Mol gucke - Harald Hurst - E-Book

Mol gucke E-Book

Harald Hurst

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Beschreibung

Endlich! Der neue Hurst! - Rechtzeitig zu Harald Hursts 70. Geburtstag erscheint das neue Buch mit Geschichten und Gedichten - ein besonderer Genuss für alle Fans, die schon lange auf Nachschub vom beliebtesten badischen Dichter und Mundartautor warten. Sein liebstes »G'schenk« ist die Sprache, denn: »Seit ich schwätze g'lernt hab / in dem Land / kann ich sage / was ich denk.« Und diese vielen klugen Gedanken und ebenso pointierten wie liebevollen Alltagsbeobachtungen macht der Dichter und einfühlsame Beobachter Hurst uns zum Geschenk. Er präsentiert einmal mehr eine gelungene Mischung aus Gedichten, Erzählungen und Dialogen. In der ebenso witzigen wie melancholischen Titelgeschichte erzählt er, wie die Einladung an seine Marianne zum romantischen Abendessen »anlässlich unseres Kennenlern-Tages vor zehn Jahr« zunächst von Missgeschicken überschattet ist und dann in einer unvorhersehbaren Katastrophe endet. Ein anderer Text dreht sich um die Modenschau, die eine Frau vor ihrem Ehegatten präsentiert, wo sie jedoch wenig Beachtung findet. Sie mündet - wie kann es anders sein - in die einzig entscheidende Frage: »Liebsch du mich noch?«

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HARALD HURST

Mol gucke

HARALDHURST

Molgucke

GESCHICHTEN UND GEDICHTE

Harald Hurst, 1945 in Buchen (Odenwald) geboren, ist im proletarischen Milieu der Karlsruher Altstadt aufgewachsen, als Pubertierender zur See gefahren, hat das Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg erlangt und Romanistik und Anglistik für das Lehramt an Gymnasien studiert. Hurst wohnt in Ettlingen und vollbringt seit 1980 das tägliche Wunder der freien Schriftstellerei.

2. Auflage 2015

© 2015 by Silberburg-Verlag GmbH,

Schönbuchstraße 48, D-72074 Tübingen.

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Anette Wenzel, Tübingen,unter Verwendung einer Fotografie vonArt-Tempto/Burkhard Riegels.

Druck: Freiburger Graphische Betriebe, Freiburg im Breisgau.

Printed in Germany.

E-Book im EPUB-Format: ISBN 978-3-8425-1658-8

E-Book im PDF-Format: ISBN 978-3-8425-1659-5

Gedrucktes Buch: ISBN 978-3-8425-1401-0

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Inhaltsverzeichnis

Kompliment für drei, vier Sekunde

Zigeunerzeit

Des isch ai’fach so

Mol gucke

Du denk’sch mir

Spätpubertät

Schön wär’s!

Voll ins Fettnäpfle

Der mit de blöde Gosch

S’Täschle abstelle

Sag bloß!

Der Honig isch g’schleckt

Ein Macho – ich?

Leut gibt’s!

Mein Roter Rolf

BILD dir deine Meinung

Was will ich mehr?

Lounge

Der wilde Süden

Eine flache Hierarchie

Catwalk

Jingle Bells

Der deutsche Sprichwort-Wart

Merk dir dei Red oder Streitkultur

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Kompliment für drei, vier sekunde

Isch er des?

oder isch er des net?

vielleicht ein Doppelgänger?

mein Mann hat noch g’sagt

des muss er sei!

ja guten Tag, Herr Hurscht!

mir hätte Sie jetzt

beinah net erkannt!

Sie sehe

momentan

aber gut aus!

Zigeunerzeit

Wenn die Rapsfelder blühe

wie’s gelber net geht

wenn übers weite Himmelsblau

weiße Wolkeschiffle ziehe

wenn mir der Südwind beim Lüfte

die volle Aschebecher leert

Blätter vom Schreibtisch weht

wenn ein Habicht ohne Flügelschlag

hoch obe seine Runde dreht

dann packt mich ein Fernweh

schwer zu beschreibe

net dass ich ein Ziel hätt

ich kann nur net bleibe

muss raus aus meine vier Wänd

nur Himmel überm Kopf

es isch Zigeunerzeit

dehaim sterbe d’Leut!

früh morgens um zehn

des kann montags sei

geb ich mir spontan frei

pack meine Satteltasche

fahr grußlos am Nachbar vorbei

der im Vorgärtle schafft

Rindenmulch verzettelt

im Erdreich rumwühlt

als käm er net früh genug

selber dort nei

wie kann ein Mensch

zur Zigeunerzeit

so sesshaft sei?

ich schieß in de Wind

feg in Schräglag um d’Eck

winke zwecklos

ich dreh mich net rum

was ich vor mir seh

isch hinner mir schon weg

bin unnerwegs zum Horizont

Asphalt, Rollsplitt, Sand

bis sich die Häuser verliere

im freie Land

Streuobstwiese, Kukuruzfelder

Schrebergärte, Stadtrandwälder

fliege vorbei

nur den Fahrtwind spüre

ich hör mich

wie ich über d’Lenkstang schrei

Zigeunerzeit!

