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Mona ist unberechenbar und rätselhaft für Jan. Obwohl sie es versprochen hat, ist sie nicht zur Theaterprobe erschienen. "The person you have called is temporarily not available ..." Jan kann den Spruch auf Monas Mailbox nicht mehr hören! Tausendmal hat er versucht, sie zu erreichen. Doch Mona ist wie vom Erdboden verschluckt. Mona, in die er sich gerade erst verliebt hat ... young thriller - Spannung pur!
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Seitenzahl: 249
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Oliver Pautsch, 1965 in Hilden geboren, lernte in Solingen laufen, ging in Hilden zur Schule und studierte in Düsseldorf. Er wohnte und arbeitete lange Jahre in Köln. Heute lebt der Autor mit seiner Frau und drei Kindern wieder in Hilden.
Wenn er behauptet, die Region besser als den Inhalt seiner Schreibtischschublade zu kennen, kann man ihm ruhig Glauben schenken. Der Autor hat in der Region viele Jahre lang Klaviere und Flügel transportiert. Das tut er noch heute manchmal – falls er nicht gerade Romane oder Drehbücher schreibt.
Der Autor freut sich über einen Besuch seiner Heimseite: www.pautsch.net
Für Sandra und Luis, Karin und Gerd
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
ERSTE HEXE:
Wann kommen wir drei uns wieder entgegen, im Blitz und Donner, oder im Regen?
»Macbeth« – 1. Akt, 1. Szene
August. Dritte Theaterprobe. Die Tür flog auf und Jan rannte aus der Dunkelheit des Jugendzentrums. Draußen war es gleißend hell. Hinter Jan stürzte ein Verfolger aus der Tür. Er blutete aus der Lippe. Jan stolperte über einen Blumenkübel, strauchelte auf die Straße und bemerkte den Linienbus nicht. Er hatte keine Ahnung, wie knapp der 782er ihn verfehlte, seine Augen hatten sich noch nicht an die Helligkeit gewöhnt.
Jan rannte durch brütende Hitze auf das Schulgelände und rüttelte an allen Türen vor dem Haupteingang des Gebäudes. Sie waren verschlossen, niemand zu sehen, nur Mülleimer stanken in der Hitze. Jan schrie auf. Er wollte zu Herder, seinem Biologielehrer!
Denk nach, Jannick! Schulferien, hörte er Mona. So fröhlich wie früher. Monas Stimme in seinem Kopf ließ Jan die Richtung wechseln und auf dem Weg in das Internatsgelände hinter der Schule noch einen Zahn zulegen. Obwohl er wegen der Hitze fast ohnmächtig wurde. Die Zunge klebte in seinem Mund wie ein zu großer Kaugummi. Seine rechte Hand schmerzte. Auf den Fingerknöcheln brannten Abschürfungen. Wahrscheinlich war das Gelenk verstaucht. Jan hatte noch nie zuvor einen Menschen geschlagen, doch vor wenigen Minuten hatte er Macbeth niedergestreckt! Den Krieger einfach umgehauen. Mit einem Schlag!
Jan setzte über den kleinen Zaun zum Sportplatz und trampelte zwischen den Bänken am Spielfeldrand hindurch. Über Taschen von Footballern aus der Oberstufe, die mitten in ihrem Ferientraining waren. Die Spieler riefen Jan Flüche nach. Einer versuchte Jan auf dem Rasen zu tackeln. Doch vergeblich – der Kleine war viel zu schnell und schlug Haken wie ein Hase. Der Trainer brüllte die verschwitzten Footballer an, sich ein Beispiel an dem Jungen zu nehmen und endlich ihre faulen Hintern zu bewegen. Da war Jan bereits im Wald hinter dem Spielfeld verschwunden. An einem Montag, kurz nach fünf Uhr. Ende August des heißesten Sommers seit Jahren. Niemand in der Stadt bewegte sich schneller, als er musste. Die meisten bewegten sich überhaupt nicht mehr. Oder waren in den Ferien.
Jan rannte, als ginge es um sein Leben. Das entsprach nicht den Tatsachen. Nicht ganz. Doch seit einiger Zeit konnte er an nichts und niemand mehr denken als an Mona. Sein Hemd klebte nass vor Schweiß am Körper. Bäume und Sträucher hinterließen Striemen auf seinen Armen, Blätter und Gestrüpp in seinen Haaren. Jan bemerkte nichts davon. Er pflügte eine Schneise durch das Internatswäldchen, ohne einen Gedanken an Haut und Haar oder an seine Brille zu verschwenden, die ihm von einem Ast aus dem Gesicht gewischt worden war.
Ohne einen Gedanken daran, dass er auf seinem Weg bereits mehr Flüssigkeit verloren hatte, als es für einen Fünfzehnjährigen bei diesen Temperaturen gesund sein konnte, heulte Jan auch noch wie ein Schlosshund.
Wie ein Mädchen. Wie ein Verlierer!
