Mord im Rampenlicht - Amy Myers - E-Book

Mord im Rampenlicht E-Book

Amy Myers

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Beschreibung

Eines Nachts im Jahre 1894 bergen Polizisten eine Leiche aus der Themse: ein Chor-Girl aus dem berühmten "Galaxy-Theater". Der Mörder hat ihr die Arme gekreuzt und über der Brust zusammengebunden. Kurz darauf werden zwei weitere Chormädchen auf die selbe Art ermordet. Im "Galaxy" breitet sich Angst aus. Verunsichert ein neuer Ripper London? Gehört er zur Theatergruppe? Oder ist er einer der reichen Herren, welche die auffallend hübschen Galaxy-Mädchen galant umwerben? Auguste Didier, der charmante französische Meisterkoch, der seit einiger Zeit die Gäste des Theaterrestaurants mit seiner Kunst verwöhnt, unterstützt Inspektor Rose von Scotland Yard wieder tatkräftig bei seinen Ermittlungen und zeigt viel Herz für die Damen vom Theater ...

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Über Amy Myers

Amy Myers wurde 1938 in Kent geboren. Sie studierte an der Reading University englische Literatur, arbeitete als Verlagslektorin und war bis 1988 Direktorin eines Londoner Verlages. Seit 1989 ist sie freischaffende Schriftstellerin. Sie ist mit einem Amerikaner verheiratet und wohnt in Kent. Amy Myers schreibt auch unter dem Namen Harriet Hudson und Laura Daniels.

In ihren ersten Ehejahren arbeitete ihr Mann in Paris, und sie pendelte zwischen London und der französischen Hauptstadt hin und her. Neben vielen anderen Dingen mußte sie nun lernen, sich auf französischen Märkten und den Speisekarten französischer Restaurants zurechtzufinden. Dabei kam ihr die Idee, einen französischen Meisterkoch zum Helden eines klassischen englischen Krimis zu machen: Auguste Didier war geboren. Alle Kriminalromane von Amy Myers erscheinen im Aufbau Taschenbuch Verlag.

Informationen zum Buch

Eines Nachts im Jahre 1894 bergen Polizisten eine Leiche aus der Themse: ein Chor-Girl aus dem berühmten »Galaxy-Theater«. Der Mörder hat ihr die Arme gekreuzt und über der Brust zusammengebunden. Kurz darauf werden zwei weitere Chormädchen auf die selbe Art ermordet. Im »Galaxy« breitet sich Angst aus. Verunsichert ein neuer Ripper London? Gehört er zur Theatergruppe? Oder ist er einer der reichen Herren, welche die auffallend hübschen Galaxy-Mädchen galant umwerben?

Auguste Didier, der charmante französische Meisterkoch, der seit einiger Zeit die Gäste des Theaterrestaurants mit seiner Kunst verwöhnt, unterstützt Inspektor Rose von Scotland Yard wieder tatkräftig bei seinen Ermittlungen und zeigt viel Herz für die Damen vom Theater.

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Amy Meyers

Mord im Rampenlicht

Aus dem Englischen von Elga Abramowitz

Inhaltsübersicht

Über Amy Myers

Informationen zum Buch

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Anmerkungen der Autorin

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Anmerkung

Impressum

Anmerkungen der Autorin

Das »Galaxy«-Theater ähnelt in vieler Hinsicht dem alten »Gaiety«-Theater am Strand, das 1903 wegen des Baus des »Aldwych« geschlossen wurde. Während das »Gaiety«-Theater jedoch immer in der vordersten Reihe des technischen Fortschritts stand, hinkte das »Galaxy« hinterher und hatte 1894 noch nicht einmal elektrisches Licht.

Das »Gaiety«-Restaurant lag über dem zum Strand gelegenen Eingang des Theaters und erstreckte sich bis zur Catherine Street. Auguste Didiers Reich hingegen befindet sich an der Ecke Strand/Wellington Street im Parterre und hat seinen Eingang an der Ecke. Der Bühneneingang des »Gaiety«-Theaters war in der Wellington Street; der Bau des »Galaxy«-Restaurants machte es jedoch notwendig, daß man ihn in die Catherine Street verlegte.

Die handelnden Personen, die im »Galaxy« arbeiten, entsprechen in keiner Weise ihren Pendents im »Gaiety«, mit Ausnahme von Robert Archibald, der in seinem beruflichen Werdegang und der Einstellung zu seinem Metier bis zu einem gewissen Grade unvermeidlich etwas mit dem gestrengen George Edwards vom »Gaiety« und dessen Vorgänger John Hollingshead gemeinsam hat.

Prolog

Am Flußabschnitt von Wapping war es kalt. Und die Aufgabe der beiden Männer, die Melonen trugen und sich gegen den alles umhüllenden Nebel warm eingemummt hatten, war auch nicht dazu angetan, sie aufzuheitern. In der dunstigen Dunkelheit, die nur durch den schwachen Schimmer der Gaslaternen an der entfernten Fahrbahn erhellt wurde, verschmolzen die beiden Polizisten, treue Wächter, mit dem Hintergrund, während ihre Detektiv-Kollegen ihrer grausigen Arbeit nachgingen.

»Man nannte das hier das Hinrichtungsdock«, sagte Rose und rieb sich die Hände wegen der Kälte, die sogar für Ende November ungewöhnlich war. Nachdem sie ihre Untersuchung abgeschlossen hatten, warteten sie auf den Polizeiwagen und lauschten angestrengt, ob sich das Hufgetrappel bereits näherte.

»Jemand hat also die alte Tradition aufrechterhalten«, stellte Roses Begleiter aufgeräumt fest.

Inspektor Egbert Rose vom Criminal Investigation Department bei Scotland Yard betrachtete seinen Untergebenen mit einiger Abneigung. Dessen Name war Stitch – Stich –, doch Rose nannte ihn heimlich Twitch – Nervensäge. Er hatte etwas von einem Spürhund an sich, und er würde alles und jeden niedertrampeln, wenn ihn das einer Beförderung näherbrächte. Auf seine Art war er ganz nett, eifrig, das ohne Zweifel … und clever, wachsam wie der Affe eines Drehorgelspielers, aber da war Rose ein richtiger anständiger Verbrecher noch allemal lieber.

