Mönch und Mensch: Anselm Grün - Matthias Slunitschek - E-Book

Mönch und Mensch: Anselm Grün E-Book

Matthias Slunitschek

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Beschreibung

"Wie viel verdient eigentlich ein Kaplan?", fragt der kleine Willi Grün. "Hundert Mark", antwortet der Vater. "Das ist mir zu wenig!" Was damals noch keiner ahnen konnte: Aus dem ehrgeizigen Jungen, der sich im Kloster Münsterschwarzach Anselm Grün nennt, wird einmal der bekannteste Benediktiner, erfolgreichste Autor religiöser Bücher und ein echter Medienstar. Er erreicht mit Bestsellern, Kursen, Vorträgen und Podcasts Millionen Menschen, die scheinbar nichts mehr mit Gott und der Kirche zu tun haben. Woher kommt er? Was hat ihn geprägt und inspiriert? Was liegt ihm am Herzen? Die außergewöhnliche Biografi e eines einfachen Mönchs – und zwei Antworten, die Pater Anselm gibt, wenn man ihn nach dem Sinn des Lebens fragt. Mit Stimmen von Konstantin Wecker, Bodo Janssen, Hsin-Ju Wu, Walter Kohl und vielen anderen.

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Seitenzahl: 209

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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024

ISBN 978-3-7365-0576-6

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024

ISBN 978-3-7365-0638-1

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher

Lektorat: Marlene Fritsch

Covergestaltung: Stefan Weigand, wunderlichundweigand

Covermotiv: Katharina Gebauer, wunderlichundweigand

www.vier-tuerme-verlag.de

MATTHIAS SLUNITSCHEK

Mönch und Mensch: Anselm Grün

Die autorisierte Biografie

Vier-Türme-Verlag

INHALT
Vorwort
KAPITEL 1 WARUM KANN KIRCHE NICHT ETWAS »GRÜNER« SEIN?
»Anselm erzeugt durch seine sanfte Tonart, seine flüsternde Sprache, ein grundsätzliches Vertrauen.«
KAPITEL 2 FAMILIENGESCHICHTEN, UNAUSGESPROCHEN
Boden unter den Füßen
Wenn Gott für mich ist
Traum-Träger
Haferflocken, in Butter geröstet
Konkurs und Rettung
Hundert Mark
Strenger Rhythmus
Mikroskop
Lebenslänglich Mönch
»Ich begreife das Werk von Anselm Grün wie eine große Badewanne.«
KAPITEL 3 MÖNCH WERDEN
Sant’Anselmo
Hoch hinaus
Zeitgeschichte
Gegen den Trend
Am Tellerrand
Rütte und ein Abschied
In der Wüste
»Ich denke, was seine Größe vor allem ausmacht, ist seine wirklich tief empfundene Bescheidenheit.«
KAPITEL 4 VON BERUF MÖNCH
Damit ich erkennen kann
Das andere Leben in der Abtei
Klosterkarriere
Menschen führen
Recollectio – Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen
Die beste Version von dir?
Ein Seminar bei Pater Anselm
»Dieser alte Konflikt zwischen Seelsorge und Psychotherapie, wo zieht man da die Grenze?«
KAPITEL 5 AM SCHREIBTISCH
Das Du – Der Briefschreiber
Der Fischteich
Das Ich – Die ersten Bücher
Von Engeln, Glück und anderen Bestsellern
Im Tourbus
»›Aber Bodo‹, sagte er zu mir, ›wir machen mehr als zwei Vorträge am Tag, nicht so ein Altherrenprogramm.‹«
KAPITEL 6 KEINE MORALAPOSTEL MEHR
Montagsmaler
Geld, der Crash und eine 10 Millionen-Euro-Frage
Das Reich Gottes, das Reich der Mitte
Der Insta-Mönch
Wie eine lange Ehe – die Kirche
»Dieser Gedanke macht der Regierung Angst.«
KAPITEL 7 ZWEI ANTWORTEN AUF DEN SINN DES LEBENS
»Ich finde, dass Pater Anselm ohne die Kirche auskommen kann, aber die Kirche nicht mehr ohne Anselm Grün.«
QUELLEN

VORWORT

Es wird wohl keinen zweiten spirituellen Autor mehr geben, der die Menschen mit Worten und Büchern mehr begeistert als Anselm Grün. Er ist ein einfacher und bescheidener Mönch, doch mit über 20 Millionen verkauften Büchern weltweit ein Superbestseller, ein echter Medienstar. Man könnte sagen: ein absoluter Ausnahmemönch – auch wenn er das sicher nicht gerne hört.