I’m on the road again!

dehaim sterbe d’Leut

immer de Sonn hinnerher

über de Rhein ins Elsass

nur ein Katzesprung

dann durch Frankreich quer

Paris lass ich rechts liege

zu viel Verkehr

dann weiter, immer weiter

Grobrichtung Bordeaux ungefähr

halt irgendwo ans Meer

bis ich mit de Stiefelspitze

im Atlantikwasser steh

wenn die Socke trocke sin

werd ich weiterseh

vielleicht nach links

an der Brandung entlang

nach Saint Jean de Luz

oder rechts zur Bretagne

Saint Malo oder so

dort war ich lang nimme

bei Grünwinkel im Biergarte

wär’s Zeit für e Päusle

ich such mir en schattige Platz

in der Näh vom Ausschank-Häusle

dass mich die Bedienung sieht

lehn mei Torpedo-Dreigang-Rädle

an den Stamm vom Ahornbaum

mir zittere die Wade

des Hemd isch verschwitzt

ich bin jetzt doch e bissl müd

des merkt mer erscht

wenn mer so sitzt

ich bestell Straßburger Wurschtsalat

lass mir e Krügle Pils ausschenke

kalt beschlage mit viel Schaum

ich lehn mich z’rück im Zigeunerglück

wo gäb’s jetzt en schönere Ort?

mit jedem Schluck

wird des Fernweh besser

geht wunderbar vorbei

mer muss a an de Rückweg denke

womöglich noch bei Gegewind

immerhin Grünwinkel

weiter muss es heut net sei.

Des isch ai’fach so

Ein Mann braucht eine Frau

dass er waiß

was er will

en Mann braucht e Frau

die ihn zielwärts treibt

sicher durchs Lebe bugsiert

dass er bei Luftsprüng

die Bodenhaftung net verliert

womöglich drobe bleibt

en Mann braucht e Frau

die ihn net lasst

wie er vorher war

die kai Ruh gibt

bis er zu ihr passt – wunderbar

die ihm nachts ins Ohr flüschtert

was er tagsüber mache sollt

bis er’s halt macht

sogar gern

weil er glaubt

er hätt des g’wollt

en Mann braucht e Frau

die ihn zu was bringt

was er ohne sie net wär

die ihn mit zarter Hand

am Hemdzipfel vorwärts zieht

notfalls an de Krawatt

dass er sich net verzettelt

sich net verspielt

dass er am Lebensweg-Rand

net jeden bunte Schmetterling sieht

des isch ai’fach so

ein Mann braucht eine Frau

dass er waiß

was ihm blüht

ich kenn mich aus

auf dem Gebiet.

Mol gucke

In dem alte 2CV, dem Döschwo, war alles billig g’macht, halt e bissl primitiv. Die Sitze ware wie Campingstühl, mit Federhake am Gestänge eingehängt. Leicht und praktisch alles. Dass der Stoff irgendwann ganz reißt, hätt ich mir denke könne. Des Krache von de Näht beim Druffsitze hat immer bedrohlicher geklunge. Ich bin jedesmol verschrocke, wenn’s ratsch g’macht hat.

Der Sitz g’hört repariert, bevor was passiert, hab ich mir immer g’sagt. In die Autosattlerei. Nächschte Woch. Mol gucke. Aber dann hab ich des widder vergesse, weil nie was passiert isch. An den kurze Schreck beim Druffsitze hab ich mich g’wöhnt. Des Ratsch war mit der Zeit ein normales Nebengeräusch. Wie viele bei dem Auto.

Ich geb zu, so bin ich halt. Ein Gewohnheitsmensch. Des hat auch die Marianne zunehmend an mir g’ärgert. Unner annerem. Ich verschreck lang, bevor ich was mach.

Es war ein strahlend blauer Freitag im Mai. Schon sommerlich warm. Ideales Ausflugswetter bei offenem Rolldach. Ich wollt zu meinem Stammwinzer in d’Pfalz rüberfahre. Sechs Kischte Leergut zurückbringe, volle Flasche mitnemme.

