Verloren im Netz - Oliver Pautsch - E-Book

Verloren im Netz E-Book

Oliver Pautsch

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Beschreibung

Kleine E-Mail, große Wirkung! Wardriving - das macht Spaß! Mit dem Laptop im Auto durch die Stadt kurven und die Netzwerke anderer Leute ausspionieren. Johan, Mick, Bo und Stefan lachen Tränen über die Unvorsichtigkeit mancher Computerbesitzer und darüber, was sie auf fremden Festplatten alles finden. Zum Beispiel bei der Frau mit ihren peinlichen Urlaubsfotos. Oder bei Lehrer Kretschmann, der die Zeugnisdateien ungesichert auf seinem Rechner liegen hat. Wie kann man nur so blöd sein? Doch dann entdeckt Stefan ein dunkles Geheimnis auf einem Rechner und den vieren bleibt das Lachen im Hals stecken - denn offenbar ist ihnen jemand auf die Schliche gekommen und macht ihnen das Leben zur Hölle ... young thriller - Spannung pur!

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Seitenzahl: 235

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Oliver Pautsch, 1965 in Hilden geboren, lernte in Solingen laufen, ging in Hilden zur Schule und studierte in Düsseldorf. Er wohnte und arbeitete lange Jahre in Köln. Heute lebt der Autor mit seiner Frau und drei Kindern wieder in Hilden.

Wenn er behauptet, die Region besser als den Inhalt seiner Schreibtischschublade zu kennen, kann man ihm ruhig Glauben schenken. Der Autor hat in der Region viele Jahre lang Klaviere und Flügel transportiert. Das tut er noch heute manchmal – falls er nicht gerade Romane oder Drehbücher schreibt.

Der Autor freut sich über einen Besuch seiner Heimseite: www.pautsch.net

Für Gerd Friedrich – meinen ältesten Freund

Inhaltsverzeichnis

Curiosity Killed the Cat

Pedal to the Metal!: Episode one

Wardriving

Endstation?

Licht an!

Stromausfall

Abschied

Phimose?

Kretschmann

Haushoch Hinaus

Kriminell!

Pedal to the metal!: Episode Two

Vampirella

Sichtbar

Unsichtbar

Schwiegermutter

Krisenstab

Blaulicht

Flugangst

Google Maps

Stimmen aus dem Diesseits

Chaos

Fähre

Schweden

Danke!

Leseprobe »Mona ist weg«

Kapitel 1

Leseprobe »Sie kriegen dich«

Prolog – Tonbandprotokoll

Freitag

Eiskalt

Der Dreiklang

Curiosity Killed the Cat

Verdammt, wie lange brauchen die denn? Ich halte es nicht mehr aus, springe von Johans Bett und sehe aus dem Fenster – nichts. Irgendetwas liegt in der Luft, das spüre ich. Es ist mehr als die schwüle Hitze. Ich werfe mich wieder auf Johans Bett und starre in die GALA, um den Schrott zu lesen, der drinsteht, denn die Bilder kenne ich schon auswendig. Die Kittens sind wieder zusammen, ich fasse es nicht. Johan hat das Zeug der Mädelsband gehört, als ich noch klein war. Den idiotischen Streit von damals habe ich erst gestern auf Youtube gesehen. Die Mädels waren so peinlich, als sie auf der Bühne ausgerastet sind. Eine Schande, aber was rege ich mich auf? Ich bin auch schon ausgerastet, wenn auch nicht auf einer Bühne vor hunderten von Journalisten. Im Moment würde ich auch am liebsten aus der Haut fahren. Ich schwitze fürchterlich! Außerdem ist es wirklich ekelhaft, was sich die Schwachköpfe dieser Klatschzeitung ausdenken, um ihr Blatt unter die Leute zu bringen. Ja, ja, ich fluche schon wieder, aber es ist kaum auszuhalten, was für ein Stuss unter diesen Paparazzibildern steht.

Mein Name ist Bo und ich will Journalistin werden. Allerdings werde ich eine gute!

Natürlich bin ich auch sauer, weil die Abholung des neuen Wagens meines Bruders so lange dauert.

Dass Johan mir nicht verraten wollte, was er sich letzte Woche für ein Auto gekauft hat. Und das alles nur, weil ich ihn verarscht habe, als er durch die erste praktische Führerscheinprüfung gefallen ist.

Unser Verhältnis war in den letzten Wochen nicht das Beste. Jetzt, so kurz vor den Ferien sind wir beide ziemlich im Stress.

