Mona - Zwischen Himmel und Hölle - I. B. Zimmermann - E-Book

Mona - Zwischen Himmel und Hölle E-Book

I. B. Zimmermann

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Beschreibung

Alles könnte so schön sein. Die Hexe Mona und ihr angetrauter Erzdämon Balthasar haben sich ihre Liebe gestanden, ein gefräßiges Dämonenschweinchen adoptiert und wollen heiraten, diesmal absichtlich… Doch dann holen die Vampirbrüder der Familie Nosdrof zum alles entscheidenden Schlag aus. Nun ist nicht nur Monas Realität bedroht - die ganze Weltordnung scheint auf dem Spiel zu stehen. Himmel und Hölle müssen endlich ihre Differenzen beilegen, um die Bedrohung durch die Vampirbrüder aufzuhalten. Obendrein belastet der Druck Monas Beziehung, denn die Liebe zu einem ehemaligen Gott bringt ungeahnte Probleme mit sich. Als dann auch noch Monas letztes Siegel bricht, nimmt die Katastrophe vollends ihren Lauf.

Das große Finale der Mona-Trilogie. Mit Hexe, Erzdämon, Teufeln, Vampiren, Werwölfen, Engeln, einer Skelettin und vielen bekannten sowie neuen Gestalten aus der Mythologie.

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Seitenzahl: 533

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Originalausgabe

© 2022 YUNA Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: I.B. Zimmermann, unter Verwendung mehrere Motive von Shutterstock (Ground Picture, 5 second Studio) und Envato Elements (dinabelenko, midjourney, LightFieldStudios)

Illustrationen: I.B. Zimmermann, Shutterstock (Ground Picture), Envato Elements (BGStock72, Chalabala, crazyphotography, sianstock, wolfhound9111, Pressmaster, barsrsind, Oxana-Milka, TempCraft, Diese Illustration ist von Valeyla Sol

Layout/Satz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-29820-3V001

Dieses Buch ist für allekreativen ADHS-Hirne da draußen.Glaubt an euch, ihr könntalles schaffen!

Kapitel 1Turteltauben

05.03.2019 Dienstagabend

Kimis Problem war weniger der metaphysische Elefant, der auf sie zustürmte, sondern ihre Unfähigkeit zu schnipsen. Der über die Wiese trampelnde rosa Dickhäuter riss tonnenweise Grasbüschel aus, und Kimi wich laut quietschend aus, als er an ihr vorbeizischte.

Mona stand am Rand der Wiese und konnte nur angespannt zusehen, wie die junge Hexe hektisch mit den Armen wedelte. Sie wollte ihr zurufen, es mit Klatschen zu versuchen, aber Mona durfte sich nicht in Kimis Prüfung einmischen. Schnipsen war eine effektive Methode, um Hexerei zu lenken, doch gerade sah Kimis panisches Händeschütteln eher danach aus, als wolle sie eine Mücke verscheuchen. Statt Magie zu dirigieren, beschwor sie lediglich einen konfusen Wind, der an ihren langen blonden Haaren zerrte. Verzweifelt sah sie sich nach Mona um.

»Tief durchatmen«, brüllte diese ihr über die Grünfläche zu. Mona stand unruhig von einem Bein auf das andere tretend neben Frau Sabine Sabinsen am anderen Ende des Parks und musste zusehen, wie ihr Schützling langsam die Kontrolle verlor, während ein rosafarbener, durchsichtiger Elefant seine Kreise um das Mädchen zog.

Vor einiger Zeit hatte Mona in ihrer Funktion als Bewährungshexe Kimis Kinderzimmer von einem Schleimerdämon befreit. Sie hatten daraufhin Kontaktdaten getauscht, falls die junge Windhexe wieder in Schwierigkeiten geraten sollte. Es gab nur wenig offizielle Unterstützung für angehende Hexen, das war Mona schon lange ein Dorn im Auge. Als das Mädchen sie dann verzweifelt wegen ihrer Hexenweihe um Hilfe gebeten hatte, hatte sie nicht gezögert; doch zu mehr als ein paar Tipps war Mona leider nicht befugt. Das war offensichtlich zu wenig gewesen.

Zwar nahm der Wind zu, aber bisher stand Kimi ihrem Prüfungsungeheuer schutzlos gegenüber. Es sah gar nicht gut aus. Gleich würde die Junghexe von einer Elefantenillusion überrannt werden und somit ihre Prüfung vermasseln. Auch die das Ereignis beaufsichtigende Beamtin wirkte besorgt. Normalerweise war es nicht Frau Sabinsens Aufgabe, sich um die Weihe von Junghexenden zu kümmern, aber seit dem Verschwinden von Herrn Flaun, dem Bezirkszauberer, hatten sie und Mona viele seiner Funktionen übernommen.

Immerhin, eine kräftige, von Kimis Händen ausgehende Windböe beförderte den Elefanten einige Meter davon. Durchsichtige Beine, so dick wie Baumstämme, schlitterten über den Boden, als handelte es sich um Eis. Für die elegante Pirouette hätte die Illusion Applaus verdient. Dann aber prallte das Tier ungelenk gegen die magische Barriere, die Mona um den Platz herum errichtet hatte. Kimis Familie kreischte erschrocken auf, stand sie doch direkt hinter der Wand aus Magie, aber der Elefant beachtete sie nicht. Drohend wandte er sich wieder Kimi zu. Das Gras hatte unter seinen Füßen gelitten, und Mona fletschte die Zähne. Wenn sie den Park verwüsteten, war eine vermasselte Prüfung das geringste ihrer Probleme.

Die Rosenhöhe war ein Stadtteil Offenbachs und zeichnete sich durch ein großes Freibad, Wälder und Grünanlagen aus. Auch saß dort der einzige Verein junger Hexender im ganzen Landkreis. Sehr zum Missfallen der Tennisakademie, denn magische Schwingungen in der Luft störten hin und wieder die physikalischen Regeln.

Kimi hebelte soeben mehrere davon auf einmal aus. Die Haare standen ihr wirr zu Berge, aus dem Wind bildete sich ein kleiner Sturm um sie herum – und als sie nun erneut zum Schnipsen ansetzte, knallte es gewaltig. Ein Minitornado erhob sich.

»Dreck! Das hatte ich befürchtet!«, schrie Mona und ging gemeinsam mit Frau Sabinsen in Deckung, als ein weißer Plastikgartenstuhl von der Vereinsterrasse über sie hinwegfegte. Kimi hatte zu oft geschnipst, ihre Hexerei sich dadurch aufgestaut. »Wir müssen eingreifen!«

Die nun in Form eines Wirbelwinds entladene Magie tobte zwischen Tennisplatz und Vereinshaus. Das war’s dann mit der gepflegten Wiese.

Mona wollte sich gerade erheben, um einzuschreiten, doch Frau Sabinsen griff sie am Ärmel ihres schwarzen Mantels und zog sie wieder runter. Keine Sekunde zu spät, denn ein nasser Erdbrocken sauste über Monas Kopf hinweg.

»Noch hat sie nicht versagt!«, brüllte Frau Sabinsen. »Kimi kann noch bestehen! Wenn wir jetzt eingreifen, ist alles vorbei.« Die Beamtin deutete auf den Elefanten am anderen Ende der Wiese.

Tatsächlich hatte der Wind das seifenblasenartige Wesen an die Barriere gedrückt, nur mit Mühe kämpfte es gegen den Sturm an. Sein erneuter Angriff ähnelte eher einem Trab, doch es wurde mit jedem Schritt schneller. Es gewann deutlich an Kraft. Kimis Magie reichte nicht aus – oder hatte ihre Hexerei versagt?

Monas Herzklopfen pochte in ihren Ohren. Nur zusehen zu können war furchtbar. Hexenprüfungen waren nicht ungefährlich, wie Mona am eigenen Leib hatte erfahren müssen. Sie wollte auf keinen Fall, dass Kimi sich verletzte. Hätte Mona doch nur mehr tun dürfen, als halbgare Ratschläge zu erteilen, hätte sie doch die letzten Monate mehr Zeit für das Mädchen gehabt.

»Sei vielseitig«, hatte sie Kimi geraten. »Bedenke, dass eine Hexerei verschiedene Probleme lösen kann.«

Angesichts des sich nun aufbäumenden Elefanten, kamen ihr all die Ratschläge der vergangenen Wochen furchtbar hohl vor.

Das magische Wesen zog Kreise um Kimi, doch im Gegensatz zu Mona hatte sie sich wieder beruhigt. Das Mädchen zog etwas Blaues aus seiner Hosentasche, Mona konnte nicht genau erkennen, worum es sich handelte.

»Komm schon, Kimi«, flüsterte sie, machte vor allem sich selbst damit Mut. Sie durfte auf keinen Fall ihren Einsatz verpassen, um Kimi vielleicht zu retten.

Meist bestand die Hexenweihe aus einer physischen Gefahr, die es mit magischen Kräften zu bewältigen galt. Für eine Windhexe gab es zahlreiche Ansätze, sich zu schützen, und Mona beneidete Kimi ein wenig um ihre Prüfung – Mona hatte man damals aus dem Fenster gestoßen. Seitdem wusste sie, dass ihre Feuerkräfte Explosionen verursachen konnten, deren Rückstoß zwar einen Fall ausbremste, jedoch zu Knochenbrüchen führte. Hätte Mona versagt, wäre ihr nichts passiert, denn wie bei dem wütenden Elefanten von Kimi hatte es sich auch bei Monas Bedrohung um eine Illusion gehandelt. Das für sie aufgespannte Luftpolster war lediglich unsichtbar gewesen, und Mona hatte ihren gebrochenen Arm ihrer eigenen, unkontrollierbaren Magie zu verdanken. Sich an diesen Tag erinnernd, durchfuhr Mona ein kalter Schauer. Kurz darauf hatte sie all ihr Erspartes für Siegeltattoos ausgegeben und sich von ihrer Hexerei distanziert.