Mit e paar Handgriff hab ich den Beifahrersitz und die Rückbank rausgebaut, um Ladefläche für den Wein zu habe. Spargelzeit. Der Erwin hat einen hervorragenden Grauburgunder. Neuerdings sogar Chardonnay. Die Sitze hab ich im Keller deponiert. Bis Sonntag wäre die ruckzuck widder drin. Ein patentes Fuhrwerk, der Döschwo.

Am Sonntag hab ich meine Marianne zum Esse ins Elsass ei’glade. Anlässlich unseres Kennenlern-Tages vor zehn Jahr. Sie hätt sich aigentlich freue müsse. Aber sie hat nur so rumgedruckst. Ach, sie wüsste net so recht. Der Wetterumschwung. Migräne. Sie sei momentan dauernd so müd. So antriebslos. Ob mer des net verschiebe könnt?

Ich war sauer, Herrgott, muss ich drum bettle, jemand einlade zu dürfe? Manche Männer vergesse solche Privat-Feiertage. Die verschwitze sogar ihren Hochzeitstag! Kriege deshalb Ärger mit ihrer Frau! Bitte, ich hab daran gedacht! Und was war? Wir kriege beinah Krach, weil sie sich net freut! Aber ich hab net lockerg’lasst. Wenn ich mir mol vorg’nomme hab, jemand e Freud zu mache, zieh ich des durch. Sie hat kapituliert. Sie wollt wisse, welches Lokal. Wo? Ob ich denn überhaupt was reserviert hätt. Oder wie üblich net. Dass ich was vorausplane, könnt sie sich garnet vorstelle. Des ware alles so Spitze. Obwohl, in diesem Punkt hat sie Recht g’habt. Ich hab noch nie irgendwo einen Platz reserviere lasse. Schon deshalb, weil ich net waiß, ob ich komm. Außerdem find ich des spannend, wenn mer plötzlich umdenke muss. Besetzt? Was mache mer jetzt? Mol gucke!

Sie will halt alles vorher wisse. Lehrerin, typisch. Aber an dem Sonntag wollt ich ihr beweise, dass ich was organisiere kann. Ich hab ihr eine Seite von mir zaige wolle, die sie nach zehn Jahr nicht vermutet hätt. Ich wollt sie positiv überrasche.

Ihre Falte zwische de Auge hab ich übersehe.

»Überraschung! Eine Fahrt ins Blaue!«, hab ich g’sagt. »Ich hab alles schon geplant. Ganz spontan geht sowas net.« Immer noch ihr skeptischer Blick. »Was? Fahrt ins Blaue? Mit dir? War des mol net so? Also, wann am Sonntag? Net so früh, wenn’s geht.« Sie hätt noch Aufsätz zu korrigiere.

Des hat schon so luschtlos geklunge. Ich hätt aigentlich abwinke solle. Komm, dann lasse mer’s lieber. Stattdesse hab ich g’sagt: »Am Sonntag um fünf hol ich dich ab. Aber guck, dass du fertig bi’sch!« An de Haustür hat sie mir noch hinnerherg’rufe: »Aber bitte net früher!«

Sie war schon die ganze Zeit so komisch. Irgendwie verändert. Reizbar un launisch. Schroff, kratzbürschtig. Ständig hat sie an mir rumkritisiert. Nix hab ich ihr rechtmache könne. Wo sie früher über mich g’lacht hätt, amüsiert, hat sie nur noch d’Auge nach obe verdreht. Als sei ihr alles peinlich. Vielleicht schon die Wechseljahre, hab ich mir g’sagt. Sie kann sich selber net leide. Des geht vorbei. Die Hormone spiele verrückt. Heut, rückblickend, kann ich mir ihre Verhaltensänderung erkläre. Nachher isch mer immer schlauer. Wenn mer früher den Rückblick hätt, blieb einem vieles erspart. Aber dann gäb’s kaum noch G’schichte zu verzähle. Immerhin, mit meiner Hormontheorie bin ich bei der Marianne net so verkehrt g’lege. Es war nur e bissl annerscht.

Gege Mittag bin ich zum Weinkaufe losg’fahre. Die übliche Nebegeräusche. Fehlzündung, Zündkabel feucht. Der Rege heut Nacht. Die Lenksäul knackt. Sollt mer mol gucke lasse. Schaltgestänge quietscht. Des g’hört mit Graphit g’schmiert. Mach ich bei G’legehait. Die Türe klappere. Die obere Fenschterhälfte fallt aus der Halterung, schlagt mir an den rausgelehnte Elleboge. Des ärgert mich jedesmol. Mit dem Arretierknopf müsst ich mir was ei’falle lasse. Alles soweit normal.

