Mord am Bergfried - Gabriele Albertini - E-Book

Mord am Bergfried E-Book

Gabriele Albertini

0,0

Beschreibung

Der Bergfried ist das älteste Bauwerk in Bruchsal, aber es stimmt natürlich nicht, dass dort Gespenster umgehen. Den Mann, der am hellen Morgen am Fuß des Turmes aufgefunden wird, hat eine moderne Schusswaffe getötet. Und doch scheint der Ort eine unheimliche Anziehungskraft zu haben, denn bald gibt es einen zweiten Mord. Die Polizei stößt bei ihren Ermittlungen zunächst immer nur auf neue Fragen und Rätsel. Aber zum Schluss löst das tüchtige Team um Kommissar Adam auch diesen Fall.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 256

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Gabriele Albertini

Mord am Bergfried

Ein Bruchsal-Krimi

Anmerkungen:

Die Sprache der Bruchsaler wird in diesem Buch durchgehend hochdeutsch wiedergegeben. Das bedeutet keineswegs eine Missachtung dieser Sprache, sondern erfolgte nur, weil es für Bruslerisch keine Schrift gibt.

Auch der Mord nach dem Schlosskonzert geschah nur in der Fantasie der Autorin.

Von Gabriele Albertini ebenfalls erschienen sind die Bruchsal-Krimis:

Mord am Saalbach Mord in der Huttenstraße Mord in der Silberhölle Mord im Damianstor? Mord nach dem Schlosskonzert

Titel: Mord am Bergried. Ein Bruchsal-Krimi

Titelbildnachweis: Stefan Fuchs

Satz: Andrea Sitzler, vr

Umschlaggestaltung: Jochen Baumgärtner, vr

E-Pub-Erstellung: Charmaine Wagenblaß, vr

E-ISBN: 978-3-89735-027-4

Die Publikation ist auch als gedrucktes Buch erhältlich.

152 Seiten, Broschur. ISBN 978-3-95505-105-1.

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio­graphie; detailierte bibliographische Daten sind im Internet über dnb.ddb.de abrufbar.

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen. Autoren noch Verlag können für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses E-Books entstehen.

© 2024 verlag regionalkultur Alle Rechte vorbehalten.

verlag regionalkultur

Heidelberg – Ubstadt-Weiher – Stuttgart – Speyer – Basel

Verlag Regionalkultur GmbH & Co. KG

Bahnhofstraße 2 • 76698 Ubstadt-Weiher • Telefon (07251) 36703-0 • Fax 36703-29 • E-Mail: [email protected] • Internet: www.verlag-regionalkultur.de

1

Der Schuss fiel um 8.07 Uhr.

In kurzer Zeit trafen vier Zeugen am Tatort ein.

Susanne Förster, die Bibliothekarin, war als erste da.

Sie wollte gerade die Stadtbibliothek betreten. Den Schlüssel hielt sie noch in der Hand, die Tür war bereits offen. Über dem Platz vor dem Gebäude lag frühmorgendliche Stille.

Der Schuss war überlaut zu hören.

Die Bibliothekarin hielt inne. Ein Schuss? Das konnte doch kein Schuss gewesen sein, mitten in der Stadt, an einem gewöhnlichen Mittwochmorgen, die Sonne hatte sich bereits durch die Dämmerung gekämpft.

Susanne Förster kannte sich aus. Sie hatte schon sehr viel Grausiges erlebt, die schlimmsten Katastrophen und die schrecklichsten Kämpfe überstanden, aber natürlich alles nur schwarz auf weiß zwischen zwei Buchrücken. Trotzdem hatte die Lektüre sie irgendwie abgehärtet. Sie veranstaltete auch ab und zu schaurige Krimi-Lesungen in ihren Räumen, aber nicht einmal diese konnten sie jemals dauerhaft erschrecken. Sie war nicht feige. Und sie wollte wissen, was vor ihrer Bibliothek geschah.

Sie ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen, steckte den Schlüssel wieder ein und wandte sich nach links, weil sie glaubte, den Schuss aus dieser Richtung gehört zu haben.

Neben dem modernen Gebäude, in dem unter anderem die Stadtbibliothek untergebracht ist, ragt der quadratische Turm des Bergfrieds in den Himmel. Von der ältesten Burganlage in Bruchsal ist nur dieser letzte Überrest geblieben. Zwischen dem neuen und dem alten Bauwerk gibt es einen schmalen Durchgang zur Pfeilerstraße, überwölbt von einer brückenartigen Verbindung. Hier beginnt auch an der Mauer eine luftige Wendeltreppe, auf der man hinaufsteigen kann bis unter die Dachhaube.

An der Mauer des Bergfrieds, fast genau in der Mitte des von hier sichtbaren Teils, lag etwas Dunkles.

Susanne Förster eilte zu dem am Boden liegenden Mann und beugte sich über ihn.

„Hallo?“

Keine Reaktion.

Sie ging in die Hocke. Der Mann war gestürzt und lag auf der Seite, die Knie angezogen, ein Arm hing schlaff nach vorn. Der andere Arm befand sich unter dem Körper, nur die Hand wurde sichtbar. Es war die rechte Hand, und sie war voll Blut.

