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Jana Kuhlmann, die 39-jährige Chefermittlerin in Lingen, ist unerschrocken und zielstrebig. Zu dumm nur, dass ihr älterer Kollege Jan-Hinnerk Eilers aus Haselünne immer noch nicht akzeptieren kann, dass die junge Frau seine Vorgesetzte ist. Doch ein toter Avantgarde-Künstler im Aschendorfer Gut Altenkamp, eine erschossene Betreiberin eines Bauerncafés im Hasetal oder ein an der Wippinger Mühle aufgeknüpfter Zugereister verlangen vereinte Polizeikräfte. Werden die beiden doch noch zueinander finden und die Vielzahl an Fällen lösen können?
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Seitenzahl: 310
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Knut Diers
Mörderisches Emsland
11 Krimis und 125 Freizeittipps
Engelstrompeten und Hornissengift Der angesehene Anwalt Dr. Ludwig Meyerbeer wird an der verlassenen »Alten Dorfstelle Wahn« zwischen Lathen und Sögel tot aufgefunden. Seit 1877 werden dort Waffen getestet. Waren hier vielleicht Waffenhändler aktiv? Oder hat der Mord doch mit einer heimlichen Geliebten zu tun – immerhin war die Leiche nackt? Ein schwerer Fall für das Ermittlerteam aus der 39 Jahre alten Jana Kuhlmann und dem 58-jährigen Jan-Hinnerk Eilers. Beide stammen aus dem Emsland und sind bestens vor Ort verdrahtet. Leider fällt es Eilers immer noch schwer, die junge Frau als seine Vorgesetzte zu akzeptieren. Doch schon liegen die nächsten Fälle auf dem Tisch: Ein toter Mann, an einen Pfahl gebunden, treibt auf der Ems, eine Frau mit Totenmaske aus dem indonesischen Batakhaus in Werpeloh liegt vergiftet im Steinkreis, und der Meppener Chef des Bauamts verunglückt tödlich am Kraftwerk.
Knut Diers, Jahrgang 1959, liebt das Emsland über alles. Als studierter Geograf, ausgebildeter Redakteur und Autor radelt er am liebsten durch die grandiose Landschaft rechts und links der Ems. Es sind die Menschen, die ihm hier ans Herz gewachsen sind. Hautnah, faktenreich und höchst originell spürt er die Kriminalfälle auf und beschreibt sie mitfühlend und spannend.
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:
Der Spion von Büsum (2019)
Weserbergland (2017)
Mörderisches Emsland (2017)
Wer mordet schon auf Sylt? (2016)
Ostfriesland – Tiefsee, Torf und Tee (2016)
Harz, aber herzlich (2016)
Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Karte auf Seite 8: © Julia Franze
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Angelika Bentin / Fotolia.com
ISBN 978-3-8392-5358-8
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Zum Buch
Impressum
Haftungsausschluss
Inhalt
Karte
1. Der nackte Wahn
2. Total verpixelt
3. Am Indianerpfahl die Ems abwärts
4. Absolut grenzwertig
5. Die letzten Engelstrompeten
6. Mundraub wäre straffrei
7. Sprengen und stechen
8. Haut den Lucas!
9. Drei Stunden fehlen
10. Tod einer Hollandgängerin
11. Die Mann-ig-Faltigkeit
Lesen Sie weiter …
Der Tote liegt im Gebüsch. Laub bedeckt den Körper. Es sind nur ein paar Schritte bis zur viel befahrenen Straße von Lathen nach Sögel, doch wer soll ihn hier finden? Besucher vielleicht, die zur Alten Dorfstelle Wahn 1 kommen und sich die Reste des Ortes und die Informationstafeln ansehen. Es ist Frühling. Die ersten grünen Knospen sind an den Zweigen zu sehen, während unten noch das herbstliche Laub den Boden weitgehend bedeckt. Dr. Ludwig Meyerbeer aus Lingen ist erst vor zwei Tagen hier in seinem Laubbett sorgfältig abgelegt worden, und niemand hat ihn bislang entdeckt.
Reinhard Püngel, Nachfahre einer alteingesessenen Wahner Familie, schlendert mit seinem österreichischen Gast Jo Barnsen durch das Waldgebiet Wahn und erzählt. »Wo gibt es das sonst auf der Welt? Ein ganzes Dorf stand in der Schusslinie des Militärs: Wahn heißt es, und das war hier«, regt Püngel sich auf. »Einst wohnten hier 1000 Menschen. Das Dorf im Hümmling existierte schon um das Jahr 1000. Meine Familie ist schon im Viehschätzungsregister von 1545 erwähnt. Wir hatten vier Pferde, sechs Kühe, vier Ochsen und 120 Schafe. Von der Schafherde auf Püngels Feld gibt es sogar ein berühmtes Bild. Das Ende unseres schönen Dorfes begann, als die Firma Krupp 1877 bei Meppen einen Schießplatz baute. Die Kaiserliche Marine testete großkalibrige Schiffsgeschütze«, doziert Püngel weiter. »Im Ersten Weltkrieg kam die ›Dicke Bertha‹ hier zum Einsatz. Das war ein Mörser mit 42 Zentimeter Kaliber, verstehen Sie?«, fragt Reinhard Püngel seinen Gast und hält ihm zwei gespreizte Hände vor die Augen. Das soll den Durchmesser veranschaulichen. »Wenn so ein Ding losknallt, werden Sie wahnsinnig! Wahn, wie gesagt, was passierte, war wahnsinnig.«
Der Tourist starrt auf den beschämenden Rest eines Bodenmosaiks der St. Antoniuskirche 2, die hier einmal stand. Jo Barnsen schweigt weiter. Ein seltsamer Typ, denkt Püngel, warum sagt er nichts? Er kennt ihn erst seit einer Stunde, als sein Nachbar Winfried ihn fragte, ob er seinem Gast aus Klagenfurt mal ein bisschen die Gegend zeigen könne. Gesagt hat Jo Barnsen seitdem nur »Guten Morgen« und öfter »Danke, iss scho’ recht«. Aber Püngel ist so ergriffen von Wahn, diesem einstigen Dorf seiner Vorfahren, dass er fast ohne Pause weiter erzählt. Sie stehen vor den Resten der Kirche. »Sie wurde 1744 im Dorf gebaut und ersetzte eine noch ältere. Der Dom des ›Hümmling‹, wie sie ihn nannten, hatte einen hübschen Zwiebelturm mit großer Uhr, aber er fiel dann 1942«, beschreibt er genau das Ende von Wahn. »Abgerissen haben sie die Höfe, selbst diese Kirche haben sie nicht im Dorf meiner Großeltern gelassen, alles wurde systematisch zerstört«, erzürnt sich Reinhard Püngel, der sich wie andere Nachfahren meist einmal im Jahr hier trifft. Das Wahner Treffen 3 am dritten Sonntag im Juni dient dem Gedenken an das ehemalige Dorf. Püngel zitiert sogar aus der Abschiedspredigt des Pfarrers Bernardus Reckers, der von 1919 bis 1942 als letzter Pfarrer in Wahn lebte. »Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber Schaden leidet an seiner Seele«, hatte Reckers gemahnt. »Mein Großvater Johann Theodor Püngel und seine Frau Anna wohnten mit ihren sechs Kindern in Wahn«, erzählt Püngel weiter. »1941 siedelten alle nach Belm, das ist eines der 67 Dörfer, auf die die Bewohner damals aufgeteilt wurden, einige zogen sogar bis nach Mecklenburg um.« Die letzten Familien verließen im März 1943 den Ort – für immer.
