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Die Geschichte von Mona geht weiter
Endlich sind die ungeschickte Hexe Mona und der ihr durch einen Paktunfall angetraute Erzdämon Balthasar einander näher gekommen und Mona beginnt, sich sowohl mit ihren Gefühlen für Balthasar als auch ihren chaotischen Hexenkräften zu arrangieren.
Doch schon droht neues Unheil: Um Mona zu schützen, will Balthasar den Nosdrof-Vampirbrüdern das Handwerk legen. Durch seine Ermittlungen gerät sie jedoch erst recht in deren Visier. Plötzlich findet sie sich mitten in einer über- und unterirdischen Verschwörung wider, dabei stets vom Pech verfolgt - und auch das scheint kein Zufall zu sein... Frei nach Monas Lebensmotto: Schlimmer geht immer.
Aber sie ist mit ihren Katastrophen zum Glück nicht alleine: Werwolf Ben, Vampir Boris und Bärbel die Skelettin sind inzwischen eine richtige Familie geworden – die auch noch unerwarteten Zuwachs erhält.
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Seitenzahl: 554
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Originalausgabe
© 2022 YUNA Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Covergestaltung: I. B. Zimmermann, unter Verwendung von Motiven von Envato Elements (dinabelenko, LightFieldStudios, nguluidu), Shutterstock (YuliaLisitsa)
Illustrationen: I. B. Zimmermann, Shutterstock (spaxiax, Croisy, Gorbash Varvara), Envato Elemets (aiyari, barsrsind, Oxana-Milka, mibuch, seregam) iStockphoto (Oleksandr_Masnyi, ONYXprj, patanasak, BreakingTheWalls, samuii, olegbreslavtsev, At-lantica, Inside Creative House, Jonathan Erasmus, Kintarapong, Rawpixel, Deagreez, -1001-)
Übersetzung ins Chinesische: PeachyFranny
Layout/Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-29626-1V001
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19.11.2018
Seine Hand schwebte über dem Smartphone. Er bräuchte nur die Kurzwahl zu betätigen … Ein unzufriedenes Seufzen untermalte seine innere Blockade und genervt von seiner eigenen Unentschlossenheit lehnte sich Balthasar im Bürostuhl zurück.
Es war lächerlich. Seit Minuten schon rang er mit sich, legte sich die Worte zurecht … und doch hielt ihn ein seltsames Gefühl davon ab, sie endlich anzurufen. Sein Blick glitt zur hellen Zimmerdecke und der dort leicht schwankenden Lampe mit dem hübschen runden Drahtschirm. Das Ticken einer Uhr erinnerte ihn an den baldigen Feierabend – ob er einfach bei Mona nach dem Rechten schauen sollte? Sonst platzte er ja auch ungewollt beschworen in ihr Leben, wenn sie ihn brauchte – unangekündigt zu klingeln schien ein Fortschritt zu sein.
Draußen im Gang knallte es, die Erschütterung ließ Putz aus der Aufhängung der Deckenlampe rieseln, dann schimpfte jemand direkt vor der Bürotür. So konnte er sich unmöglich konzentrieren. Langsam fuhr sich Balthasar mit den Händen über das Gesicht und knurrte gereizt. Zum wiederholten Mal in den letzten fünf Minuten kamen mehrere Stimmen zusammen und zankten so hitzig, dass er es bis in sein Office hörte, da half nicht einmal die isolierte Tür.
»Jetzt mach schon Platz, du alte Schabracke!«, giftete es deutlich hörbar. Es handelte sich dabei um das laute Organ von Procel, der die benachbarte Abteilung der Geheimnisse leitete.
»Grab dir ’nen Gang, deinen himmlischen Gestank will hier eh niemand im Flur stehen haben«, hörte Balthasar seine Sekretärin Frau Tetete zurückquäken. Als ehemalige Schlangengottheit und ehrenwerte Naga ließ sie sich von einem gefallenen Engel wie Procel nicht kleinkriegen, Rangunterschied hin oder her.
»Schieb endlich deinen schuppigen Arsch um die Ecke, du blockierst meine Bürotür, elender Regenwurm!«
»Der Einzige mit ’nem Regenwurm in der Hose bist du!«
Seit gut vierhundert Jahren jeden Tag das gleiche Spiel, doch irgendwie waren sie heute lauter denn je.
Als Balthasar mit voller Wucht die Tür aufriss, brauchte er nichts zu sagen, sein brennender Blick sprach wohl für sich. Frau Tetete und Herr Procel glotzten ihn erschrocken an, und dann befreite sich der dünne Exengel wie durch ein Wunder mühelos aus dem Würgegriff der Schlangenfrau. Stolpernd hechtete er den tiefschwarzen Tunnel hinunter, während Frau Tetete geduckt in die andere Richtung kroch. Balthasar starrte noch eine Weile missgelaunt in die Finsternis und atmete tief den schweren Rauch der Magmakessel ein, um den Kopf frei zu kriegen, ehe er wieder in sein weißes, piekfeines Büro voller Pflanzen und schwedischer Möbel zurückkehrte.
Ächzend ließ sich Balthasar in seinen Bürostuhl fallen und starrte zurück zu seinem Smartphone. Mit verdunkeltem Bildschirm lag es unschuldig auf einer Akte. Den ganzen Tag über hatte es sich nicht gerührt, auch gestern nicht. Wenn er es nicht war, der sich erkundigte, hörte er keinen Mucks von Mona. Der Gedanke, in wie viele Schwierigkeiten sie in den vergangenen Monaten geraten war, entwickelte sich zu einer waschechten Sorge. Von ihrem Pech blieb sie doch unmöglich mehrere Tage lang verschont.
Sorgen. Er und Sorgen. Seit Jahrzehnten hatte er sich in seinem Desinteresse am Leben gesonnt, und die letzten Jahre der irdischen Wirrungen waren an ihm vorbeigegangen – doch wegen Mona verfolgte er sogar Berichte über den Klimawandel mit Unbehagen. Zumindest aus Monas Perspektive war die Welt der Sterblichen ein ständiger Kampf ums Überleben.
Zähneknirschend griff er nach dem Handy. Er wollte nicht wieder auf Monas Twitterprofil starren und warten, dass sie ein neues Foto von Ben beim Ballspielen oder von Boris am Keyboard postete, um zu wissen, dass alles in Ordnung war. Vor drei Wochen war sie von einem Vampir bedroht worden, der ihretwegen sogar ein Kind entführt hatte – da durfte man sich wohl Sorgen machen. Er musste sofort ihre Stimme hören, Mona selbst am liebsten sehen. Ohne die spontanen Beschwörungen fehlte die Hexe in Balthasars Leben. Er begriff, dass es ihm gefiel, in ihre Realität gesogen zu werden, und seufzte leise.
Es war wie ein Spiel, er wusste nie, in welches Schlamassel er das nächste Mal beschworen wurde. Natürlich konnte Mona auf sich selbst aufpassen. Um ihren Alltag zu bewältigen, benötigte sie weder ihn noch brennende Hände. Sie kümmerte sich um Vampire, Werwölfe und Skelette, nicht mit ihrer magischen Begabung, sondern mit Worten. Es war also weniger Sorge um ihre Sicherheit als vielmehr Sehnsucht nach ihrer Liebenswürdigkeit, die ihn so nervös machte.
Balthasar klappte seinen Laptop zu und stand wieder auf, um ans Fenster zu treten. Das nervige Geräusch des Freizeichens erklang, und er wartete geduldig bis zur Mailbox, legte auf, nur um direkt erneut anzurufen. Draußen herrschte Finsternis, und nur der glühende Boden verriet, dass es sich bei der Schwärze nicht um eine Wand handelte. In der Hölle existierte kein Himmel. Die Unterwelt entsprach der Vorstellung einer invertierten Realität. Das, was der Mensch als Weltall bezeichnet hätte, bestand hier aus festem Gestein, durchzogen von Lava – und dort, wo in der irdischen Dimension die Erde eine Kugel bildete, befand sich an diesem Ort ein Hohlraum – die Hohlerde. Wie im anderen Sonnensystem die Planeten bewegten sich hier die runden Aushöhlungen durch die Schicht aus Fels, gezogen von ihrer Verbindung zur Erde. Beben, Vulkanausbrüche und ein leichter Regen aus Staub und Steinen waren für diese Dimension deshalb normal. Heute blieben die Aschewolken jedoch ruhig, und der Boden vibrierte beinahe entspannend. Wartend richtete Balthasar seinen Blick hinaus in die Kraterlandschaft.
Endlich erstarb das dröhnende Geräusch der tutenden Telefonleitung in seinen Ohren. Ein Rascheln. Ein Räuspern.
»Ja?«, erklang Monas Stimme.
Balthasar ertappte sich bei einem erleichterten Durchatmen.
»Hallo Liebling«, begrüßte er sie. Ihr Laut am anderen Ende der Leitung hörte sich verdächtig nach einem verlegenen Seufzen an und ließ ihn schmunzeln. »Geht es dir gut?« Er versuchte, nicht zu fordernd zu klingen.