Nur ein wichtiges Nebegeräusch hat g’fehlt. Wieso hat der Sitz vorhin net g’ratscht? Ich hab nochmol gebremst. Probeweis hab ich mich extra schwer g’macht und drei, vier Mol in den Stoff plumpse lasse. Besser, der Sitz reißt im Stand als nachher beim Fahre. Nichts. Federt lautlos zurück. Ein Freund isch mir ei’gfalle. Der sagt immer: Vieles repariert sich von selber, wenn mer lang genug wartet. Mit einem soliden Sitzgefühl bin ich in die Pforzheimer Straß ei’geboge. Die leere Flasche habe geklirrt. Schönes Geräusch.

Eine einspurige Baustellestreck. Intervallampel. Motor aus. Den Gegenverkehr abwarte. Ich schnupper den Asphaltrauch. Ich mag den Teergeruch, wenn se d’Straß mache. Der erinnert mich an frühere Urlaubsfahrte nach Südfrankreich, Spanien oder Portugal. Fernweh-Tagtraum. Ich denk mich fort.

Es wummert was. Ich spür dumpfe regelmäßige Druckwelle am Zwerchfell. Im Rückspiegel ein schwarzer Golf, tiefergelegt. So ein junger Kerl hockt drin. Muskelshirt, Schildkapp, verspiegelte Sonnebrill. In dem Rhythmus, der mir ins Gedärm fahrt, haut der uff des Lenkrad. Er hat sich in sei Unnerlipp verbisse. Mit geschlossene Auge schlenkert der sein Kopf rum, als wollt er den abschüttle. Do wär net viel verlore, denk ich. Zum Abi hat der des Auto net kriegt! Herrgott, des rammdösige Techno-Gerumpel aus de elektronische Konservebüchs! Des isch Körperverletzung! Wehre kann mer sich net. Hebt mer sich d’Ohre zu, hört mer des im Bauch.

Luftdruckbremse zische. Hinner dem Golf ein Sattelschlepper. In der Fahrerkabin hoch obe ein Bild von einem Trucker. Der Manni, wenn ich spiegelverkehrt richtig les. Ein Schriftzug am Aluminiumtank. Der fahrt mit Flüssiggas durch d’Gegend. Hab ich net so gern in meiner Näh. Der Manni guckt zwische Bildzeitung und Ampel hin und her. Er beißt in einen Wurschtweck. Bei seiner Figur wär en Apfel besser.

Herrgott, die Ampel müsst doch langsam umschalte! Der Gegenverkehr isch durch. Womöglich die Anlage kaputt? Ich roll zentimeterweis vor. Dass die hinne merke, mir dauert des auch zu lang. Ich spiel sogar kurz mit dem Gedanke, zaghaft loszufahre. Ich geb Gas, aber im Leerlauf. Nur aus Protescht. Alles frei. Schon lang. Wie ein Idiot kommt mer sich vor!

Lieber Gott, bis ein deutscher Autofahrer kaltblütig über eine rote Ampel fahrt, des dauert! Im südlichen Ausland richte sich die Fahrer nach der Verkehrssituation.

Bei uns isch eine Ampel wie ein persönlich anwesender Polizeibeamter mit drei Auge. Guckt er rot, steht er breitbeinig im Weg, die Ärm in die Hüfte gestemmt: Unnersteh dich! Fahr jo net los! Des gibt Punkte in Flensburg! Guckt er gelb, zieht der die Braue hoch, streckt de Zaigefinger in d’Luft: Achtung! Fertigmache! Bei grün geht er zur Seit, schaufelt energisch durch: Jetzt aber los! Dalli, dalli! Hopp, hopp, hopp!

Er hat immer noch rot geguckt. Beamtenwillkür! Vor dem Innespiegel drück ich an’me Stirnpickel rum. Mit ausgeklappte Elleboge quetsch ich des Hubbele von alle Seite. An der verschwitzte Haut rutsche die Finger ab. Ums Verrecke will des net raus! Des hockt schon obe druff! Näher an den Spiegel. Mehr Druck.