Verlierer lässt man links liegen! Auch eine von Monas Weisheiten, die Jan nie ganz verstanden hatte. Weil sie unvermittelt die traurigsten Dinge sagen konnte, um Sekunden später lachend in die Hände zu klatschen und neuen Unsinn vorzuschlagen. Weil Mona niemals weinte. Weil Mona alles wusste. Weil Mona großartig war!
Der Wald neben dem Sportplatz des Internats wurde von einem hohen Drahtzaun begrenzt. Als »Vögelwäldchen« wurde er auf dem Pausenhof von den Älteren bekichert. Und Jan hatte damals tatsächlich an Eier legende Tiere mit Federn geglaubt.
»Ja, sicher«, hatte Mona gegrinst, »der Genoppte Präservativ nistet dort.« Bei Jan war der Groschen gefallen und er war blutrot angelaufen. Dann hatte Mona ihn freundlich angelacht: »Mach dir nichts draus, Jannick. Da gibt’s sicher auch Amseln.«
Die verarscht mich! Total!
Kurz darauf hatte Jan sich in Mona verliebt. Noch nie hatte jemand ihn »Jannick« genannt. Er verliebte sich in Monas Locken. In ihr Lächeln. Besonders verliebte Jan sich in Monas freche Klappe. Mit dem Muttermal über der Oberlippe. Unsterblich. Nur wusste Jan es damals noch nicht. Er hatte gelacht und gehofft, dass niemand sah, wie er rot wurde.
Doch. Mona hatte es gesehen und gelächelt. Plötzlich schämte Jan sich nicht mehr. Und verliebte sich.
Er stolperte blindlings durch die Büsche. Seine Angst war kalter Panik gewichen. Keine Ahnung, warum er ausgerechnet in den Wald gerannt war. Nun fand er keinen Ausgang, kein Tor, nicht auf dieser Seite. Jan musste über den verdammten Zaun!
Beim ersten Anlauf machte er den Fehler, sich mit der verstauchten Hand festzuhalten, der Schmerz durchzuckte Jans Körper wie ein Blitz. Ihm wurde schwarz vor Augen. Er fiel rückwärts in den Dreck und bekam keine Luft. Nach der Strecke, die Jan zurückgelegt hatte, bei diesen Temperaturen und dem harten Schlag auf seine Lungenflügel, war es ein Wunder, dass er wieder auf die Füße kam. Blitze zuckten vor seinen Augen. Ohne Brille verschwamm der Drahtzaun vor ihm zu einer trüben Masse. Jan konnte kaum noch etwas erkennen. Er krallte sich mit der Linken in den Draht und rang nach Atem. Auf der anderen Seite des Zauns tauchte eine Gestalt in Form einer gebeugten, alten Hexe auf.
Ich bin die Erste Hexe!, brüllte Mona in seinem Kopf. Mit der Stimme einer Wut, die Jan von Mona nicht kannte. Die alte Dame auf der anderen Seite zuckte erschrocken zusammen, als Jan röchelnd hinter dem Zaun auf die Knie sank. Sie setzte zur Flucht an, doch von dem Jungen ging keinerlei Gefahr aus. Jan war nur verzweifelt und verwirrt.
»Sie ist weg!«, brüllte Jan durch den Zaun.
Was die alte Dame betraf, hatte er damit vollkommen recht.
»Wie siehst du denn aus? Bist du verprügelt worden?«
Jan stapfte schweigend zum Kühlschrank und setzte unter den Augen seiner Mutter den Tetrapack Orangensaft an die Lippen. Claudia Reiter war so erschrocken über Jans Anblick, dass sie darauf verzichtete, ihren Sohn zu ermahnen ein Glas zu benutzen, wie sie es vorher schon unzählige Male getan hatte. Ohne Erfolg.
Jan trank aus, zerknüllte den Karton, ließ sich auf einen Küchenstuhl neben dem Fenster fallen und wischte sich schmutzigen Schweiß aus den Augen. Erst jetzt bemerkte seine Mutter, dass Jan heftig atmete. Von seiner Stirn führte eine Spur geronnenen Blutes in Richtung Augenlid. Jan verteilte sie mit einer fahrigen Bewegung auf seiner ganzen Stirn, ohne es zu bemerken.
»Was ist passiert? Wo ist deine Brille?« Claudia eilte mit dem Küchenhandtuch in der Hand zu Jan und zupfte einen Zweig aus seinen Haaren.
Es war Claudia nicht entgangen, dass ihr Sohn in letzter Zeit Probleme zu haben schien. Über die er nicht sprechen wollte. Nicht mit ihr oder seinem Vater. Auch jetzt schwieg Jan mit zusammengebissenen Zähnen. Er ging in Deckung, als sie die blutige Kriegsbemalung von seiner Stirn wischen wollte.
