Mona - Und täglich grüßt der Erzdämon - I. B. Zimmermann - E-Book

Mona - Und täglich grüßt der Erzdämon E-Book

I. B. Zimmermann

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Beschreibung

Funtasy Romance mit Biss

Nachtwächterin im Museum – die ungeschickte Hexe Mona braucht diesen Job dringend. Als sich während ihrer Schicht ein schwarzmagischer Einbruch ereignet, ruft Mona verzweifelt einen Erzdämon zu Hilfe. Der vertreibt den räuberischen Vampir, doch die wahren Probleme fangen damit erst an: Der ebenso charmante wie missgelaunte Dämon Balthasar ist nun an Mona gebunden und muss herbeieilen, wann immer sie Hilfe braucht – egal, ob gegen dunkle Magie oder störrische Marmeladenglasdeckel. Nur widerwillig arrangieren sich Mona und Balthasar mit ihrem Paktunfall. Als jedoch der vampirische Magier zurückkehrt, ist ein flirtender Dämon nicht länger Monas größte Sorge …

Einfach magisch: für alle Fans von romantischen Fantasy Büchern mit einer ordentlichen Portion Humor.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 560

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Originalausgabe

© 2021 YUNA Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: I. B. Zimmermann, unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock (Syda Productions), Envato Elements (Dinabelenko, twenty20photos, LightFieldStudios) und Artbreeder

Illustrationen: I. B. Zimmermann, Shutterstock (zef art, dazzleofdaisies, tubiry.photography, wrangler, Cranach, Mitzo, Alexander_P, Croisy), Envato Elements (DragonImages, Netfalls, seregam, buydesign, GoDoodle, twenty20photos, diignat, halayalex), Maja Markelow

Layout/Satz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-28553-1V001

Dieses Buch widme ich dem Team Schreibgeheimnis. Danke für euren Mut und eure Energie.Für mehr F(u)ntasy!

Kapitel 1 Die Bewährungshexe

Sie war sehr versucht, von ihren Hexenkräften Gebrauch zu machen. Nur die mit der Magie verbundene Strafe hielt Mona davon ab, ein paar platzschaffende Flammen zu beschwören. Der Bus war so voll, dass sie vor der Wahl stand, sich das Gesicht an der Fensterscheibe platt zu drücken oder den Kopf in die Armbeuge des muskulösen Mannes vor ihr zu stecken. Der Geruch seines Deodorants biss ihr in die Nase, aber es gab Schlimmeres als Zedernholz mit Moschus. Etwa die zwei Zombies, die sich nahe der Bustür an eine Stange klammerten und bei jeder Kurve hin und her schlackerten. Dem Verwesungsgrad und Gestank nach zu urteilen handelte es sich um ehemalige Wasserleichen.

Mona atmete gestresst durch und bereute es sogleich. Die stickige Luft schnürte ihr den Hals zu. Nur noch zwei Stationen durchhalten, die Fahrt kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Von Offenbach am Main bis nach Frankfurt mit dem Bus zu fahren war lästig, aber da sie dazu neigte, in die falsche U-Bahn-Richtung zu steigen, blieb ihr keine Wahl. Mona kannte ihr Glück – so oft, wie sie zu Studienzeiten Busse und Bahnen verpasst hatte. Völlig egal, wie gut sie auch vorplante, wie früh sie aufstand, das Leben schmiss ihr Steine in den Weg. Manchmal flogen dabei sogar Autos und letzte Woche hatte sich ein Straßenpantomime auf ihre Schuhe übergeben.

Wer so vom Pech verfolgt wurde, gab irgendwann auf, aber der heutige Tag war zu wichtig für solche Pannen. Mona hatte jedes erdenkliche Ritual für gutes Karma durchgeführt, das sie erlernt hatte. An ihrem Schlüsselbund hingen dralle Glücksschweinchen und eine Hasenpfote aus Plastik. Sie hatte auf dem Weg zur Haltestelle auf jedes Stück Holz dreimal geklopft. Leider war Beten für eine Hexe sinnlos. Bisher schienen ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt, sie würde gerade so pünktlich sein.

Mit einem Ruckeln kam der Bus zum Stehen und das erste newtonsche Gesetz zerrte Mona beinahe in eine ältere Dame, die sofort pikiert zu ihr aufsah. Rot geränderte Augen stierten durch eine dicke Brille, und Mona nuschelte hastig: »’tschuldigung!«

Verlegen lächelnd hielt sie dem prüfenden Blick der Frau stand. Wie diese über die düsteren Tattoos, die schwarzen Haare und den dazu passenden Schmuck urteilte, konnte Mona sich denken. Das gezischte »Immer diese Gruftis« ließ sie lieber unkommentiert, und zum Glück wandte sich die Dame wieder um, dabei weiterhin unflätig vor sich hin murmelnd.

Die Tür schloss sich unter lautem Piepsen, und der Bus nahm Fahrt auf. Nervös schielte Mona zum Ausgang. Nur noch eine Haltestelle. Gleich hatte sie es geschafft. An der Stange direkt an der Tür baumelte ein vergessener Arm, und erinnerte Mona mahnend an ihre heutige Aufgabe. Sollte sie den Job als Mumienwächterin nicht bekommen, drohte ihr der Dienst auf den Straßen. Dann würde man sie rufen, wenn ein Zombie mal wieder seine Gliedmaßen liegen ließ, ein Geist vom Dönerspieß Besitz ergriff, sich ein betrunkener Vampir festbiss oder ein Werwolf einen Hydranten begattete. Allein bei dem Gedanken an die Arbeit als Streifenhexe bekam Mona Gänsehaut. Nein, es gab leider keinen Unterschied, ob man nun ein Knöllchen für ein Fahrzeug oder einen zu tief fliegenden Blutsauger ausstellte – es endete immer in Formularen, Formalitäten, Verfahren, Akten, Protokollen. Eine stumpfe, unkreative Aufgabe.

Leider kamen für Mona jedoch nur wenige andere Berufe infrage. Als Hexe musste sie in den Staatsdienst, und wissend, was sie erwartete, hatte sie zwei extra Semester in Fluchkunde belegt. So war sie nicht nur in den Genuss gekommen, für einige Zeit Ägypten zu besuchen, sie eignete sich nun auch für die Forschung. Und dieses Vorstellungsgespräch war ihre Chance. Es ging um einen Fluch, und der führte sie direkt in das Mythohistorische Museum voller spannender Relikte.

Das Klingeln der nächsten Station holte sie aus den ratternden Gedanken. Hektisch blickte Mona sich um, stierte nun in die Achsel des großen Mannes. Der Berg aus Muskeln blockierte sie, und ihr blieb keine andere Wahl, als ihn anzustupsen.

»Ehhh«, machte sie leise, doch der Kerl rührte sich nicht, starrte nur weiter schweigend auf sein Smartphone.

»Entschuldigen Sie? I-ich muss hier raus?« Wieso sie diese Dringlichkeit als Frage formulierte, wusste sie selbst nicht. Der Kopf des Hünen, dessen dralle Oberarme über unnatürlich viele Muskeln verfügten, drehte sich nur langsam.

»Machst du bitte Platz?«, bemühte sich Mona mit Nachdruck, aber der Mann blickte erst mal nach unten, direkt auf ihre Schuhe – schwarzes Leder, dicke Sohle. Seine Augenbrauen hoben sich, als er die Leggings mit den Spinnennetzen entlang mit dem Blick weiter emporwanderte. Bei dem Schlangentattoo auf ihrem Dekolleté blieb er hängen und wieder sah sich Mona sehr versucht – sie bräuchte nur zu schnipsen und ein paar Flammen würden ihr Platz schaffen und ihm das Gaffen vermiesen. Ihre Nervosität mischte sich mit Wut.

»Ich muss hier gleich raus und …«

Der Bus bremste unerwartet hart, und Mona kämpfte mit aller Kraft dagegen an, nicht in den Fleischberg geschleudert zu werden. Offenbar mussten einige Leute an der Museumsecke aussteigen und im Gang tummelten sich auf einmal mehr Menschen, als in den Bus hätten passen sollen. Nervös reckte Mona den Kopf. Das durfte doch nicht wahr sein! Da stand sie schon nahe der Tür und trotzdem kein Durchkommen. Sie war regelrecht eingekeilt. Es erklang das unangenehme Piepen der sich bald schließenden Türen. In Mona breitete sich kribbelnde Panik aus, und sie ballte die Fäuste. Zu diesem Termin durfte sie nicht zu spät kommen – ihre letzte Chance: entweder Bewährungshexe für diese verfluchte Mumie oder für die nächsten Jahre Zombiemutti auf den Straßen Frankfurts. Fast schlimmer noch als der damit drohende Papierkram waren die finanziellen Aspekte. Vielleicht durfte sie ihre Wohnung nicht behalten, musste gar wegziehen, irgendwohin, ans Ende der Welt, oder zurück zu ihrer Mutter? Nein, auf gar keinen Fall. Ihre Selbstständigkeit, ihr Lifestyle! Monas Herz stolperte merklich – augenblicklich flammten ihre Fäuste auf, begannen zu glühen.

»Wiiiiiiie, wie, wie, wiiiiie?«, erklang es quietschend hell neben ihr.

Der Muskelberg machte einen Satz zurück, prallte gegen die ältere Dame und riss zwei Teenager um. Hastig schüttelte Mona die Hände und versteckte sie unter ihrer Armbeuge, ihre Finger kribbelten. Wenn ihre Kräfte außer Kontrolle gerieten – ausgerechnet heute, dann …

»Hex-he-he, du bist eine He-he-«, begann der Mann und deutete auf sie. Überfordert starrte Mona ihn an, überlegte, was sie gleich erwidern musste, wollte schon nach ihrem Ausweis greifen, da bemerkte sie jedoch die sich schließenden Bustüren.