Wenn Johan wüsste, dass ich auf seinem Bett liege, die GALA unserer Mutter zerfleddere und dabei seine Erdnussflips mampfe, die der Idiot immer wieder an derselben Stelle versteckt – na ja, dann würde er mich vermutlich durch die Bude jagen und, wenn er mich kriegt, was sehr unwahrscheinlich ist, weil ich viel schneller und vor allem gemeiner bin als er, also dann würde er mich wieder auskitzeln, bis ich vor Lachen kotzen muss. Das hat Johan schon gebracht, obwohl Lars danach einen Riesenaufstand wegen des Teppichs gemacht hat. Lars ist mein Vater. Er wird nicht gern beim Vornamen genannt, aber eine fast Sechzehnjährige sagt doch nicht mehr »Papa«, oder?

Noch ein Blick aus dem Fenster. Der Idiot von Gegenüber führt seinen Hund zum Kacken auf die Wiese des Nachbarn, vielleicht gibt es dort bald wieder Streit. Ansonsten ist alles ruhig, viel zu ruhig für meinen Geschmack. Ich schwitze und schnuppere an meinem Top, doch das ganze Zimmer riecht nach Erdnüssen. Viele von den Flips sind auf Johans Bett verstreut. Auf jeden Fall zu viele für meinen Bruder, den Pingel, aber Saubermachen oder Duschen kommt jetzt überhaupt nicht infrage. Nicht, bevor Johan endlich mit seinem neuen Wagen hier aufkreuzt.

Neugier war immer schon meine größte Schwäche, daher auch mein Berufswunsch. Investigativer Journalismus ist genau das Richtige für mich. Die Minustitte von Mathelehrerin (Namen werde ich keine nennen!), behauptet, ich benutze Worte »wie Waffen«. So ein Schwachsinn! Fluchen ist meine zweitgrößte Schwäche, das ist alles.

Ich schlendere betont lässig ins Wohnzimmer hinüber, wo Senta am Bügelbrett schwitzt. Nein, das ist nicht unser Schäferhund, so heißt meine Mutter. Sie glättet mit einem Dampfbügeleisen die weißen Hemden ihres Mannes bei fast dreißig Grad im Schatten. Sie schüttelt den Kopf, ohne aufzusehen. Ich weiß, dass ich verloren habe, bevor ich frage. Kann es aber trotzdem nicht lassen: »Ist es ein normales Auto? Oder ein Kombi?«

Stilles, schwitzendes Bügelschweigen.

»Ein Neuwagen? Oldtimer? Habt ihr ihm etwas dazugegeben?«

»Bo Margarete Goldberg. Auch Fragen im näheren Umfeld der Masterfrage sind nicht zulässig«, sagt sie und ich kann ihren Anflug von Lächeln sehen, diese verdammte Schadenfreude, weil Johan sie alle instruiert hat, mir seine Autokaufpläne vorzuenthalten. Aus Rache!

Ja, ich gebe es zu. Mein voller Name ist Bo (nein, das ist keine Abkürzung!) Margarete (nach meiner toten schwedischen Omi) Goldberg. Laut meinem Bruder Johan sind wir exschwedische Deutsche. Laut meinem Vater ist Familie Goldberg schwedischer Abstammung jüdischen Glaubens. Laut meinem Opa Samuel sind wir dänische Schweden jüdischen Glaubens. Von denen einige nach Deutschland gegangen und andere in Schweden geblieben sind. Oder so. Ich steige da nicht durch, gehöre sowieso nur halb zum Club der Goldbergs, sozusagen als Importmodell. Aber Senta ist hier geboren und hat Lars während ihres Studiums in Schweden getroffen. Die Liebe hat Lars nach Deutschland gebracht, wovon Opa Sam, wie ich ihn nenne, nicht begeistert war. Er ist es immer noch nicht und lebt nach dem Tod von Omi wieder in Schweden, wo er geboren wurde. Johan und ich sind hier geboren. Angeblich sind wir alle Juden. Aber das merkt man höchstens am Kerzenleuchter auf der Fensterbank oder an der Tatsache, dass Lars meine Mutter manchmal lachend »Schickse« nennt – das macht mich nicht wirklich zur Jüdin, oder? Beten tut hier jedenfalls niemand. Aber wenn jemand Juden beleidigt, beleidigt er auch mich und ich trete ihm in den Arsch. So einfach ist das!

Ein letzter Versuch bei Mama: »Ich will ja bloß wissen, ob er sich was Teures leisten kann, oder ob er …«, doch ich breche ab, in der absoluten Gewissheit, dass meine Mutter die Kunst der absoluten Geheimhaltung perfekt beherrscht. Durch das Fenster sehe ich meinen Vater mit dem Rasenmäher über unsere Wiese ächzen.