»Unten am Wasser hat man sie aufgehängt. Piraten, wissen Sie, und nichtsnutzige Verräter. Solche, die sich überhoben hatten, die ihrer Obrigkeit Scherereien gemacht hatten«, setzte Rose ziemlich boshaft hinzu. »In einer Nacht wie dieser kann man sie hier noch richtig spüren, nicht wahr?«

Sergeant Stitch konnte das nicht, denn er hatte nicht viel Phantasie. Doch er fand es angebracht, Inspektoren bei guter Laune zu halten, besonders wenn sie so exzentrisch waren wie Rose. Er war nicht blind für Roses Fähigkeiten, dafür war er zu gescheit. Rose war vielleicht unkonventionell, aber irgendwie war es ihm gelungen, das Vertrauen des Commissioners zu gewinnen. Er war einer von Williamsons Favoriten gewesen, und obwohl Williamson nicht mehr da war, bedeutete das noch immer etwas. Er brachte Resultate. Glück, dachte Stitch. Doch man durfte Glück nicht geringschätzen.

»Sie werden schon Ihren kleinen Spaß kriegen, Inspektor«, sagte er etwas unsicher.

»Kein Spaß, mein Junge«, gab Rose prompt zurück. »Er hat dieses arme Mädchen mit einem Ziegelstein beschwert ins Wasser geworfen, und sicher ist er dann nach Hause gegangen, stolz wie ein Spanier über das, was er nachts getan hat. Nein, das ist kein Spaß.«

Stitch betrachtete die aufgedunsene, verwesende Fleischmasse zu ihren Füßen. Wie der Inspektor dies da als armes Mädchen bezeichnen konnte, überstieg sein Fassungsvermögen.

»Drei Wochen im Wasser, würde ich sagen, Sir.«

»Länger, mein Junge, länger. Mindestens sechs.«

Der gelbe Nebel wurde immer dichter, bis schließlich das gleichmäßige Klipp-Klapp von Hufen anzeigte, daß sich der Wagen näherte. Der Polizeiarzt kletterte heraus, nicht allzu glücklich darüber, daß man ihn schon wieder ins East End verfrachtet hatte. Es bestand immer die Chance, daß ein neuer Ripper auftauchte – oder sogar der alte. Schließlich war nie bewiesen worden, daß er tot war.

»Guten Abend, Inspektor. Wieder ein Selbstmord?«

»Nein«, sagte Rose, wobei er den Blick nicht von dem Bündel zu seinen Füßen ließ. »Kein Selbstmord. Sehen Sie sich’s an.«

Voller Ekel blickte Dr. Crispin nach unten. Jeder Irrtum war ausgeschlossen. Die Hände des Opfers waren mit Vorbedacht über Kreuz auf der Brust festgebunden worden. Es sah aus wie die Travestie einer mittelalterlichen Plastik.

1. Kapitel

»Es ist ein Unglück. Es ist eine Tragödie«, rief Robert Archibald verzweifelt mit dröhnender Stimme. »Das ist unser Ruin. Kümmert das denn niemanden?« ächzte er.

Oben in den Soffitten zitterte der Gasmann. Unter der Bühne im Keller hielten die Arbeiter inne; hoch oben auf dem Schnürboden ließ der Zimmermann den Hammer sinken. Der Bühnenmeister verschwand erschrocken in den Seitenkulissen, und Props verzog sich ganz. In ihrer Garderobe lächelte Florence Lytton vor sich hin. Das hatte sie schon einmal gehört. Sie alle hatten es schon einmal gehört. Robert Archibald war bekannt für seine Nervosität vor den Vorstellungen. Bei der Durchlaufprobe gestern hatte er sich genauso aufgeführt; morgen, bei der Premiere von »Miss Penelopes Heiratsantrag«, würde es noch schlimmer sein. Das nahm keiner ernst. Das Stück würde ein Erfolg werden, auch wenn »Miss Penelope« im Genre des musikalischen Lustspiels nur zweite Garnitur war.

Einzig Auguste Didier reagierte auf den Ruf. Nicht weil er wirklich glaubte, daß ein Unglück geschehen sei, sondern weil er als maître chef der einzige war, der echtes Mitgefühl aufzubringen vermochte. Nur er konnte die qualvolle Angst nachempfinden, die Robert Archibald erfüllte. War die Generalprobe eines neuen Stücks nicht so etwas ähnliches wie die letzten Vorbereitungen für ein großes Bankett, wo alles angerichtet war und man nur noch auf die Gäste wartete? War wirklich alles in Ordnung? Hatte man irgend etwas scheinbar Unwichtiges übersehen? Das Auge des Chefkochs mußte ebenso wie das des Theaterdirektors überall sein; es brauchte nur die kleinste Kleinigkeit schiefzugehen, und schon konnte man das Bankett abschreiben.

Er verharrte nur noch einen Augenblick, um die Sauce durch eine Spur Estragon so zu verfeinern, daß selbst der Chevalier d‘Albignac sich ihrer nicht geschämt hätte; dann verließ er seine Küche im Theaterrestaurant und eilte in den Zuschauerraum des »Galaxy«. Robert Archibald stand mitten im Parkett, den Blick so intensiv auf die Dekoration der spärlich beleuchteten Bühne gerichtet, daß Auguste begriff: der Meister war in seine Arbeit vertieft.

»Irgendwas stimmt nicht mit dem Bühnenbild, Didier«, sagte er, als der Küchenchef näherkam. »Etwas stimmt ganz entschieden nicht.« Er hielt inne und zog sorgenvoll an seinem langen Walroßschnurrbart. »Ich weiß nur nicht, was es ist«, setzte er verdrossen hinzu.

Die Hauptdekoration für »Miss Penelopes Heiratsantrag« war ein Spielzeugladen, eingerahmt von dem reich verzierten blau und goldenen Bogen des Proszeniums. Auguste betrachtete prüfend das Aufgebot von Puppen, Spielzeugeisenbahnen, Puppentheatern (jedes von Props mit aller Sorgfalt so angefertigt, daß es dem »Galaxy« ähnelte), Reifen und Papierdrachen – das geschulte Auge mußte einem System folgen.

»Kontrollieren Sie es von links nach rechts, Monsieur. Erinnern Sie sich daran, was Ihnen bei Ihrem großen Entwurf vorschwebte …«

Eine kurze Stille trat ein, während Robert Archibalds Blick verzweifelt über die Bühne wanderte. »Es hat keinen Zweck, Didier. Ich kann‘s nicht sehen. Ich weiß nur, irgendwas stimmt nicht. Ein Verhängnis liegt über dieser Inszenierung, ein Verhängnis!«

»Es liegt auf der Hand, daß Sie einen Imbiß brauchen, Monsieur«, sagte Auguste, praktisch wie er war.

»Einen Imbiß?« rief Robert Archibald entrüstet. »Sie reden von Imbiß, wo meine Existenz, die Existenz des Theaters, die Existenz der Schauspieler abhängt von …« Eine Hand fuhr über eine Augenbraue.

»Essen liefert die Antwort auf viele Probleme, Monsieur, behauptet Brillat-Savarin.« Auguste ließ sich nicht abschrekken.