Es gab Claudia jedes Mal einen Stich, wenn der Junge ihrer Umarmung oder einem Kuss aus dem Weg zu gehen versuchte. Ihr Mann hatte dafür Verständnis, wie für fast alles, was sein Sohn in letzter Zeit tat. Oder nicht mehr tat.
»Der Junge wird erwachsen«, war Dieters Standardspruch. Und obwohl er vom Horrortrip seiner eigenen Pubertät berichtet hatte, wurde Claudia beim Anblick ihres Sohnes klar, dass mit Jan etwas passierte, das weit über erste Pickel und pubertären Kleinkram hinausging. Das hier war groß!
Jan wehrte sich nicht, als sie seine Stirn mit dem feuchten Küchenhandtuch abtupfte. Er ließ sogar zu, dass sie ihm das wirre Haar glatt strich und einen Kuss auf seine Stirn drückte. Claudia hatte ihren Sohn noch nie so gesehen. In seinem Gesicht stand Verzweiflung.
Jan konnte es nicht mit einem lockeren Spruch überspielen, um einer Diskussion aus dem Weg zu gehen. Eine schlechte Angewohnheit, die er von seinem Vater geerbt haben musste.
Jan saß auf dem Küchenstuhl, starrte aus dem Fenster und ließ sich von seiner Mutter im Arm wiegen. Doch Claudia konnte die ungewohnte Nähe zu ihrem Sohn nicht genießen. Dann, plötzlich, brach es aus Jan heraus. Ein Schluchzer schüttelte seinen Körper und erfüllte Claudia mit Furcht. Ihre Sorge ließ die Frage etwas zu scharf und laut klingen. Aber sie musste einfach erfahren, was Jan zugestoßen war: »Was ist mit dir los!?« Claudia riss sich zusammen, um ihren Sohn nicht ungeduldig zu schütteln.
Es dauerte eine Weile, bis Jan Luft bekam. Dann – endlich! – rückte Jan mit der Sprache heraus.
»Mona ist weg!«
JULI – THE PERSON YOU HAVE CALLED …
»… is temporarily not available.«
Jan musste sich beherrschen, um das verdammte Handy nicht an die Wand zu werfen. Mona hatte Jan seit Tagen und Wochen mit Spielchen und Kontaktsperren wahnsinnig gemacht. Weich gekocht!
Seine kleine Schwester sah vom Boden auf. Nina lag vor einem Puzzle in Jans Zimmer auf dem Teppich. Die dumme Kuh hatte noch nicht einmal die Ränder fertig!
»Schaff den Scheiß aus meinem Zimmer!«, fuhr Jan sie an und latschte auf dem Weg zur Tür ab sichtlich über die erste fertige Ecke von Ninas Pferdepuzzle.
»Ich kann nix für deinen Liebeskummer, Brillo!«, hörte Jan, bevor er seine Zimmertür zuknallte, dann, vom Flur aus, Ninas Schluchzen. Sofort tat ihm seine kleine Schwester leid. Sie konnte ja wirklich nichts für seine Launen. Jan hatte Nina erlaubt, ihr Geburtstagsgeschenk auf seinem heiligen Boden auszubreiten. Schließlich hatte Jan das größere Zimmer. Das Puzzle mit Pferden auf einer Koppel war sein Geschenk für Nina, sie war verrückt nach so was. Doch seine unbestimmte Angst um Mona schnürte Jan die Brust zu, machte ihn wütend! Auf alles und jeden! Jan konnte nicht mehr schlafen. Deshalb konnte er nicht mehr denken. Eine dunkle Wolke war über ihm aufgezogen. Und obwohl er wusste, dass seine ganze Familie darunter zu leiden hatte, funktionierte Jan nur noch. Wie eine Maschine. War zur Schule gegangen, hatte letzte Arbeiten geschrieben. Gefährdete kurz vor den Ferien seine Versetzung und enttäuschte den Biologielehrer. Enttäuschte Herder, der große Stücke auf ihn hielt. Jan fühlte sich beschissen.
Nicht nur, weil er seine Eltern und Nina quälte und seinem Lieblingslehrer nicht mehr in die Augen sehen konnte. Sondern weil er Mona nur noch bei den Theaterproben im Weveler Hof zu sehen bekam. Mona hatte ihre Kontaktsperre ohne Begründung verhängt. War Jan in den Pausen aus dem Weg gegangen. Hatte die Hexe nicht nur auf der Bühne, sondern jeden Tag gespielt! Und Jan hatte nicht die leiseste Ahnung, was er falsch gemacht hatte.