Förster berührte die Schulter. „Hallo, können Sie mich hören?“

Der Kopf lag seitlich auf dem Pflaster. Sie suchte das Gesicht, sah aber zunächst nur einen Teil des Profils, ein Ohr, ein geschlossenes Auge.

Sie rüttelte leicht am Oberarm. Als wiederum jegliche Reaktion ausblieb, griff sie mit beiden Händen an die Schulter und drehte den Mann vorsichtig um. Da sah sie die Stirn.

Die nächsten beiden Zeugen waren Peter Ziegler und Kerstin Stich.

Sie kamen von der Tiefgarage des Bürgerzentrums, wo Ziegler sein Auto geparkt hatte. In dem Augenblick, als er die Tür ins Freie öffnete, hatten sie den Schuss gehört.

Kerstin Stich schrak zusammen. Sie war in Gedanken woanders gewesen. „Was war das?“

„Da muss etwas passiert sein“, sagte er und legte schützend den Arm um ihre Schultern. „Hab keine Angst.“

Zunächst war Stich nur neugierig.

Sie waren wenige Meter vom Bergfried entfernt und sahen bereits die Frau, die sich über einen am Boden liegenden Mann beugte. Als sie näher kamen, sagte Ziegler: „Schau weg.“

Susanne Förster erhob sich. Sie war froh, dass sie nicht mehr mit dem Verletzten allein war. „Ich weiß nicht, was mit ihm los ist.“

Der Mann lag jetzt, nachdem sie ihn umgedreht hatte, auf dem Rücken. Sein Gesicht war nun vollständig zu sehen, überströmt von dem Blut, das von dem seltsamen dunklen Loch mitten auf der Stirn kam und das, weil er auf der Seite gelegen hatte, quer über das Gesicht geflossen war.

„Ist er …..?“ fragte Stich zaghaft.

Susanne Förster zögerte. „Ich weiß nicht. Vielleicht ist er nur bewusstlos.“ Sie berührte eine Wange. „Er fühlt sich nicht besonders kalt an. Jedenfalls“, murmelte sie schaudernd, „nicht weniger kalt als ich.“

„Ich glaube nicht, dass er tot ist“, meinte Ziegler. „Er hat die Augen geschlossen. Tote haben immer diese aufgerissenen Augen und einen starren Blick.“

„Aber die Wunde“, sagte Kerstin Stich. „Er sieht so schrecklich aus! Und diese blutige Hand!“ Sie wandte sich schaudernd ab. „Ich kann’s nicht mehr sehen.“

„Man muss den Puls fühlen. Am Hals. Da vielleicht.“ Ziegler hatte gute Ideen, aber er traute sich nicht, den Mann anzufassen. Förster war mutiger. Vorsichtig tastete sie die Kehle ab, doch da ihre Hand dabei ein wenig zitterte, war sie nicht sicher, ob sie eine Bewegung fühlte.

„Wie war das mit der stabilen Seitenlage?“, überlegte Susanne Förster.

Ratlos standen sie da.

Der vierte Zeuge war Marcel Heilig.

Er hatte den Schuss gehört, als er, auf einer Leiter stehend, in „Lenis Geschenkladen“ arbeitete. Im ersten Augenblick war er unsicher, geriet auch beinahe ins Schwanken, weil er in der einen Hand die Lampe hielt, die er an der Decke befestigen sollte und die ihn ein wenig aus dem Gleichgewicht brachte.

Er stieg die Leiter herab. Die Lampe balancierte er vorsichtig in der Hand, bis er sie unten auf der Ladentheke ablegen konnte.

Lenis Geschenkladen lag gegenüber dem mexikanischen Restaurant. Als Heilig daran entlang ging, sah er sofort, dass drüben am Bergfried einige Personen standen. Er beschleunigte seine Schritte.

„Hat da einer geschossen?“, rief Heilig schon von weitem.

Ziegler drehte sich um. „Sieht so aus, oder?“, erwiderte er grimmig.

Heilig ging um den am Boden liegenden Mann herum und betrachtetete ihn, soweit es möglich war, von allen Seiten. „Hat er noch mehr Verletzungen?“

„Das weiß ich nicht“, flüsterte Susanne Förster. „Ich habe nur im Gesicht und an der Hand Blut gesehen.“

„Reicht das nicht? Sie hätten ihn nicht anrühren sollen“, tadelte Ziegler. „Ich habe vorhin gesehen, wie Sie ihn umgedreht haben.“

„Unsinn. Ich musste doch sehen, was mit ihm los ist.“

„Man darf nichts am Tatort verändern“, erklärte Kerstin Stich.

„Wer hat die Polizei gerufen?“, fragte Heilig.

Die anderen sahen sich an. Niemand hatte daran gedacht. Ziegler holte zögernd sein Handy hervor. „Polizei oder Notarzt?“

„Beides“, sagte Heilig ungeduldig in einem Ton, als sei er hier der Chef. „Wer hat eigentlich geschossen?“

„Keine Ahnung.“

„Haben Sie niemanden gesehen? Ist einer weggelaufen? Vielleicht versteckt er sich irgendwo in der Nähe?“

„Oh nein.“ Kerstin Stich blickte voller Entsetzen um sich und wickelte sich fröstelnd in ihre Jacke.