»Etwas nicht zu Gehaltvolles, hoffe ich«, sagte Archibald und war einen Moment lang von der Bühne abgelenkt.

»Steinbuttfilet mit holländischer Sauce, obwohl ich meine, Monsieur, daß sich Francatelli irrt, wenn er …«

»Steinbutt?« schrie Archibald. »Für die ganze Truppe? Als ich so alt war wie die, war ich mit Sprotten zufrieden.« Er kam gern auf seine Jugend in Hoxton zu sprechen, wenn es seinem Geldbeutel dienlich war; doch der kleinste Hinweis darauf, daß ein Mitglied seiner geliebten Theaterkompanie Probleme hatte, genügte, und Geld war wunderbarerweise kein Thema mehr.

»Sprotten. Pah. Die sind als Rosendünger gut, aber nicht für den Gaumen, Monsieur.«

»Lassen Sie sich eins gesagt sein, Didier …« begann Robert Archibald lebhaft, hielt dann inne und drehte sich mit einer für einen so wohlbeleibten Herrn erstaunlichen Geschwindigkeit um. Seine Augen leuchteten. »Props!« rief er. »Props!« Weit entfernt hörte man eine Tür zuschlagen. »Ich hab‘s, Didier«, sagte er triumphierend. »Etwas stimmt wirklich nicht. Zwei von diesen verdammten Puppen fehlen.«

Das »Galaxy« legte Zeugnis ab für die geniale theatralische Begabung Robert Archibalds. Er war jetzt neunundfünfzig, und er leitete das Theater seit nunmehr sechsundzwanzig Jahren, seit dessen Eröffnung im Jahre 1868. Damals waren Possen in Mode, Parodien wohlbekannter Geschichten; Melodien, die in aller Munde waren, wurden neue Texte unterlegt; in ihren Hosenrollen faszinierte Daisie Wilson Männer ebenso wie Frauen. Ja, das waren Zeiten gewesen! Aber die Zeiten ändern sich.

Vor ein oder zwei Jahren hatte Mr Archibald an einem Frühlingstag im Hyde Park mit seiner Frau frische Luft geschöpft. Es war warm, und leuchtende Farben waren in Mode. Er sah zu, wie drei junge Damen die Enten fütterten. Sein Blick ruhte auf ihnen, und Mrs. Archibalds Blick folgte dem seinen. »Was für hübsche Mädchen«, bemerkte sie, »und so reizende Kleider.« Das Ergebnis waren die »Galaxy«-Girls. Das Wort »Girl« hatte etwas Magisches an sich. Sie brauchten keine Rollen zu spielen, und nur einige von ihnen mußten singen. Die übrigen mußten einfach nur der Bühne Glanz verleihen, begehrenswert, reich – und unerreichbar aussehen. Wozu ihnen auch in ihrem Privatleben mit Nachdruck geraten wurde, und infolgedessen hatten einige von ihnen bereits in den Adel hineingeheiratet, und wenige von ihnen würden im Alter Mangel leiden.

Dann sagte Daisie Wilson der Bühne ade, um sich zu verehelichen, und Mr Archibald kam eine ganz neue Idee. Wie wäre es mit neuer Musik, neuen Geschichten und Girls in noch schöneren Kleidern? Die Tage der Possen waren vorüber.

»Lady Berthas Verlöbnis« war die erste Musikkomödie, wie er seine neue Schöpfung bezeichnete. An dem Textbuch war nicht viel dran, eine Geschichte von adligen Damen, Verkleidungen, Lords und Liebe. Aber alles endete glücklich, denn die Kostüme waren von Worth, und das Publikum verließ das Theater begeistert. »Die Welt des Theaterbesuchers« hatte den Pariser Roben von Miss Florence Lytton drei Seiten gewidmet. Robert Archibald vermerkte das. Die Kostüme für »Miss Penelope« waren sogar noch schöner. Jedem nur das Beste, das war sein Prinzip. Der Chor trat nicht mehr in den griechischen Tuniken vom letzten Jahr auf. Die Menschenmenge am Bühneneingang hatte sich bei »Lady Bertha« verdoppelt. Ein »Galaxy«-Girl zum Abendessen auszuführen, wurde eine noch größere Ehre.

Vor zwei Jahren, 1892, hatte Archibald bemerkt, daß die »Galaxy«-Girls nicht nur auf der Bühne, sondern auch außerhalb des Theaters eine Institution darstellten. Im »Romano« war es immer voll. Das war schade, überlegte Archibald, denn das »Galaxy« hatte ein eigenes Restaurant … Und so überredete er Auguste Didier, den dreiunddreißigjährigen Chefkoch des Herzogs von Stockbery, Kent zu verlassen und dafür die Lichter von London einzutauschen. Das war nicht leicht gewesen, denn das »Galaxy«-Restaurant besaß nicht viel, womit es einen ehemaligen Lehrling Auguste Escoffiers hätte in Versuchung führen können. Doch Robert Archibald war Diplomat. All die reizenden Mädchen wurden erwähnt – die Erinnerung an seine heftige Zuneigung zu einer russischen Prinzessin ließ das plötzliche Leuchten in Augustes Augen jedoch wieder erlöschen. Aber dann überzeugte ihn Archibald, daß er sich durch den Aufbau eines vorzüglichen Restaurants im »Galaxy« einen Namen machen könnte. Schließlich hatte er nachgegeben.

Auguste schmeichelte sich, daß er mit Archibald umzugehen verstand. Natürlich hatte er nicht erkennen lassen wollen, daß er das Angebot nur zu gern annahm. Er war bereit für London. Er konnte seine Kunst nicht länger auf dem Lande begraben. Viele Leute hatten sich um ihn bemüht, doch dieses Angebot war verlockend. Und da waren schließlich noch diese entzückenden »Galaxy«-Damen …

Er leitete das Restaurant jetzt seit zwei Jahren, und seine Kunst hatte es von einem Ort, wohin die Leute aus den hintersten Reihen und von der Galerie eilten, um im Regen nicht weiter herumsuchen zu müssen, in eine Stätte verwandelt, in der zu dinieren sich die Theaterbesucher auf den vordersten Parkettplätzen und in den Logen zunächst gnädig herabließen und die sie in der Folge hoch zu schätzen wußten. Auf der anderen Seite des Strand, im »Romano« mit seinem fest etablierten Ruf, sah man diese Entwicklung mit Schrecken und impfte den »Galaxy«-Girls listig den Gedanken ein, daß die Ungestörtheit in den Nischen und Separées des »Romano« ihren Heiratsabsichten dienlicher wäre, als Didiers cuisses des nymphes d‘Aurore zu probieren.

