Mona - Alexander Gorkow - E-Book

Mona E-Book

Alexander Gorkow

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Beschreibung

Eine Frau wie ein Attentat Blum, Spezialist für Kühlkettensysteme in einer Münchner Firma, fliegt für einen Auftrag nach Bukarest. Dort trifft er nicht nur auf den Besitzer einer Schlachthofkette und dessen sechs Handlanger, sondern auch auf: Mona. Eine Begegnung, die ein Blaufeuer der Liebe entfacht, in deren Folge es bedauerlicherweise zu ein paar Leichen kommt. Kein Preis ist zu hoch für die wahre Liebe. Innere Stabilität ist dem Naturwissenschaftler Blum wichtig. Problemen geht er nach Möglichkeit aus dem Weg, mit Frauen übt er sich lieber in der Kunst der schönen Gymnastik als des schönen Gesprächs. Wie eine Naturgewalt bricht da Mona in sein Leben ein. Dabei ist er aus beruflichen Gründen in Bukarest: Er soll sicherstellen, dass der kreuz und quer durch Rumänien führende Transport von Schlachttieren kühlungstechnisch einwandfrei vonstatten geht. Dass Blum bei diesem Auftrag nicht nur die rumänische Gesamtstromlage falsch einkalkuliert, sondern auch das Geschäftsgebaren der Rumänen nicht richtig einzuschätzen weiß, führt zu, nennen wir es: Komplikationen. Es gibt ein böses Erwachen in einer Kühlkammer, einen Ausflug nach Paris, ein Festdiner mit Freunden und Gästen aus der Fremde – und auf einmal sechs Leichen. Ein Mörder aus Liebe, begibt sich Blum mit Mona auf die Flucht. Seine Beichte, die er aus seinem Versteck an uns schickt, ist ein anrührendes, irrwitzig komisches Dokument der entzückendsten Liebesverblendung. So hinreißend falsch hat lange niemand geliebt. Alexander Gorkow variiert in Mona die großen Themen: Technik versus Natur, Romantik versus Abgeklärtheit. Sein Homo faber, der zum Verfechter der romantischen Liebe wird und sogar die Formel dafür gefunden zu haben meint, ist kein Ritter von trauriger Gestalt, wohl aber der rührendste, lustigste und zu Herzen gehendste Verliebte der jüngsten Zeit.

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Seitenzahl: 252

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Alexander Gorkow

Mona

Roman

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Alexander Gorkow

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

MottoI. KapitelII. KapitelIII. KapitelIV. KapitelV. KapitelVI. KapitelVII. KapitelVIII. KapitelIX. Kapitel
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Die Gestaltung der Tiefkühllogistik erfordert neben den Basisangaben zu Produktions-Chargen und Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) besonders den aktuellen Informationsstand zur geographischen Position und zur Temperatur der Ware auch im rollenden Transport. Die lückenlose und kontrollierbare Einhaltung der Kühlkette ist aus Sicht der Qualitätskontrolle eine immer dringendere Forderung.

www.rewe.de

Picture yourself in a boat on a river

With tangerine trees and marmalade skies

Somebody calls you, you answer quite slowly,

A girl with kaleidoscope eyes.

The Beatles

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I.

Mein Name ist Blum. Wo ich bin, wissen Sie nicht, und wenn es nach mir geht, werden Sie es nicht erfahren. Ich werde nicht den Kopf aus der Deckung heben, und dafür gibt es nach allem, was passiert ist, gute Gründe.

Am Ende dieser Geschichte werden Sie wissen, wie alles kommen kann. Sie werden wissen, zu was der Mensch in der Lage ist, wie man sagt. Sie werden wissen, wieso ich nicht mehr in München wohne. Es ist aber, da mache ich mir nichts vor, vor allem und jederzeit eine Geschichte über die Liebe. Von hier aus, aus meinem steinigen, sonnigen Versteck heraus, werde ich Ihnen die ganze Geschichte erzählen. Eine Sammlung kleiner Gedanken, verschnürt in mittelschwere Schachteln, möglich, dass Sie es so sehen werden. Aber ich möchte mich nicht aufhalten mit detailversessenen Beschreibungen von Ländern und Leuten, so etwas hält heute kein Mensch mehr aus. Machen Sie draus, was Sie wollen.

Sie werden mich am Ende, falls Sie es nicht jetzt schon tun, für einen Idioten halten, aber damit kann ich leben. Gerne nehme ich die Schuld für alles auf mich, streng genommen bleibt mir auch nichts anderes übrig. Die Menschen tragen schwer an der Schuld. Das ist der Grund, weshalb sie sich irrational verhalten und nach Erlösung suchen. Unserem Verhalten liegt die schlichte Formel von Schuld und Sühne zugrunde, eine Formel, auf die wir gebettet sind vom ersten Tag an, wir sind also traurige Geister, fortwährend bibbernd, auch wenn ich selbst immer gut damit gefahren bin, mir den Schuh nicht anzuziehen.