»Mhh, schon. Bin heute müde. Kopfschmerzen und so.«
»Oh. Schlecht geschlafen?«
»Eigentlich nicht. Aber es wird ja auch immer kälter und dunkler draußen, da ist man schon mal müde.« Wie auf ein Kommando dehnte ein unterdrücktes Gähnen ihre Worte. »Und ohne meine Hexenkräfte fehlt etwas, weißt du?«
»Verstehe. Bald hast du es durchgestanden, das Amt kann sich mit dem Prozess nicht ewig Zeit lassen.«
»Kann sein«, er hörte sie durchatmen, »weiß auch nicht.«
»Bei dem Wetter sind wir doch alle müder. Wir hatten nicht mal einen richtigen Herbst.« Balthasar erkannte, dass er gerade Smalltalk betrieb, und schloss gefrustet die Augen.
»Ich hab nichts gegen Kälte, Pullovertragen und Kakaotrinken. Sollte ich später mal machen, glaub ich. Wär sicher nett.« Er vernahm ein leises Ächzen von ihr. Vermutlich war seine Frau noch nicht lange wach, daran hätte er denken sollen.
»Kommst du sonst zurecht?«
»Andere haben auch keine Hexenkräfte, muss ja gehen, von daher.«
»Ich hab selbst mal hundert Jahre ohne magische Kräfte verbracht, nur die Unsterblichkeit konnte ich nicht ablegen. Man gewöhnt sich nach einer Weile an die Machtlosigkeit. Schafft eine neue Perspektive«, erklärte er und ärgerte sich sofort über seinen Vergleich. Es war ihm aufgefallen, dass er Mona mit seinen tausendjährigen Weisheiten nur wenig weiterhalf.
Das Rauschen in der Leitung sprach Bände, und er räusperte sich. Wenn die Gesellschaft den Altersunterschied eines Paares kritisierte, meinte sie vermutlich genau solche Kommunikationsschwierigkeiten.
»Ich weiß, das macht es nicht besser«, fügte er schnell hinzu. Er wollte den Verlust ihrer Hexenkräfte nicht kleinreden. »Im Notfall besorgen wir dir einfach einen Zauberstab, hm?«
Da war wieder ihr helles Kichern. »Ob das erlaubt ist?«, murmelte sie.
»Zauberin Mona die Große – klingt gut.«
»Pfff, na ja! Als Kind wollte ich immer zum Zirkus.«
»Na, siehst du?« Er erwiderte Monas Lachen und merkte, wie sehr ihm dieser Klang gefehlt hatte. »Hauptsache, es geht dir gut … und es ist ja auch nichts weiter passiert?« Balthasar verließ seinen Platz am Fenster und setzte sich auf sein Sofa, um die Füße hochzulegen. Vielleicht konnte er sie diesmal etwas länger am Telefon behalten, zumindest bellte kein Werwolf dazwischen wie vorgestern.
»Nope, keine magischen Katastrophen, nur die alltäglichen, aber deshalb bin ich jetzt auch bei Boris. Hier kann mir eigentlich nichts passieren.«
Balthasar stutzte. »Der wohnt doch eh nebenan?«
»Ehh … nein, ich bin ein paar Tage bei seinen Eltern in ihrem Haus!«
»Villa!«, ertönte es aus dem Hintergrund und er konnte Mona schnauben hören.
»Ja, dann halt Villa … aber eigentlich Haus«, fügte sie flüsternd hinzu.
»Oh.« Mehr brachte er für den Moment nicht zustande. Er hatte ihr selbst angeboten, für die Zeit bei ihm zu bleiben, doch das hatte sie abgelehnt. Ihr »lieber nicht« hatte also ihm gegolten, nicht den Umständen.
»Ich hab das Zimmer von Boris’ Schwester gekriegt, die wohnt ja nicht mehr hier, na ja, und sie besitzt zum Glück ein normales Bett. Das ist echt gemütlich. Klar, die Fenster sind abgeklebt, aber dann bleibt mein Schlafrhythmus wenigstens intakt, und ich kann abends mit Boris raus. Er ist immer noch beurlaubt, und das bleibt wohl so, bis sich alles geklärt hat. Also passt er auf mich auf, wegen – du weißt, ich und mein Pech und falls Nosdrof … Na ja, wie dem auch sei, wir üben gerade für seinen Eignungstest, und ich bin mir sicher, dass er den bestehen wird. Das wirft vielleicht auch ein gutes Licht auf meinen Fall.«
»N-nett, dass er sich so um dich kümmert«, brachte sich Balthasar ein und diesmal gefiel ihm das liebenswürdige Seufzen am anderen Ende der Leitung ganz und gar nicht.
»Ja, oder? Außerdem will ich nicht, dass er wegen mir auch noch seinen Job verliert. Seine Eltern sind auf jeden Fall begeistert, dass er sich so für seine Freunde eingesetzt hat, deshalb sind wir auch hier.« Während Mona erzählte, konnte Balthasar hören, wie es im Hintergrund klapperte, als arbeitete sie an etwas. Dumpfe Stimmen und Lachen verrieten, dass Ben und Vlad ebenfalls zu Besuch waren. Ein nagendes Gefühl von Unzufriedenheit ließ Balthasar sein »Mhm« halb knurren und er spürte, wie er sich anspannte.
»Boris hat Bolognese gemacht, nur mit Gemüse, damit ich mitessen kann. Vampire und Sojagranulat, ha! Was es alles gibt. Ich mach gerade die Nudeln dazu. Wusste gar nicht, dass er so gut kochen kann. Seine Eltern bestehen auf feste Nahrung. Krass, oder?« Ihr Lachen erklang. »Hatte mir erst Sorgen gemacht, was er damit meint. Fester zubeißen oder so!« Den Ausdruck zu ihrem Kichern konnte sich Balthasar nur vage vorstellen, den Anblick hatte er bisher selten erlebt und auch das erzeugte wieder so ein unzufriedenes Gefühl.
»Klingt gut. Dann bist du ja umsorgt«, würgte er hervor und knirschte mit den Zähnen.
»Ja, es ist nett hier, vor allem nie ruhig, und Boris lenkt mich ab. Wir haben den anderen im Garten geholfen, das war echt anstrengend. Vielleicht fühl ich mich deshalb so schlapp. Keine Ahnung. A-aber jetzt hab ich nur geplappert, wie geht’s dir?« Monas Stimme kippte eine Oktave höher.
»Kann ich dich nach der Arbeit besuchen?«, platzte es aus Balthasar heraus, der etwas ganz anderes hatte antworten wollen.
»Ehh …«
»Wir müssen auch noch über Nosdrof sprechen, und ich wollte eh gleich Schluss machen, also Feierabend, hier ist heute nichts mehr los.« Das war nicht sein erdachtes »Ich würde dich gern sehen und den Abend mit dir verbringen«, doch er wollte sie nicht wieder mit seinen Wünschen überfallen. Unzufrieden sank er tiefer ins Sofa. Nach diesem Tag, vor allem aber diesem Gespräch, kam ihm ein früher Feierabend gelegen.
»K-klar.« Die Unsicherheit in ihrer Stimme schnürte ihm kurz die Kehle zu.
»Gut. Bis heute Abend, Liebling.«
»Ehhh, ja. Sicher. B-bis später!«
Kaum hatte er aufgelegt, pfefferte er sein Smartphone neben sich auf das Polster und starrte an die Decke. Hoffentlich hielt sie ihn nicht für sozial völlig inkompetent oder grob. Er hatte das Gespräch nicht einfach abwürgen wollen, aber noch ein Wort über Boris mehr und er wäre geplatzt.
»Scheiße!«, entfuhr es ihm laut, während im selben Moment seine Bürotür aufschwang.
»Mh, das ist heute die wohl netteste Begrüßung von allen«, stellte Phillip mit einem Glucksen fest. Balthasars Kollege stand in der Tür und flackerte ihm entgegen.
»So schlimm?«, murmelte Balthasar eher feststellend als fragend und wies seinen Freund mit einer Geste an, näher zu kommen. Der Raum erhellte sich merklich, als Phillip eintrat und die Tür hinter sich schloss. Er hatte keinen Kopf, dafür aber eine mehr schlecht als recht über seinem Hemdkragen schwebende Glühbirne, die thaumaturgisch leuchtete. In ihr flackerte die verzerrte Fratze eines kleinen scheinenden Totenschädels in grellem Cyan, der jedem Discolicht die Show stahl.
Von Jahrhundert zu Jahrhundert ließ sich der Akephalosdämon etwas anderes einfallen, denn sein eigentliches Gesicht befand sich auf seinem Bauch. Für gewöhnlich trug er einen geschnitzten Kürbis als Schädel, und kurz nach Halloween griff er auch mal zur Weihnachtsbeleuchtung, da wunderte Balthasar die Fadenlampe doch sehr.
»Schick, nicht?«, meinte Phillip, der den Blick wohl bemerkt hatte. »Spezielle Anfertigung, zeigt sogar thaumaturgische Rückstände von vor Wochen an.«
»Der Albtraum deines Schlafzimmers.«
Phillip waren eventuell die Gesichtszüge entglitten, zumindest verschoben sich die Falten seines Hemdes ein wenig, als er stammelte: »D-daran hatte ich gar nicht gedacht …«
»Vielleicht stehen die Damen ja darauf. Gibt sicher kein Schlafzimmer, das eine solche Sauerei vorzuzeigen hat wie das deine. Durchaus beeindruckend.«
»Pff, ich hab eine Putzhilfe!«
»Und wie oft kommt sie zum Putzen?«
»Oft genug, wenn du verstehst, was ich …«
Balthasar schenkte ihm ein Augenrollen und Phillip kicherte frech.
Balthasars Dämonenfreund war das genaue Gegenteil von ihm, und trotzdem – außer Mona stand ihm niemand so nahe.