Aber Kimi würde es nicht so ergehen. Ihr funkte kein Trauma dazwischen. Sich dessen bewusst werdend, beruhigte sich Monas Puls wieder. Sie durfte ihre Ängste auf keinen Fall auf ihren Schützling projizieren.

Kimi schien entschlossen, es mit ihrem Ungeheuer aufzunehmen, und behielt den um sie kreisenden Elefanten fest im Blick, während sie mit etwas großem Blauen vor ihrer Nase herumhantierte. Endlich erkannte Mona, was Kimi aus ihrer Hosentasche gezaubert oder vielmehr gehext hatte: Ein Ballon nahm langsam Form an, hatte schon bald eine akzeptable Partygröße erreicht, aber Kimi hörte nicht auf. Schon wenige Atemzüge später entwickelte das Ding einen Umfang, den keine normale Lunge füllen konnte, erst recht nicht die eines jungen Mädchens. Mehr noch, er richtete sich auf, reckte sich gen Himmel wie ein kleiner Planet, und Kimi klammerte sich an ihm fest.

»Beim Dreizack des Poseidon, sie hat doch nicht …«, murmelte Frau Sabinsen. »Verzauberte Lunge, sehr beeindruckend.«

Im Nu hatte der Ballon die Größe eines ausgewachsenen Menschen erreicht. Grelle magentafarbene Lettern priesen einen 20-Prozent-Rabatt auf alles außer Tiernahrung an, mehr konnte Mona auf dem Ballon nicht entziffern. Das Ding zerrte an dem Mädchen, stieg mit einem Ruck höher, und so lösten sich Kimis Füße vom Boden.

Mona schrie auf, als der Elefant mit seinem Rüssel nach der Teenagerin schnappte, doch die hielt sich tapfer am Ballon fest und wurde rechtzeitig von ihrer eigenen Windhose hinaufgewirbelt. Aber es blieb nicht bei der einen Windböe. Immer schneller stieg Kimi höher, Meter um Meter.

»Kimi«, brüllte Mona ihr entsetzt nach. Auch vom Rand der Wiese hallten Rufe, aber zu ihrer Überraschung waren sie nicht panisch, sondern Kimis Eltern feuerten sie inbrünstig an. »Wie wir es geübt haben, mein Schatz!«

Verwirrt erkannte Mona, dass der Sturm Kimi keinesfalls unkontrolliert herumwirbelte – die Windhose gehorchte dem Mädchen, das nicht höher flog, Kimi war vielmehr in der Luft erstarrt. Nur grob konnte Mona ein Grinsen auf ihren Lippen erkennen. Das Mädchen hatte alles vollkommen unter Kontrolle.

Ein schriller Pfiff. Augenblicklich zerplatzte der Elefant wie eine Seifenblase.

»Hab ich bestanden?«, brüllte Kimi, die sich mehr schlecht als recht am Ballon festhielt. Ihre langen dünnen Beine schlackerten hin und her. Wenigstens musste man sich um den Fall einer Windhexe keine Gedanken machen, die landeten immer weich.

Mona hob den Daumen als Antwort. Kimis glückliches Jauchzen hallte durch den Park, gefolgt vom johlenden Applaus der Schaulustigen. Der Wind nahm ab, und der Ballon begann langsam zu sinken. Als Kimis Füße die Wiese berührten, ließ sie ihn los und er sauste mit einem dröhnenden Furzlaut empor, knatterte davon in das schwindende Blau des späten Abends.

»Ich hab’s geschafft«, kreischte Kimi und reckte die Arme triumphierend in die Luft, ehe sie von ihren Angehörigen regelrecht erdrückt wurde.

Endlich löste sich der gestresste Knoten in Monas Eingeweiden, und sie atmete tief durch. Und weil noch immer ein laut furzender Ballon durch den Park sauste, stimmte sie in das Gelächter der anderen mit ein.

»Das war ja turbulent«, beschloss Frau Sabinsen den heutigen Auftrag und notierte sich etwas auf ihrem Smartphone. Sie hatten Kimi verabschiedet, die mit ihrer Familie sicher ausgelassen feiern würde. Der vorläufigen Beurteilung nach konnte sie wohl mit Hexenrang elf rechnen und würde mit einem Studium vielleicht auf acht aufsteigen. Mona freute sich wirklich aufrichtig für das Mädchen. Aber der Gedanke, was Kimi alles erwarten würde, bereitete ihr etwas Bauchschmerzen.

Mona besah sich die halbwegs durch eine Hexerei geflickte Wiese und dachte an Kimis kreativen Einsatz von Luftmagie. Das Mädchen war eine Frohnatur, frei und ungebändigt, ein echter Wirbelwind. Aber auch Kimi hatte keine große Wahl: Sie würde eines Tages als Hexe arbeiten müssen oder ihre Kräfte aufgeben.

Unweigerlich entkam Mona ein Seufzen, das prompt mit einem Gurren beantwortet wurde. Verwirrt sah Mona zur Seite und erschrak leicht, als sie in zwei schwarze Knopfaugen blickte. Dazu gehörte ein langer grauer Hals mit weißen Streifen und gefleckten Flügeln.

»Alles gut, Halpas, es ist nichts«, versicherte Mona der Taube, die auf ihre Schulter gehüpft war und nun hektisch den Kopf bewegte, um Mona noch einmal ganz genau zu mustern.

»Lügen Sie die Gute nicht an, sie kann das spüren.« Mahnend hob Frau Sabinsen eine Augenbraue. Ihre Hakennase kräuselte sich leicht.

»Na ja …«, setzte Mona an, verstummte jedoch wieder. Sie wusste nicht, wie die Beamtin ihre Sorgen aufnehmen würde.

Diese zwinkerte wissend. »Sie werden so schnell erwachsen, nicht?«

Mona rang sich ein Lächeln ab und nickte. »Leider. Bald schon wird sie studieren, und«, sie schluckte, »dann muss sie als Hexe arbeiten.« Unzufrieden mit ihrer Formulierung presste Mona die Lippen zusammen.

»Hexe zu sein befähigt zu großer Macht«, erklärte Frau Sabinsen. »Gerade Kimis Kräfte haben außerordentliches Potenzial.«

»Schon … sicher.« Das war etwas, über das sich Mona mit der Beamtin nicht streiten wollte. Prüfungen, Kontrollen, Unterricht, all das war wichtig, auch wenn die Umsetzung leicht veraltet war. Doch ehe Mona Luft holen konnte, um schnell das Thema zu wechseln, stieß Frau Sabinsen ebenfalls ein bedrücktes Seufzen aus.

»Zu schade, mit ihren Windkräften wäre Kimi auch eine fantastische Pilotin, meinen Sie nicht? Oder sie würde als Bäckerin die Windbeutel neu erfinden.« Die Beamtin lachte vergnügt, schien sich nicht daran zu stören, dass Mona sie perplex anstarrte. Halpas die Taube nutzte den Moment und hüpfte wieder auf die Schulter ihrer Besitzerin. Den Kopf des Vogels tätschelnd, fuhr Frau Sabinsen fort. »So viele nie erforschte Möglichkeiten. Das Leben ist einfach nicht fair.«

»Das muss sich aber ändern«, brachen Monas Gedanken laut aus ihr heraus. Mit Frau Sabinsens Unterstützung hatte sie nicht gerechnet, und Mona wusste gar nicht, wohin mit der plötzlich gewonnenen Energie. »Vielmehr … also ich will es ändern«, erklärte sie aufgeregt. »Ich würde wirklich gerne mehr tun.«

»Mhm?«, summte Frau Sabinsen, holte derweil einen großen Beutel mit Körnern aus ihrer Handtasche, der dort definitiv nicht hätte hineinpassen sollen. Sofort flogen von überall aus der Parkanlage Tauben auf sie zu.

»Nach allem, was ich erlebt habe, mit Nosdrof, mit meinen Freunden, mit Bärbel …«, plapperte Mona drauflos. »Ich möchte das Amt der Bezirkshexe anstreben, und vielleicht irgendwann mehr. Es muss sich etwas ändern! Und irgendjemand muss es tun!«

Die Taubenfrau sah keinesfalls überrascht aus. Ohne die vor Aufregung leicht zitternde Mona eines Blickes zu würdigen, verstreute sie ihr Vogelfutter, und im Gegensatz zu Monas bisherigen Erfahrungen mit dem grauen Federgetier pickten die Tauben artig nach den Körnern, schienen gar Schlange zu stehen.

»U-und ich hatte gehofft, dass Sie vielleicht einen Tipp für mich haben?«, kiekste Mona vor Aufregung. Um als Bezirkshexe zu arbeiten, mussten die anderen Zuständigen sie wählen. Es brauchte auch eine Prüfung, vor allem aber Empfehlungen und viel Vertrauen vom Hexendenrat – nur dann würde Mona als Bezirkshexe über sämtliche magischen Begebenheiten des Kreises Offenbach mitentscheiden, sogar in die Politik gehen können.

»Ich begrüße Ihren Eifer Frau Hass.«

»Ja?« Eigentlich bemühte sich Mona immer, ihre nervöse Natur vor anderen zu kaschieren, aber gerade platzte sie förmlich. Selten hatte sich etwas so richtig für sie angefühlt wie der Weg als freie Hexe.

»Und es braucht dringend Eifer!« Frau Sabinsen erhob einen Zeigefinger und begann damit herumzuwedeln. »So gern ich den alten Bezirkszauberer Flaun auch hatte, er war zu lange im Amt. Und nun ist er verschwunden, und niemand kümmert sich. Also ja, wir brauchen dringend Ihren Eifer, Frau Hass. Wir brauchen jemanden, der Verantwortung übernimmt.«

»I-ich werde tun, was ich kann«, stammelte Mona.