Sie gehen den Rundweg ab und besehen sich die ehemalige Hofstelle Nummer 64, wo die Püngels wohnten. »Ein ganzes Dorf wich vor und im Zweiten Weltkrieg dem Druck der eigenen Kanonen, auch heute wird hier fast täglich geschossen, hören Sie das?« Der Gast schweigt weiter und staunt, reißt seine Augen auf. »Da hinten auf der Wiese stehen 22 alte Panzer«, erläutert der Abkömmling einer Wahner Familie seinem stummen Besucher, »aber das wissen nur wenige.«
Püngel spricht wie vom Tonband. »Während der Schießübungen der Wehrtechnischen Dienststelle für Waffen und Munition 91 in Meppen muss sogar die Straße gesperrt werden. Die Autos halten an der Ampel, an der dann die Wartezeit angezeigt wird. Bis zu 60 Minuten kann das dauern. Wo gibt es das denn sonst auf der Welt?«, fragt der 55-Jährige scheinbar ins Leere, denn sein Gegenüber wirkt abwesend. Sie gehen weiter durch die alte Dorfstelle und nähern sich wieder der Straße Lathen – Sögel. Ganz in der Nähe steht das Auto, mit dem die beiden gekommen sind. Es raschelt unter den Bäumen. »Wahrscheinlich sind Mäuse unterwegs«, sagt Reinhard Püngel und schaut flüchtig hin, dann bleibt sein Blick jedoch hängen. »Wahnsinn«, schreit er plötzlich, »da, sehen Sie das auch? Eine Hand!«
Püngel fegt mit der Rückseite seiner rechten Hand das Laub zur Seite. Der nackte Oberkörper eines Menschen kommt zum Vorschein; die Augen sind geschlossen, der Mund ist verzogen. Äußerlich sind keine Wunden zu erkennen. »Ich glaube, der ist tot«, sagt Püngel und alarmiert mit seinem Handy die Polizei. Bei der Kripo in Lingen ist Jan-Hinnerk Eilers am Telefon. Der Kommissar fährt sofort zum Fundort der Leiche.
»Jan-Hinnerk Eilers, Kripo Lingen. Mein Kollege sagt, Sie haben uns benachrichtigt, kennen wir uns nicht von den jährlichen Wahn-Treffen? Mein Großvater hat hier bis 1940 gelebt und ist dann nach Haselünne umgesiedelt worden«, sagt der 58-Jährige zu Püngel. »Kann gut sein«, meint der nur. »Den Toten kenne ich, das ist Dr. Meyerbeer, ein Lingener Anwalt«, sagt Eilers und vernimmt die beiden Zeugen, doch das allein wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet.
»Herr Püngel, Sie haben mir ja schon geschildert, wie es am Fundort aussah, aber wie erklären Sie sich, dass der Tote nackt war?« Eilers liebt die direkte Frage. Er ist hier im Emsland groß geworden, beruflich bei der Polizei. Das verdankt er zum großen Teil seinem engmaschigen Netz aus Kontakten zu Bauern, Bauunternehmern und Banausen. Was ihn nur ärgert, ist seine junge Kollegin Jana Kuhlmann und die Tatsache, dass sie seit einem Jahr seine Vorgesetzte ist.
Diese 39-jährige Göre, denkt er dann. Aber insgeheim gibt er zu: Gut ist die ja, aber ich wäre halt dran gewesen! Doch jetzt zeige ich der mal, was ich so drauf habe.«
Im Bericht der Rechtsmedizin ist als Todesursache ein gezielter Rückenschuss ins Herz genannt, andere äußere Verletzungen hat der Tote nicht. Es gab offenbar keinen Kampf, sondern einen schnellen Tod. Eilers zeigt Püngel die Fotos von Dr. Meyerbeer, den er von einer Gerichtsverhandlung her kennt. Da hat er mal eine ganze Blattsammlung vom Tisch geniest, erinnert sich Eilers, der nun als Ermittlungsführer die ins Leben gerufene Mordkommission »Nackter Wahn« leitet. Warum war er nackt?, fragt Eilers sich.
Während Püngel bereitwillig Auskunft gibt, bleibt der Österreicher sehr wortkarg und hinterlässt einen seltsamen Eindruck bei Eilers. »Herr Barnsen, Sie haben mir ja schon erzählt, dass Sie aus Österreich zu Besuch sind und bei Ihrem Freund Winfried Wennemer wohnen, Sie sind 44 Jahre alt, ledig, arbeitslos und wollten mal die Gegend kennenlernen. Dazu hat Ihr Freund Sie an Herrn Püngel vermittelt, mit dem Sie zuerst Wahn besuchten. Sie haben dann den Toten zuerst gesehen, oder?«
Jo Barnsen verzieht das Gesicht zu einer Grimasse, rümpft die Nase, dann mündet der Ausdruck in ein breites Grinsen. »Nein, erst hat ihn Herr Püngel gesehen, dann ich, aber ich sah sofort, der ist tot. Die Augen zu, der Kopf zur Seite, tot, dachte ich da«, gibt der Österreicher zu Protokoll. Barnsen grinst wieder.