Keiner meiner Freunde, so sie nicht eh im Gefängnis sitzen, würde behaupten, dass ich, Blum, ein Meister großer Töne sei. Belassen wir es also dabei. Wie Sie vielleicht aus der Zeitung erfahren haben oder aus dem Internet, bin ich Naturwissenschaftler. Dass ich Naturwissenschaftler bin, war das Einzige, was die Zeitungen korrekt berichtet haben. Ich bin nicht flamboyant veranlagt, anders als womöglich Santiago Möll oder Victor Vitrac, meine Freunde. Ich kenne Naturwissenschaftler, die schildern Ihnen eine chemische Reaktion oder einen Baum oder einen Hund mit allem Pipapo. Da haben Sie hinterher keinen Baum oder Hund, sondern sonst was. Oft leuchtet das gewaltig, aber hinterher sind Sie trotzdem nicht klüger. Vergessen Sie das in meinem Fall. Von mir bekommen Sie die Formel.

Da ich mich verliebt habe, werde ich Ihnen eine wahre Geschichte über die Liebe erzählen und Ihnen also die Formel der Liebe liefern. Wenn Sie eine andere Wahrheit kennen, so will ich diese nicht anzweifeln. Ich muss Ihnen aber versichern, dass ich meine Geschichte für die Wahrheit über die Liebe halte. Ich erzähle Ihnen alles, was ich weiß. Insgesamt ist das viel, finde ich, im Detail aber möglicherweise wenig, zumindest wenn es um das Wesen der Liebe geht, wie man sagt. Was weiß man von der Liebe? Bin ich schlauer geworden nach allem?

Was sein kann: dass ich nach dieser Geschichte nicht klüger bin als vorher, Sie aber schon. So geht es mitunter zu in den Naturwissenschaften. Der eine forscht und forscht und fährt dann unglücklich ins Grab. Und dann kommt wer her, nimmt sich die Formel des Verblichenen, fügt die letzte Unbekannte in die Gleichung, und alles ergibt mit einem Mal einen so genannten Sinn.

 

Also noch einmal: Mein Name ist Blum. Ich wohnte bis vor kurzem auf der Kaiserstraße in München und arbeitete in einer Firma für Kühlkettensysteme. Damit ist es jetzt vorbei. Natürlich denken Sie: Kühlkettensysteme, ist es das, wovon wir uns Glanz versprechen an öden Tagen? Denken Sie, was Sie wollen. Im Zweifelsfall interessiert es keinen Menschen, ob Sie in einer Firma für Kühlkettensysteme arbeiten oder als Impresario in einem fahrenden Zirkus. Die Menschen haben andere Sorgen, sie interessieren sich für andere Dinge. Gehen Sie, wenn Sie wollen, weiter vom Gegenteil aus, aber wundern Sie sich eines Tages besser nicht. Die Wahrheit hinter dem Türspion ist oft eine trübe Sache.

Für die Firma installierte ich Kühlkettensysteme zwischen Anbietern und Verbrauchern, meist für größere Häuser, zum Beispiel für Hotels, Kantinen, Krankenhäuser und Krematorien. Wenn Sie durch die Welt reisen und Kühlkettensysteme installieren, reduziert sich mit den Jahren die Wahrnehmung. Grundsätzlich ist es zu warm auf der Welt, und dass es immer wärmer wird, macht es nicht besser. Die Sachen verkommen. Früher trank man in Paris Weißwein zum Fisch, weil der Fisch auf dem Weg vom Atlantik bis nach Paris schlecht geworden war. Die Pariser aber lassen sich seit jeher nichts vorschreiben. Wenn sie Fisch essen wollen, essen sie Fisch. Sie wollten ihn also essen, obwohl er schlecht geworden war. Die Enzyme des Weißweins töteten die Keime, in den meisten Fällen zumindest, und wenn nicht, starben die Leute an einer Fischvergiftung. Noch heute trinken die meisten Menschen Weißwein zum Fisch, obwohl er meistens frisch ist. Es ist nicht mehr nötig, mit den Enzymen des Weißweins die Keime zu töten. Trotzdem trinken die Leute zum Fisch weißen Wein, angeblich aus geschmacklichen Gründen. Ich finde das rührend, aber es tut hier im Grunde genommen nichts zur Sache.

Falls Sie nicht wissen, was Kühlketten sind, erzähle ich es Ihnen. Es geht darum, dass die Dinge frisch bleiben auf ihrem Weg von hier nach dort. Immer mehr Hotels oder auch Krankenhäuser kühlen im »geschlossenen System«, das heißt: Ein Hotel gehört zu einer Hotelkette, und, um es simpel zu sagen, wenn etwas Frisches im Hotel A der Hotelkette bis 22 Uhr nicht verspeist wurde, wird es zu Hotel F derselben Hotelkette gebracht, wo ab 22 Uhr noch ein Bankett mit Buffet stattfindet. Überhaupt gehen die meisten Sachen, die nicht gleich weggehen, mit Sicherheit im zweiten Schritt auf ein Buffet. Dort werden sie neu garniert, bestaunt, und dann gehen sie vom Buffet weg und werden verspeist. Dies ist, neben der Personaleinsparung, der Grund für die Existenz der vielen Buffets, leider auch zunehmend in so genannten exklusiven Häusern.