»Wieso macht ihr diese schweißtreibenden Sachen eigentlich ausgerechnet jetzt? Wieso macht ihr den Scheiß ÜBERHAUPT?«, fauche ich. Bin mir plötzlich unsicher, ob ich Bügeln und Rasenmähen oder die verdammte Geheimniskrämerei meine. Meine Mutter hält wortlos die Hand auf. Ich stöhne »Oh, verdammte Kacke!«, und diesmal kann sich Senta das Lächeln nicht verkneifen und kassiert zwei Euro von mir, die ich ihr wütend in die Hand drücke. Pro Fluch ein Euro, so lautet die Regel.

»Wahrscheinlich habe ICH auf diese Weise das besch …«, ich kriege gerade noch die Kurve, den dritten Euro zu sparen, »… das Auto meines Bruders finanziert!«

»Nein«, sagt meine Mutter. Kein weiteres Wort zu diesem Thema. Ich gebe auf, gehe in Johans Zimmer zurück und starre weiter aus dem Fenster.

Eine halbe Stunde später hätte ich fast das Beste verpasst. Ich muss eingenickt sein. Als ich hochfahre, weil ein bullerndes Geräusch mich aus hitzigen Träumen reißt, klebt mir die GALA an der verschwitzten Wange.

Deshalb Brad Pitt, denke ich über meinen Traum nach und reibe mir piekende Ernussflipsbrösel von der nackten Schulter. Vom Fenster aus ist wieder nichts zu sehen, weil das gurgelnde Etwas – froschgrün, so viel kann ich erkennen – bereits in der Einfahrt steht, außerhalb meiner Sichtweite. Ohne zu überlegen, reiße ich Johans Fenster auf und klettere barfuß in den Vorgarten, dränge mich an dem Busch vor seinem Fenster vorbei und hüpfe auf die Waschbetonplatten. Dann passieren drei Dinge gleichzeitig:

Erstens: Johans bester Freund Stefan, den ich sowieso im Verdacht habe, manchmal heimlich an meinen Sachen in der Garderobe zu schnüffeln, wenn keiner aufpasst, fallen fast die Augen raus. Schlagartig wird mir klar, dass ich mein Top im Schlaf wegen der Hitze ganzflächig durchgeschwitzt haben muss, denn es wird angenehm kühl oben herum. Ein leichter Wind weht an der Garage entlang, fühle ich an meinen Brustwarzen und bin ganz offensichtlich nicht die Einzige, die es bemerkt. Läuft da ein Speichelfaden aus Stefans Mund? Das ist ja ekelhaft! Jungs sind manchmal so … Aber kommen wir zu:

Zweitens: Stehe ich nun bereits mehrere Sekunden barfuß auf von der Julisonne aufgeheizten Waschbetonplatten. Und es ist ein heißer Juli, Freunde! Ich hüpfe also hoch, komme wieder auf den Boden und meine, das Zischen hören zu können, mit dem gerade Fußsohlensteaks auf heißem Stein gebraten werden. Also mache ich Fehler Nummer drei (wir erinnern uns an Fehler eins: Wet-Shirt-Contest) und stütze mich mit beiden Händen an Johans, nennen wir ihn erst einmal ›Froschwagen‹ ab.

Weder Johan noch Stefan konnten bisher einen Piep herausbringen, es geht einfach alles viel zu schnell. Stefan ist bereits ausgestiegen, Johan sitzt am Steuer, als könne er es nicht glauben. Dieses Auto zu besitzen, meine ich. Dass seine Schwester manchmal, nun ja … darüber ist er sich natürlich vollkommen im Klaren.

Es ist ein sehr heißer Sommer, ich wiederhole mich. Das gilt nicht nur für Straßenbeläge, sondern besonders für Motorhauben frontbetriebener Personenkraftwagen, wie ich nach einer Schrecksekunde spüre. Ich hüpfe mit medium durchgebratenen Fußsohlen vor der Garage herum und starre auf meine knallroten Handflächen. Mich wundert, dass der grüne Lack dieser Scheißkarre keine Blasen wirft. Die Sonne von oben hat die Haube zusammen mit dem Motor von unten fast zum Glühen gebracht! Giftgrüne Glut! Also tue ich instinktiv etwas, um die Hitzeeinwirkung und damit die Schmerzen an Händen und Füßen zu reduzieren – ich springe Stefan auf den Arm. Er fängt mich halbwegs galant, was bei 53 Kilo keine Meisterleistung ist, und hält mich mit offenem Mund in den Armen. Mit einem Gesichtsausdruck, als wäre die Sonne für ihn gerade zum allerersten Mal in seinem Leben aufgegangen. Gleichzeitig passiert etwas, womit ich überhaupt nichts anfangen kann: Er krümmt sich plötzlich vor Schmerz und lässt mich fast fallen. In letzter Sekunde kann ich mich auf die Beifahrerseite der Froschkarre retten und hellbraunes Kunstleder schnauft überrascht auf. Draußen windet sich Stefan mit glasigen Augen neben dem Auto und meine Schadenfreude verwandelt sich augenblicklich in Sorge.