„Es war keiner da, als ich herkam“, sagte die Bibliothekarin.

„Sie sind ganz schön mutig, einfach daherzulaufen, wenn Sie doch einen Schuss gehört haben.“

„Stimmt. Wenn Sie es so sagen.“ Erst jetzt begann Susanne Förster allmählich so etwas wie Angst zu entwickeln. Tatsächlich, sie hatte noch nicht einmal um sich geschaut. War das mutig oder eher leichtsinnig?

„Haben Sie ihn erschossen?“, fragte Heilig.

„Ich? Wie kommen Sie denn darauf?“

„Sie waren die Erste am Tatort.“

„Ach, ich glaube nicht, dass sie es war“, meinte Kerstin Stich.

Ziegler hatte sich zur Erledigung seiner Handy-Gespräche ein paar Schritte entfernt. Jetzt kam er zurück und erklärte feierlich: „Die Polizei ist gleich da. Wir sollen warten.“

„Du hast aber lange gebraucht“, sagte Stich vorwurfsvoll.

„Ich habe schnell im Büro angerufen, dass ich etwas später komme.“

„Wie? Hast du nichts von mir gesagt?“

„Kannst ja auch anrufen. Der von der Polizei wollte übrigens wissen, ob wir den Mann kennen, aber da konnte ich nicht helfen.“

Heilig zuckte die Achseln. „Hätten Sie mich gefragt. Der Mann heißt Vogel. Ich habe ihm vor zwei Jahren die elektrischen Anschlüsse in seinem Neubau gemacht.“

„Himmel, die Kinder!“, rief Förster plötzlich aus.

Es war nicht zu überhören. Vom Bürgerpark her näherte sich ein Stimmengewirr, ein Schnattern und Schreien, wie es nur eine Schulklasse hervorbringt, wenn alle zusammen sind und sich normal unterhalten. Viele Schuhe traten, klapperten und hüpften über die Stufen des sogenannten Atriums, einer runden Anlage, die den Übergang vom Bürgerpark zum Bereich des Bürgerzentrums markiert. Der Form nach handelt es sich um die Mini-Ausgabe eines griechischen Theaters. Eine helle Stimme, die in dem allgemeinen Lärm völlig unverständlich blieb, gab Anweisungen.

„Das ist die Klasse 5 a vom Paulusheim“, erklärte Förster. „Die habe ich ja ganz vergessen. Sie kommen zur Bibliotheksführung. Was machen wir denn jetzt?“

„Die armen Kleinen brauchen das nicht zu sehen“, sagte Heilig energisch und erhob sich. „Wir stellen uns einfach so hin ……“

Weiter kam er nicht. Die Vorhut der 5 a strömte bereits durch die Passage zwischen Bergfried und Bürgerzentrum. Aber Ziegler und Stich hatten bereits neben Heilig Aufstellung genommen. In seltsam steifer Haltung standen sie nebeneinander und schirmten die Sicht auf den Mann am Boden ab. Die Rücksichtnahme war jedoch nicht nötig. Die Kinder rannten geradeaus an den Erwachsenen vorbei, ohne sie im geringsten zu beachten. Förster trat vor, um die Klasse in Empfang zu nehmen, und suchte die Lehrerin. Aus der Bibliothek kam ihre Kollegin Helga Hollerer, die inzwischen ihren Dienst angetreten hatte, ohne dass sie bemerkt worden war.

Als die Polizei eintraf, befand sich die gesamte Klasse mit ihren beiden Lehrerinnen und mit Helga Hollerer bereits innerhalb der Stadtbibliothek. Peter Ziegler ging ungeduldig auf und ab. Marcel Heilig hatte sich eine Zigarette angezündet. Kerstin Stich saß abseits auf der untersten Stufe der Wendeltreppe an der Bergfried-Mauer und telefonierte. Susanne Förster stand neben dem Mann am Boden, als müsse sie ihn bewachen.

2

„Jörg Vogel, 38 Jahre alt, Rechtsanwalt. Kanzlei in der Franz-Bläsi-Straße. Er konnte sofort identifiziert werden, weil er seine Brieftasche bei sich trug. Einschließlich Geld und Kreditkarten, alles da. Wir können einen Raub ausschließen. Außerdem hatte er den Parkschein der Tiefgarage in der linken Tasche seines Sakkos. So wissen wir, dass er kurz vor acht in die Tiefgarage einfuhr. Sein Auto steht noch dort.“ Kommissar Adam blickte um sich. Es war die erste Besprechung, bevor noch eine SOKO „Bergfried“ gegründet werden konnte. Adam hatte drei seiner engsten Mitarbeiter zusammengerufen. Sie saßen vor ihm am großen Tisch in seinem Dienstzimmer. Man trank den ersten von wahrscheinlich vielen Bechern Kaffee.

„Weber und ich waren vorhin am Tatort. Wir haben auch mit den Zeugen gesprochen. Die Spusi ist vor Ort, Einzelheiten sind hoffentlich bald zu erwarten. Hat jemand von euch Vogel gekannt?“

„Dem Namen nach“, murmelte Peter Schmitz. Die andern nickten.