Nicht nur im Bus, auch in ihrem Kopf entbrannte eine Kettenreaktion. Der Rempler des Typs, die fallenden Teenager – wie Dominosteine kippten Kinderwagen, Einkaufskörbe und Pfandflaschen im Bus. Von irgendwoher flog ein Zombieschädel mit einem Röcheln durch die Luft. Pures Chaos herrschte und trotzdem – die Türen schlossen sich weiter, die Räder zischten schon, Monas Finger ebenso – nein, sie würde nicht zurück zu ihren Eltern ziehen!

»Verflixter Dreck!«

Sie schnipste.

Es knallte.

Durch den Bus ging ein Ruck. Erneut holte es auch Mona fast von den Beinen. Stimmengemurmel, Schimpfen und ein brüllender Busfahrer. Dafür würde sie sich später verantwortlich zeigen, mal wieder – jetzt war nur eines wichtig. Mona hechtete durch die Bustüren und stürmte aus dem langen Gefährt, dem alle Reifen geplatzt waren. Das Durcheinander im Bus war zu groß, niemand folgte ihr, als sie zielstrebig in Richtung des Mythohistorischen Museums steuerte, dabei nervös ein paar letzte brennende Finger ausschüttelnd.

Kapitel 2 Mumienpflege

Mona war eine Hexe.

Das klang zunächst spannend, aber für sie war das nur ein Job. Und genau dieser führte sie heute vor die Bürotüren eines schmalen Gangs innerhalb des Mythohistorischen Museums in Frankfurt am Main. Früher hatte sie ihre Besuche in den prall mit Wissen gefüllten Mauern geliebt, ohne zu ahnen, wie viele Schreckgestalten hinter Glasvitrinen darauf warteten, irgendwann von ihr abgestaubt zu werden. Schlimmer noch, bald sollte sie die Verantwortung für eine verfluchte Mumie am Hals haben.

Die Besuchszeit näherte sich dem Ende, aber in den Gängen hinter den öffentlichen Räumlichkeiten herrschte sowieso gähnende Leere. Mona war zu ihrer eigenen Überraschung viel zu früh und fand sich in einem schmalen Flur vor dem Büro des Rektors wieder. Glücklicherweise stand eine kleine Bank im Durchgang. Monas Herz klopfte ihr bis zum Hals. Nichts machte so nervös wie das Warten vor einem wichtigen, alles entscheidenden Gespräch.

Zwar hatte das Amt sie geschickt, dennoch konnte der Direktor sie ablehnen. Ihre Hoffnung war die bevorstehende Ausstellung im Museum. In wenigen Tagen schon sollte die neue ägyptische Abteilung eröffnen, und dann brauchten sie dringend eine Fachkraft für die dortige Mumie, das war gesetzlich so verankert.

Sonotep war verflucht, und hatte sich sein Fluch auch noch nicht erfüllt, es konnte jederzeit so weit sein, und für den Fall der Fälle stellte man eine Hexe ab, um ihn zu bewachen. Zumindest jetzt brauchten sie Mona. Trotzdem, der erste Eindruck entschied, ob sie dauerhaft bleiben würde – gesetzliche Beschlüsse hin oder her, auch sie hatte sich in der Probezeit zu beweisen. Es war ihr schleierhaft, wie man ihr diesen Posten zuteilen konnte. Ihr, einer Junghexe der neunten Instanz. Lächerlich. Das reichte gerade so zum Kloputzen in einem Spukhaus.

Nicht dass sie sich vor dem Übernatürlichen fürchten musste, damit wurde sie fertig. Ihre Angst galt anderem. Monster, Zombies, Mumien und Geister bedeuteten nämlich vor allem eines: Papierkram. Monas einzige Hoffnung war die angebliche Inaktivität des Pharaos, die würde ihr stumpfsinniges Formularausfüllen erleichtern.

Wobei – Mona war nicht die erste Hexe, die für das Mythohistorische Museum arbeitete. Dieser Ort hatte einige Vorgängerinnen bereits verschlissen, und das ganz ohne Mumie. Zudem hatten diese Hexen alle freiwillig gekündigt, und zwar mit auffällig schlechten Ausreden. Das konnte eigentlich nichts Gutes bedeuten. Aber während die einfachen Hexenden mit ihren Leistungen in Fluchkunde, Beschwörung und Läuterung glänzten, hatte Mona ganz andere Talente, und die konnten sich zum ersten Mal in ihrem Leben bezahlt machen.

Hexen wie Mona wurden nicht in atemberaubenden Zeremonien gezeugt, sie wurden von keiner höheren Macht auserwählt, es erklang weder engelsgleicher Gesang noch schickte jemand eine Eule mit Briefen, die dann den Kamin verstopften.

Nein, Mona war einfach nur mit einem aktiven Übersinnlichkeits-Gen geboren worden. Ein Bluttest, den man seit einigen Jahren bei Neugeborenen machte, hatte ihre angeborene Gabe zutage gefördert. Es war kein angenehmes Talent, wenn einem erkälteten Säugling Feuer statt Rotz aus der Nase schoss und sich daraufhin der Gartentisch entflammte. Grillpartys bekamen eine völlig neue Bedeutung.

Das magische Gen besaßen alle Menschen, aber aktiv wurde es nur selten. Hexenkräfte vererbten sich, und schon Monas Großmutter hatte in der milchigen Suppe einer Glaskugel mehr als nur die üblichen Eisbären im Nebel gesehen. Doch die Begabung der alten Dame war damals übersehen worden. Man hatte sie nur für verrückt gehalten, denn leider sahen Hexende in ihren Kugeln nur Nachrichten von gestern, und wer hörte schon auf eine Oma, die immer wieder Schlagzeilen aus der Vergangenheit weissagte?

Magie war keine mächtige Gabe, vielmehr eine Aufgabe – und eine staubtrockene noch dazu. Was der Sterbliche mystisch und magisch nannte, kommentierte eine Hexe mit einem Augenrollen. Das Studium der Hexerei war ernüchternd fade. Die ganze Welt teilte sich die einzige Universität der Magi in Italien, die eng mit der Kirche zusammenarbeitete. Ein Teil der Lehre bestand aus langatmigem Kirchenwissen, der andere erinnerte an Chemie, der jegliche Logik fehlte.

Meisterin der Alchemie und der Hexerei – das sah auf einer Urkunde fantastisch aus. Goldener Text, ein schwarzer Rabe prangte stolz darüber. Aber Alltagsalchemie ermöglichte es Mona gerade so, ein Shampoo aus Gemüseabfällen herzustellen. Gut, damit glänzte das Haar tatsächlich seidig – ignorierte man die Nebenwirkungen: deutlich mehr Schuppen an munter beißenden Reptilien auf dem Haupt. Aber das waren nur Haarspaltereien. Wozu man solche Rezepturen gebrauchen konnte, wusste Mona nicht. Und die Hexerei erst, ein einziges Chaos aus Zaubersprüchen und Bauchgefühl! Manchmal verwandelte sich jemand in einen Arsch mit Ohren, wenn sie mit dem Finger wütend vor seiner Nase herumwedelte, aber wenn es mal darauf ankam, sprühten ihre Hände nur müde Funken, statt mit einem Zauber den Tag zu retten. Alchemie und Hexerei – Mona nutzte beides eher selten, doch das änderte nichts an ihrer angeborenen Aufgabe.

In der modernen Welt, zwischen Dämonen, Werwölfen, Vampiren, Geistern und Zombies, dienten die Hexenden vor allem einer Sache: Sie sollten die ganzen anderen übernatürlichen Wesen im Auge behalten – das Unvolk.

Hexende waren die magischen Bewährungshelfer. Das einfache Unvolk musste sich meist einmal die Woche bei einer entsprechenden Stelle ihres zuständigen Amts melden und ein Telefonat mit ihrem Bewährungshexenden führen. Eben eine simple Überwachung magischer Kreaturen. Nur mächtigeren Wesen wie Medusen, Werwölfen und Poltergeistern teilte man spezielle Beamtenhexende zu. Für so eine Aufgabe musste man wirklich fähig sein.

Das war Mona definitiv nicht, aber das störte sie auch nicht, denn sie hatte kein Interesse, in der Dreckwäsche eines Draugrs zu wühlen. Wobei, soweit ihr bekannt war, diese Kreaturen meistens nicht einmal Hosen trugen.

Ein nerviges Piepsen riss sie aus ihren Gedanken, und Mona sprang sofort auf. Ihr Smartphone erinnerte sie an den bevorstehenden Termin, und panisch starrte sie auf die leuchtenden Ziffern der Uhr. Alles oder nichts, jetzt musste sie überzeugen. Vorsichtig trat sie vor die Bürotür und klopfte an.

»Herein?«, knödelte eine ältere Stimme durch das Holz.

Rasch öffnete Mona die Tür und schritt in einen Albtraum aus Eiche rustikal und Staub. Zudem hing ein seltsamer Geruch in der Luft. Ein gigantischer Schreibtisch nahm das kleine Büro ein, und Aktenschränke ragten bis zur Decke hinauf. Ein alter Röhrenmonitor und verdächtig viele Kabel verrieten Mona, dass die Digitalisierung hier bei Windows 98 hängen geblieben war.

Ein zu diesem Gedanken passender Stapel Papier türmte sich auf dem Tisch des Direktors. Ein Blick, und Mona wusste sofort, mit was für einem Typ Mensch sie es zu tun hatte. Dieser Mann war Verfechter der alten Sitten, Fürsprecher der sortierten Akten, ein Mensch mit Moral und anständigen Karteikarten. Jemand wie er las die Morgenzeitung und druckte sich die persönliche Startseite seines Facebook-Accounts aus. So auch Monas Profil, das neben ihrem Lebenslauf lag. Sie hatte den Fehler gemacht, ihm alles digital zu senden.