Auguste machte das nichts aus. Er hatte jeden Tag viele »Galaxy«-Girls – und eins von ihnen nachts. Seine liebste Maisie. Er hatte ihr erklärt, daß er Tatjana immer treu bleiben müsse, obwohl das Schicksal es wollte, daß sie nie vereint sein würden, aber Paris war ja so weit weg …

»Ehrlich gesagt, Auguste, mir gefällt das nicht.«

»Was, ma petite?« fragte er vorsichtig, für einen Augenblick abgelenkt vom Anblick Alberts, der die sauce hollandaise viel zu kräftig umrührte.

»Es ist nicht mehr wie früher. Ich weiß, es sieht noch ganz so aus, aber das stimmt nicht. Schon seit Monaten nicht mehr. Seit ›Lady Bertha‹ gespielt wird. Seit …« Maisie verstummte.

»Doch nicht etwa, seit uns la belle Christine verlassen hat?« sagte Auguste ruhig.

Maisie warf ihm einen scharfen Blick zu. Mit ihrem klaren, gesunden East-End-Verstand neigte sie dazu, Augustes gallisches Wahrnehmungsvermögen zu unterschätzen.

»Weißt du was, Auguste, für einen Franzosen bist du gar nicht so schlecht.«

»Zuviel der Ehre, chérie«, brummte er. »Aber vergiß nicht, ich hatte eine englische Mutter.«

»Ja, stimmt«, sagte Maisie prosaisch, und Auguste lachte in sich hinein. Allerliebste Maisie. Allerliebste anschmiegsame, zuverlässige, ach so englische Maisie mit ihrem üppigen Busen, ihrer wohlproportionierten Figur und ihrem großmütigen liebevollen Herzen. »Du glaubst also nicht, daß sie nach Paris an die Folies Bergère gegangen ist?«

»Nein. Diese Christine war nicht der Typ, der allein in ein fremdes Land geht.«

»Mit wem ist sie dann gegangen? Und wie auch immer, Auguste, warum sollte das jetzt irgendwelche Auswirkungen auf uns hier haben?«

»Keine Ahnung, chérie. Aber irgendwas, irgendwas bringt diese schöne Mayonnaise von einem Theater zum Gerinnen.«

Zum Wohl seiner Truppe – und seiner Stücke – hatte Robert Archibald eine weitere Sitte eingeführt: den gemeinsamen Lunch. Denn, so dachte er in seiner unkomplizierten Art, wenn die Schauspieler und die Bühnenarbeiter bei dieser Mahlzeit zusammensaßen, würde diese Einigkeit sie für den ganzen Nachmittag und Abend zusammenschweißen – oder wie lange es auch immer dauerte, bis die Generalprobe stand.

Das Restaurant, den ganzen Morgen lang eine stille, leere Höhle, war plötzlich voller Leben, als Chormädchen, Showgirls und Hauptdarsteller hereinströmten und die Luft mit Düften erfüllten, die mit jenen, die aus Augustes Küche drangen, nach Kräften wetteiferten. Wenn sie wegen der Probe am Nachmittag oder aus irgendeinem anderen Grund nervös waren, ließen sie sich das nicht anmerken, als sie sich an den langen Tischen niedersetzten, die aufgestellt waren, um die Truppe zu einer Einheit zusammenzuschmieden. Es fiel jedoch auf, daß, wie demokratisch die Theorie auch sein mochte, die Hauptdarsteller sich in der Praxis nach ihrer Rangordnung setzten, die Chor- und Showgirls und die Musiker am unteren Ende des Tisches Platz nahmen und die Bühnenarbeiter wie infolge eines stillen Übereinkommens an einen anderen Tisch zogen.

»Mr Brian.« Florence Lytton blieb hinter dem Stuhl stehen, auf dem der junge Pianist saß. »Finden Sie nicht auch – mein Marionettenlied am Ende des zweiten Akts – vielleicht ein klein wenig langsamer? Etwa so – pa, pa, pa, pa, pa pom!«

Während der ganzen Probe war das ein umstrittener Punkt gewesen. Aber wer konnte einer Bitte von Florence Lytton wiederstehen? Niemand. Nicht einmal Percy Brian, obwohl seine Neigungen völlig anders geartet waren und keineswegs in die Richtung der schönen flachsblonden blauäugigen Heldin des Stücks gingen. Percy schwankte also – natürlich würde es Edward ärgern –, und seine Blicke wanderten für eine Sekunde zu Edward Hargreaves hinüber, dem Komponisten und Dirigenten des Orchesters, der mit unbewegtem Gesicht dem Geplapper der Showgirls zuhörte. Er würde Edward heute abend besänftigen. Er konnte ihm alles mögliche einreden.

»Ich bitte wirklich nicht gern darum«, setzte Florence entwaffnend hinzu.

Das stimmte, denn sie liebte es, beliebt zu sein. Nicht daß sie damit Schwierigkeiten hatte: sie war der Liebling der »Galaxy«-Galerie und brauchte nur auf die Bühne zu kommen, in ihrer reizenden Art den Augenblick des Beifalls und der atemlosen Vorwegspannung abzuwarten, dann mit ihrer betörenden, tremolierenden Stimme zu singen, und das Haus lag ihr zu Füßen. Alle liebten Florence, sogar der Bühnenmeister – eine ungewöhnliche Sachlage für ein Londoner Theater und eine, über die Archibald, der die Wutanfälle von Florences Vorgängerinnen über sich hatte ergehen lassen müssen, aufrichtig froh war. Auch Florences Ehemann liebte sie.

Doch Auguste, der das Auftragen des turbot überwachte, bemerkte, daß Thomas Manleys Blicke diesmal nicht auf seiner Gattin ruhten. Er saß einige Plätze von ihr entfernt und unterhielt sich gerade ungewöhnlich lebhaft mit einem der Showgirls. »Ich glaube, Ihr bester Augenblick ist im dritten Akt«, sagte Edna Purvis mit geübtem schlichtem Charme. »Wenn Sie so zu singen anfangen: ›Nimm mein Herz, kleiner Vogel‹ – oh, das ist wundervoll! Sie sehen so – so –«

»Finden Sie das wirklich?« Manleys gutgeschnittenes Gesicht – es erinnerte an einen in der Hierarchie des Olymps ziemlich weit unten rangierenden griechischen Gott – wurde vor Genugtuung rot.