„Persönlich nicht“, sagte Manfred Friedrich, „aber ein Onkel von mir hatte mal etwas mit ihm zu tun.“

„Kennt man als alter Bruchsaler den Namen?“, erkundigte sich Kommissar Thomas Weber.

„Auf jeden Fall. Der Vater war auch schon Rechtsanwalt. Aber nun zu den Fakten. Kannst du bitte zusammenfassen, Thomas?“

Weber war es von seiner früheren Vorgesetzten gewohnt, dass er regelmäßig dazu aufgefordert wurde, die Lage zusammenzufassen. Adam machte es ihr manchmal nach. Das einzige, was er änderte, war die Hinzufügung des Wörtchens „bitte“.

„Jörg Vogel wurde heute Morgen wenige Minuten nach acht Uhr am Bergfried erschossen und fast sofort von Zeugen aufgefunden. Über den Täter wissen wir nichts. Es handelt sich um einen aufgesetzten Schuss mitten auf die Stirn. Keine Austrittswunde. Man wird also das Geschoss im Schädel finden. Der Mann war sofort tot. Außerdem hat er eine blutige Verletzung an der Hand, Ursache unklar. Folgendes kann rekonstruiert werden: Jörg Vogel stand mit dem Rücken unmittelbar an der Mauer des Bergfrieds. Als der Schuss ihn traf, sackte er zusammen, fiel zu Boden und blieb auf der Seite liegen. So fand ihn die erste Zeugin, die Bibliothekarin der Stadtbibliothek, die ihn allerdings umdrehte, um zu sehen, ob er noch lebte. Drei weitere Zeugen kamen in den nächsten Minuten dazu. Die Aussagen stimmen im Großen und Ganzen überein. Keiner hat die Tat gesehen, sie kamen nur herbei, weil sie den Schuss hörten. Und keiner von ihnen hat eine Person gesehen, die der Täter sein könnte.“ Weber nickte seinen Kollegen zu. Soweit die Zusammenfassung.

„Wir werden die vier noch eingehend befragen“, erklärte Adam. „Vielleicht fällt ihnen noch etwas ein, wenn sie den ersten Schreck überwunden haben. Ich habe mich vorhin am Tatort umgesehen. Die Zeugen kamen von der Bibliothek, von der Tiefgarage und aus einem Laden gegenüber. Der Täter begegnete ihnen nicht, also rannte er entweder vom Tatort aus in Richtung Bürgerpark oder aber durch den Torbogen zur Pfeilerstraße. Letzteres halte ich für wahrscheinlicher, denn da wäre er am schnellsten aus dem Blickfeld verschwunden.“

„Steht denn überhaupt fest, dass es einen Täter gab?“, fragte Manfred Friedrich. „Ich meine, könnte es Selbstmord gewesen sein?“

„Theoretisch schon“, erwiderte Weber. „Ich habe mir das auch überlegt. Es ist nur so: Wir haben die Waffe nicht gefunden.“

„Ich stelle mir das schwierig vor“, meinte Schmitz. „Der Täter baut sich vor Vogel auf und hebt die Waffe, dabei bleibt Vogel ganz still stehen und lässt sich erschießen? Warum versucht er nicht wegzulaufen?“

„Er stand buchstäblich mit dem Rücken zur Wand, das heißt also: so nah an der Mauer, dass sich Kleinteilchen des Mauerwerks auf dem Rücken seiner Jacke befinden. Sie waren mit bloßem Auge sichtbar. Er muss den Täter ganz nah an sich heran gelassen haben.“

„Das bedeutet, er hat den Täter gekannt“, sagte Weber. „Eine Beziehungstat. Möglicherweise hat er sich gewehrt, daher das Blut auf der Hand. Wir werden bald erfahren, ob es sein eigenes Blut ist oder das des Täters.“

„Konntet ihr seinen Gesichtsausdruck sehen? War er erstaunt oder entsetzt?“

Adam zögerte. „Keins von beiden. Thomas?“

„Ich weiß nicht. Das Gesicht war blutüberströmt. Mir ist aufgefallen, dass er die Augen geschlossen hatte.“

„Was macht ein Anwalt am frühen Morgen beim Bergfried?“

„Das wissen wir nicht“, sagte Adam. „Noch nicht.“ Er seufzte. „Wir müssen jetzt zunächst seine Familie benachrichtigen. Das kann man nicht per Telefon machen.“

„Oje.“

„Hier fehlt mir Lena. Sie kann sowas.“ Adam seufzte erneut und wandte sich an Weber. „Wann kommt sie zurück?“

„Sie ist doch vorgestern erst weg.“

„Vierzehn Tage, hast du gesagt?“

„Vierzehn Tage. Zwei Wochen.“

„Ich denke schon, dass eine Frau dabei sein sollte“, mischte sich Schmitz ein. „Wir wär’s mit der Azubi? Unser Azubi ist doch eine Frau!“

„Ich nehme doch keine wildfremde Polizistin mit!“, entrüstete sich Adam.

„Lass es gut sein, Adam“, beschwichtigte Weber. „Ich komme mit.“

*

„Das Haus ist nicht schlecht, nur die Farbe gefällt mir nicht“, sagte Adam.