Ein wütendes Hupkonzert! Ich schnalz hoch. »Grüner wird’s net! Mann, ey! Gib Gas, du Penner!«, brüllt des Golfbürschle aus’m Seitefenschter. Der duzt mich, der Rotzlöffel! Im Zorn hat er sei Kapp rumgedreht. Verstellrieme vorne. Sieht noch blöder aus. Mit heulendem Motor drückt der vor. Schiebt mich beinah weg. Hetze lass ich mich net. Und wenn dem der Kapperieme platzt! Nötigung!

Der Diesel hämmert, schnaubt. Der Manni fuchtelt in seiner Kabin rum. Er schmeißt den Wurschtweck uff d’Ablag. Mit’m Handballe drückt er sein Signalhorn. Die Posaune von Jericho. Oder Flüssiggas-Alarm. Ich fühl mich wie ein Pfropfe auf einer warme, g’schüttelte Sektflasch. Die Schaltung mit Linksdrall zu mir her. Getriebe kracht. Mit drei Hopser fahr ich los. Der Pickel halb ausgedrückt. Zweiter Gang. Dritter.

Jetzt bin ich am Drücker! Auf normale Straße bin ich hoffnungslos unnerlege. Ich muss bis zur Demütigung defensiv fahre. Mit einer Beschleunigung von 0 auf 100 in 50 Sekunde kann ich selte überhole. Ich brauch kilometerweit freie Straß vor mir. Auf Autobahne häng ich rechts im Windschatte vom Schwerverkehr. Schnauf den Auspuffdreck, sogar von rumänische Laschtwage. Wenn die merke, dass ich vor will, fahre die schneller. Absichtlich. Sie grinse zu mir runner, wenn ich mich hinter ihne widder ei’fädle muss. ›Entenjagen‹ haißt des Fernfahrerspiel gegen die Langeweile, hab ich mir sage lasse. Ab und zu brauch ich so eine im Bau befindliche Straße. Dort bin ich King of the Road.

Holprige Sandstrecke mit Bodewelle und Schlaglöcher sin für den Döschwo das ideale Gelände. Wo annere Fahrer Angscht um ihre Stoßdämpfer habe un langsam fahre müsse, bretter ich sorglos durch. Des Fahrwerkle schluckt alles weg. Genial ausgetüftelt. Vive la France!

Im Rückspiegel seh ich, wie der Golf jedes Schlaglöchle vorsichtig umfahrt. Ich freu mich an dem wachsende Abstand. In elegante und langgezogene Schaukelwelle entschwebe ich dem Kerl. Sein Golf nur noch ein schwarzer Punkt. Im Triumphgefühl schrei ich über die Schulter zurück: »Was isch, Bürschle? Wo bi’sch? Erscht drängle, dann …!« Beim Vorgucke seh ich noch den Kanalstutze im Sand. Au, der guckt aber arg weit raus! Denk ich noch. Will ausweiche, bremse. Zu spät!

Dann isch’s passiert. In Sekunde. Manchmol geht was so schnell, dass mer des nur schwer verzähle kann.

Ein furchtbarer Schlag. Ratsch! Ich sitz am Bode! Händ noch am Lenkrad obe. Tacho vor de Nas. Seh, wie schnell ich fahr. Aber nimme, wohin. Ich will bremse. Stampf nach dem Pedal. Komm net weit genug vor, nur mit de Schuhspitz. Zum Runnerdrücke langt’s net. Weil ich in halber Rückenlage zwische dem Sitzgestänge verkeilt bin. Um die Hüfte rum. Hilflos. Wie in einer Schnappfall. Albtraum. Rechts über mir am Fenschter rase die rotweiße Holzlatte von der Absperrung vorbei. Orientierung! Immer de gleiche Abstand halte! Parallel lenke! Ein Holzbrett kracht quer über die Frontscheib, wirbelt fort. Es kreischt, schmirgelt am Bodenblech. Die eiserne Stäb vom Bauzaun. Umg’fahre. Ein Schatte springt von was Gelbem. Der rechte Außespiegel splittert ab. Haarscharf an einer Planierraup vorbei. Ich lass alles los. Duck mich unner meine Ärm. Auge zu. Ich wart, bis es kracht.

Es kracht net. Der Crash bleibt aus. Der Döschwo steigt vorne hoch. Es knirscht unner de Räder. Wie Kies. Gott sei Dank, ich fahr nimme! Ich roll sogar langsam rückwärts. Durch die Frontscheib seh ich den blaue Himmel. Ahornblätter. Eine alte Frau, die vom zwaite Stock aus’m Fenschter guckt.

Schnelle Stiefelschritte komme näher. Männer schimpfe un fluche. Die Scheibe fülle sich mit verschreckte G’sichter, die zu mir runnerstarre.