Bei der Arbeit an seiner Biografie haben mich diese Fragen besonders interessiert: Was hat den Menschen Anselm Grün geprägt, angetrieben, welcher Sehnsucht ist er gefolgt, um schließlich seinen eigenen Weg zu finden? Was hat er in seinem Leben erreicht, welche Wirkung hat seine Arbeit entfaltet? Anders gesagt: Wo kommt er her und welche Spuren hinterlässt er?

Dafür habe ich Kurse und Vorträge besucht und gehört, habe ihn eine Woche im Kloster begleitet, Gespräche mit ihm und einigen seiner Wegbegleiter, mit Prominenten und Co-Autorinnen und Co-Autoren geführt. Ich habe viele seiner Bücher gelesen – nicht alle, denn es gibt fast 400 lieferbare Titel von und mit ihm. Während der Arbeit an dieser Biografie sind neue dazugekommen. Am Ende des Buches findet sich ein Auszug aus meiner Leseliste. Es sind Bücher, die mir Anselm Grün selbst ans Herz gelegt hat.

Bereits im Jahr 2009 erschien eine Biografie von Anselm Grün, in der der Autor Freddy Derwahl viele Lebensaspekte und Geschichten von Anselm Grün meisterhaft nachzeichnet. Mir ging es beim Schreiben mehr um die Wirkungsgeschichte Anselm Grüns. Er würde selbst so etwas nie über sich sagen, aber er ist nicht zuletzt dank der sozialen Medien heute einer der wichtigsten Influencer Jesu. Warum ausgerechnet er? Das hat mich brennend interessiert. Ich habe also eine Geschichte hinter dem Leben von Anselm Grün gesucht, ein Narrativ: Willi Grün, der Junge, der seiner Sehnsucht folgt. Anselm auf dem Weg zum Mönch und Autor. Und schließlich Anselm Grün, Bestseller und Person des öffentlichen Lebens. Ein Mensch, der den Weg nach Innen sucht und gleichzeitig eine große Wirkungsgeschichte nach Außen besitzt.

Ich selbst habe Anselm zuerst als Lesender kennengelernt, dann als Gast im Kloster, zuletzt als Schreibender. Meine persönliche Faszination in Bezug auf diesen Menschen, Mönch und Autor ist während dieser Zeit exponenziell gewachsen. Ich hoffe, seiner Bedingung für dieses Projekt, nämlich keine Lobeshymne zu schreiben, einigermaßen gerecht geworden zu sein. Auch wenn mir das hier und da schwerfiel. Danke, lieber Anselm, für dein Vertrauen!

Matthias Slunitschek

KAPITEL 1WARUM KANN KIRCHE NICHT ETWAS »GRÜNER« SEIN?

Mit 77 Jahren sitzt Anselm Grün in der MDR-Talkshow Riverboat. Jörg Kachelmann kündigt ihn mit Superlativen an, die man ansonsten kaum mit einem Benediktiner in Verbindung bringt: Rockstar, Bestsellerautor in Mönchskutte, der Millionen von Lesern weltweit Hoff-nung und Lebenshilfe schenkt, ethischer Broker und Coach von Top-Managern: »Guten Abend, die Schreibmaschine Gottes!« Aber wer dann da im Studio sitzt, ist kein Mann der großen Show, sondern ein authentischer Kopf, der mit Gelassenheit Unterhaltung im besten Sinn macht. So wie immer: Er hört zu und gibt Antworten, die jeder versteht, die aber doch etwas Besonderes sind. Sein Lebens- und Erzählstil heißt: kreative Einfachheit.

»Was war in den letzten acht Jahrzehnten Ihr größtes Geschenk?«, fragt ihn der Moderator. – Anselm Grün muss darüber nicht lange nachdenken: »Das größte Geschenk war die Gabe zu schreiben – und dass ich dabei so viel Freude empfinde!« Äußere Geschenke interessieren ihn nicht, außer vielleicht der CD-Player, auf dem er sich gerne Mozart-Opern anhört. Cosi fan tutte oder auch mal Die Hochzeit des Figaro.