Eilers weiter: »War es Ihr Wunsch, sich Wahn anzusehen, das Dorf, das es nicht mehr gibt, oder wer hatte die Idee dazu?« Barnsen schaut kurz zur Zimmerdecke hinauf und sagt dann: »Meine Idee, ich wollte sehen, wo die schießen. Finde ich toll.« Eilers wird hellhörig und fragt: »Schießen Sie denn selbst auch, Herr Barnsen, im Schützenverein vielleicht?« »Na«, antwortet der nur.
Eilers belässt es dabei, denn er vermutet eine leichte geistige Eintrübung seines Gesprächspartners. Doch die Erfahrung aus der Vielzahl seiner Fälle sagt ihm: Wer weiß, vielleicht nur gespielt. Vorsichtshalber lässt er prüfen, ob der Klagenfurter in Österreich auffällig geworden ist. Ebenso lässt Kommissar Eilers sich die aktuellen zehn größten Fälle des ermordeten Anwalts und Notars aus Lingen schildern.
In der Sozietät Dr. Meyerbeer ist man am Telefon zunächst zurückhaltend. Doch als Eilers sich dort extra mit einem Polizeiauto vorbei bringen lässt, wird die Vorzimmerdame Julia Behrens doch gesprächig.
»Nein, kein Aufsehen, wir liefern Ihnen, was Sie möchten«, sagt sie rasch. Der Kommissar hat Zeit. »Wir gehen mal ins Nebenzimmer, und Sie schildern mir die Mandanten und deren Umgangsformen etwas genauer bitte«, besteht er auf einer längeren Unterredung. Die 29-jährige Rechtsanwaltsfachangestellte legt den inneren Schalter um. Nach einer halben Stunde hat Eilers erfahren: Dr. Meyerbeer hat eine von ihm getrennt lebende Frau, zwei erwachsene Kinder, die sich schon seit ein paar Jahren in den USA aufhalten. Er wohnte in einem Anwesen nahe der Hümmlinger Kreisbahn 4 in Werlte und wollte sich noch dieses Jahr zur Ruhe setzen. Seine letzten Mandanten waren zwei Nachbarn aus Sögel-Bögel, die Land am Wacholderhain und Schafstall haben. Dort soll eine Umgehungsstraße gebaut werden. Er hat sie gerichtlich vertreten. Dr. Meyerbeer war aber auch Unterstützer der Heimatforschung. Die Straße der Megalithkultur 5 hatte es ihm angetan. Das Königsgrab in Groß Berßen 6 wollte er näher untersuchen lassen und hatte dazu verschiedene Anträge beim Land gestellt, was ihm aber immer wieder abgelehnt wurde. Dann gab es da zwei Waffenhändler aus dem Libanon. Das lässt sich Eilers dann doch genauer erklären. »Die waren zweimal hier, kamen immer piekfein gekleidet, braun gebrannt und ein Parfum, mein lieber Scholli, das hat mich umgehauen, ich wollte gleich wissen, wie das heißt. Beide sprachen kaum Deutsch, aber ein tadelloses Englisch, lieber Mann, die hatten schwarze Lederkoffer …«, schildert Julia Behrens begeistert.
Eilers hebt die linke Hand und den Unterarm und entgegnet: »Moment, da brauche ich die Akte, und was wollten die genau, die haben doch nicht als Beruf ›Waffenhändler‹ angegeben?« Die Rechtsanwaltsgehilfin gewinnt langsam Vertrauen: »Nein, die wollten, dass Dr. Meyerbeer sie begleitet, wenn sie die 500.000 Euro, offenbar Bestechungsgeld, das sie in ihren Koffern trugen, an Herrn Winfried Wennemer übergeben. Das lehnte unser Anwalt natürlich ab, denn uns war klar, dass da etwas gekungelt wurde. Es ging um neu erprobte Waffen, die hier auf der Wehrtechnischen Dienststelle für Waffen und Munition 91 in Meppen, kennen Sie doch, getestet wurden. Herr Wennemer sollte eine der beiden Haubitzen, die erprobt wurden, an die Libanesen liefern. Dafür sollte er die halbe Million als Anzahlung bekommen, später eine ganze noch obendrauf.«
Eilers ist einigermaßen geschockt. Erst dieser Name – Winfried Wennemer. »Das war doch der, der seinen österreichischen Freund an Reinhard Püngel vermittelte, und der unbedingt Wahn sehen wollte und Waffen toll findet«, sinniert er. Dass dann außerdem ein ehrwürdiger Anwalt aus Meppen auch nur in die Nähe eines solchen Milieus gerät, hatte Eilers nicht vermutet. Und dass die Vorzimmerdame derart genau darüber Bescheid weiß, ist ihm auch fast unheimlich. »Hat Dr. Meyerbeer denn abgelehnt, oder hat er die ganze Sache verzögert, oder wollte er gar zu uns damit kommen – was meinen Sie, Frau Behrens?«
»Er weihte mich sofort ein, denn es war ihm unheimlich, ich hörte alles über die Mikrofonanlage in seinem Zimmer mit und zeichnete es sogar auf«, plaudert die Gehilfin drauflos. »Ich glaube, er wollte zum Schein auf das Ganze eingehen, Beweise sichern und dann die Polizei einschalten.« Eilers empört sich: »Damit dürfen Sie doch nicht so lange warten, um Himmels willen! Sie sehen doch, das mündete in einen gezielten Rückenschuss. Mensch, Frau Behrens, warum haben Sie nicht sofort angerufen?« »Weil Dr. Meyerbeer, mein Chef, es nicht wollte, glauben Sie mir, er wollte noch ein paar Tage warten, bis es Beweise gegeben hätte, denn die Dokumente sollten über ihn laufen. Wennemer musste unterschreiben, eine Art Vertrag war das, den hatten die beiden mitgebracht.«
Der Kommissar fährt wieder in die Dienststelle. Er muss das Bundeskriminalamt einschalten, die Personalien der beiden Libanesen prüfen lassen, er will aber auch die anderen Spuren mit den übrigen Mandaten mal durchgehen. Doch alles das wird jäh unterbrochen. Helga, seine Frau, ruft an.