Nun war es die Beamtin, die vor Aufregung zu zittern schien. »Stellen Sie sich vor, Herrn Flauns Verschwinden wird der Hölle zugeschrieben! Hach, mein lieber Kollege, es ist eine Tragödie.« Wenn Frau Sabinsen sich schon mal einen Namen merkte, dann war es ernst. »Deshalb wird auch nicht ermittelt. Niemand tut etwas. Wir haben keine zuständige Person mehr. Der Minister hat doch gar keine Ahnung … meint, Luzifer soll das intern regeln. Das Bundesamt für magische Ermittlung hat zwar Einspruch erhoben, aber Martin ist dem Minister seit Jahren ein Dorn im Auge.«

»Was?«, keuchte Mona, ihr war sämtliche Luft aus der Lunge entwichen. »Der Minister für Unvolk hat sich eingeschaltet? Wegen … also … ehh …« Sie konnte Frau Sabinsens Gedankensprüngen nicht ganz folgen.

»Natürlich, der Vorfall am Mainufer wurde auf oberster Ebene besprochen. Sie waren doch mittendrin, wurden sogar beschuldigt.«

Mona nickte langsam. »Soll heißen, nachdem sie mich beinahe für den Aufstand auf dem Jahrmarkt verurteilt haben, weil ich ein Kind retten wollte … ist sonst nichts weiter geschehen?«

»Leider! Martin wollte ja, aber Minister Antür hat alles der Hölle in die Schuhe geschoben, weil Höllenmagie. Hat wohl Angst, sich die Finger zu verbrennen. Um diesen Nuselduff müssen sich also die Dämonen kümmern …«

»Nosdrof.«

»Ah, wie ich sagte. Hach, so ein Ärgernis. Der Minister ist ein Feigling. Dabei war der Anstifter, dieser Norsdorf, ein Vampir und gehört damit zu seinesgleichen. Wenn sich jemand kümmern sollte, dann er. Schisshasiger Schisser, das ist er. Sie glauben ja nicht, wie fragil die meisten Vampire sind. Der Minister lässt niemanden mit Silber auch nur zwei Meter an sich heran, und wehe, jemand spricht ihn auf seine schiefen Eckzähne an. So ein Quark, lässt die Verbrechen eines Vampirs nicht von Martin untersuchen, pah!« Der pikierte Klang in ihrer Stimme verriet, wie wenig sie von Minister Werner Antür hielt. Seit Jahrzehnten hatte er die Kontrolle über das Unvolk in Deutschland. Lange bevor sich die Übernatürlichen geoutet hatten, hatte er sich für sie eingesetzt. Ein Vampir in einer christlichen Partei, das hatte durchaus Macht und Einfluss auf die Gemeinschaft der Magie. Auch dank ihm befand sich die magische Welt Zentraleuropas im Würgegriff der Kirche.

»Wenn Sie von Martin sprechen, meinen Sie dann Martin Van Helsing?«, hakte Mona nach.

»Natürlich, wen denn sonst? Gerade erst hat er das alte Bundeskriminalamt in Frankfurt bezogen, stellt seine Einheiten auf, und was lassen sie ihn machen? Straßenkontrollen. Einen Van Helsing. Stellen Sie sich das vor!« Trotz ihres ärgerlichen Tonfalls verstreute Frau Sabinsen das Vogelfutter gleichmäßig, lediglich eine Ader an ihrem langen Hals bebte. »Wenn Sie sich also um Politik bemühen, dann werde ich Ihnen helfen. Zur Bezirkshexe reicht Ihr Rang aus, wir wollen aber die Nerven des Amtes nicht wieder mit Ihrem Werdegang strapazieren, nicht?« Eine Augenbraue hob sich.

Mona setzte abermals ihr verlegenes Grinsen auf. Sie verdankte es ihrem Erzdämon und Ehemann Balthasar, dass sie inzwischen als Hexe der Stufe drei galt. Dafür hatte sie anders als andere keine Prüfung ablegen, sondern nur einen Dämon beschwören müssen. Der dadurch besiegelte Pakt war für das von der Kirche kontrollierte Amt mehr als ein Ärgernis.

Es war lächerlich. Nosdrof, ein gefährlicher Vampir, schürte Unruhe in der Stadt, sammelte Dämonen und andere Unwesen um sich, und die Behörden durften nicht eingreifen, weil die Kirche schon bei dem Gedanken an eine Zusammenarbeit mit der Hölle Schnappatmung bekam. Jeder Engel hätte mit den Augen gerollt.

»Ich sollte es also langsam angehen?«, schlussfolgerte Mona. Die Taube namens Halpas auf Frau Sabinsens Schulter nickte. »Dreck.«

»Sie müssen sich durch Arbeit beweisen und eine Onlineschulung besuchen. In der Zwischenzeit stelle ich Sie überall vor. Dass Sie den passenden Rang besitzen, erwähnen wir nur beiläufig, als wäre es nichts Besonderes. Das kriegen wir hin. Sie haben doch inzwischen Übung in diesem Job, nicht?«

Das stimmte. Mona hatte Boris, ihren besten Freund, Nachtwächterkollegen und Vampir, durch seine Eignungsprüfung gebracht. Kimi war nun offiziell eine Hexe, und Bärbel würde bald ihr Zeugnis als Fluchwesen ablegen, somit eine eigene Wohnung beziehen und frei leben können. Es war jedoch etwas anderes, wenn man selbst auf den Prüfstand kam.

»Sie werden viel Geduld brauchen, es ist nicht nur eine Entscheidung über Ihre magischen Fähigkeiten, sondern auch politisch«, gab Frau Sabinsen zu bedenken.

»Ist mir recht, i-ich habe Zeit. Wir haben ohnehin viel zu tun gerade. W-wir wollen umziehen, und dann ist da noch das Baby. U-und die Hochzeit.« Mona legte eine Hand auf ihre Brust. Normalerweise trug sie ihr Dämonenschweinchen immer in einem Tragetuch mit sich herum. Doch Tiffy war wegen der Prüfung heute bei Papa Balthasar und schlief vermutlich zufrieden in ihrem Körbchen auf seinem Tisch – oder fraß sich durch seine Sofagarnitur. Er hatte inzwischen schon drei neue kaufen müssen, und Mona besaß die vierte Matratze innerhalb eines Monats.

»Hochzeit?«, riss Frau Sabinsens Stimme sie aus ihren Träumereien.

»Ehh, ja«, antwortete sie rasch. »B-Balthasar und ich wollen heiraten, diesmal richtig, nicht durch einen Paktunfall. Sie sind natürlich herzlichst eingeladen. Karten kommen leider erst, wenn wir jemanden gefunden haben, der uns traut und … einen Ort und … es ist so viel zu tun«, plapperte Mona. Seit Wochen zerbrach sie sich den Kopf darüber. Sie hatten über eine Feier in der Hölle nachgedacht, aber mit Luzifer als höllischen Priester fühlte sich auch Mona unwohl.

»Soso, eine Hochzeit. Ich liebe Hochzeiten. Einen Zeitraum im Blick?«

»E-eigentlich gerne bald, aber erst muss Bärbel ein Fluchwesen sein, damit sie dabei sein darf, und dann ist da noch …« Sie seufzte schwer.

Frau Sabinsen reckte ihren langen Hals, sah Mona prüfend an. »Aha? Und dann ist da noch was?«

Aus Nervosität langte Mona zu der Tüte mit Körnern. »Darf ich?«

»Natürlich.«

Sie griff großzügig zu und begann nun ebenfalls Vogelfutter zu verstreuen. Inzwischen hatten sich einige Spatzen zu den Tauben gesellt, und eine Amsel beobachte das Festgelage neugierig aus sicherer Entfernung. Vögel zu füttern hatte etwas Beruhigendes, und so gern Mona sich auch in ihren jüngsten emotionalen Entwicklungen sonnte, so nervös machten sie die vielen Veränderungen in ihrem Leben. Sich nicht mehr unter Druck zu setzen, war leichter erkannt als umgesetzt.

»Balthasar und ich wünschen uns eine offizielle Trauung. Nur jemanden zu finden, der Hexe und Dämon traut … diesen Hexer vom Standesamt muss ich nicht noch mal haben. Und ich weiß nicht, ob das Amt uns das überhaupt gestatten würde. Was, wenn die sich einschalten?«

»Wäre nicht so ratsam. Also … wenn Sie wollen, ich darf Trauungen durchführen. Nur keine kirchlich gültigen, aber das fällt bei Ihnen ja sowieso flach, nicht? Nun, wenn ich es recht bedenke, habe ich Sie ja auch beim ersten Mal getraut.« Frau Sabinsens Augenbrauen waren nun so weit gehoben, dass sie sich als dünne Striche zu den vielen Falten auf ihrer Stirn gesellten.

Mona spürte, dass sie vor Überraschung einen ähnlichen Anblick bot. »Das würden Sie tun? Und … und dürfen Sie das einfach?«

Ein leichtes Hüsteln, dann ein schnurrendes Kichern. So hatte sie Frau Sabinsen noch nie erlebt. »Da hat das Amt nichts zu melden – alle guten Feen dürfen das.« Die Taubenfrau lächelte selbstzufrieden.

»Sie … sind … eine … gute Fee«, wiederholte Mona.

»Aber ja, meine Liebe. Was denn sonst?«

»Ehh …«

Wenn so große Augen wie die von Frau Sabinsen abschätzig rollten, wurde es einem beinahe schwindelig. »Ja, ja, ja, meine Schwester war die Beliebte, die mit den Mäusen und glitzernden Kleidern. Konnte Kürbisse in Kutschen verwandeln! Aber was ihre Nager alles veranstalten. Meine Tauben und ich dagegen … ein Renner auf jeder Trauung. Das sage ich Ihnen.«

»Kann ich mir vorstellen«, gab Mona hohl klingend zurück. Über Feen hatte sie viel gelesen, aber die Kirche tat sie als Hexen ab, die sich besonders fühlen wollten, weshalb die meisten Informationen über diese Art magische Wesen aus Märchen stammten.