Sein Auftritt bei Riverboat findet in einer Zeit statt, in der das Image von Kirche mehr als ramponiert ist. Man lädt ihn trotz allem als Sympathieträger ein. Oder gerade deswegen? Das Kloster steht für viele noch für echte Kirche und gelebten Glauben. Zur »Marke Grün« gehören genauso: lebenspraktische Weisheiten, therapeutisches Christentum und das Gefühl, dass hier jemand für die Menschen eintritt, ihnen Gutes will und tut. Immer wieder spricht er in Büchern, Vorträgen und auch bei Riverboat davon, dass es die große Aufgabe der Kirche sei, die Menschen aufzurichten.

Für Anselm Grün ist dabei ein Bild aus einer biblischen Geschichte Vorbild: das der gekrümmten Frau aus dem 13. Kapitel des Lukasevangeliums. Der Evangelist erzählt: Seit 18 Jahren ist diese Frau krank. Sie kann sich nicht mehr aufrichten. Das sieht Jesus, ruft sie zu sich und sagt ihr: »Du bist erlöst!« Er legt ihr die Hände auf – und in diesem Augenblick streckt sie den Rücken durch und kann wieder aufrecht stehen. Anselm Grün sieht als Seelsorger so viele Menschen, die sich unterdrückt fühlen, überfordert, belastet, gekränkt oder sogar gebrochen. Sie brauchen seiner Ansicht nach Ansehen, Sichtbarkeit, einen, der ihnen sagt: »Du bist stark, du bist wertvoll!«

Wenn man das 80-jährige Leben von Anselm Grün überblickt, dann kann man das als seine Lebensaufgabe betrachten: Menschen aufrichten – als Mönch und »Schreibmaschine Gottes«.

»Barmherziger und guter Gott, sende deiner Kirche den Geist der Wahrheit, dass sie alles aufdeckt, was sie verletzt hat und was an Mist herumliegt. Sende den Geist der Klarheit, dass sie gereinigt wird durch diese Krise. Und sende deinen Geist der Liebe, dass sie die Menschen nicht mehr beugt, sondern aufrichtet, dass die Menschen sich in ihr verstanden fühlen und nicht bewertet fühlen und dass sie einen Raum schafft, wo die Menschen mit ihrer spirituellen Sehnsucht in Berührung kommen, wo sie frei werden und sich aufrichten können und den Sinn ihres Lebens neu entdecken. Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn. Amen.«

Anselm Grün bei »Riverboat«, live im MDR Fernsehen, 4. Februar 2022

Die BILD-Zeitung bezeichnete ihn einmal als »Glücksmönch«, und dieser Ruf – der nicht der schlechteste ist – haftet an seinem öffentlichen Bild. Doch Anselm Grün macht keine Glücksversprechen. Darum geht es ihm nicht. Er ist weder Versicherungsmakler noch Lottofee. Aber er ist da, wenn man ihn um Rat fragt, sogar im Boulevard. Hier erreicht er Menschen, denen er im Hochamt der Abteikirche Münsterschwarzach oder in seinen Seminaren für Führungskräfte nicht begegnet. Der BILD-Zeitung verriet er am 13. Januar 2010 seine »10 wichtigsten Wege zum Glück«:

Nimm deine Grenzen an!Nimm dich nicht zu ernst!Prüfe dein Denken!Lerne zu sein!Lerne zu warten!Wage Neues, zeige Mut!Öffne dein Herz!Genieße – es ist später, als du denkst!Verdränge nichts!Gehe deinen eigenen Weg!