»Was hast du? Ist dir nicht gut?«

»Doch«, stöhnt Stefan und klingt wie das genaue Gegenteil. Ich sehe Johan an, der seinen Blick unter Aufbietung all seiner Kräfte vom Armaturenbrett losreißt und mit den Achseln zuckt.

»Keine Ahnung. Er war im Krankenhaus, will aber nicht damit rausrücken, wo sie ihm was abgeschnitten haben.« »Blinddarm vielleicht«, rate ich.

»Genau«, seufzt Stefan, wischt sich eine Schmerzensträne von der Wange und versucht abzulenken: »Wie geht’s dir denn, Bo?«

Ich puste vorsichtig in meine Hände. »Bin verletzt. Wer trägt mich rein?«

Johan hat mich überhaupt nicht gehört und Stefan sieht ehrlich traurig aus, denn er kann es offensichtlich nicht mehr. Irgendetwas in seiner Mitte muss kaputtgegangen sein, als ich Stefan in den Arm gehüpft bin.

»Leistenbruch?«

»Nee, ist schon wieder gut«, antwortet er.

Mick kommt herangeradelt und winkt uns zu. Beim Anblick des Wagens lässt er sein Fahrrad achtlos in unseren Vorgarten fallen. Sein begeistertes Gesicht erscheint in der Beifahrertür.

»Boahh! Was für’n geiles Gerät!«

Dass er nicht mich damit meint, erklärt sich aus der Tatsache, dass mir mein neuer erster RICHTIGER Freund keinen Begrüßungskuss gibt, sondern meinen Bruder Johan anstrahlt. Dabei sind Mick und ich erst seit vier Wochen und drei Tagen zusammen! Vorher kannte er meinen Bruder nicht einmal.

»Mach mal an«, fordert er Johan auf und drückt mir seine Lippen beiläufig auf die Wange. So, als wären wir seit dreißig Jahren verheiratet. Aber ich habe gerade andere Sorgen, an Händen und Füßen. Auf einmal bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich mich mit diesem Wagen jemals anfreunden werde. Bisher hat er mir jedenfalls nicht gerade Glück gebracht.

Johan tritt die Kupplung, legt Daumen und Zeigefinger feierlich auf den Zündschlüssel und macht es extra spannend. Stefan und Mick klettern auf den Rücksitz und Mick sieht zwischen Johan und mir begeistert nach vorn durch die Scheibe, obwohl dort nur das Garagentor der Goldbergs zu sehen ist.

Müsste mal wieder gestrichen werden, denke ich mit Blick auf die Roststellen. Dann springt der Motor blubbernd an und Mick brüllt außer sich vor Freude: »Mann! Das is’n Ford Granada Ghia! Von vierundsiebzig, oder? So einen fahren die Spinner in Absolute Giganten! Das ist mein Lieblingsfilm!«, raunt er mir begeistert zu. Und ich nehme mir vor, es mir zu merken, auch wenn ich gerade echt andere Sorgen habe. Was nun endlich auch meinem Freund mit Blick auf meine knallroten Handflächen auffällt.

»Was ist dir denn passiert?«

»Curiosity Kills the Cat«, antwortet Johan an meiner Stelle.

»Curiosity KILLED the Cat«, verbessert Stefan von hinten, »Ben Volpeliere-Pierrot, Julian Godfrey Brookhouse, Nicholas irgendwas mit ›B‹ im Mittelnamen Thorpe und Migi, dessen vollen Namen weiß ich auch nicht mehr. Aber ihr Album Keep Your Distance war 1980 fast dreizehn Wochen in den britischen Top Ten.«

»Dein Punkt Schneiderlein. Du bist und bleibst der Beste«, gibt Johan beeindruckt zu.

»War 80 das Jahr von Blade Runner?«, will Mick wissen.

»Nee, Blade Runner hatte 1982 Kinostart in den Staaten, ‘83 bei uns.«

»Na, großartig. Ich sitze mitten in einem Witz. Treffen sich ein Musik-Nerd ein Film-Nerd und ein Autofreak. Sagt der Film-Nerd zum Musik-Nerd …« Aber Johan gibt Gas und unterbricht meine Tirade: »Ich will noch ’ne Runde fahren.«

»Aber nicht ohne uns!«, sagt Mick.