Akephalosdämonen waren kopflose Unterweltwesen, die in unzähligen Mythologien auftauchten und zu den Wiedergängern gehörten. Eine Art Untoter, der zu einem Teufel geworden war. Wie fast jeder seiner Art war auch Phillip einst ein Geköpfter gewesen, in seinem Fall jedoch zu Unrecht. Zumindest hatte Balthasar das so empfunden. Das damit verbundene Abenteuer hatte die zwei tatsächlich zu Freunden gemacht. Untypisch für einen Unschuldigen wollte Phillip ein Teufel bleiben, und nach kurzer Eingewöhnung an seine neue Existenz hatte er übereifrig seinen Dienst unter Lord Ba’al begonnen. Gut, als Seele im Himmel oder gar in einer unkontrollierbaren Wiedergeburt hätte er nur schlecht seiner Leidenschaft frönen können. Und für die brauchte er keinen Kopf – obendrein waren dämonische Kräfte sehr hilfreich, wenn man sich der Wollust verschrieben hatte. Das hatte ihn ja schließlich seinen Schädel plus Hals gekostet. Es war zwar ein wenig extrem,jemandem den Kopf abzuhacken, nur weil er die Frau des Landrats verführt hatte. Und die Grundschullehrerin und die Schankfrau vom »Goldglück« und die Tochter des Bürgermeisters und die Geliebte des Papstes … die Liste war lang.
Trotzdem – Balthasar überlegte ernsthaft, Phillip nach seinem Rat in Sachen Liebe zu fragen. Der stets schick in Anzüge mit Fliege und Weste gekleidete Dämon mochte ein durch die Betten der Unterwelt steigender Teufel sein, doch er kannte sich auch mit inniger Romantik aus, selbst wenn das nicht seine bevorzugte Beziehungsart war.
»Ich erleuchte dir ja gerne deinen Raum, aber …«
»Gleich!«, knurrte Balthasar, der mit sich rang, ob er Mona noch eine Nachricht schreiben sollte. Unzufrieden mit ihrem Telefonat entschied er sich lediglich für ein schwarzes Herz.
»Sag mir, dass du gute Neuigkeiten hast!«, verlangte er resigniert und rieb sich mit der Hand über die Nasenwurzel. Seine Laune war heute auf dem Tiefpunkt angekommen.
»Nosdrofs Seele befindet sich in der Wäscherei.« Der große, schmale Phillip stieg mit seinen langen Beinen einfach über den kleinen Sofatisch und ließ sich neben Balthasar nieder.
»Immerhin.«
»Aber es wird dauern, bis seine Seele versteht – und man mit ihm reden kann. Du weißt, wie schwierig das oft mit jahrhundertealten Vampiren ist, wenn die anfangen zu reflektieren … uff!«
»Er muss ja gar nichts verstehen, nur reden reicht schon.«
»Gesetze«, flötete Phillip ermahnend, und Balthasar ächzte laut.
»Sonst dauert das doch auch nicht ewig und drei Tage.«
»Ich tue, was ich kann. Zurzeit ist viel los. Die Seelen stehen Schlange. Seit Social Media haben die Menschen so viel mehr Gelegenheiten zu sündigen …« Phillip seufzte. »Ich bin aber zuversichtlich, dass der Antrag für ein Verhör bald durchgeht, schließlich war auch die Dämonenwelt von seinen Machenschaften betroffen. Du kannst also deiner Gemahlin ausrichten, dass der Fall bearbeitet wird.«
»Da wird sie sich aber freuen«, zischte Balthasar sarkastisch und richtete sich etwas auf.
»Du wolltest gute Neuigkeiten und …«
»Ja, ja, ja!« Balthasar griff in seine Jacketttasche, auf der Suche nach einer Zigarre, doch er fand nichts außer Fusseln. Er wollte weniger rauchen, denn seine Sucht war die Gewohnheit, und auch die konnte lästig werden. Außerdem hatte er Mona noch nicht gefragt, ob es ihr missfiel. Sie empfand ja schon sein Auto als Störfaktor.
»Pass auf, wenn du weiterhin so säuerlich auf den Sofatisch starrst, fängt er wieder Feuer«, ermahnte Phillip und deutete auf die Brandflecken neben dem Aschenbecher.
»Haha!«, gab Balthasar trocken zurück.
»Das reicht dir nicht, oder? Du willst Nosdrofs Fall selbst in die Hand nehmen … Machst du dir immer noch Sorgen, dass er mit seinen Brüdern gehandelt hat?«
Mit dieser Schlussfolgerung traf sein Freund leider ins Schwarze, und Balthasar schob als Antwort nur den Unterkiefer vor. Darüber würde er nicht diskutieren. Wenn es um Monas Sicherheit ging, wollte er nichts dem Zufall überlassen. Eigentlich war es nicht an Balthasar zu ermitteln, er sühnte Verbrechen, doch für Nosdrof würde er eine Ausnahme machen.
»Magst du vielleicht mit in die Bar?« Offenbar hatte Phillip die Stimmung richtig gelesen, eventuell zeigte seine neue Lampe auch Schwingungen auf, jedenfalls war Balthasar dankbar für den Themenwechsel. »Wir waren ewig nicht mehr aus, seit du beschlossen hast, dieses Ding mit der Sesshaftigkeit und der Ehe durchzuziehen.«
»Ich hab das nicht beschlossen! Ich hatte keine andere Wahl!« Balthasar schnippte die Glühbirne an und das Objekt tänzelte kurz rotierend im Kreis. Aus Phillips Bauchgegend kam ein Lachen.
»Als ob. Natürlich hattest du eine Wahl. Nur wegen eines Pakets auf unsere wöchentlichen Lästerrunden zu verzichten, die Barnächte, das Verbrennen von Aktien, der Lavajacuzzi – Mann, wir waren ewig nicht dort!«
»Ich hatte zu tun«, murmelte Balthasar und fischte eine halb abgebrannte Zigarre aus dem Aschenbecher.
»Mit diesem dreisten Hexengör?«
Der Zigarrenstummel fing augenblicklich Feuer. »Wie kannst du es wagen?« Balthasar hatte sich energisch erhoben, aber der Akephalosdämon gluckste nur vergnügt und streckte sich auf dem Sofa weiter aus.
»Oh, das ist sooooo süß, das weißt du, oder?«
»Sie ist kein …«
»Ja, ich weiß, ich wollte doch nur sehen, wie du – ach komm, jetzt setz dich wieder, in Dreiteufelsnamen.« Phillip griff nach Balthasars Arm und zerrte ihn zurück auf die Couch. »Ich würde auch lieber mit einem Partner kuscheln, statt abends dem Gejammer von Zerberus zu lauschen. Neulich hat ihn jemand zugeparkt. Das Geheule hab ich bis ins Büro gehört. Natürlich war das sein Thema Nummer eins beim Stammtischabend, und dann haben sich seine Köpfe auch noch zerstritten. Du hast also nichts verpasst.«
»Dank deiner Sprachnachrichten bin ich doch eh immer auf dem Laufenden.« Balthasar rieb sich die Hände, um die Zigarrenasche loszuwerden, und schenkte Phillip einen mahnenden Blick.
»Na, seit man die in zweifacher Geschwindigkeit abhören kann …«, setzte sein Kollege an.
»Fünfzehn Minuten, Phillip! Fünfzehn Minuten! Das ist Folter!«
»Wette, wenn sie von deiner Frau wären, würdest du sie dir zweimal anhören!« Er ließ seine Glühbirne kreiseln, was einem Augenrollen ähnelte.
»Wenn es nur so wäre«, begann Balthasar und fuhr sich gestresst durch die schwarzen Locken. Sie waren länger geworden und zeigten ihm, wie viel Zeit doch vergangen war, seit er und Mona sich kennengelernt hatten. »Ich bin mir nicht mal sicher, ob sie und ich zusammen sind. Ich habe ihr nie vermittelt, dass ich mir das vorstellen könnte. Bisher konnte ich mir das auch noch nicht vorstellen.«
»Hat dich übel erwischt, hm?« Phillip grunzte vor Freude und Balthasar konnte ein feines Lächeln nicht unterdrücken.
»Ja. Schon. Aber ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob sie das will. Sie ist so – sie weicht mir ständig aus. Wir reden nicht richtig. Alles, was ich über sie weiß, ist durch Beschwörungsunfälle entstanden.«
»Mal mit Blumen versucht?«
»Ich muss erst wissen, ob sie das will! Flirten ist das eine, Romantik mit einem Dämon – die Option habe ich ihr nie geboten, keine Ahnung …«
»Fragen?«
»Bei dir klingt das alles so einfach. Ich will nicht, dass sie sich unwohl fühlt.«
»Reden und zuhören?«
»Klugscheißer!«
»Du weißt, ich bin bekannt für meine guten Ideen!« Phillip kicherte und verwies mit wackelnden Schultern und einem Deuten auf seine leuchtende Glühbirne.
»LEDs sind viel umweltfreundlicher«, merkte Balthasar beim Blick auf die alte Fadenlampe an und erntete ein genervtes Keuchen.
»Wenn ich gewusst hätte, dass du wegen ein bisschen Liebe so schlechte Laune hast, hätte ich dir die Infos gemailt.«
Balthasar rang sich ein geknurrtes »Tut mir leid« ab. »Ich würde gerne mehr Zeit mit ihr verbringen, aber die Ermittlungen und … obendrein steht ihr ein Hexenprozess bevor, das übliche Chaos eben.«
»Davon hattest du gar nichts erwähnt?« Phillip flackerte gleißend hell auf.
