erlebte Bedrohung.

8.

Waffen wurden vorbereitet („Waffennarren“) oder sind zufällig greifbar.

9.

Hat das Zerstören und das Töten bei einer Amoktat einmal begonnen, ist dieses Vorgehen nur mit Gewalt zu stoppen.

10.

Unbekannte Opfer werden meist wahllos ermordet, Angehörige oder andere Bezugspersonen, persönliche Feinde können gleichfalls zum Opfer werden.

11.

Mehr als ein Drittel der Amoktäter begeht im Anschluss an ihre Tat Suizid, ein Viertel wird getötet.

12.

Untersucht man überlebende erwachsene Amoktäter, sind viele, aber nicht alle diese Personen psychisch krank.

13.

Es gibt mittlerweile Belege dafür, dass Amoktaten analog zu Suiziden nachgeahmt werden (Höfler, 2010; Schmidtke u. a., 2003).

Jugendliche und junge Männer als Amoktäter

Die jungen „Schulhoftäter“ seit 1997 unterscheiden sich von früheren Amoktätern. Sie töten nicht nur blindwütig, sondern gezielter. Im Dezember 1997 feuerte in Kentucky ein 14-Jähriger auf seine Mitschüler. Acht Schüsse, acht Treffer. Gezielte Schüsse wurden bei den Amoktätern in Bad Reichenhall (1999), Erfurt (2002), Emsdetten (2006), Winnenden (2009) und Norwegen (2011) auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene abgegeben.

Auslöser

Bei genauerem Hinsehen lassen sich in der Vorgeschichte einige Auslöser und Ursachen für die Tat ausmachen. Viele Taten erscheinen geplant. Die unmittelbaren Auslöser direkt vor Beginn einer Amoktat können Enttäuschungen, Kränkung, Demütigungen durch Lehrer, Polizeibeamte, Richter, Angehörige und Behörden sein oder ein Verlust, wie das überraschende Verlassen des Ehepartners, Liebeskummer, Ärger im Beruf, Geldnot, Streit, verweigerte Anerkennung, eine vermeintliche Bedrohung (z. B. durch die Polizei, wie in Fallbeispiel 4, oder wie im Fallbeispiel 3 eine Bestrafung bei einer Gerichtsverhandlung). Man kann davon ausgehen, dass Amoktäter in der Regel nicht einmal eine kurzfristige Planung der Tat vornehmen, sondern dass sie unvermittelt in einem Erregungszustand erfolgt. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. Die Auslöser müssen nicht real vorhanden sein, sondern können als Wahnvorstellungen existieren. Sind die Auslöser wahnhafter Natur (Fallbeispiel 1), können sie aufgrund ihrer Realitätsferne von anderen Menschen nicht nachvollzogen werden: Wagner, auch Laurie Dann haben ihre Amoktaten über Monate hinweg geplant. Andere wiederum wappneten sich mit Waffen für den Tag X. Erfolgte dann ein vermeintlicher Angriff, so kam die Amoktat zustande.

Oft führen Dauerkonflikte mit „Gott und der Welt“ zur Tat. Nur für Außenstehende handelt es sich um banale auslösende Konflikte, wie der Hass auf die Welt, der Hass auf sich selbst, weil man sich als Versager einschätzt, sich als „Klassendepp“ fühlt. Solche Selbstwertprobleme sind aber für die Betroffenen eine menschliche Katastrophe, die sie offensichtlich hoffnungslos macht. Der Wunsch, einmal Allmacht über andere Menschen zu erlangen, wird dann als Beendigung eines unerträglichen Zustandes in der Amoktat verwirklicht.

Nachahmungstaten

Die meisten Amoktäter beschäftigten sich im Vorfeld ihrer Tat mit vorangegangenen Amokläufen. Sie glichen Tatwaffen und Kleidungsstücke der Täter ab und nahmen explizit auf sie Bezug. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Amoktaten imitiert werden und die Berichterstattung dabei eine wesentliche Rolle einnimmt (Schmidtke u. a., 2003; Höfler, 2011). Die hohe mediale Aufmerksamkeit, die Amoktätern zuteil wird, bestärkt sie in ihrem Wunsch nach temporärer Allmacht. Schmidtke u. a. (2003) haben 143 Amoktaten zwischen 1993 und 2001 ausgewertet. Meist folgen Amoktaten einem anderen Amokereignis in einem Zeitraum von bis zu 22 Tagen (vgl. Abbildung 1). Bei Suiziden ist dieser Nachahmungseffekt (10 bis 18 Tage) als „Werthereffekt“ bekannt.

Abb. 1: Anzahl von Amoktaten in den Tagen nach einer Amoktat (in Anlehnung an Schmidtke u. a., 2003).

Ursachen

Gehirnfunktionsstörungen

Die historische Betrachtung von Amokläufen legte zunächst die Vermutung nahe, neurologische Mechanismen würden eine Amoktat auslösen, weil viele Täter in einer Art „Dämmerzustand“ (bei besonderer Form epileptischer Anfälle möglich) handeln. In einem solchen Zustand tun Personen Dinge, an die sie sich hinterher nicht genau oder gar nicht erinnern können. Die Tat erfolgt meist in einem Erregungszustand, dem manchmal eine tiefe Erschöpfung folgt. Dass die Mehrzahl aller Amoktaten in einem solchen Dämmerzustand stattfinden, ist unwahrscheinlich.

Veränderungen im Gehirn

Ein neuer biologischer Erklärungsansatz hat in den 90er Jahren andere Annahmen durch die biochemische, hirnphysiologische Grundlagenforschung in die Diskussion gebracht. Neuere Forschungsergebnisse zeigen wie das Gehirn sich umgestaltet, wenn es die Anforderungen des Lebens notwendig machen, z. B. wenn man einen Arm verliert. Die Ergebnisse zeigen auch, wie eine falsche und gefährliche tägliche „Programmierung des Gehirns“ zu Fehlverhaltensweisen führt. Am Beispiel Amoktat können die Wirkungen der Überflutung mit Gewaltszenen auf die Hirnfunktion aufgezeigt werden. Aus der Sicht der Hirnforschung gibt es an diesem Wirkungszusammenhang wenig Zweifel, obwohl dies außerhalb von Expertenkreisen kontrovers diskutiert wird. Neu an solchen Untersuchungen ist der Einbezug sozialer Ächtung, Ausgrenzung und „dauerhaft verweigerter Akzeptanz“ in die Ursachenkette für gefährliche Aggression. Gefährlich ist sie insbesondere deshalb, weil sie nicht kommuniziert wird, sondern „gesammelt“, „wie eine Konserve“, und dann kontextunabhängig zum Ausbruch gelangt beispielsweise eben auch als Schulamoklauf. In unserem Gehirn gibt es – so diese Forschung – ein „Aggressionsgedächtnis“ (Bauer, 2011).