»Ich will auch mit«, verlange ich. »Muss aber vorher kurz rein. Ich brauche Salbe und Schuhe und so was.«

»Süße, du brauchst ganz besonders ’n Hemd oder so was«, sagt Mick mit Blick auf meine Brüste und Seitenblick auf Stefans Stielaugen.

»Ich müsste mal kurz ins Bad«, bittet Stefan verlegen.

»Na, dann macht hin. Dalli«, verlangt Johan. »Ich warte im Wagen.«

»Natürlich. Wahrscheinlich übernachtest du ab jetzt in der Karre, was?«, sage ich, doch mein Bruder reagiert nicht. Er genießt gerade den Anblick irgendeiner Anzeige im Armaturenbrett.

Ich versuche, ohne Handflächen und Fußsohlen zu benutzen, aus dem Auto zu steigen. Dabei muss ich ungefähr so aussehen wie eine betrunkene Spinne.

Endlich erbarmt sich Mick und hilft mir aus dem Wagen. Er gibt mir einen Kuss und trägt mich über die Schwelle ins Haus. Das fühlt sich allerdings SEHR COOL an!

PEDAL TO THE METAL!

EPISODE ONE

Ich habe meine Wunden gepflegt und wir haben uns alle frisch gemacht. Alle, bis auf Johan, der führt unseren Eltern während der Wartezeit seine Neuerwerbung in der Einfahrt vor.

Winken, Abfahrt, Richtung Autobahn.

Johan, König der Landstraße, sieht Mick, der neben mir auf der Rückbank sitzt, über den Rückspiegel an und grinst wie ein Hauptgewinner.

»Um genau zu sein, handelt es sich bei diesem Fahrzeug um den Ford Granada Ghia Coupé von 1975, mein junger Freund.«

»Ey, werd nicht zu cool, Brüderchen!«, gehe ich dazwischen.

Doch Mick ist einfach nur begeistert, er winkt ab und drängt sich wieder zwischen die Vordersitze, wo Johan thront und Stefan sich im Beifahrersitz um Haltung bemüht. Immer noch leicht gekrümmt, aber wenigstens keine Tränen mehr in den Augenwinkeln.

»Drei-Liter-Maschine. In elf Komma zwei Sekunden auf hundert. Fährt 182 Spitze!« Johan ist nicht zu bremsen. Ich mache einen Versuch: »Und was verbraucht die Karre?«

Johan kratzt das nicht. »Knapp zwölf Liter auf hundert. Wenn ich drauftrete, na ja, dann wohl mehr.«

»Super!«, sagt Stefan trocken. Und ich bin mir nicht sicher, ob er die Benzinart meint oder ob er sich darüber lustig machen will, dass dieses Auto ein Fass ohne Boden ist.

Wir passieren schweigend die Tankstelle mit der Muschel im Emblem, dann die blaue Tanke als »letzte vor der Autobahn«. Ich lese die Preise und denke: Wow! Ganz schön teuer!

Johan fährt geschmeidig und sauber, das muss ich ihm lassen. Sein Vater fährt auch so. Ich erkenne Lars zum ersten Mal in Johan. Das ist ein merkwürdiges Gefühl. Besonders wenn man diese Beobachtung mit der Frage kombiniert, ob ich dann wohl so werde wie Senta. Aber zurück zum Verbrauch, ich rechne aus, dass Johan von hier bis in die nahe Großstadt und zurück etwas um die 13 Euro auf der Straße lassen wird. Mir bleibt die Luft weg.

»Sag mal, Brüderchen … ist dir klar, dass du mit dieser Kiste deine Kohle schneller verheizen wirst, als ich mein Geld verfluchen kann?«

Mick und Stefan wissen nicht wirklich, wovon ich rede. Aber es interessiert sie auch nicht. Sie hängen ihre Köpfe aus dem Fenster und lassen sich nach der Kurve der Autobahnauffahrt begeistert von Johans Geschoss den Atem nehmen, als er beschleunigt. Ich werde in die weiche Rückbank gepresst und die Schilder für Geschwindigkeitsbegrenzung fliegen an uns vorbei.

»Ist dir das klar?«, hake ich nach. Johan deutet lächelnd auf einen Schalter mit kleinen Lämpchen, links neben dem altertümlichen Kassettenradio, aus dem leise Highway to Hell klingt.

(Stefan: »AC/DC 1979 – beste australische Single aller Zeiten!«

Mick: »Der Film von ’92 war totaler Schwachsinn, aber der Low-Budget-Film von 1990 war nicht schlecht. Nicht zu verwechseln mit dem Filmtitel Hell’s Highway von 1930 und 2002.«)

Ich überlasse die Fachidioten ihren gegenseitigen Erläuterungen und lasse mir von Johan den kleinen Druckschalter mit den vier blauen Dioden und dem kleinen roten Stern auf dem Schalter erklären: »Das Geheimnis ist Autogas. LPG als Abkürzung für Liquified Petroleum Gas … Flüssiggas!«

Nun horchen auch die Jungs plötzlich auf.