„So etwas ist Mode“, bemerkte Weber. „Man sieht das jetzt häufig.“

Jörg Vogels Anwesen war dunkelgrau und sehr modern. Es befand sich im Neubaugebiet Oberer Weiherberg, ein zweistöckiges Einfamilienhaus mit zwei Garagen auf der linken Seite und dem Hauseingang, über drei Stufen erreichbar, auf der rechten. Vor dem Haus war ein schmaler Vorgarten, ein größeres Grundstück hinter dem Haus ließ sich erahnen. Alles war frisch angelegt. Das Bäumchen neben dem Eingang sah noch nicht wie ein Baum aus, eher wie ein dünner Stock mit Grünzeug an der Spitze. Vor einer der Garagen stand ein silbergrauer Audi.

Weber läutete. Aus der Gegensprechanlage antwortete eine junge Frauenstimme, die etwas ungeduldig klang.

„Hallo?“

„Kommissar Adam und Kommissar Weber von der Polizei Bruchsal.“ Weber verschwieg absichtlich, dass sie Kriminalbeamte waren. „Wir möchten kurz mit Ihnen sprechen.“

„Polizei? Ist etwas mit Lily?“, kam sofort die schrille Frage.

„Nein, nein, nicht mit Lily.“

Frau Vogels Erleichterung war nicht von Dauer. Sie ließ die Polizeibeamten ein, zunächst noch verwundert, und machte sogar einen kleinen Scherz darüber, dass sie womöglich falsch geparkt habe. Adam fand das Lächeln schwer erträglich. Im Wohnzimmer fiel dann der Satz von der schlechten Nachricht, den man immer verwendet, wenn man über den Tod eines Angehörigen informieren muss. Frau Vogel schrie leise auf und schlug die Hände vor das Gesicht.

Adam und Weber warteten schweigend. Auf dem Sofa neben ihnen lag ein pinkfarbenes Plüschtier mit einer schimmernden weißen Mähne. Erst hielt Adam es für ein kleines Pferd, dann aber erkannte er, dass es ein Einhorn war.

Nach einer Weile ließ Frau Vogel langsam die Hände sinken und fragte leise: „Wie ist es passiert?“ Sie glaubte an einen Verkehrsunfall. Das war selbstverständlich das Nächstliegende.

Die beiden Beamten sahen sich an. Weber war es, der schließlich mit betonter Förmlichkeit sagte: „Es handelt sich nicht um einen Unfall. Wir haben Grund zu der Annahme, dass Ihr Mann einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.“

Frau Vogel starrte ihn an. Sie war eine attraktive Frau mit dunkelblonden Locken und einem ebenmäßigen Gesicht. Weber vermutete, dass sie Make-up trug, doch es war so dezent aufgetragen, dass es zunächst nicht auffiel. Aber plötzlich war die Haut blass und fahl geworden, und das Lippenrot wirkte unnatürlich dunkel. Die Augen blinzelten, als habe sie Schwierigkeiten, ihr Gegenüber zu sehen. Sie stieß ein paar Fragen hervor, ohne die Sätze zu beenden. Dann sagte sie nur noch: „Nein! Nein!“

Weber nahm das Einhorn in die Hand, betrachtete es und legte es wieder zurück. „Sind Sie allein?“

„Ja. Ich habe Lily gerade in die Kita gebracht.“

„Gibt es jemanden, der vorbeikommen könnte, um Ihnen Gesellschaft zu leisten?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Eine Verwandte oder Freundin vielleicht?“

„Lassen Sie mich. Ich glaube, ich möchte lieber allein sein. Nachher werde ich jemanden anrufen.“

„Möchten Sie ein Glas Wasser? Oder vielleicht einen Tee?“ Weber hatte die Küche entdeckt, die im rechten Winkel zu dem geräumigen Wohnzimmer lag, die einzige Abtrennung war eine Küchentheke.

Adam nickte ihm zu. Er selbst wäre nicht auf den Gedanken gekommen und hätte es auch nie gewagt, sich in eine fremde Küche zu begeben.

Frau Vogel gab sich einen Ruck. „Danke, machen Sie sich keine Mühe. Bleiben Sie. Ich will jetzt genau wissen, was geschehen ist.“

Sie hörte unbewegt zu. Sie wollte alle Einzelheiten hören. Am Ende saß sie stumm da und blickte irgendwohin in die Ferne.

Man hätte sie in Ruhe lassen sollen, aber noch war die Aufgabe nicht beendet. Adam stellte behutsam die Fragen, die sie immer sofort, wenn auch knapp, beantwortete.

Jörg Vogel war am Morgen zur gewohnten Zeit aufgestanden und hatte mit Frau und Tochter gefrühstückt. Er blätterte kurz die Zeitung durch. Er redete Lily gut zu, weil sie ihr Müsli nicht essen wollte. Dann ging er. Sie hatte natürlich angenommen, dass er zur Kanzlei fahren würde. Es war unerklärlich, was er beim Bergfried vorhatte.