»Kommen Sie, kommen Sie!« Er winkte sie heran, ohne aufzublicken. Mit angestrengten Glubschaugen starrte er auf den zerknitterten Wisch in seinen Händen, las sorgfältig über ihre Unterlagen und nickte. Dünnes Haar, streng nach vorn gekämmt, wippte bei jeder Bewegung, die Flügel seiner großen Nase blähten sich nichtssagend auf. Er war drall, aber unerwartet kräftig, als würde er die Exponate seines Museums persönlich an Ort und Stelle schleppen.

Mona setzte sich langsam und räusperte sich.

Er murmelte lediglich vor sich hin, während sein Blick über Monas Noten und Beurteilungen huschte. »Interessant, wirklich …«

»Ehh«, begann sie, verstummte jedoch, da der Direktor sie anscheinend ignorierte. Hin und wieder blieb er an einer Zeile im Text hängen und grunzte. In Gedanken versunken wanderte er mit seinem Arm suchend über den überfüllten Schreibtisch, er verfehlte den Becher mit den gelben Markern, und seine Finger landeten im Glas daneben. Mona hob überrascht die Augenbrauen, als sie es als Wurstglas erkannte.

Ohne mit der Wimper zu zucken, zog er ein Würstchen aus dem Einmachglas und setzte mit dem Stück Fleisch zum Schreiben an. Rosa Pelle schwabbelte ihm vor der Nase herum und tropfte auf die Papiere. »Oh!«, machte er und runzelte die Stirn. Nach einem Moment der Verwirrung hielt er Mona die Wurst hin, sie baumelte schlaff vor ihrem Gesicht: »Wollen Sie vielleicht? Gute Proteine!«

»N-nein danke!«, stammelte sie, versuchte die Übelkeit mit aller Macht hinunterzuschlucken. Jetzt wusste sie, wieso das Büro so enorm deutsch roch.

Der Direktor zuckte mit den Schultern und biss herzhaft in die kalte Wurst. Nuschelnd buchstabierte er Monas Namen auf blass bedrucktem, aufgeweichtem Papier.

»Ach Mist, ganz verschwommen. Was soll das heißen? Moni?«

»Der Name ist Mona«, korrigierte sie.

»Ah, sehe ich gerade. Dann ist das – Mona Rusla Kaassi…«

»Ursula Kassandra!«

Seine Unterlippe schob sich vor. Aus seinen aufgeblähten Nüstern ragte ein Haar hervor. Mona wusste so langsam nicht mehr, wohin sie noch blicken sollte, und entschied sich für die kleine Fliege, die auf der Fährte des Wurstwasserduftes über den Schreibtisch krabbelte.

»Mhh …«, brummte der Direktor. »Also Mona Ursula Kassandra Nosf… Nooo… Nosfera… aha! Nosferatu, wie der Vampir?« Er klang erwartungsfreudig, doch Mona schüttelte den Kopf.

»Nein, meinen Nachnamen schreibt man mit h hinten und das wird auch mitgesprochen.«

»Nosferah?« Die wulstigen Augenbrauen des Direktors zogen sich zusammen und bildeten tiefe Falten.

»Es heißt Nosferatuh mit tuh. Nicht wie tu«, betonte sie es deutlich.

»Tu? Was tun?«

Offensichtlich hatte sie damit das Denkzentrum des Mannes überlastet, und Mona seufzte lange. Erneut den Kopf schüttelnd holte sie Luft. »N wie Nötigung, O wie Opfer, S wie Sense, F wie Flasche, E wie Eckel, R wie Ratte, A wie Arsen, T wie Tod, U wie Unheimlich und H – H wie Hass.«

Seine Augenbrauen hoben sich wieder, und er dachte für einen Moment zähneknirschend nach. Dass ihr Vorstellungsgespräch bereits an ihrem Nachnamen zu scheitern drohte, konnte nichts Gutes verheißen.

»Verstehe. Verstehe«, meinte er schließlich. »Sie sind also auch nicht mit Lord Nosferatu verwandt?«

»Ja«, erwiderte sie knapp, doch da war erneut dieser verwirrte Blick von ihm.

»Also was jetzt?« Der Direktor klang ungehalten, und Mona zuckte irritiert zusammen.

»Wie was?«

»Sie sind – nicht – verwandt?« Die verlaufene Tinte anstarrend wanderte sein Blick über ihre Dokumente.

Mona wehrte sich verzweifelt gegen den Drang, mit den Augen zu rollen.

»Nein«, versuchte sie es höflich klingend, aber anscheinend verstand der Direktor noch immer nicht. Eine längere Pause entstand. Mona konnte beobachten, wie die Knöpfe seines hellblauen Hemdes bei jedem Atemzug bebten. Der Geruch von billigem Aftershave gemischt mit Wurstwasser und schlecht gelüfteten Räumen bereitete ihr Kopfschmerzen.

»Also noch mal von vorne … Fräulein Nosferatuh mit H und nicht verwandt mit Lord Nosferatu. Richtig?«

»Ja«, entgegnete Mona trocken und verkniff sich sämtliche sarkastischen Antworten. Darin hatte sie Übung. Wieder und wieder hatte sie diese Frage verfolgt, besonders im Studium. Sie als Hexe, das würde doch passen, verwandt mit dem mächtigen Vampirlord. Sie hatte entsprechend schlagfertige Erwiderungen parat.

Nein, er ist meine Mama.

Ja, ich bin es wirklich. Bleh bleh bleh!

Und der Klassiker: Nos Ferah du ich dir doch nicht.

»Schade«, unterbrach die Stimme des Direktors ihre Gedanken, und der Mann zuckte mit seinen kräftigen Schultern. »Wie dem auch sei … Sie kennen sich mit Mumien aus?«

»Durchaus, ja.«

»Sie haben Ihr Auslandssemester in Ägypten verbracht, richtig?«

»Ja.« Es steht doch auf dem Zettel vor dir, fügte sie gedanklich hinzu. Das Semester vermisste sie in diesem Moment schmerzlich. Sechs Monate Ruhe und Frieden zwischen schlafenden Mumien. Sechs Monate Theorie in Flüchen und Verzauberungen, die heute niemand mehr nutzte, benötigte oder einsetzen konnte. Dann galt es, entdeckte Exponate richtig zuzuordnen, neue Flüche zu erkunden, gerade das hatte ihr große Freude bereitet.

»Also kennen Sie die Legende des Sonotep!«

»Ja, und ich bin mit seinem Fluch vertraut! Nocturn, inaktiv, selbstverschuldet, ausgesprochen von seiner Mutter.« Mona nickte noch einmal bestätigend, denn der Direktor schaute sie misstrauisch an. Erstmals betrachtete er sie bewusst. Das war ein gutes Zeichen, er setzte sich näher mit ihr auseinander.

Provokativ schnippte sie sich eine ihrer kurzen schwarzen Strähnen aus dem Gesicht. Neben ihren eher dürftigen Unterlagen hatte sie sich auch optisch gut auf den Termin vorbereitet. Letzte Woche war sie extra beim Friseur gewesen, um ihren langen, geraden Bobschnitt schwarz nachzufärben. Tätowierungen von heidnischen Symbolen zierten ihren bleichen Körper. Engel reichten sich leidend die Hände, Gemälde großer Meister schlangen sich um ihre Arme und eine weiße Ente im Matrosenanzug präsentierte ihren blanken Bürzel zwischen zwei nackten Schlangenfrauen hindurch. Nun, jeder beging Jugendsünden, auch Hexen. Die Halbmondohrringe funkelten, sie besaß die klischeehaft grünen Augen. Schwarzer Nagellack, schwarzer Lippenstift – ausnahmsweise würde ihr Gothic-Look hilfreich sein, dann wie hieß es so schön: »Kleider machen Leute«. Alles an ihr schrie »Hexe«.

Das schien den Direktor jedoch nicht zu überzeugen, auch wenn er nun nachdenklicher wirkte.

Leider brauchte sie diesen Job, das Amt lag ihr in den Ohren und die Sorge um ihre Zukunft zwang sie, den drallen Mann freundlich anzulächeln. Bloß keine stumpfe Streife. Bloß keine Zombies. Monotones Protokollieren von Untoten – nicht auszudenken. Von den wortkargen Gesellen sah sie täglich genug in der Offenbacher S-Bahn. Da kümmerte sie sich lieber um eine Mumie.

Früher oder später würde Sonotep erwachen, und dann brauchte er seine Bewährungshexe. Er rührte sich zwar seit Tausenden von Jahren nicht, doch der Familienfluch des wandelnden Toten konnte sich jederzeit erfüllen. Mona kannte ihr Glück, sie sah sich dem Prinzen in ihrer ersten Spätschicht begegnen. Und dann gab es einen viertausend Jahre alten Ägypter, dem sie Smartphones, das Internet und Bubble Tea erklären sollte. Davor graute es ihr wirklich.

»Nun, das Amt hat Sie uns zugeteilt, allerdings – Ihre Noten und Ihre bisherige Erfahrung … Sie haben gerade erst Ihren Master gemacht«, durchbrach der Direktor endlich die Stille. Was er in der Zwischenzeit auf dem vom Wurstwasser durchweichten Papier entziffert hatte, ohne auch nur seine Augen zu bewegen – Mona wollte es gar nicht so genau wissen.

»Ehh, das stimmt, allerdings habe ich einige praktische Erfahrungen in Ägypten gesammelt.« Eine Lüge, die Mona kurz die Kehle zuschnürte. Nervös schielte sie auf ihre Finger, es fühlte sich so an, als würden sie sich jeden Moment entzünden. Ein Schmerz fuhr durch ihre Gelenke. An der Archäologie hatte sie große Freude gehabt, aber einer verfluchten Mumie war sie noch nie begegnet. Das höchste der Gefühle war eine verwunschene Sphinx gewesen, die nach tausend Jahren Dienst als Tempelwächterin froh war, keine Rätsel mehr rezitieren zu müssen, um Eindringlinge zu testen. Mona hatte sich um ihre Rehabilitation gekümmert und mit ihr Reiseführertexte einstudiert.