Keine Glücksformel, sondern anspruchsvolle Ermutigungen zur positiven Lebensführung gibt er den Leserinnen und Lesern von Deutschlands auflagenstärkster Zeitung mit auf den Weg. Er warnt vor Perfektionsdrang, vor Allmachtsfantasien, vor Selbstüberschätzung. Er ermutigt zu kritischem Hinterfragen, zu genauem Hinschauen, auch wenn es wehtut. Aber er empfiehlt ebenso, den Augenblick zu genießen, im Hier und Jetzt zu leben, achtsam zu sein, Vertrauen in andere Menschen und in die eigenen Fähigkeiten zu haben. Gerade die Kunst, das eigene Leben zu führen, ist ihm wichtig. Nicht anderen hinterherzulaufen, sondern genau hinzuhören und für sich zu entscheiden, welcher Weg der richtige ist: »Und dann musst du dich mutig entscheiden, diesen Weg zu gehen, auch wenn du dich dort sehr einsam fühlst.«

Hat er sich bei diesem letzten Satz selbst gemeint? Bereits als Junge entschied er sich, von zu Hause wegzugehen, um Mönch zu werden. Viele Stunden hat er im einsamen Dialog des Schreibens zugebracht. Sein Leben war und ist sicher reich an Verzicht, aber umso reicher an guten, außergewöhnlichen Erfahrungen.

Popularität und öffentlicher Erfolg sind keine Kategorien, in denen Anselm Grün denkt. Trotz allem ist sein Erfolg eine Zumutung – für Kritiker wie für Unterstützer. Denn Anselm Grün drängt sich nicht in den Vordergrund und ist doch sichtbarer als jeder deutsche Landespolitiker. Vielleicht mit Ausnahme von Söder und Kretschmann. Er spricht über viele verschiedene Themen, behauptet aber nie, Experte zu sein. Er polarisiert nicht und setzt seine Meinung nicht über die der anderen, regt aber trotzdem zum Nachdenken an.

Sein Geheimrezept verrät der Bestsellerautor jedem, der danach fragt: Er hört den Menschen zu und spürt in sich nach, was ihnen helfen könnte. Dabei kommt kein moralischer Gemeinplatz zutage. Er bietet keine Antwort an, sondern begleitet Menschen dabei, ihre eigenen Antworten zu finden. Aus diesem Grund – so scheint es – hören ihm so viele Menschen zu. Nicht weil sie mehr über ihn und seine Weltsicht erfahren möchten. Sie suchen nach sich selbst. Bei ihm gibt es keinen erhobenen Zeigefinger. Mit dem zeigt Anselm Grün höchstens mal auf eine passende Stelle in der Bibel oder der kirchlichen Tradition.

Anselm Grün lässt bei allem Erfolg ungenutzt, wofür ihn viele beneiden: seine Macht. Hätten andere die große Reichweite, dieses positive Image und die beeindruckende Medienpräsenz – sie hätten längst Politik gemacht. Aber daran denkt Anselm Grün nicht. Er lässt sich nicht verzwecken. Schon gar nicht für Kritik und schlechte Nachrichten. Trotzdem ist er nicht nur regelmäßig im Boulevard zu sehen, sondern in den großen Feuilletons und Talkshows. Für viele ein kleines Wunder! Unterm Strich aber der Beweis, dass Authentizität wichtiger ist als Sensation.

Anselm Grün kommt einem öfters vor, wie ein Influencer, der keine Werbung macht. Jede »bezahlte Werbepartnerschaft«, wie es bei Instagram heißt, lehnt er ab. Er spricht ausschließlich für sich. Natürlich tritt er für seine Kirche und für seinen Glauben an Jesus Christus ein. Aber er spricht nicht stellvertretend für sie. Er spricht immer persönlich, nie kategorisch: »Ich werde öfters gefragt, warum die Leute meine Bücher lesen oder zur Pforte kommen und nicht in die Kirche. Ich sage dann: Ich versuche, eine einfache Sprache zu sprechen, keine moralisierende, sondern eine helfende, die ermutigt.«

Er sendet Ich-Botschaften. Denn, wie gesagt, wer von sich selbst und seiner eigenen Erfahrung spricht, der drängt nichts auf, sondern macht Angebote und Einladungen: Schau her, so könnte man die Welt auch sehen! Das macht den ein oder anderen Kritiker nervös. Dabei sind »Angebote« und »Einladungen« die falschen Begriffe, denn er hütet sich auch davor, »Kirchensprech« zu gebrauchen. Floskeln sind selbst eingefleischte Gemeindemitglieder inzwischen überdrüssig.