»Du Jan, unser Struppi, der hat das ganze Sofa vollgekotzt, hier muss Gift herumliegen, komm bitte, da muss ermittelt werden«, herrscht Helga Eilers ihren Mann an. »Natürlich, meine Perle, ich komme vorbei, ist ja auch schon weit nach Dienstschluss, bis gleich.« Herrchen als Autorität bei dem Mischling – so hatte sich das Ehepaar Eilers das vorgestellt. Doch auch wenn der Kriminalkommissar klare Ansagen gewohnt ist, hier führt ein Jaulen zum Herzerweichen des Ermittlers und seiner Frau Helga. Was der zwölf Jahre alte Struppi Ungesundes gefressen hat, ist nicht mehr zu ermitteln, von Gift gibt es jedenfalls keine Spur.
Am nächsten Morgen wird der Ermittlungsführer im Fall »Nackter Wahn« von seiner Kollegin Jana Kuhlmann fröhlich begrüßt. »Na, wie war der Urlaub auf Malle?«, fragt er sie im Gegenzug, »ist denn schon Mandelblüte?«
Die Kriminaloberkommissarin lächelt und erwidert: »Bei uns blühte das Familienleben, alles bestens, und bei euch? Du hast den ›Nackten Wahn‹ ins Leben gerufen, da kennst du dich ja aus, in Wahn meine ich.«
Jan-Hinnerk nickt stumm und stöhnt: »Läuft alles auf einen dubiosen Waffenschieber hinaus, einen Herrn Wennemer und seinen möglichen Komplizen, diesen Österreicher, der so stumm und unwissend tut, Typ geistiger Tiefflieger. Ich bin mittendrin, aber ich denke, in ein paar Tagen haben wir das gelöst.«
Jana Kuhlmann ist erstaunt: »So schnell kannst du das aufklären? Respekt! Übrigens kommen auch meine Vorfahren aus diesem Dorf Wahn. Ein Onkel hieß Bernhard Kuhlmann und siedelte in den Jägerhof kurz vor Sögel um, das kennst du, da ist die Indoorschießanlage 7 .« »Ach wirklich?«, fragt Eilers. »Dann haben unsere Vorfahren sicher zusammen Schweine in Wahn gehütet«, fügt er fröhlich grinsend hinzu.
Jana denkt sich: Vertrauen in Eilers ist gut, seine Kontrolle besser, und zieht sich in ihr Büro zurück, um sich die Akten zum »Nackten Wahn« mal am Bildschirm durchzulesen. Sie möchte als Chefermittlerin im Emsland schon wissen, was in diesem Fall so vor sich geht. Schließlich ist sie Eilers’ Vorgesetzte, überlässt ihm aber weiterhin die Führung bei den Ermittlungen. Auch Dr. Ludwig Meyerbeer ist für sie eine bekannte Lingener Größe gewesen. Sie grübelt etwas über seine vielfältigen Verbindungen nach. Da platzt Susanne herein.
»Na, wieder zurück von Mallorca? Ist doch besser als sein Ruf, oder? Ich war mit meiner Freundin auch mal da, weißt du noch, damals hatten wir diesen irren Wanderführer vom Kloster Lluc aus?« Jana blickt stumm auf. »Moin, Susanne, ja, ich erinnere mich, davon hast du erzählt, und wie läuft es bei dir, wir müssen uns mal zum Tee verabreden, unbedingt«, meint die Kommissarin zu ihrer einstigen Schulfreundin. Sie ist wie sie 39 Jahre alt, wohnt in Lingen, ist neugierig und patent und arbeitet als Raumpflegerin in der Polizeiinspektion Emsland/Grafschaft Bentheim, wie das Kommissariat offiziell heißt. Ihr enger Kontakt hat sich mehr oder weniger über die Jahre gehalten. »Hast du das mit dem Meyerbeer schon gehört?«, fragt Susanne etwas ziellos, »das ist ja Stadtgespräch, der war nackt. Die Leute hier sagen, der hatte bestimmt eine Geliebte, lebte ja getrennt von seiner Frau. Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an, kennst du doch, von Udo, naja, ihr werdet das schon alles herausfinden …«
Jana lächelt nur und macht mit ihr noch rasch einen Termin für diesen Freitag aus. »Wir sehen uns in der ›Alten Posthalterei‹ am Markt, große Freude«, ruft sie Susanne zu. Einen Tag später hat Eilers weitere Details parat, die er Jana mitteilt. »Wir haben jetzt Unterlagen vom Bundeskriminalamt über die beiden Libanesen, und ich werde sofort beim Staatsanwalt beantragen, diesen Wennemer unter dringendem Tatverdacht festzunehmen, der hat sich bei seiner Zeugenvernehmung gestern Abend ja sehr in Widersprüche verstrickt. Im Moment sieht alles danach aus, dass dieser Österreicher in seinem Auftrag handelte, also Dr. Meyerbeer erschoss. Er gab ja an, nie eine Waffe in der Hand gehabt zu haben, dabei ist er Sportschütze in Klagenfurt, wie ich gerade erfahren habe. Ich wollte dich nur informieren«, erzählt der Kommissar etwas gedehnt.