»Aber wissen Sie, Frau Hass? Vielleicht können wir auch Bärbels Antrag auf Fluchwesen beschleunigen.«

»Wirklich?«

»Das Wichtigste wäre eine eigene Wohnung.«

Mona stöhnte. »Ja, das wissen wir bereits. Aber wer vermietet einem Fluchrelikt schon eine Wohnung? Und ohne Wohnung dauert das mit dem Fluchwesen ewig, weil kein Konto, keine Adresse, ohne Fluchwesenstatus keine vom Amt gestellte und überwachte Wohnung, und …«

»Ihr Mann ist wohlhabend, nicht? Sicher hat er Immobilien.«

Es klatschte laut, als sich Mona mit der Hand gegen die Stirn schlug. Neben ihr flatterte es empört, einige der Tauben warfen ihr finstere Blicke zu. »’tschuldigung … es ist nur …« Mona hatte sich nie an Balthasars weltliche Macht gewöhnt. Zwar hatte er seine Firma aufgegeben, um sich auf das Amt als Höllenfürst zu konzentrieren und seine eigenen Reformen anzustreben, aber sicher besaß er mehr Geld, als Mona je ausgeben könnte.

»Ich bin manchmal so … so … so … alles ist immer zu viel und zu laut und zu chaotisch, und ich kann nicht klar denken … kann mich nicht sammeln. Aber daran hätte ich denken sollen. Denken müssen! Verdreckt!« Seit Mona sich am emotionalen Loslassen übte, ihr Chaos zuließ, ging es ihr deutlich besser, aber es fehlte all der Druck, der ihr offenbar half, sich zu fokussieren. Sie hoffte, dass es sich dabei nur um eine Phase handelte. Heilung brauchte ihre Zeit, nicht wahr? Doch dann war da Monas Therapeut mit seinem Verdacht, den er bereits mehrfach angesprochen hatte: eine Hexe mit ADHS und posttraumatischmagischer Belastungsstörung … wann gönnte ihr das Leben endlich mal eine Pause?

»Hin und wieder gehe ich im Schlafanzug zur Arbeit, wissen Sie. Wenn es so viel Wichtiges gibt, auf das man sich zu konzentrieren hat, dann übersieht man schon mal das Wesentliche.«

Mona kam nur eines ihrer »Ehhs« über die Lippen, da ihr Hirn sich nun krampfhaft Frau Sabinsen in einem plüschigen Nachtgewand vorstellen musste.

»Bärbel wirkte auf mich sehr eigenständig. Der Antrag sollte kein Problem sein. Selbstständige Kontrolle über ihre Bewegungen, Kommunikation, Erinnerungen«, zählte Frau Sabinsen auf. Vor allem das Gedächtnis war es, was Bärbel von anderen Relikten unterschied. Die singenden verfluchten Vasen, um die sich Mona unter anderem als Nachtwächterin im Mythohistorischen Museum Frankfurt kümmern musste, entwickelten sich nicht. Sie besaßen zwar ein instinktives Erinnerungsvermögen, das reichte allerdings nur, um sich irgendwann den vollen Text von »Heller als Licht« einzuprägen, nie wieder zu vergessen und fortan, vielleicht für alle Tage, jede Nacht lauthals zu grölen.

»Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe!« Mona lächelte, und Frau Sabinsen erwiderte es ebenso herzlich. »Hoffentlich wird Bärbels Fall anderen Fluchrelikten helfen.«

»Wohl wahr.« Mit dem schweren Durchatmen der Taubenfrau hatte Mona nicht gerechnet. »Der Schutz ungewöhnlicher, teilweise lebendiger oder untoter Relikte ist nicht anständig definiert. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, was mit meinen Lieblingen passiert, sollte ich mal …« Ein besorgter Blick traf die Taube auf ihrer Schulter. Halpas gurrte fragend.

»Ehh … das sind … das sind …«, begann Mona.

»Geistwesen, aber schlichte. Die Kirche würde sagen …«

»Niedere Dämonen.«

»Mhm.« Mit unglücklicher Miene streichelte Frau Sabinsen ihrer Taube über den Hals. Es erklang fast so etwas wie ein Schnurren, und der Vogel schloss zufrieden die Augen.

»Wir finden eine Lösung«, versprach Mona, die sich mit diesen Wesen angefreundet hatte, ihnen ihre Freundschaft zu der Beamtin verdankte.

»Das wäre schön, Frau Hass.«

»Ach, sagen Sie doch Mona.«

»Mona. Dann bin ich für dich Sabine.« Aufrichtige Freude brachte unter Sabines harten Gesichtszügen Grübchen zum Vorschein. »Nun … Mona, damit das mit Bärbel schneller geht, könnte ich, wenn du das alles für mich zusammenträgst, vielleicht schon in ein paar Wochen einen Termin bei einer Kollegin für dich arrangieren. Sie schuldet mir noch einen Gefallen. Aber wegen Bärbel musst du nicht warten mit dem Heiraten, ich krieg das schon hin, dass sie auch als Fluchrelikt dabei sein darf.«

»Gute Fee, hm?«

Sabine lachte heiter, es klang entspannt und nahm Mona augenblicklich einen Großteil ihrer Nervosität. Wieder hatte sie eine Freundin gefunden, die ihr den Rücken stärkte. Und was sollte mit einer Taubenfrau auf ihrer Seite schon schiefgehen?

Kapitel 2Eine Erschütterung der Macht

Immer noch der 05.03.2019

Boris lehnte gemütlich an seinem brandneuen Toyota Ultimum, dessen taubengraue Farbe perfekt zu der Horde Vögel passte, die das Dach besetzte – und die Motorhaube, die Seitenspiegel, die Stoßstange – das bekam auch kein Putzzauber wieder sauber. Als Mona und Sabine ihn erreichten, erhob sich Halpas, die geringelte Taube, und steuerte zielstrebig auf Boris’ blonde Locken zu. Als wäre es das Normalste auf der Welt, ließ sie sich in seinen Haaren nieder, und der Vampir grinste gequält.

»So früh schon wach, Herr von Holzenrollern?«, fragte Sabine, und Mona war sich inzwischen sicher, dass die Beamtin ihm absichtlich unterschiedliche Nachnamen gab, denn es schwang ein amüsierter Unterton mit.

»Nun, ich …«, begann Boris, dabei bemüht, sich nicht zu bewegen, solange Halpas sich noch ein Nest auf seinem Kopf zurechtzupfte. »Au!« Der Vogel hatte an einer seiner Locken gezerrt, um sie unter den Taubenpopo zu ziehen.

»Sie müssen nichts weiter erklären, ich weiß schon.« Selbstverständlich war die Beamtin im Bilde. Mona musste an die Erwähnung von Kriminalkommissar Martin Van Helsing denken, den Sabine so vertraut beim Vornamen genannt hatte. Auch er hatte über Boris’ Ambrosiakonsum Bescheid gewusst, doch offenbar schwieg man diese illegale lebensspendende Vampirdroge lieber tot. Boris sah dank ihr frisch durchblutet aus, dabei war die Sonne noch nicht ganz untergegangen und seine untoten Kollegen erhoben sich vermutlich gerade erst aus dem Sarg. In zwei Stunden begann die Schicht im Museum, und sie würden Sabine in der Innenstadt absetzen – hoffentlich auch ihre Tauben, die sich direkt auf den Sitzen verteilten, als Boris ihnen die Wagentür aufhielt.

»Die Damen?«, schnurrte er, bückte sich tief, damit Halpas sich nicht den Kopf stieß, und setzte sich hinter das Steuer. »Wie verlief Kimis Prüfung?«

»Sie hat das toll gemacht, direkt bestanden!« Mona konnte ihr Grinsen kaum zügeln. Sie hatte sich auf dem Beifahrersitz niedergelassen, und nun, da es sich eine Taube auf ihrem Schoß bequem machte, war sie froh, dass Tiffy heute bei ihrem Vater war. Zurzeit jagte sie alles, was sich bewegte …

So neu Boris’ Wagen auch war, Elfenstaub und Hundehaare hatten bereits die Polster erobert, und es roch nach Zucker und nassem Werwolf. Während der Fahrt zupfte Mona einige feine Härchen von ihrer schwarzen Leggins und war damit so beschäftigt, dass sie furchtbar zusammenschreckte, als Sabine »Halt! Sofort anhalten!« brüllte.

Boris trat so abrupt auf die Bremse, dass drei Tauben wie Geschosse durch den Wagen flogen. Sie prallten jedoch an einem Schutzzauber ab und blieben unversehrt. Leider purzelten sie alle in Monas Schoß und ließen reichlich Federn. »Was ist denn los?«, rief Mona über lautes ärgerliches Gegurre hinweg.

»Der Mann dort!« Doch statt sich weiter zu erklären, sprang Sabine aus dem Wagen und lief quer über die Straße in Richtung der Fußgängerzone. Hinter Boris’ Auto hupte es laut. Typische hessische Schimpfwörter erhoben sich wie ein drohender Schwarm, und der Vampir startete rasch den Motor, um der Beamtin zu folgen.

Mona hatte derweil die Tauben entwirrt und reckte suchend den Kopf. »Der Mann?«, murmelte sie. Es brauchte einen Moment, ehe sich ihre Augen an den Dunst draußen gewöhnten. War es vorhin schon so dunkel und nebelig gewesen? Die kastenähnlichen Gebäude der Fußgängerzone verschmolzen mit dem schwindenden Abendlicht. Ihre sonst zur Schau gestellten dreckigen Fassaden wirkten beinahe eben. Einzig und allein ein großes blaues TEDI-Logo leuchtete durch das Grau. Zügig eilte Sabine auf jenes Geschäft zu.

Boris war mit seinem Auto hinter einen parkenden Lieferwagen geschlüpft, neben dem ein Mann in Arbeitskleidung gerade eine Zigarette rauchte. Viel Betrieb herrschte zu dieser Stunde nicht, Graupelregen und dichter Bodennebel hielten die meisten Leute zu Hause – wie gerne hätte Mona diesen Luxus jetzt geteilt.