Psychische Krankheit

Adler und Mitarbeiter haben 196 Pressemitteilungen zu Amoktaten aus industrialisierten Ländern analysiert. Dabei handelte es sich um eine Auswahl, weil Amoktaten mit weniger Opfern in der überregionalen Presse eher nicht gemeldet werden. Methodisch fragwürdige Untersuchungen von Carr und Tan (1976) und Westermeyer (1973) haben nach den Taten versucht, den Personen rückblickend (retrospektiv) diagnostische Charakteristika zuzuordnen. Wenn die Untersuchungen zu dem Ergebnis gelangen, dass die Täter psychisch auffällige Personen sind, ist diese Schlussfolgerung nach einer begangenen Amoktat methodisch problematisch. Solche Aussagen können zudem zu diskriminierenden, irrigen Schlussfolgerungen über die Gefährlichkeit von psychisch kranken Menschen führen.

Bei psychisch kranken Gewalttätern (keine Amoktäter!) wurde überprüft, inwieweit der beunruhigende Stereotyp des „blindwütigen Amokläufers“, der „aus heiterem Himmel“ ein Zufallsopfer angreift, tatsächlich zutreffend ist. Die Frage galt hier der Häufigkeit von Gewalttaten ohne vorausgehende Auffälligkeiten. Für diese Kategorie von Kranken gilt, dass vermehrtes aggressives Verhalten, wie die Bedrohung anderer, in besonderem Maße aber Tätlichkeiten gegenüber der sozialen Umwelt in den Monaten vor der Tat, ernste Signale darstellen. Die These von der grundsätzlichen „Unberechenbarkeit“ psychisch Kranker vor ihrer scheinbar so „unvorhersehbar hereinbrechenden“ Gewalttätigkeit erweist sich zumindest in solcher Verallgemeinerung als Vorurteil. Es spricht viel für die Vermutung, dass das Risiko einer bevorstehenden Gewalttat bei einem psychisch Kranken durch die besondere Art seiner Krankheit, seiner Persönlichkeit und Vorgeschichte und durch akkumulierte auffällige Verhaltensweisen häufig abschätzbarer ist, als das analoge Risiko bei einem Geistesgesunden (Knecht, 1997; Nedopil, 2004; Böker & Häfner, 1973). Spektakuläre Gewalttaten von psychisch Kranken sind sehr selten, prägen aber deren Bild in der Öffentlichkeit. Erkennen wir diese Warnsignale, können wir im Vorfeld Maßnahmen ergreifen, z. B. Waffen entfernen und Behandlungen einleiten.

Verrohung durch Gewaltdarstellungen – Konditionierung und Nachahmung

Inwieweit Amoktaten nachgeahmt werden, wurde bisher noch zu selten gründlicher untersucht. Die Fallanalysen der jugendlichen Amoktäter in den USA und bei uns legen jedoch nahe, dass ein Nachahmungseffekt wie bei Selbsttötungen insbesondere bei Jugendlichen wahrscheinlich ist. Gewaltdarstellungen in Filmen und PC-Spiele liefern darüber hinaus genügend erfolgreiche Amok-Rambo-Modelle.

Der Militärpsychologe D. Grossman (1999) hält mörderische Videospiele wie „Doom“ und „Quake“, die einen hohen „Kill-Faktor“ aufweisen, für ein „Training zum Töten“. Für solche Spiele wird z. B. mit dem Slogan geworben: „Wir machen aus Killern Massenmörder“ oder „Bring deine Freunde ohne Schuldgefühle um“. Die Bilder von Freunden und Lehrern können eingescannt werden, Sinn und Zweck des Spiels besteht darin, diese Personen in immer größerer Anzahl mit Spaß und Erfolg abzuschlachten. Man könnte dies als eine Art Konditionierungsprogramm für Amoktäter ansehen.

Natürlich ist dabei das PC-Spiel nur eine Komponente solcher Konditionierung, gewissermaßen die Spitze einer Pyramide. Ganz unten sind alle „normalen“, dann kommen die Kleinkriminellen und so fort. Ganz oben stehen die, die töten. Um zu töten, braucht man aber mindestens drei Dinge: Waffen, den Willen und das Können. Anders ausgedrückt: eine Amoktat ist multikausal bedingt, wie die Sicherheit beim Autofahren: die Gene stellen den Rahmen, das Fahrgestell dar, die Lerngeschichte durch Umwelt, Erziehung und soziale Stressoren bilden die Festigkeit der Karosserie, die Verfügbarkeit von Waffen sind die Kilowattstunden des Motors; letztendlich entscheidet aber das Können des Fahrers (Wille und Gehirn), ob das Auto sicher fährt. Der Amoktäter hat ein instabiles Fahrgestell, eine schlecht verarbeitete Karosserie, zu viel verfügbare Power zum Töten, und er ist ein Fahrer, der bei Stress „durchdreht“. Der Amoktäter verfügt weder über eine gute passive noch aktive Sicherheit für sein eigenes und das Leben anderer.

Um die Vielfalt von Amoktaten erklären zu können, müssen Faktoren wie auslösende Situation, Erziehung in Familie, Schule, Umwelt, biologische Ausstattung des Gehirns, psychische Verfassung usw. des Täters und ihr Zusammenwirken berücksichtigt werden, um die Tat evtl. erklären zu können.

Vorbeugung beginnt mit Gewaltprävention im Alltag

1.

Die Verfügbarkeit von Waffen muss durch Gesetze und auch durch Eltern in Haushalten, in denen solche Waffen gelagert werden, kontrolliert werden.