Unter hygienischen Gesichtspunkten ist ein Buffet nicht zu empfehlen. Gehen mehr als ein Dutzend Menschen redend an einem Buffet vorbei, ist der nicht sichtbare, aber faktisch umhergesprühte Speichelregen von erstaunlicher Dichte, jedenfalls entkommt man ihm nicht. Ganz zu schweigen von den Lebensmitteln, die von Serviergabeln und Servierlöffeln wieder in die Schüsseln und auf die Teller gleiten, und zwar nachdem sie mit Hilfe von Fingern auf die Gabeln und Löffel gelegt worden sind. Berührt der Mensch Lebensmittel, sieht die Sache gleich mal verheerend aus. Derart Verkeimtes, zurückgefallen auf den Teller der Unschuld, ist unter dem Gesichtspunkt der Hygiene und Gesundheit eine grelle Katastrophe. Immer wieder sterben Menschen, nachdem sie an Buffets gegessen haben. Sicher ist Ihnen nicht entgangen, dass wirklich gute Häuser ihren Gästen keine Buffets zumuten.

Meine Firma und ich waren da fein raus, denn wir sorgten für geschlossene Kühlketten. Für Keime, die sich auf Buffets vermehrten und satt fraßen, um sich dann mit einem Lied auf den Lippen in das Immunsystem des Kunden zu begeben, übernahmen wir keine Haftung mehr. Wir waren dafür verantwortlich, dass die Lebensmittel, bevor sie auf dem Buffet landeten, ununterbrochen gekühlt wurden. Das erfordert, vor allem bei großen Häusern, eine gewisse Logistik. Diese Logistik lieferte meine Firma, die Software wie die Aggregate.

Vor einigen Jahren hatte mich mein Chef zum Abteilungsleiter Ausland ernannt, obwohl ich außer Englisch keine Fremdsprache beherrsche, Englisch jedoch gut. Einerseits musste ich seitdem oft verreisen, eine schöne Sache, werden Sie denken. Andererseits war ich Herr über die Konferenzen in der wachsenden Abteilung Ausland. Die Globalisierung hatte auch unsere Firma in der Mangel, man weiß, mit wie viel Elan die vielen jungen Menschen im näheren und fernen Osten die Kühltechnikbranche zu erobern suchen. Lächelnd schwärmen die Leute in Ländern, die sich durch die Osterweiterung an uns schmiegen, in die Massenverkehrsmittel, gleiten in Fabriken und Büros und verrichten dort ihren Dienst für einen Euro fünfzig – jedenfalls haben sich Ungarn wie Rumänen vorsichtshalber den Chinesen angepasst und nicht uns, das ist logisch und aus ihrer Perspektive auch vernünftig.

Auftragslage wie politische Entwicklungen hatte ich in meiner Abteilung zu diskutieren, verteilt auf tägliche Konferenzen, in denen die eingehenden und abgehenden Bestellungen besprochen sowie die Wirtschaftsnachrichten diskutiert wurden, sodass sich Mikro (Firma) täglich vor dem Hintergrund von Makro (Welt) spiegelte. Die Abteilung Ausland hatte täglich fünf Konferenzen abzuhalten und auf diese Weise eine dichte Kommunikationsstruktur sicherzustellen, so war es der Wille meines Chefs. Nach der Morgenlage um neun Uhr gab es eine Mittagslage um zwölf Uhr, eine Nachmittagslage um zwei, eine Spätnachmittagslage um halb fünf und eine finale Abendlage um halb sieben, in der die Ergebnisse des Tages (und der vier anderen Lagen) zusammengefasst wurden und ein Freiwilliger eine Vorschau auf den nächsten Tag sowie die fünf Lagen des nächsten Tages gab. Meine Bemühungen, die Anzahl der Konferenzen von fünf auf drei oder zwei zu reduzieren, stießen in der Firma auf erheblichen Widerstand. Die fünf Mitarbeiter meiner Abteilung, hier führend Frau Berlinguer-Strumpen und Herr Schlindwein, befürchteten, ausgebremst und eingeengt zu werden. Sie wurden beim Chef vorstellig und regten an, meine Konferenzreduzierungsoffensive zu unterbinden, was der Chef umgehend tat. Globalisierung und Neue Medien, so erläuterte er mir in einem Vieraugengespräch, machten die engmaschige Kommunikation erforderlich.