Jana ist überrascht und meint nur: »Die Emsländer schießen wohl schnell, aber hast du da ausreichend Gründe für die Festnahme, ich meine, das erregt ja Aufsehen, und den ganzen Bereich Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, zu dem das Testgelände gehört und die für die getesteten Waffen zuständig sind, hast du doch noch gar nicht überprüft, oder?«
»Läuft alles parallel bei mir, weißt du doch, ich bin doch nicht blöd«, erwidert Eilers und geht in sein Büro zurück. Janas Kollege Eilers knöpft sich tatsächlich diesen Winfried Wennemer vor. Den vorläufigen Haftbefehl hat er allerdings nicht beantragt. Er vernimmt ihn nochmals als Verdächtigten. Derweil ist Jana mit Susanne Koop verabredet, ihrer Freundin aus alten Schultagen. »Mensch, du siehst aber gut aus«, schwärmt Jana, »bist du neu verliebt?«
Susanne steht weniger auf Männer, sondern hat schon mehrere Liebschaften mit Frauen hinter sich. »Ne, ich suche noch, war aber gerade mal wieder bei netten Frauen in Osnabrück, das peppt mich immer auf«, plaudert sie drauflos. »Die Szene in Hannover ist auch ganz gut«, versichert Jana, »ich hatte damals Kontakt zu einigen lesbischen Frauen, ich habe nächste Woche eine Besprechung zu einem explosiven Thema in Hannover und wollte eine Nacht privat dranhängen. Hast du nicht Lust mitzukommen?«
Nach ihrer Polizeiausbildung in Hannover arbeitete Jana in der Landeshauptstadt ein paar Jahre bei der Kripo, aber sie wollte schon immer in ihre alte Heimat zurück. Ihre Eltern wohnen in Papenburg, und die beiden Kinder Birte, neun Jahre, und Ole, sechs Jahre, sollten Oma und Opa doch öfter mal sehen. Ihr Mann Jörn, der sein Informatik-Studium abgebrochen hatte, kümmert sich um die Kinder und gestaltet nebenbei Internet-Seiten. Doch zurück nach Papenburg wollte sie nicht. Lieber Lingener Luft genießen, dachte sie sich, da leben wir freier. »Und das studentische Umfeld, da fühlt sich meine Stadtkindseele ein bisschen zu Hause«, hatte ihr Mann sie bestärkt. Jörn und Jana treffen sich gern oft zum Mittagessen in der Mensa vom Campus Lingen, der zur Hochschule Osnabrück gehört.
Susanne ist erfreut: »Gute Idee, Jana, drehen wir eine Runde durch Hannover! Aber ist denn nun was dran an der Freundin von Dr. Meyerbeer? Du weißt, ich putze ja bei zehn Stellen, und wirklich alle wollen davon etwas gewusst haben.« Jana lächelt und meint nur: »Du weißt doch, Verschwiegenheit ist die Tugend der Polizistin.«
»Och, Janachen, ich kann mich auch revanchieren mit Neuigkeiten, die ich so in den Papierkörben in den Häusern finde, was meinst du, lässt sich da das Polizistinnenherz erweichen?« »Höre ich mir gern an, ja, aber erweichen, nein«, bleibt die Polizeihauptkommissarin verschlossen. »Was hast du denn so gefunden zu unserem Fall, den im Übrigen mein Kollege federführend bearbeitet. Du müsstest dich ihm anvertrauen.« »Wie, der alte Eilers? Da fliegen doch eher alle Sargnägel heraus, bis der in die Strümpfe kommt. Eilers – der Name klingt so dynamisch, aber der schläft doch bei seinen Ermittlungen langsam ein. Dem ist sein Struppi wichtiger als alles andere, und Helga führt Regie.«
Als Susanne sieht, wie ihre Freundin die Augen verdreht und nur lächelt, ist ihr klar: Sie hat den Bogen mal wieder überspannt. Doch da überrascht Susanne Jana mit ein paar Details: »Also der Meyerbeer wollte sich Ende des Jahres zur Ruhe setzen. Er hat eine Sozietät mit seinem aalglatten Anwaltskollegen Frank Schuhnagel, der ist so Mitte 40, kennst du vielleicht. Ein geschniegelter Affe, sage ich mal unverblümt, aber soll wohl so etwas wie der willige Vollstrecker vom alten Meyerbeer sein. So, und nun hat der Junge Dreck am Stecken, ich weiß nicht, was das ist, aber dem Alten wird klar: Mit dem hier ist das der Untergang meiner Kanzlei, die ich 30 Jahre lang aufgebaut habe. Also wollte er ihn ausbooten. Er war dabei, ihn kalt abzuservieren. Das pfeifen jedenfalls meine Spatzen vom Dach.«
Jana holt tief Luft. »Und du putzt nicht zufällig auch bei dem Schuhnagel?«, fragt sie ihre Vertraute.
»Nein, ich kann mich ja mal bewerben«, versichert Susanne lächelnd. Die kleine Teestunde in der »Alten Posthalterei« nimmt einen fröhlichen Verlauf. Die beiden Freundinnen bestellen sich noch jeder ein lauwarmes Rhabarberkompott mit Joghurt-Minz-Mousse-Crumble. »Göttlich, oder?«, sagen sie sich zeitgleich und genießen. »Nervt der Eilers immer noch so, weil er seit einem Jahr dich zur Chefin hat?«, lässt Susanne jetzt neugierig einfließen. »Nur manchmal. Oft gibt er sich als der Boss aus, nach außen hin, so als stämmiger Polizist mit harter Stimme«, erzählt Jana. »Sehr stämmig und mit Airbag vorn, der hat ja bedenklich zugenommen, findest du nicht auch?«, fragt Susanne. »Dabei schickt Helga ihn doch morgens und abends mit Struppi zum Gassi gehen«, pflichtet Jana ihr bei.
