Momentaufnahmen - Christel Bethke - E-Book

Momentaufnahmen E-Book

Christel Bethke

4,9

Beschreibung

Christel Bethkes Texte erzählen von Mit- und Nebenmenschen und kleinen Alltagsbeobachtungen. Ob kurze Sentenz, freirhythmische Verse oder kleine Prosastücke, alles trägt hier die Merkmale spontaner Aufzeichnung und spiegelt die Summe der Erfahrungen eines Lebens wider. »Meine Vergangenheit ist mein Kapital für Gegenwart und Zukunft.« Christel Bethke

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Inhalt

Das Fest der Feste

Jetzt, wo ich alle begraben habe

Tische in meinem Leben

Warum diese Qual

Heute hatte ich mich verschätzt

Lieber einen gebrannten Kräutermix

Wie viel Küche braucht der Mensch?

Überredet leerte das Kind

An ihren Abfällen

Bei mir wurde immer gekocht

Doppelt hält besser

Jeder people ist ein Rezept Gottes

Alle Tage ein Fest

Wo sind die sieben

Stichtag

Entweder oder

Ist der vollgestopfte Mund

Gedanken beim Kochen

In meinem Kopf ist ein Fluss

Wer sich für’n Pfannkuchen ausgibt

Millionär sein

Ich liebe diese winterlichen Gemüse

Ganz vorsichtig

Kurz vor dem 86

Zelle 89 1942

Die alte Elise erzählte, dass

Kein Verlass auf die Köchin

Ich spiele Mutter Theresa

Für Ruth 2016

Der deutsche Verbraucher

Sprüche

Traum 5/6 August 2016

Mein Sohn zum Rückenwind

Auch das noch!

Heute Dr. Schiwago auf dem Radweg

Manchmal muss über den Tellerrand

Ich verlasse das Museum

Und immer noch der Versuch

Endlich verstanden

Könnte nicht jeder Mensch

Vom Duft des Lebens

Schmetterlinge 3 Tage nach dem „Gespräch“

24. Juni 2016

Ohne Erziehung

Ich bin. Aber ich habe mich nicht

Froh zu sein bedarf es wenig

Einer wird gewinnen, hieß eine Sendung

Sich negativ erbauen

Termin bei der Bank. Ich!

Nichts wüsste ich

Sammelte nicht nur Beeren

Ich bekomme Post

Momentaufnahmen

Komme vom Haareschneiden nach Hause

Geheimnisvoller Ort

Wir ziehen um

Was ist passiert?

Lebensqualität

Am besten gefällt mir Besuch

Ich habe Lesestoff gesammelt

Vielleicht wird „Rosinenpicker“

Denkanstoß

Der siebente Sinn hieß eine gute Sendung

Das Brot von gestern

Was für ein schöner Abgang

Misstrauische Alte

Aus heutiger Sicht

Immer noch Hochzeitstag

Auch mutig

Wir alle werden irr geboren

NWZ 16. Januar 2017

2. August 2017

Nachhall

Augustapfel, oder auch Klarapfel genannt

ZITIERT

Wenn ich zu Hanna kam,

Diese Zwangsverurteilung durch Unwetter

Mein Schneider lobt den Stoff der alten Hose

Traum-Fabrik

„Im 20. Jahrhundert“

In einem Traum in dritter Nacht

Mein Kurzzeitgedächtnis

Es gab mal eine Zeit

Vom sparsamen Kochen

25. Juni 2017

Es regnet den ganzen Tag

Heute durchbrach etwas eine Verzagtheit

Für meine Großmutter

Methode Coue

Steht das Rezept auch in

Karo einfach

Fremderzeugnis

Der einzige Mensch, der heute

Für meinen Bruder Hans

„Zu verschenken“, steht auf dem Karton

Greif in die Saiten

24. Dezember 2016

Danke für gestern

Und manchmal musste es Maggi sein

Es muss doch Liebe gewesen sein

Wir Armen

Jahreswechsel 16/17

4. Januar 2017

Mir kommt ein Fetzen

Seitenverkehrt

Wieder mal geschafft

Matt oder glänzend

Fifty-fifty

Immer wieder, jedes Jahr

Nur für kurze Zeit

Altersdepression

Der Bundestag erhob sich

Wie weit wir schon voneinander entfernt sind

Meine Vergangenheit

16. Januar 2017

Außen vor

Hitlers Mädchen

Runter vom Rad und gesprochen

Ist das Gott?