Bis heute habe ich meine fünf Leute in Verdacht, vor allem Frau Berlinguer-Strumpen und Herrn Schlindwein, täglich fünf Konferenzen nötiger gehabt zu haben als meine Firma: Es wurde dort fast ausschließlich Privates verhandelt, nie wurde nur eine so genannte Idee geäußert. Immer wieder wurden Privates und Politisches miteinander vermengt, ohne dass dies nur einen Hauch von Bedeutung für die Auftragslage der Abteilung Ausland gehabt hätte. Zum Beispiel referierte Frau Berlinguer-Strumpen einmal über die politische Situation in Sierra Leone und darüber, dass sie einen Kindersoldaten adoptiert habe. Sie stellte alles in einen Zusammenhang zur Globalisierung und spiegelte die Kindersoldatenadoption (Mikro) vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftslage (Makro). Am Ende brach ihr wegen der Länge ihrer Ausführungen die Stimme weg. Ich denke, dass Frau Berlinguer-Strumpen inhaltlich nicht falsch lag, fand Ort und Zeitpunkt der Diskussion aber unpassend. Letztlich hielt und halte ich die Kollegin Frau Berlinguer-Strumpen für eine dumme Nuss und den Herrn Schlindwein für ihren Tambourmajor. Nun aber hatte der Chef klargestellt, dass es bei den fünf Konferenzen zu bleiben hatte. Also sollte es mir recht sein.

Unser Verkaufsschlager war der SnowThron M9, ein Validiertes Kühlketten-Palettenversandsystem. Damit lassen sich die Sachen bis zu einer Woche lang umhertransportieren, bei einer steten Temperatur von 2 bis 8 Grad. Fleisch, Fisch, Gemüse, Obst, Leichen, was Sie wollen. Dazu hatten wir das Kühlpaket SnowPackage im Angebot, das war der Mini in der SnowThron-Familie. Kühlketten müssen ihren Zweck erfüllen, wie Sie sich denken können. In Österreich hat man neulich herausgefunden, dass jedes zweite Stück Fleisch im Supermarkt besser nicht unter die Österreicher gebracht worden wäre. Man kann den Österreichern nicht vorwerfen, dass sie ihre Supermarkt-Kühltheken zu warm halten. Man kann den Österreichern aber vorwerfen, dass ihre Kühlketten nicht funktionieren. Mehr Verkeimtes als in Österreich finden Sie auf der ganzen Welt nicht, nicht einmal in Indien oder in Südamerika. Ich bin mir sicher, dass das Land Österreich bis in die mittleren Sedimentschichten komplett verkeimt ist. Kurz nach dem Schlachthof geht es in Österreich meist schon damit los, dass das Fleisch irgendwo in der Warteschleife hängt. Da ist es zu warm. Wenn ein Stück Fleisch einmal auf zehn Grad oder mehr erwärmt wurde, können Sie es nachher gefrieren, wie Sie wollen, keine Chance, die Keime sind drin.

Mit der Tötung von Keimen lässt sich immer mehr Geld verdienen. Vor allem, wenn Sie gute Angebote unterbreiten. Viele Länder haben in dieser Angelegenheit noch an sich zu arbeiten. Wenn man hier den deutschen Wissensvorsprung nutzt und dann noch preiswerte Angebote unterbreitet, hat man in Ländern, von denen wir noch hören werden, den Fuß in der Tür. Im Grunde genommen fehlt meinem Beruf aber ein tieferer Sinn. Kühlketten sind lediglich nützlich: den Kunden, der jeweiligen Volksgesundheit, der Firma, die gut damit verdient, und mir, der ich in dieser Firma gut damit verdient habe.

Die ganze Kühlkettenangelegenheit hatte für mich einfach auf der Hand gelegen. Es gab, als ich das Internat vor über 20 Jahren beendet hatte, keine Zweifel, dass ich mich zu einem Studium der eher technischen Dinge entschließen würde, denn die technischen Dinge fielen mir immer schon leicht. Hingegen dachte ich, dass man über die musischen Dinge zwar viel reden kann, aber niemand hat es je verstanden, mir die Bedeutung musischer Dinge einleuchtend zu erklären, weshalb ich es schon früh für sinnlos gehalten hatte, mich auf diesem Feld zu versuchen und etwa Literatur, Musik oder Kunst zu studieren. Das schadet nicht, da die Finger davonzulassen, zumindest beruflich.

Ich habe mich ohne jeden Zweifel mit meinen technischen Dingen oft gelangweilt. Es kann vorkommen, dass man die Umstände und Formeln von allem irgendwann kennt und sich in und mit allem einrichtet. Ich möchte behaupten, dass Langeweile und Desinteresse mich an vielen Tagen nahezu überwältigten. Es gab dann nichts mehr auf der großen Welt, was mich nicht langweilte, geschweige denn etwas, das mich interessierte. Es desinteressierte und langweilte mich alles, politische Aktionen und Nachrichten, Gut- wie Schlechtgemeintes, Tricks und Tipps, Gespräche mit Freunden und Gästen, Intrigen, Wochenmärkte, Zeitschriften mit Servicecharakter wie jene ohne, die Natur am Meer, in den Bergen, vor und in den Wäldern, Probleme anderer Länder, die bald auch unsere Probleme werden würden (Migration), Bekleidungsgeschäfte, Reisen, you name it – höchstens, dass mich das eine oder andere ein wenig unterhielt. Es war über die Jahre in Mode gekommen, sich zu langweilen. Schriftsteller beklagten in wöchentlichen Bulletins den müden Verlauf ihrer Tage und ließen sich dazu mit geschürzten Lippen fotografieren.