»Ja. Aber wenn Sie mein Mann wären, würde ich –«

Sie stockte in mädchenhafter Verwirrung, und Thomas konnte nun darüber nachdenken, warum er bei Florence, so wunderbar sie auch war, allzuoft kein befriedigendes Echo fand, wenn er ihr sagte, wie schön sie aussah, und daß ihre – ganz natürliche – Erschöpfung nach einer Vorstellung nicht zu vergleichen war mit Ednas sprudelnder Lebendigkeit. Einen Augenblick lang stellte er sich vor, er läge mit der hübschen Miss Purvis im Bett, doch er verdrängte dieses Bild sofort, schockiert über seine Gedanken. Florence war sein Schatz, seine Frau, seine einzige Liebe. Trotzdem war Ednas offenkundige Bewunderung sehr angenehm. Er schob seinen Stuhl ein ganz klein wenig dichter an sie heran, so daß seine Hand, wenn er die Serviette geradezog, wie zufällig ihren satinumhüllten Schenkel streifen konnte.

Als er Herbert Sykes’ wachsamen Blick auf sich gerichtet fühlte, brachte er seine Hand eilends in eine weniger verfängliche Stellung. Herberts hingebungsvolle Verehrung für Florence war wohlbekannt. Florence nannte ihn ihre Bulldogge und kicherte über ihren Verehrer. Armer Herbert; er sah immer so traurig aus, so todernst, doch er brauchte nur die Bühne zu betreten und die kleinste Bewegung zu machen, dann schüttelten sich die Zuschauer vor Lachen. Wie der große Grimaldi brauchte er keine Worte für seine Kunst. Er war der geborene Clown. Thomas nahm ihm seine Zuneigung zu Florence nicht übel. Von Herbert konnte überhaupt keine Gefahr ausgehen. Mit nur 1,57 m Körpergröße, um die vierzig, war er durch seine rundliche Figur auf den Typ des unglücklichen Liebhabers festgelegt. Trotzdem war da etwas in Herberts Augen, das Thomas in Unruhe versetzte. Was wußten sie überhaupt von Herbert? War er verheiratet? Wo wohnte er? Er erzählte nichts von sich – und aus irgendeinem Grund hatte Thomas auch nie fragen mögen.

»Mr Sykes«, sagte Florence, zu Herbert gewandt, und wurde sofort mit ungeteilter Aufmerksamkeit bedacht. »Stimmen Sie mir nicht zu? Der Tanz im letzten Akt …«

»Ein bißchen zu schwer, Miss Lytton, wie Mr Didiers Puddings.«

Alles lachte, außer Auguste, der die Stirn runzelte. Nicht so sehr wegen der Verleumdung seiner Puddings, die vielleicht nicht zu seinen besten Leistungen zählten, sondern weil es Herbert gar nicht ähnlich sah, einen Scherz zu machen, der verletzen konnte, der an Unhöflichkeit grenzte. Das »Galaxy« war eine einige Truppe. Oder etwa nicht?

»Für Sie, Miss.«

Props drückte Florence wie jeden Tag seinen Blumentribut in die Hand und stürzte wie gewöhnlich davon.

»Props!«

Diesmal zwang ihn Robert Archibalds Gebrüll, stehenzubleiben. Er drehte sich langsam auf der Stelle um, offensichtlich nicht sehr geneigt, seinem Meister gegenüberzutreten. Oder vielleicht Miss Lytton. Robert Ferndale, ein hochaufgeschossener magerer Mensch, der etwas von einem Wiesel an sich hatte, schnappte in Gegenwart seines Idols hilflos nach Luft, stumm, weil man ihn zwang, aus dem Schatten zu treten.

Robert Archibald kam den Korridor entlanggekeucht.

»Die Puppen, Props.«

Props blinzelte ihn an.

»Zwei fehlen.«

Props erwiderte nichts.

»Es fehlen zwei Puppen«, wiederholte Archibald geduldig.

Props stand da und verschränkte nervös die Hände.

»Ich mache Ihnen ja keinen Vorwurf, Props, nur finden Sie sie«, sagte Archibald.

»Heute morgen waren sie noch alle da, Mr Archibald«, stieß Props stotternd hervor, jeden Widerspruch ausschließend. Er war genau so ein Perfektionist wie Mr Archibald.

»Das bezweifle ich nicht. Aber jetzt fehlen zwei. Finden Sie sie.«

Es war ein Befehl. Props, der den Ton richtig deutete, eilte durch die Seitenkulissen auf die Bühne, um die Dekorationen zu kontrollieren, wobei er bestürzt etwas in sich hinein murmelte.

Er hatte erst die Regale auf der linken Seite untersucht, da durchbohrte ein Schrei die Luft, der das Geschnatter in den Garderoben der Chor- und Showgirls verstummen ließ und sogar bis zu den Männergarderoben auf der anderen Seite des Theaters drang. Thomas Manley wußte sogleich, wer den schrillen Schrei ausgestoßen hatte; er eilte die Treppe hinunter und, die Vorschriften mißachtend, die Stufen zur Garderobe seiner Frau hinauf. Auch Props wußte, wer da geschrien hatte; er stand da und starrte nach oben. Sogar Obadiah Bates kam aus der Portierloge am Bühneneingang hervor, ohne jedoch seinen Posten ganz zu verlassen. Der Schrei einer Frau rechtfertigte eine derartige Pflichtverletzung nicht.

Auguste Didier, bei der Verfertigung eines boudin de volaille unterbrochen, eilte hinter Thomas die Treppe hinauf; seltsamerweise siegte seine Neugier diesmal über seine Kunst.

Florence stand an der Tür zu ihrer Garderobe, neben sich ihre in leichte Hysterie verfallene Garderobiere. Sie starrte auf den Kaminsims, wo ein freundliches Geschenk so plaziert war, daß es sie begrüßen mußte, sobald sie den Raum betrat.

Eine der fehlenden Puppen war gefunden. Doch es würde für Props sehr schwierig sein, sie wieder so herzurichten, daß sie aufs neue das Regal in Mr Hoggis’ Spielzeugladen zieren konnte. Denn die Puppe war nach allen Regeln der Kunst stranguliert worden, ihr Porzellankopf war gespalten und halb vom Rumpf abgedreht. Die Arme hatte man aus dem dünnen Musselinkleid herausgerissen, damit sie ordentlich über der Brust gekreuzt und in dieser Stellung festgebunden werden konnten.

»Das ist nur ein geschmackloser dummer Streich, meine Liebe«, sagte Robert Archibald tröstend zu der heftig erregten Florence, die dasaß, Thomas’ Hand mit einer Hand umklammerte und mit der anderen eine Tasse hielt, aus der sie in kleinen Schlucken Augustes Kamillentee trank. »Ja«, wiederholte er, als wolle er sich selbst überzeugen, »das war einfach ein dummer Streich.«

»Aber warum mir das?« jammerte Florence. »Warum mir das?« Sie sah erst Thomas, dann Archibald, dann Auguste mitleidheischend an, doch keiner von ihnen konnte ihr diese Frage beantworten.