Sabine Sabinsen winkte ihnen zu, stand neben dem Grund für ihre Vollbremsung und hatte bereits ihr Handy gezückt, um die Aussagen eines ärmlich gekleideten Herrn aufzunehmen. Was für ein Kontrast: die adrett in einen dunkelblauen Baumwollmantel gehüllte Beamtin mit ihrer Duttfrisur und den Perlenohrringen neben dem völlig zerzausten Kerl in seinen kaputten Joggingklamotten. Er trug einen verdächtig selbst gestrickt aussehenden Schal, der so lang war, dass er ihn gut fünfmal um den Hals gewickelt hatte. In seinem rechten Schuh klaffte ein Loch, so auch in den Handschuhen. Zwischen seinen zitternden Fingern hielt er ein großes Schild mit der Aufschrift: Der Weltuntergang ereilt uns heute! Jesus’ Offenbarung die Drölfte! Wehe uns!

Monas Magen krampfte sich sofort heftig zusammen. Das hatte gerade noch gefehlt. »Das darf nicht wahr sein«, murmelte sie, wofür sie von Boris nur einen fragenden Blick erntete, die Taube auf seinem Kopf hatte sich neugierig erhoben. »Das ist ein Zeichen«, erklärte sie hastig.

Ihr Vampirfreund hob ungläubig die Augenbrauen.

Mona zückte nun auch ihr Smartphone und erhielt sofort die von Sabine gesendete Gebietswarnung für einen Q3. »Der thaumaturgische Notdienst wird gleich hier sein.«

»Wegen … wegen dem da?« Boris’ Stimme kippte, aber darauf konnte sie jetzt nicht eingehen, die Situation war zu ernst, um ihm alles zu erklären.

Deshalb auch dieser seltsame Nebel. Der rührte nicht von der Kälte her, etwas Unheilvolles lag in der Luft, und damit war nicht der Gestank der Offenbacher Gerberei gemeint, der Mona nun in die Lunge biss. Dunkle Läden, nicht ungewöhnlich kurz vor 18 Uhr, aber sogar der Dönerladen hatte die Tür verriegelt, ein weiteres Alarmzeichen.

Nervös sah sie sich um. »Was hat er gesagt?« Doch ehe Frau Sabinsen den Mund öffnen konnte, um Mona zu antworten, begann der Straßenprophet seine Vorhersagen zu wiederholen, die er seiner heiseren Stimme nach schon seit einigen Stunden über die Fußgängerzone brüllte.

»Sie werden sich erheben, sie werden da kommen, wo andere gehen, da werden sie schreiten«, trug der Mann vor. »Ihre Macht gleicht der Macht der Mächte des mächtigsten Mächtigen. Es wird das Ende aller Tage sein, der Anfang des Beginns der unendlichen Schwärze …«

»Ja, ja, ja«, unterbrach Sabine ihn und verdrehte die Augen. »Es sind immer die Anfänge, darauf müssen wir uns konzentrieren, den Rest hat er nur ausgeschmückt. Hach, so ein Schlamassel. Jesus war lange nicht mehr in Plauderlaune, das ist ernst.«

»Muss übel sein, wenn sogar er sich einmischt.« Monas Nackenhaare stellten sich auf. Kampfbereit hob sie ihre Fäuste und musterte die leicht violett glühenden Konturen ihrer Hände. Was sich auch erheben mochte, sie war bereit, hoffte sie zumindest.

Aber vorerst war es Boris, der seine Stimme erhob: »Ich darf doch wohl bitten … was?«

»Psst«, machte Mona und drückte ihm einen Finger auf die Lippen. Leise fuhr sie fort: »Das ist keine richtige Vorhersage, mehr eine Warnung, eine Insiderinformation des Herrn.«

»Durch den da?«, wollte der Vampir wissen, nickte unauffällig zu dem unrasierten Mann mit seinem Wickelschal.

»Klar, durch wen sonst? Stell dir vor, Jesus schickt einem Priester so eine Botschaft. Was, wenn man dem glauben würde? Die Folgen wären nicht auszudenken. Pilgerreisen, Verehrung … Er muss das also gut tarnen. Außerdem braucht es wahre Gläubige, um so eine Botschaft zu empfangen, und die sind echt selten.«

Boris schob seinen Unterkiefer vor, Mona konnte seine Zähne knirschen hören. Der Falte zwischen seinen Augenbrauen nach zu urteilen verknotete sich ihm gerade das Hirn.

Sie wollte schon Luft holen, um weiter zu erklären, da packte Sabine sie am Arm.

»Riecht ihr das auch?« Die Beamtin reckte ihre Hakennase.

Neben Mona würgte es leise, Boris hatte wohl auf ihre Frage hin eingeatmet, etwas, das Vampire selten taten – zum Sprechen, ja, zum Wittern für die Jagd, sicher, aber ganz bestimmt nicht, um einen tiefen Zug Modergeruch aufzunehmen. Was Mona anfangs für die Gerberei gehalten hatte, ein ihr wohlbekannter Gestank, entpuppte sich als so viel mehr: verdorben, verwest, mit einem Hauch 4711 Eau de Cologne.

»Zombies«, keuchte Mona. Nicht ungewöhnlich für Offenbach am Main, aber zu dieser Uhrzeit lief RDL aktuell, und das ließ sich normalerweise kein Leichnam entgehen. Was hatte der Prophet geweissagt? Sie werden sich erheben, sie werden da kommen, wo andere gehen, da werden sie schreiten. Nervös schielte Mona auf das blaue Fußgängerzonenschild. Nebel so dicht wie auf einer billigen Zaubertrickveranstaltung hatte sich auf den Boden gelegt, rollte in Schwaden über Zigarettenstummel und Müll hinweg.

Mit lautem Klirren zerbarst eine Fensterscheibe im Woolworth schräg gegenüber, Mona unterdrückte einen Schrei, aber Boris neben ihr ließ ein Quietschen verlauten, weshalb er sich sofort eine Hand auf den Mund drückte. Wachsam straffte Sabine ihre Schultern. Tauben flatterten hörbar auf, verteilten sich wie auf ein unsichtbares Kommando. Das hier war das Revier der Taubenfrau, also rückten Mona und Boris mit Tippelschritten in ihren schützenden Schatten.

Aus dem Kaufhaus taumelte erst ein Untoter, dann direkt der nächste. Sie schafften es kaum auf die Straße, denn das zerstörte Fenster bereitete ihren unwilligen Gliedmaßen Probleme. Schon der dritte Zombie blieb an einer großen Scherbe hängen, da half auch kein Ziehen. So unheimlich die leblosen Gesellen sein mochten, sie waren meist weder schnell noch sonderlich stark. Trotzdem bildete sich rasch ein Stau, denn offenbar tummelte sich eine ganze Horde Untoter in dem Geschäft, die alle unbedingt das Fenster nehmen wollten.

Das war dann auch für den rauchenden Lieferwagenfahrer zu viel, er rannte schreiend davon und ließ seinen Lkw einfach stehen. Die Zombies reckten ihre Hälse und sahen dem Mann nach, einer hob sogar den Arm, als wolle er winken.

»Das machen die doch sonst nicht«, flüsterte Boris, womit er völlig recht hatte. Wiedergänger verspürten keine Neugierde, und anders als in den Horrorfilmen der Sterblichen drehten sie nur durch, wenn es einen Schlussverkauf für Verpackungsmaterial gab, mit dem sie gerne ihre Hirne füllten. Jedoch gab es eine Ausnahme – Mona stöhnte.

»Das ist ein WULKE«, erklärte sie leise. »Wandelnde-Untote-Leichen-Kaskadeneffekt. Zombies sind magisch aufgeladen, und das verstärkt sich, wenn es zu viele werden. Das merkt man schon bei einem Dutzend, deshalb gruppieren sie sich gern. Das verstärkt ihre schiefgelaufenen Wiederbelebungen, lässt sie fühlen, verstehst du? Und wenn es mehr als hundert werden … dann beginnen sie zu denken, zumindest so etwas Ähnliches.«

»Schwarmintelligenz?«

»Könnte man so nennen.«

Mona spürte, wie Boris ein Schauer durchfuhr. »U-und die wollen jetzt was?«

»Echtes Gehirn.«

»Bitte?!« Boris zog den Kopf ein.

»Gern gut durchblutet.«

»Du liebe Güte! Da sind mir die Draugr meiner Generation deutlich lieber.« Boris war zwar über zweitausend Jahre alt, doch da sie die Zombieapokalypse der Industrialisierung zu verdanken hatten, war er wohl ähnlich schlecht im Bilde wie der Rest der Welt. Erst in den letzten Jahren war man sich des Ernsts der Lage wirklich bewusst geworden. Ein Großteil der Bevölkerung bestand aus Untoten, und Massenveranstaltungen drohten außer Kontrolle zu geraten. Wenigstens handelte es sich hierbei um keinen ansteckenden Virus, jene Art Zombies entstanden durch magische Unfälle, selten sogar absichtlich. Manche Klischees entsprangen allerdings einer tieferen Wahrheit.

»Das könnte wirklich gefährlich werden, sobald sie ihren Hunger bewusst wahrnehmen … Wir dürfen es nicht dazu kommen lassen, dass sie anfangen zu denken …« Mona wollte schon ihre Hände heben und ein paar Hexenflammen beschwören, da hörte sie Sirenen, die leise, aber mit überraschender Geschwindigkeit näher kamen.

Das schräge Pfeifen des thaumaturgischen Notdienstes schrillte in einer überirdischen Frequenz, die jeder wahrnahm, ob Gehör oder nicht. Statt zu hexen, steckte sich Mona instinktiv die Finger in die Ohren, aber es änderte nichts an dem Dröhnen. Keine zwei Sekunden und einen Zombie mehr auf der Fußgängerzone später raste ein schwarzer Unvolkswagen mit rot leuchtender Sirene auf sie zu. Knarzend ging das Angebotsschild der Stadtmetzgerei zu Boden, als das Auto darüberbretterte. Erst im letzten Moment stellten sich die Räder des Wagens quer, und er kam schräg vor Boris zum Stehen.