»Und Sie sind nun schon die dritte Hexe innerhalb von einem Jahr, besser wird es wohl nicht!«

Alarmiert zuckte Mona zusammen. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie ein schwaches Glühen an ihren Fingerspitzen, hastig schüttelte sie ihre Hand.

»Ich versichere Ihnen, ich bin die richtige Wahl«, log sie und spürte, wie sich erschummelte Grübchen in ihre Wangen drückten, so zwanghaft lächelte sie ihn an.

»Unserem zuständigen Archäologen Professor Koprolith wurden Sie ja auch empfohlen.« Er schaute weiterhin kritisch auf das Papier.

»Ach wirklich?« Das wunderte Mona nun doch. Wer wäre mutig genug, sie zu empfehlen? Jeder, der sie einmal hatte hexen sehen, hätte sich wohl eher für eine Läuterung ausgesprochen.

»Von einem befreundeten Kollegen aus Ägypten. Doktor Attah, glaub ich. Einer Ihrer Lehrer?«

Mona schluckte und spürte, wie ihr Wärme in die Wangen stieg. Doktor Attah war keiner ihrer Dozenten gewesen. Den Mann mit den wilden Augen, den langen braunen Haaren und dem charmanten Lächeln hatte sie einmal in der Bar nahe ihrer Unterkunft in Kairo getroffen, nach zwei Drinks angeflirtet und dann beinahe beim Knutschen auf der Rückbank eines Autos angezündet. Schon bei dem Gedanken spürte sie, wie sich die Hitze erneut in ihren Fingerspitzen ausbreitete. Er hatte es ihr offensichtlich nicht übel genommen, obwohl sie ihn vor lauter Schreck, Scham und Angst einfach hatte stehen lassen. Mitte zwanzig und noch immer keine Kontrolle über ihre Feuermagie, so wurde das nie was mit einer Beziehung. Allerdings erklärte seine Empfehlung Monas Chance auf diesen Posten, denn eigentlich war sie dafür nicht erfahren genug. Doktor Attah kannte ihr Geheimnis, wusste um ihre instabilen Kräfte – irgendwas sagte Mona, dass er sie genau deshalb empfohlen hatte. Offenbar besaß er Einfluss, anders konnte sich Mona die Entscheidung des Amtes nicht erklären.

»Gut!«

Der laute Ausruf ließ sie zusammenzucken. »Ehhh?«

»Hilft ja alles nichts, wir brauchen Sie. Wir haben eine Bewährungshexe dringend nötig!«

Nervös presste sie die Lippen zusammen und nickte nur.

»Können Sie morgen gleich anfangen? Bis zur Ausstellung sind es nur noch wenige Tage, und Sie müssen sich schnell einarbeiten!«

»S-sicher!«, stammelte Mona. Damit hatte sie nicht gerechnet, doch das war allemal besser, als auf den erlösenden Anruf zu warten, ob sie denn nun genommen wurde oder nicht.

»Gibt es von Ihrer Seite noch irgendwelche Fragen? Einwände? Fräulein Nosferatuh«, erklang es fordernd und bei Monas Nachnamen flog ein wenig Spucke über den Tisch.

»Ehh …«, begann sie verwirrt und musste erst mal ihre Gedanken sammeln. Gegenfragen hatte sie einige vorbereitet, aber der Verlauf des Gesprächs brachte sie völlig aus dem Konzept.

»Na dann!« Irritiert blinzelte sie auf die ihr plötzlich entgegengestreckte Hand. Unsicher schielte sie zu ihren Fingern, das Glühen und auch das damit verbundene Kribbeln war verschwunden. So kurz wie nur möglich schüttelte sie seine Pranke.

»Dank Ihnen wird sich das Unvolk in unserem hübschen kleinen Museum warm anziehen müssen!« Selbstsicher stemmte er die Hände in die Hüften. Nun musste Mona hart mit sich ringen, ihre Nervosität hinunterzuschlucken. Was hatte er gerade gesagt? Unvolk. Was bedeutete das? Davon war nie die Rede gewesen.

Der Direktor lachte zufrieden und stand auf. »Ich schau mal, wer von den Nachtwächtern heute in diesem Bereich Schicht hat, ich glaube Herr Hohnenzollern ist dran, er wird Sie gleich heute rumführen! Ich brauche Sie ab morgen, klar? Wird höchste Eisenbahn!«

»Ehhh, Hohenzollern wer?«

Als Mona das Büro wieder verließ, stand er direkt vor ihr, hatte wohl schon gewartet. Wie die meisten Vampire besaß er makellose Haut, in seinem Fall war sie hellweiß mit einem rosigen Schimmer. Er trug einen ärmellosen Blaumann, der offensichtlich zur Uniform der Museumswächter gehörte. Auf dem Kopf glänzten blonde Locken, die Augen waren tiefblau wie der Ozean, es umgab ihn eine Wolke Zimtgeruch und auf dem hübschen Gesicht prangte ein schmieriges Grinsen. Zu Monas Überraschung trug er jedoch ebenso viel Kajal um die Augen wie sie und auch seine Fingernägel waren schwarz lackiert. Nervös blinzelte sie seinem starren Blick entgegen. Er leckte sich über die Lippen, und Mona wusste – das Spiel hatte begonnen.

»Ich sehe, er hat Euch die Unterlagen schon mitgegeben. Dann darf ich Euch ja beglückwünschen, meine Liebe!« Er machte eine leichte Verbeugung vor ihr. »Wenn ich mich vorstellen darf … Boris von Hohnenzollern.«

Sie prustete los, und sein irritierter Blick entlockte ihr einen nicht zu unterdrückenden Lacher.

»Boris!«, platzte es aus ihr heraus. Seine Mundwinkel zuckten. »’tschuldige. Und du bist ein von – von Hohenzollern?«, setzte sie schnell nach.

»Um Draculas willen, nein! Hoh-n-enzollern. Mit einem N. Auf unserer Villa weht höchstens eine Regenbogenfahne!« Er wedelte auffällig mit seiner Hand, das Thema damit abwinkend, Mona lief rot an und grinste. »Und wie heißt Ihr, holdes Fräulein?« Seine Stimme schwankte kaum merklich, und er versuchte sich weiter an einem aalglatten Lächeln. Aufreizend posierte er vor ihr, seine spitzen Zähne ragten demonstrativ hervor.

»Mona Nosferatuh, nenn mich gerne Mona … Als ob du das mit deinem Vampirgehör nicht alles im Büro mitbekommen hättest!«

Er lachte gespielt auf. »Für so unhöflich hältst du mich? Ich und lauschen, tss. Frau Nosferatuh mit einem H.«

Mona verdrehte die Augen und kicherte. »Ich verstehe, Herr von Hohnenzollern mit einem N.« Vampire waren alle gleich, zumindest die, die sie kannte. Alt, arrogant, aufgeblasenes Ego, zu viel in der Hose und zu wenig im Kopf. Doch sie lächelte freundlich, denn der schwarze Choker um seinen Hals, die Konzertarmbänder und das T-Shirt mit dem Logo einer Metalband, das aus seinem Arbeitsoverall hervorlugte, waren vielversprechend. Außerdem brauchte sie die Hilfe des Blutsaugers, und überhaupt legte man sich nicht mit gefährlichen Untoten an. Nicht am ersten Arbeitstag.

»Auf gute Zusammenarbeit!« Sie reichten sich die Hände. Ähnlich kalte Finger berührten einander für einen unangenehm langen Moment. Mona bemerkte, wie er kurz nach ihrem Puls fühlte.

Boris schnüffelte unauffällig. »Riecht nach Hexe!«

»Aha«, kommentierte sie triumphierend. Auf ihn würde sie also auch aufpassen, ihrer eigenen Sicherheit zuliebe. Vampire waren recht immun gegen Hexerei. Immerhin brauchte sie sich keine Sorgen um ihren Hals zu machen, Hexenblut schmeckte Vampiren nicht, und zur Not gab es da noch ihre brennenden Hände.

Aber wieso war der Blutsauger vor Sonnenuntergang überhaupt schon wach?

Kapitel 3 Bissige Freundschaften

Tatsächlich war die magische Welt enthüllt und niemandem fiel es auf. Von dem übernatürlichen Treiben der thaumaturgischen Gesellschaft bekam der normale Mensch nur wenig mit. Vampire feierten dank Büchern und Filmen ein gelungenes Comeback und erfreuten sich großer Beliebtheit. Dabei vergaß die Menschheit gerne die grausige Vergangenheit der Untoten und all die Probleme mit dem Blut, das sie benötigten. Manch einer munkelte, die Vampire hätten die kitschigen Romanzen und schmalzigen Romane selbst verfasst, damit sie endlich ins Rampenlicht treten konnten, doch welcher Blutsauger schrieb schon freiwillig ein Buch über einen glitzernden Dracula?

Aber wenn es um die einfachen Wesen ging, wie Kobolde, letzte Einhörner und verfaulende Zombies, dann sah der Mensch durch sie hindurch, grüßte sogar den Oger aus der Nachbarschaft freundlich und wunderte sich nur über den kräftigen Händedruck. Für das Outing des heimischen Gartenkobolds hatte niemand eine Pressekonferenz einberufen, und er fand auch keine Erwähnung in Lehrbüchern. Er war irrelevant und uninteressant, sogar für die magische Gemeinschaft. Dabei stellten viele Leute billige Tonkopien der Kobolde liebevoll in ihren Gärten auf. Mit kleinen Gießkännchen und Schubkarren. Nun, ein echter Gartenkobold nutzte solche Geräte allenfalls zum Töten.