Auch für Anselm Grüns Freunde, Fans und Follower ist seine bescheidene Zurücknahme eine Zumutung. Warum kann Kirche nicht etwas »Grüner« sein? Das fragen spirituell Suchende. Sie erahnen bei Anselm Grün Antworten, wenigstens Wegweiser. Selbst die Menschen lesen ihn, die der Kirche längst den Rücken gekehrt haben. Was es ihnen allen schwermacht: Anselm Grün steht hinter dieser Kirche. Er will ihren Wandel, aber keine Abkehr. Er stellt sich zwar nie vor die Kirche, um sie blind zu verteidigen, er relativiert nicht, schaut genau hin und benennt deutlich, wo die Probleme liegen, wo Kirche auch falschliegt. Doch die Kirche ist ihm heilig, ihre Rituale und Traditionen, ihr Erfahrungsschatz und ihre Gemeinschaft.

Selbst wenn er über Zustände empört ist, stellt er sich nicht an die Spitze irgendeines Protests. Ihm würde das sicher leichter als anderen gelingen. Warum tut er das nicht? Dahinter stecken keine Taktik und kein Kalkül. Es geht nicht darum, allerorts beliebt oder uneingeschränkt gehorsam zu sein. Die Antwort: Er folgt seiner eigenen Intuition, für die er fünf einfache Worte gefunden hat: »Anprangern passt nicht zu mir!« Und zwar in jeder Richtung.

Die Unabhängigkeit und Freiheit, die in Anselm Grüns Auftritten und Schriften liegt, machen ihn zu einem Charakterkopf. Es ist schwer, ihn in ein Lager zu stecken. Bei allem bleibt er, wie man immer wieder sieht, ebenso inspirierend wie streitbar.

Erlösung ist kein magisches Geschehen, das uns von aller Verantwortung für das eigene Leben befreit. Vielmehr hängt es auch von unserem Tun ab, ob unser Leben gelingt oder nicht. Das Geheimnis Jesu besteht darin, dass er keine Lehre verkündet, die von ihm unabhängig ist, sondern dass er das, was er lehrt, mit seinem eigenen Leben bestätigt und vorlebt.

Erlösung, Vier Türme 2018

»Anselm erzeugt durch seine sanfte Tonart, seine flüsternde Sprache, ein grundsätzliches Vertrauen.«

Reinhold Beckmann

Dreimal war Anselm Grün bei Reinhold Beckmann in der Sendung. Beckmann sieht in ihm eine »Leitfigur für viele von uns, die nach oben hin ein wenig obdachlos sind«. Anselm Grün baue Brücken zum Spirituellen, wo für viele Menschen lange Zeit kein Weg mehr war.

»Anselm erzeugt durch seine sanfte Tonart, seine flüsternde Sprache sofort ein tiefes, grundsätzliches Vertrauen. Das ist eines seiner Geheimnisse. Als Autor ist er brillant, aber als Redner noch viel besser. Anselm Grüns Botschaften sind in ihrer Klarheit wichtig für eine Gesellschaft, in der es heutzutage gefühlt mehr psychotherapeutische Praxen gibt als Supermärkte. Viele haben doch diesen Druck, sie müssten immer performen, sich ständig in allem selbst optimieren. Und nach oben hin sind die meisten von uns dabei jedoch ein wenig obdachlos. Da hilft Anselm Grün mit ganz einfachen, fast handwerklichen Anleitungen, die jeder für sich umsetzen kann. Selbstliebe ist bei ihm ein wichtiger Punkt. Man kann sich natürlich immer verbessern, aber zunächst muss man sich annehmen, wie man ist. Das sei der erste Schritt, um frei und glücklich zu sein.