Anna Weiß war begeistert von Monas Darstellung, sie leitete die Theatertruppe im Zentrum. Jan hatte nur wegen Mona mit dem Mist angefangen. »Macbeth« – ein alter Schinken von Shakespeare. In einer Sprache, die keiner kapierte. Mit einer Story, die allen Beteiligten zu hoch war. Männer, die sich mit Schwertern den Schädel spalteten. Verrat und Mord. Drei Hexen mit komplizierten Sprüchen, eine total durchgeknallte Lady Macbeth. Blutrünstiger Unsinn, fand Jan. Nur wegen Mona hatte er überhaupt mitgemacht. Mona hatte Jan in die Truppe geholt. Mona wusste über Shakespeare und Theater Bescheid. Sie hatte Jan für den Hintergrund des Stücks zu begeistern versucht. Jan hatte sich alle Mühe gegeben zu verstehen, worum es ging. Doch er war kein Schauspieler. Er wollte nur so oft wie möglich bei Mona sein. Jan war verliebt in Mona. Theater war ihm egal.
Er zog die Wohnungstür leise hinter sich zu, damit keine Fragen aus Küche oder Wohnzimmer gestellt werden konnten. Er wollte allein sein, eilte aus dem dritten Stock durch den Hausflur ins Freie, lief über die Straße zur Bushaltestelle und freute sich auf die stillen Räume des Aquazoos. Seine Räume für Träume. Sportskanone, Schauspieler oder Rockstar war nicht Jans Ding. Basketball spielte er kaum noch. Jan wollte Biologe werden.
Herder, sein Lieblingslehrer, hatte Jan im Unterricht mit einer beeindruckenden Rede darauf gebracht: »Morgen, Leute. Ich weiß, dass ihr an diesem Fach nicht besonders interessiert seid, denn Sexualkunde ist schon lange durch … Ihr benutzt doch Kondome, oder?«
Ein Lachen ging durch die Klasse. Zwischenrufe und Pfiffe. Herder schrieb eine Formel an die Tafel und drehte sich um. »Deutschland sucht … ach was, die ganze Welt sucht den Superstar. Aber wer oder was ist eigentlich ein Superstar?«
Unter Gelächter wurden verschiedene Namen gerufen und einige Lieder aus der aktuellen Staffel gesungen. Herder hörte sich das an, dann sorgte er mit einer Handbewegung für Ruhe. »Letztes Jahr ist Simone Schwerfel an Krebs gestorben. Erinnert ihr euch an diese Mitschülerin? An Simone? Die Rothaarige?«
Schlagartig wurde es totenstill. Herder fuhr sachlich fort: »Simone Schwerfel litt an Blutkrebs, oder anders gesagt, an einer chronischen Form der myeloischen Leukämie, auch CML genannt.«
Eisige Stille im Raum. Herder deutete auf die Tafel.
»Dies ist die Formel eines amerikanischen Superstars, Leute. Für ein neues Medikament gegen Simones Krankheit. Der Erfinder ist Wissenschaftler.«
»Wieso musste Simone dann sterben?«, rief jemand aus der vierten Reihe wütend. Jan drehte sich um, genau das wollte er ebenfalls wissen.
Herder sah traurig aus. »Ihr könnt mit Singen und Tanzen Karriere machen oder eure Schulmannschaft nach vorn bringen. Ihr könnt in Sport und Unterhaltung ganz groß werden. Aber das macht keinen Einzigen von euch zu einer wichtigen Person oder gar zu einem Superstar. Echte Superstars existieren nur in der Wissenschaft!«
Herder deutete auf die Formel an der Tafel, bevor er sie wegwischte. »Dieses Medikament ist erst seit wenigen Wochen auf dem Markt. Forschung und Wissenschaft spielen leider immer gegen die Zeit. Wir brauchen noch viele neue Stars, um Probleme wie dieses zu lösen.«
Ein Mädchen hinter Jan schniefte leise.
»Wenn ich eure Gefühle verletzt haben sollte, tut es mir leid. Mein Beispiel soll nur verdeutlichen, dass wir im Unterricht keine Zeit verschwenden werden. Um Grundlagen für möglichst viele zukünftige Stars zu schaffen … Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit. Warum ihr nicht rauchen sollt und was die Sonne auf eurer Haut anrichten kann, wird Thema der nächsten Stunde sein. Aber fürchtet euch nicht!« Damit warf Herder den Tafelschwamm ins Waschbecken und ging.
Jan blieb sitzen, während seine Mitschüler murmelnd den Raum verließen.
Erik neben ihm sprang wütend auf. »Der Herder spinnt doch!«
»Wieso? Er hat Recht«, gab Jan zurück.
»Hast du sie noch alle? Der zieht die ›Nur Wissenschaftler sind Superstars‹-Nummer in jedem seiner Kurse durch. Weiß ich von meinem Bruder.«
Doch Jan hatte Herder verstanden. Glaubte er zumindest.
»Herder will Interesse für sein Fach wecken.«
»Mit toten Mitschülern, denen man erst hätte helfen können, als es zu spät war?«, schnaubte Erik.
»Ja«, nickte Jan, »weil es niemals zu spät ist.«
Der Gong ertönte. Während die Jungs vom Biologieraum in den Flur einbogen und im Strom der Pausenwütigen auseinandergetrieben wurden, rief Erik hinter Jan her: »Du bist bekloppt. Weißt du das?«
Jan reckte seinen Mittelfinger Richtung Decke. Hinter seinem Rücken konnte er Eriks meckerndes Gelächter hören.