Den Nachrichten über Kornkreise, sprechende Katzen und brennende Betten glaubte niemand – wenn, dann hielt sich der Mensch an einer flachen Erde, Akasha-Säulen aus Plastik und Echsenmenschen auf. Was in den Ohren einer Hexe viel abwegiger klang als das Rumpelstilzchen. Das hatte wirklich einst existiert, oder tat es noch. Das wusste keiner so genau.

Zudem gab es kaum Hexende. Daran war nicht nur die Kirche mit ihren Hexenjagden schuld – diese Art Begabung war einfach selten. Auch in anderen Teilen der Welt, fern des christlichen Einflusses, waren sie rar. Deshalb war ihre erzwungene Rolle als Aufpasser für übernatürliche Wesen besonders fordernd.

Zombies fanden sich leider haufenweise, wortwörtlich zu verstehen, denn nicht jeder Untote wankte durch die Straßen. Manchmal waren es nur Körperteile, aufgetürmt zu Hügeln, die mit dem Zucken nicht aufhören wollten. Und solange niemand die Papiere unterschrieb, durfte man die modrigen Überreste nicht verbrennen. Meistens hing die Familie noch an ihnen, auch das teilweise wortwörtlich. Untote erschufen sich nicht von selbst. Es gab genug Scharlatane, die in ihren TV-Sendungen die Wiederbelebung von geliebten Verstorbenen versprachen. Und es waren verzweifelte Angehörige, die auf einen solchen falschen Magier hereinfielen. Teleshopping zur Festtagszeit war kaum zu ertragen:

»Für nur 299,99 erhalten Sie unser praktisches DIY-GräberExUndRaus-Paket, gratis dazu gibt es Schlafmaske und Duftspray. Dieser Deal gilt nur noch heute! Bringen Sie Oma und Opa zurück an den Weihnachtstisch!«

Der Kapitalismus kannte keine moralischen Grenzen. Ausbaden durften das Desaster dann die Hexenden. Kümmerten sich Bewährungshexende um solche selbstverschuldeten Zombies, dann waren die fauligen Gesellen der angenehme Part des Jobs. Die Familien dahinter, die Lebenden – das bedeutete immer Ärger, und Ärger führte zu Formularen, Formulare zu Anträgen, Anträge zu Aktenordnern, Heftern, Büroklammern, Stempeln, Abteilungen, Bewilligungen, Telefonaten. Am Ende stand man vor wütenden Angehörigen und schuld war die Bürokratie.

Mona sah das als eine Strafe dafür, dass diverse Hexende früher ihre Macht missbraucht hatten. Ihnen war es zu verdanken, dass es Portale für Dämonen gab, der Vampirfluch existierte, Werwölfe den Mond anheulten und so vieles mehr. Aber die Hetzjagden und die Scheiterhaufengeschichten hatten alles nur verschlimmert – denn unglücklicherweise konnten nur Hexende ihre Hexereien aufheben. Die Übriggebliebenen stellte man deshalb automatisch in den Staatsdienst. Zumindest in Europa und den USA. Eine wundervolle Methode, ihre Macht zu kontrollieren.

Mona fühlte sich allerdings gar nicht mächtig, höchstens mächtig überfordert. Der wahre Endgegner war kein Erzdämon, sondern ein Stapel Unterlagen, und er schwankte bedrohlich, als Boris eine letzte Akte obendrauf legte. Ein kleiner Raum im Keller des Gebäudes diente den Nachtwächtern als Büro, Umkleide und Pausenraum. Keine sehr luxuriöse Ausstattung, aber Mona wollte sich nicht beklagen, sie kannte es schlimmer. Es war bereits spät, das Museum geschlossen, Mona müde, aber ihre Arbeit würde jeden Tag zu dieser Uhrzeit starten. Sie musste sich schleunigst daran gewöhnen. In ein paar Tagen schon eröffnete die ägyptische Ausstellung, und bis dahin galt es, sich mit dem Museum vertraut zu machen. Dass sie direkt nach ihrem Vorstellungsgespräch damit anfangen musste, hatte sie jedoch nicht erwartet.

Zögerlich griff sie zur obersten Akte. »Ehhh, muss das wirklich sein?«, fragte sie leise und zog einen Schmollmund.

»Ich rate dir sehr, dich ausreichend zu informieren. Nimm sie dir am besten mit nach Hause. Das Museum birgt einige Überraschungen.« Boris zwinkerte, und seine blauen Augen funkelten im Licht der Neonröhren wie die einer Katze. »Wann hast du denn deinen Termin bei Professor Koprolith?«

Hastig griff Mona zu ihrem Smartphone und öffnete erneut die Mail. Direkt nachdem der Direktor ihr vorhin den Job übertragen hatte, hatten ihr sowohl das Amt als auch der Professor eine eilige Nachricht geschickt. Noch ein Grund, weshalb man eine so unfähige Hexe wie sie einstellte: Ihnen waren die Optionen ausgegangen.

»Also … die Mumie wird wohl am Sonntag geliefert … irgendwann vorher will er mir die Artefakte schon zeigen, wann machen wir denn das am besten?«

Boris rieb sich zufrieden die Hände. »Würde sagen übermorgen? So bleibt uns genug Zeit. Es gibt so vieles, das ich dir vorher zeigen sollte.«

»Wenn du mir alles zeigen kannst, muss ich das hier dann wirklich durchackern? Du arbeitest hier doch schon eine Weile, nicht?« Wieder deutete sie mit unglücklichem Ausdruck auf den Papierstapel. Zumindest hoffte sie, möglichst mitleiderregend auszusehen.

Anscheinend traf sie damit einen Nerv, oder es war ihr Appell an sein Wissen, der Boris’ Brust anschwellen ließ. Nachdem er sich elegant eine blonde Locke von der Stirn gepustet hatte, gab er nach. »Nun, meine Liebe – in meinem Alter weiß man so einiges. Ich arbeite hier seit rund siebzig Jahren, und zudem hatte ich vor allem in meinen Lebensjahren – Unlebensjahren – etliche Begegnungen mit übernatürlichen Relikten.« Ein helles Lachen. »Was sag ich, mich selbst könnte man als ein solches Relikt bezeichnen.«

Mona blieb der Mund offen stehen. »Siebzig Jahre?«

Ein Hüsteln. Leichte Röte legte sich auf Boris’ Wangen, und er gab ein verlegenes »Na ja« von sich. »Mag sein, mag sein. Und ja, du hast recht, ich weiß vermutlich mehr, als in den Akten steht, trotzdem rate ich dir, sie wenigstens zu überfliegen.« Auf Monas Grinsen hin zwinkerte er nur.

Widerwillig setzte sie sich an ihren Schreibtisch und schlug eine der Akten auf. Ein Blick würde nicht schaden, dann wusste sie, womit sie es zu tun hatte und was sie Boris alles fragen musste. Und schon nach den ersten umgeblätterten Seiten erahnte sie, dass sie um eine Nachtschicht voller Recherchen nicht herumkommen würde, selbst mit vampirischer Hilfe.

»Und die sind alle magisch?«, murmelte sie erschlagen von der Flut an Informationen und starrte auf die Beschreibung einer verfluchten Vase, die ihren Inhalt verdaute, wenn man sie nicht bei Vollmond streichelte.

Boris platzierte seinen Hintern elegant auf der Ecke ihres Tisches und reckte den Hals, um in die Akte zu blicken. Inzwischen roch der ganze Raum zart nach Zimt, und Mona musste zugeben, dass diese Duftnote zwischen süß und würzig irgendwie anziehend war. Vampire wussten, wie sie einen potenziellen Snack um den Finger wickelten, wobei Mona eher selbst einen leisen Appetit nach einer Zimtschnecke verspürte. Wie zur Bestätigung knurrte ihr Magen.

»Nun, diese Vasensammlung … ja, die Vasen sind alle magisch. Ach, und wie ich erkennen kann, ist hier nichts von ihrer Musikvorliebe vermerkt.« Er seufzte.

»Ihrer was?« Mona stierte ihn stirnrunzelnd an, und Boris schmunzelte.

»Die Vase mit der hübschen jungen Dame darauf hört besonders gerne alten Deutschrap. Nicht mein Geschmack, wenn du mich fragst, aber es sorgt dafür, dass sie nachts nicht mehr schreit. Wobei ich nicht weiß, was schlimmer war, ihr jahrelanges Gequengel, sowie die Sonne unterging, oder der nun dort nölende CD-Player.«

»Ehhh«, machte Mona leise und fuhr sich verwirrt durch die Haare.

»Ja, besser, ich erkläre dir alles. Du hast einiges vor dir, es wäre ratsam, du stärkst dich, ehe wir beginnen, nicht? Für mich wäre es ebenfalls an der Zeit, eine kleine Mahlzeit zu mir zu nehmen«, meinte Boris und fuhr sich mit einem Finger über die Lippen.

Unwillkürlich rückte Mona einen Fußbreit von ihm weg, der Stuhl quietschte, und sie ballte nervös die Hände zu Fäusten.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte Boris ihre Reaktion, ehe er offensichtlich verstand und kopfschüttelnd lachte. »Nicht doch. Ich beiße nicht. Mit Snack meinte ich eine Dose aus dem Getränkeautomaten im Flur.« Er deutet zur Tür und zuckte mit den Schultern.

»Oh«, entkam es Mona erleichtert, und sie atmete tief durch. Der heutige Tag zerrte an ihren Nerven, und sie fuhr sich mit der Hand durch den Pony.