Jan-Hinnerk Eilers ist derweil ins Schwitzen geraten. »Aus diesem Wennemer ist doch nichts Anständiges herauszubekommen«, sagt er zu sich. Inzwischen hat sich Petra Dunkern in der Polizeiinspektion Emsland in Lingen gemeldet, eine 44-jährige Lastwagenfahrerin aus Ahmsen. »Kann ich eine Aussage zu dem Fall Meyerbeer machen?«, leitet sie ihre Worte bedeutungsvoll ein. »Ich hole mal den Kommissar«, beeilt sich die junge Polizistin im Eingang. Eilers ist zur Stelle. Er geht mit ihr ins Verhörzimmer. »Also, ich habe in der Zeitung gelesen, dass der Ludwig, der Ludwig Meyerbeer, am vergangenen Mittwoch gestorben ist. Ich dachte, vielleicht ist es wichtig, dass ich mich an dem Tag mit ihm getroffen habe, äh, wir hatten nämlich sexuellen Kontakt – sagt man das so?«
Eilers ist zwar noch überrascht von den Sätzen der handfesten, leicht rundlichen Frau, die den Eindruck vermittelt, einen 40-Tonner locker auch ohne Servolenkung steuern zu können. Aber er fragt schnell: »Wie war Ihre Beziehung zu ihm, wie standen Sie zueinander?« »Wir haben uns an der Autobahn kennengelernt. Ich parkte mit meinem Sattelschlepper am ›Kanneloni‹ in Heede, kennen Sie bestimmt, ist so eine Biokaffeerösterei mit schickem Restaurant und Weinbar. Er hielt da mit seinem Mercedes-Cabrio. Ich hatte meinen Kaffee fertig, er wollte essen. Wir lächelten uns an, es war Liebe auf den ersten Blick. Da stand noch dieser schöne Spruch an der Wand: Wo die Liebe den Tisch deckt, schmeckt das Essen am besten.«
Eilers wittert eine neue Spur. »Und dann?« »Dann ging es schnell, Nummern ausgetauscht, hin- und hergesimst, am selben Abend war er bei mir und wir sind uns, naja, sehr nahe gekommen. So ein toller Mann! Der hatte Stil. Mit Jüngeren kann ich nichts anfangen. Und großzügig ist er gewesen, er gab mir 500 Euro, die ich erst gar nicht annehmen wollte. Ich bin doch keine Professionelle! Am nächsten Abend war er dann wieder bei mir. Ach, was für ein schöner Abend. Und wir sind natürlich wieder im Bett gelandet.«
»Wann haben Sie ihn denn zuletzt gesehen und mit wem?«, hakt Eilers nach. »Mittwochnachmittag. Er sagte, dass er für ein paar Tage nach Amsterdam muss und mich vorher gerne noch einmal treffen würde. Ich hätte eigentlich noch ’ne Tour gehabt am Nachmittag, aber für den Abend war er schon mit seinem Kollegen im ›Grill Rohr‹ in Sögel verabredet. Ich wusste natürlich, dass es ihm bei mir fast nur um Sex ging. Aber das war mir egal. Ich habe ihn dann am Abend noch mal angerufen und auch ein paar SMS geschickt, aber keine Antwort erhalten. Erst dachte ich: Arschloch. Doch wieder nur so ein alter Sack, der glaubt, mit Geld alles kaufen zu können, und fing an, in seinem Leben herumzuspionieren. Konnte ich mich so getäuscht haben? Aber deshalb komme ich doch, Herr Kommissar. Hören Sie sich das mal an, was er auf mein Handy gesprochen hat, ich hatte den Rufton auf Leise gestellt und seine Anrufe nicht mitbekommen, da sprang die Mailbox an. Es war das Letzte, was ich von Ludwig gehört habe.«
Die Frau spielt dem verblüfften Eilers eine erste rund acht Minuten lange Sequenz vor, die ihn erstarren lässt. Der Anwalt ist zu hören, wie er sich mit Schuhnagel unterhält, als sie durch die Alte Dorfstelle Wahn gehen. Als Eilers alles gehört hat, überlegt er lange, vielleicht zu lange. Denn schon stürmt Jana Kuhlmann zu ihm ins Büro, in der auch die Frau sitzt. »Entschuldigung, wir müssen mal kurz was besprechen!«, bittet sie ihn auf den Flur. Eilers erhebt sich. »Wir müssen dringend den Sozius von Dr. Meyerbeer überprüfen, der wohl Schuhnagel heißt. Der soll nicht ganz echt sein. Ist dir in der Richtung schon etwas untergekommen bei den Ermittlungen, in den Akten steht ja noch nichts von dem?«
»Wir? Spricht da etwa wieder Volkes Stimme? Ich habe da schon meine Erkenntnisse! Ganz ohne Putzfrauengewäsch und Parkettmasseusen. Den Schuhknecht oder Schuhnagel habe ich schon so gut wie festgenagelt, muss ihn nur noch vernehmen«, erwidert Eilers. Mist, denkt er sich, jetzt muss ich den schnell herzitieren, sonst ist die wieder schneller. Eilers bittet zwei Kollegen, sofort Frank Schuhnagel ins Kommissariat zu holen. »Sie bleiben bitte solange hier, Frau Dunkern.«
Frank Schuhnagel ist allerdings nicht zu erreichen. Eilers hat dafür die Rechtsanwaltsfachangestellte Julia Behrens am Telefon. Sie ist fassungslos: »Mein Chef tot, und jetzt verpisst sich der Sozius. Die Telefone laufen heiß, und ich weiß überhaupt nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Ich könnte wetten, der Schuhknecht ist zum Schießen in Sögel. Schießen zentriert und bringt dich zurück in deine Mitte«, äfft sie ihn nach.
Das hämische Grinsen sieht Eilers plastisch vor sich. »Meine Zukunft hängt doch an der Kanzlei. Arbeitsplätze gibt es hier jetzt nicht wie Sand am Meer, und diese Niete geht sich seelenruhig zentrieren! Da bin ich mir sicher. Von wegen krank!«, zischt Julia Behrens. Eilers schickt sofort zwei Kollegen in die Indoorschießsportanlage in Sögels, Ortsteil Jägerhof. Schuhnagel ist nicht überrascht, als die beiden Polizisten ihn zur Vernehmung nach Lingen bringen wollen. Eilers weiß, dass er nicht viel in der Hand hat, und Jana will auch noch bei dem Verhör dabei sein. Er versucht es auf die Kumpeltour. Und tatsächlich, Frank Schuhnagel erzählt von einem Streit zwischen ihm und Dr. Ludwig Meyerbeer. Schuhnagel sollte den Laden zum Ende des Jahres übernehmen. Doch bei dem Treffen im »Grill Rohr« in Sögel kam er ihm mit dubiosen Ermittlungen eines Wirtschaftsprüfers. »Er hatte sich ja nie um die buchhalterischen Sachen gekümmert. Wir unterstützen seit Jahren einen karitativen Verein, der Reisen für Menschen mit Beeinträchtigungen anbietet. Und auf einmal unterstellt er mir, dass ich die Zahlungen auf mein Konto umgeleitet hätte. Was für ein Unsinn!«, empört sich Schuhnagel. »Das entbehrt jeglicher Grundlage. Außerdem hat ihn dieser Wirtschaftsheini davon überzeugen wollen, dass ich Mandantengelder von mehreren 100.000 Euro veruntreut habe. Da ist nix dran, aber der Ruf ist erst mal ruiniert. Ich hätte meine Zulassung als Anwalt verloren. Ich hatte eine irre Wut!«
»Ach, und Sie trafen sich wann in Sögel? Und was war mit den Anschuldigungen, lieferte er Ihnen Beweise?«, bohrt Eilers tiefer, während Jana zuhört. »Wir waren für 18 Uhr im ›Grill Rohr‹ in Sögel am Marktplatz verabredet. Dr. Meyerbeer hatte einen Nischentisch reserviert, er kam zu Fuß.« Ihr Essen sei dann um 19.30 Uhr zu Ende gewesen. Dr. Meyerbeer habe bezahlt. Dann seien sie zusammen nach Lingen in die Kanzlei gefahren, und Schuhnagel habe alle Vorwürfe ausgeräumt. »Er konnte aber auch nichts beweisen, nichts!«, behauptet Schuhnagel.