»Wir fahren mit Gas?«

»Echt? Mit Erdgas?«

»Nein, Erdgas ist ein anderes System. Wir fahren mit einem Gemisch aus Propan und Butan, das flüssig in einem Tank im Kofferraum transportiert wird. Erdgas kann man nur in gasförmigem Zustand tanken. Unter einem viel höheren Druck.«

»Ist Gas nicht gefährlich?«

»Nicht gefährlicher als Sprit. Im Gegenteil …«

Johan macht sich den Spaß, einmal richtig Gas zu geben (haha...) und überholt ein neues Mercedes Cabrio. Die Tussi am Steuer lächelt meinen Bruder tatsächlich an, als er sie kurz vor dem Tunnel überholt. Doch er ist natürlich zu lässig, um sich mit so einer abzugeben. Er fährt den Granada wie ein König und lenkt sein gasbetriebenes Schlachtschiff in den Tunnel. Die kleineren Wagen verdrücken sich von der linken auf die mittlere und rechte Spur. Wir fahren einen großen Bogen über den Fluss und werden mit einer Menge interessanter Fakten über Autogas und Ökologie versorgt. Johan hat sich umfassend informiert. Flüssiggas kostet tatsächlich weniger als die Hälfte von Sprit, Tankstellen gibt es in der Umgebung ebenfalls genug. 80 Prozent weniger Schadstoffe, der Motor wird geschont und, und, und.

»Warum fahren dann nicht alle mit Gas?«, will Mick wissen.

»Wieso hören nicht alle Mose Allison?«, gibt Stefan zu bedenken.

»Oder sehen sich alle Folgen der Sopranos hintereinander an?«, nickt Mick.

Drei Männer, die sich verstehen.

Manchmal kapiere ich nicht, was Menschen zu Verbündeten macht. Mick kennt Stefan und Johan keine acht Wochen. Er ist zwei Jahre jünger als Jo und ein Jahr jünger als der Schneider. Obwohl man das nicht unbedingt schätzen würde, wenn Stefan und Mick nebeneinander stehen. Mick ist schon etwas kompakter. Wenn er die Oberarme hebt, schwellen dort Muskeln, die bei mir … lassen wir das. Aber wieso darf er plötzlich mit Johan und seinem Kumpel auf die Überholspur? Es ist mir ein Rätsel.

Ich schiele aus dem Fenster, versuche, meine brennenden Fußsohlen zu vergessen und träume von den Ferien. Schöne Träume. Dieses Jahr wird Lars länger arbeiten müssen. Wir werden nicht gemeinsam in Urlaub fahren. Es ist das erste Mal. Aber um ehrlich zu sein, finde ich es nicht besonders schlimm. Johan hat das Auto, damit fahren er und Stefan nach Schweden, Opa besuchen. Meine Eltern bleiben noch eine Woche hier und reisen dann hinterher. Micks Vater ist im Krankenhaus, deshalb fahren Mick und seine Eltern nicht in Urlaub. Und die liebe Bo bleibt ebenfalls hier. Mick und Bo allein zu Haus. Alles klar? Haha!

Bis vor acht Wochen war ich nicht besonders scharf darauf, meine »Unschuld« zu verlieren. Dieses blöde Wettrennen der anderen Hühner, wer welchen Typen zuerst bekommt. Aber seit ich Michael Berger kenne, ist ALLES anders geworden. Ich verzehre mich nach Mick! Jede Minute, die er nicht an meiner Seite ist, jede Sekunde, die ich nicht an ihm riechen oder knabbern kann, ist für mich verschenkte Zeit. Es geht nicht darum, unbedingt mit ihm zu schlafen. Es wird die Vollendung dessen sein, was wir mit Händchenhalten und Knutschen und – ja doch – auch mal der Hand unterhalb der Gürtellinie getan haben. »Es« bei einem Kaminfeuer zu tun – im Wohnzimmer meiner Eltern. Das ist eine Sache, für den ich gern auf den Familienurlaub verzichte. Denn Mick ist ein Traum! Hoffentlich ist es nicht zu heiß, um den Kamin anzuschüren. Nicht, dass wir deswegen bis zum Herbst warten müssen!

Als Mick und Stefan sich über die Kopfstütze der Beifahrerseite High Five geben, wache ich aus meinem Tagtraum auf. Ich bemerke, dass Mick sein Laptop auf dem Schoß hat und sich durch irgendwelche Listen klickt.