»Ich bin Vegetarier, wenn ich könnte, wäre ich sogar vegan«, erklärte Boris mit einem Zungenschnalzen und zog an einer goldenen Kette um seinen Hals. Zum Vorschein kam ein kleiner Anhänger in Form einer Pflanze, er sah fast aus wie ein Wappen. Verzweigte Ästchen mit dicken runden Blüten, symmetrisch angeordnet. Mona erkannte das Gewächs. Aus ihm gewann man Ambrosia, die einzige Alternative für einen Vampir, wenn er kein Blut zu sich nehmen wollte – und höchst ungesetzlich. In den Nachrichten berichtete man öfter über den Substanzmissbrauch einiger Vampire. Was den einen ihr Gras war, war den Blutsaugern ihr Nektar. Die sonstigen Ersatzpräparate für Vampire bestanden aus gestrecktem Blut und stammten von willigen Spendern. Wollte ein Blutsauger hingegen wirklich vegan leben, dann konnte er nur zu dieser illegalen Pflanze greifen. Und wer dieses Symbol an einer Kette trug, der meinte es ernst. Außerdem erklärte es, weshalb er vor Sonnenuntergang schon wach war, denn das war eine der Nebenwirkungen.

»Du weißt aber, dass dich das in Schwierigkeiten bringen könnte?«, murmelte sie, um Boris an ihre Aufgabe als Hexe im Dienste des Amts zu erinnern.

Doch er lachte wieder, deutete mit dem Finger auf seine Brust, nickte ihr zu, und sein Blick wanderte zu ihrem Dekolleté. »So, wie die Linien dieser filigranen Tätowierung beginnen, könnte man glatt glauben, du trägst dort ein magisches Siegel. Ist es nicht so?«

Hastig zog Mona an ihrem Top und bedeckte ihren Ausschnitt. Das hatte sie von ihrem schludrigen Look, so von oben hatte Boris ihr vermutlich bis zum Bauchnabel gucken können. Ungünstig. Ihre Tätowierungen begannen unter ihrer Brust und im Dunkeln verborgen musste sie sich keine Sorgen machen, dass man sie entdeckte – aber bei den nachtsichtigen Augen eines Vampirs? Nervös räusperte sie sich. Diese Tattoos waren illegal, verbargen vor der Kirche einige lästige Kräfte, und Boris war offensichtlich belesen genug, um zu wissen, worum es sich handelte. Richtig, er war wie alt? Sicher gut hundert Jahre. Verstand er vielleicht sogar die Bedeutung? Sie musste eindeutig vorsichtiger werden.

Doch der Vampir ließ nur kommentarlos die Kette an seiner Hand baumeln und hob vielsagend die Augenbrauen. Sie besaßen also beide ein Geheimnis vor dem Amt, und so lächelte sie ihm bestätigend zu. Mit einem das Thema beschließenden Schulterzucken erhob sich Boris und ging zur Tür.

Der Vampir schlug seine zwei langen, spitzen Eckzähne in eine Dose mit AB negativ, die er sich aus dem Automaten gezogen hatte, während Mona sich nicht zwischen Tomatensuppe und Instantnudeln entscheiden konnte. In Anbetracht der Geräusche ihres Kollegen und der Farbe seines Snacks entschied sie sich jedoch für die Nudeln.

»Es hatte mir Sorgen bereitet – eine Bewährungshexe hier im Museum. Schlimm genug, dass meinereiner sich wöchentlich beim Amt melden muss, ich dachte schon … aber nun, was soll ich sagen? Eine Überraschung.«

»Ehhh?«, murmelte Mona verwundert.

»Du natürlich, Hexe. Du hast Geschmack«, nuschelte Boris zwischen zwei Schlucken.

»Man spricht nicht mit vollem Mund«, ermahnte sie ihn gespielt ernst und rührte in ihrem Pappbecher mit Pulversuppe herum. »Und woher willst du wissen, dass ich Geschmack habe?«

Da schlich sich wieder dieses aalglatte Lächeln auf seine Lippen. Sie glänzten rot und in Mona keimte leichte Übelkeit auf. Gegen Blut hatte sie nichts, aber dieser Geruch billiger Aromastoffe, war das etwa Pflaume? Und der Anblick – sie seufzte und angelte nach einem Taschentuch in ihrer Lederjacke. Ehe Boris etwas sagen konnte, drückte sie ihm das Papiertuch auf den Mund und wischte ihm das Blut von den Lippen. Er blinzelte sie überrumpelt an.

»Besser«, erklärte sie und nickte.

»Du bist … merkwürdig.«

»Und das von einem Vampir!«

Kurz schnappte er nach Luft, zumindest sah es so aus. Blutsauger atmeten ja nur zum Sprechen.

»Also? Wie kommst du darauf, dass ich Geschmack habe?«, hakte sie nach und trank einen Schluck Instantsuppe, in der drei vereinsamte Buchstabennudeln schwammen und verzweifelt versuchten, das Wort »GAH« zu bilden.

Boris hob den linken Arm und deutete auf sein Handgelenk voller Konzertarmbänder. Mona bekam große Augen und blickte an ihrer Lederjacke hinunter. An einer der Brusttaschen klemmte ein Button in Schwarz-Rot, er teilte das Logo auf vielen seiner Bändchen.

»Auch Bloody-Mary-Fan, wie ich annehmen darf? Gib’s zu, Vampir-Rockbands sind cool!« Er grinste, und sie nickte sofort.

Das Eis war gebrochen. Oder wie man es unter Vampiren nannte – Blutsbande wurden geknüpft.

Von den Umkleiden der Nachtwächter aus ging es los durch das Gebäude. Einst ein Museum für makabre Fundstücke, inzwischen erste Anlaufstelle für Mythohistorik – ein Studienfach, das Mona bis nach Ägypten geführt hatte. Der Ort war klassisch aufgeteilt in lange Flure, große Räume und mehrere Hallen auf insgesamt vier Ebenen. Es fanden sich hier Relikte aus allen Zeitaltern, die mit mystischen Geschichten in Verbindung gebracht wurden – oder wirklich magisch waren. Das reichte von die satanische Bibel rezitierenden Wandteppichen bis hin zu sich angeblich selbst verbiegenden Löffeln. Es war ein Versuch, dem Volk das Unvolk näherzubringen, und das Museum zog täglich Dutzende Schulklassen in seinen Bann. Mona befürchtete nur, dass einige der Ausstellungsstücke tatsächlich dazu in der Lage waren, jemanden zu verwünschen.

Marmorböden, Holzdielen und Beton wechselten sich ab, ebenso die Wandfarben und die Gestaltung. Modern und gemütlich, aber das ging unter im Licht von Notbeleuchtung und Exit-Schildern. Außerdem achtete Mona kaum auf ihre Umgebung.

Sie und der Vampir hatten ein gemeinsames Thema, nein gleich einen ganzen gemeinsamen Kulturkreis gefunden. Statt über Fluchrelikte oder verzauberte Vasen sprachen sie während ihres kleinen Rundgangs über ihre Lieblingsmusik, Bands, Rock, Metal und die neuesten Gothic-Trends. Boris’ Brust schien dabei vor lauter Stolz anzuschwellen, und er erinnerte Mona ein wenig an einen alten Gockel. Dazu seine geschwollene Ausdrucksweise. Immer wieder räusperte er sich, wenn er allzu begeistert von einem Lied oder gar einem Kleidungsstück schwärmte, als müsste er sich bremsen.

Man verstand einander.

»Und der Nagellack verändert sogar die Farbe, wenn man ihn aus einem anderen Winkel betrachtet«, erklärte Mona schließlich und führte es sofort vor. Fasziniert folgte Boris ihrer Hand mit dem Blick. Rot schimmerte, verschwand und wurde schwarz. Das Licht im Gang war nicht ideal, aber der Effekt eindrucksvoll. Er nickte bewundernd. Sie standen inzwischen in der ägyptischen Abteilung und außer den wichtigsten Wegen hatte Mona nur wenig mitbekommen. Außerdem türmten sich hier Kisten, Leitern und Farbeimer zwischen hohen Fenstern und abgeklebten Wänden. Der Aufbau der Ausstellung war in vollem Gange und bisher sah es nicht so aus, als würde hier in ein paar Tagen eine große Eröffnung stattfinden. Mona hatte also eine Gnadenfrist, morgen war auch noch eine Nacht, in der sie sich genauer umsehen konnte. Austausch mit einem Gleichgesinnten – das rettete ihr gerade den Tag.

Boris blinzelte auf seine mattschwarzen Nägel und schaute kritisch drein.

»Ich kann ihn dir ja mal mitbringen oder einen anderen, ich hab einen ganzen Kasten mit Nagellack«, schlug Mona vor, und da war wieder sein schmieriges Lächeln. Es lag wohl an seinen Augenbrauen – eine hob sich leicht, seine Augen verengten sich, und man erwartete ein gekünsteltes Lachen. Fast karikativ, dachte Mona und gluckste leise.

»Du wohnst in Offenbach, sagtest du?« Seine Stimme schnurrte, lässig lehnte er sich gegen eine Horusstatue, die offensichtlich kein wertvolles Relikt, sondern lediglich eine Requisite war – so hoffte Mona zumindest. Die Füße waren noch in Plastik verpackt.

»Ja?«, fragte sie nach und musterte die aufwendig bemalte Statue misstrauisch. Die Notbeleuchtung im Gang bereitete ihren Augen Schwierigkeiten.

»Nun«, Boris machte eine exaltierte Bewegung mit seinem rechten Arm, »ich wohne in jene Richtung, in einer kleinen Anlage, ganz bescheiden«, er hüstelte. »Man könnte sich ja – verabreden?«

Dieses Grinsen kannte Mona, auch wenn es in seinem Gesicht furchtbar deplatziert aussah. So zeigten Männer nur ihre Zähne, wenn es sich um mehr als ein harmloses Treffen handelte. Und dazu diese Stimmlage, als versuche er, so lasziv zu klingen wie irgend möglich. Noch seltsamer war sein krampfiges Gehabe – er als Vampir sollte die Kunst des Flirtens doch beherrschen. Nicht weil ein Blutsauger diese Fähigkeit mit dem Gift in seinen Adern erwarb, sondern weil jemand wie er Zeit hatte zu lernen, sehr viel Zeit. Das hier wirkte jedoch furchtbar geschauspielert.