2.

Psychische Krankheiten können medizinisch und psychologisch behandelt werden.

3.

Gewissen und Wille eines Menschen werden durch die Erziehung beeinflusst – wir sollten den Erziehern helfen.

4.

Hass und Hoffnungslosigkeit des Menschen werden durch Mitmenschen beeinflusst – Erfolgserlebnisse können Menschen Hoffnung verleihen – wir sollten sie ermöglichen.

5.

Das Töten mit Schusswaffen kann heute mit Simulationen, insbesondere mit PC-Spielen, trainiert werden – wir sollten dies nicht länger ignorieren, vor allem müssen wir mit Jugendlichen darüber reden.

6.

Einer Freizeitgestaltung durch gewaltverherrlichende Filme sollten wir durch eigenes Engagement, Familie, Schule, Kommune bessere Alternativen entgegensetzen

Isolierte Vorhersagekriterien (Prädiktoren) sind wenig hilfreich

Nach einer Amoktat heißt es oft „Warnsignale wurden übersehen“. Man versucht einen Schuldigen oder einen einzigen Grund für das Geschehen verantwortlich zu machen. Die Tatsache, dass jemand Waffen besitzt oder gar ein „Waffennarr“ ist, dass jemand psychisch krank ist oder früher gewalttätig war, kann nicht als Einzel-Kriterium bzw. Prädiktor herangezogen werden, genauso wenig wie der Besitz von mörderischen PC-Spielen, oder die Tatsache, dass Amoktaten vorwiegend von (jungen) Männern begangen werden. Solche Behauptungen in Bezug auf Ein-Faktor-Kausalität („Der Vater ist schuld“ „Die Schule ist schuld“) werden nach jedem solcher schrecklichen Geschehnisse von medienpräsenten „Experten“ erhoben, richtiger werden sie dadurch nicht. Jedes Einzelkriterium allein hilft bei der Vorbeugung nicht weiter, weil es für unzählige Personen zutrifft. Trotz der Warnsignale des Amokläufers von Winnenden war dessen Tat laut einem psychiatrischen Gutachten nicht vorhersehbar.

Es gibt Warnsignale – Amoktaten können auch verhindert werden

Aber die genannten Merkmale einer Person zusammengenommen lassen durchaus eine Vorhersage über die Gefährlichkeit und die mögliche Vorbeugung solcher Taten bedingt zu. Vorsicht scheint dann geboten, wenn eine Person sich offensichtlich bedroht fühlt und sich gegen eine solche vermeintliche Bedrohung mit Waffen rüstet. Jede Ankündigung einer Tat sollte ernst genommen werden, genauso wie die Ankündigung eines Suizids. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um eine psychisch kranke Person handelt, die über Waffen verfügt und schon durch Gewalttaten aufgefallen ist. Somit können wir eine sehr grobe Skizze eines Täterprofils für einen Amoktäter erstellen: ein (meist jüngerer) Mann, der über Waffen verfügt, gelernt hat, damit umzugehen und psychisch und polizeilich auffällig ist, sich als „Looser“ betrachtet und so auch von Teilen seiner sozialen Umwelt wahrgenommen (u. U. aus diesem Grund auch gemobbt) wird und Drohungen ausspricht.

Wie viele Amoktaten wurden schon verhindert?

Tatsächlich können potenzielle Amoktäter durch das Eingreifen der Polizei gestoppt werden, das lassen viele Einsätze der Spezialeinheiten vermuten, wenn Gewaltverbrechen, Gemeingefährlichkeit, Fremdgefährdung und Selbstgefährdung drohen. Das Spezialeinsatzkommando Baden-Württemberg wurde z. B. wegen psychisch kranker Personen ca. 9-mal pro Jahr (5 % aller Einsätze) angefordert. Die Auswertung der Einsätze zeigt, dass die Täter z. T. psychisch sehr erregt, zu allem entschlossen und schwer bewaffnet waren.

Das Einsatzverhalten der Polizei bei Amoklagen wurde in den letzten Jahren grundsätzlich verändert, die Einsatzkräfte vor Ort versuchen den Täter aufzuspüren und das Töten auch mit Schusswaffengebrauch zu stoppen. Parallel dazu wurden in Schulen technische Vorrichtungen zum Schutz der Schüler und Lehrer verbessert und Verhaltensempfehlungen für Amoklagen verbessert.

Die Grenzen der Verhinderung von Amoktaten (Ein Ausnahmebeispiel, bei dem die Behörden eine Amoktat verhindern wollten)

Fallbeispiel Polizistenmord

In einer bayerischen Polizeidienststelle kam es 1988 zu einer folgenschweren Gewalttat, die von den Medien als „Amoklauf“ bezeichnet wurde. Ein psychisch kranker Mann, der im Besitz mehrerer Waffen war, wurde von den Behörden als gefährlich erkannt, von Polizeibeamten observiert und schließlich in seiner Wohnung überrascht. Er war kooperativ und gab seine Waffen ab. Nachdem mehrere Waffen beschlagnahmt worden waren, kam es während einer Vernehmung in einer Polizeidienststelle zu einer Amoktat. Der Täter hatte Gewalt über mehrere Waffen erlangt und einen Polizeikommissar erschossen. Die anderen Beamten wurden durch einen Aufschrei und die Schüsse aufmerksam und kamen zu Hilfe. Der Täter schoss auf alle Beamten, die sich bewegten. Ein Beamter schoss aus einer Deckung und verletzte ihn am Arm. Ein Beamter, der über Funk einen Notruf absetzte, wurde vom Täter ebenfalls beschossen und getroffen. Er konnte zwar noch fliehen, verstarb aber nach kurzer Zeit an der Schussverletzung. Die Beamten versuchten, an den Täter zu gelangen, was jedoch angesichts seines ständigen Schusswaffengebrauchs nicht möglich war. Aufgrund des Notrufes fuhren zwei Beamte so schnell wie möglich zur Polizeidienststelle zurück. Der Täter wurde nun mit einer Flinte am Fenster des Ermittlungszimmers sichtbar und feuerte eine Schrotladung durch die Scheibe. Ein Beamter schoss daraufhin mit seiner Dienstpistole auf das Fenster zurück. Nun feuerte der Täter mit einem Revolver auf die Beamten. Im Dienstgebäude fielen weiterhin in kürzesten Abständen Schüsse. In dieser Situation trat der Täter mit einem nach vorne gehaltenen Gewehr bewaffnet aus der Eingangstür der Polizeidienststelle. Auf Anrufe zeigte der Täter keine Reaktion, stattdessen feuerte er mit einer Schrotflinte in Richtung der Beamten. Ein Polizeibeamter gab einen gezielten Schuss auf den Täter ab, wodurch dieser tödlich verletzt wurde. Drei Polizeibeamte wurden letztendlich vom Täter mit jeweils mehreren Schüssen getötet. Ein Beamter wurde schwer verletzt. Zusätzlich entstand ein erheblicher Sachschaden. Es gab keinen Hinweis, dass sich der Täter bedroht fühlte und sich in einer subjektiven Notwehrsituation befand.