Die Räume des Aquazoos waren dunkel und angenehm kühl. Becken mit Fischen, Reptilien und Amphibien waren beleuchtet und temperiert, den Bedingungen der verschiedenen Lebensräume angepasst. Sie leuchteten wie Fenster ferner Welten in die stillen Gänge. Außer Jan schienen an diesem frühen Nachmittag im Juli kaum Besucher im Zoo zu sein. Besonders den Terrarien mit Reptilien und Amphibien gehörte Jans Leidenschaft. Er wanderte begeistert durch die dunklen Räume mit den faszinierenden Ausblicken in fremde Welten: Wüste. Savanne. Die Tropen. Tiere unter und über Wasser. Für jeden Lebensraum ein Fenster in die andere Welt. Jan konnte nie genug davon bekommen. Er klebte an den Scheiben und drückte sich die Nase platt, bis er eine Stimme hinter sich hörte: »Hey, Professor!«
In der Mitte des Raums mit tropischen Fröschen befand sich eine Bank aus dem gleichen dunklen Stein, aus dem auch Wände und Boden des Zoos bestanden. Mona lehnte sich vor und betrachtete Jan mit einem amüsierten, aber auch müden Ausdruck im Gesicht. Jans Herz machte einen Satz! Seine Gedanken ebenfalls: Hey! Wo warst du? Warum lächelst du so? Woher weißt du, dass ich hier bin? Darf ich dich küssen? Bleibst du bei mir? Oder haust du gleich wieder ab?
Wo warst du? Darf ich dich umarmen? WO ZUM TEUFEL warst du?
»Hey.« Jan stand auf, stellte sich neben Mona und versuchte gelassen zu wirken. Cool.
»Ich war noch nie hier.« Mona kicherte. »Sollen wir ’n paar von den Quakern aufblasen? Ich hab Strohhalme dabei.«
»Hast du nicht!«
»Nee. War nur ’n Scherz.«
Jan führte Mona zu einem Terrarium neben der Bank. Er deutete auf einen winzigen gelben Frosch, der Jan und Mona bewegungslos durch die Scheibe ansah.
»Phyllobates terribilis«, sagte Jan.
»Ziemlich gelb, der Kleine. Ist er bei der Post?«, grinste Mona. »Der könnte auf meinem Daumen sitzen.«
»Wenn du den Daumen danach ableckst, würdest du sterben«, antwortete Jan.
Mona beugte sich vor. Interessiert beobachtete sie den Frosch. »Ehrlich?«
»Indianer in Südamerika tragen diese Frösche in kleinen Bastkörben bei sich. Sie reiben ihre Pfeilspitzen über den Rücken des Froschs und jagen damit. Wer getroffen wird, stirbt. Es gibt kein Gegengift!«
»Uhh«, sagte Mona, während der tödliche Zwerg auf winzigen Beinen Deckung hinter einer Wurzel suchte. Ende der Vorstellung. Mona grinste. »Hey, ein Witz: Was ist grün und wird auf Knopfdruck rot?«
»Frosch im Mixer«, sagte Jan. Den kannte er und lachte nicht. Sondern sah Mona unendlich traurig an. Kein guter Witz. Kein guter Tag.
»Du stehst auf diese Sache, oder? Froschmann?«
Jan schwieg und sah zu Boden.
Ich steh auf dich, Mona! Nenn mich doch wieder Jannick, so wie früher. Ich kann den Weichspüler aus deinen Klamotten riechen. Ich kann DICH riechen! Und weiß genau, wie dein Kuss geschmeckt hat. Du hast gelacht, in diesem kleinen Wäldchen. Im Knutschparadie … Du hast den Wald doch umgetauft! Mann, haben wir gelacht! Ich vermisse dich! Gehe meiner ganzen Sippe auf den Sack. Weil du mir fehlst. Was ist denn bloß passiert?
»Alles klar bei dir?«, fragte Jan vorsichtig.
»Ja … nee. Nicht wirklich.« Mona hatte Ränder unter den Augen, die Jan vorher nicht aufgefallen waren.
»Was ist denn?«
Mona stand auf und entfernte sich ein paar Schritte von Jan. Klopfte an eine Scheibe, sah in das Terrarium und wandte sich Jan zu. Der immer noch nach den richtigen Worten suchte. »Wo ist der denn plötzlich?«
»Versteckt sich. So wie du.«
Jan kapierte den Fehler, bevor sein Spruch bei Mona ankam. Ihr Gesicht verdunkelte sich.
Gleich wird sie »Arschloch« sagen, so wie Nina eben. Ich benehme mich ja auch wie eins!