»Guck mol, des gibt’s net!! Der hockt uff’m Bode!« Ein südländisch aussehender Arbeiter schreit: »Denk ich, bin verrickt! Seh ich Auto, wo fahrt, gibt nix Mann drin! Dunnerwetternochemole!« Er schmeißt sei Schaufel weg.

Im erschte Moment war ich für die ein durchgeknallter Amokfahrer. Sie wollte mich aus’m Auto zerre. Es dauert, bis die kapiere, was mir passiert isch. Dann Kopfschüttle, Gelächter, entspannte Kommentare. »Sowas hab ich noch nie g’seh! Du, Heinz? Den hat’s glatt durch de Sitz g’haue!« Der Heinz beugt sich zu mir runner, zupft an’me Stoff-Fetze. »Franzoseg’lump!«, schimpft er. »Horch, du Komiker, kauf dir mol ein g’scheites Auto!« Ich heb d’Ärm. »Könnt mir jemand raushelfe? Ich bin ei’klemmt.«

Drauße ruft ein junger Kerl: »Halt! Lasst ihn grad noch en Moment drin sitze! Heb mol jemand die Tür uff!« Er geht in die Hocke, knipst mich mit seinem Handy. »Saugut!«, sagt er. Die Bilder wollt er ans Fernsehe schicke. SWR-Landesschau, Regio-News.

Sie habe endlich das seitliche Sitzgestänge von meine Hüfte weggeboge. Ein muskulöser Brocke Mann im karierte Flanellhemd lüpft mich unner de Ärm freiweg hoch, stellt mich drauße ab. Er muss nochmol zupacke, weil ich mit meine waiche Knie beinah wegg’sackt wär. »Geht’s? Bi’sch verletzt?«, will er wisse. Ich nick un schüttel de Kopf. »Ja, was jetzt? Brauch’sch en Arzt?« Ich hör, wie einer sagt: »Ach woher! Der isch nur nebe de Kapp! Der hat’n Schock!«

Ich guck zu, wie die zu viert den Döschwo von’me Rollsplitthaufe runnerschiebe. Genau vor einem Baum. »Leck mich am Arsch, ha’sch du ein Glück g’habt!«, sagt der im Flanellhemd. Ich lass mich bei meinem stumme Fahrzeug-Check von niemand drausbringe. Bin glasklar im Kopf. Als könnt ich mir in einem Film selber zugucke.

Knick in der Stoßstang. Juckt mich net. Den rechte Kotflügel bieg ich soweit raus, dass er nimme am Rad schleift. Bissl verbeult. Dünnes Blech. Von inne drücke. Der Dalle ploppt raus wie aus einer Bierbüchs. Ich leg mich rücklings in de Sand. Verliert er Öl? Des Schmirgle vorhin am Bodeblech. Kein Tropfe! Ölwanne dicht! Blinkerkontroll. Der Heinz guckt. Vorne, hinne. Links geht, rechts net. Egal, links isch wichtiger. Zündschlüssel drehe, Gaspedal mit de Hand drücke. Motor springt an, ruhiger Leerlauf. Ich wär fahrbereit. Wenn ich irgendwo sitze könnt.

Ich krieg mit, wie der Handyknipser telefoniert. Von der Auskunft will er sich mit einer Abschleppfirma verbinde lasse. Mit drei Schritt steh ich nebe ihm, drück die Verbindung weg. »Lass! Brauch ich net! Des geht schon irgendwie!« Der Heinz lacht. »Ha, wie denn, du Komiker? Kann’sch du im Stehe fahre oder was?« Ich hab nur g’sagt: »Abwarte! Ich hab eine Idee!«

Sie drehe Zigarette. Es wird g’mault, sie müsste irgendwann weiterschaffe. Sie gucke mir zu, wie ich Flasche in de Kofferraum kipp. Wie ich eine leere Weinkischt umgedreht zwische des Rohrgestänge vom Fahrersitz stell. Passt ziemlich genau. Sie verkantet sich, sitzt auf halber Höhe fescht. Millimetersach. Der Flanellbär klopft mir auf d’Schulter. »Geh mol weg!« Mit vier Faustschläg an de Ecke hämmert er die Kischt voll runner. Er rüttelt zur Probe. »Sitzt bündig!« Ich bedank mich bei ihm. »Nur provisorisch. Bis zur Werkstatt. Drei Kilometer.« In einer grüne Ampelphase winke se mich raus. »Gute Fahrt, Komiker!« Der Heinz. Hinner mir bringe se die Absperrung widder in Ordnung.