»Welch glücklicher Umstand, dass mein Verdauungssystem inaktiv ist«, nuschelte der, war ebenso heftig zusammengezuckt wie Mona, die sich nun an Sabine klammerte.

Die Taubenfrau schien unbeeindruckt und reckte das Kinn zum Gruß. »Martin«, sprach sie den großen Mann an, der aus dem Auto ausstieg.

»War in der Nähe.« Er klang etwas müde. Träge zog er den Verschluss seiner Weste fest. Schwarze Hose, blaues Hemd, hochgekrempelte Ärmel, der dunkle Schnurrbart, die Fliegerbrille, sicherlich täglich gestählte Muskeln, dazu jedoch ein leichter Bauch, den er vielleicht ein paar Donuts zu verdanken hatte, denn einfach alles an ihm vermittelte das Klischee eines Polizisten. Es war wie bei ihrer ersten Begegnung, Mona hatte das Bedürfnis, sich vor dem Kommissar und Vampirjäger zu verstecken. Um die Van Helsings rankten sich ebenso viele Horrorgeschichten wie um die Zombies.

Martin Van Helsing nickte der Beamtin zu, musterte Mona und Boris kurz und widmete seine Aufmerksamkeit dann sofort dem anschwellenden WULKE.

»Aster 1/03 – bin am Einsatzort eingetroffen.« Er sprach in das Funkgerät an seiner Weste. »Bestätige den Q3. Brauche ein Einsatzteam zur Absperrung der Innenstadt. Gefahr eines W13.«

»Ovid 91/03, sind auf dem Weg«, schepperte es laut zurück.

»Schöne Scheiße«, kommentierte Van Helsing die Lage.

Dutzende Untote steckten verkeilt in dem zerbrochenen Schaufenster, ruderten wild mit den Armen. Diesem Druck hielt der Metallrahmen nicht stand – es knirschte, als er aus der Wand gerissen wurde. Eine Welle aus Zombies ergoss sich auf den Asphalt. Köpfe rollten davon, ein Arm wirbelte durch die Luft, und dann trat ein echter Hüne von einem Wiedergänger über den Sims, so hoch wie das Schaufenster selbst. Arme dick wie ein Bierfass, leere Augenhöhlen, und aus der Tiefe seiner Kehle dröhnte ein Grollen.

Der Prophet dieser Katastrophe sah das als sein Stichwort, den Schauplatz des real gewordenen Horrorfilms zu verlassen, klemmte sich sein Schild unter den Arm und verkündete statt seiner Weissagung ausgelassen: »Ich hab es euch doch gesagt!«

Ein weiteres Fahrzeug des Notdienstes scheuchte ihn vom Gehweg, und dann war er verschwunden.

Mona staunte nicht schlecht, als ein grüner Mann aus dem Polizeiwagen sprang. Stämmig war er, aber klein. Aus dem enormen Unterbiss ragten zwei spitze Hauer über seine Lippen. Auf der anderen Seite stieg seine Kollegin aus, zuerst sah Mona nur ihre grauen Haare. Auch ohne Wind wehten sie wie aufsteigender Rauch, standen im Kontrast zu ihrer schwarzen Haut.

»Gnag und Penny, stationärer Bannkreis um die Fußgängerzone, Blockade für Lebende! Die Untoten sind verstreut und führungslos, das könnte sich jederzeit ändern. Verstärkung ist auf dem Weg. Deckung wahren, Waffeneinsatz zur Verteidigung«, befahl der Kommissar dem Oger und der Dryade, die sofort nickten und an ihnen vorbeieilten. Verwundert von den übernatürlichen Wesen in Van Helsings Team, hatte Mona glatt ihre Nervosität vergessen, doch dann brüllte der Zombiehüne erneut. Es klang verdächtig nach »Hirn«. Gnag und Penny machten einen großen Bogen um ihn. Die Polizisten hatten ihre Waffen gezückt, die auf den ersten Blick wie normale Pistolen wirkten, die der Dryade glühte jedoch leicht rötlich.

Der Kriminalkommissar griff nicht zur Schusswaffe, sondern zu einem Grimoire, ein Zauberbuch, das mit einer Kette an seinem Gürtel befestigt war. Jenes Werk verlieh den Vampirjägern der Van Helsings ihre Fähigkeiten – und machte auch aus ihm einen vermutlich äußerst mächtigen Zauberer.

Mona verfügte zwar über ähnliche Talente, war aber im Gegensatz zum Kommissar nicht für so einen Notfall ausgebildet worden. Doch wer Bezirkshexe werden wollte, gewöhnte sich an diese Art Krise besser gleich. Und es war ja nicht ihre erste Katastrophe. Gegen das Zittern ihrer Beine ankämpfend, trat Mona an Sabines Seite. Mit einem Schnipsen entzündete sie die Hände. Violette Flammen blendeten sie einen Augenblick, ehe sie sich an das knisternde Hexenfeuer gewöhnte. »Falls wir um eine Läuterung nicht herumkommen«, nuschelte sie.

»Meine Liebe, ich zähle auf dein Feuer«, flüsterte Sabine ernst.

Noch taumelten die Zombies verwirrt umher, doch die aus dem Woolworth kriechende Horde nahm und nahm nicht ab, bald würde sich in ihnen ein Wille formen – und einer der Untoten machte bereits jetzt einen äußerst zielstrebigen Eindruck. Der verwesende Hüne, offensichtlich ein fehlgeschlagenes Experiment à la Frankenstein, stapfte auf eine geschlossene Metzgerei zu.

»Hunger«, dröhnte es aus seinem Mund. Vor Schreck flammten Monas Hände grell auf, aber Van Helsing gab ihr mit einer Armbewegung zu verstehen, ihr Feuer zu zügeln.

»Noch nicht! Wir wissen nicht, was diesen WULKE ausgelöst hat, der Untote ist noch frisch. Wir müssen vorsichtig sein, es könnte sich um eine Totenbeschwörung handeln«, erklärte er ruhig.

»Frisch?« Mona keuchte und ließ ihre Hände sinken. Der Zombie war ihnen unangenehm nah, doch sie vertraute auf Van Helsings Ruhe und musterte das Monster genauer. Pralles Fleisch steckte in einem zerrissenen Shirt, das für ihn definitiv ein paar Nummern zu klein war. Er besaß die Kraft von noch funktionierenden Muskeln, seine Bewegungen waren geschmeidig. »Tatsächlich, der versucht sogar zu atmen.«

Sie gingen alle neben Boris’ Auto hinter dem Lieferwagen in Deckung. Zeitgleich spannte sich ein schwach glühendes Pentagramm über ihren Köpfen auf, bedeckte den Himmel. Die beiden Polizisten hatten erfolgreich einen Bannkreis beschworen.

»Nekromantie, hier? In einem Woolworth?«, wollte Mona wissen.

»Schon Merkwürdigeres da drin gesehen.« Van Helsing fischte eine Packung Zigaretten aus seiner Hosentasche und zog einen Glimmstängel heraus, der sofort entflammte, als er ihn zwischen die Lippen nahm. Der Rauch roch unerwartet frisch, wie ein Tee mit der blumigen Bezeichnung Frühlingsbrise oder Genieße-den-Tag-Mischung.

»Ambrosia?«, keuchte Boris überrascht.

Van Helsing zuckte mit den Schultern. »Konsum ist nicht verboten.«

»J-ja, das weiß ich, aber …« Der Vampir verstummte, als er dem kritischen Blick des Kommissars folgte. Dieser sah dem goldenen Rauch seiner Zigarette nach, der wie angesogen in Richtung Woolworth steuerte.

»Bingo. Nekromantie oder ein Tor zur Geisterwelt, das hat den WULKE verschuldet«, schlussfolgerte Van Helsing.

Mona atmete tief durch, die Luft zischte durch ihre Lippen. Die Untoten hatten sich also nicht zufällig getroffen. »Wenn das hier ein geplanter … geplanter Angriff ist … wir müssen herausfinden, zu welchem Zweck.« Sie hörte ihre Stimme leiern.

Zwischen durch Fehlern entstandenen und absichtlich erschaffenen Zombies gab es drastische Unterschiede. Nekromanten konnten ihre untoten Diener steuern – allerdings schien keiner der anderen Wiedergänger besonders fokussiert, und den Hünen hatte wohl nur der Fleischgeruch angezogen.

»Etwas stimmt nicht«, flüsterte Van Helsing, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Wir müssen äußerst wachsam sein. Wo sind die Zaubernden, die den Untoten steuern? Ist das Ritual fehlgeschlagen? Vielleicht ist er ausgebrochen.«

Mona nickte zustimmend. Für Nekromantie brauchte es keine dunklen Kapuzen und Geheimverbunde, nur der gemurmelte Gesang gehörte tatsächlich zum Ritus einer Wiederauferstehung. Deshalb konnte dabei so viel schiefgehen, denn Gemurmel war auch für Magie schwer verständlich.

Im Vertrauen auf ihre Hexenkräfte und ihren Pakt mit Balthasar schluckte Mona das aufkeimende Brennen in ihrer Brust hinunter. Vor allem der Nebel machte sie furchtbar nervös. War er vorhin schon so dicht gewesen? Warum immer Nebel? Ständig und überall immer wieder Nebel. Damals im Park beim Dämonenrave, dann bei Tiffys Rettung im Wald … Mona stutzte.

»Nein. O nein. Nein, nein, nein! Nosdrof«, flüsterte sie.

»Das glaube ich eher weniger.« Sabine blickte sie kritisch an. »Hier gibt es nicht zu holen, oder?«

»Doch, mich!«, krächzte Mona. Aus der knisternden Panik in ihrem Inneren formte sich eine violette Stichflamme. Nervös schüttelte sie ihre Hände, fischte mit glühenden Fingern ihr Smartphone aus der Jeanstasche, aber neben dem Batteriezeichen leuchtete ihr »Kein Netz« entgegen. Das bestätigte ihre Sorgen.