Dilemma zwischen Eigensicherung und Bürgerfreundlichkeit

Die Ansicht, ein Polizeibeamter müsse jeden Moment seines beruflichen Tuns mit einer Bedrohung rechnen, ist zwar richtig, jedoch im Polizeialltag eher realitätsfern. Wenn wir erwarten, dass Polizeibeamte freundlich, sachlich und korrekt dem Bürger gegenübertreten, dann können wir nicht auf der anderen Seite fordern, dass der Polizeibeamte selbst bei Feststellung der Personalien ständig damit rechnet, dass sein Gegenüber ein potenzieller Amoktäter ist und nach amerikanischem Vorbild kontrolliert wird.

Literatur

Adler, L., Lehmann, K., Räder, K. Schünemann, K.F.I (1993). „Amokläufer“ – Kontentanalytische Untersuchung an 196 Pressemitteilungen aus industrialisierten Ländern. Fortschritte Neurol. Psychiat., 61, 424–433

Bauer, J. (2011). Schmerzgrenze: Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt. München: Karl Blessing Verlag

Böker, W., Häfner, H. (1973). Gewalttaten Geistesgestörter. Berlin: Springer

Carr, J.E., Tan, E.K. (1976). In search of the true amok: Amok as viewed within the Malay culture. American Journal of Psychiatry. 133, 1295–1299

Grossman, Dave (1999). Warum töten wir. Die Zeit, 39

Höfler, C. (2010). Der Nachahmungseffekt von Amoktaten: Wie Polizei und Zeitungen mit ihrer Verantwortung umgehen. Frankfurt: Polizei & Wissenschaft

Knecht, G. (1997). Erfahrungen mit psychisch kranken Aggressionstätern – Therapieindikationen. Psycho, 5, 299–306

Neumann, P. (2015). Die neuen Dschihadisten: IS, Europa und die nächste Welle des Terrorismus. Düsseldorf: Econ

Nedopil N (2004). Glauben und Wissen über die Gefährlichkeit psychisch Kranker. Polizei und Wissenschaft, 3, 31–39

Schmidtke, A., Schaller, S., Müller, I., Lester, D. & Stack, S. (2003). Imitation von Amok und Amok-Suizid. Suizidprophylaxe. 97–106

Westermeyer, J. (1973). Grenade-amok in Laos: A psychosocial perspective. International Journal of Social Psychiatry, 19, 251–260

Angst

Max Hermanutz, Nikola Stenzel & Winfried Rief

Das Wichtigste vorweg

Angsterlebnisse können sehr unterschiedlich sein und aus verschiedenen Gründen entstehen. Werden Polizeibeamte bedroht oder kommen sie in Situationen, die sie nicht mehr unter Kontrolle haben, reagieren sie in der Regel mit Angst. Diese Angst ist sinnvoll und notwendig. Die Beamten werden dadurch sozusagen in „Alarmbereitschaft“ versetzt, können schneller reagieren und es werden automatische Handlungen zum Schutz des eigenen Lebens aktiviert.

Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch Ängste, die Krankheitswert haben, z. B. wenn die Ängste zu häufig und ohne erkennbaren Grund auftreten oder zu lange andauern; wenn der Person von der Vernunft her klar ist, dass die Ängste übertrieben und sinnlos sind; oder wenn die Ängste zu einer Handlungsreduzierung führen, d. h., wenn man seinen täglichen Anforderungen nicht mehr nachkommen kann und somit ein Leiden durch die Angst verursacht wird. In den folgenden vier Fallbeispielen werden eine normale Angstreaktion, eine spezifische Phobie, eine soziale Phobie, sowie eine Panikstörung geschildert.

Ängste können reduziert und bewältigt werden, indem man sich den Angstsituationen stellt und sie nicht vermeidet. Dazu ist eine ausführliche Information über die Angst und den Angstkreislauf und deren Entstehung notwendig. Zur Bewältigung der Angst haben sich zwei Verfahren am besten bewährt. Einmal die Konfrontation (Exposition) mit der Angstsituation, wobei jedoch wichtige Regeln bei der Durchführung eingehalten werden müssen. Auch die langsame Annäherung an die Angstsituation (Desensibilisierung) in Verbindung mit Entspannungsverfahren hat sich zur Bewältigung der Angst bewährt.

Fallbeispiel 1

Kurz nach Mitternacht fahren zwei Polizeibeamte zu einer Gaststätte, nachdem der Wirt die Polizei wegen einer Schlägerei angerufen hat. Als sie das Gasthaus betreten, ist ein Streit bereits beendet, eine Person sitzt mit blutverschmiertem Gesicht auf dem Boden und eine zweite Person möchte gerade das Lokal verlassen. Es handelt sich dabei um einen „bekannten“ Mann aus der Drogenszene, von dem sie auch wissen, dass er an Aids erkrankt ist. Als die Beamten ihn am Verlassen der Gaststätte hindern, wird er laut, er gestikuliert und droht den Beamten sie „zusammenzuschlagen“. In dieser Situation erhöht sich bei beiden Beamten der Puls und sie haben Angst, dass sie evtl. von der renitenten Person verletzt werden und sich an seiner Krankheit evtl. auch durch einen Biss, anstecken könnten.