Nichts im Ablauf der letzten Tage war in irgendeiner Weise außergewöhnlich gewesen. Er war wie immer sehr beschäftigt, aber er war auch nicht der Typ, der sich gern hinsetzte und faulenzte. Gestern war nichts Ungewöhnliches vorgekommen. Abends ging er noch weg, etwas Geschäftliches, und kam nach ungefähr zwei Stunden zurück. Dann hielt er sich noch kurz in seinem Arbeitszimmer auf, um Mails zu checken und die neuesten Nachrichten zu lesen. Er informierte sich nämlich lieber im Internet als im Fernsehen. Sie hatten sich nicht mehr groß unterhalten, weil sie gerade diesen interessanten Film im Zweiten ansehen wollte. Von seinen beruflichen Angelegenheiten kannte sie keine Details.

Feinde? Sie drehte das Wort im Munde hin und her. Feinde? Jörg und Feinde? Was sollte er denn für Feinde haben?

Vielleicht war er beruflich mit Personen aneinandergeraten, die ihm nun übelwollten? Konkurrenten? Jemand, der sich schlecht behandelt fühlte?

Gab es private Probleme? Das war eine heikle Frage. Nein, was sollten das für Probleme sein?

Als Adam und Weber das Haus verließen, hielt ein weißer Corsa mit quietschenden Bremsen am Straßenrand. Eine junge Frau hatte es offenbar sehr eilig. Beinahe vergaß sie abzuschließen, aber dann hob sie ohne besondere Sorgfalt die Fernbedienung über die eine Schulter und betätigte das Schloss, ohne sich nach dem Auto umzudrehen.

„Sind Sie von der Polizei?“ Sie wartete nicht auf eine Antwort. „Ich bin Manuela Pabst. Ich werde mich um Sandra kümmern.“

Schon war sie an der Haustür und klingelte.

„Wer war denn das? Eine Freundin? Jedenfalls eine energische junge Frau“, meinte Adam zufrieden. „Ich denke, sie ist hier genau die Richtige.“

„Aber woher weiß sie, dass sie gebraucht wird?“

„Das hat sich garantiert längst herumgesprochen. Wir sind schließlich in Bruchsal.“

3

Die Anwaltskanzlei „Vogel und Partner, Arbeitsrecht, Familienrecht, Vertragsrecht“ war gegründet worden von Roland Vogel, Jörg Vogels Vater, der vor einigen Jahren verstorben war. Die Büroräume nahmen das gesamte Erdgeschoss eines Altbaus in der Franz-Bläsi-Straße ein. Es war eine eindrucksvolle Villa aus der Zeit der Wende zum 20. Jahrhundert, eines der schönen alten Häuser, die der Zweite Weltkrieg verschont hatte.

Ein größerer Gegensatz zu dem dunkelgrauen Haus am Oberen Weiherberg war kaum denkbar.

Jörg Vogel war am Morgen in seinem Büro erwartet worden. Man hatte ihn vermisst und sich etwas gewundert, dass er so völlig ohne Nachricht ausblieb, was absolut unüblich war. Bevor die Sekretärin schließlich bei ihm zu Hause anrufen und sich nach seinem Verbleib erkundigen konnte, erfuhr man durch einen Anruf der Polizei, dass er tot war.

Niemand konnte sich erklären, was da geschehen war. Es gab keine besonderen Vorkommnisse, keine Schwierigkeiten, alles ging seinen gewohnten Lauf. Es lagen Termine für Gespräche Vogels mit Mandanten an, ein Treffen am Morgen, das die Sekretärin natürlich inzwischen abgesagt hatte, und eine Besprechung am Nachmittag, bei der man sich noch nicht einig war, ob sie ebenfalls abgesagt oder eher von einem der Kollegen wahrgenommen werden sollte.

Wieso Jörg Vogel am Morgen in die Stadt gefahren war, in der Tiefgarage des Bürgerzentrums geparkt und sich gegen acht am Bergfried aufgehalten hatte, war ein großes Rätsel.

Frau Vogel hatte ein geschäftliches Treffen ihres Mannes am Vorabend erwähnt. Niemand wusste etwas davon. Es erschien allen sehr zweifelhaft, dass es sich um etwas Geschäftliches handeln könne – zu einer solchen Zeit!

Vogel hatte in der letzten Zeit nicht anders gewirkt als sonst, höchstens etwas gehetzt, vielleicht ein wenig überarbeitet, aber er wollte das so. Er hatte sich nie auch nur im Geringsten beklagt. Man hatte viel zu tun, die Kanzlei war sehr erfolgreich.

Wieder wurde die Frage nach möglichen Feinden gestellt: Jörg Vogel hatte keine Feinde, weder beruflich noch privat.

Gab es Frauengeschichten? Man wusste von nichts. Es konnte jedenfalls nichts Wichtiges geben. Vielleicht mal ein harmloser Flirt auf einer der Geschäftsreisen, aber das war auch alles.