Doch während Jan die Luft anhielt, murmelte Mona: »Wird schon seine Gründe haben zu verschwinden.« Dann klopfte sie an die Scheibe: »Hallo! Komm wieder raus! Wir benutzen Strohhalme nur zum Trinken, versprochen!«
Jan lachte auf. Viel zu laut. Kam sich wie ein Idiot vor und folgte Mona zur Bank zurück. Sie küsste Jan auf den Mund. Ihre Zunge streichelte ganz vorsichtig über Jans Lippen. Es war wunderbar, doch Jan konnte es nicht genießen. Er küsste ihr Muttermal über der Oberlippe, vergrub seinen Kopf in ihrem Haar und machte sich Sorgen, ohne begründen zu können, warum. Ein mulmiges Gefühl. Ein Klumpen in seinem Magen, der seine rasende Verliebtheit seit einiger Zeit zu erdrücken drohte. »Was ist los mit dir, Mona?«
»Du wiederholst dich, Froschmann«, lächelte Mona und stand auf. »Wir sehen uns auf der Probe.«
Mona war noch nicht ganz aus dem Raum, als Jan ihr hinterherrief: »Hey! Weißt du, was wirklich grün ist?« Sie drehte sich um.
»Hoffnung ist grün.«
»Wieso ist der Frosch dann gelb?«, fragte Mona. »Der ist giftig!«, antwortete Jan.
»Das bin ich auch«, sagte Mona und verschwand.
Es war das Letzte, was Jan von Mona gerochen, gefühlt, geschmeckt, gesehen und gehört hatte. Jan traf Mona nicht auf der dritten Probe. Er sah sie überhaupt nicht mehr. Und seine Angst sollte später noch viel größer werden als die unbestimmte, dunkle Ahnung im Aquazoo.
AUGUST – HAKENWURF UND HOROSKOP
Das war es also, Liebeskummer! Claudia wollte es vor Jan nicht zeigen, aber fast wäre sie in der Küche in erleichtertes Gelächter ausgebrochen. Jan hatte an ihrer Schulter gelegen, sich den Schweiß aus dem Gesicht wischen, Zweige und Blätter aus dem Haar pulen lassen. Erzählt hatte er nichts. Claudia wollte ihn nicht dazu zwingen. Also hatte sie Jan getröstet, unter die Dusche geschickt und das Abendessen vorbereitet. Sie und Nina wollten ins Kino, hinterher zu McDonald’s, daher musste das Essen für die Männer heute früher gemacht werden. Die beiden wollten lieber zu Hause bleiben und fernsehen. Jan hätte gern Pizza bestellt. Wenn die Mädels ausgingen, wäre das nur gerecht, fand er. Doch Ende des Monats wurde die Luft immer dünn in der Haushaltskasse der Reiters. Diesmal besonders, da Jans Fahrrad gestohlen worden war und er spätestens nach den Ferien zu Beginn des neuen Schuljahres ein neues Rad brauchen würde. Frikadellen und Kartoffelbrei zogen bei den Jungs immer, hoffte Claudia. Der Kinobesuch von Nina und Claudia war lange geplant. Natürlich ein »Mädchenfilm«, auf den die Jungs keine Lust hatten. Nina kam zu kurz in der Familie, fand Claudia. Den sehnlich gewünschten Voltigierkurs hatte Nina nicht zum Geburtstag bekommen. Es hatte Claudia fast das Herz gebrochen, mit anzusehen, wie tapfer Nina ihre Enttäuschung schluckte, als sie das Kleid von H&M ausgepackt hatte. Nun wurde auf ein neues Fahrrad für Jan gespart. Denn die Hausratversicherung hatte sich mit einer versteckten Klausel um die Erstattung des Diebstahls gedrückt, diese Mistkerle!
Die Zeiten waren hart, aber nicht hoffnungslos. Die Familie hatte im Mai beschlossen, dieses Jahr auf einen gemeinsamen Urlaub zu verzichten. Offiziell galt das Motto »Urlaub auf Balkonien«.
»Wenn wir einen Balkon hätten«, hatte Dieter hinzugefügt. »Aber dafür fahren wir nächstes Jahr groß weg!«
Nina, Dieter und Jan hatten daraufhin mit Fernzielen wie Barbados und Australien um sich geworfen.
Jan hatte fast die halbe Nacht im Internet verbracht und sich auf die Azoren eingeschworen, bis Claudia dem ein Ende machte. Licht aus! Strom raus! Noch hatte Jan Schule und musste wegen Fußmarsch statt Fahrrad eine halbe Stunde früher aufstehen als sonst. Basta!