Nach der Aussage der Lastwagenfahrerin war Dr. Meyerbeer jedoch entschlossen, den Anwaltskollegen zu feuern. »Die Sache ist eindeutig, ich kann ihn anzeigen und vernichten, aber auf jeden Fall darf er nicht mein Nachfolger werden«, soll der bekannte Lingener Anwalt gesagt haben. »Herr Schuhnagel, wir haben hier ein Telefongespräch, das zufällig aufgenommen wurde. Ich spiele es Ihnen mal vor«, eröffnet Eilers das große Finale. Das erste Gespräch, das das Handy Dr. Meyerbeers an die Mailbox von Petra Dunkerns Handy übertrug, beginnt so – offenbar noch im Restaurant in Sögel: »Sie haben da ein paar Leichen im Keller, verehrter Kollege.« Dann fährt Meyerbeer fort: »Ich bringe Ihnen die Beweise mit, wir müssen dann entscheiden, was wir tun wollen und wie es um Ihre Übernahme bestellt ist. Ich kann mir nur einen sauberen Nachfolger vorstellen, verstehen Sie?«
»Alles Blödsinn, Fälschungen, Unterstellungen«, braust Schuhnagel auf. »Ich werde Ihnen in der nächsten Stunde alles beweisen, was ich sage«, ist Schuhnagels Stimme deutlich auf der Mailbox zu hören.
Dann kommt sein Vorschlag: »Wir fahren nach Wahn, die Alte Dorfstelle, da habe ich bei der früheren Hofstelle Nr. 48 einen geheimen Bodenschacht. Darin sind alle Papiere und auch das Geld. Sie bekommen alles zurück, was ich Ihnen schulde.«
Dr. Meyerbeer zeigte sich offenbar beeindruckt. »Ach, dann habe ich es doch mit einem Ehrenmann zu tun«, antwortet er. Dann spult Eilers die nächste Aufnahme vor, die offenbar schon am Infopavillon von Wahn spielt.
»Wo geht es denn zur Hofstelle Nr. 48?«, ist Dr. Meyerbeer zu hören.
»Hier entlang«, weist Schuhnagel den Weg. Schritte sind zu hören, ein Rascheln folgt. Dann sind wieder Schritte zu vernehmen. Plötzlich fällt ein Schuss. Ein kurzer Schrei ertönt. Dann endet die Aufzeichnung.
Schuhnagel schweigt und verweigert jegliche Aussage. Er wird vorläufig festgenommen. Eilers lässt dessen Wohnung sowie dessen Auto durchsuchen. Im Kofferraum liegt sogar die Tatwaffe – eine Pistole mit Schalldämpfer. Der Sportschütze hatte sein Opfer von hinten ins Herz getroffen wie ein Profi. Eilers vernimmt den Verdächtigten erneut. »Die Beweislast ist nun erdrückend, Herr Schuhnagel. Es kommt in Kürze zur Anklage. Aber Sie kennen ja die Abläufe genau als Jurist. Sie haben Dr. Meyerbeer erschossen, das ist klar, aber warum haben Sie ihn entkleidet und wollten ihn sozusagen nackt verabschieden?«
Schuhnagel zögert nicht und meint: »Ach, ich war es leid mit diesem Getue um Dr. Meyerbeer. Ich wollte ihn demütigen. Er sollte sich endlich entblößen, schutzlos sein, das war meine Rache für alle seine fiesen Angriffe gegen mich in den vergangenen Jahren. Nach außen hin war er der edle Ritter, der barmherzige Samariter und gläubige Heilsbringer, aber Kollegen wie mich hat er gequält mit Vorhaltungen, war rechthaberisch, wollte mich ständig bevormunden, verbessern und einfach klein halten. Wichtige Fälle, die hereinkamen, schnappte er sich weg, ich bekam die Verkehrsdelikte. Das war eine Tortur für mich.«
Schuhnagel triumphiert irgendwie, als er das erzählt. Es klingt wie eine Befreiung. Er fügt noch etwas hinzu: »Dann sollte es auch wie ein Sexualverbrechen aussehen. Er hatte ja wohl eine Freundin, die ihn gern umgebracht hätte, weil sie erfuhr, dass sie nicht die Einzige war. Ich wollte vortäuschen, dass es eine dieser Frauen war, die ihn auslöschte. Jawohl!«
Der Hümmling
Die Region im Nordosten des Emslands ragt als Geestrücken aus dem flachen Fluss- und Moorland hervor. Mit 73 Metern ist der Windberg bei Werpeloh die höchste Erhebung im »Herz des Emslandes«. Seit 2016 ist der Hümmling als Naturpark anerkannt. In dem wald- und heidereichen Gebiet liegen die drei Samtgemeinden Nordhümmling, Sögel und Werlte. Großsteingräber erinnern an die Megalithkultur aus der Jungsteinzeit (3500 – 2800 vor Christus). Der hier stark verankerte christliche Glaube lässt sich an den vielen Kirchen, Hofkreuzen und Klöstern sowie Gärten ablesen. Schmuckstück ist das Schloss Clemenswerth in Sögel mit seiner Klosteranlage.