4. Januar 2018

Theater

Das Fest der Feste

ist nicht die Hochzeit,

nicht die Taufe,

sind nicht die Geburtstage,

auch die Beerdigungen nicht.

Ein Fest muss geboren werden,

die Lust darauf entsteht im Kopf,

überschwemmt dich mit Ideen.

Und wunderbar,

wenn alles passt

und die „Musik hier spielt“,

wie der von der Weltumkreisung

Zurückkehrende

zu seiner Frau sagte,

als der Zug in Hude hielt,

zwei Stationen vor meinem Ankunftsbahnhof.

Selten, dann aber als Geschenk

in deiner Erinnerung, taucht es auf,

das Fest deines Lebens.

Du, ich habe es ausgerichtet.

Wie das geht.

Erzähle ich noch.

Jetzt, wo ich alle begraben habe

und begreife,

ohne sie wär ich nicht hier, „wo ich stehe“,

nähere ich mich ihnen an

und sitze – wie Miss Sophie – allein

am Tisch und bitte um Vergebung,

wenn mal etwas angebrannt war,

wenn das Servierte nicht ihrem Geschmack

entsprach, und wünsche Prost Mahlzeit.

Heute gibt es nur Milchreis, Hauptgericht

und Nachtisch in einem.

Muss auch mal sein.

„Gibt es keine Vögel mehr?“

„Du hörst nur schwer.“

Tische in meinem Leben

Omas in Gerdauen, Wachstuch, wenig drauf, obgleich mehr möglich gewesen wäre.

Holztisch nach der Flucht, dem schon etwas zum Feueranmachen abging. Darüber hing die Decke, umfunktioniert von einem blau karierten Bettbezug.

Tisch zum Ausziehen, Kirschholz, wegen möglicher Taufen, Verlobungen, Geburtstage, Konfirmationen, Feste allgemeiner Art.

„Und die Mutter blickte stumm auf dem ganzen Tisch herum.“

Tisch in der Fabrik, schäbig geworden durch immer gleiche Benutzung mit Scheren, aber „es schmeckte“, wenn man seinen Blechtopf mittags öffnete und das Mitgebrachte verzehrte.

Mein letzter Tisch gefällt mir am besten: er ist quadratisch, schweres, helles Holz, weil ich die Kante zum Auflegen der Unterarme brauche, bei dieser und jener Tätigkeit. „Nimm die Arme vom Tisch!“ gilt hier nicht mehr. Auch das ist sehr gut so.

Warum diese Qual

frage ich mich

bei Isoldes Liebestod,

der aus dem Radio übertragen wird.

Das nimmt und nimmt kein Ende.

Mensch Isolde, sage ich laut,

lass deinen Tristan,

lass die Liebe, die in den Tod führt,

suche die, die durch den Magen geht!

Hast du ihm schon mal was gekocht?

Es gab Zeiten,

da saß ich auch wie sie unglücklich

bis zum Gehtnichtmehr,

nicht essen könnend, nicht trinken,

lieber tot als lebendig sein,

in der Küche auf dem Stuhl am Fenster.

Blöd, schön blöd.

Raff dich, stell erst einmal Kartoffeln auf,

schenk dir einen ein

und wenn keiner da ist, der „mit dir trinkt,

der mit dir singt“,

einen zweiten und du wirst sehen,

wenn du die kalte Butter

in Scheibchen auf die warme Kartoffel legst,

etwas mit Salz bestreust,

wie die Lebensgeister steigen.