Nachdenklich begab sich Auguste nach unten, einen Robert Archibald zurücklassend, der verzweifelt heimlich auf die Taschenuhr in seiner einen Hand schaute und mit der anderen Florence den Rücken tätschelte, was keine Wirkung zeitigte. Als Auguste Obadiah noch immer an der Tür seiner Pförtnerloge stehen sah, verhielt er instinktiv den Schritt; der Detektiv in ihm regte sich. Dann überlegte er. Er war Chefkoch, ein maître, kein Detektiv, obwohl er in diesem Metier gut war. Andererseits – vielleicht ein oder zwei Fragen …

»Kann irgend jemand von draußen hereingelangt sein, Obadiah?« wollte er wissen, nachdem er erklärt hatte, was der Grund der Aufregung war.

»Niemand kommt an meiner Tür vorbei, ohne daß ich es sehe. Das wissen Sie, Mr Didier. Und Sie auch, Miss Maisie«, fügte Obadiah hinzu, als er Maisie hinter Auguste auftauchen sah. Maisie war einer seiner besonderen Lieblinge, und zum Zeichen seines Wohlwollens redete er sie mit ihrem Vornamen an. Er war am Khyber-Paß schwer verwundet und als Invalide aus Roberts’* Armee entlassen worden; jetzt, als Sechzigjähriger, war er ein Veteran des »Galaxy« und versah seit fünfzehn Jahren mit grimmigem Stolz seinen Dienst am Bühneneingang.

Inzwischen war er ebenso wie die »Galaxy«-Girls zu einer Institution geworden. Kein Mann, der mit den Mädchen vom Theater anbändeln wollte, entging seinem durchbohrenden Blick. Welche Tricks die Burschen sich auch immer ausdenken mochten, um in die verbotene Zone einzudringen – er durchschaute sie alle. Er schied die Würdigen von den Unwürdigen, gab den Mädchen gute Ratschläge hinsichtlich ihrer Begleiter, befreite sie von unerwünschten Verehrern und ging taktvoll mit gebrochenen Herzen auf beiden Seiten des Bühneneingangs um.

»Sind Sie sicher, Obadiah? Keine Laufburschen, keine Leute von draußen seit heute morgen?«

»Nein, Mr Didier, keine.«

»Dann muß dieser – Schabernack – von einem von uns kommen. Einem von der Truppe.«

»Keiner würde sich einen so bösen Streich erlauben«, sagte Obadiah mißbilligend. »Nicht im ›Galaxy‹. Und nicht bei einer Generalprobe.«

»Ich dachte, wir kämen bei Ihnen erst an zweiter Stelle, Obadiah«, sagte Maisie lachend. Es war ein feststehender Scherz im Theater, daß Obadiahs Herz hauptsächlich dem »Lyceum« auf der gegenüberliegenden Straßenseite gehörte und daß er untröstlich gewesen war, als der Bühneneingang wegen der Eröffnung des Restaurants in die Catherine Street verlegt werden mußte, was bedeutete, daß er nicht länger darauf hoffen konnte, sein Idol Henry Irving an dem geheiligten Portal seines Theaters vorbei die Wellington Street entlangschreiten zu sehen.

»Ich bin ein Teil des ›Galaxy‹, Miss«, sagte Obadiah würdevoll.

»Aber die Stücke hier mögen Sie nicht.«

»Ich habe gestern das neue gesehen, Miss. Habe Miss Lytton singen sehen. ›Wenn du nur hören könntest …‹. Daran erinnere ich mich. Dann mußte ich wieder zurück – diesen jungen Burschen kann ich den Bühneneingang nicht lange anvertrauen.«

»Hat es Ihnen trotzdem gefallen, Obadiah?«

»Sie haben alle sehr hübsch ausgesehen, Miss Maisie«, sagte Bates vorsichtig. »Aber mir ist was Klassisches lieber. ›König Lear‹ zum Beispiel.« Seine Blicke schweiften sehnsüchtig in die Richtung des »Lyceums«.

Auguste lachte. »Die Hälfte der Portiers in London würde auch ohne Bezahlung den Platz mit Ihnen tauschen, nur um bei den reizenden Damen des ›Galaxy‹ sein zu dürfen.«

Obadiah sah ihn finster an, dann sagte er freundlich: »Natürlich, Sie sind Franzose, Mr Didier«, als würde das alles erklären. »Wir sind hier wie eine Familie, Mr Auguste.«

»In der ein Mitglied einen pervertierten Sinn für Humor hat«, bemerkte Auguste gedankenvoll.

»Fünf Minuten, Miss Lytton. Fünf Minuten, meine Damen.«

Aus den Garderoben stieg ein gemeinschaftlicher Schrei auf, gefolgt von Rufen: »Meine Hasenpfote, wo ist meine Hasenpfote?« – »Meine Reihenfeder!« – »Mein Stiefelknöpfer!«

Im Taubenschlag wogte es wild hin und her, als die Tauben an ihre Plätze flatterten.

Florence, deren Finger noch immer leicht zitterten, ordnete ihre Frisur und erhob sich dann entschlossen. Das Stück hing von ihr ab. Sie durfte keine Schwäche zeigen.

Auf der anderen Seite, wo die Herrengarderoben lagen, wendete Herbert Sykes seinen Blick vom Spiegel ab, der ihm erbarmungslos sagte, wie wenig anziehend er war und daß er für Florence Lytton niemals von Interesse sein könnte. Doch er hatte sie zum Lachen gebracht, überlegte er hartnäckig. Manley hatte das nie geschafft. Und ein wenig ermutigt zog er ab auf die Bühne.

Im Orchestergraben strich Edward Hargreaves nervös die Ärmel über den blütenweißen Manschetten glatt. Hätte er doch nur nicht dieses fürchterliche Gefühl, daß alles schiefgehen würde, wünschte er sich. Gewöhnlich hatte er Spaß an Generalproben, wie er an allem im »Galaxy« Spaß hatte – das heißt, wenn er seine entsetzliche Angst zu vergessen vermochte, daß man ihr Geheimnis entdecken könnte. Für Percy war das alles ganz in Ordnung. Percy lebte gern gefährlich.

Robert Archibald hatte seinen Platz im Parkett eingenommen. Er gab Edward Hargreaves das Zeichen. Der Dirigentenstab senkte sich, das Orchester setzte ein, und am Klavier fuhr sich Percy Brian aufgeregt mit der Zunge über die Lippen. Bald würden seine Finger wieder über die Tasten gleiten, davongetragen von dem Wunder seiner Musik – oder vielmehr Edwards Musik. Aber sie würde so gespielt werden, wie nur er, Percy Brian, sie spielen konnte. Wieder hatte im »Galaxy« eine Generalprobe begonnen, und niemand hatte auch nur einen Gedanken für Christine Walters übrig.