Nun langweilte mich aber auch die Mode, sich zu langweilen. Weder zelebrierte ich diese Langeweile, noch litt ich an ihr. Sie war schon früh ein Zustand gewesen, so wie das Wohnen oder Atmen oder Konferieren eher Zustände sind als Tätigkeiten, und wie gesagt, nur an manchen Tagen dachte ich, die Langeweile habe ein Ausmaß erreicht, das mich noch überwältigen könnte. Sah ich Alternativen? Andere haben mit einem Mal Kinder. Alles hat dann einen Sinn. Ich habe nichts gegen Kinder. Aber was sollte ich mit Kindern?

Viele Menschen, die eine Alternative zur manifesten Langeweile des Lebens herbeisehnen, begehen verhängnisvolle Fehler. Wir alle sind Geister, aber mit einer Tagesordnung. Revoltieren wir gegen die Tagesordnung, folgt die Strafe auf dem Fuße, und wir werden verweht und klappern vor Angst mit winzigen Geisterzähnen. In den Sphären verschwinden wir, und von weit her hört man unsere Klagen. So sehe ich das.

 

Sie werden in dieser Geschichte hier und da auch die Sicht von Santiago Möll und Victor Vitrac kennenlernen. Sie erfahren in einem gewissen Rahmen die Sicht von Mona und Piranda, wobei aber vor allem Mona fast nicht gesprochen hat, Sie werden es ja erleben. Sie werden kurz in einigen Städten und Ländern Station machen, aber stellen Sie sich das mit den Städten bitte nicht zu anschaulich vor. Länder, Landschaften und Leute hinterlassen bei mir nicht viel, ich kann es nicht ändern. Rätselhaft ist mir das Verhalten von Menschen, die in ein anderes Land fahren, um es sich anzusehen und die Landessitten zu studieren. Hatte ich Urlaub, bin ich natürlich in München geblieben, wo man schön an den See fahren kann und die Luft rein ist und wo man seine Ruhe hat und diese Sachen.

Das Reisen und das Ausland werden maßlos überschätzt. Ist man nur ein einziges Mal fort, fragt man sich schon, warum. Wenn Sie im Rotterdamer Hafen einen frittierten Fisch – einen Kibbeling – essen, kann es sein, dass Sie sich fragen, was die ganze Reise nach Rotterdam eigentlich sollte. Ich habe mich in Las Vegas gut amüsiert, aber dazu ist es ja auch da, das halte ich für einen fairen Vertrag und insgesamt für plausibler, als sich in irgendeinem absurden Land Einheimische anzusehen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Ich fragte mich das praktisch auf jeder Reise und kann Ihnen nicht vermitteln, wie ähnlich zum Beispiel die Böden der Flughäfen in Los Angeles, Bukarest oder Rotterdam riechen. Offenbar benutzen die Flughafenverwaltungen dasselbe Reinigungsmittel. Nur der Flughafen in Las Vegas ist geruchsneutral beziehungsweise er riecht minimal nach Filmentwicklungsflüssigkeit, ein erster Hinweis der Stadtverwaltung auf totale Künstlichkeit, konserviert vom glühenden Wüstensand Nevadas. Sonst ist alles gleich auf der Welt. Im Palasthotel in Bukarest können Sie die Air Condition ebenso wenig abstellen wie im Hilton in Rotterdam oder im Crescent in Beverly Hills. Die Air Condition pfeift die ganze Nacht ihr Lied, hier wie dort. Wenn Sie in Bukarest um zwei Uhr früh in der Rezeption anrufen, um zu fragen, wie sich die Air Condition abstellen lässt, kommt eine Stunde später ein Page in Ihr Zimmer und weiß nicht ein noch aus. Im Hilton in Rotterdam klopft ein Techniker an die Tür, stellt sich mit bloßen Füßen auf den Stuhl mit der frischen Wäsche, die Sie sich für den nächsten Tag bereitgelegt haben, schraubt oben das Gitter aus der Wand, stochert in der Mechanik herum und bekommt einen Schlag. Dann stößt der Holländer einen kehligen Laut aus, fällt vom Stuhl und muss in die Klinik. Im Crescent in Los Angeles erscheint wie die Sonne ein besonders freundlicher junger Mann und fragt Sie, ob Sie guter Stimmung und in Ordnung seien. Dann gibt er Ihnen eine Auswahl von Wolldecken, die Sie auch brauchen, denn während es in Los Angeles in einer Novembernacht draußen über 20 Grad Celsius hat, hatte es in meinem Zimmer im Crescent nur sieben Grad, das ist die Wahrheit, ich habe es selbst erlebt. Am nächsten Tag habe ich mir downtown einen Trailer gekauft und ihn an meinen Buick angeschlossen. Wenn Sie mit einem Wohnwagen in Kalifornien, Nevada und Arizona unterwegs sind, bestimmen Sie selbst, wie warm oder kalt es wird.