Man sprach über die letzten Fälle, die Jörg Vogel behandelt hatte, aber es war schwierig, den Anwälten Einzelheiten über Mandanten zu entlocken. Als sich die Polizeibeamten für Vogels Computer interessierten, stießen sie auf heftige Gegenwehr. Übrigens würde man darauf keine privaten Daten finden, die Computer in der Kanzlei waren miteinander vernetzt. Seinen persönlichen Laptop hatte Vogel normalerweise zu Hause. Über Telefonanrufe wollten die Anwälte zunächst keine Auskunft geben. Nach einer in freundlichem Ton geführten Debatte waren sie aber bereit, die Anrufe der letzten 24 Stunden zu überprüfen. Das Ergebnis war, dass alle, wirklich alle Anrufe geschäftsbezogen waren. Da war dann eher Vogels Handy aufschlussreich, das er bei sich getragen hatte.

Adam und Weber hatten die drei Anwälte sowie die Sekretärin in der Kanzlei angetroffen. Sie waren in dem modernen Großraumbüro versammelt. Offene Türen erlaubten den Blick in die kleineren Besprechungsräume, die im Augenblick leer standen. Jegliche Arbeit ruhte. Der Älteste, sicher auch Dienstälteste, war Dieter Hanagarth, ein hagerer Mann über fünfzig, der ebenso wie die Sekretärin Inge Herzog zum Stamm der Belegschaft gehörte. Klaus Bittner war mindestens zehn Jahre jünger und wirkte wie ein smarter Geschäftsmann. David Waltz, der Jüngste, hielt sich zurück.

Zum Schluss, als Adam und Weber sich schon zum Gehen wandten, sagte Bittner plötzlich leichthin:

„Gestritten hat er sich immer nur mit Uli Groß.“

Sofort brach ein Sturm der Entrüstung los.

„Wie kann man nur so etwas sagen!“, rief Inge Herzog.

„Das war eine unnötige und dumme Bemerkung“, sagte Hanagarth.

Waltz zog die Augenbrauen hoch.

„Wer“, fragte Adam sanft, „ist Uli Groß?“

„Ach, hören Sie nicht hin“, sagte Hanagarth verärgert, „das ist eine alte Geschichte. Ich finde, Klaus, du führst die Polizei in die Irre.“

„Außerdem haben sie sich nie gestritten. Sie waren nur manchmal verschiedener Meinung“, ergänzte Inge Herzog.

„Uli Groß?“, fragte Adam noch einmal.

„Ulrich Groß ist ein früheres Mitglied dieser Kanzlei. Er ist vor vier Jahren ausgeschieden. Vor vier Jahren!“ Hanagarth warf einen grimmigen Blick auf Bittner.

Der lenkte ein. „Klar, es ist ein paar Jahre her. Ich meine ja bloß. Es ist mir halt eingefallen, Sie haben ja gefragt, wer sich mit Jörg nicht so gut verstanden hat.“

„Davon habe sogar ich schon gehört, obwohl es vor meiner Zeit war“, sagte Waltz, der bisher kaum etwas zum Gespräch beigetragen hatte.

„Wo ist Herr Groß jetzt?“

„Er arbeitet für die WBI, Sie wissen schon, dieses riesige Pharma-Unternehmen am Ortsausgang von Bruchsal. Uli war sowieso Spezialist für Arbeitsrecht, den können sie dort gut gebrauchen.“

„Aber wir haben seit Jahren nichts mehr von ihm gehört.“

„Wir können ihn mal fragen, ob er aus früheren Jahren etwas in Erinnerung hat“, sagte Adam unbefangen. „Wo wohnt er denn?“

„Am Mozartweg, am äußersten Ende des Mozartwegs. Zumindest wohnte er früher dort.“

*

Für die Azubi war es der dritte Tag bei der Kriminalpolizei Bruchsal.

Nicole Kunz wusste nichts von ihrem Spitznamen. Aber sie war sowieso schlechter Laune.

„Ewig sitze ich hier herum! Am Montag durfte ich Landkarten ansehen und die Standorte der Zweigstellen auswendig lernen. Am Dienstag habe ich zu meiner nicht enden wollenden Verwunderung erfahren, dass die Polizei mit Computern arbeitet. Heute ist endlich etwas los, aber mich nehmen sie nicht mit!“

Peter Schmitz war auf dem Revier zurückgeblieben und hielt die Stellung. Es gab genug zu tun, und die Betreuung der neuen Kollegin war im Augenblick nicht das Wichtigste. Aber er war ein geduldiger Mann, den auch eine Zwanzigjährige mit großen blauen Augen und blondem Haar nicht aus der Fassung brachte. Am ersten Tag hatte sie das Haar offen getragen, es fiel ihr weit über den Rücken und war erstaunlich glatt, ohne die geringste Locke oder Welle. Gleich bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Frau Kriminaloberrätin Betzke war sie jedoch darauf aufmerksam gemacht worden, dass sich eine solche Frisur nicht mit ihrem Beruf vereinbaren ließ. Langes, offenes Haar konnte bei Einsätzen hinderlich und gefährlich sein. Kunz lag die Antwort auf den Lippen, dass sie bei der Kriminalpolizei nur am Schreibtisch saß, aber sie traute sich nicht, so etwas Frau Betzke ins Gesicht zu sagen. Sie maulte erst später, als Betzke nicht mehr in Hörweite war. Jedenfalls band sie seitdem ihr Haar mit einem Gummi im Nacken zusammen.