»Verabreden«, murmelte Mona in den Raum.

Boris’ Mundwinkel zuckten.

Er war durchaus süß. Das musste sie ihm lassen. Blaue Augen, blonde Locken, ein hübsches Gesicht, guter Musikgeschmack, ein munteres Wesen und seine Kleidung gefiel Mona – trotzdem.

»Du bist wie alt?«, erkundigte sie sich vorsichtig, und er blinzelte.

»Nun, in einigen Jahren feiern wir die … es sind … es sind fast zweitausend!« Die letzten Worte nuschelte er und blickte dabei verlegen zur Seite.

»Zweitausend Jahre?«, wiederholte Mona laut und beobachtete, wie er sofort an die Decke starrte und die Lippen aufeinanderpresste. Es kam nur ein leises helles »Mhm«.

»Und du bist Nachtwächter?« Völlig baff, als müsse sie sich davon überzeugen, tippte sie ihm gegen die Schulter. Er fühlte sich nicht anders an. Wie jeder Mensch eben: weich. Sie wusste selbst nicht, was sie erwartet hatte. Aber wer arbeitete nach zweitausend Jahren Zeit zum Leben und Lernen als Nachtwächter in einem Museum?

»Das – das ist eine andere Geschichte«, verkündigte er und klang getroffen.

»Boris?«

»Ja?«

Mona holte tief Luft und hoffte, sich nicht geirrt zu haben. Ansonsten wurde aus diesem lockeren Gespräch gleich eine der unangenehmsten Situationen und am Ende brannte doch noch das Museum. Neben Wut, Verzweiflung, Ärger, Erregung jeder Art eben, brachte auch Scham ihre Finger zum Glühen.

»Du bist echt nett, aber … es ist nicht das Alter. Trotzdem, ich als Junghexe und … du bist nicht unbedingt mein Typ«, stammelte sie, versuchte versöhnlich zu klingen und lächelte ihn an.

Boris entglitten sämtliche Gesichtszüge – zu ihrer Überraschung jedoch nicht erschrocken, sondern vielmehr erleichtert? Er lachte auf und grinste breit.

»Oh. So ist das!« Er schüttelte den Kopf, als müsse er über sich selbst lachen.

»Was hast du denn gedacht?« Mona stemmte die Hände in die Hüften. Der Anblick eines nun unerwartet fröhlichen Vampirs verwirrte sie nur noch mehr.

»Nun – das«, stammelte er und rieb sich den Nacken. »Meistens … Ich sage, wie ich es empfunden habe, viele Frauen hatten bisher die Erwartung, insbesondere seit der Verromantisierung der Vampirgesellschaft. Und früher – Hexen waren immer sehr – du weißt schon, Vampirblut im Austausch für«, er brach sein Gestammel ab und schüttelte den Kopf. »Du warst so nett, und wir – du und ich verstanden uns. Ich dachte, vielleicht …« Ein heiseres Räuspern.

»Dass ich auf dich stehe oder dein Blut für einen Trank will? Und dass du nett zu mir sein musst, zu der Bewährungshexe vom Amt?«, schlussfolgerte Mona und musterte ihn mit großen Augen. Sie fragte sich, wann sie diesen Eindruck erweckt haben mochte. Allerdings war sie es gewesen, die ihm Blut vom Mund gewischt hatte wie einem Kleinkind.

Er nickte langsam und war sichtlich erleichtert, als Mona daraufhin loslachte.

»Hexen verführen doch nicht jedes magische Wesen, das nicht bei drei auf dem Baum ist, das ist Kirchengeschwafel! Wir mischen doch nicht alles und jeden in einen Trank! Also wirklich!« Sie knuffte ihn fest in die Seite, und Boris kippelte, samt der Horusstatue, die sich mit einem tiefen »Hey« beschwerte. Zum Glück fingen sich sowohl der Vampir als auch das offensichtlich magische Steingebilde, und er fuhr sich mit einem hellen Lachen durch die Haare.

»Nun, dann freut es mich, dich darüber aufzuklären, dass auch wir Vampire nicht daran interessiert sind, unsere Zähne in jeden hübschen Hals zu versenken oder gar – nun, du verstehst!«

»Vorurteile«, bestätigte Mona und nickte. Dessen war sie selbst schuldig, und sie schämte sich dafür, hatte sie Boris doch im ersten Moment ebenfalls in eine Schublade gesteckt. »Sorry!«, fügte sie hinzu und schielte dann noch einmal zu der Statue, die zurückschielte.

Ihr neuer Kollege verließ seine bequeme Position, legte Mona einen Arm auf die Schulter und führte sie weiter den Gang entlang. »Kein Problem, Hexe. Allerdings … Es gibt einige magische Kreaturen hier, die durchaus dem ein oder anderen Stereotyp entsprechen.« So wie er klang, hatte es etwas Verschwörerisches, und Mona wurde hellhörig. Es fiel ihr schwer zu beurteilen, wie ernst sie ihn nehmen konnte. Boris übertrieb, sowohl in Ausdruck als auch Gestik. Zumindest dieses Klischee erfüllte er mit Bravour, aber das behielt sie wohl lieber für sich. Lediglich ein Kostümwechsel wäre vonnöten gewesen, und er hätte perfekt in die Rokokozeit gepasst.

»Du musst dir keine Sorgen machen, die sind alle so harmlos wie ich.« Diesmal klang sein Lachen verlegen. Etwas an dem Vampir hatte sich verändert. Vielleicht, weil er nicht länger versuchte, Mona zu imponieren. Seine Stimmlage machte einen gelösten Eindruck und sein Lächeln saß nicht mehr so verkrampft. Da war es fast schade, dass der Flirt nicht gezündet hatte – der nun lockere Boris war durchaus liebenswürdig, und jemand wie er würde mit ihren Kräften schon zurechtkommen. Nun, was nicht war, konnte vielleicht noch werden.

»Ich würde dir gerne die anderen Nachtwächter vorstellen.«

Aus ihren Gedanken gerissen zuckte Mona zusammen und starrte in einen leeren Gang zwischen zwei Ausstellungen. »Aha?«

Boris führte drei seiner Finger in den Mund, und ein schriller Pfiff hallte durch den Flur.

Kapitel 4 Nachtschicht

Es war seltsam, den Arbeitstag erst gegen späten Abend anzutreten. Doch daran galt es sich zu gewöhnen. Hexen lebten lange, Museen überdauerten die Zeit, die Mumie würde vielleicht viele Jahrhunderte ruhen und Mona war nicht an einer Beförderung oder einem Berufswechsel interessiert. Alles, was Boris ihr hatte zeigen können, war sogar für magische Verhältnisse so absurd, dass sie eine leichte Vorfreude auf diesen Job verspürte.

Heute würde sie erstmals ihre Pflicht erfüllen, wenn auch noch ohne Mumie. Zum Glück war sie mit ihrer Aufgabe als Wächterin des Museums nicht allein. Boris leistete ihr Beistand und darüber hinaus gab es andere erfahrene Kollegen.

Gerade hatte sie ihre leere Brötchentüte erstaunlich erfolgreich in den nächsten Mülleimer geworfen und wollte sich zur Tür des Aufenthaltsraumes drehen, um sich für den Dienstbeginn umzuziehen, da stieß sie gegen etwas Großes, Weiches.

Überrascht blickte Mona auf und starrte in die braunen Augen eines Kerls mit kurzem struppigem Bart, wuscheliger Frisur, knubbeliger Nase, sonnengebräunter Haut, aufgedrehtem Ausdruck, und zu allem Überfluss hing ihm seitlich die Zunge raus. Sie schluckte, wollte einen Schritt zurücktreten, doch er beugte sich herunter und schnupperte aufgeregt an ihr.

»Ehh, entschuldige …«, versuchte sie es leise und hörte Boris hinter sich lachen.

Der Mann vor Mona trug die Uniform der Nachtwächter, davon ausgehend wollte sie ihn nicht gleich unhöflich zurechtweisen. Doch nun, da er ihrem Hals immer näher kam, wand sie sich so weit weg wie nur möglich.

»Iiiiih«, entfuhr es ihr, als er ihr ungefragt vom Kinn bis zum Ohr hinauf über das Gesicht leckte. Erwartungsvoll starrte er sie an.

Mona rieb sich angewidert die Wange.

»Hallo, schön, dich wiederzusehen!«, brummte er mit tiefer Stimme. Es schwang ein wenig Aufregung mit, und sein überaktives Gezappel erinnerte Mona deutlich an einen nervösen Welpen.

Schlagartig verstand sie. »Ah ja, natürlich, der Werwolf!«, flüsterte sie. Gestern hatte sie ihn lediglich als großen Hund kennengelernt, auch wenn der erste Eindruck ähnlich gewesen war. Struppig, haarig, kräftig, aufgedreht. Darauf hätte Boris sie ruhig besser vorbereiten können. Der Mann schnupperte wieder an ihr, doch diesmal wich sie ihm direkt aus und beide tanzten für einen Moment im Kreis umeinander herum.

Boris schüttelte sich vor Lachen und löste sich endlich von der Wand, an der er lehnte. »Sei ein braver Junge, Ben! Mh? Was haben wir über das Begrüßen gesagt?«

»Nicht mehr anspringen, aber sie ist doch – hey! Du sollst mich nicht tätscheln!« Ben knurrte und duckte sich unter Boris’ Hand weg. »Ich bin kein Hund!«

Boris verkniff sich offensichtlich einen Widerspruch und schüttelte nur den Kopf.