Fallbeispiel 2

Ein junger Polizeibeamter fühlt sich bei seiner ersten Unfallaufnahme wie gelähmt, nachdem er einer leicht verletzten Person Erste Hilfe leisten sollte. Nach diesem Erlebnis fährt er immer mit „gemischten“ Gefühlen zu einem Unfall, da er Angst davor hat, die Kontrolle über sich zu verlieren, wenn er mit Blut oder Verletzungen konfrontiert wird. Nach ein paar Monaten Dienst raten ihm die Kollegen wegen dieser Ängste einen Versetzungsantrag zu stellen.

Fallbeispiel 3

Nach einem ausgezeichneten Abschluss an der Fachhochschule kann sich der junge Kommissar nicht richtig freuen, da er weiß, dass er sich demnächst bei seiner neuen Dienststelle vorstellen muss. Bereits bei dem Gedanken daran verspürt er Angst, dass er in dieser Situation etwas Lächerliches sagen könnte oder Fragen nicht beantworten könnte. Er macht sich viele Gedanken und seine Angst steigert sich bis zum Dienstbeginn. Er bekommt Zweifel, ob er den richtigen Beruf gewählt hat. Am liebsten würde er wieder wie früher in seiner alten Dienstgruppe mitarbeiten. Er erkennt selbst, dass seine Angst übertrieben und unvernünftig ist, trotzdem leidet er darunter und überlegt, wie er die Situation vermeiden könnte.

Fallbeispiel 4

Ein Polizeibeamter fährt an einem Sommertag unter Zeitdruck mit seinem Kraftfahrzeug auf der Autobahn. Plötzlich hat er Beklemmungsgefühle auf der Brust, er hat den Eindruck er kann nicht mehr richtig durchatmen. Er versucht sein Auto abzubremsen und kommt auf der Standspur zum Halten. Im Auto sitzend fühlt er sich völlig benommen, zittert und bebt am ganzen Körper. Schweißgebadet sitzt er hinter seinem Lenkrad und hat zunächst Angst davor zu sterben. Sein beschleunigter Herzschlag beruhigt sich langsam, er bekommt auch wieder Luft, und kann bis zur nächsten Autobahnausfahrt fahren. Nach diesem Vorfall begibt er sich sofort in ärztliche Behandlung. Die medizinische Untersuchung ergibt außer einer leicht erhöhten Körpertemperatur keinen Befund. Der Polizeibeamte ist zunächst beruhigt, macht sich jedoch große Sorgen, dass es wieder „aus heiterem Himmel“ zu so einem Anfall kommen könnte. Als der Beamte nach ein paar Tagen wieder seinen Dienst beginnen möchte, wird er noch unruhiger. Schon der Gedanke daran, dass er wieder allein Auto fahren soll, verursacht bei ihm Herzklopfen, Kribbeln im Bauch und starkes Schwitzen. Sein Hausarzt schreibt ihn eine weitere Woche krank und verordnet ihm Beruhigungsmittel.

Angst hat viele Gesichter

Man geht heute davon aus, dass die sogenannte normale Angst bereits angeboren ist und im Laufe des Lebens durch Lernprozesse mit verschiedenen Situationen verbunden wird. Angst ist somit ein natürlicher Mechanismus, uns vor Gefahren zu bewahren, um evtl. für diese gefährlichen Situationen Bewältigungsstrategien in Gang zu setzen, die hilfreich sind, die jeweilige Situation zu überstehen. In bestimmten Phasen unserer Entwicklung treten Ängste sogar fast regelhaft auf, z. B. die Angst vor Fremden, das sog. Fremdeln bei Kleinkindern. Einige Menschen führen sogar absichtlich Angstgefühle herbei, z. B. beim Bungeespringen. Für manche Menschen ist Angst ein störendes Gefühl, das sie lähmt, unsicher macht oder so stark körperlich aktiviert, dass sie Angst haben, die Kontrolle über sich zu verlieren.

Im Fallbeispiel 1 wird die Angst zu einem sog. Alarmsignal, das den Organismus warnt und die Aufmerksamkeit erhöht. In dieser Alarmsituation klopft unser Herz natürlich schneller. Wenn das Herz jedoch zu schnell schlägt und wir in Panik geraten, bringt uns diese Angstreaktion mehr Nachteile als Vorteile, da wir in eine Schreckstarre verfallen können. Dann wird auch die Konzentrationsfähigkeit gesenkt und die Handlungsfähigkeit blockiert. Negative Folgen könnte dies bei einem Schusswaffengebrauch haben.

Bei den Fallbeispielen 2 bis 4 treten Angstgefühle auf, die von den Betroffenen als sehr störend erlebt werden, da sie eigentlich keinen erkennbaren Sinn haben, und die einzelnen Personen in ihrer Handlung stark einschränken. Bei keiner der Personen konnte bei der ärztlichen Untersuchung eine körperliche Ursache für die Angst festgestellt werden. Alle betonen sehr stark die körperlichen Symptome (vgl. Tabelle 1), die für sie Anlass zur Sorge sind. Für alle Beispiele ist bezeichnend, dass die Angst meist in einer bestimmten Situation auftritt. Obwohl die Situationen in den Fallbeispielen unterschiedlich sind, sind die Symptome doch sehr ähnlich.

Das Gefühl Angst hat immer drei Komponenten. Sie hat einen körperlichen Anteil, z. B. Herzklopfen oder Schwitzen, einen gedanklichen Anteil, z. B. die Furcht zu versagen, und drittens einen Verhaltensanteil, wenn man z. B. vermeidet oder flüchtet (siehe auch Schmalzl & Körber in diesem Band, S. 475).