»Ich bin nach London gekommen, um hier mein Glück zu suchen.«

Eine einfach gekleidete junge Dame in Weiß kaufte einen Veilchenstrauß und befestigte ihn mit bezaubernder Geste an ihrem Busen, bevor sie sich mit gewinnendem Lächeln ans Publikum wandte und bekannte: »Mein Glück ist nicht Gold, sondern ein Mann, der mich wirklich liebt.«

Dreißig Damen und Herren vom Chor, die nach ihrem frischfröhlichen Eröffnungslied »Piccadilly Parade« ihre Stimmen ausruhten, zogen sich taktvoll in den Hintergrund zurück, dankbar, aus der unmittelbaren Hitze des Gaslichts über ihnen fortzukommen, und überließen Florence die Entdeckung des Spielzeugladens.

In den Kulissen verliebte sich Thomas Manley aufs neue in seine Frau, als sie leichtfüßig über die Bühne tänzelte. Hinter dem Prospekt weihte sich Herbert ein weiteres Mal ihrem Dienst. Vorn im Parkett nickte Robert Archibald beifällig und dankte den Göttern für den glücklichen Tag, der ihm Florence gesandt hatte.

Edna, ebenfalls in den Kulissen, schaute eifersüchtig auf Florence. Florence war glücklich. Sie hatte alles, auch Thomas Manley. Nicht daß Edna Thomas Manley wollte. Sie war viel zu schlau, um ihre Zeit mit einem verheirateten Mann zu verschwenden. Sie war entschlossen, einen Aristokraten zu heiraten. Da gab es natürlich immer den Ehrenwerten Johnny, falls es ganz schlimm kommen sollte, doch er war nur ein jüngerer Sohn und würde deshalb ohne Titel bleiben. Summerfield war ein viel besserer Kandidat. Summerfield – ein leichtes Unbehagen ergriff sie. War da nicht irgend etwas? Ja, Christine Walters. Christine und Summerfield. Und Christine war weggegangen – nach Paris, wie man sich erzählte. Seltsam, wie schnell sie sich aus dem Staube gemacht hatte. Edna schob das sonderbare Gefühl beiseite und konzentrierte sich auf den komischen alten Herbert, der auf der Bühne seine Kapriolen schlug.

»Rasch, Mamsell, Ihre Ladyschaft wartet. Machen Sie schon!«

Herbert als Mr Hoggis, der Besitzer des Spielzeugladens, für den Lady Penelope (natürlich verkleidet) arbeitete, war gerade voll im Zuge, seine komische Begabung unter Beweis zu stellen. Florence tänzelte ein weiteres Mal leichtfüßig über die Bühne.

Mitgerissen von der Spannung und der Aufregung, die ein neues »Galaxy«-Stück mit sich brachte, war niemand darauf vorbereitet, diesen Ton zu hören – nicht etwa die erlesenen Klänge einer der besten Melodien Edwards, sondern einen neuen Schrei und ein Gurgeln aus Florences reizender Kehle, als sie entgeistert auf das Ding in ihrer Hand starrte. Sie ließ es mit dumpfem Aufprall zu Boden fallen, drehte sich mit ausgebreiteten Armen wie hilfesuchend zu dem abgedunkelten Zuschauerraum um, brach in Tränen aus und rannte von der Bühne.

Thomas war als erster bei dem Gegenstand. Der Kopf der Puppe war halb abgerissen, um ihren Hals hatte man tückisch einen Schal fest zugezogen, und zu allem Überfluß steckte in dem V zwischen den beiden über Kreuz gefesselten Armen ein Bühnendolch in ihrer Brust.

2. Kapitel

Am nächsten Abend konzentrierte sich Auguste nicht nur auf die köstliche Aufgabe, die Sauce zum Hühnchen à la belle vue für das Bankett nach der Premiere vorzubereiten. Er dachte auch an die vergangene Nacht zurück. Nicht so sehr an Maisie – obwohl das wunderbar gewesen war –, sondern an ihre Unterhaltung, nachdem sie in seine kleine Wohnung am Ende der Wellington Street zurückgekehrt waren.

»Mir gefällt das nicht«, sagte Maisie. Sie saß auf dem Bett und befreite mit einem zufriedenen Seufzer ihre Füße aus den purpurroten Satinschuhen.

Auguste blickte in ihre besorgten, ehrlichen braunen Augen, setzte sich neben sie und nahm ihre Hand in die seine. »Mir auch nicht, ma mie. Aber vielleicht ist es wirklich nur ein dummer Streich, wie Mr Archibald behauptet.«

»Das ist alles blanker Unsinn. Wir hatten noch nie Leute, die anderen dumme Streiche spielen. Wieso jetzt? Wieso das? Warum Miss Lytton? Sie hat keine Feinde. Alle haben sie gern. Du hättest einige der weiblichen Stars sehen sollen, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Die verstreuten mehr Pfeffer als der Pfefferstreuer. Aber nicht Miss Lytton.«

»Vielleicht Neid?«

»Bei uns, meinst du?« fragte sie scharfsinnig. »Bei den Showgirls und den Chormädchen? Nein. Und selbst wenn eine von uns sie hätte aus der Fassung bringen wollen, dann hätte sie sich etwas anderes einfallen lassen. Es gibt eine Menge Dinge, mit denen man jemand ärgern kann, aber das hier ist so scheußlich …«

»Am Tag der Generalprobe sind immer viele Leute im Theater: Laufjungen, Telegraphenboten, Schneiderinnen – jeder von denen könnte …«

»Aber warum?« fragte Maisie.

»Ein abgewiesener Liebhaber?«

Maisie sah ihn unwillig an. »Aber nicht doch. Du weißt, für Florence gibt es nur Thomas. Niemand könnte sich ihr so nähern, daß sie ihn abweisen müßte.«

Plötzlich hielt sie inne, als wäre ihr ein unangenehmer Gedanke gekommen. »Außer – Auguste, du glaubst doch nicht etwa, Props hätte …?« Ihre Stimme verebbte.

Auguste überlegte. Props mit seiner allgemein bekannten fanatischen Ergebenheit für Florence Lytton. Es war offenkundig, daß er die Arbeit im »Galaxy« nur angenommen hatte, um in ihrer Nähe zu sein, denn früher war er Möbeltischler gewesen. Doch er sprach nie mit ihr, näherte sich ihr nie, außer um ihr ein Veilchensträußchen in die Hand zu drücken. Er galt als harmloser Kauz.