Weitere Freizeittipps zum Hümmling finden sich in den Mordgeschichten Nr. 5 (Batakhaus in Werpeloh) sowie Nr. 8 (Der Tote an der Wippinger Mühle).
1 Alte Dorfstelle Wahn
(Infostand zwischen Lathen und Sögel, Heimatverein Sögel und Kreisarchiv Meppen) Auf einem frei zugänglichen zwei Kilometer langen Rundweg erinnern Hinweistafeln mit der Geschichte der Bauern und Hofbesitzer an die Vergangenheit. Die Umsiedlung begann 1939. Schon um das Jahr 1000 war das Dorf als »Walinoon« im Einkünfteregister des Klosters Corvey erwähnt worden. In einem überdachten Infostand am Eingang steht ein Modell des ehemaligen Dorfes.
2 St. Antoniuskirche
Sie wurde auch »Dom des Hümmling« genannt. Einst Mittelpunkt des Dorfes Wahn, in dem rund 1000 Menschen lebten. Es sind nur noch Fundamentreste vorhanden. Der Kirchengrundriss wurde freigelegt. Fußbodenmosaike sind zu erkennen. Pfarrer Bernardus Reckers war hier von 1919 bis zum Schluss 1942 aktiv, als die Kirche abgerissen wurde.
3 Wahner Treffen
Zum Gedenken an das ehemalige Dorf Wahn veranstalten die Angehörigen der ehemaligen Bewohner jährlich am dritten Sonntag im Juni das »Wahner Treffen«. Es beginnt am frühen Nachmittag mit einer gemeinsamen Messe im Rund der wieder freigelegten St. Antonius Kirche. Im Anschluss wird bei Kaffee und Kuchen munter geplaudert. Dabei sind auch Gäste herzlich willkommen. Oft sind es 250 Teilnehmer, wovon etwa ein Drittel noch in dem einstigen Dorf lebte. Heute ist das Gelände ringsum der größte mit Messinstrumenten ausgestattete Schießplatz Europas, 31 Kilometer lang, fünf bis sieben Kilometer breit, maximale Schussweite 28 Kilometer. Die Bundeswehr übernahm 1957 den Schießplatz von der Firma Krupp, die ihn bereits 1877 errichtet hatte.
4 Hümmlinger Kreisbahn
Die Museumseisenbahn fährt zwischen Lathen, Sögel und Werlte. Aus technischen Gründen musste die Strecke 2011 gesperrt werden, im Oktober 2017 wurde der Abschnitt bis Werlte freigegeben. Es gibt keinen Fahrplan. Charterfahrten können über den Verein angefragt werden. (Marktstraße 1, 49757 Werlte, www.museumsbahn-huemmlingerkreisbahn.de).
5 Straße der Megalithkultur
Rund 70 Großsteingräber erinnern an die Menschen, die vor rund 5000 Jahren in Nordwestdeutschland lebten. Auf 330 Kilometern führt die beliebte Radroute zu 33 archäologischen Stationen. Dort wird über das Naturverständnis und den Alltag der damaligen Bewohner informiert. Von Osnabrück über Freren, Thuine, Lingen, Meppen und Sögel verläuft die Straße bis Oldenburg (www.strassedermegalithkultur.de).
6 Königsgrab in Groß Berßen
Umgeben von Heide erhebt sich das bekannteste Megalithgrab des Emslandes aus den Resten eines 24 mal zwölf Meter großen Grabhügels (im Wald nördlich der Landstraße zwischen Groß Berßen und Hüven, Parkplatz vorhanden). Die Trag- und Deckensteine sind noch gut erhalten. Der Heimatforscher Korte aus Münster kam 1927 an den Ort und nannte es Königsgrab, da er es für das schönste im Hümmling hielt. Nur 100 Meter entfernt liegt ein rekonstruiertes Großsteingrab.
7 Indoorschießanlage
Das »Schießkino« (Jägerhof 3, 49751 Sögel) gehört zu den modernsten und größten in Europa. Ohne Jagdschein dürfen Menschen ab 18 Jahren mit scharfer Munition schießen. Es gibt genaue Anleitung und rund 200 jagdliche Filme. Auch Laserwaffen sind im Einsatz. Anmeldung ist erforderlich.
Jana Kuhlmann, die junge Kommissarin aus Lingen, freut sich auf diesen Abend schon seit Tagen. Sie hat frei, von der Arbeit – ihr Motto: »Heute mal kein Mord!« – und von der Familie. Ihr Mann Jörn kümmert sich um die beiden Kinder. Sie kann sich mit ihrer alten Freundin Henrikje austauschen, die sie noch aus gemeinsamen Schultagen in Papenburg kennt. Seit Jana wieder im Emsland wohnt, besucht sie öfter ihre Freundinnen von früher sowie auch ihre Eltern, die in Papenburg leben.
»Erst einmal gehen wir auf diese Vernissage im Gut Altenkamp in Aschendorf«, erzählt sie am Nachmittag ihren Eltern, die sie noch besucht hat. Sie hat einen Termin im Historischen Rathaus 8 und schlendert wie früher am Freilicht-Schifffahrts-Museum 9 entlang am Hauptkanal. »Grandios, bei diesem Wetter«, freut sich Jana. Sie holt Henrikje, die wie Jana Golf spielt, im »Golfclub Gutshof« ab. Ach, alles wie früher, denkt Jana.
»Wie war deine Runde?«, erkundigt sich die Kommissarin, die mit Handicap 23 schon auf eine gute Spielpraxis verweisen kann.
»Nicht gerade so prickelnd!«, antwortet ihre Freundin knapp. »Lass uns mal während der paar Kilometer bis Aschendorf über etwas Schöneres reden. Wie ist es denn mit diesem Künstler Tamme Neudecker, kennst du den?«, fragt Henrikje.
»Ist das nicht dieser coole Oberstufensprecher von früher in unserem Gymnasium, der schon immer Sakko trug und keine langen Haare hatte?«, erkundigt sich Jana.