Ich sitz e bissl niedriger. Aber ich seh genug. Aufrecht kann ich gut über den Heizungsschlitz gucke. Im Kreisverkehr dreh ich mehrere Runde zum Überlege. Werkstatt oder Winzer? Mit einem Ruck fahr ich ohne Blinker rechts raus. Der seitliche Halt war beim Originalsitz besser. Aber sonscht? Ich fahr Richtung Landau. In die Pfalz. Warum denn net? Es sieht doch niemand, auf was ich sitz!

Am Montag geht’s in die Autosattlerei, nemm ich mir vor. Ein Dauerzustand isch des net. Obwohl, ich sitz besser als vorher. Im November war der TÜV fällig. Der Mechaniker im ›Autohaus mit Herz‹ hat mir wenig Hoffnung g’macht. Mit’m Schraubezieher hat er mühelos Löcher ins Bodeblech g’stoße. Roscht! Sogar an tragende Stelle. »Sehe Se des? Wie Keks!«, hat er jedesmol g’sagt. Ich hab ihn gebete, nimme weiter zu steche. »Ich glaub’s! Höre Se uff!«, hab ich g’sagt. Soll ich für die paar Monat für en Haufe Geld noch en Sitz kaufe? Für de Schrottplatz? Lieber nachher mehr Wein.

Autobahn. Ich sitz uff meiner Weinkischt, Oberkörper kerzegrad, die Ärm weit zum Lenkrad vorg’streckt. Wie in’m spritzige Sportwage mit Direktlenkung. Gut für meine Bandscheibe. So hätt ich aigentlich immer sitze müsse. Jetzt bin ich dezu gezwunge.

Kandel Mitte raus. Durch die enge Durchgangsstraß mit parkende Autos. Im Vorbeifahre mein Spiegelbild in Schaufenschter. Ich schiel rüber. Guck, wie des aussieht. Irgendwie komm ich mir vor wie ein fröhlicher Zwerg. Ein dickes Kisse muss her. Net dass mich die Polizei bei einer Routinekontroll rauswinkt. Nur weil die wisse wolle, wie des unne weitergeht. Ob die Pedale behindertengerecht verlängert sind.

Sanftwelliges Hügelland. Weinberge bis zum Horizont, wo die Pfälzer Berge in die Vogese übergehe. Im blaue Dunscht La Ligne Bleue des Vosges. Ein herrliches Fleckle Erd.

Spargeläcker mit polnische Erntehelfer. Erdbeerfelder für Selbstpflücker. Saftig grüne Wiese mit Spalierobst. Äpfel, mit dene ich weniger a’fange kann. Aber g’sund. Birne für Williams, Mirabelle für en feine Edelbrand. Mein Lieblingsschnaps. Esskaschtanie zum so Esse oder als Füllung in der Martinsgans. Zwetschgebäum für Quetschekuche zur Grumbeersupp. Oder Kürbis in alle Forme, Größe und Farbe. Kürbissupp. Die macht die Marianne besonders gut. Es wachse sogar Mandel- und Feigebäum. Zur Mandelblüte wehe rosa Blätter über d’Straß. Manche fahre extra deshalb her. Ich denk an Mandelblättle in Butter bei Forelle Müllerin Art. Truite aux Amandes im Elsass. Feige mag ich net. Die bleibe in de Zähn hänge. Dann die Körnle. Aber auch die komme als Aromazusatz in de Senf.

In der Pfalz gedeiht alles üppig, wird sofort verschafft und zum Genuss veredelt. Nix verkommt. Alles landet über de Gaume im Bauch. In dem Schlaraffeland schmeckt ein Schwein schon nach Leberwurscht oder Saumage, wenn es sich noch vergnügt im Pfützedreck suhlt. Für die Marianne wär die Vorstellung schrecklich. Sie ernährt sich zunehmend vegetarisch. Aus Prinzip. Moralisch-ethisch begründet. Alles, was Auge hat – und so weiter. Nur bei Fisch macht sie noch ab und zu eine Ausnahme. Vielleicht weil mer einem Fisch, solang der noch lebt, net in d’Auge gucke kann. Außer als Taucher. Aber der sieht a immer nur aines. Jedenfalls muss ich ihr beim Serviere von einer Dorade immer vorher de Kopf wegschneide. Dann geht’s.