Er selbst ist nicht perfekt, das gibt er immer wieder zu. Da ist der Mönch, der von Entschleunigung predigt, aber das selbst nie so ganz hinbekommt: Anselm hatte über 30 Jahre lang eine Leitungsfunktion als Cellerar in seinem Kloster und ganz nebenbei 300 öffentliche Auftritte im Jahr. Wann hat er nur all seine vielen Bücher geschrieben? Wenn ich daran denke, wie viele Kilometer er im Jahr reist! Nach Ruhe und spiritueller Mitte hört sich das erst mal nicht an. Eben dadurch bleibt Anselm Grün aber glaubhaft – ein Getriebener, der auch öffentlich darüber redet, wie schwer es selbst für ihn ist, zur Ruhe zu kommen.«

KAPITEL 2FAMILIENGESCHICHTEN, UNAUSGESPROCHEN

Für drei Wochen im Jahr legt Anselm Grün seinen Habit ab – die Tunika, den Zingulum, das Skapulier mit Kapuze –, um Urlaub zu machen. Darunter kommen in der Regel ein unscheinbarer Strickpullover und eine Cordhose zum Vorschein. Er reist meistens in Zivil, freilich bestens zu erkennen an Strubbelhaaren und Rauschebart. Womöglich war das ein Souvenir von der Lektüre eines seiner Lieblingsbücher. Ehrhard Kästners Die Stundentrommel vom heiligen Berg Athos hörte er in der Anfangszeit in Münsterschwarzach während der Tischlesung. Er pilgerte später in die griechische Mönchsrepublik und das Buch wurde für ihn zum Vademecum. Urlaub heißt Erlauben, sagt er. Seinen Lesern legt er das gerne ans Herz: Im Urlaub ist erlaubt, was du sonst nicht tust. Du entscheidest frei über die Zeit und stellst deine Pflichten hintan, auch wenn du liebst, was du sonst tust.

Was heißt das für Anselm Grün? Er schreibt in dieser Zeit nicht, ist nicht erreichbar und legt sich gerne mal am Nachmittag länger hin. Doch Urlaub vom Mönchsein gibt es nicht.

Am liebsten besucht Anselm Grün in dieser Zeit seine Geschwister. Er liebt das Wandern seit Kindheitstagen. Im Alter entdeckt er es als Bild für seinen eigenen Weg als Mensch. Jeder Abschnitt hat seinen eigenen Charakter. Aber es geht bei ihm nicht nur um die innere Reise, auch wenn er darüber schreibt, sondern ebenso um das Erlebnis, Ziele zu erreichen, Gipfel zu stürmen und um die Kunst, genug Kraft für den Rückweg aufzusparen. Eigentlich nicht ganz typisch für einen, der sich dem klösterlichen Leben geweiht hat – oder gerade doch?

Im Kloster Münsterschwarzach, wo er seit 60 Jahren lebt, verabschiedet er sich bei seinen Brüdern als Anselm. An der Tür seiner jüngeren Schwester Linda begrüßt man ihn dann als Willi, denn so sagen einige seiner Geschwister und Nichten zu ihm. Als Willi oder vielmehr Wilhelm verließ er mit zehn Jahren sein Zuhause in Lochham, südlich von München, um Mönch zu werden. Zu Hause ist heute immer noch dort, wo Familie ist, wo Vertraute sind, mit denen man dieselbe Geschichte teilt. Doch wenn es einen Ort gibt, den er Heimat nennt, so ist das heute das Kloster Münsterschwarzach.

Im Haus seiner Schwester hat er ungewöhnlich viel Platz, sogar ein eigenes Bad. Er lässt sich Zeit, seine »normalen« Kleider auszupacken, legt sie auf den Fußboden, ebenso wie einen Stapel Bücher, den er in den nächsten Tagen lesen wird. Normale Kleider? Was ist eigentlich normal? Der Habit aus Wolle, wie ihn bereits Benedikt von Nursia im 6. Jahrhundert getragen hat und alle Mönche, die seiner Regel gefolgt sind? Oder das, was einem zu einem gewissen Zeitpunkt gefällt, was bequem ist, worin man sich wohlfühlt? Habit – der Begriff meint die äußere Gestalt, bringt aber auch die innere Haltung zum Ausdruck. Wie steht es um Anselm Grün? Gibt es einen Unterschied zwischen dem Mönch im Habit und dem Menschen im Strickpullover?

Vielleicht ist man enttäuscht, so wie der kleine Junge, dem Anselm Grün in Taipeh begegnet ist. Als er die vormals eindrucksvolle Mönchsgestalt in Zivilkleidung und ohne Habit sieht, ruft er überrascht: »Das ist ja nur ein alter Mann!« Gibt es neben dem Asketen, der sich beim Fasten nicht mal eine Gemüsebrühe gönnt, nicht auch noch Willi, den Genießer, der eine Schwäche für italienisches Essen hat? Hier, bei seiner Schwester im oberbayerischen Murnau mit Blick auf die Ammergauer Alpen wird es für ein paar Tage sichtbar: das Leben, das Anselm Grün nie geführt hat.