»Was ist los?«, will ich wissen und kassiere eine wütende Gegenfrage von Johan: »Dumme Kuh, wieso hast du mir nicht geholfen? Du kennst dich mit diesem Scheiß doch aus. Auf welchem Planeten bist du denn?«

Da ich schlecht zugeben kann, dass ich einen kurzen Trip mit (T)Raumschiffkapitän Mick auf Planet Sex im Entjungferungssystem hinter mir habe, benutze ich eine gute alte Taktik, die immer funktioniert. Ich feuere aus allen Rohren zurück: »Guck lieber auf die Straße, du Penner, wie viel hast du diesmal verloren?«

Es ist ein Schuss ins Blaue, aber Johan zuckt zusammen und starrt verbissen über sein Lenkrad hinweg.

»Zwanzig«, flüstert Mick und grinst. Diese Wettleidenschaft der Jungs ist auch so eine neue Macke. Drei Klugscheißer unter sich und immer geht es um Geld.

»Jo wusste den Mittelnamen von James T. Kirk, dem ersten Kapitän der Enterprise, nicht.«

»Tiberius«, murmele ich abwesend und sehe, dass Mick Wikipedia um diese Information bemüht. Stefan und Mick johlen und schlagen Johan auf die Schulter. Erst jetzt fällt mir auf, dass wir nicht mehr auf der Autobahn sind, sondern bereits auf dem Zubringer an McDonald’s vorbei in unsere Stadt zurückfahren. So lange war ich auf meinem Traumtrip? Wahnsinn. Doch etwas anderes irritiert mich ebenfalls.

»Wie lautete die Frage denn genau?«

»Wir haben Johan nach dem Mittelnamen des ersten Kapitäns der Enterprise gefragt«, antwortet Stefan von vorn. Der Triumph ist deutlich in seiner Stimme zu hören. Schade, dass ich ihm den Spaß verderben muss.

»Und was hat Johan geantwortet?«

»Nichts!«, sagt Mick und grinst.

»Tiberius, Tiberius … da kommt ja auch kein Schwein drauf! Der hieß einfach immer James T. (›Tiiih‹) Kirk, verdammt!«

Schade, dass ich meinem Bruder in diesem Fall helfen muss, denn verdient hat er es ganz sicher nicht. Man denke an seine Geheimnistuerei um den Wagen. Aber Wahrheit muss Wahrheit bleiben. Ich stoße Stefan an, der sich den Zwanziger von Johan bereits hat geben lassen und sage: »Leg noch zwanzig drauf und gib Johan die Kohle.«

»Wieso?«, protestiert Stefan. »Er hat doch nicht geantwortet.«

»Natürlich nicht«, sage ich und versuche, nicht klugscheißerisch zu wirken, da uns die ganze Sache sonst um die Ohren fliegt. Schließlich weiß ich, wie Jungs sind, die glauben, im Recht zu sein. Also lieber bei den reinen Fakten bleiben. So neutral wie möglich: »Der erste Kapitän der Enterprise hatte keinen Mittelnamen. Er hieß Christopher Pike und befehligte das Raumschiff Enterprise in einer Pilotfolge, die der amerikanische Fernsehsender NBC im Jahr 1964 von Gene Roddenberry, dem Erfinder von Star Trek, herstellen ließ. Die Pilotfolge hieß The Cage. Zu Deutsch: Der Käfig. Die Folge wurde von den Senderleuten für zu anspruchsvoll gehalten und verschwand in der Schublade. Erst in der zweiten, komplett neu produzierten Pilotfolge saß Kapitän James Tiberus Kirk auf der Brücke der Enterprise.«

»Das ist Haarspalterei«, wehrt sich Stefan. Mick beginnt, wie ein Geisteskranker auf seinem Laptop herumzutippen. Irgendetwas irritiert mich daran.

»Ihr habt nach dem Mittelnamen des ersten Käptens gefragt und Johan hat geschwiegen. Richtig?«

»Weil er nichts wusste!«

»Das habe ich nicht gesagt«, wendet Johan ein und grinst mich über den Rückspiegel an. Mick tippt und verlangt: »Halt mal an.« Johan schert in die Bushaltestelle gegenüber von McDonald’s ein. Ich bekomme Appetit. Da es leicht fettig von dort herüberweht, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Stefan dreht sich zu mir um, er ist nun richtig sauer und zerknüllt den Zwanziger in seinen verschwitzten Händen.

»Du hast gesagt, sie hätten die Folge in die Schublade getan. Also wurde sie nie gesendet. Dann gilt das nicht! Dann war Kirk der erste Kapitän!«

»Pike hat die Enterprise zuerst befehligt«

»Nie gesendet!«, ruft Stefan laut.