Die körperliche Komponente der Angst

Das Herz fängt an, schneller zu schlagen, dadurch wird mehr Sauerstoff in die Muskeln gepumpt, wie es z. B. beim Ausdauersport notwendig ist. Die Blutgefäße verengen sich, die Atmung verändert sich und wird deutlich schneller, sodass mehr Sauerstoff aufgenommen wird. Parallel dazu wird auch sehr viel Kohlendioxid aus dem Blut wieder ausgeatmet. Wird die bereitgestellte Energie nicht verbraucht, so können sich durch ein solches Atmungsmuster weitere körperliche Beschwerden ergeben wie Schwindel, Benommenheit, verschwommenes Sehen etc. Obwohl die Betroffenen das Gefühl haben „keine Luft zu bekommen“, wird jetzt zu viel Sauerstoff aufgenommen und zu viel Kohlendioxid abgeführt. Die angespannten Muskeln können schließlich den Körper erzittern lassen. Anhand von Fallbeispiel 1 haben wir gesehen, dass die Aktivierung des Körpers lebensnotwendig sein kann, da es in diesem Fall die Beamten dazu befähigt, anzugreifen, sich zu verteidigen oder schnellstmöglich die Flucht zu ergreifen. Treten dieselben körperlichen Symptome jedoch ohne reale Bedrohung auf, wie in Fallbeispiel 2 bis 4, werden sie als sehr unangenehm und somit als körperliche Beschwerden empfunden.

Tabelle 1: Körperliche Symptome bei Angststörungen

–Atemnot oder Beklemmungsgefühle, beschleunigter Herzschlag–Zittern oder Beben, Muskelverspannung, Mundtrockenheit–Schwitzen, Hitzewallungen oder Kälteschauer–Übelkeit, Durchfall, Harndrang, Schmerzen oder Unwohlsein in der Brust–Benommenheit, Gefühl der Unsicherheit oder Ohnmachtsgefühl–Gefühl der Unwirklichkeit, Missempfindungen, Taubheit–Furcht zu sterben, Furcht, verrückt zu werden oder Angst vor Kontrollverlust

Die Gedankenkomponente der Angst

Die Gedanken sind oftmals Auslöser oder Verstärker der Angst. Mit der Gedankenkomponente sind nicht nur die Worte gemeint, die uns durch den Kopf gehen, sondern auch Bilder, Fantasien, Erwartungen und anderes. Es gibt viele Gedanken, die Angst auslösen können. Zum Beispiel:

„Wenn der mich beißt, infiziere ich mich evtl. mit Aids.“ (Fallbeispiel 1)

„Wenn ich Blut sehe, falle ich in Ohnmacht.“ (Fallbeispiel 2)

„Ich muss all‘ meine Schwächen verbergen.“ (Fallbeispiel 3)

„Das Herzklopfen ist bestimmt ein Anzeichen für eine Herzkrankheit.“ (Fallbeispiel 4)

Tritt eine Angstsituation auf, engen sich die Gedanken oft ein, d. h., alles dreht sich um die Angst. Andere Dinge können dann schlechter wahrgenommen werden, die Konzentration zur Erledigung anderer Tätigkeiten ist nur noch eingeschränkt vorhanden. Oft entstehen die Gedanken zur Angst bereits im Vorfeld (Erwartungsangst). Allein schon beim Denken an eine solche Angstsituation können massive körperliche Angstreaktionen auftreten.

Die Verhaltenskomponente der Angst

Angst spielt sich nicht nur im Körper und in den Gedanken ab, sondern wird für Außenstehende auch durch bestimmte Verhaltensreaktionen beobachtbar. In angstauslösenden Situationen versuchen viele Menschen zu flüchten, um die Situation und die damit einhergehende Angst zu beenden. Manche Personen suchen auch nach Hilfe von außen (sie rufen z. B. einen Arzt an / lassen sich Medikamente verschreiben), rauchen vermehrt oder konsumieren Alkohol und/oder Beruhigungsmittel. Personen, die Angst haben, vermeiden oft Situationen, in denen die Angst auftreten könnte. Im Fallbeispiel 2 versucht der junge Beamte, bei Unfällen eher Spuren zu sichern oder den Verkehr zu regeln, anstatt sich mit verletzten Personen zu konfrontieren. Der Kommissar im Fallbeispiel 3 hat während seines Studiums strikt vermieden, ein Referat vor der Gruppe zu halten. Bei Fallbeispiel 4 hat der Beamte nach seiner Panikattacke auf der Autobahn Probleme in einem Auto zu sitzen, deshalb lässt er sich nur noch von seiner Frau fahren oder er bleibt ganz zu Hause.

Der Angstkreislauf

Die drei Komponenten der Angst treten meist nacheinander auf und verstärken sich gegenseitig in einem Angstkreislauf. Dieser Kreislauf kann sowohl durch äußere als auch durch innere Ereignisse ausgelöst werden. Äußere Auslöser können verletzte Personen (Fallbeispiel 2), eine Gruppe von Menschen, vor denen man sprechen sollte (Fallbeispiel 3) oder eine erforderliche und geplante Fahrt im Auto (Fallbeispiel 4) sein. Innere Auslöser können körperliche Reaktionen sein, die den Angstkreislauf ebenfalls in Gang setzen. Die Wahrnehmung des Herzschlags kann z. B. bedrohlich wirken und gedanklich Angst auslösen.

Abb. 1: Schema eines Angstkreislaufs (Beispiel: Beamter muss vor einer Gruppe von Menschen sprechen und hat Angst davor).

Wann können Ängste als krankhaft bezeichnet werden?

Man spricht von Angststörungen, wenn die Ängste

1.

unangemessen und stärker als notwendig auftreten,

2.

zu häufig auftreten oder zu lange andauern,

3.

mit einem Verlust der Kontrolle über das Auftreten und das Andauern der Ängste verbunden sind,

4.

dazu führen, dass Personen bestimmten Angstsituationen aus dem Wege gehen, sie also vermeiden und sich dadurch Einschränkungen im Leben ergeben,

5.

ein starkes Leiden verursachen.

Angststörungen zählen zu den häufigsten psychischen Krankheiten. Nach den Befunden des Bundes-Gesundheitssurvey litten 14,2 % der Bevölkerung (Alter: 18 bis 65 Jahre) innerhalb eines Jahres unter einer Angststörung. Frauen erkranken dabei in etwa doppelt so häufig wie Männer (Jacobi, Klose & Wittchen, 2004).

Es gibt unterschiedliche Angststörungen

In Fallbeispiel 2 hat der Beamte unangemessen starke Angst vor Blut. In der Fachsprache nennt man dies eine spezifische Phobie. Spezifische Phobien sind z. B. auch starke Ängste vor Spinnen, vor Höhe, vor dem Zahnarzt.