Als er abreist, kommt seinem Schwager ein Satz in den Sinn: »Er hat hier für ein ganzes Jahr aufgetankt.« Er meint wohl das »normale« Leben jenseits des Klosters. Beides gehört zu Anselm Grün, das Mönchsein und das Menschsein. In beidem liegt kein Widerspruch, aber beide Seiten desselben Lebens haben ihre eigenen, teils unausgesprochenen Sehnsüchte und Geschichten. Manche werden erst erahnbar, wenn man ihre Wurzeln kennt: die Familie.

Seelsorge heißt, wie ein Vater Vertrauen ins Leben zu vermitteln, einen Raum zu eröffnen, in dem der Mensch sich selbst wagen darf.

Den Reichtum des Lebens entdecken, Vier Türme 2019

BODEN UNTER DEN FÜSSEN

Heinrich Grün, ein Cousin des Vaters, war auf Heimaturlaub. Er kam von Russland nach München, um sich zu erholen. Niemand wusste, dass er eigentlich Abschied nehmen wollte von zu Hause. Was er im Krieg erlebt hatte, war ihm unerträglich. Der einzige Ausweg: Erlösung durch den Tod, aber nicht durch den Freitod. Es sollte ein stilles Martyrium sein, Tod durch Befehlsverweigerung, kein Akt der Verzweiflung, sondern geplante Aktion, um die eigene Haltung wiederzufinden und versöhnt aus dem Leben zu gehen. Vor der Abreise nach Russland sagte er zu Wilhelm Grün senior frei heraus: »Ich komme nicht mehr zurück.«

Er erzählte ihm, wie er jüdische Kinder zur Erschießung führen musste. Dabei nahm ein kleiner Junge seine Hand und sah ihm in die Augen. Dann sagte er ein Wort, das Heinrich Grün zutiefst schockierte: »Papa!« Er war selbst Vater zweier Buben im gleichen Alter. Papa! Was, wenn es deine eigenen Kinder gewesen wären? Es hatte sich so angefühlt. Papa! Das eine Wort reichte, um Heinrich Grün aus dem Leben zu reißen: Er beschloss, sich lieber selbst erschießen zu lassen, als weiter an diesem himmelschreienden Unrecht mitzuwirken. Er kam nicht mehr aus dem Krieg zurück.

Diese Geschichte prägt die Familie Grün bis heute. Das Unrecht, das so vielen Opfern des Kriegs widerfahren war, wurde auf ganz merkwürdige Weise sichtbar am Schicksal von Heinrich Grün. Damals bestätigte es für Anselm Grüns Vater vor allem eines: Hitler ist ein Verbrecher! Niemals würde er den Arm heben und für die Nationalsozialisten kämpfen.

Wilhelm Grün, Anselms Vater, Jahrgang 1899, war bereits einmal im Krieg gewesen und wusste, dass es zuletzt keine Gewinner geben würde. Als 16-Jähriger diente er zwei Jahre in der Marine und lernte nicht nur den Seekrieg kennen, sondern auch die Angst vor dem Tod und die Enttäuschung des eigenen Eifers. Noch während der Ausbildung wurde er mit seinen Kameraden um drei Uhr nachts von Bord geschickt. Sie sprangen mitten in der Nacht, weil in dieser Zeit der Puls am niedrigsten war und somit die Überlebenschance am größten. Wilhelm Grün schwamm und schwamm. Plötzlich wurde ihm übel und er dachte, er müsse sich übergeben. Er war so erschöpft, dass er versucht war, aufzugeben und sich vom Leben zu verabschieden. Doch dann spürte er Boden unter den Füßen – eine Sandbank! Er stand. Mitten im Meer. Ein Zufall hatte ihn gerettet – oder der Herrgott, wie er wohl gedacht haben mag.