»Er ist mir der Scheiß-Enterprise aber zuerst GEFLOGEN!«, brülle ich zurück, so laut, dass alle im Wagen zusammenzucken.

»Bo hat Recht«, sagt Mick schließlich und dreht den Bildschirm des Laptops zu Stefan nach vorn. Ich beuge mich vor, damit ich besser sehen kann. Eine Homepage mit grauem Hintergrund, die ich kenne, war selbst schon auf memory-alpha.org. Auf der Seite ein kleines Bild von der Brücke der Enterprise. Der Typ im Chefsessel ist definitiv nicht Kirk. In der Beschreibung wird Christopher Pike genannt. Stefan, der schlechte Verlierer, nörgelt: »Aber sie haben es nicht gesendet!«

Doch unter dem Bild steht in einem Kästchen: »Orig. Erstausstrahlung 24. 12. 1993.«

»Ja klar«, wehrt sich Stefan kraftlos. »Die zeigen das Ding dreißig Jahre später am heiligen Abend. Sonst noch was?«

Ich lese vor, was unter der Überschrift »Hintergrundinformationen« über die Folge The Cage berichtet wird: »Über die Jahre war ein Großteil des Filmmaterials verschwunden oder nur in Schwarz-weiß auffindbar, vorhandene Reste wurden für Talos IV – Tabu, Teil I und Teil II wieder verwendet. Erst vor einigen Jahren tauchten die vollständigen Filmrollen in Farbe wieder auf, wurden neu zusammengefügt, gemastert, vertont und schließlich veröffentlicht.«

Stefan zerrt mit schmerzverzerrtem Gesicht einen Geldschein aus seiner Hosentasche und reicht ihn Johan, zusammen mit dem Zwanziger, den er ihm vorher abgeknöpft hatte. Ich notiere im Hinterkopf, dass diese Rettung meines Bruders später als Argument für geklaute Erdnussflips und die Spuren davon auf seinem Bett herhalten kann. Dann kapiere ich plötzlich, was mich die ganze Zeit irritiert! Ein riesiges Fragezeichen erscheint in meinem Kopf. »Wie kannst du im Auto auf dem Rechner nachsehen, ob ich Recht habe? Ich meine … wieso kannst du mit deinem Laptop HIER ins Internet? Im Auto?«, frage ich völlig entgeistert.

»WLAN«, antwortet Mick ungerührt und klickt sich bis zur ersten Folge mit Kirk auf dem Fan-Wiki zum Thema Star Trek durch und grinst mich an.

»Macdoof hat doch ’n Hotspot. Über die kann ich ins Internet.«

Wehlahn? Hottspott? Ich kapiere überhaupt nichts. Muss leider zugeben, dass Computertechnik nicht gerade zu den Dingen gehört, womit ich mich auskenne. (Oder die mich interessieren!)

Die Jungs lachen, Johan ebenfalls. So, als hätte ich ihm NICHT eben erst den Arsch gerettet. Er bekommt gerade rechtzeitig mit, dass es nach Ärger zu riechen beginnt, und erklärt mir eilig: »Das ist wie Funk. Wenn irgendjemand sein drahtloses Netzwerk zur Verfügung stellt, kann man mit der richtigen Hardware über diesen Weg ins Internet. Hast du dich nie gefragt, wieso Papa dauernd mit seinem Laptop im Garten sitzt?«

»Weil er arbeitet?« Falsche Antwort. Johan kriegt sich vor Lachen fast nicht mehr ein und grölt: »eBay! Der surft die ganze Zeit bei eBay herum!«

»Du kannst wieder fahren«, sagt Mick zu Johan und klappt das Laptop zu. »Damit kann ich in ein Funknetzwerk einsteigen … äh … ins Internet gehen, wenn irgendwo ein Netzwerk, also ein Hotspot ist.«

»Die Burgerbude?«, will ich wissen. Mick nickt.

»Und das kostet nichts?«

Mick schüttelt den Kopf. »Solche Hotspots gibt es in Cafés, am Flughafen, halt überall, wo sich Menschen treffen.«

»Die anstatt miteinander zu reden lieber rumsurfen und E-Mails schreiben?«, frage ich, ganz die kritisch recherchierende Journalistin.

Wieder nickt mein Freund. Aus irgendeinem Grund wird Stefan immer kleiner auf dem Vordersitz und erregt mein Misstrauen. Johan schielt mich durch den Rückspiegel an. Ich denke nach. Über den Begriff »Netzwerk« und über Lars, der im Garten sitzt und surft. Obwohl er natürlich in seinem Arbeitszimmer den Rechner mit der Internetverbindung hat.