Dann widmete sich der Werwolf wieder Mona. Er baute sich breitschultrig vor ihr auf, als ginge es um den Morgenappell. Seine ernste und gewissenhafte Miene erinnerte an einen gehorsamen Hütehund. »Bernhard Valet meldet sich zum Dienst. Du darfst mich Ben nennen. Heute bin ich hier bis drei Uhr morgens. Wenn du mich brauchst, pfeifen! Ich mag, wie du riechst!«

»Ehhhh … Hallo, Ben! Danke, sehr nett, sehr nett.« Sie bemühte sich um ein Lächeln und reichte ihm die Hand, sofort griff er zu. Er stand weiterhin dicht vor ihr, betrachtete ihr Gesicht ganz genau und die bereits ausführlich geschüttelte Hand wollte er auch nicht mehr loslassen.

»Warte nur, bis er das erste Mal versucht, dein Bein zu besteigen!« Wieder brach Boris in schallendes Gelächter aus und erntete einen genervten Blick des Werwolfs.

»So was mache ich nicht«, murmelte Ben und schmollte.

»Och, haben sie dich doch kastriert, ja?«

»Entschuldige mal!«

»War nur Spaß, Ben! Alles gut. Und jetzt lass die Hexe los!«

Ben drehte sich überrascht herum, endlich lockerte sich die Umklammerung seiner Pranke. »Du bist eine Hexe?«

»Ja … ehh … schon!«, stammelte Mona verwundert über seine Unwissenheit. Hexende waren unter Werwölfen und Vampiren nicht gerade beliebt. Schließlich hatten ihre Vorfahren das Vampirgift und den Wolfsfluch verschuldet. Aber Ben blieb weiter in freudiger Aufregung und brummte ein tiefes »Cool!«.

»Mensch, Ben, das hatte ich dir doch schon zweimal erzählt«, motzte der Vampir.

»Echt?«, erkundigte sich Ben und schaute Boris lange fragend an.

Um der neugierigen Nase zu entgehen, wandte sich Mona erneut der Tür zum Raum der Nachtwache zu. Es war ihr erster Tag, sie sollte zumindest sichten, was sie sich an Wissen noch erarbeiten musste.

Natürlich folgten Ben und Boris ihr, und natürlich ließen es sich beide nicht nehmen, ihr möglichst aufdringlich bei der Recherche zu helfen. Immerhin, Boris half ihr mit seinem Wissen, wo er nur konnte, und Bens freundliche Art schaffte ein Gefühl des Willkommenseins. Solange er sie nicht wieder ableckte, konnte sie sich damit arrangieren. Es gab zwar Schlimmeres, als von einem attraktiven Mann abgeleckt zu werden, aber wenn, dann erst nach dem zweiten oder dritten Date.

Während Boris an seinem Schreibtisch in leeren Dosen AB negativ versank, wurde Mona von Unterlagen verschluckt. Auf Tausenden Seiten, bedruckt mit winziger Schrift, fanden sich die Aufzeichnungen über die verschiedenen unnatürlichen Begebenheiten des Museums.

Es gab ruhige Mumien, ein paar verfluchte Relikte, satanische Wandteppiche, einen Golem und diverse Geister verstorbener Künstler, die an ihren Werken hingen. Als Bewährungshexe der Institution gehörten all diese Übernatürlichkeiten mit zum Job. Von wegen rumsitzen und auf einen Sarkophag starren. Sie spürte bereits Nervosität in sich aufsteigen, ein Kribbeln eroberte ihren Kopf. Dem hier fühlte sie sich nicht gewachsen. Dank ihrer instabilen Hexenkräfte waren Wesen wie Werwölfe, Vampire, Fluchrelikte und Geister keine Gefahr für sie. Hexenfeuer war mächtig, besonders das von Mona. Sie sorgte sich vielmehr um die anderen. Es galt, mit all dem Unvolk fertigzuwerden, ohne dass jemand zu Schaden kam. Deshalb hatte sie diese Art von Arbeit immer abgelehnt und auch andere Gelegenheiten sausen lassen. Vielleicht hätte sie sich nicht gegen den Dienst auf der Straße wehren sollen. Vielleicht gehörte sie dorthin. Vielleicht war eine Läuterung unvermeidlich.

Mit nun verkrampften Magen blätterte sie hastig durch die Akte vor ihr, um sich abzulenken. Wieso überschlugen sich ängstliche Gedanken immer gleich? Außerdem hatte sie ihr Paar feuerfester Topflappen dabei, sie war bestens vorbereitet. Sie musste es wenigstens versuchen. Obendrein hatten Ben und Boris das Museum seit Jahren unter Kontrolle. Nur die Mumie war neu. Bandagen brannten zwar wie Zunder, aber das war im Notfall auch ein gutes Druckmittel.

Seufzend, sich ihren Gedanken ergebend, fuhr Mona langsam mit dem Finger über das Dokument mit den seltenen Fluchrelikten. An einer Bezeichnung blieb sie hängen. Relikt B34 – Bärbel.

»Das verstehe ich nicht …«, murmelte sie stirnrunzelnd und zog die entsprechenden Papiere aus dem Stapel.

»Was ist denn?« Boris stand plötzlich hinter ihr und folgte Monas Hand. »Oh, ich seh schon! Nun, das, meine Liebe, ist die Nachtwache der unterirdischen Tunnel. Ein düsterer Ort. Eine Skelettin mit Untotenerfahrung zum Schutze dieser Hallen ist ideal!«

»Ehhh …«, entkam es ihr, und sie starrte den Vampir verwirrt an.

»Kennst du die Kasematten, das Tunnelsystem nahe der Bleichstraße?«

»Was?«

»Ist der einzige Bereich, den man so entfluchen konnte, dass man ihn der Öffentlichkeit zugänglich machte. Über die Tunnel unter unserem Museum wacht Bärbel!« Er grinste schief. »Du lernst die Gute noch kennen. Sie stammt aus Asien, war bekannt für ihr scharfes Schwert und so gefürchtet, dass man ihre toten Gebeine verfluchte! Herrlich dramatisch.«

»Bärbel, mhhh«, summte Mona nachdenklich. »Ehh? Das ist ja unsinnig. In den Unterlagen steht überall etwas von seinem Fluch und seiner Geschichte, wieso steht denn da das falsche Geschlecht?«

»Ämter.« Boris verdrehte vielsagend die Augen, schnalzte mit der Zunge. Mona verstand. Sie blickte zurück auf ihre uralten Akten. Das Papier war vergilbt, und welches Amt auch immer sich darum gekümmert hatte, es wurde Zeit für eine Überarbeitung. Allein die Schriftart jagte Mona einen Schauer über den Rücken. Da sollte sie wohl mal ran. Sie stutzte. Ja – das konnte sie tatsächlich. Als Bewährungshexe konnte sie die Akten neu anlegen. Was für eine unerwartete Entdeckung – nicht alles an der Arbeit für das Amt war schlecht.

Neben diversen Eckdaten über das Relikt namens Bärbel, stand in einem Absatz etwas von aktivem Dienst für das Museum.

»Früher hatten sie unsere Bärbel ausgestellt, in einer staubigen Vitrine, doch ihre alles verfolgenden Augen haben den Besuchern so große Furcht bereitet …«, erklärte Boris weiter. Mona deutete auf eine Abbildung des Schädels und seine leeren Augenhöhlen, er zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls hat Professor Koprolith ihre verborgenen Talente entdeckt und ihre Knochen korrekt zusammengesetzt. Seitdem wandelt sie des Nachts. Er hat auch versucht, mit ihr zu arbeiten, um ihren Fluch zu ergründen, doch stets lief sie ihm davon. Es brauchte Jahre, bis sie unsere Sprache verstand und wir uns kennenlernen konnten.«

»Respekt!« Mona machte große Augen, und Boris lachte leise.

»Wie du siehst, wird sie noch als Relikt gelistet, deshalb genießt sie nicht die Rechte der Untoten und darf hier nicht weg. Manchmal schmuggele ich ihren Kopf für einen Besuch in einer Bar mit hinaus.« Er zwinkerte, und über sein verschmitztes Kichern musste auch Mona schmunzeln. Bis ihr wieder einfiel, dass ein verschwundener, untoter Schädel zu ihren Aufgaben zählen würde, sie sich aber mit einem Vampir am ersten Tag nicht gleich streiten wollte.

Boris zog sich einen Stuhl zu Mona an den Schreibtisch und schaute ihr unangenehm dicht über die Schulter. »Frag mich ruhig alles, was dich interessiert! Wie du ja weißt, arbeite ich hier seit siebzig Jahren, ich kenne das Museum bestens. Ich leitete schon Nachtführungen, da nuckelte unser Direktor noch an den Nippeln seiner Mama!«

Das Bild bekam Mona so schnell nicht mehr aus dem Kopf, sie verzog den Mund, bemühte sich aber um ein freundliches »Mhm«, ehe sie die nächste Akte von vom Stapel nahm. Penetranter Zimtgeruch wehte ihr um die Nase, und sie bereute es, sich Apfelsaft eingeschenkt zu haben. Der kleine Raum roch verdächtig nach Weihnachten.

Eigentlich liebte Mona Museen, sie liebte Kunst und Kulturgeschichte. Nachtwächterin zu sein brachte sie näher an ihren Traumjob heran. Hexen mussten Hexen sein, und somit verpufften viele Berufswünsche allein durch die eingeschränkten Jobmöglichkeiten. Monas Traum, Kunstwissenschaften zu studieren, hatte sie nach Ägypten gebracht, und sie wusste so einiges über verfluchte Gemälde und spukende Künstler. Eine normale Universität durfte sie nicht besuchen, aber tatsächlich beinhaltete ihr Studium der Magi auch Kunst, eben jene, die mit dem Übernatürlichem verknüpft war.