»Er ist ein bißchen sonderbar, weißt du. Du glaubst nicht, daß er – nun, plötzlich etwas gegen sie haben könnte?«

«Es ist möglich, ja«, sagte Auguste. »Er hatte die beste Gelegenheit, es zu tun.« Die Sache mit den Puppen begann ihn zu langweilen. Die Vorfälle hatten auch ihn beunruhigt, aber der Tag war lang gewesen, und Maisie war sehr nah. Er zog sie fester an sich. Doch sie war noch nicht fertig und diesmal unempfänglich für die beredte Botschaft in seinen dunklen Augen.

»Auguste, was, glaubst du, ist mit Christine Walters? Ich weiß, jeder denkt, sie ist einfach nach Paris gegangen, um dort in den Folies Bergère zu arbeiten, wie sie das immer gesagt hat. Aber etwas beunruhigt mich …«

»Was, chérie?« fragte Auguste geduldig und nahm die Hand von Maisies Taille, wo sie etwas später wahrscheinlich eine günstigere Aufnahme finden würde.

»Sie hat ihre Hasenpfote dagelassen.«

»Ihre was?«

»Die Hasenpfote, die ihr Glück bringen sollte«, wiederholte Maisie. »Du wirst das nicht verstehen, aber wir alle haben so etwas. Ein glückbringendes Taschentuch, einen glückbringenden Schal. Wir sind ein abergläubischer Haufen. Und Christine hatte ihre Hasenpfote. Sie schwor, daß sie ohne die immer Pech hätte. Sie hätte niemals ein neues Engagement in Paris angenommen und die Hasenpfote hier zurückgelassen. Und wenn sie sie wirklich vergessen hätte, hätte sie sie abholen lassen.«

»Was also denkst du …?«

»Ich weiß nicht. Der Ehrenwerte Johnny hat gesagt, die Polizei sei bei ihm erschienen, als die Surété Christine in Paris nicht finden konnte. Ich weiß, er ist nicht ernstzunehmen, aber er war wirklich besorgt. Es ist Wochen her, daß sie ihm den Laufpaß gegeben hat. Sie hat sich mit Summerfield getroffen, und wer weiß? Sie war entschlossen, am Ende eine Adelskrone zu ergattern. Einige Aussichten bestanden immerhin. Da ist nur die Mutter.«

»Die Mutter?«

«Summerfield ist Junggeselle. Er bewohnt mit Mama das Schloß seiner Vorfahren in Buckinghamshire. Ab und zu stiehlt er sich heimlich abends fort in ihr Stadthaus, und dann kommt er spornstreichs hierher und will mit einer von uns essen gehen. Welche es ist, spielt keine Rolle, aber es muß eins der berühmten ›Galaxy‹-Girls sein.« Ihre Stimme klang verächtlich. »Er tut mir leid, der arme alte Knabe.«

»Und als Christine verschwand, war sie die Hauptfavoritin?«

»Miss Purvis, unserer Perlenkönigin, hat er erzählt, daß Christine an jenem Abend gar nicht gekommen ist. Und da er ja ein Lord und alles so was ist, mag er es nicht, wenn man ihm einen nassen Lappen um die Ohren schlägt, und deshalb machte er sich nicht die Mühe herauszufinden, warum sie nicht erschienen war. Seine Lordschaft ist gern der einzige Hahn auf dem Hühnerhof.«

»Genau wie ich«, sagte Auguste und zog sie an sich.

»Weißt du was, Auguste«, sagte sie nach einer Weile, »ich bin ja natürlich Engländerin, aber das muß ich dir lassen: es gibt ein paar Dinge, die Franzosen besser können als Engländer.«

»Eine timbale kreieren vielleicht?«

»Und anderes, und anderes …«

Auguste lächelte glücklich, als er daran zurückdachte und dabei die Sauce anrührte. Zwölf Dutzend Kiebitzeier, drei verschiedene Arten Huhn in Aspik, Hummersalat natürlich, poularde à la d’Albutera, zwei warme Gänge, Soyers pièces monteés, Krokantplätzchen, Mandelkuchen, Madeleine-Küchlein, französische Waffeln, die bavarois, die Charlotten, Maître Escoffiers Krebs à la provençale. Auguste, beeinflußt von seiner Erziehung durch eine englische Mutter, neigte immer englischen Rezepten zu, doch heute abend bei der Premierenfeier würden die Mädchen, das wußte er, mit englischer Küche nicht zu beeindrucken sein. Sie würden sich die raffiniertesten französischen Delikatessen wünschen, die seine Kunst zu bieten vermochte. Und sie sollten nicht enttäuscht werden. Er würde eine centrepièce kreieren, ein plastisches Meisterwerk aus Baiser und Früchten, das es mit denen des großen Soyer aufnehmen konnte, doch er würde nicht so weit gehen, wie es einmal ein Maître getan hatte, und darauf bestehen, daß die Decke des Raumes entfernt werden müsse, um es auf den Tisch bringen zu können. Sehnsüchtig dachte er an den Augenblick, in dem der Vorhang im Hintergrund der Bühne aufgezogen und sein Œuvre vor der Oooh und Aaah rufenden Truppe enthüllt werden würde.

Zuerst würde auf der Bühne das Festmahl stattfinden, dann der Tanz beginnen. Ganz demokratisch. Bühnenarbeiter würden mit den »Galaxy«-Girls tanzen; er, der Koch, konnte mit Miss Lytton tanzen. Bei diesem Gedanken verweilte er mit Begeisterung, doch dann überlegte er, daß Maisie ja zusehen würde. Ihre Gutmütigkeit reichte nur so weit. Doch Miss Lytton hatte etwas an sich, das ihn gelegentlich an Tatjana erinnerte. Tatjana mit ihren schwarzen Haaren und den strahlenden Augen war so anders, schließlich war sie eine Prinzessin, und doch war da etwas … Er riß sich von dem Paris der Vergangenheit los und konzentrierte sich noch einmal ganz intensiv auf die farce du foie gras für die poularde.

Als er im kalten Morgenlicht seine kleine Küchenmannschaft für die letzten Vorbereitungen in beinahe militärischer Ordnung aufstellte, schien die Hochspannung des gestrigen Abends in weite Ferne gerückt. Heute nach der Vorstellung blieb das Restaurant seinen Gehilfen überlassen, während er, Auguste, an dem Fest der Theatertruppe teilnehmen würde. Für sie war das hart – und für ihn ein Risiko. Ein Maître sollte stets in seinem Restaurant anwesend sein. Doch vielleicht könnte er sogar ein bißchen von der neuen musikalischen Komödie sehen.

»Didier, ich brauche Sie.«