Der Kommissar in Fallbeispiel 3 hat unbegründet viel Angst, wenn er vor anderen Personen reden soll. Dies nennt man eine soziale Phobie. Soziale Phobien sind durch unangemessen starke Ängste in sozialen- und Leistungssituationen gekennzeichnet. Die betreffenden Personen haben Angst von anderen negativ bewertet oder abgelehnt zu werden.

Der Beamte in Fallbeispiel 4 war nach seinem Erlebnis auf der Autobahn nicht mehr in der Lage Auto zu fahren. Wiederkehrende schwere Angstattacken, die sich nicht auf eine spezifische Situation oder besondere Umstände beschränken und einen starken körperlichen Anteil haben nennt man Panikstörung. Die Panikstörung geht oftmals einher mit zusätzlichen situationsspezifischen Ängsten, z. B. das Haus zu verlassen, sich in Verkehrsmitteln, bzw. Kaufhäusern zu bewegen. Dies nennt man Agoraphobie (Platzangst). Diese Erkrankung bezieht sich auf Situationen, in denen eine Flucht kaum oder nur eingeschränkt möglich wäre (z. B. Aufzug fahren, Schlange stehen im Supermarkt, in einem überfüllten Kinosaal sitzen, U-Bahn fahren).

Manche Menschen machen sich über lange Zeit hinweg Sorgen und haben Befürchtungen und Ängste, die vielfältige Lebensaspekte charakterisieren. Solche Ängste nennt man generalisierte Ängste, weil sie unspezifisch sind. Es kann z. B. sein, dass eine solche Person nachts aufwacht und unbegründet Angst vor dem nächsten Tag hat. Oft dreht sich die Angst um Unfälle oder Krankheiten, die die Person selbst bzw. Familienmitglieder betreffen könnten.

Entstehung der Ängste

Der Beamte aus Fallbeispiel 2, der kein Blut sehen kann, kann sich nicht daran erinnern, wann diese Angst das erste Mal aufgetreten ist. Er erinnert sich aber daran, dass er schon als Kind kein Blut sehen konnte. In diesem Fall ist es nicht möglich, die Entstehung der Phobie an ein konkretes Ereignis zu knüpfen. Das Problem wurde erst im Polizeieinzeldienst aktuell, da es dort nicht mehr möglich war, den Anblick von Blut einfach zu vermeiden. Das Verhalten, was dazu führte, dass die Angst aufrechterhalten wurde, war die Vermeidung des Beamten, sich mit Bildern oder Menschen zu konfrontieren, bei denen Blut sichtbar war. In diesem Fall ging die Vermeidung so weit, dass er bei blutigen Szenen im Fernsehen wegschaute oder wenn es vorhersehbar war den Film überhaupt nicht anschaute. Die Unerklärlichkeit der Beschwerden führte zu Hilflosigkeit, zu Selbstzweifel und zum Gefühl der Inkompetenz als Polizeibeamter, was die phobische Symptomatik noch mehr stabilisierte. Dieser „Makel“ war mit seinem eigenen Weltbild nicht zu vereinbaren, nicht „zimperlich“ zu sein, sich schwierigen Situationen zu stellen und sie zu lösen.

Auch Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzte waren mit seinem Erleben überfordert. Manche hatten zunächst Mitleid mit ihm und wollten ihm durch Zureden und Bagatellisieren der Angst helfen, andere wiederum reagierten mit Unverständnis und zweifelten an seiner Dienstfähigkeit, obwohl er sonst keinen Anlass zu irgendwelcher Beanstandung seiner Arbeiten gab.

Dem Kommissar im Fallbeispiel 3 war keine Sprechsituation in der Erinnerung, in der er versagt hat. Bis zum Zeitpunkt, als er Dienstgruppenführer werden sollte, konnte er alle Anforderungen in seinem Alltag ganz gut ohne öffentliche Auftritte bewältigen. Seine Eltern und Lehrer hatten dieses Defizit anscheinend nicht erkannt bzw. nicht versucht zu beheben. Die Anforderungen während seines Studiums waren ebenfalls so, dass er meist Situationen vermeiden konnte, in denen er etwas vortragen musste. Der Kommissar traute sich insgesamt wenig zu, obwohl er sehr gute Noten hatte. Auch seine Partnerin nahm ihm in sozialen Situationen die aktive Auseinandersetzung mit anderen Personen ab. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass er es nie gelernt hatte soziale Situationen, in denen er sprechen sollte ohne Anspannung zu bewältigen. Durch sein starkes Vermeidungsverhalten wurde die Angst bis jetzt aufrechterhalten. Verstärkt wird sie aufgrund der Erwartung eines Misserfolges, wenn er jetzt in sozialen Situationen selbst aktiv werden muss.

In Fallbeispiel 4 war bis zum Zeitpunkt der geschilderten Autofahrt keine Angst vorhanden. An diesem Tag kamen jedoch verschiedene Dinge zusammen, die dazu beigetragen haben können, dass der Angstanfall kam. An diesem Tag war der Beamte in einer ausgesprochenen Stresssituation. Unter Zeitdruck setzte er sich in sein Fahrzeug, aufgrund der Verkehrslage war ein rasches Fortkommen zu Beginn der Fahrt nicht möglich. Im Auto herrschten hohe Temperaturen, die ihn zum Schwitzen brachten. Den körperlichen Wasserverlust konnte er auch nicht durch Trinken ausgleichen. In der Nacht vor dem Angstanfall hatte er schlecht geschlafen und stark geschwitzt. Eine leichte Infektion im Hals hatte Unwohlsein und leichtes Fieber verursacht. Der Anfall trat im Auto auf, er war allein und Hilfe war nicht sofort erreichbar. In dieser Situation interpretierte der Beamte seine körperlichen Symptome als sehr bedrohlich (mein Herz versagt, ich sterbe), was zu einem weiteren Anstieg der körperlichen Aktivierung führte.

Die Angst wird dadurch aufrechterhalten, dass er sich den Anfall nicht erklären kann, und dass er im Nachhinein das Autofahren über längere Zeit hinweg vermeidet und nicht die Erfahrung machen kann, dass kein Anfall mehr auftritt.