Vorgestern, bevor ich das alles hier nochmal Korrektur gelesen habe, bin ich in Beverly Hills am Crescent Drive zu Fuß in den Santa Monica Boulevard abgebogen und den Boulevard geradeaus hinuntergelaufen bis zum Pazifik und dem Santa Monica Pier. Ich dachte: Nun werde ich über die Holzplanken laufen, die Angler ignorieren, in den Pazifik springen und zwischen den Angelhaken hindurch weit hinausschwimmen, auf die hohe blaue See. In der Ferne sah man die Pazifikvögel auf dem Wasser wanken wie zufriedenes Leergut. Oh, glückliche Pazifikvögel. Und immer die Sonne. Am Pier sprang ich nicht in den Pazifik, aber ich habe im Pazifik ein Bad genommen, mich am Strand mit meinem Hemd abgetrocknet, und dann bin ich wieder hoch, in meinen Buick. Ich habe in meinem Wagen unter Palmen ein Schläfchen gehalten und geträumt. Ich habe geträumt, dass mich ein Segelschiff mitnimmt bis hoch nach Vancouver, ich sah mich am Ende dieses Traums alleine in der Sonne vor den Totempfählen des wunderschönen Stanley Parks der kanadischen Pazifikmetropole.

Ich habe Ihnen eine Geschichte über die Liebe in Aussicht gestellt. Also werde ich von Mona erzählen.

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II.

Eines Morgens hing ich eigentlich keinen weiteren Gedanken nach. Die Nacht zuvor hatte ich mit Corinna geschlafen.

Sie hatte, was sie zwei-, dreimal im Monat machte, am frühen Morgen geläutet. Sie war betrunken und heiter aus einem Club gefallen, hatte sich ins Taxi gesetzt, stand vor meiner Tür, schaukelte ihre hohen Schuhe an den Riemen in der Hand wie ein Jäger zwei erlegte Hasen, duschte und kam ins Bett. Derlei Auftritte, vor allem von Corinna, hatten sich so weit eingefügt in mein Leben. Ich möchte sagen, dass ich mit den Menschen meiner damaligen Gegenwart alles prima durch die Tage und die Nächte brachte, wie es ja auch Sinn macht. Ab einem gewissen Alter sollte man eine Vorstellung vom Alltag haben, nahm ich an. In meinem Bett hatte Corinna, obschon es früher Morgen war, zunächst in einem Buch gelesen, das aufgeschlagen neben meiner Seite des Bettes gelegen hatte, im jüngst veröffentlichten Tagebuch eines Atomphysikers, dem die Konsequenzen seiner eigenen Forschungsergebnisse über den Kopf gewachsen waren. Eine Komödie, im Halbschlaf hatte ich Corinna kichern hören, auch mochte ich den Duft meiner Körperlotion, die sie benutzt hatte, und ich erinnere mich daran, dass mich in jener Nacht ihre schlauen Akademikerinnenhände erregten, mit denen sie pikiert das Buch hielt und darin blätterte. Ich blinzelte ein- oder zweimal auf die neunmalklugen, bibliotheksblassen Hände und dachte mir dieses und jenes. Ich schlief wieder ein, und erst, als es draußen hell geworden war, schliefen wir miteinander und danach noch einmal. Um acht Uhr früh duschte Corinna erneut und fuhr in die Agentur, in der sie einen Beruf ausübte, den ich bis heute nicht verstanden habe. Es ging im weitesten Sinne darum, Projekte aus der Baubranche mit einem Image zu versehen. Ich frage mich, wozu Baustellen oder geplante Baustellen ein Image brauchen, aber es gibt heutzutage viele Berufe, die man nicht versteht. Santiago Möll war der Einzige, dem ich meine moderaten erotischen Abenteuer beichtete, wenn man das Wort beichten hier verwenden will. Und stets fragte er, welchen Beruf diese oder jene Frau hätte, und nie verstanden wir, was man in diesem oder jenem Beruf eigentlich machte den ganzen Tag. Dasselbe galt für die Studentinnen, die wir kennenlernten und die heutzutage Fächer studieren wie Agrardesign. Ich bin jetzt Anfang vierzig und denke, dass ich schon ein alter Mann sein muss, wenn mir so vieles schleierhaft ist.