»Hat noch jemand Empfang?«

Van Helsing betätigte sein Funkgerät, nicht einmal ein Rauschen war zu hören. »Scheiße.«

»Den Nebel hat jemand beschworen.« Hektisch sah sich Mona um. Wie schon damals im Wald würde sie Balthasar nicht durch den Dunst aus Magie rufen können. Noch nicht. Sonst hätte er längst neben ihr gestanden.

»Billiger Zaubertrick, leider sehr effektiv.« Van Helsing zuckte mit den Schultern. Er machte nach wie vor einen seltsam unbeteiligten Eindruck, hoffentlich handelte es sich dabei wirklich um Entspannung, denn das hieße, dass er alles unter Kontrolle hatte. »Wird schwierig, wenn es hier Zaubernde gibt, wir müssen auf die Verstärkung warten. Der Nebel spricht dafür, dass jemand den Großen hier erweckt hat … Trotzdem müssen wir den WULKE zerschlagen, ehe er weitere Kreise zieht. Das letzte Mal, dass ich so viele Zombies trennen musste, ist viele Jahre her. Schlagerparaden haben uns immer viele Nerven gekostet … Wie dem auch sei, darum geht es jetzt: Wir müssen die Horde trennen, damit sie keinen Zustand des Bewusstseins erreicht.«

Gemütlich, als hätten sie alle Zeit der Welt, blätterte er in seinem Zauberbuch, während ein lautes Krachen davon kündete, dass der Zombiehüne erfolgreich in die Metzgerei eingebrochen war. Das darauffolgende Grölen verriet, dass seine untoten Kollegen den Erfolg bemerkt hatten. Mit einem Mal war die Fußgängerzone in Bewegung. Der Boden vibrierte, als eine Meute Zombies sich auf das Loch in der Wand stürzte. Das Knirschen sich gierig in den Laden pressender Körper – Dead Man Rising live und in Farbe. Im Gegensatz zu dem Hünen waren die anderen Untoten alt und morsch. Fahle Haut, die über Knochen gespannt war.

»Aber ja, natürlich, sie wollen Hirn, nicht?«, entfuhr es Boris laut. Mona bedachte ihn sofort mit einem »Schhh«, doch der Vampir schüttelte nur den Kopf. »Seht euch das an!« Boris deutete auf den Lieferwagen vor ihnen.

»Stadtmetzgerei«, las Van Helsing langsam vor, dann weiteten sich seine Augen.

»Randvoll mit Fleisch! Habe ich die Erlaubnis, den Wagen aufzubrechen, um mit ihm als Köder ans andere Ende des Bannkreises zu fahren?«, fragte Boris überraschend pflichtbewusst, und Mona erinnerte sich an seine Pläne, selbst Teil der magischen Polizeibehörde zu werden.

Van Helsing nickte. »Könnte klappen.«

Sofort packte der Vampir beherzt zur Flügeltür des Lieferwagens, und seine übernatürlichen Kräfte machten mit dem Schloss kurzen Prozess. Tatsächlich war der Wagen randvoll mit Kartons. Kälte quoll aus dem Gefährt, und der unverkennbare Geruch rohen Fleisches stieg Mona in die Nase – gemischt mit dem Gestank der Zombies. Sie hustete angewidert. Boris hechtete schon zur Fahrertür. »Nicht verschlossen! Wie günstig«, trällerte er. »Jemand müsste mir das Fuhrwerk allerdings verhexen.«

Das war Monas Stichwort, und mit einem Stöhnen folgte sie Boris, ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder. Ein Blick durch die Windschutzscheibe verriet, dass sie bereits die Aufmerksamkeit jener Zombies auf sich gezogen hatten, die nicht mehr in die Metzgerei gepasst hatten. Obendrein war Offenbach aus seiner RDL-Aktuell-Pause erwacht und der vertraute Klang eines Schreis hallte über die Fußgängerzone. Sterbliche. Auch das noch.

Van Helsing trat neben den Wagen, und Boris kurbelte die Fensterscheibe herunter, ein schiefes Grinsen auf dem Gesicht. Mona sah, dass seine Hände leicht zitterten. Aber als der Kommissar seine Zigarette nahm und sie Boris zwischen die Lippen drückte, erstarrte der Vampir augenblicklich. »Der Rauch macht Nekromantie sichtbar, haltet euch davon fern. Bei Feindkontakt sofortiger Rückzug, klar? Sabine kümmert sich um eine Absperrung und die Menschen, ich lenke die Aufmerksamkeit der anderen Untoten auf mich, vor allem der Große macht mir Sorgen. Sie, Herr von Hohnenzollern, müssen die ziellosen Zombies vor dem Woolworth abfangen. Sie dürfen nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam an ihnen vorbeifahren, die Dinger müssen der Witterung folgen können. Aber aufgepasst, Hunger macht sie schneller.«

»Sehr wohl, Herr Kriminalkommissar«, bestätigte Boris mit bebender Stimme.

Nun war Mona an der Reihe. Ein inneres Stoßgebet an ihren ganz persönlichen Gott richtend, holte sie tief Luft. Es war leicht, das Chaos ihrer Hexenkräfte bei den kleineren Haushaltsunfällen zu akzeptieren, aber jetzt durfte sie nicht versagen. Wie aufs Stichwort begannen ihre Zähne zu klappern. Druck war ihr Erzfeind. Stoßhaft atmete sie aus, doch es half nichts.

»Das hier ist genau unser Ding, Moni«, hörte sie Boris, der ihr ein Zwinkern schenkte. Seine blauen Augen funkelten in der Dunkelheit. Dankbar lächelte sie ihn an. Ja, da hatte er recht, in Chaos und Katastrophen hatten sie beide Übung. Ihr Räuspern klang erstickt, aber sie schluckte die Angst hinunter.

»Tun wir so, als hätten wir den Schlüssel im Schloss, die Papiere in der Hand und das Glück auf unserer Seite … verhext«, murmelte Mona einen improvisierten Vers und schnipste. Sofort sprang das Auto an, und ein Fels fiel von Monas Herzen. Bei ihren Kräften hätte es auch den Lieferwagen zerreißen können.

Boris zeigte ihr einen Daumen nach oben, ehe er Gas gab. Der Motor heulte mit einem Pferdewiehern auf, ließ Hexe und Vampir einen irritierten Blick austauschen, aber da sich der Wagen bewegte, stellten sie das lieber nicht infrage.

Mehrere Zombies wie in einem Slalom umfahrend, sauste Boris zum Woolworth, um dort auf Schritttempo zu wechseln. Die hinteren Wagentüren klapperten leise, ließen hoffentlich ihren verlockenden Frischfleischduft hinaus. Mona achtete derweil genau auf den sich verteilenden Rauch der Zigarette. Er hing wie goldener Staub in der Luft, ignorierte den Fahrtwind und wurde weiterhin in Richtung des Ladens gesogen. Nun verstand sie auch, was Van Helsing gemeint hatte. Etwas von dem Glitzer verfing sich mit unsichtbarer Magie. Mona konnte nun Symbole erkennen, die in der Dunkelheit des Woolworth zu leuchten schienen. Die Ambrosia hatte sich an sie geheftet.

»Diese Runen … das ist keine Zombiebeschwörung … das dort bedeutet Auferstehung …«, murmelte sie, war sich ausnahmsweise einmal sicher. Vieles aus ihrem Studium war dank des kirchlichen Einflusses nutzlos, doch alte Runen hatten Mona schon als Kind fasziniert. Für weitere Beobachtungen blieb leider keine Zeit, denn Boris musste das Tempo erhöhen. Die Zombies schnappten nach den offenen Türen. Nun wurden sie wirklich von einer Horde Untoter mit ausgestreckten Armen verfolgt, die dem Schlangenlinien fahrenden Lieferwagen folgten wie Küken ihrer Mutter.

»Bis zum Bannkreis«, brüllte der Oger, der mit seiner Kollegin vor einem KIK-Geschäft stand, ein dickes Gewehr vor der Brust haltend. Boris gab erneut Gas, damit sie etwas Abstand zu den Untoten aufbauen konnten. Kaum berührte die Nase des Wagens den flackernden Rand des Pentagramms, das sein Licht bis auf den Boden warf, trat Boris auf die Bremse, und dann sprangen er und Mona beherzt aus dem Gefährt.

Die Zombies hatten erstaunlich rasch aufgeschlossen, und ohne zu zögern feuerte Mona eine Ladung violetter Flammen auf die nach ihr greifenden Arme. Zum Verwesungsgestank gesellte sich der von angebranntem Stoff. Glücklicherweise kümmerte sich der Großteil der Untoten um den Inhalt des Lieferwagens, sodass Boris sich hinter Mona flüchten konnte. Doch nicht alle Zombies gaben sich mit Tiefkühlhirn zufrieden, auch schien Feuer sie nicht abzuschrecken. Fahle Gesichter drehten sich ihnen zu.

»Scheiße! Der eine guckt, als würde er nachdenken!« Gnag, der neben sie und Boris getreten war, spuckte auf den Boden. »Wir haben keine andere Wahl! Wir müssen den Bannkreis schützen, sie dürfen hier nicht raus. Feuereinsatz bei akuter Bedrohung!« Zombies zu vernichten war rechtlich gesehen ein absoluter Albtraum. Jeder vernichtete Untote musste nachträglich auch sicher als Zombie identifiziert werden, von erbosten Angehörigen mal ganz abgesehen.

»A-aber … Wir haben sie getrennt, das hätte ihre Verbindung doch lösen müssen!« Mona sah sich hektisch um.

»Ich fürchte, das liegt an den anderen!« Boris deutete auf neblige Gestalten, die von außerhalb des Bannkreises in ihre Richtung schwankten.

»Es werden mehr? Dreck! Etwas zieht sie hierher!«

Mona erkannte Zettel und Einkaufstaschen in den Händen der Wiedergänger. Rasch drehte sie sich zum Woolworth um. Ein paar abgetrennte Körperteile lagen verteilt auf der Straße, sonst wirkte der Ort verlassen, doch die Ruhe täuschte. Was auch immer den Kaskadeneffekt ausgelöst hatte, es musste noch aktiv sein und hatte mit dem Geschäft zu tun. Zeit zum Rätseln blieb ihnen nicht, Zombies brachen durch den Bannkreis, betraten den Schauplatz, und einige ließen vom Lieferwagen ab, als hätte sie der Geruch der Denkarbeit lebendiger Hirne angezogen.