»Scheiße, willst du mir die Netzhaut verbrennen?«
»Och, hab dich nicht so! Erzähl!«, drängelte der Akephalos und machte es sich auffällig bequem auf dem Sofa, als erwarte ihn eine Gutenachtgeschichte.
»Seit wann interessiert dich das alles so brennend? Früher hast du mich nie nach meinen Liebschaften ausgefragt.«
»Weil dein Sexleben langweilig war … aber die Hexe, die klingt spannend.«
Balthasar rümpfte die Nase.
»Also? Was für ein Prozess?«
Für einen Moment haderte Balthasar, ob er wirklich mit Phillip darüber sprechen wollte, aber andernfalls würde der ihn die nächsten Tage damit wieder und wieder nerven. »Sie haben ihre Hexenkräfte gesperrt, weil sie wegen Nosdrof und Mandys Rettung, das Menschenkind, du weißt schon – nun, Mona hat einige Regeln gebeugt, angeblich. Dabei ist das doch genau ihr Job: Hexerei gegen Unvolk einsetzen, zum Schutze der Menschen. Ich versteh’s nicht.«
»Lädst du mich zur Verhandlung ein? Was wohl die Richterin zu einem Erzdämon im Zeugenstand sagen wird?« Phillip lachte schallend, und sein Leuchtmittel kreiselte freudig in seinem Hemdkragen herum.
»Geht nicht. Ich bin nicht vorgeladen.«
»Bitte?« Erstaunt hielt der Dämon inne. Auf Balthasars abweisendes Schulterzucken hin flackerte er erneut übertrieben hell auf.
»Scheiße, wenn du das nicht abstellst …«
»Sag schon! Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!«, bettelte Phillip, doch Balthasar war wieder mit seinem Handy beschäftigt – Mona hatte ihm noch immer nicht geantwortet. Ob er ihr eine zweite Nachricht schicken sollte? Sah das zu verzweifelt aus? Aufdringlich? Eine Hand erschien vor seinem Gesicht, Phillip wedelte ihm mit seinen knochigen Fingern vor den Augen herum, und Balthasar antwortete mit einem Knurren.
»Die leugnen mich«, gab er in Gedanken zurück, während er nach einem passenden Sticker suchte, um Mona noch eine zweite Nachricht zu schicken. Ein kleiner hüpfender Kesselsticker, aus dem Dampfwolken in Form von Herzen blubberten, leuchtete ihm entgegen. Auf die Grafik hatte er ohne nachzudenken getippt, nicht ahnend, dass sie sofort gesendet wurde. »Na super.«
»Hallo? Unterwelt an Höllenfürst? Wer? Wer leugnet dich?«
»Na, das Amt!«, fauchte Balthasar zurück. »Die haben alle dämonischen Aktivitäten aus den Aussagen und Akten gestrichen. Sogar unser Pakt sieht jetzt aus wie … wie eine echte Ehe, verdammt noch eins.«
Phillip gluckste verdächtig vergnügt. »Menschen sperren einen Erzdämon aus einem Gerichtssaal aus, na so was.«
»Das ist nicht lustig! Mona macht das eine Scheißangst.«
»Verstehe … Also habt ihr aktuell keinen Pakt mehr?«
»Ja, das sagte ich doch«, gab Balthasar laut zurück.
»Kein Grund, so gereizt zu sein!«
Ein leises Klingeln rettete den Akephalosdämon vor einer Standpauke. Endlich. Es leuchtete eine Nachricht von Mona auf dem Smartphone auf, und Balthasar öffnete sofort den Chat. Ob er mit ihnen zu Abend essen wolle. Er tippte ein hastiges »Ja« zurück und spürte, wie er anfing zu grinsen.
»Oh, das ist soooooo süß!« Phillip reckte neugierig die Glühbirne, als könne er nicht ohnehin seine gesamte Umgebung schon auf magische Weise wahrnehmen.
»Halt die Lampe und rück mir nicht auf die Pelle!«
»Hast du denn heute kein nettes Wort für mich übrig?«
»Doch, wenn du mir hilfst, das Nosdrof-Problem schnell zu lösen. Ich muss wissen, ob es vorbei ist, und ich brauche Aussagen, die Mona entlasten. Sie muss ihre Hexenkräfte zurückkriegen, den Pakt und sie soll vor allem wieder nach Hause.« Mit neuem Elan erhob sich Balthasar, und Phillip sank mit einem Seufzen zurück auf die Couch. Eilig steckte Balthasar das Smartphone ein, nahm seinen Mantel von der Garderobe und ging zur Tür.
»Wo willst du denn auf einmal hin?« Phillip griff sich seinen falschen Kopf und warf ihn hoch, um ihn wieder aufzufangen.
»In so eine verdammte Vampirvilla und Gemüsebolognese essen.«
»Klingt doch spaßig.« Der Akephalos zuckte mit den Schultern, während er mit seiner Lampe jonglierte.
»Nicht, wenn du dir anhören musstest, wie toll sich Boris um sie kümmert und was sie alles die ganze Nacht machen und wie gerne sie dort ist«, fauchte er zurück.
»Blutsauger-Konkurrenz?«
»Weiß ich nicht. Aber es – das stört mich«, gab Balthasar zu.
»Auch Erzdämonen sind gegen Eifersucht nicht gefeit.«
»Scheiße.«
»Damit haben wir vorhin gestartet. Wie schlimm ist er denn?«
Balthasar strich Asche von den Schultern seines Mantels. »Hm? Wer?«, murmelte er in Gedanken. Er überlegte fieberhaft, ob er sich für Mona etwas anderes anziehen sollte. In einem Nadelstreifenanzug mit Weste und Manschettenknöpfen zwischen Boris, Ben und Vlad würde er sich entsetzlich fehl am Platz vorkommen, aber er wollte auch so schnell wie möglich zu ihr.
»Na, dieser Boris!« Phillip betonte den Namen extra und amüsierte sich gackernd über seine Betonung. Er ahnte ja nicht, wie sehr er mit diesem Lachen eben jenem Vampir ähnelte.
»Er ist ziemlich nett eigentlich und …«
Phillip gab ein ächzendes Geräusch von sich. »Klingt übel.«
»Komm zum Punkt! Ich will gehen, falls dir das entgangen sein sollte.«
»Na ja, er ist nett.«
»Und?«
»Pff. Na ja, du bist eher …«, begann der Dämon scherzhaft, beendete jedoch seinen Satz nicht. Seine Glühbirne flackerte kurz und Balthasar konnte nur erahnen, dass er für Phillip genauso entsetzt dreinschaute, wie er sich gerade fühlte.
»Das hab ich nicht so gemeint. Du bist nicht umsonst mein bester Freund«, sagte Phillip sofort und hob beschwichtigend die Hände.
»Aber es ist die Wahrheit, oder? Ich bin fürchterlich«, wetterte Balthasar und knöpfte sich vor lauter Ärger den Mantel unnötig hoch zu, nur um die Knopfleiste direkt wieder aufzureißen.
Phillip gab ein nachdenkliches Summen von sich, vielleicht brannte ihm auch die Birne durch. »Du bist aus der Übung. Ich erinnere mich an einen sehr charmanten Gott, der jeden Tag in den eigenen Tempel wanderte, um die Menschen auf ihrem Weg dorthin zu begleiten. Dabei hatten sie selbst den Tempel erbaut und sich die Geschichten über dich ausgedacht.«
»Kommt davon, wenn man sich zeigt und eine Dürre beendet. Ich war dafür verantwortlich, deshalb hab ich …«, setzte Balthasar an und schloss unglücklich über sich die Augen, rieb sich wie so oft heute die Stirn. »Was hat sich verändert, Phillip?«
»Einfach alles? Wir haben keine Wunder mehr, dann deine hässliche Scheidung, irgend so ein Messias reißt sich die Welt unter den Nagel, Religionen, bli bla blubs, die zweitausend Jahre Unterwelt als Höllenfürst, Isolation, Depression, Resignation, Dämonentum und …«
»Ich will kein Dämon sein«, fiel Balthasar ihm ins Wort und kam sich vor wie ein trotziges Kind.
»Dann solltest du damit aufhören, hm?«
Irritiert öffnete Balthasar den Mund, schloss ihn jedoch wieder. Genau das hatte er Mona versprochen – sich nicht zu verhalten wie das Klischeebild eines Teufels. Sie hatten darüber diskutiert, wer und was er war. Er mochte ein Erzdämon sein, aber er war sicherlich nicht böse, darauf hatte er bestanden. Doch seit diesem Abend im Auto nagten die Zweifel an ihm. Wie viele Jahre hatte er seine Existenz nicht mehr hinterfragt? Und wenn er kein Dämon war, was war er dann? Ein Gott … und sie ein Mensch. Das brachte andere Probleme mit sich. Es blieb ihnen gar keine Wahl, als sich dem zu stellen, wenn sie denn wollte. Was hatte sie gesagt? Sie würde ihn wieder heiraten. Auf diese Aussage verließ er sich.