Der kleine Balkon in Florenz, im winzigen Innenhof, wo sich das Drama abgespielt haben soll,

vergiss ihn.

Ruhm und Applaus

dem Mut zum Nichts.

Heute hatte ich mich verschätzt

Es war einer dieser neun Sommertage,

die der März angeblich haben soll,

volle Sonne, aber kühl.

Da wurden es mehr als dreißig Kilometer,

und erst als sich der Gegenwind

auf der Rücktour in Rückenwind verkehrte,

ging es wie geschmiert.

Ich würde gerne, so gerne, die letzten

Lebenskilometerchen noch mal rückwärts

fahren dürfen.

Lieber einen gebrannten Kräutermix

als einen Mix aus Pillen.

„Und jetzt gehen wir einen scharfen Cognac trinken“, sagt meine demente, kluge Frau Agathe, einen Tag vor ihrem Tod im Heim.

Versagt, ich, wie so oft. Warum brachte ich keinen mit?

Weil man das nicht macht, einem diese Welt Verlassenden etwas zum Trinken mitzubringen. Dabei war das ein Lebenselixier, denn sie konnte damit umgehen!

Den Gewünschten goss ich dann auf ihr Grab.

Immer noch eine Stelle, wo ich haltmache, wenn ich von Tour kommend nach Hause fahre.

Prost, Frau Agathe.

Wie viel Küche braucht der Mensch?

Einer von den großen Russen hat die Geschichte geschrieben, wie viel Erde braucht der Mensch.

Ein Mensch wird in Versuchung geführt, darf sich bis zum Sonnenuntergang das Land aussuchen, das er als Geschenk erhalten soll.

Aber wie das eben so mit uns ist, er rennt und rennt, meint, noch dieses Stückchen Wald, diese Wiese noch und weil die Sonne noch ein Stück über dem Horizont steht, gewagt, und noch etwas ins Auge gefasst, das aber war zu viel.

Als die Sonne untergeht, liegt er mit ausgebreiteten Armen auf der Erde und hat seinen Geist aufgegeben. Der Stress war ihm nicht bekommen.

Ich bin auch so gerannt und der Atem ging mir schon aus, aber irgendein Lebenspilot stellte die Richtung ein.

Überredet leerte das Kind

den gelben Teller

mit dem grünen Rand,

bis das Huhn auf dem Boden

sichtbar wurde.

„Noch einen Löffel für den Papa,

einen für die Mutti, einen für …“

Eine sanftere Form von

der Teller muss leer!

An ihren Abfällen

erkenne ich,

was ihnen fehlt.

Bei mir wurde immer gekocht

Der einzige Halt

in haltloser Zeit

zeitigte auch Erfolg(-serlebnis).

Doppelt hält besser

Wollen wir was zusammen unternehmen, paar Tage irgendwohin?

Je älter ich werde, desto schwerer kann ich die Frage beantworten, denn mir fehlt, wenn ich nicht hier sein kann, das hiesige Leben während dieser Zeit.

So wie ich immer noch nach siebzig Jahren den gewaltsamen Bruch durch die Flucht nicht akzeptieren kann.

Unser Leben lief dort, es war so ausgerichtet und auf einmal bin ich ausgesetzt: Wind, Wetter, Eis und Schnee, Fremde.

Weiß Gott, ich habe das noch immer nicht verarbeitet und mir ist es nicht recht begreiflich, dass es welche gibt, die immer unterwegs sein müssen.

Ich habe dort nie gekocht, nicht die Zutaten für einen Eintopf aus dem Garten geholt, der uns gehörte, die Kartoffeln, die mit aufgeplatzter Schale weiß „wie Alabaster“ durchschimmerten, in eine Schüssel getan.