Dass sie ihm auf der anderen Seite des großen Schreibtisches gegenüber saß, war übrigens nicht in Ordnung. Es war Kommissar Webers Platz. Nicole Kunz hätte an dem kleinen Schreibtisch rechts vom Fenster sitzen sollen.

Schmitz konnte es sich nicht verkneifen, sie darauf hinzuweisen, dass sie ein bisschen zu spät gekommen war.

Sie brauste auf. „Daran sind Sie schuld! Ich wollte es heute mal mit der Bahn versuchen, und Sie haben mir gestern gesagt, dass es vom Bahnhof hierher nur ein paar Minuten sind.“

„Das stimmt.“

„Nein, das stimmt nicht! Es war endlos lang und ging um viele Ecken. Ich habe zweimal unterwegs fragen müssen. Der erste, den ich ansprach, wollte mich zum Schloss schicken.“

„Nun ja, da gibt es auch eine Polizei, aber nicht die Kriminalpolizei.“

„Zum Glück habe ich gemerkt, dass es nicht stimmen kann, als ich dieses Tor sah. Wie heißt es gleich? Danielsturm?“

„Damianstor. Ja, das war die falsche Richtung.“

„Warum gibt es hier keine vernünftige Straßenbahn?“

„Es gibt einen Busverkehr für größere Entfernungen. Das ist wichtig für ältere Leute, die nicht so fit sind wie Sie.“

Sie sah ihn misstrauisch an. „Wie meinen Sie das jetzt?“

Aha, dachte Schmitz. Sie hat keinen Sinn für Humor.

Da er sich nicht erklärte, wechselte sie das Thema. „Ist das wirklich ein richtiger Mord? Kaum zu glauben! Ich war ja nicht begeistert, dass man mich nach Bruchsal geschickt hat. Ich wäre lieber in Karlsruhe geblieben, weil ich dachte, dass hier auf dem Land nichts los ist.“

„Auf dem Land? Bruchsal? Lassen Sie das bloß nicht Kommissar Adam hören! Er mag es nicht, wenn man Bruchsal herabsetzt.“

„Bei Kommissar Adam kann ich machen, was ich will, der hat sowieso etwas gegen mich. Ich vermute, er hat grundsätzlich etwas gegen Frauen. Zumindest gegen berufstätige Frauen. Ich wette, seine Ehefrau ist Nur-Hausfrau.“

„Das mag stimmen. Aber er hat drei Töchter, die alle berufstätig sind.“

„Warum ist er dann voreingenommen gegen mich? Der andere Kommissar gefällt mir viel besser. Der ist schnuckelig.“

„Schnuckelig?“, rief Schmitz alarmiert. „Kommissar Weber ist verheiratet.“

„Das sind die Supertypen immer. Ich finde aber, er sieht nicht besonders glücklich aus.“

„Das liegt nur daran, dass seine Frau im Augenblick verreist ist.“

„Ach, der Arme! Man müsste sich um ihn kümmern!“

„Tun Sie das lieber nicht. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Frau Weber sehr gut schießen kann. Sie hat neulich einen Mörder schachmatt gesetzt, indem sie ihn in den Mittelfinger schoss.“

„In den Mittelfinger? So erledigt man Mörder?“

„Frau Weber ist bei der Polizei Europameisterin in der Abteilung Kleinkaliber. Sie sollten sich wirklich in Acht nehmen. Eifersüchtig ist sie auch.“

„Ui! Der Mann tut mir richtig leid.“

Peter Schmitz fühlte sich nicht recht wohl bei der Wendung, die das Gespräch genommen hatte, zumal es ihn von der Arbeit abhielt. „Eigentlich wollten Sie etwas über Polizeiarbeit erfahren, wenn ich mich nicht irre.“

„Das habe ich auch geglaubt. Aber nun sitze ich hier, und die andern erleben etwas. Warum haben sie nicht auf mich gewartet?“

Schmitz war fast sprachlos. „Es ist bei uns nicht üblich, dass man aufeinander wartet, wenn’s zu tun gibt. Stellen Sie sich vor, wie uns das ausbremsen würde.“

„Okay. Dann erzählen Sie mir also, was gerade läuft.“

„Das Übliche. Die Spurensicherung ist bei der Arbeit. Adam und Weber sind unterwegs, um vor allem die Witwe zu benachrichtigen. Anschließend werden sie verschiedene Zeugen aufsuchen. Inzwischen gehen unsere Kollegen in der Umgebung des Bergfrieds von Haus zu Haus und befragen Anwohner. Das macht man halt, obwohl es nicht sehr Erfolg versprechend ist, denn unmittelbar um den Bergfried herum wohnt niemand. Eine SOKO wird zusammengestellt. Und jetzt das Allerwichtigste: Für ein Uhr hat Frau Betzke eine Besprechung angesetzt. Sie sind dabei und hören gut zu. Und kommen Sie ja nicht zu spät. Frau Betzke mag das nicht.“

4

Die Dienstbesprechung fand im großen Konferenzzimmer statt. Inzwischen konnte sich die Gruppe „SOKO Bergfried“ nennen und bestand aus zwölf Personen. Kriminaloberrätin Betzke hatte den Vorsitz, die Kollegen saßen vor ihr an einem großen ovalen Tisch.