»Hör auf, Löcher in die Luft zu starren!«
»Mh?«
»Hölle, Satan, Sakrament noch mal! Ba’al! Sieh zu, dass du loskommst! Bitte kümmere dich um deine Frau. Seit Jahrhunderten grummelst du dich von einer Einsamkeit zur nächsten, das ertrag ich nicht. Ich empfehle Worte. So mit Mundbewegungen und Sprechen. Soll helfen, hab ich gehört. Aaaaber, was weiß denn ich, ich hab nicht mal einen richtigen Mund!«
Resigniert seufzte Balthasar, zwinkerte aber dann seinem alten Freund zu – dieser reagierte mit einem Flackern und scheuchte ihn mit einem »Los jetzt!« hinaus.
Der Schock stand Boris in sein bleiches Gesicht geschrieben. Balthasar hatte auch gar kein Interesse daran, seinen Unmut zu verstecken, und das aufgesetzte Lächeln hatte nicht das Ziel, freundlich zu wirken. Er konnte den düster geschminkten Vampir schlucken sehen, regungslos verharrte er vor ihm, die Tür in seiner Hand zitterte leicht, ehe sich Boris’ Mundwinkel nach oben bewegten.
»Balthasar, hallo!«, kiekste er mit hoher Stimme und machte dann einen Schritt zurück. »W-wie schön!« Sofort drehte er sich um und brüllte ein eher panisch klingendes »Mona?« in den Hausflur.
Das beinahe villenähnliche Haus lag einsam nahe eines kleinen Sees und war nur über einen holprigen Schotterweg zu erreichen. Mit Missfallen hatte Balthasar den Staub und die Schlammspritzer an seinem glänzend lackschwarzen Wagen gemustert. Der verregnete Herbst hatte sich in einen schmoddrigen Winter verwandelt und die Schlaglöcher der Landstraßen mit feuchtem Schmutz gefüllt. Vampire wohnten gerne abgelegen, fern der Städte, meist in uralten Häusern, umso überraschender war die Residenz der Hohnenzollern: Ein höchst modernes Haus erstrahlte in Weiß und gab mit perfekt rund geschnittenen Buchsbäumen in der Einfahrt an. Da hatte ihn auch der pinkfarbene Flamingo neben den Mülltonnen nicht irritiert, bis der Vogel den Kopf gedreht hatte, um ihm zuzuzwinkern.
Eilige Schritte kündigten Mona an, die im Flur des oberen Stockwerks auftauchte und dann gleich mehrere Stufen übersprang. Als sie Balthasar entdeckte, blieb sie wie eingefroren auf der letzten Treppenstufe stehen und fixierte ihn. Er lächelte sie an, und nach einem kurzen Blickaustausch setzte sie sich wieder langsam in Bewegung. Verhalten tapste sie auf ihn zu und gesellte sich zu Boris. Hinter ihr her wuselte ein fluffiger, großer Wolf, der nun neugierig seine Schnauze zwischen Vampir und Hexe schob und Balthasar freudig schwanzwedelnd ansah.
»Wuff!«, machte Ben und hechelte.
»Ja, dir auch hallo«, knurrte Balthasar, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen. Mona wippte nervös auf ihren Füßen und brachte gerade so ein stimmloses »Hi« heraus. Ohne noch etwas zu sagen, beugte Balthasar sich zu seiner Frau und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
Sofort verschwand Boris aus seinem Augenwinkel, den Werwolf mit energischen In-die-Seite-Stupsen von Mona lösend. Leises Winseln erklang. Balthasar wusste nicht, wie er den leicht säuerlichen Ausdruck des Vampirs deuten sollte. Vielleicht handelte es sich hier wirklich um Konkurrenz. Wer würde nicht irgendwann Monas Liebenswürdigkeit verfallen, vor allem, wenn man so viel Zeit miteinander verbrachte? Da war wieder dieser Stich in seine Magengrube, er fühlte sich verdächtig nach Neid an.
»D-du warst ja echt schnell hier«, bemerkte Mona.
»Als ob ich mir deine Nudeln mit Sauce entgehen lassen würde.« Er grinste vielsagend und beobachtete, wie sich leichte Röte auf den Wangen seiner Frau ausbreitete. Verlegen richtete sich ihr Blick gen Boden. »Darf ich eintreten?«, fragte Balthasar heiser.
Sie stutzte, hob rasch den Kopf. Mit geweiteten Augen stammelte sie: »Ehh natürlich, klar. Sofort! Komm rein! Bitte, meine ich! Also wenn du, also … du kannst da deine Schuhe und … gib mir deinen Mantel!«
Er tat, wie ihm geheißen, und kurze Zeit später führte Mona ihn den Flur entlang in eine große, moderne Küche mit Esstisch. Dass ein Raum so viel Edelstahl verkraftete, überraschte Balthasar. Hier könnte ein Brand ausbrechen, die Möbel würden höchstens schmelzen. Auf dem Tisch standen schon Töpfe, Schüsseln und Teller bereit. Bei der riesigen Menge an Bolognese bezweifelte Balthasar, dass das schneeweiße Holz sauber bleiben würde. Er hätte sich erkundigen sollen, wen sie alles zum Essen erwarteten. Vlad fläzte an der Ecke auf einem Stuhl und schenkte ihm ein lässiges Kopfnicken, neben ihm bekam eine rosafarbene junge Elfe große Augen und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Sie flatterte aufgeregt mit ihren Flügeln und verteilte eine ordentliche Portion rosa Glitter in der Luft. Sofort musste Vlad niesen.
»I-ihr habt euch ja noch gar nicht kennengelernt«, nuschelte Mona und wuselte um ihn herum. »Ehh … das ist Balthasar und das sind Vlad und Beniko. Beniko ist Bens Freundin, ich glaub, das hatte ich mal erwähnt.« Hatte sie nicht, aber er nickte den beiden Übernatürlichen wohlwollend zu, die er zumindest vom Sehen kannte.
Im Raum roch es nicht nur nahrhaft nach Tomaten, Paprika und Gewürzen, ein Hauch Gras, Zucker und Zimt mischte sich ebenfalls dazu. Und als Ben seine Schnauze winselnd über den Tischrand schob, bemerkte Balthasar auch die feine Note nassen Hund.
»Wuff!«
»Gleich, Schmusibusi, ich mach dir einen Teller zurecht, ja?«, erklärte die Zuckerelfe und stand auf. Die Wolke aus rosa Staub folgte ihr, so auch der schwanzwedelnde Ben. Er schubste die junge Frau an und bellte, als sie einen Napf in die Hand nahm.
Selten hatte Balthasar andere so locker mit einem Werwolf umgehen sehen. Es war nicht selbstverständlich, dass diese Fluchwesen ihre Natur frei ausleben durften. Für gewöhnlich hockten Hexen, Vampire, Elfen und Werwölfe nicht gemeinsam am Tisch, schon gar nicht mit einem Erzdämon. Er bekam eine leise Ahnung, wieso Mona dieser Freundeskreis so guttat und spürte selbst, wie er sich entspannte. Niemand hier fürchtete sich vor ihm. Er musste seine wahre Natur nicht verstecken, und das fühlte sich richtig an.
Ohne weitere Worte setzte sich Balthasar, und seine Frau schenkte ihm sofort etwas zu trinken ein. Offenbar gab es heute Früchtetee, damit konnte er sich arrangieren. Eine Karaffe mit einem deutlich dickflüssigeren roten Getränk stand am anderen Ende des Tisches bei Vlad, der an einem Glas voll davon schlürfte, während er auf ein Smartphone starrte.
»Dann sind ja alle da!«, erklang eine helle Stimme, und eine hübsche Frau betrat den Raum. Es handelte sich eindeutig um Boris’ Mutter, die Ähnlichkeit war unheimlich. Von der feinen Nase zu den geschwungenen Lippen, sogar die Wangenknochen – lediglich die Fältchen an ihren Augen deuteten darauf hin, dass sie ein verwandelter und kein geborener Vampir war. Ihre hüftlangen blonden Haare schienen zu schweben, und ihre strahlende Erscheinung verdeckte nahezu den Mann, der nach ihr eingetreten war.
»Ach du liebe Güte!«, ließ dieser verlauten, als er Balthasar erblickte. Seine braune Lockenmähne stand in alle Richtungen ab, und die unterschiedlich grünen Augen hätte Balthasar überall wiedererkannt.
»Laurentius, lange nicht gesehen!« Er schenkte dem Vampir ein Lächeln und Boris’ überraschtes »Ihr kennt euch?« entlockte ihm ein zufriedenes dunkles Lachen. Neugierig reckte Monas bester Freund den Hals, schaute zwischen Balthasar und seinem Vater hin und her.
»Setz dich, Kind. Zappel nicht so rum«, ermahnte die Frau, die Balthasar als Irma kannte, nun da ihm bewusst wurde, wer Boris’ Eltern waren. Erst jetzt bemerkte er, dass Mona ihn mit offenem Mund anstarrte.
»Oh, es gab da mal einen Vorfall in Rom, einen Magieraufstand, und wenn es um Zauberer ging, war Laurentius lange Zeit unser Ansprechpartner«, erklärte er. An ihrem Gesichtsausdruck veränderte sich nichts, auch wenn sie nun nach einer Schüssel mit Bohnensalat griff, um sich aufzutun. Jeder hatte Platz genommen, und Teller und Töpfe wurden über den Tisch gerückt.
»So etwas kannst du?« Boris’ Stimme überschlug sich, und es war Balthasar fast unangenehm, dass die halbe Tischrunde ihn aufmerksam musterte.
»Es war nur ein Tempel. Früher hat man solche Sekten eben noch verschwinden lassen, das Gebiet wurde vorher evakuiert«, erklärte er leise und versteckte sich hinter einem frischen Glas mit Früchtetee.