Claudia horchte auf, als Jan die Dusche abstellte. Die Urlaubssparmaßnahme war eine Notlüge, die Claudia auf ihre Kappe nahm, um Nina und Jan nicht zu beunruhigen. Dieters Betrieb hatte Anfang des Jahres ersten Mitarbeitern kündigen müssen. Die drohende Pleite schwebte wie ein Damoklesschwert über der Firma. Claudia hatte es sich als ehemalige Bürokauffrau nicht nehmen lassen, die Familie auf einen harten Sparkurs einzustimmen. Lange bevor Dieter auf dem Arbeitsamt nach einer neuen Stelle suchen musste. »Für die Krise rüsten, bevor die Krise kommt«, gehörte zu ihrer buchhalterischen Grundweisheit. Unter der Dusche das Wasser abzustellen, wenn man sich einseifte, war nur einer von vielen Punkten in Claudias Familiensparplan »vor« der Krise. Dass sie nicht die leiseste Ahnung hatte, worin die nächste Krise bestehen würde, konnte man Claudia nicht vorwerfen. Höchstens die Tatsache, dass sie in der Küche zu singen begann, während Jan sich unter der Dusche die Zähne putzte.
Sie singt, verdammt noch mal!
Als Jan unter der Dusche die Stimme seiner Mutter »I get no kick from champagne …« singen hörte, hasste er sie für einen Moment, während er sich ohne Wasser, eingeseift und frierend, die Zähne in der Duschkabine putzte. Nicht genug, dass sie ständig an ihm herumfummelte oder herumzuzupfen versuchte, nein: Sie KAPIERTE nicht, worum es Jan überhaupt ging!
In der Küche hatte Jan die Litanei seiner Mutter von wegen »Erste Liebe tut manchmal weh« schweigend über sich ergehen lassen. Den ganzen Stuss! Obwohl er fast explodiert wäre. Er hatte sich die verdreckten Klamotten vom Leib gerissen und unter dem heißen Wasser der Dusche beim Gedanken an Mona wieder zu weinen begonnen. Mona war nicht auf der Theaterprobe erschienen, obwohl sie NOCH NIE eine Probe ausgelassen hatte!
(Mama: »Morgen sieht alles schon wieder anders aus.«)
Mona war das tollste Mädchen, das Jan jemals getroffen hatte.
(Mama: »Mona ist ein Wildfang.«)
Nina hatte ihren Bruder später aufgeklärt, dass damit ursprünglich Pferde gemeint waren: »Wilde Pferde, die gefangen und gezähmt werden müssen.«
Jans Gefühl für Mona hatte nichts mit dem anderen Gefühl zu tun, das ihn beim Anblick der nackten Räkelmädchen im Nachtprogramm überkam, wenn er heimlich ins Wohnzimmer geschlichen war und den Fernseher eingeschaltet hatte. Immer auf der Hut vor Mama, Papa und seiner Schwester. Oder den weit härteren Nummern, die Mädels im Internet abzogen, wenn man die richtigen Adressen kannte. Von denen seine Mutter keine Ahnung hatte. Zum Glück! Natürlich hatte Mona ihn auch geil gemacht. Aber das nur nebenbei. Dazu reichte bei Mona eine winzige Geste in voller Montur.
(Mama: »Du hast doch noch soo viel Zeit, Jan. Genieße es.«)
Monas Blick, wenn sie ihn auf dem Schulhof sah. Ihr Lachen, wenn er einen Witz gemacht hatte. Einfach alles! Er hatte KEINE Zeit mehr!
(»Liebe und Sexualität sind etwas Wunderbares. Aber manchmal auch schwierig, wenn du noch jung bist.«)
Liebe war furchtbar! Im Knutschwäldchen mit Mona hatte Jan den Unterschied zwischen Geilheit und dem komplexen Ding »Liebe« überhaupt erst begriffen.
(»Später wirst du alles verstehen. Glaub mir, Jan.«)
Mit Mona hatte es nur einen einzigen Kuss lang gedauert. Der Schauer war durch seinen Körper gelaufen und hatte Jan über Tage in eine andere Sphäre katapultiert. Wohlig erschüttert. Und Jan vibrierte immer noch.
(»Warte einfach ab. Es wird sich schon alles ergeben.«)
Fortan hing das kleine Muttermal über Monas Lippen wie ein Planet in seiner Galaxis über Jans Bett, wenn er abends mit einem Grinsen einschlief. Ohne das leiseste Bedürfnis, ins Wohnzimmer oder an den Computer zu schleichen, um sich einen runterzuholen. Überhaupt hatten Jans heimliche One-Man-Shows eine völlig ungeile Pause eingelegt, seit er Mona getroffen hatte.
(»Onanie ist ganz natürlich.«)
Denn Jan war bis über beide Ohren verliebt.
(»Verliebt bedeutet noch lange nicht Liebe, weißt du …«)
Jan liebte Mona. Mona war verschwunden. Jan würde sie finden. Basta. – O Mann, ich klinge wie Mama!
Während aus der Küche die Stimme seiner Mutter mit dem Refrain von Sinatras Klassiker zu hören war, »I get a kick out of you!«, und Jan, mit der Zahnbürste im Mund, die Seife ins Auge lief, fiel ihm eine alte Angewohnheit ein. Er drehte das Wasser auf und bekam eine wohlige Gänsehaut, als der heiße Regen endlich wieder auf ihn herunterprasselte.