Bereits in diesen Jugendjahren verlor er die Angst vor dem Tod – und mit Ende des Krieges auch den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit. Als er nach dem Kriegseinsatz, den er auf einem Minensuchboot absolvierte, zurückkehrte, war seine Mutter tot, der Vater lag im Sterben und Kaiser Wilhelm II. hatte nach der Novemberrevolution abgedankt. Alles, wofür er gekämpft hatte, war verschwunden. Dabei hatte man ihm doch gesagt: »Du kämpfst für Kaiser und Vaterland!« Doch jetzt war der Kaiser im Exil und das, was er als Zuhause kannte, nicht mehr da.

WENN GOTT FÜR MICH IST

Für Anselm Grün, den Seelsorger und theologischen Therapeuten, ist klar: Wer einen Vater hat, der einem den Rücken stärkt, findet leicht zum Glauben. Er kann seine positiven Erfahrungen auf das ganze Leben übertragen. Anselm Grün warnt nicht nur einmal in seinen Büchern, dass Menschen ohne dieses Rückgrat und ohne diesen Halt in der Welt einfache Beute für Ideologien sind. Sie suchen einen Vaterersatz in festen und harten Prinzipien. Wahrscheinlich wurde dies nie so deutlich wie in den 20er- und 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Es war die Zeit, die den Vater Wilhelm Grün prägte. Seine Geschichte zeigt aber, dass er ein Mensch war, der Anselm Grün mit Haltung und Liebe den Rücken stärkte, und seine Kinder bewundern heute noch immer die innere Freiheit, die er sich sein Leben lang bewahrt hatte. Gerne hielt er sich fest an einem Vers aus dem 8. Kapitel im Brief des Apostels Paulus an die Römer: »Wenn Gott für mich ist, wer kann dann gegen mich sein?«

Wilhelm Grün wurde in Katernberg bei Essen, mitten im Ruhrgebiet, geboren. Seine Eltern waren aus der Eifel dorthin gezogen, um Arbeit zu finden. Auch Wilhelm Grün arbeitete nach dem Ersten Weltkrieg in der Zeche. Allerdings nicht als Hauer oder Steiger, sondern in der Verwaltung. Nachdem er Anfang der 1920er-Jahre das Turnfest in München besucht hatte, beschloss er, nach Bayern zu ziehen und ein neues Leben anzufangen. Er war gerade 24 Jahre alt und nahezu mittellos. Seinen Kindern erzählte er später: Rheinpreußen sei ihm nicht katholisch genug gewesen, schließlich wurde am Dreikönigstag, an Epiphanie, gearbeitet, und er musste seine Zeit im Büro absitzen. Es war sicher nicht nur ein weiterer freier Tag, der Wilhelm Grün nach München führte, sondern auch die Mentalität dort. Er liebte die einfachen Menschen, die den Hut zogen und »Grüß di Gott, Herr Grün« sagten.

In München wurde er aber auch Zeuge, wie die Nationalsozialisten versuchten, Boden zu gewinnen. Das Deutsche Turnfest im Juli 1923 lockte eine Viertel Million Turnerinnen und Turner in die Stadt und auf die Theresienwiese. Dazwischen machte Adolf Hitler Stimmung gegen den Versailler Vertrag. Seine Demonstration wurde zuletzt von der Polizei aufgelöst und war ein schlechter Vorgeschmack auf den Marsch auf die Feldherrnhalle. Wilhelm Grün hatte Hitler selbst reden und schreien gehört und sagte später: »Dieser Mann ist ein Scharlatan.«

Zuerst schlug sich Wilhelm Grün in München mit Arbeiten auf dem Bau durch. Dann gründete er einen Elektrogroßhandel und wurde Kaufmann – mit einigem Erfolg. Elektrogeräte hatten starke Konjunktur, insbesondere die Volksempfänger waren nach 1933 wichtige Produkte, nicht zuletzt, um die nationalsozialistische Propaganda in die Wohnzimmer zu tragen. Wilhelm Grün verkaufte Ersatzteile für Elektrogeräte und war also im Sektor kriegswichtiger Materialien angekommen. Das ersparte ihm Wehrdienst und die Front. Außerdem konnte er sein Versprechen, nie wieder für einen Staat in den Krieg zu ziehen, jedenfalls bis zu den letzten Kriegswochen aufrechterhalten.