»Aber ein ganzes Stadtviertel im Erdboden versinken zu lassen?« Er konnte in Boris’ Gesicht ablesen, wie der sich das Spektakel lebhaft vorstellte. Nervös schielte Balthasar zu Mona, doch die starrte wie hypnotisiert auf ihren Teller, in dem sie mit ihrer Gabel Kreise zog, statt zu essen. Auch auf sein Räuspern hin rührte sie sich nicht. War er ihr erneut unangenehm? Er hätte sich nicht zum Erzählen verleiten lassen sollen, andererseits hatte ihn die Stille am Esstisch ganz unruhig gemacht – normalerweise war es Mona, die geschickt für Themen sorgte, wenn es ungemütlich wurde, aber Bohnensalat war wohl spannender als Balthasar.
Die meisten am Tisch hatten sowohl Balthasar als auch Boris’ Vater gelauscht, welcher sein Zusammentreffen mit dem Erzdämon recht ausgeschmückt zum Besten gegeben hatte. An all die erzählten Details konnte sich Balthasar nicht mehr erinnern, vor allem nicht an den Riesen, den Laurentius angeblich in Schach gehalten hatte. Er wusste nur noch, dass die Sekte, um die er sich hatte kümmern müssen, ihn angebetet und das Zerschlagen ihrer kleinen fanatischen Gruppe furchtbar viel Papierkram zur Folge gehabt hatte.
»Schon cool«, gab Vlad nachdenklich von sich. Da er die ganze Zeit an seinem blutigen Getränk gehangen und auf sein Handy gestarrt hatte, wusste Balthasar nicht, wie viel er auf dieses Cool geben konnte. Auch Ben-Ben hatten während des Essens nur Augen füreinander gehabt. Immerhin verstand er nun, woher dieser Spitzname stammte und erinnerte sich, dass Mona ihm sehr wohl von den beiden erzählt hatte.
»Tja, ich war eben ein Gott, der sich um seine Sekten gekümmert hat«, nuschelte Balthasar nachdenklich. So gesehen war ihm sein jetziges Leben lieber, zumindest für den Moment. Nur noch den schlechten Ruf des Dämonischen loswerden.
Man löste sich vom Tisch, und Elfe und Werwolf verabschiedeten sich sofort zum Gassigehen. Auch Boris erhob sich, griff nach den leeren Schüsseln. Seine Mutter drückte ihm einen dankbaren Kuss auf die Wange, als sie aufstand.
»Mama«, maulte der Vampir und schob sie etwas beiseite.
»Denk daran, alles gleich einzuweichen, ja, Spatz?«, flötete ihre weiche Stimme, und er verdrehte die Augen, wofür er sich von seinem Vater ein lautes »Na, na, na« einfing.
»Ja, sicherlich, das mache ich doch immer, den Tadel kannst du dir sparen.«
Offenbar änderten auch zweitausend Jahre Unlebenszeit nichts an dem ewigen Bild des kleinen Sohnemanns. Gerade Vampireltern hingen an ihren Sprösslingen, wuchsen doch geborene Blutsauger deutlich langsamer heran als normale Menschen. So konnte sich Boris nicht gegen die Umarmung seiner Mutter wehren, aber das feine Lächeln auf seinen Lippen verriet, wie er wirklich darüber dachte. Verdammt – Balthasar musste dringend aufhören, sich Gedanken über diesen Vampir zu machen. Er war sogar ihm sympathisch, wenn er da mithalten wollte, hieß es gehörig an seinem Charakter zu arbeiten, oder er würde Mona bald an diese blonde Zecke los sein. Aber im Gegensatz zu ihm saß sie steif auf ihrem Stuhl und schenkte den Blutsaugern keinerlei Beachtung. Sie fühlte sich unwohl, der nervös wippende Fuß unter dem Tisch verriet ihr Stresslevel, dafür kannte er sie inzwischen gut genug.
Irgendetwas hatte er wieder falsch gemacht – Balthasar ging fieberhaft ihre letzten Gespräche durch. Hätte doch Laurentius nicht so haltlos übertrieben! Nun klang es durchaus, als sei Balthasar ein übermächtig fürchterlicher Erzdämon, der ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht hatte.
Die Hohnenzollern verabschiedeten sich mit einer leichten Verbeugung. Man wollte noch einen Drink im Salon einnehmen. Balthasar konnte sich lebhaft vorstellen, worum es sich dabei handelte, und er hatte kein Interesse daran, einem Vampirehepaar beim gegenseitigen Beißen zuzusehen. Der Grimasse nach, die Boris zog, ging es ihm ähnlich.
Nur noch Mona saß vor einem halb leergegessenen Teller, und stocherte auffällig unmotiviert in den Nudelresten herum. Sie machte einen trägen Eindruck.
»Satt?«, fragte er, bekam jedoch nur ein müdes »Mhhh« zurück.
Nun schälte sich auch Vlad aus seinem Korbstuhl.
»Spitzenpasta, Moni«, meinte er anerkennend und klopfte Mona beim Gehen auf die Schulter. Sie schaute ihm lächelnd nach, dann sanken ihre Mundwinkel wieder.
»Nudeln … das kannst du wirklich gut«, versuchte Balthasar es erneut, und dieses Lächeln wirkte direkt etwas aufrichtiger auf ihn.
»Hab ich in Italien während des Studiums gelernt.«
»Dachte ich mir fast.«
Aus dem Flur erklang ein lautes Bellen, und sie hörten Beniko lachen. Für die zwei wurde es wohl Zeit zu gehen, aber Balthasar verspürte kein Interesse, sich zu verabschieden. Mit seiner Hexe schien etwas nicht zu stimmen, und er wartete nur darauf, dass Boris mit dem Abwasch fertig wurde, um endlich mit ihr alleine zu sein.
Auch der Vampir warf immer mal wieder einen Blick über die Schulter, der ganz offensichtlich Mona galt. Ehe jedoch erneut aus Unsicherheit das Gefühl von Eifersucht in Balthasar aufsteigen konnte, brachte ihn ein Wimmern aus dem Konzept. Mona war mit dem Kopf auf die Tischplatte gesunken und seufzte.
»Liebling?«
»Bauchweh«, nuschelte sie und stieß dabei hörbar Luft aus.
»Grüner Bohnensalat kann ganz schön auf den Magen schlagen.«
»D-das ist es nicht, e-es ist …« Sie hob langsam den Kopf und schielte zu Boris. Ihre Blicke trafen sich, und Mona hob ihre Augenbrauen. Ein kleines Gestenduell entbrannte, mit dem offensichtlich ohne verbale Kommunikation etwas vermittelt werden sollte. Beide schienen sich jedoch mit ihrem Gewackel und Schultergezucke nur zu verwirren. Das auffällige Nicken in Balthasars Richtung entlockte Boris ein Stöhnen. Erst jetzt verstand der Vampir offenbar. Sofort drehte er sich weg und schnappte sich ein paar bereits abgewaschene Teller, um sie unnötigerweise in den offenen Nebenraum zu tragen, vermutlich stand dort der Küchenschrank. Balthasar lehnte sich nahe zu seiner Hexe und starrte sie fragend an. Mona reckte etwas den Hals, bis sie so dicht an seinem Ohr war, dass er ihren Atem auf seiner Haut spüren konnte.
»I-ich glaub, ich krieg meine Tage.«
Dinge, an die Balthasar nicht gedacht hatte, die menschlich waren, banal, aber in Monas Situation neu und überfordernd: Ohne Hexenkräfte keine Flüche und ohne Flüche konnte der biologische Fluch des Unterleibes tun und lassen, was er wollte. Für gewöhnlich verfluchte sich die Hexe einmal im Monat und war damit sowohl unfruchtbar als auch verschont von Regelblut und Krämpfen – wie sie ihm erklärte, hatte sie das völlig vergessen.
Balthasar hatte sie nach Hause gefahren, denn eine blutende Hexe in einer Villa voller Vampire – übernatürliche Freundschaften hin oder her, das war keine gute Idee. Deshalb hatte sie sich so unwohl gefühlt. Außerdem lag niemand gerne gekrümmt vor Schmerzen in einem fremden Bett. Balthasar schämte sich ein wenig für seine heimliche Freude über ihre missliche Lage.
Sie hatte ihn um Hilfe gebeten. Dabei war es ihr schon unangenehm gewesen, wenn er ihr irgendeine Tür aufsperren oder ein Marmeladenglas öffnen sollte. Er betrachtete diese Entwicklung als ein gutes Zeichen des wachsenden Vertrauens – aber damit folgte natürlich auch Verantwortung. Große Verantwortung.
»Normale Binden …«, wiederholte Balthasar gedankenverloren, worum Mona ihn gebeten hatte, und schaute einmal von links nach rechts das Regal mit den Hygieneartikeln entlang. Ein wahrer Regenbogen an Verpackungen strahlte ihm entgegen, die Vielzahl an Marken und Möglichkeiten für Personen mit Regelblutung füllte einen gesamten Gang in der Drogerie. Hier sah nichts »normal« aus.