In seiner besten Basketballzeit hatte Jan Würfe trainiert, wo immer er war: Eiswürfel in volle Gläser, Weintrauben an den Hinterkopf seiner Schwester. Leere Coladosen in den Mülleimer auf dem Schulhof.
»Du musst dir das Ziel vorstellen, die Augen schließen«, hatte Anastasopoulos, Sportlehrer und ehemaliges Mitglied der griechischen Basketball-Nationalmannschaft, beim Training wieder und wieder gepredigt. »Dann triffst du alles!«
Ungefähr zu dieser Zeit hatte Jan damit begonnen, unter der Dusche nach dem Zähneputzen mit geschlossenen Augen und seiner Zahnbürste in der Hand Hakenwürfe zu üben. Im Feld hatte man keinen Platz, wenn der Block stand. In der Duschkabine ebenfalls nicht. Im Feld verdeckt der Gegner oft den Blick auf den Korb. Das war einer der Gründe für Anastasopoulos, seinen Schülern Konzentration für blinde Würfe einzutrichtern. Die Duschabtrennung im Badezimmer bestand aus mattiertem Plexiglas.
»Du musst das Ziel vor deinem inneren Auge haben«, hatte Sopou gepredigt. Früher ein Anlass für Jan, nach dem Zähneputzen unter der Dusche die Augen zu schließen, um mit einem Zahnbürsten-Hakenwurf über den Fortgang des Tages zu entscheiden. Triffst du das Waschbecken? Yeah! Das wird ein guter Tag!
Schlechte Tage konnte Jan daran erkennen, dass er seine Zahnbürste mit geschlossenen Augen über die Duschabtrennung warf und seinen Vater traf, der in voller Montur vor der Schicht noch pinkeln wollte, ohne sich vorher anzumelden. Waschbecken nicht getroffen, Ärger! An ganz schlechten Tagen traf Jan mit der Zahnbürste direkt in die Kloschüssel oder den Schrank neben dem Spiegel.
Obwohl Jan alles andere als abergläubisch war, hatte er diese Übung damals zu seinem persönlichen Tageshoroskop gemacht. Die Augen geschlossen, konzentriert seinen Wurf über die Duschkabine ausgeführt. An ganz schlechten Tagen riss die Bürste Claudias Parfum Chanel No. 5 aus dem Regal. Oder verursachte einen kleinen, kaum sichtbaren Riss im Badezimmerspiegel. Nur einen winzig kleinen! Was trotzdem für mächtigen Ärger sorgte. Und ein komplettes und endgültiges Verbot von Zahnbürsten-Hakenwürfen. Jan konnte mittlerweile hören, wo die Bürste landete. Dennoch: Es war jedes Mal spannend, erst fertig zu duschen und dann nach dem Ergebnis zu suchen.
Boden: Schlechter Tag. (Stimmte meistens.)
Ablage neben dem Becken: Mittelgut. (Was öfter vorkam und oft stimmte.)
Waschbecken: Spitzentag! (Was selten genug passierte.)
An dem Tag, als Mona ihn auf dem Schulhof über das Vögelwäldchen aufklärte und danach lächelte, hatte Jan ohne Abprall in einem schönen Bogen mit der Zahnbürste über die Duschabtrennung direkt in den Zahnputzbecher neben dem Waschbecken getroffen. Die Bürste – Borsten NACH OBEN! – war sogar dringeblieben, hatte Jan mit geschlossenen Augen gehört. Und gewusst: Es wird ein absoluter Spitzentag!
Der Tageshoroskop-Duschkabinen-Zahnbürsten-Hakenwurf war seit dem Riss im Spiegel absolut verboten. So verboten wie kurz darauf Einseifen bei laufendem Wasser. Oder Licht anlassen im Flur. Milch und Saft aus der Tüte trinken. Pizza bestellen. Oder in Urlaub fahren. Jan bezahlte seine Flatrate aus eigener Tasche und hatte auf ein Handy verzichten müssen, bis er sich über seinen Nebenjob und ein günstiges Angebot das Ding endlich leisten konnte. Und dann auch nur ein gebrauchtes Handy über eBay.
In der Familie stimmte etwas nicht. Vieles hatte sich geändert in letzter Zeit. Es wurde mehr gespart als gelacht – insgeheim fürchtete Jan, dass seine Eltern sich vielleicht scheiden lassen würden. Aber diesen Gedanken schob er weit weg. Er nahm einen Mund voll Wasser aus dem Brausekopf, hielt die Augen geschlossen und atmete aus. Positionierte sich mit der linken Schulter in Richtung Milchglasscheibe und konzentrierte sich auf das Waschbecken, welches irgendwo dahinten im Raum war. Er fand das Becken in seiner Vorstellung, sorgte dafür, dass er mit der Rechten eine flüssige Bewegung für den Wurf machen konnte, und konzentrierte sich.
»Was willst du?«, fragte Sopou alias alter Trainer Anastasopoulos.