Ich habe das alles nie begriffen, was nichts daran änderte, dass Corinna schon während ihres Architekturstudiums zunächst als Aushilfe, schließlich als fest angestellte Fachkraft in ihrer Agentur arbeitete, Baustellen mit einem Image versah und dabei blendend verdiente. Immer wieder hinterließ Corinna Spuren in der Wohnung, Haarreifen, Bänder, Schmuck, zwei Uhren (eine davon fanden wir nicht wieder, die Putzfrau aber, wie ich annehme, ich musste die Uhr ersetzen), natürlich vor allem ihre langen rostfarbenen Haare auf und unter dem Kissen, die ich entfernte, hingegen kam der Schmuck in die Schublade mit dem anderen Schmuck von Corinna und nicht nur ihrem Schmuck natürlich. So geht es zu auf der Welt, auch wenn es manch einem nicht passt. Keiner konnte mir vorwerfen, dass ich um Corinna und die anderen Frauen Aufhebens gemacht hätte.

Corinna hatte, wie meist, einen Zettel zurückgelassen mit lieben Grüßen und einer Erinnerung an die vergangene Nacht, einer kleinen lustigen Zeichnung. Im Schlafzimmer hatte ich mich auf die Bettkante gesetzt, natürlich nackt, es gibt kaum schönere Sachen, als sich nackt in der eigenen Wohnung zu bewegen. Dabei hatte ich in einer roten Blechtasse meinen sofort löslichen Kaffee, ich schaute auf Corinnas Zettel, dann in den Innenhof, und zwischen einem nur spaltbreit offen stehenden Vorhangpaar sah ich die beiden Nachbarn vom Haus gegenüber, die mich beobachteten, mich, nackt mit meinem Kaffee und meinem Zettel. Durch schmale Luken schauen die Menschen in Deutschland bei Wind und Wetter auf ihre Nachbarn. Immer wieder denke ich auf meinen Reisen, dass dies der Unterschied ist zwischen den Menschen zum Beispiel in Amerika, vor allem in Kalifornien, und denen in Deutschland: dass wir uns nicht betrachten, sondern dass wir uns beobachten. Mag also sein, dass mich die Sitten anderer Länder langweilen, aber dass die unsrigen mich oft abstoßen, will ich nicht verhehlen. Ich hatte zuerst gedacht: Sollen sie doch gucken, und so hatte ich mich mit dem Kaffee und dem Zettel auf das Bett gestreckt, hatte den Zettel auf meinen Bauch gelegt, Kaffee getrunken, immer wieder in den Regen gesehen, der die graubeigen Mauern schraffierte wie Kratzspuren einen Film. Oder so ähnlich. Weiter schaute das dreiste Doppel von gegenüber durch den Spalt des Vorhangs auf einen nackten Mann mit Zettel und Kaffee und sagte nichts. Zwei Skulpturen beobachteten ein Gegenüber, eine Attraktion, mich. Als das Ehepaar tatsächlich nicht mehr aufhörte, zu schauen, war mir die Sache nicht mehr egal, sondern auch wieder nicht recht.

Überdruss, wie soll man ihn definieren, von Zorn befeuerte Langeweile? Ich denke, damit kommt man hin.

Obwohl dieses Ehepaar in meiner Nachbarschaft wohnte, hatte ich es nie auf der Straße gesehen. Die Leute sind unglaublich, dachte ich und schloss den Vorhang. Ich ging in die Küche, machte mir einen weiteren Instantkaffee und legte eine CD ins Fach. Zur Musik junger Engländer sang dort ein Hund, als säße er mit im Studio. In Wahrheit hatte er, wie ich später las, bei den Aufnahmen vor der Studiotür gesessen, die Musiker waren nicht in der Lage gewesen, ihn zum Teufel zu jagen, hatten ihn einfach ignoriert und schließlich sogar für eine willkommene Bereicherung gehalten, ja, so waren die Zeiten, aber die sind lange her. Die Musik ist unsere eigentliche Sprache, ich vermute, dass wir Worte ernsthaft nur für die technischen Notwendigkeiten des Lebens brauchen, zumindest fehlen mir immer dann die Worte, wenn es nicht um die technischen Notwendigkeiten geht. Sondern um die anderen Dinge, die ich mir aber sowieso mit der Zeit vom Leib gehalten hatte. (Damit war es nun bald vorübergehend vorbei, aber Sie werden ja sehen.)

Fehlten mir mal nicht die Worte, so wählte ich in der Steinzeit meines Daseins, als ich mich noch auf heikle, weil bindende Situationen mit Menschen (Frauen natürlich) eingelassen hatte, die falschen Worte. Auch kamen die Worte dieser anderen Menschen in jenen heiklen Situationen bei mir falsch an. Zumindest sagten mir Frauen immer wieder, so, wie ich sie gerade verstanden hätte, hätten sie dieses oder jenes nicht gemeint, sondern genau andersherum. Ursprünglich schöne, da mehr oder weniger heitere und erotische Beziehungen hatten zu einem solchen Zeitpunkt, eh man sich versah, einen problematischen Punkt erreicht: den des Austauschs gemeinsamer Vorstellungen vom Leben und so weiter. Ist man an diesen Punkt gelangt, ist schon alles vorbei, an den Punkt darf man gar nicht erst kommen. Zumindest hatte ich das damals gedacht. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher.