Tabelle 2: Häufige Einflussfaktoren bei der Entstehung von Angststörungen (siehe Rief, 1993; In-Albon & Margraf, 2006)

–Genetische Belastung für Angststörungen, Temperamentsunterschiede–Ängstliche Modelle in Kindheit und Jugendalter – Einstellungserwerb „Jedes körperliche Symptom ist Zeichen einer Krankheit“, Miterleben von Krankheiten bei Angehörigen oder Traumata, Ohnmachtserfahrungen–Phase vor der Auslösung der Angststörung oft Überlastung; chronische Konflikte–Auslösesituation: Psychologische Komponenten (z. B. Tod eines Angehörigen, Trennung, Hausbau, Kündigung)–Physiologische Dysregulation (Kaffeekonsum, Z.n. Alkoholintoxikation, Schlafdefizit, Jet lag, Z.n. Narkosen oder schweren Krankheitszuständen, etc.)–Aufrechterhaltung: Verstärkung eines organischen Krankheitsmodells durch das Gesundheitssystem, Diagnosemitteilung im Sinne von „Sie haben nichts“ mit anschließendem Vertrauensbruch und Arztwechsel, Unerklärbarkeit und Unkontrollierbarkeit der Symptome; Angst vor der Angst, Familie übernimmt zahlreiche Aufgaben, Generalisierung der Ängste mit Einschränkung des Lebensradius

Was kann man gegen Angst tun?

Wir haben gesehen, dass die meisten Ängste unter anderem dadurch aufrechterhalten werden, dass die Situationen, in denen sie ausgelöst werden könnten, vermieden werden. Vermeidungsverhalten kann verschiedene Formen annehmen. In der Regel stellt es kein problemlösendes Verhalten dar. Einige Beispiele für Vermeidungsverhalten sind nachstehend zusammengefasst.

Beispiele für Vermeidungsverhalten (Rief et al., 2006, S. 329 ff.)

Situation von vornherein vermeiden,

aus der Situation flüchten,

sich in der Situation gedanklich ablenken (durchzählen etc.),

Augen zumachen,

wegschauen,

auf den Boden schauen,

sich körperlich wegdrehen,

vorher Medikamente einnehmen,

vorher Alkohol trinken,

rauchen,

ein Medikament oder einen Talisman bei sich tragen.

Die Behandlung mit Psychotherapie

Eines der wirksamsten Verfahren zur Behandlung von Angststörungen ist die kognitive Verhaltenstherapie (s. Rief, Exner & Martin, 2006). Darin wird die Patientin oder der Patient systematisch dazu angeleitet, sich den Angstsituationen auszusetzen und erlernt Strategien, mit seinen Ängsten umzugehen. Im Folgenden werden einige Mechanismen der kognitiven Verhaltenstherapie beschrieben.

Die zentrale Idee der Verhaltenstherapie ist, besteht darin, dass eine Person sich den Angstsituationen aussetzen muss, um die Angst zu bewältigen. Die bzw. der Betroffene muss wiederholt die Erfahrung machen, dass sich die Angst nicht fortwährend steigert (eine häufige Befürchtung von Personen mit Angststörungen), sondern von alleine wieder abnimmt, bzw. dass die von ihm befürchtete Katastrophe („ich bekomme einen Herzinfarkt“, „ich werde von allen abgelehnt“) nicht eintritt. Damit kann auch die Erwartungsangst für die Zukunft herabgesetzt werden.

Für die Auseinandersetzung und Bewältigung der Angst ist es daher von entscheidender Bedeutung, dass die Angst zugelassen und auch durchlebt wird. Die körperlichen Symptome und die Gefühle sollten also nicht unterdrückt werden. Wenn die Angst kommt, sollte der Betroffene genau die Wirklichkeit um ihn herum beobachten. Dies kann z. B. dadurch geschehen, dass er die Augen aufmacht und laut oder leise beschreibt, was er um sich herum sieht. Bei der Konfrontation mit der Angstsituation ist das Wichtigste die Erfahrung, dass die Angst nachlässt, wenn man lange genug in der angstbesetzten Situation bleibt. Deshalb darf diese Auseinandersetzung mit der Angst auf keinen Fall zu früh abgebrochen werden. Es muss abgewartet werden, bis die Situation erfolgreich bewältigt wurde.

Die Angstreaktion, die der Beamte im Fallbeispiel 1 erlebt, kann in ähnlichen Situationen evtl. dadurch geringer ausfallen, dass der Beamte weiß, dass er sich auf den Kollegen verlassen kann; wenn er darin geübt ist eine Person zu überwältigen und dazu die körperliche Kondition vorhanden ist (Modelllernen, Training, Übung, mentale Vorbereitung). Reale Ängste haben jedoch eine wichtige Funktion (s. o.) und können und sollten nicht abtrainiert werden.

Für den Beamten aus Fallbeispiel 2, der kein Blut sehen kann, kann eine kognitive Verhaltenstherapie hilfreich sein. Dabei soll er sich den angstbesetzten Situationen (also Situationen, in der er mit Blut konfrontiert ist), so lange aussetzen, bis die Angst nachlässt (Exposition). Dies kann in der Behandlung auf mehrere Arten umgesetzt werden: Der Betroffene kann in den Übungen direkt mit Blut konfrontiert werden, es können aber auch Bilder oder Videos zu Hilfe genommen werden. Darüber hinaus kann es hilfreich sein, wenn der Therapeut mit dem Betroffenen die Ambulanz eines Krankenhauses aufsucht. etc.

Bei Blutphobien kann es bei manchen Personen durch plötzliche Blutdruckveränderungen auch zu Ohnmachtsanfällen kommen. In diesem Fall müssten andere Techniken angewandt werden.

Für die soziale Angst im Fallbeispiel 3 käme ebenfalls eine kognitive Verhaltenstherapie in Frage. Auch in diesem Fall ist das Ziel, dass der Beamte sich den sozialen Situationen stellt. Er soll die Erfahrung machen, dass die Angst nachlässt, wenn er sich den Situationen aussetzt und dass er die Situationen aus eigener Kraft bewältigen kann.