»Super-ultra-soft«, las er vor und besah sich verwirrt die sehr ähnliche Packung direkt daneben. »Ultra-giga-maxi-weiche Haftbinden? Was ist der Unterschied?« Die violette Box mit dem verlegenen Teddybär darauf versprach auch einen angenehmen Duft. Bei der damit verbundenen Vorstellung lief Balthasar ein seltsamer Schauer über den Rücken, den er so noch nicht kannte. Und überhaupt, was waren bitte Haftbinden? »Ah. Die haben Flügel … Verstehe … Aber die grünen da haben gleich drei Flügel.« Er blieb eine Weile an den übermäßig vielen X vor dem L hängen, zählte die Buchstaben und schüttelte den Kopf.
Vor sich hin murmelnd zog er eine andere Packung aus dem Regal, nur um sie sofort wieder zurückzuschieben. Die Binden waren so riesig, er konnte sich nur schwer vorstellen, dass irgendjemand so etwas freiwillig in seine Unterwäsche kleben wollte, dann doch lieber gleich Windeln. Sein suchender Blick fand zur anderen Hälfte des Regals, in der kleinere Packungen mit besonders diskreter Sicherheit warben.
»Tampons …«, murmelte er. »Wieso eigentlich Binden und keine Tampons?« Vielleicht hatte sie das gemeint, doch je mehr von den vielen bunten Versprechen der Werbeindustrie Balthasar las, desto unsicherer wurde er, was Mona genau verlangt hatte. Von normal war hier nirgends die Rede. Aber auch die kleinen Stoffrollen machten es ihm nicht einfach, denn hier gab es von dick bis dünn, lang, super silk touch, extra saugstark und »für die leichten Tage« eine unüberschaubare Bandbreite. Und um Satans willen, was war denn das? Er griff zu einer kleinen Packung, auf der man mit der ultimativen Lösung warb: die Periodentasse. Völlig überfordert las er sich die Rückseite mit der Anleitung durch – das wäre doch eigentlich ideal. Immerhin war seine Hexe ständig bedacht auf Mülltrennung, biologische Produkte, alles musste vegan sein, und das hier versprach mit dem Abfall Schluss zu machen. Andererseits – was hatte sie gesagt? Normale Binden. War das ein allgemeiner Begriff oder eine konkrete Anweisung? Mit einem erneuten Blick über das Regal aus Plastikverpackungen voller Umweltsünden wurde ihm mit einem Mal ganz heiß. Sie konnte unmöglich diesen überteuerten Berg an Abfall gemeint haben.
Doch es ging noch schlimmer. Aus den Augenwinkeln entdeckte er eine kleine pinkfarbene Verpackung. Geworben wurde mit einem einzeln in Plastik verpackten Plastikhandschuh, natürlich grell magentafarben. So sollte Frau nicht einmal in die Verlegenheit kommen, ihren Tampon anfassen zu müssen, damit könne man das Ding diskret entsorgen. Wohl vor allem, weil Mann in Ohnmacht fallen könnte, sollte er ein solches benutztes Produkt im Hausmüll entdecken.
»Unfassbar, wie fragil Menschen sind, machen aus allem ein Tabu«, murmelte Balthasar und las sich die männlich klingenden Herstellernamen kopfschüttelnd durch. Was diese Herren wohl erleiden würden, wenn sie feststellten, dass nicht nur Frauen menstruierten? Aber eines musste Balthasar vor sich zugeben, auch er war ähnlich schlecht informiert wie die Entwickler des Handschühchens. Wie viele Jahrhunderte war es her, dass er einen Uterus besessen hatte? Vielleicht wurde es mal wieder Zeit. Doch damals hatte er sich dem Luxus hingegeben und auf die Periode verzichtet, offenbar ein Fehler. Ob Mona damit ein Problem hätte? Er als sie? Noch ein Thema, über das er mit ihr unbedingt reden musste. Balthasar hatte nicht immer die Kontrolle darüber, womit er sich identifizierte, und somit auch nicht über die Gestalt, die er annahm. Er nannte es fluide göttliche Inspiration und genau solche Momente konnten der Auslöser für eine Veränderung sein. Inspiriert durch ein Thema, eine Person, das Leben selbst. Er hatte Mona nie nach ihrer sexuellen Orientierung gefragt, soweit waren sie in ihren Gesprächen nie gekommen – sie würde ihn doch nicht ablehnen, wenn er nicht … »Ganz toll, Ba’al. Denk dich nicht noch unsicherer«, murmelte er.
Resignierend holte er sein Smartphone aus der Manteltasche und drückte die 7. Damit war Mona auf der Kurzwahl hinter all seinen wichtigen Geschäftskontakten und gleichzeitig besetzte sie so die Zahl der Hexerei. Gäbe es doch nur eine magische Formel, um ihn aus diesem Schlamassel zu befreien. Gleich würde sie ihn mit einem Vortrag über sein Unwissen bezüglich moderner Methoden für die Periode triezen. Aber es half ja nichts. Das Freizeichen erklang fünfmal, ehe Mona ein müdes »Mhhhh« verlauten ließ.
»Liebling … dieses Regal in der Drogerie … angenommen, du wärst jetzt hier …«, begann er langsam, doch Mona fiel ihm direkt ins Wort.
»Normale Binden, Balthasar. Nichts Kompliziertes. Einfach die normalen Binden!«
»Aber was ist denn normal? Weil die extra gigantischen Supersauger sind hier noch das Harmloseste …«
Ihr Augenrollen fühlte er durch die Leitung hindurch, aber zu seiner Erleichterung erklang auch ein leises Lachen.
»Da wird eine Ecke sein, in der alles weiß ist. Richtig?«, erklärte sie. Nervös wanderte sein Blick über die Vielzahl an Farben und Aufdrucken. Wusste der Teufel, warum man zwanghaft niedliche Maskottchen auf Hygieneartikel drucken musste. Oder nein, er wusste es eben nicht.
Direkt neben einem ungewöhnlich glücklich dreinschauenden Hund, der sich verlegen eine Binde auf die Nase geklebt hatte, waren viele Packungen in weiß aufgereiht. Tampons, Binden, Slipeinlagen. Der Aufdruck war simpel und schlicht.
»Normale Binden für die normalen Tage …«, las er vor. »Oh … das hattest du wörtlich gemeint.« Für seinen Geschmack lachte Mona etwas zu lange. Missmutig griff er zu einer Packung normale Binden und warf sie in den Einkaufskorb.
»Eine Packung reicht? Und die sind nicht biologisch abbaubar …«, gab er zu bedenken.
»Eine Packung reicht! Und ja, ist alles okay so. Danke.« Sie klang zufrieden mit seiner Anmerkung, und Balthasars Anspannung ließ endlich nach. Nicht auszudenken, hätte er das Falsche gekauft – an diesem Tag musste er perfekte Arbeit leisten, sie hatten gerade begonnen, eine völlig neue Vertrauensebene aufzubauen.
»Dann bis gleich …«, verabschiedete er sich und machte noch einen Umweg durch den Gang mit den Süßigkeiten. Eine Entscheidung, die er sofort bereute, denn es leuchteten ihm schon wieder mehrere Gänge voller farbenfroher Versprechungen entgegen. Auch hier strahlte ihn ein Teddybär mit Engelsflügeln an, der ähnlich verlegen dreinschaute wie der auf der Tamponpackung. Für einen Moment überlegte Balthasar, ob man ihm hier wirklich Schokoriegel verkaufen wollte. Die Menschheit hatte einen furchtbaren Geschmack. Zwar hatte Mona ihm keine weiteren Anweisungen erteilt, vermutlich, weil ihr gerade übel war und die Schmerzen wenig Raum zum Nachdenken ließen – aber er war sich sicher, in ein paar Stunden wollte sie Schokolade oder Kekse, vielleicht auch Kuchen, eventuell eine Packung Chips. Er zumindest verspürte plötzlich einen Heißhunger auf Zucker, und so entschied er sich für alle vier Möglichkeiten.
Und dann führte ihn sein Weg in die Abteilung für Spirituosen. Das ganze Regal hätte Balthasar nicht mal für einen leichten Schwips ausgereicht, aber darum ging es ihm nicht.
Kurz vor der Kasse erwarteten ihn wieder leuchtend bunte Packungen mit seltsamen Bezeichnungen von XL bis super-gefühlsecht. Diesmal erzählten sie auch noch etwas über Geruch und Geschmack.
»Vanille, würg«, murmelte er und schüttelte den Kopf. Kondome standen den Binden in Sachen absurder Werbung in nichts nach, und gerade wollte er zu einer Packung greifen, da spielte sich eine Szene vor seinem geistigen Auge ab. Wenn er damit nach Hause kam, wie sollte er Mona das erklären? Ihre letzte Nacht war eher holprig verlaufen, und die Hexe setzte sich schon bei Kleinigkeiten unter Druck. Er hatte sehr wohl bemerkt, wie aufgeregt sie gewesen war und wie unsicher, so gut sie das auch überspielen konnte. Nein, vor dem Sex stand erst mal ein Gespräch an. Im Gegensatz zu dem, was Mona vermutlich über ihn dachte, hatte er seit Monaten keinen Sex mehr gehabt. Spätestens der Gedanke, direkt aus dem Beischlaf beschworen zu werden, weil Mona ihn brauchte – es gab wohl kaum eine bessere Verhütungsmethode als dieses Szenario. Es blieb bei Binden, Alkohol und Mental-Health-Food.