Ich fahr langsam. Hab de Arm raushänge. Kaum Verkehr. Zeit, die Landschaft zu genieße. Weintrinkerlaune. Jetzt ein eiskaltes Viertel beim Erwin! Riesling. Ich seh des Glas vor mir. Es funkelt goldgelb in der Sonn, mit Tröpfle beschlage. Es isch nimme weit. So stell ich mir die Standardversion vom Paradies vor. Ein irdischer Garten Eden, sozusage, für die ai’fache Wünsch. Ein Ort, wo die Vorfreud nie länger dauert, weil mer alles bald kriegt.

Ich war schon vorbei. Ein idyllisches Verweilplätzle am Straßerand. Zu spät g’seh. Ich brems, fahr zurück ins kniehohe Gras. Vor einem Weinberg ein mächtiger Nussbaum. Drunner ein grober Holztisch mit halbierte Baumstämm als Bänk. Zum Veschpere, wenn mer was hat. Ein verwittertes Kruzifix aus rotem Sandstein, vom Wind verschliffe. Der Jesus ohne G’sicht. Eine alte Traubepress mit rote Geranie, Schindeldach drüber. Auf einer lasierte Holztafel steht in Brandschrift ›Weindorf Niederkrottbach‹. Ein betonierter Feldweg zweigt ab. Ich hab eine Abkürzung entdeckt. Für e Zigarettelänge setz ich mich in de Baumschatte. Es wär schad, an so’m Plätzle vorbeizufahre, wenn mer Zeit hat.

Panoramablick weit übers Land. ›Die deutsche Toskana‹ steht in’me Heftle der Tourismuswerbung der Südpfalz. Warum sagt mer zur Toskana denn net ›Die italienische Pfalz‹? Aber des wäre vielleicht zu schmeichelhaft. Also für die Italiener.

Gut, die habe ihr Renaissance. Einmalige Kunstdenkmäler. Lucca, Arezzo, Siena, Pisa, vor allem Florenz. Vor Jahren war ich mit ›Hirsch‹-Busreisen dort. Alles abgeklappert. Schon beeindruckend, die Kultur. Ganz besonders, wenn mer alles erklärt kriegt. Sonscht däd mer womöglich an manche Sache grad vorbeidappe. An dem weltberühmte David von Michelangelo zum Beispiel. Der wär natürlich in der Pfalz net denkbar. Nur als verschmitzte Brunnenfigur. In der hängende Hand ein Duppeglas, aus dem weinsymbolisch Wasser plätschert. Wie sich des für en Brunne g’hört. Der Wasserumlauf muss natürlich aussehe. Des Problem löst ein kunstsinniger Sprengler.

Der Elwedritsche-Brunne in Neustadt fallt mir ei. Dort spritze skurrile, knubbelige Fabelwese die Passante nass. In unregelmäßige Abständ. Kultur? Ich waiß net. Jedenfalls im Moment eine nasse Überraschung. Oder in Edenkoben, dieses Lederstrumpf-Memorial. Ein Bronze-Getümmel mit lebensechte Figure, Trapper, Indianer, alles, was die kanadische Wildnis hergibt. Und natürlich widder mit Wassertransport. Es gibt in der Pfalz kaum trockene Plastik im öffentlichen Raum. Im Sommer ein beliebter Treffpunkt für ältere Harley-Fahrer. Was sollt eine Kunsthistorikerin zu sowas sage? Mer sieht doch alles! Dass ein ausgewanderter Edenkobener das Vorbild zu dem weltberühmte Roman von James Fenimore Cooper war? Die Biker höre ihr net zu. Die fahre weiter mit ihre Biberschwänz am Jeanskrage. Die sin selber Lederstrumpf übers Wocheend. Born to be wild.

Von der Vergangenheitskultur her kann die Pfalz mit der Toskana net mithalte. Studienrätliche Bildungsreisen lohne sich net. Es gibt keine Etruskergräber. Nur solche von Leut, die niemand mehr kennt. Dafür gibt es sowas wie eine Gegenwartskultur. Mit der muss mer zurechtkomme. Des sieht oft net arg kulturell aus. Alles passiert jetzt. Oder halt nachher. Wenn des rum isch, war’s net so wichtig.

Obwohl, es finde sich auch hier steinerne Zeugen der Vergangenheit. Jede Menge bewirtschaftete Burgruine. Frühes Mittelalter. Mer sieht nur nimme viel von dene Gemäuer. Oft bloß noch e paar Buckelquader zwische Sesselliftstation und Aussichtsterrasse vom Lokal. Aber von dort ein herrlicher Rundblick über die Rheinebene. Über die Wipfel vom Pfälzerwald, der im Herbscht in alle Farbe leuchtet.