Ich kann mich nicht an einen Tag erinnern, an dem ich mir diesbezüglich dieses oder jenes vorgenommen hatte, ich hatte einfach seit Jahren schon keine Gespräche mit Frauen geführt, die etwas klarstellen oder bereinigen mussten. Gehen die Jahre ins Land, trifft man übrigens mehr und mehr Frauen, die ebenfalls kein Interesse daran haben, sich zu binden und einen Mann in ein Netz aus Angst, Verdächtigungen und Niedertracht zu wickeln. Diese Frauen wollen in erster Linie mit einem Mann schlafen, den sie nicht ständig anrufen müssen, sondern bei dem sie halt klingeln, wenn sie mögen, so wie Corinna mit ihrem rostfarbenen Haar, ihren vielen Haargummis und den Zetteln mit den vergnüglichen erotischen Zeichnungen, die sie zurückließ, Leuchtzeichen ihrer Heiterkeit, munter blinkende Bojen in grauer See.

Das Leben kann jedenfalls schön sein und unkompliziert, und wenn meines auch meistens sehr, sehr langweilig war, so sollte mir an den Tagen, an denen mich diese Langeweile nicht restlos überwältigte, alles recht sein.

Das meiste war nicht mein Problem. Die meisten Menschen draußen auf den Straßen leiden darunter, dass sie mal wieder von ihren Lieben falsch verstanden worden sind. Die Liebe. War sie nicht, wie ich damals dachte, lediglich ein Platzkonzert der Hormone? Nicht weniger, immerhin. Und vielleicht sogar dergestalt ein wenig mehr, als dass in die Lust aufs Vögeln noch eine ins leicht Metaphysische gehende Verherrlichung des Gegenübers hereinspielte, die von den großen Romanen, Opern und Kunstwerken des 18. und 19. Jahrhunderts und ihren bis in die Jetztzeit wirkenden Epigonen herrührte. Was ist nicht alles gemalt und geschrieben worden über Augen, Münder und die Seelen der Frauen, von Dichtern, die sich nach ein paar Tagen oder Jahren schon gar nicht mehr so sicher waren und die Angebetete und Vollgedichtete schnöde betrogen mit einer neuen Angebeteten, deren Augen und Mund und Seele ihnen mit einem Mal auch nicht übel vorkamen. Diese Halunken. Ich hatte das alles rechtzeitig aufgegeben. Die Menschen sollen aufeinander aufpassen, statt ständig mit Wörtern aufeinander einzuhämmern. Das ist wichtig.

Es ist jedenfalls gut, dachte ich damals, alleine zu sein. Mitunter lag auf meinem Balkon in München ein Kätzchen zu meinen Füßen. Ich wusste nicht, zu wem es gehörte, von woher es kam und wohin es schlich. So war das Leben. Und so war es gut.

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III.

Ich saß eines Tages an besonders schwierigen Berechnungen. Dabei ging es um die Schlachthöfe einer Schlachthofkette in Rumänien. Dass eine Firma aus München einen Auftrag aus Rumänien bekommt, stellte die Globalisierung lustig auf den Kopf. Die Firma, für die ich arbeitete, bot, wie ich eingangs andeutete, im hart umkämpften Kühlkettensegment kostengünstige Gesamtpaketlösungen an. Da konnten in diesem Fall osteuropäische Konkurrenten nicht mithalten, und so wollte die rumänische Schlachthofkette, so vermuteten wir damals, nicht nein sagen. Ob das nun etwas mit der Globalisierung zu tun hatte oder nicht, darüber hatte ich mir übrigens keine Gedanken gemacht. Ich weiß es immer noch nicht, nur die Leute meinten, es habe schon eine Menge damit zu tun. Andererseits habe ich immer davor gewarnt, die Globalisierung zu unterschätzen oder sich von ihr in die Flucht schlagen zu lassen und zu resignieren. Wenn man so etwas nicht mit Elan angeht, sieht man am Ende so dumm aus wie die Menschen auf der Straße, die nicht mehr rumkommen in der Welt, ihrem Abschied entgegendämmern und schon dreimal auf Holz klopfen, wenn sie am nächsten Morgen wieder aufwachen. Ich reiste also nach Bukarest, um das Kühlketten-Gesamtlösungspaket anzubahnen. Man kann die Dinge nicht vorhersehen, zumindest nicht die Dinge, die uns eigentlich angehen. Alles nimmt am Ende ohne uns seinen Lauf, so wie es vorher ohne uns seinen Lauf genommen hat. Wir maßen uns an, Einfluss zu nehmen. Aber wir sind Geisterwesen, flüchtig und leicht und in Gefahr. Macht einer eine Tür auf, wehen wir hinaus wie Pergamentpapier. Lassen Sie sich von einem Naturwissenschaftler sagen: Die Natur ist ein Regelwerk, aber im Großen und Ganzen ohne Sinn und Verstand. Die Religion mag es nicht glauben, darauf basiert ihr Geschäft mit den trostsuchenden Milliarden. In Bukarest lernte ich Mona kennen, aber der Reihe nach.