»Feuer!«, brüllte Gnag, aus dessen Gewehr in der Tat Flammen schossen. Mona tat es ihm gleich. Flammendes Inferno? Das konnte er haben. Feuerbälle hatte sie inzwischen perfektioniert. Und die ersten drei Gestalten, die auf sie zugestürmt waren, kehrten ebenso schnell wieder um, als Mona ihnen eine Salve Flammen entgegenschickte. Die vierte jedoch wich aus und stürmte weiter auf sie zu. Zischend prallte Monas Feuerball gegen den Lieferwagen, der nun bedrohlich schwankte.

»Die denken!«, ermahnte Boris, der sich den Müll von Großstädten zunutze machte und nun mit Bierflasche und Fahrradreifen bewaffnet neben Mona trat.

»W-was wenn es nicht nur der WULKE ist, der sie hierherlockt?«, fiel es Mona siedend heiß ein. »I-ich hab eine Beschwörung gesehen, im Laden! Sie schien noch aktiv!«

»Bist du dir sicher, Hexe?«, hauchte Penny. Ihre Stimme war so dünn wie ihre nebligen Haare. Die Dryade hatte zwei Finger an ihre Stirn gelegt, die Pistole im Halfter, während der Oger mit seinem Flammenwerfer und dem Gebrüll die Zombies vorerst allein auf Abstand hielt.

»Bin mir sicher, ja! Wenn sie noch aktiv ist, haben wir keine Chance, den WULKE zu brechen … A-aber ich kann so eine Beschwörung zerstören!« Entschlossen hob Mona die Hände, an denen violette Funken prasselten.

»Haben Sie das gehört, Chef?« Penny lauschte nun einem Moment Van Helsing, der sich offenbar am anderen Ende einer telepathischen Leitung befand. »Gut. Dann bleibt der Vampir hier bei Gnag – und ich und die Hexe gehen zum Woolworth. Wenn wir auf Widerstand stoßen, halten wir dort die Stellung, bis die Verstärkung da ist. Ansonsten gilt es zu zerstören, was die Zombies anzieht. Nekromantische Energie ist für die Dinger wie ein Leuchtfeuer.«

Kapitel 3Der letzte Zombieritter

Immer noch der 05.03.2019

Ein schrilles Fiepsen hatte sich auf Monas Ohren gelegt, der Tinnitus drückte ihr Tränen in die Augen. Pochender Stress im Kopf, oder war das schon Migräne? Aber das Kribbeln in der Brust schnürte ihr nicht wie sonst den Atem ab, es fühlte sich verdächtig an wie ein euphorischer Adrenalinkick.

Mona meinte sich unter Strom, als sie Penny geduckt folgte, die mit gezogener Pistole voranschritt. Die Unsicherheit war erstaunlich klaren Gedanken gewichen, die Mona mit Mut überraschten. Sie steckten bereits in einer kleinen Katastrophe, wozu das Zähneklappern? Mitten im Chaos konnte sie jetzt nur noch reagieren, das Gejammer musste warten. Es war ausgesprochen angenehm, die Verzweiflung auf die spätere Nacht zu verschieben. Vielleicht sollte Mona sie ganz aus dem Terminkalender streichen. Sicher, Sorgen hatten ihren Sinn und Zweck, konnten aber ebenso blockieren und die Sicht auf die Wahrheit verschleiern. Leider interessierte diese Erkenntnis den Nebel um Mona und Penny herum nur wenig. Schwaden schwebten wie Wolken über dem Asphalt. Der Lkw, die Fleischerei, nichts davon konnte Mona noch erkennen. Obendrein hallte ein unheimliches Heulen in ihren Ohren, sie blieb sofort stehen.

Penny wedelte mit dem Arm. »Kümmer dich nicht darum«, zischte sie. Die Dryade hatte gut reden.

Sie schlichen an der Häuserfront entlang, die Deckung der Dunkelheit nutzend. Vereinzelte Zombies tauchten alle paar Meter im diesigen Dunst auf, schienen sich nicht entscheiden zu können, ob sie zur Metzgerei oder zum Lkw wollten. Verwirrt taumelten sie herum, stießen aneinander und beschwerten sich gestöhnt.

Immerhin war das Schwarmgedächtnis gestört; das war die Chance, unbemerkt der Quelle der Beschwörung auf den Grund zu gehen.

Penny hob ihren Arm, sofort blieb Mona stehen. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie es: Das kaputte Schaufenster klaffte wie ein Loch im Nebel. Das Gebäude schien verlassen. Noch immer hingen goldene Partikel des Ambrosiarauchs in der Luft, wurden vom Laden eingesogen.

»Ich werde vorgehen, auf mein Zeichen hin folgst du mir«, erklang eine helle Stimme in Monas Gedanken. Die Dryade hatte telepathischen Kontakt aufgenommen, eine Erfahrung, auf die Mona hätte verzichten können. Als flüstere jemand ihr dicht ins Ohr. »Halt dein Hexenfeuer bereit. Der Beschwörungskreis muss zerstört werden und das, was ihn aufrechterhält.«

Sie ignorierte die Gänsehaut und nickte der Polizistin zu.

Mit schnellen Schritten entfernte sich Penny und verschwand in der Dunkelheit des Ladens. Nun allein vor dem Gebäude, konzentrierte sich Mona auf ihre Aufgabe. Nervenkitzel erfüllte sie mit Euphorie, dazu eine leichte Übelkeit. Trotzdem, sie meinte sich nützlich; nützlich und richtig. Daran konnte sie sich gewöhnen. Aber diesmal brauchte es mehr als einen kleinen Feuerball. Es galt, sich auf ihr Chaos zu verlassen, das ganze Kirchen niedergebrannt hatte – wenn auch unbeabsichtigt. Zeit für ein gezieltes Desaster.

Mona ließ ihre Zähne aufeinander mahlen und lauschte in den Abend. Von Penny keine Spur. Hin und wieder leises Gurren, das durch den Nebel hallte. Taubenschwärme zogen hoch über den Häusern ihre Kreise.

Ein Knall brachte den Boden kurz zum Erzittern, und Mona fuhr zusammen. Es kam aus der Richtung der Metzgerei. Van Helsing hielt dort mit Sabine allein die Stellung, aber ehe Mona sich weiter Gedanken über die beiden machen konnte, brüllte Pennys Stimme durch ihren Kopf. Sofort schnellte sie hoch, stürmte zum Fenster. Scherben knirschten unter ihren Schritten, das laute Zischen des anschwellenden Feuerballs in ihren Händen zerschnitt die Luft und sogar etwas von dem mystischen Nebel. Der Verkaufsraum erstrahlte im grellen Violett ihrer Flammen, und Mona blieb abrupt stehen.

Zombies stierten wie hypnotisiert auf den Beschwörungskreis.

»Du musst es niederbrennen! Sofort!« Penny deutete auf die schlampige Schmiererei auf dem Boden. Billige Duftkerzen waren um ein gemaltes Pentagramm aufgestellt, die Kritzelei sah verdächtig nach regenbogenfarbiger Straßenmalkreide aus. Ihre Ränder leuchteten, die Augen der Untoten glühten. Der Zauber war also noch aktiv, lud sich weiter auf, vermutlich gebunden an die Zombies, verankert in dem Hünen, der sich gegenüber durch die Metzgerei fraß und drauf und dran war, wirklich zum Leben zu erwachen. Der ganze Laden hier glomm nur so vor nekromantischer Energie.

Schlagartig verstand Mona. »Hölle«, zischte sie bei dem Anblick. Dafür war ihr Feuerball nicht groß genug. Während sie all ihre Macht in die Flammen fokussierte, sah sie sich um.

Gigantische rote Schilder mit 99-Prozent-Rabatten hingen von der Decke. Regale mit Körben voller Ein-Euro-Artikel lockten durch bunte Farben und noch buntere Versprechungen.

Der elektrische Hornhauthobel, solarbetrieben und mit App fürs Handy. Gummihandschuhe mit abgeschnittenen Fingern, für mehr Grip beim Abwaschen. Ein Einweg-Bananenschneider. Mit ihren Henkeln verschlungene Tassen für extra verliebte Pärchen. Eine Hühnerwarnweste …

»Schrott«, stöhnte Mona. Schrott, den nur Untote kauften, weil sie nicht nachdenken konnten. Tonnenweise Produkte über Produkte, gestapelt bis zur Decke. Und die stark reduzierten Preise hatten die Zombies angelockt, die sich so im unendlichen Rausch zwischen Ein-Euro-Artikeln und Rabattmarken angesammelt hatten. Als hätte man sie bewusst geködert, um ihre Energien zu zentrieren – und das hielt auch den Beschwörungskreis aufrecht. Die Runen verrieten, dass es sich hierbei wirklich um eine Wiederbelebung handelte, keine Beschwörung, um sich einen willigen Zombiediener zu erschaffen. Und der Zauber stand kurz vor der Vollendung.

Inzwischen war der Feuerball in Monas Hand auf Melonengröße angewachsen. »Das vernichtet die Beweise u-und die Zombies hier drin«, gab sie leise zu bedenken.

»Wenn sich der WULKE fortsetzt, zieht es die Zombies aus der ganzen Stadt hierher. Das können wir nicht bewältigen, es würde …« Penny musste nicht zu Ende sprechen, Mona verstand. Es brauchte nur ein wenig mehr, und es würde wirklich eine Apokalypse ausbrechen. Nur ein fragiles Gleichgewicht aus Verleugnung und PayTV hielt die Untoten davon ab, die Menschheit zu verschlingen. Mit Entsetzen beobachtete Mona, wie sich winzige Runen vom Beschwörungskreis lösten, es fehlte nicht mehr viel …