Die emotionale Achterbahn an der Kasse war ein Schauspiel vom Feinsten. Natürlich war es ein Fehler gewesen, den Mantel mit Pelzkragen zu tragen, überhaupt den Anzug, diese Schuhe – in einem Rossmann wirkte Balthasar wie der Pate in einer Krabbelgruppe. Seine Aura alleine reichte aus, und vier Leute vor ihm ließen ihn vor. Seltsamerweise wurde es auch hinter ihm sofort leer. Missmutig packte er seine Einkäufe aufs Band: Neben zwei der teuersten Rumflaschen eine Packung normale Binden und ein ganzer Berg an Süßkram samt Mohnschnecken. Hoffentlich reichte das. Die Zigaretten unweit der Kasse lockten mit ihren abstoßenden Bildern von Lungenkrebs und blutigen Geschwüren, aber Mona würde er an diesem Tag bestimmt nicht mit Rauch quälen. Stattdessen griff Balthasar zu einer Tüte mit Lakritze. Und weil sich das Kassenband immer noch nicht bewegte, liebäugelte er mit Karamellbonbons und Kaugummi. Wieso musste der ganze ungesunde Mist direkt hier hängen – und was dauerte da überhaupt so lange?
Die müde Frau an ihrer Station fertigte den wohl langsamsten Rentner seit der Erfindung von Slow Motion ab. Wie viele 1-Cent-Stücke konnte ein Mensch besitzen? Und beim Abzählen der einzelnen Münzen schien sich der Herr rückwärts zu bewegen. Trotz des verdächtig untoten Eindrucks verrieten Atmung und die roten Wangen, dass es sich um einen Lebenden handelte.
»Lassen Sie sich nur Zeit …« Der Sarkasmus in der Stimme der Kassiererin war überdeutlich, doch der Mann nickte dankbar, schenkte ihr ein Lächeln, während er den nächsten Plastikbeutel mit Kleingeld aus seiner Tasche zog. Es klimperte laut, als der Sack voll Münzen auf dem Tresen landete. Balthasars Augen wanderten zu den Einkäufen des Rentners. Nichts weiter als ein großer brauner Plüschhund, dessen grelle Plastikverpackung ein Spielerlebnis der Extraklasse versprach. »Drück mich, ich wackel mit dem Schwanz! Fütter mich, dann freu ich mich! Der Superschnuppi für die ganze Familie. Superwitzig! Super zu handhaben! Superkuschelig!«
»Super …«, murmelte Balthasar und seufzte lange.
»Seit mein Fido verstorben ist …«, begann der alte Mann heiser. Die Dame an der Kasse verdrehte die Augen.
Gefühlt eine halbe Stunde später lag das letzte Cent Stück auf einem Berg, und Balthasar atmete durch. Doch zu früh gefreut.
»Da fehlen zwei Euro!«, kam es schnippisch. Oh, am liebsten hätte er ihr den Hals umgedreht. Zwei Euro, was waren denn schon zwei Euro im Vergleich zu den vergangenen dreißig Minuten Hölle, Leid und Qualen? Und warum hatte die Kasse nebenan direkt geschlossen, als Balthasar sich zu ihr umgesehen hatte?
»Aber … mein Fido …«, murmelte der alte Herr verwirrt und blickte traurig auf den Berg an Kleingeld, dann zu dem flauschigen Plüschtier.
»Kein Geld, kein Hund!« Die Frau griff bereits nach der Verpackung und zerrte sie an sich, da räusperte sich Balthasar. Sie bemerkte ihn offenbar erst jetzt, wie einen düsteren Schatten, den man aus den Augenwinkeln die ganze Zeit ignoriert hatte. Vor seinem Anblick schrumpfte die dürre Gestalt auf ihrem Hocker zusammen. Sie zuckte heftig, als Balthasar ihr die pechschwarze Kreditkarte unter die Nase hielt.
»Ich bezahle den Fido – und das hier.«
Ein verdächtig untotes Geräusch entkam ihr, als sie nach dem Hündchen die zwei Flaschen Rum, eine Packung Binden und diverse Süßigkeiten über die Theke zog.
Kurze Zeit später verließ der alte Herr mit seinem Plüschtier fröhlich den Laden.
»Das funktioniert einfach immer …«, kicherte seine blasse Stimme und bei jedem Schritt klimperten seine Taschen, die wohl alle randvoll mit Cent Münzen waren.
Balthasar tat so, als hätte er es überhört. Irgendwann sah er den Zausel sowieso wieder, und dann durfte der an einer höllischen Kasse stehen und warten.
Balthasar eilte genervt über die Straße. Je mehr Zeit er mit Mona verbrachte, desto mehr verspürte er den Drang, sich durchschnittlich zu kleiden und menschlich zu verhalten. Außerdem kam er sich reichlich unpassend vor, im Armani-Anzug mit einer hässlichen Plastiktüte aus der Drogerie bis zu seiner Hexe zu laufen. Der Beutel mit dem Aufdruck eines Maskottchens im Arztkittel passte zu dieser Straße, Balthasar wohl auch – wäre er denn wirklich ein Mafioso gewesen.
Über das zwielichtige Viertel, in dem Mona wohnte, mussten sie sich auch noch mal unterhalten. Offenbach alleine war schon schlimm genug. Seine Verpflichtung, sie zu beschützen, würde sich erheblich vereinfachen, würde sie bei ihm wohnen – bei diesem Gedanken blieb er kurz stehen. So ernst war es ihm inzwischen. Erstaunlich, wie schnell sich das Leben ändern konnte. Aber selbst, wenn sie diese Art feste Bindung wünschte, Mona liebte ihre Wohnung. Und das besondere Lokal direkt darunter schien ihr viel zu bedeuten, so oft, wie sie dort mit ihren Freunden zugegen war. Zugegeben, ihr Freundeskreis war unterhaltsam, und die Bar mit dem seltsamen Namen war nun mal das Zentrum ihrer kleinen Welt. Inzwischen flackerten einige weitere Buchstaben der alten Neonschrift. Bald würde vom Hip-tro-C-ock wirklich nur das C-ock übrig sein, und das brachte Balthasar glatt zum Schmunzeln, als er an dem Lokal vorbeiging und zur Haustür schritt.
Hastig kramte er den mit Anhängern überladenen Schlüsselbund von Mona hervor. Kurzzeitig verhedderte er sich in den Plüschwürfeln und einem Skelettanhänger aus Holz. Er bekam erst den falschen Schlüssel zu fassen, bis er endlich eintreten und der Nachbarin in die Arme laufen konnte.
»Ach, Sie sind des!«, krächzte es ihm entgegen.
Sie war klein, im Vergleich zu Balthasar richtig winzig, trotzdem nahm die alte Dame aus Monas Etage den gesamten Gang vor den Briefkästen ein. Ihre Aura war drall wie ein Fass, und zur rettenden Treppe musste er sie passieren.
»Guten Abend …«, murmelte Balthasar heiser und beendete damit seiner Auffassung nach die Höflichkeiten. Doch kaum reckte er den Hals etwas und wollte an der wackeligen Dame vorbei, breitete sie sich in die gleiche Richtung aus. Eine Wand aus Mütterchen, Haarnetz und Trockenshampoogeruch hatte sich gebildet, Balthasar war gefangen. Der Blick neugieriger, wässriger Augen heftete sich erst an seinen Anzug, wanderte zu der Tüte in seinen Händen über die vielen Ringe bis hoch zum Mantel und bohrte sich dann gierig in seinen Kopf. In ihr brodelten die Fragen nur so, er konnte es regelrecht von ihren wandernden Falten ablesen. Sie wollte wissen, womit er sein Geld verdiente, weshalb er und seine Frau nicht zusammenlebten, ob der Pelz echt war, was sich in der billigen Tüte befand – vor allem ging es ihr darum, welche dieser Fragen zu möglichst brisantem Tratsch führte.
Das Geschwätz eines Lästermauls hatte die Macht, ganze Nationen zu spalten. In dem Moment, als Balthasar durch die Tür getreten und ihr begegnet war, hatte er bereits verloren. Was auch immer er sagte, tat, jede Regung in seinem Gesicht – sie würde ihm einen Strick daraus drehen. Jetzt hatte er nur noch die Kontrolle darüber, welche Art von Tratsch sein Erscheinen in Bewegung setzte und welche Auswirkungen das auf Mona haben würde. Sie lebte hier. Sie würde sich hinterhältigen Fragen stellen müssen, und er wäre schuld.
Balthasar hatte schon viele Höllenportale geöffnet, die meisten davon besaßen Zähne, eine lange Zunge, einen tiefen dunklen Schlund, und es war nicht er, der davor erzitterte, sondern die Opfer. Doch als sich die falschen Beißer der älteren Dame öffneten, sie Luft holte und dabei die Röte ihres Rachens offenbarte, wurde es ihm ganz flau.
»Richtig kalt geworden, finden Sie nicht?«, leitete sie die Fahrt in die Hölle ein. Er verspannte sich sofort. Sie eröffnete ein einzigartiges Schachspiel mit einem scheinbar harmlosen Bauern, und fieberhaft ging Balthasar seine Optionen durch. Jede Antwort würde zu weiteren Fragen oder gar Schlussfolgerungen führen, deren Entwicklungen seine Zukunft dominieren konnten.
»Ja«, hörte er sich sagen. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Bedauerlicherweise zwang es die Nachbarin zum Nachdenken. Erneut rückte sie gedanklich eine Spielfigur vor, analysierte den Verlauf, um ihr Opfer schnellstmöglich schachmatt zu setzen. Langsam wackelte sie mit dem Kopf – tat sie nur so tattrig, vielleicht war das eine Taktik?